Language of document : ECLI:EU:C:2023:317

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

TAMARA ĆAPETA

vom 20. April 2023(1)

Rechtssache C116/22

Europäische Kommission

gegen

Bundesrepublik Deutschland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 92/43/EWG – Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – Art. 4 Abs. 4 – Besondere Schutzgebiete – Verpflichtung zur Festlegung von Erhaltungszielen“






I.      Einführung

1.        „Wie wir in dem Jahrzehnt zwischen 2020 und 2030 handeln, … dieses Jahrzehnt wird das entscheidende für die Zukunft der Menschheit auf der Erde sein. Die Zukunft ist nicht vorherbestimmt, sie liegt in unserer Hand“(2).

2.        Die Europäische Union beteiligt sich an der Gestaltung der Zukunft, u. a. durch die Habitatrichtlinie(3).

3.        Die vorliegende Rechtssache gehört zu einer Reihe von Verfahren, mit denen die Europäische Kommission dieses Rechtsinstrument durchsetzt. Sie hat gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV mit der Begründung eingeleitet, dass sie ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie nicht erfüllt habe.

4.        Nach den Urteilen vom 5. September 2019, Kommission/Portugal (Ausweisung und Schutz von besonderen Schutzgebieten)(4), und vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland(5), sowie der anhängigen Rechtssache C‑444/21, Kommission/Irland (Schutz von besonderen Schutzgebieten), in der ich kürzlich meine Schlussanträge vorgelegt habe, ist dies nämlich das vierte Vertragsverletzungsverfahren in diesem Bereich, das beim Gerichtshof anhängig gemacht wurde(6). Darüber hinaus ist eine weitere Klage ähnlicher Art beim Gerichtshof anhängig(7), und es laufen Vertragsverletzungsverfahren gegen mehrere andere Mitgliedstaaten(8).

5.        Nach ein paar kurzen Anmerkungen zu diesem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland (II) werde ich zunächst die Habitatrichtlinie und deren Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 erörtern (III). Anschließend werde ich, wie vom Gerichtshof erbeten, die zweite Rüge der Kommission in dieser Rechtssache analysieren, die sich auf einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie in Bezug auf die Anforderungen an die Erhaltungsziele bezieht (IV).

II.    Der Ablauf dieses Verfahrens: das vorprozessuale Verfahren und das Verfahren vor dem Gerichtshof

6.        Die vorliegende Rechtssache betrifft die Umsetzung der Verpflichtungen Deutschlands aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie in der alpinen, der atlantischen und der kontinentalen biogeografischen Region(9).

7.        Für jede dieser Regionen hat die Kommission mit Entscheidungen aus den Jahren 2003 und 2004 eine Liste von Gebieten mit gemeinschaftlicher Bedeutung (im Folgenden: GGB) im deutschen Hoheitsgebiet erstellt(10). In der Folgezeit aktualisierte die Kommission diese Listen, insbesondere durch Entscheidungen aus den Jahren 2007 und 2008(11). In der vorliegenden Rechtssache geht es um die insgesamt 4 606 Gebiete, die in diesen Entscheidungen der Kommission aufgeführt sind.

8.        Nach Ermittlungen im Rahmen eines EU-Pilotverfahrens richtete die Kommission am 27. Februar 2015 ein Aufforderungsschreiben gemäß Art. 258 AEUV an Deutschland, in dem sie darlegte, dass dieser Mitgliedstaat es unter Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie unterlassen habe, eine Reihe von GGB als besondere Schutzgebiete (im Folgenden: BSG) auszuweisen und die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen.

9.        Am 24. Juni 2015 antwortete Deutschland auf das Aufforderungsschreiben und teilte seine Fortschritte bei der Ausweisung von BSG und der Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen mit. Ferner übermittelte Deutschland der Kommission am 14. Januar 2016, am 7. April 2016, am 25. Juli 2016, am 23. Dezember 2016, am 27. Juli 2017, am 22. Dezember 2017 und am 3. August 2018 sieben aktualisierte Informationen zur Ausweisung von BSG und zur Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen.

10.      Für die vorliegenden Schlussanträge ist von Bedeutung, dass die Kommission am 26. Januar 2019 ein ergänzendes Aufforderungsschreiben an Deutschland richtete, in dem sie geltend machte, dass dieser Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 der Habitatrichtlinie verstoßen habe, indem er generell und fortgesetzt keine ausreichend detaillierten und gebietsspezifischen Erhaltungsziele und Erhaltungsmaßnahmen festgelegt habe.

11.      Am 26. April 2019 und am 11. Juni 2019 antwortete Deutschland auf das ergänzende Aufforderungsschreiben und teilte seine Fortschritte bei der Ausweisung von BSG und der Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen mit. Deutschland widersprach der Auffassung der Kommission betreffend die Anforderungen der Habitatrichtlinie an Erhaltungsziele und Erhaltungsmaßnahmen.

12.      Am 13. Februar 2020 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Deutschland, in der sie die Auffassung vertrat, dass die geltend gemachten Verstöße gegen Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie fortbestünden. Auf Ersuchen dieses Mitgliedstaats verlängerte die Kommission mit Schreiben vom 12. März 2020 die Frist für die Beantwortung der mit Gründen versehenen Stellungnahme bis zum 13. Juni 2020.

13.      Am 12. Juni 2020 antwortete Deutschland auf die mit Gründen versehene Stellungnahme und legte insbesondere die bei der Ausweisung von BSG und der Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen erzielten Fortschritte dar. Deutschland bekräftigte seinen Standpunkt, dass es mit der Auffassung der Kommission in Bezug auf die Anforderungen der Habitatrichtlinie an Erhaltungsziele und Erhaltungsmaßnahmen nicht einverstanden sei.

14.      Da die Kommission der Auffassung war, dass Deutschland seinen Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie auch bis zum 13. Juni 2020 nicht nachgekommen sei, hat sie mit am 18. Februar 2022 eingereichter Klageschrift gemäß Art. 258 AEUV die vorliegende Klage beim Gerichtshof erhoben.

15.      Mit ihrer ersten Rüge ersucht die Kommission den Gerichtshof, festzustellen, dass Deutschland gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen hat, indem es eine Reihe von Gebieten in seinem Hoheitsgebiet nicht als BSG ausgewiesen hat (88 der 4 606 GGB).

16.      Mit ihrer zweiten Rüge ersucht die Kommission den Gerichtshof, festzustellen, dass Deutschland gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen hat, indem es zum einen für 88 der 4 606 GGB keine Erhaltungsziele festgelegt hat und zum anderen generell und fortgesetzt nicht hinreichend spezifische Erhaltungsziele für die ausgewiesenen BSG festgelegt hat.

17.      Mit ihrer dritten Rüge beantragt die Kommission, festzustellen, dass Deutschland gegen Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie verstoßen hat, indem es zum einen für 737 der 4 606 GGB keine Erhaltungsmaßnahmen festgelegt hat und zum anderen generell und fortgesetzt Erhaltungsmaßnahmen festgelegt hat, die nicht den rechtlichen Anforderungen dieser Vorschrift entsprechen.

18.      In seiner Klagebeantwortung vom 23. Mai 2022 beantragt Deutschland, die vorliegende Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.

19.      Die Kommission und Deutschland haben außerdem am 4. Juli 2022 und am 16. August 2022 eine Erwiderung bzw. eine Gegenerwiderung eingereicht.

20.      Gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs hat keine mündliche Verhandlung stattgefunden.

III. Die Habitatrichtlinie und ihr Art. 4 Abs. 4 und ihr Art. 6 Abs. 1

A.      Natura 2000 und die drei streitigen biogeografischen Regionen

21.      Wie zuvor festgestellt(12), bilden die im Rahmen der Habitatrichtlinie(13) ausgewiesenen BSG zusammen mit den im Rahmen der Vogelschutzrichtlinie(14) ausgewiesenen BSG Natura 2000(15), ein zusammenhängendes europäisches ökologisches Netz, das das langfristige Fortbestehen der wertvollsten und am stärksten bedrohten Lebensräume und Arten in der Europäischen Union sichern soll.

22.      Die in dieser Rechtssache in Rede stehenden Regionen, die alpine, die atlantische und die kontinentale Region, sind Teil des Netzes Natura 2000, das in fünf Meeresregionen und neun kontinentale biogeografische Landregionen unterteilt ist(16).

23.      Die alpine biogeografische Region, die als „das Dach Europas“ bezeichnet wird, umfasst fünf der längsten und höchsten Gebirgsketten und weist eine sehr große biologische Vielfalt auf, da fast zwei Drittel der Pflanzen des europäischen Kontinents dort anzutreffen sind(17). Zu der atlantischen biogeografischen Region, die als „westlicher Rand Europas“ bezeichnet wird, gehören zwei der fruchtbarsten Meere der Welt (die Nordsee und der Atlantische Ozean) und mehr als die Hälfte der Küstenlinie der Europäischen Union, die ebenfalls reich an Lebensräumen und Arten ist(18). Die kontinentale biogeografische Region, das sogenannte „Kernland Europas“, umfasst mehr als ein Viertel der Europäischen Union und zeichnet sich durch eine hohe biologische Vielfalt aus; sie ist vor allem für die Beherbergung zahlreicher seltener Tier- und Pflanzenarten bekannt(19).

B.      Das System der Habitatrichtlinie im Einzelnen

24.      Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Irland (Schutz von besonderen Schutzgebieten) näher erläutert habe(20), tragen die Mitgliedstaaten zu Natura 2000 entsprechend dem anteiligen Vorkommen der in den Anhängen der Habitatrichtlinie aufgeführten Lebensraumtypen und Arten in ihrem Hoheitsgebiet, die sie als BSG ausweisen, bei.

25.      Kurz gesagt, sieht die Habitatrichtlinie vor, dass BSG in einem mehrstufigen Verfahren ausgewiesen werden, beginnend mit den Vorschlägen der Mitgliedstaaten, auf deren Grundlage die Kommission die Liste der GGB durch einen verbindlichen Rechtsakt erstellt. Nach dem Inkrafttreten dieses verbindlichen Rechtsakts haben die Mitgliedstaaten sechs Jahre Zeit, um diese GGB förmlich als BSG auszuweisen und die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen.

26.      Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Ausweisung von BSG. Er lautet wie folgt:

„Ist ein Gebiet aufgrund des in Absatz 2 genannten Verfahrens als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden, so weist der betreffende Mitgliedstaat dieses Gebiet so schnell wie möglich – spätestens aber binnen sechs Jahren – als besonderes Schutzgebiet aus und legt dabei die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes eines natürlichen Lebensraumtyps des Anhangs I oder einer Art des Anhangs II und für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 sowie danach fest, inwieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind.“

27.      Gleichzeitig mit der Ausweisung eines BSG muss ein Mitgliedstaat auch die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen festlegen. Dies ist in Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie vorgesehen, der wie folgt lautet:

„Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.“

28.      Auch wenn die Habitatrichtlinie die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in zwei getrennten Bestimmungen regelt, bilden die Ausweisung von BSG und die Festlegung der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen ein untrennbares Ganzes, wenn die Ziele von Natura 2000 verwirklicht werden sollen. Es sei daran erinnert, dass das Ziel der Habitatrichtlinie darin besteht, in den ausgewiesenen Teilen der Natur konkrete Ergebnisse zu erzielen(21).

29.      In Bezug auf die in der vorliegenden Rechtssache relevanten Gebiete im deutschen Hoheitsgebiet ist die Frist zur Erfüllung der Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie spätestens 2014 abgelaufen (siehe Fn. 11 dieser Schlussanträge).

30.      Weder in Art. 4 Abs. 4 noch in Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie wird die Festlegung von Erhaltungszielen ausdrücklich erwähnt. Das Erfordernis, Erhaltungsziele festzulegen, wurde jedoch vom Gerichtshof als zwingender und notwendiger Schritt nach der Ausweisung von BSG gemäß Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie und vor der Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie angesehen(22).

31.      In Wirklichkeit sind die Erhaltungsziele, für die ein bestimmtes Gebiet ausgewählt wurde, das als BSG unter Schutz gestellt werden soll, zumindest bis zu einem gewissen Grad bereits vor seiner förmlichen Ausweisung vorhanden. Dies wird in der Rechtsprechung zu Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie offensichtlich anerkannt(23). Diese Bestimmung, die als einzige ausdrücklich Erhaltungsziele nennt(24), zielt darauf ab, die Möglichkeit der Verwirklichung dieser Ziele des künftigen BSG von dem Zeitpunkt an sicherzustellen, in dem seine Aufnahme in die Liste der GGB erfolgt, indem sie die vorherige Genehmigung eines jeden Projekts verlangt, das seine Ziele gefährden kann. Daher gilt, worauf Generalanwältin Kokott hingewiesen hat, dass „[z]um Zeitpunkt der Aufnahme in die Gemeinschaftsliste … zwar noch nicht ausdrücklich bestimmte Erhaltungsziele festgelegt [werden], … diese … sich [jedoch] aus der Gesamtheit der Lebensräume und Arten, für die das Gebiet … geschützt wurde[, ergeben]“(25).

32.      Da die Erhaltungsziele die Gründe widerspiegeln, weshalb das betreffende Gebiet überhaupt als BSG ausgewiesen werden soll, ist es nur folgerichtig, dass der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung gefordert hat, die Erhaltungsziele bereits zum Zeitpunkt der förmlichen Ausweisung eines BSG zu formulieren. Die Formulierung von Erhaltungszielen ist somit Teil einer solchen förmlichen Ausweisung eines BSG. Die Erhaltungsziele müssen daher innerhalb der in Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie genannten Frist von sechs Jahren festgelegt werden(26).

33.      Vor diesem Hintergrund werde ich nun die zweite Rüge untersuchen, die die Kommission in der vorliegenden Rechtssache erhoben hat.

IV.    Die zweite Rüge, mit der ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie geltend gemacht wird

34.      Mit ihrer zweiten Rüge wirft die Kommission Deutschland vor, gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen zu haben, weil sie für einige der in Rede stehenden 4 606 Gebiete keine Erhaltungsziele festgelegt habe.

35.      Die Kommission bringt im Wesentlichen zweierlei vor. Erstens gebe es für einige Gebiete (88 der 4 606 Gebiete) überhaupt keine Erhaltungsziele. Zweitens seien die Erhaltungsziele für viele Gebiete nicht quantifiziert und messbar, sie unterschieden nicht zwischen der Erhaltung und der Wiederherstellung der in dem Gebiet vorhandenen Schutzgüter, und sie seien gegenüber Dritten nicht verbindlich. Die Kommission macht außerdem geltend, dass die zweite Art von Verstößen genereller und fortgesetzter Natur sei.

36.      Im Folgenden werde ich auf jede dieser Behauptungen einzeln eingehen.

A.      Die Behauptung, Deutschland habe für bestimmte Gebiete keine Erhaltungsziele festgelegt

37.      Die Kommission behauptet, dass es auf der Grundlage der von Deutschland im Rahmen des vorgerichtlichen Verfahrens übermittelten Informationen 88 Gebiete gebe, für die überhaupt keine Erhaltungsziele festgelegt worden seien. Sie beruft sich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach für jedes BSG Erhaltungsziele festgelegt werden müssen.

38.      In Erwiderung auf diese Behauptung macht Deutschland geltend, dass zwischen dem Zeitpunkt der Übermittlung der mit Gründen versehenen Stellungnahme und dem 31. März 2022 konkrete Erhaltungsziele für diese Gebiete festgelegt worden seien, mit Ausnahme einiger weniger Gebiete, die voraussichtlich im Rahmen der nächsten Aktualisierung aus der Liste der Gebiete entfernt werden sollten.

39.      Wie bereits erwähnt (siehe Nrn. 30 und 32 dieser Schlussanträge), ist die Festlegung von Erhaltungszielen gemäß Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie obligatorisch. Die Mitgliedstaaten müssen solche Ziele für die als BSG ausgewiesenen Gebiete innerhalb der in diesem Artikel vorgesehenen Frist von sechs Jahren festlegen.

40.      Wie von der Kommission angegeben, bestreitet Deutschland nicht, dass bis zum Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist, d. h. bis zum 13. Juni 2020, zumindest für einen Teil der fraglichen Gebiete keine Erhaltungsziele festgelegt wurden (siehe Nr. 12 dieser Schlussanträge)(27).

41.      Unter diesen Umständen bin ich der Ansicht, dass die Behauptung der Kommission, für eine Reihe von Gebieten gebe es keine Erhaltungsziele, zu bestätigen ist.

B.      Die Behauptung, die von Deutschland festgelegten Erhaltungsziele seien nicht spezifisch genug und diesem Mitgliedstaat falle ein genereller und fortgesetzter Verstoß zur Last

42.      Die Kommission macht geltend, dass Deutschland, wie aus den von diesem Mitgliedstaat im Rahmen des vorgerichtlichen Verfahrens übermittelten Informationen hervorgehe, generell und fortgesetzt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen habe, indem es systematisch Erhaltungsziele festgelegt habe, die den Anforderungen dieser Bestimmung nicht entsprächen. Erstens seien sie nicht quantifiziert und nicht messbar. Zweitens unterschieden sie nicht zwischen der Erhaltung und der Wiederherstellung der in dem Gebiet vorhandenen Schutzgüter. Drittens seien sie gegenüber Dritten nicht verbindlich.

43.      Darüber hinaus behauptet die Kommission nicht nur, dass einige Erhaltungsziele nicht spezifisch genug seien, sondern auch, dass sie ein Muster repräsentierten, aus dem sich ein genereller und fortgesetzter Verstoß durch Deutschland ergebe.

44.      Deutschland macht geltend, dass es keinen generellen und fortgesetzten Verstoß gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie begangen habe. Es werde nicht bestritten, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, gebietsspezifische Erhaltungsziele festzulegen. Deutschland bestreitet jedoch, dass die Habitatrichtlinie verlange, dass Erhaltungsziele stets quantifizierbar seien und dass sie zwischen der Erhaltung und der Wiederherstellung der Schutzgüter unterscheiden müssten. Schließlich argumentiert Deutschland, dass die Erhaltungsziele, wie sie in dem deutschen Rechtsrahmen festgelegt seien, verbindlich seien. Deutschland ist der Ansicht, dass die Auffassung der Kommission keine Grundlage in den Bestimmungen der Habitatrichtlinie oder in der Rechtsprechung des Gerichtshofs habe und dass sie den Zielen dieser Richtlinie zuwiderlaufen dürfte.

45.      Der Streit zwischen den Parteien über den unter dieser Überschrift behandelten Rügepunkt ist somit ein Streit über Rechts- und nicht über Tatsachenfragen. Deutschland bestreitet den von der Kommission vorgetragenen Sachverhalt nicht. Es macht vielmehr geltend, dass dieser Sachverhalt keinen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Festlegung hinreichend klarer Erhaltungsziele beinhalte. Mit anderen Worten, Deutschland widerspricht der Auffassung der Kommission darüber, was erforderlich ist, damit ein Erhaltungsziel hinreichend spezifisch ist.

46.      Das Verständnis der Kommission, dass die Mitgliedstaaten stets Erhaltungsziele angeben müssten, die quantifiziert seien und zwischen der Zielsetzung der Erhaltung und der der Wiederherstellung unterschieden, lässt sich meines Erachtens nicht aus der Habitatrichtlinie ableiten. Auch die Auffassung der Kommission darüber, was die verbindlichen Wirkungen einer Ausweisung als BSG ausmache, ist nicht haltbar. Sollte der Gerichtshof der von mir vorgeschlagenen Auslegung folgen, wäre die Behauptung der Kommission zurückzuweisen, dass Deutschland es generell und fortgesetzt versäumt habe, hinreichend spezifische Erhaltungsziele festzulegen, die den Anforderungen von Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie entsprächen.

1.      Die Behauptung, Erhaltungsziele müssten quantifiziert werden

47.      Die Kommission macht geltend, dass es zahlreiche Gebiete gebe, die keine quantitativen und messbaren Elemente aufwiesen(28). Die Kommission trägt vor, dass Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verlange, dass die Erhaltungsziele Elemente aufwiesen, die bezifferten, welchen spezifischen Beitrag das Schutzgebiet leisten müsse, um einen günstigen Erhaltungszustand der Lebensraumtypen oder Arten auf nationaler Ebene zu erreichen (z. B. eine Zunahme der Population bestimmter Arten um eine genaue Anzahl neuer Individuen).

48.      Die Kommission versteht die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Erhaltungsziele hinreichend spezifisch sein müssen, so, dass sie quantifiziert sein müssen (a). Die Kommission beruft sich auch auf die Ziele (b) und den Wortlaut (c) der Habitatrichtlinie und führt Beispiele aus anderen Mitgliedstaaten an, die quantifizierte Erhaltungsziele eingeführt haben (d).

49.      Deutschland bestreitet die Behauptungen der Kommission und macht insbesondere geltend, dass spezifische Erhaltungsziele, ob quantifiziert oder nicht, überprüfbar sein müssten. Ein rein quantitativer Ansatz sei zwar für bestimmte Lebensraumtypen und Arten denkbar, aber als genereller Maßstab nicht geeignet. Erstens spiegele das Erreichen oder Nicht-Erreichen des vorgegebenen Werts nicht den Zustand des Schutzgebiets wider. Zweitens sei ein solcher Ansatz für komplexe oder dynamische Schutzgebiete nicht geeignet. Drittens trage er dem kohärenten Charakter des Natura-2000-Netzes und dem Bestehen ökologischer Zusammenhänge innerhalb dieses Netzes nicht Rechnung (e).

50.      Entgegen der Argumentation der Kommission bin ich nicht davon überzeugt, dass die Erhaltungsziele allein deshalb nicht mit Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie vereinbar sind, weil sie nicht quantifiziert sind. Ich werde auf die Argumente der Kommission und Deutschlands der Reihe nach eingehen.

a)      Das auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs gestützte Vorbringen der Kommission

51.      In seiner Rechtsprechung, auf die sich die Kommission beruft, nämlich im Urteil Kommission/Griechenland(29), hat der Gerichtshof Erhaltungsziele als unzureichend angesehen, weil sie zu allgemein und ungenau waren und sich nicht auf die wichtigsten Lebensraumtypen und Arten in dem Gebiet bezogen. Aus diesem Urteil lässt sich nicht entnehmen, dass hinreichend spezifisch dasselbe wie quantifiziert bedeutet.

52.      In der Rechtsprechung wurde also die Frage noch nicht beantwortet, ob das Erfordernis, dass Erhaltungsziele hinreichend spezifisch sein müssen, bedeutet, dass sie immer quantifiziert werden müssen. Ich schlage vor, dass der Gerichtshof der Auslegung folgt, dass die Erhaltungsziele nicht immer quantifiziert werden müssen, um hinreichend präzise zu sein.

53.      Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass die Erhaltungsziele nicht unbestimmt sein dürfen. Sie müssen die Überprüfung ermöglichen, ob mit den auf diese Ziele gestützten Maßnahmen der gewünschte Erhaltungszustand des Gebiets erreicht werden kann. Ich stimme jedoch Deutschland darin zu, dass die Frage, ob eine hinreichende Spezifität eine Quantifizierung erforderlich macht, nicht allgemein beantwortet werden kann, sondern von den Bedingungen des jeweiligen Gebiets abhängt. Manchmal muss das Erhaltungsziel zahlenmäßig ausgedrückt werden, aber ob dies der Fall ist, kann nur für den jeweiligen Fall entschieden werden(30).

54.      Es ist Sache der Kommission, im Einzelfall nachzuweisen, dass der Schutz der Lebensraumtypen und Arten in dem betreffenden Gebiet die Festlegung von quantifizierten Erhaltungszielen erfordert.

55.      Die vorgeschlagene Position, dass die Erhaltungsziele nicht unbedingt quantifiziert werden müssen, findet eine Stütze in der wissenschaftlichen Literatur. Es wurde festgestellt, dass eines der Hauptelemente der Erhaltungsziele die ökologische Bedeutung der Gebiete ist, die anhand der in Anhang III der Habitatrichtlinie aufgeführten sowohl qualitativen als auch quantitativen Kriterien gemessen wird(31).

b)      Die Argumentation der Kommission auf der Grundlage der Ziele der Habitatrichtlinie

56.      Die Kommission verteidigt ihren Standpunkt, dass die Erhaltungsziele quantifiziert werden müssten, indem sie sich auf Art. 1 der Habitatrichtlinie beruft, der einen zu erreichenden „günstigen Erhaltungszustand“ für die Lebensraumtypen und Populationen definiere.

57.      Dieses Argument ist jedoch nicht überzeugend, da die Elemente zur Beurteilung eines günstigen Erhaltungszustands sowohl qualitativer als auch quantitativer Natur sind(32).

58.      Die Kommission führt weiter aus, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des in Art. 20 der Habitatrichtlinie genannten Ausschusses vereinbart hätten, für die Zwecke ihrer Berichtspflichten nach Art. 17 der Richtlinie quantifizierte Referenzwerte festzulegen, die aussagten, ab welchem Schwellenwert ein günstiger Erhaltungszustand für einen Lebensraumtyp oder eine Art erreicht werde. Die Kommission gelangt daher zu dem Schluss, dass die Erhaltungsziele auch gemäß Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie quantifiziert werden müssten.

59.      Die Kommission stützt sich außerdem auf empirische Daten aus dem deutschen Bericht gemäß Art. 17 für den Zeitraum 2013–2018, aus denen hervorgehe, dass sich rund 80 % der in Deutschland geschützten Lebensraumtypen und Arten immer noch in einem ungünstigen Erhaltungszustand befänden. Sie argumentiert, dass Deutschland in Ermangelung quantifizierter Erhaltungsziele keinen günstigen Erhaltungszustand erreicht habe.

60.      Deutschland bestreitet zunächst den von der Kommission hergestellten Zusammenhang zwischen den Referenzwerten und den Anforderungen, die an die Erhaltungsziele nach Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie gestellt werden. Entsprechende Referenzwerte seien lediglich ein Mittel zur Erfüllung der Berichtspflichten nach Art. 17 der Habitatrichtlinie und bezögen sich nicht speziell auf die Situation in den einzelnen BSG, sondern auf das gesamte Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats. Ferner könne, wenn in einem Bericht festgestellt werde, dass ein günstiger Erhaltungszustand für bestimmte Lebensräume oder Arten noch nicht erreicht worden sei, daraus nicht gefolgert werden, dass die für bestimmte BSG festgelegten Erhaltungsziele unzureichend seien. Es könne nur festgestellt werden, dass diese Erhaltungsziele insgesamt nicht erreicht worden seien. Deutschland bestreitet, dass die gemeldeten Trends, selbst wenn sie ungünstig seien, auf das Fehlen von quantifizierten Erhaltungszielen zurückzuführen seien.

61.      Ich stimme Deutschland zu. Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen nicht erfüllten quantifizierten Schwellenwerten, die für die Zwecke der Berichterstattung vereinbart wurden, und dem Argument, dass die Erhaltungsziele quantifiziert werden müssten.

c)      Die auf den Wortlaut der Habitatrichtlinie gestützte Argumentation der Kommission

62.      Die Kommission beruft sich zusätzlich auch auf Art. 6 der Habitatrichtlinie.

63.      In Bezug auf die Argumente, die sich auf Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie stützen, vermag ich nicht zu erkennen, wie das Fehlen quantifizierter Erhaltungsziele im Widerspruch zu den Erfordernissen der Festlegung der notwendigen Erhaltungsmaßnahmen stehen sollte. Wie ich nämlich bereits in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Irland (Schutz von besonderen Schutzgebieten)(33) ausgeführt habe, müssen die Erhaltungsmaßnahmen den Erhaltungszielen entsprechen. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Ziele immer quantifiziert werden müssen.

64.      Die Kommission stützt ihre Argumentation auch auf Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie und behauptet, dass nur quantitativ bestimmte Erhaltungsziele als Kriterium für die Beurteilung der Auswirkungen eines Plans oder Projekts auf das Gebiet in Betracht kämen. Negative Auswirkungen auf die Erhaltungsziele könnten nur dann mit Sicherheit ausgeschlossen werden, wenn sie durch quantitative Elemente hinreichend konkretisiert seien. Um dies zu belegen, führt die Kommission ein Beispiel an. Sie erläutert, dass eine Beurteilung der Auswirkungen eines geplanten Wasserkraftwerks auf eine geschützte Fischart in einem Schutzgebiet nur dann die nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie erforderliche Gewissheit vermitteln könne, wenn die Erhaltungsziele des Gebiets Angaben über die Anzahl der Exemplare dieser Fischart und ihre Altersstruktur enthielten, die für die Feststellung eines günstigen Erhaltungszustands notwendig seien.

65.      Bei einem ähnlichen Sachverhalt hat der Gerichtshof seine Entscheidung im Hinblick auf die Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie jedoch ohne solche quantifizierten Erhaltungsziele getroffen.

66.      Ich denke dabei an die Rechtssache Kommission/Deutschland(34). In jener Rechtssache leitete die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein, das sie u. a. damit begründete, dass Deutschland bestimmte Maßnahmen in Bezug auf Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie falsch bewertet habe. Diese Maßnahmen betrafen eine Fischaufstiegsanlage in der Nähe des Kohlekraftwerks Moorburg, die eingerichtet wurde, um dadurch die durch den Betrieb des Kraftwerks – der die Entnahme großer Wassermengen aus einem nahegelegenen Fluss erforderte – verursachten Verluste einzelner Exemplare auszugleichen. Dieser Fluss stellte eine Wanderstrecke für verschiedene Fischarten dar, die unter mehrere flussaufwärts gelegene Natura-2000-Gebiete fielen, deren Erhaltungsziele diese Arten erfassten.

67.      In seinem Urteil stellte der Gerichtshof fest, dass die Fischaufstiegsanlage dazu bestimmt war, zu einer Stärkung der Wanderfischbestände zu führen, indem sie es diesen Arten ermöglicht, schneller ihre Laichgebiete zu erreichen. Durch die Stärkung der Bestände würden die beim Kraftwerk Moorburg verursachten Verluste ausgeglichen, so dass die Erhaltungsziele der stromaufwärts vom Kraftwerk gelegenen Natura-2000-Gebiete nicht erheblich beeinträchtigt würden. Der Gerichtshof hat sich bei seiner Bewertung nicht auf quantifizierte Erhaltungsziele gestützt(35).

68.      Darüber hinaus enthält die Rechtsprechung weitere Beispiele, die zeigen, dass der Gerichtshof auch ohne die Festlegung quantifizierter Erhaltungsziele in der Lage war, zu beurteilen, ob die aus Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie folgenden Verpflichtungen erfüllt wurden(36).

69.      Daher bin ich der Ansicht, dass die Argumentation der Kommission, die sich auf Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie stützt, nicht die Annahme rechtfertigt, dass Erhaltungsziele immer quantifiziert werden müssen.

d)      Die Argumentation der Kommission auf der Grundlage von Beispielen aus anderen Mitgliedstaaten

70.      Schließlich macht die Kommission geltend, dass ihr Beharren auf einer Quantifizierung nicht unangemessen sei, da es Mitgliedstaaten gebe, die quantifizierte Erhaltungsziele festlegten, wobei sie Beispiele aus Belgien, Bulgarien, Litauen und Rumänien anführt(37).

71.      Deutschland entgegnet auf diese Argumentation, dass es sich bei den gewählten Beispielen um anekdotische Einzelfälle handele, die keine allgemeine Herangehensweise für die Festlegung von Erhaltungszielen erkennen ließen. Deutschland weist auch darauf hin, dass die betreffenden Mitgliedstaaten zu denjenigen Staaten gehörten, gegen die die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren wegen angeblicher Verstöße gegen Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie eingeleitet habe.

72.      Meines Erachtens kann man aus der Praxis der Mitgliedstaaten nicht auf die Anforderungen der Habitatrichtlinie schließen. Daher ist die Argumentation der Kommission irrelevant.

e)      Die Argumentation Deutschlands zu der Frage, weshalb ein quantitativer Ansatz nicht allgemein durchgesetzt werden kann

73.      Deutschland ist der Auffassung, dass es zwar möglich sei, eine quantitative Festlegung der Erhaltungsziele für bestimmte Lebensraumtypen und Arten vorzunehmen, dass diese Festlegung jedoch als allgemeiner Maßstab nicht geeignet sei. Der Mitgliedstaat führt hierfür drei Gründe an.

74.      Erstens könne eine rein quantitative Flächenbetrachtung bei Lebensraumtypen nicht abbilden, in welchem Zustand sich die betreffenden Flächen befänden. So erklärt Deutschland z. B., dass eine von der Kommission angeführte Vergrößerung der Fläche des Lebensraumtyps (6510) Magere Flachland-Mähwiesen um 10 % zwar auf eine Verbesserung des Erhaltungszustands hindeuten könnte, dass sich aber gleichzeitig der Zustand der bestehenden Flächen verschlechtern könnte. Daher würde das quantifizierte Erhaltungsziel als solches nicht anzeigen, ob der günstige Zustand des Gebiets erreicht werde.

75.      Zweitens eigne sich ein quantitativer Ansatz nicht für komplexe Lebensraumtypen oder Schutzgebiete mit dynamischem Charakter (in denen sich bestimmte Bestandteile der komplexen Lebensräume oder unterschiedene Lebensraumtypen innerhalb eines Schutzgebiets ständig veränderten und miteinander in Wechselwirkung stünden). Quantitative Erhaltungsziele könnten die gewünschte Entwicklung nicht angemessen abbilden und passten nicht zum Erhaltungszustand der Gebiete als ganze, da diese Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf den Erhaltungszustand sich nicht berechnen ließen, sondern qualitativ zu betrachten seien.

76.      Drittens dürften quantitative Erhaltungsziele, die sich auf einzelne BSG bezögen, dem kohärenten Charakter des Natura-2000-Netzes nicht gerecht werden und dem Bestehen von ökologischen Zusammenhängen innerhalb dieses Netzes nicht Rechnung tragen.

77.      Dazu führt Deutschland ein Beispiel an. Oenanthe conioides, die endemische Pflanzenart des Elbästuars – eines hochdynamischen, komplexen Lebensraums –, sei eine Pionierpflanze, die gezeitenabhängig offene Flächen besiedle. Dies führe zu erheblichen Populationsschwankungen in der natürlichen Entwicklung der Art, ohne ihren Erhaltungszustand zu gefährden, so dass die Nichterreichung der Referenzwerte für die Standorte nicht unbedingt bedeute, dass Maßnahmen zum Schutz der Art getroffen werden müssten. Darüber hinaus sei diese Art in einer Vielzahl von BSG verbreitet, die miteinander verbunden seien und deren Populationen interagierten. Die Entwicklung der Art sei nicht nur innerhalb eines BSG dynamisch, sondern auch zwischen den verschiedenen BSG, für die diese Art von Bedeutung sei. Auch variiere der quantitative Beitrag der einzelnen BSG zur Erhaltung der Art als ganze erheblich, ohne dass sich der Erhaltungszustand insgesamt ändere. Der Beitrag der einzelnen BSG zur Erhaltung der Art könne daher auf lange Sicht nur qualitativ bestimmt werden.

78.      Ich halte die Argumentation Deutschlands für überzeugend. Die Unterschiede zwischen den durch die Habitatrichtlinie geschützten Lebensräumen und Arten erfordern einen flexiblen Ansatz und eine fallweise Auswahl geeigneter Erhaltungsziele, die den Anforderungen des jeweiligen Gebiets entsprechen. Bisweilen müssen die Erhaltungsziele quantifiziert werden, manchmal können sie aber auch nur qualitativ festgelegt werden. Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, den Standpunkt der Kommission, dass die Erhaltungsziele für jeden Lebensraumtyp und für jede Art quantifiziert werden müssten, zurückzuweisen.

79.      Zusammenfassend bin ich der Auffassung, dass die Behauptung der Kommission, Deutschland habe gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen, indem es nicht quantifizierte Erhaltungsziele festgelegt habe, unbegründet ist, weil die Habitatrichtlinie nicht verlangt, dass Erhaltungsziele immer quantifiziert werden.

2.      Die Behauptung, dass in Bezug auf Erhaltungsziele zwischen Erhaltung und Wiederherstellung der Schutzgüter unterschieden werden müsse

80.      Die Kommission behauptet, dass es viele Gebiete gebe, bei denen in Bezug auf die Erhaltungsziele nicht zwischen Erhaltung und Wiederherstellung der in dem Gebiet vorhandenen Schutzgüter unterschieden werde(38).

81.      Nach Ansicht der Kommission sind die Erhaltungsziele, um mit der Habitatrichtlinie in Einklang zu stehen, danach zu unterscheiden, ob sie sich auf die Erhaltung oder auf die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der in einem BSG vorhandenen Lebensräume und Arten beziehen.

82.      Die Kommission beruft sich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Erhaltungsziele hinreichend spezifisch sein müssen, und schließt daraus, dass die Spezifität eine Unterscheidung zwischen Erhaltung und Wiederherstellung erfordere. Sie stützt sich ferner auf den Wortlaut der Habitatrichtlinie. Insoweit betont die Kommission, dass sich eine solche Unterscheidung durch die gesamte Habitatrichtlinie ziehe und für die Festlegung der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie, die auf der Grundlage dieser Ziele durchzuführen seien, sowie für die nach Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie vorzunehmende Beurteilung der Frage, ob ein Plan oder ein Projekt voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf ein Gebiet haben werde, von entscheidender Bedeutung sei. Schließlich beruft sich die Kommission auf ein Beispiel aus einem anderen Mitgliedstaat(39).

83.      Ausgehend von ihrem Verständnis, dass Erhaltungsziele klar zwischen Erhaltung und Wiederherstellung unterscheiden müssten, kommt die Kommission zu dem Schluss, dass Erhaltungsziele, denen eine solche Unterscheidung nicht zugrunde liege, was in Deutschland systematisch der Fall sei, nicht mit der Habitatrichtlinie in Einklang stünden.

84.      Deutschland widerspricht der Auffassung der Kommission. Es sei zwar zutreffend, dass für jedes BSG klare und eindeutige Erhaltungsziele festgelegt werden sollten. Deutschland macht aber geltend, dass es vom tatsächlichen Zustand des BSG abhänge, ob diese Ziele durch die Erhaltung oder die Wiederherstellung der Schutzgüter erreicht würden. Ob Maßnahmen zur Erhaltung oder zur Wiederherstellung durchgeführt werden müssten, entscheide sich danach, wie sich der tatsächliche Zustand eines Lebensraumtyps oder einer Art im Einzelfall entwickle.

85.      Deutschland ist der Auffassung, dass es keinen Grund gebe, bei der Formulierung der Erhaltungsziele zwischen Erhaltung und Wiederherstellung zu unterscheiden, sondern dass vielmehr eine qualitative oder quantitative Zielsetzung formuliert werden sollte, so dass das Erhaltungsziel auf die Wiederherstellung abziele, solange dieses Ziel noch nicht erreicht sei, und auf die Erhaltung dieses Sollzustands, sobald es erreicht sei.

86.      Wenn die Kommission der Auffassung sei, dass die Erhaltungsziele danach zu unterscheiden seien, ob sie durch die Erhaltung oder die Wiederherstellung der Schutzgüter erreicht werden sollten, würde dies bedeuten, dass bei jeder Änderung des Erhaltungsgrads in einem BSG das entsprechende Erhaltungsziel für jeden Lebensraumtyp und für jede Art angepasst werden müsste. Insbesondere in dynamischen Lebensräumen wie dem Elbästuar, in dem die von der Kommission erwähnte Pflanzenart Oenanthe conioides vorkomme, müssten die Erhaltungsziele möglicherweise wiederholt an sich ändernde Umweltbedingungen angepasst werden. Dies könne zu einer Situation führen, in der für die Zwischenzeit keine auf die Erhaltung, sondern nur auf die Wiederherstellung gerichteten Erhaltungsziele festgelegt würden oder umgekehrt. Die von der Kommission eingenommene Position könne daher zu Lücken im Schutzniveau führen.

87.      Deutschland widerspricht auch der auf den Wortlaut der Habitatrichtlinie gestützten Argumentation der Kommission. Insbesondere spreche die den gesamten Text dieser Richtlinie durchziehende Dichotomie zwischen dem Ziel der Erhaltung und dem der Wiederherstellung nicht gegen die deutsche Praxis, da der verbindliche Sollzustand stets entweder erhalten oder wiederhergestellt werden müsse. Es sei auch nicht ersichtlich, dass Erhaltung und Wiederherstellung voneinander zu unterscheiden seien; aus dem achten Erwägungsgrund in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der Habitatrichtlinie gehe hervor, dass es ein einziges variables Kriterium gebe: Ziel sei ein allgemein günstiger Erhaltungszustand, und die Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung richteten sich nach sich dynamisch verändernden Umständen im Einzelfall.

88.      In Bezug auf Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie teilt Deutschland die Auffassung, dass Erhaltungsmaßnahmen, die auf die Erhaltung des Zustands des Schutzguts abzielten, sich von solchen unterschieden, die auf dessen Wiederherstellung gerichtet seien. Daraus ließen sich jedoch keine Schlussfolgerungen in Bezug auf die Anforderungen stellen, die die Erhaltungsziele erfüllen müssten. Was die Argumente betreffe, die sich auf Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie stützten, sei festzustellen, dass die Frage, ob ein vorgeschlagener Plan oder ein vorgeschlagenes Projekt voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf ein Gebiet haben werde, von den konkreten Bedingungen abhänge, die zum Zeitpunkt der Bewertung in dem Gebiet herrschten, und nicht von der in der Vergangenheit getroffenen formalen Entscheidung, den Erhaltungszielen des Gebiets entweder den Zweck der Erhaltung oder den der Wiederherstellung zuzuweisen. Deutschland führt in diesem Zusammenhang nämlich weiter aus, dass der Gerichtshof ein Erhaltungsziel nicht beanstandet habe, das ohne eine solche Unterscheidung formuliert worden sei(40).

89.      Verlangt die Habitatrichtlinie von den Mitgliedstaaten, bei der Formulierung der Erhaltungsziele für ein BSG zwischen dem Erfordernis der Erhaltung und dem Erfordernis der Wiederherstellung zu unterscheiden?

90.      Zunächst hat sich – wie ich ähnlich auch im Hinblick auf die Frage, ob die Erhaltungsziele quantifiziert werden müssen (siehe Nrn. 51 und 52 dieser Schlussanträge), argumentiert habe – die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Erhaltungsziele hinreichend spezifisch sein müssen, nicht mit der Frage befasst, ob dies bedeutet, dass diese Ziele zwischen Erhaltung und Wiederherstellung unterscheiden müssen. Die Kommission kann sich deshalb nicht auf diese Rechtsprechung berufen, um ihren Standpunkt, dass eine solche Differenzierung notwendig sei, zu begründen. Darüber hinaus sind die Argumente, die sich auf die Praxis in einem Mitgliedstaat beziehen, wie bereits in Nr. 72 dieser Schlussanträge dargestellt, irrelevant.

91.      Vor diesem Hintergrund möchte ich daran erinnern, dass das übergeordnete Ziel der Habitatrichtlinie, wie es Art. 2 Abs. 1 ausdrücklich benennt, die Erhaltung der Artenvielfalt ist. Dies kommt auch in den Erwägungsgründen dieser Richtlinie zum Ausdruck:

„Hauptziel dieser Richtlinie ist es, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, wobei jedoch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Anforderungen berücksichtigt werden sollen. Diese Richtlinie leistet somit einen Beitrag zu dem allgemeinen Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. Die Erhaltung der biologischen Vielfalt kann in bestimmten Fällen die Fortführung oder auch die Förderung bestimmter Tätigkeiten des Menschen erfordern.“(41)

92.      Die Erhaltung der biologischen Vielfalt erfordert also unterschiedliche Maßnahmen, je nachdem, ob der Erhaltungszustand bestimmter Lebensräume oder Arten günstig ist oder nicht. Kurz gesagt, ist der Zustand eines Lebensraums oder einer Art dann günstig, wenn der Mensch nicht eingreifen muss, damit dieser für absehbare Zeit gewahrt bleibt(42). Bei der Einrichtung von BSG müssen sich die Mitgliedstaaten im Klaren sein, welchen Zweck sie im Rahmen der allgemeineren Bemühungen um die Erhaltung der biologischen Vielfalt verfolgen, sowie über den (günstigen oder ungünstigen) Zustand der Lebensräume und Arten, die der Grund dafür waren, weshalb dieses spezifische Gebiet für die Teilnahme an Natura 2000 ausgewählt wurde. Ich stimme daher mit Deutschland darin überein, dass die Erhaltungsziele für ein BSG (qualitative oder quantitative) Zielsetzungen formulieren müssen, die den günstigen Erhaltungszustand des Lebensraums und der Arten, die es umfasst, zum Ausdruck bringen.

93.      Wenn der Erhaltungszustand günstig ist, wird das Erreichen dieser Ziele oft kein menschliches Eingreifen erfordern (bis auf die Überwachung, um sicherzustellen, dass der positive Trend andauert). Es scheint jedoch, dass viele BSG keinen günstigen Erhaltungszustand der für in diesen Gebieten vorkommenden Lebensräume und Arten erreichen(43). Zugleich kann sich ein günstiger Erhaltungszustand aufgrund eines (natürlichen oder von Menschen verursachten) Ereignisses ändern, das zu seiner Verschlechterung führt (z. B. eine schwere Dürre, die sich über einen längeren Zeitraum hinzieht, oder ausgelaufenes Öl in einem Fluss). Das Erreichen der Ziele erfordert in einem solchen Fall ein aktives menschliches Handeln. So können die zur Erreichung ein- und desselben Ziels erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen einmal auf die Erhaltung, ein andermal auf die Wiederherstellung gerichtet sein. Die Festlegung von Zielen, die, wenn sie erreicht werden, einen günstigen Erhaltungszustand aufzeigen, ermöglicht es, Maßnahmen zu treffen, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind.

94.      Während die Ziele gleich bleiben (oder möglicherweise im Laufe der Zeit leicht geändert werden müssen), müssen die Maßnahmen ständig angepasst werden und entweder auf die Erhaltung oder die Wiederherstellung gerichtet sein. Meines Erachtens sind mit dem Begriff „Erhaltungsziele“ die Ziele gemeint, die innerhalb eines BSG erreicht werden müssen. Es bedarf daher keiner Festlegung der Erhaltungsziele in der Form, dass sie sich auf die Erhaltung oder die Wiederherstellung beziehen.

95.      Die für die Verwaltung eines BSG zuständigen Behörden müssen sich jederzeit darüber im Klaren sein, ob die Erreichung der Erhaltungsziele entweder Erhaltungs- oder aktivere Wiederherstellungsmaßnahmen erfordert, und sie müssen die Erhaltungsmaßnahmen entsprechend anpassen. Meines Erachtens kommt es darauf an, eine Unterscheidung zwischen Erhaltung und Wiederherstellung auf der Ebene der Erhaltungsmaßnahmen und nicht auf der Ebene der Erhaltungsziele zu treffen. Ein solches Verständnis ermöglicht es, zwischen den Begriffen Erhaltungsziele und Erhaltungsmaßnahmen zu unterscheiden. Erhaltungsziele sind hiernach stabile Vorgaben für die Lebensräume und Arten innerhalb eines BSG, während Erhaltungsmaßnahmen eine dynamische Kategorie bilden, bei der je nach dem tatsächlichen Erhaltungszustand eines BSG ständig Anpassungen vorzunehmen sind. Andernfalls wäre der Unterschied zwischen Erhaltungszielen und Erhaltungsmaßnahmen nur noch ein gradueller, was die Verwendung der beiden Begriffe überflüssig machen würde.

96.      Die deutsche Praxis, die einen Zielzustand eines Lebensraums oder einer Art vorgibt und die Behörden verpflichtet, diesen Zustand im Einzelfall durch Erhaltungs- oder Wiederherstellungsmaßnahmen zu erreichen, entspricht der Habitatrichtlinie und insbesondere dem dort in Art. 2 Abs. 2 genannten Ziel, die Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands von Lebensräumen und Arten sicherzustellen.

97.      Zusammenfassend halte ich die Behauptung der Kommission, Deutschland habe gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen, indem es Erhaltungsziele festgelegt habe, die nicht zwischen der Erhaltung und der Wiederherstellung der in dem Gebiet vorhandenen Schutzgüter unterschieden, für nicht begründet, da die Habitatrichtlinie eine solche Differenzierung auf der Ebene der Erhaltungsziele von den Mitgliedstaaten nicht verlangt.

3.      Die Behauptung, dass Erhaltungsziele gegenüber Dritten verbindlich sein müssten

98.      Die Kommission behauptet, es gebe Gebiete, in denen die auf der Ebene von Bewirtschaftungsplänen festgelegten Erhaltungsziele Dritten gegenüber nicht verbindlich seien(44).

99.      Die Kommission ist der Ansicht, dass Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verlange, dass die Erhaltungsziele in Rechtsakten festgelegt seien, die nicht nur intern für die zuständigen nationalen Behörden, sondern auch gegenüber Dritten verbindlich seien.

100. Deutschland widerspricht dieser Auffassung. Die Erhaltungsziele seien gerade aufgrund ihres Charakters als „Ziele“ nicht dazu bestimmt, Dritten auferlegt zu werden, sondern müssten von den zuständigen Behörden umgesetzt werden.

101. Gleichwohl erklärt dieser Mitgliedstaat, dass gebietsspezifische Erhaltungsziele in einem ersten Schritt in Gesetzen bzw. Verordnungen festgelegt würden, durch die die BSG ausgewiesen würden, und somit zweifellos gegenüber Dritten verbindlich seien. In einem zweiten Schritt würden dann Erhaltungsmaßnahmen und gegebenenfalls spezifischere Erhaltungsziele im Rahmen von Bewirtschaftungs- und Entwicklungsplänen im Detail festgelegt, die mittelbar auch gegenüber Dritten verbindlich seien.

102. Die Kommission widerspricht nicht der Argumentation Deutschlands, dass Erhaltungsziele auf Gebietsebene in Rechtsakten festgelegt würden, die gegenüber Dritten allgemein verbindlich seien. Die Kommission ist jedoch der Ansicht, dass detailliertere Erhaltungsziele, wie sie in den Bewirtschaftungsplänen festgelegt seien, nicht rechtsverbindlich seien, dies jedoch sein sollten.

103. Nach Auffassung Deutschlands sind die gemäß Art. 6 Abs. 1 der Habitatrichtlinie entwickelten Maßnahmen zur Wahrung und Wiederherstellung, die zur Erreichung der Erhaltungsziele erforderlich sind, möglicherweise von Dritten durchzuführen. In diesem Fall enthielten die Bewirtschaftungs- und Entwicklungspläne selbst keine notwendigen Regelungen, sondern bedürften anderer Instrumente, wie z. B. des Abschlusses von Verträgen oder des Erlasses weiterer Ordnungsmaßnahmen. Erst diese Verträge oder weitere Regelungen begründeten dann die Verpflichtung Dritter, diese Maßnahmen durchzuführen.

104. Gleichwohl sind, wie Deutschland vorträgt, die in den Bewirtschaftungs- und Entwicklungsplänen näher konkretisierten Erhaltungsziele gegenüber Dritten mittelbar verbindlich, indem zum einen Dritte keine Pläne, Projekte oder sonstigen Maßnahmen durchführen dürfen, die geeignet sind, die Erhaltungsziele(45) zu gefährden, und zum anderen die Eigentümer von Grundstücken in einem BSG Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dulden haben(46).

105. Meines Erachtens sind die Erhaltungsziele, und zwar schon aufgrund ihres Charakters als „Ziele“, dazu bestimmt, weiter umgesetzt zu werden, was von den zuständigen Behörden sicherzustellen ist. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Ausweisung von Gebieten verbindlich sein muss(47), kann nicht so verstanden werden, dass durch eine solche Ausweisungsverfügung Dritten konkrete Handlungspflichten auferlegt werden müssen. Wie von Deutschland vorgetragen, schränken Erhaltungsziele jedoch die Freiheit Dritter ein, private Handlungen durchzuführen, die diesen Zielen zuwiderlaufen, und verpflichten Dritte dazu, aktive Maßnahmen zu dulden, die zur Erfüllung dieser Ziele getroffen werden. Sobald die Erhaltungsziele durch Maßnahmen umgesetzt werden, können diese Maßnahmen konkrete Verpflichtungen für Dritte begründen (z. B. das Verbot, bestimmte Teile eines Waldes zu betreten), wenn dies zur Erreichung der Vorgabe, die den günstigen Erhaltungszustand widerspiegelt, erforderlich ist.

106. Zusammenfassend bin ich der Auffassung, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass Deutschland gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen hat, indem es versäumt hat, die Erhaltungsziele in Rechtsakten festzulegen, die gegenüber Dritten verbindlich sind.

107. Aus den vorstehenden Gründen kann der zweiten Rüge der Kommission, Deutschland habe durch die Festlegung von Erhaltungszielen, die den rechtlichen Anforderungen dieser Bestimmung nicht genügten, generell und fortgesetzt gegen Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie verstoßen, nicht stattgegeben werden(48).

V.      Ergebnis

108. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen und unbeschadet der Prüfung der anderen in dieser Rechtssache erhobenen Rügen schlage ich dem Gerichtshof vor:

–      festzustellen, dass Deutschland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 92/43/EWG vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen verstoßen hat, dass es für 88 der 4 606 in Rede stehenden Gebiete keine Erhaltungsziele festgelegt hat;

–      die zweite Rüge der Kommission im Übrigen zurückzuweisen.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Clay, J. (Dir.), Breaking Boundaries: The Science of Our Planet, Netflix Original-Dokumentation (erzählt von D. Attenborough und J. Rockström), 2021.


3      Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7), in der zuletzt durch die Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl. 2013, L 158, S. 193) geänderten Fassung (im Folgenden: Habitatrichtlinie).


4      C‑290/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:669.


5      C‑849/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:1047.


6      C‑444/21, EU:C:2023:90.


7      Vgl. Rechtssache C‑85/22, Kommission/Bulgarien, anhängig.


8      Die Kommission hat in ihrer Klage darauf hingewiesen, dass gegen Belgien, Spanien, Italien, Zypern, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und die Slowakei gleichartige Vertragsverletzungsverfahren laufen.


9      Die erwähnten Regionen sind Teil des Natura-2000-Netzes. Vgl. auch Nrn. 21 bis 23 dieser Schlussanträge.


10      Entscheidung 2004/69/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung für die alpine biogeografische Region gemäß der [Habitatrichtlinie] (ABl. 2004, L 14, S. 21); Entscheidung 2004/813/EG der Kommission vom 7. Dezember 2004 gemäß der [Habitatrichtlinie] zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region (ABl. 2004, L 387, S. 1); Entscheidung 2004/798/EG der Kommission vom 7. Dezember 2004 gemäß der [Habitatrichtlinie] zur Verabschiedung der Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region (ABl. 2004, L 382, S. 1). Die Sechsjahresfrist für die Ausweisung dieser Gebiete als besondere Schutzgebiete gemäß Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ist am 22. Dezember 2009 für die alpine biogeografische Region und am 7. Dezember 2010 für die atlantische und die kontinentale biogeografische Region abgelaufen.


11      Entscheidung 2008/218/EG der Kommission vom 25. Januar 2008 gemäß der [Habitatrichtlinie] zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der alpinen biogeografischen Region (ABl. 2008, L 77, S. 106); Entscheidung 2008/23/EG der Kommission vom 12. November 2007 gemäß der [Habitatrichtlinie] zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen biogeografischen Region (ABl. 2008, L 12, S. 1); Entscheidung 2008/25/EG der Kommission vom 13. November 2007 gemäß der [Habitatrichtlinie] zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Region (ABl. 2008, L 12, S. 383). Die Sechsjahresfrist gemäß Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie für diese weiteren Gebiete endete am 25. Januar 2014 für die alpine biogeografische Region, am 12. November 2013 für die atlantische biogeografische Region und am 13. November 2013 für die kontinentale biogeografische Region. Legt man somit die erste dieser Entscheidungen zugrunde, lief die Sechsjahresfrist gemäß Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie für die zusätzlichen Gebiete spätestens am 25. Januar 2014 ab.


12      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Irland (Schutz von besonderen Schutzgebieten) (C‑444/21, EU:C:2023:90, Nrn. 25 bis 28).


13      Vgl. Art. 3 Abs. 1 und Erwägungsgründe 6 und 7 der Habitatrichtlinie.


14      Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010, L 20, S. 7), mit der die Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 1979, L 103, S. 1) aufgehoben wurde (im Folgenden: Vogelschutzrichtlinie).


15      Als Kuriosum hat das Parlament im Rahmen des Entscheidungsprozesses einen Änderungsantrag eingebracht, mit dem der Name „Natura Semper“ vorgeschlagen wurde, der jedoch scheiterte. Vgl. dazu die Stellungnahme des Europäischen Parlaments in erster Lesung des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, Änderungsantrag Nr. 13 (ABl. 1990, C 324, S. 26).


16      Vgl. z. B. Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, „Der Zustand der Natur in der Europäischen Union. Bericht über den Zustand und die Trends von unter die Vogelschutz- und die Habitat-Richtlinie fallenden Lebensraumtypen und Arten für den Zeitraum 2013–2018“, COM(2020) 635 final, Brüssel, 15. Oktober 2020 (im Folgenden: Kommissionsbericht), S. 1.


17      Vgl. z. B. Kommission, Natura 2000 in der alpinen Region, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg 2005; Europäische Umweltagentur, „Biogeographical regions in Europe: The Alpine region – mountains of Europe“, 2008, abrufbar unter: https://www.eea.europa.eu/publications/report_2002_0524_154909/biogeographical-regions-in-europe.


18      Vgl. z. B. Kommission, Natura 2000 in der atlantischen Region, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg 2009.


19      Vgl. z. B. Kommission, Natura 2000 in der kontinentalen Region, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, Luxemburg 2005.


20      Vgl. C‑444/21, EU:C:2023:90, Nrn. 29 bis 53.


21      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Irland (Schutz von besonderen Schutzgebieten) (C‑444/21, EU:C:2023:90, Nr. 9).


22      Vgl. Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:1047, Rn. 52).


23      Vgl. Urteil vom 7. September 2004, Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging (C‑127/02, EU:C:2004:482, Rn. 54).


24      Erhaltungsziele werden auch in den Erwägungsgründen 8 und 10 der Habitatrichtlinie erwähnt.


25      Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in den Rechtssachen CFE und Terre wallonne (C‑43/18 und C‑321/18, EU:C:2019:56, Nr. 76).


26      Vgl. Urteil vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:1047, Rn. 53).


27      Nach ständiger Rechtsprechung ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Situation zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, spätere Änderungen kann der Gerichtshof nicht berücksichtigen. Vgl. z. B. Urteile vom 11. September 2001, Kommission/Deutschland (C‑71/99, EU:C:2001:433, Rn. 29), und vom 17. Dezember 2020, Kommission/Griechenland (C‑849/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:1047, Rn. 56).


28      In ihren Schriftsätzen an den Gerichtshof führt die Kommission zwei Beispiele an: 1. Im Hinblick auf Gebiete, in denen der Lebensraumtyp (6510) Magere Flachland-Mähwiesen (Alopecurus pratensis, Sanguisorba officinalis) vorkomme, setze das Land Bayern die folgenden Erhaltungsziele fest: „Gewährleistung eines günstigen Erhaltungszustands durch Erhalt, gegebenenfalls Wiederherstellung … eines für den Lebensraumtyp günstigen Nährstoffhaushalts“ und 2., was die Arten betreffe, habe das Land Baden-Württemberg im Hinblick auf die Kleine Flussmuschel (Unio crassus) in Bezug auf ein bestimmtes Gebiet das folgende Erhaltungsziel festgelegt: „Erhaltung von strukturreichen, dauerhaft wasserführenden, mäßig bis stark durchströmten Fließgewässern und Gräben mit sandigem bis kiesigem, gut mit Sauerstoff versorgtem Substrat – Erhaltung eines sehr guten chemischen und ökologischen Zustands oder Potentials der Gewässer ohne beeinträchtigende Feinsediment- oder Nährstoffbelastungen – Erhaltung von durchgängigen Fließgewässern mit ausreichend großen Beständen – Erhaltung der Art, auch im Hinblick auf eine angepasste Gewässerunterhaltung“.


29      Vgl. Urteil vom 17. Dezember 2020 (C‑849/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:1047, insbesondere Rn. 57 bis 59).


30      In ihrem Vermerk über die Festlegung von Erhaltungszielen für Natura-2000-Gebiete, 2012, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/docs/commission_note/commission_note2_DE.pdf, S. 7, stellt die Kommission fest: „Die Erhaltungsziele für Natura-2000-Gebiete müssen möglichst klar und eindeutig formuliert werden und die Aufstellung operativer Erhaltungsmaßnahmen in der Praxis ermöglichen. Sie müssen konkret und wann immer möglich zahlen- oder größenmäßig quantifizierbar sein“ (Hervorhebung nur hier). Es scheint daher, dass die Kommission selbst nicht der Ansicht ist, dass Erhaltungsziele immer zahlenmäßig ausgedrückt werden müssen.


31      Vgl. in diesem Sinne Stahl, L., „The concept of ‚conservation objectives‘ in the Habitats Directive: a need for a better definition?“, in Born, C.‑H., Cliquet, A., Schoukens, H., Misonne, D., und Van Hoorick, G. (Hrsg.), The Habitats Directive in its EU Environmental Law Context: European Nature’s Best Hope?, Routledge, London 2015, S. 56, 63.


32      Vgl. Art. 1 Buchst. e und i der Habitatrichtlinie.


33      Vgl. C‑444/21, EU:C:2023:90, Nr. 87.


34      Vgl. Urteil vom 26. April 2017 (C‑142/16, EU:C:2017:301, insbesondere Rn. 6 bis 9 und 14).


35      Der Gerichtshof stellte jedoch fest, dass die von den deutschen Behörden durchgeführte Folgenabschätzung keine endgültigen Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Fischaufstiegsanlage enthielt; darin hieß es lediglich, dass ihre Wirksamkeit erst nach einem mehrjährigen Monitoring bestätigt werde. Somit konnte die Fischaufstiegsanlage zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung nicht gewährleisten, dass kein vernünftiger Zweifel daran bestand, dass das Gebiet als solches durch das Kraftwerk nicht beeinträchtigt wird. Daraus folgt, dass Deutschland mit der Genehmigung der Errichtung dieses Kraftwerks gegen seine Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie verstoßen hat. Vgl. Urteil vom 26. April 2017, Kommission/Deutschland (C‑142/16, EU:C:2017:301, insbesondere Rn. 36 bis 38 und 45).


36      Vgl. u. a. Urteil vom 11. April 2013, Sweetman u. a. (C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 45), in dem der Gerichtshof feststellte, dass „das Erhaltungsziel somit der Wahrung eines günstigen Erhaltungszustands der grundlegenden Eigenschaften des genannten Gebiets, nämlich des Vorkommens von Kalk-Felspflaster[, entspricht]“. Vgl. z. B. auch Urteile vom 13. Dezember 2007, Kommission/Irland (C‑418/04, EU:C:2007:780, Rn. 259), vom 24. November 2011, Kommission/Spanien (C‑404/09, EU:C:2011:768, Rn. 101), vom 15. Mai 2014, Briels u. a. (C‑521/12, EU:C:2014:330, Rn. 22), und vom 17. April 2018, Kommission/Polen (Wald von Białowieża) (C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 157).


37      In ihren Schriftsätzen an den Gerichtshof führt die Kommission folgende Beispiele an: 1. In Belgien habe die Region Flandern für den Lebensraumtyp (1130) Ästuarien einen Referenzwert von zusätzlichen 2 150 ha festgelegt, um einen günstigen Erhaltungszustand für diesen Lebensraumtyp zu erreichen, der in quantifizierte Erhaltungsziele umgesetzt werde, sowie für ein bestimmtes Gebiet für den Lebensraumtyp (9120) Atlantischer, saurer Buchenwald mit Unterholz aus Stechpalme und gelegentlich Eibe (Quercion roboripetraeae oder Ilici-Fagenion) u. a. festgelegt, dass zu den bestehenden 4 ha dieses Lebensraumtyps im Schutzgebiet noch weitere 13 ha notwendig seien; 2. Bulgarien sehe für ein Gebiet vor, dass der (prioritäre) Lebensraumtyp (1530) Pannonische Salzsteppen und Salzwiesen in dem Gebiet auf einer Fläche von mindestens 29,51 ha dauerhaft präsent sein solle; 3. Litauen habe für ein Gebiet das quantifizierte Erhaltungsziel festgelegt, dass zur Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands mindestens 17,1 ha des Lebensraumtyps (6450) Nordboreale Auenwiesen wiederhergestellt werden sollten, und für die (prioritäre) Art Osmoderma eremita (Eremit-Käfer) habe Litauen als Erhaltungsziel gesetzt, ihm einen Lebensraum in dem Gebiet von mindestens 0,9 ha zu sichern; 4. Rumänien habe für ein Gebiet für den Lebensraumtyp (3220) Alpine Flüsse mit krautiger Ufervegetation ein Erhaltungsziel von mindestens 10 ha, ausgehend vom derzeitigen Ist-Zustand von 1 bis 2 ha, festgesetzt. Und für die Käferart Morimus Funereus sei ein Zielwert von 10 000 bis 50 000 Individuen, ausgehend von derzeit 5 000 bis 10 000 Individuen, festgelegt worden, und für diese angestrebte Populationsgröße werde eine Lebensraumfläche von 68 800 ha (verglichen mit derzeit nur 13 765 ha) für erforderlich gehalten.


38      In ihren Schriftsätzen an den Gerichtshof nennt die Kommission drei Beispiele: 1. Für den Lebensraumtyp (6210) Naturnahe Kalk-Trockenrasen und deren Verbuschungsstadien (Festuco-Brometalia) legten die bayerischen Behörden das Erhaltungsziel „Erhalt ggfs. Wiederherstellung der weitgehend gehölzfreien Naturnahen Kalk-Trockenrasen“ fest, 2. in Brandenburg werde für ein bestimmtes Gebiet für den Lebensraumtyp (6240) Subpannonische Steppen-Trockenrasen als Erhaltungsziel „[der] Erhalt und [die] Wiederherstellung struktur- und artenreicher Halbtrocken- und Steppenrasen“ festgelegt, und 3. in Niedersachsen seien als Erhaltungsziele für den Lebensraumtyp (91D0) Moorwälder „die Erhaltung und Wiederherstellung günstiger Erhaltungszustände“ festgelegt.


39      In ihren Schriftsätzen an den Gerichtshof bezieht sich die Kommission auf ein Beispiel aus der Region Wallonien in Belgien, die für den Lebensraumtyp (5110) Stabile xerothermophile Formationen von Buxus sempervirens an Felshängen (Berberidion p.p.) als Erhaltungsziel festgelegt habe, dass er nur „erhalten“ werden müsse, weil sowohl seine Ausdehnung als auch sein Qualitätsumfeld nicht vergrößert werden müsse, während für den Lebensraumtyp (6210) Naturnahe Kalk-Trockenrasen und deren Verbuschungsstadien (Festuco-Brometalia) 150 ha sowie die ökologische Qualität „wiederhergestellt“ werden müssten.


40      Deutschland bezieht sich insoweit auf das Urteil vom 25. Juli 2018, Grace und Sweetman (C‑164/17, EU:C:2018:593, Rn. 36), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass „das Erhaltungsziel des BSG darin besteht, den günstigen Erhaltungszustand der Kornweihe zu erhalten oder wiederherzustellen. Das BSG ermöglicht die Verwirklichung dieses Ziels insbesondere dadurch, dass es der geschützten Art einen Lebensraum mit einem Gebiet zur Nahrungssuche bietet.“ Letztlich entschied der Gerichtshof, dass das in jener Rechtssache in Rede stehende Projekt nicht den Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie entsprach (vgl. Rn. 42 bis 57 des Urteils).


41      Hervorhebung nur hier.


42      Insoweit wird in Art. 1 Buchst. e der Habitatrichtlinie erläutert, was unter einem günstigen Erhaltungszustand eines Lebensraums zu verstehen ist, und in Art. 1 Buchst. i der Richtlinie wird definiert, wann von einem günstigen Erhaltungszustand einer Art ausgegangen werden kann.


43      Vgl. z. B. Arbeitsdokument der Kommission „Fitness Check of the EU Nature Legislation (Birds and Habitats Directives)“, SWD(2016) 472 final, Brüssel, 16. Dezember 2016, insbesondere Nrn. 5.5, 6.1.1 und 7; Kommissionsbericht, zitiert in Fn. 16 dieser Schlussanträge, insbesondere Nrn. 2, 3 und 6.


44      In ihren Schriftsätzen an den Gerichtshof nennt die Kommission drei Beispiele: 1. Art. 4 Abs. 2 der Bayerischen Verordnung über die Natura-2000-Gebiete sehe vor, dass Managementpläne für private Grundeigentümer und Nutzungsberechtigte keine Verpflichtungen begründeten, und der Integrierte Managementplan für das Elbästuar halte fest, dass er für Privatpersonen keine unmittelbaren Verpflichtungen begründe, 2. die einschlägige Website des Landes Sachsen gebe an, dass die Bestimmungen des Managementplans für Privatpersonen nicht rechtsverbindlich seien, die Bestimmungen der Managementpläne seien nicht für den Einzelnen, sondern nur für die Naturschutzbehörden verbindlich, für andere Behörden jedoch lediglich zu beachten oder zu berücksichtigen, und 3. das Handbuch zur Managementplanung im Land Brandenburg sehe vor, dass Managementpläne für die Naturschutzbehörden verbindlich seien.


45      Dies wird gewährleistet durch § 34 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) vom 29. Juli 2009 (BGBl. 2009 I, S. 2542) in der auf das vorliegende Verfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: BNatSchG), der Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie in nationales Recht umsetzt.


46      Dies wird durch § 65 BNatSchG gewährleistet.


47      Vgl. insoweit Urteile vom 27. Februar 2003, Kommission/Belgien (C‑415/01, EU:C:2003:118, Rn. 22), und vom 14. Oktober 2010, Kommission/Österreich (C‑535/07, EU:C:2010:602, Rn. 64 und 65).


48      Ob es sich um einen generellen und fortgesetzten Verstoß handelt, braucht nicht untersucht zu werden, da im vorliegenden Fall keine einzelnen Verstöße festgestellt wurden. Zum Begriff des generellen und fortgesetzten Verstoßes vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Irland (Schutz von besonderen Schutzgebieten) (C‑444/21, EU:C:2023:90, Nrn. 103 bis 107).