URTEIL DES GERICHTSHOFES
16. Dezember 1999 (1)
„Arzneimittel Genehmigung für das Inverkehrbringen Paralleleinfuhr“
In der Rechtssache C-94/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel
234 EG) vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division
(Vereinigtes Königreich), in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
The Queen
gegen
The Licensing Authority established by the Medicines Act 1968 (vertreten durch
The Medicines Control Agency),
ex parte: Rhône-Poulenc Rorer Ltd,
May & Baker Ltd,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie
65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und
Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, Nr. 22, S. 369) in der
Fassung insbesondere der Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl.
L 214, S. 22) und die Auslegung der Gemeinschaftsbestimmungen über die
Erteilung von Genehmigungen für die Paralleleinfuhr von Arzneimitteln
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten D. A. O. Edward, L. Sevón und R. Schintgen sowie der
Richter C. Gulmann (Berichterstatter), J.-P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann und
H. Ragnemalm,
Generalanwalt: A. La Pergola
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Rhône-Poulenc Rorer Ltd und der May & Baker Ltd, vertreten durch
G. Hobbs, QC, und Barrister J. Stratford, beauftragt durch Solicitors
R. Freeland und M. Farquharson,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins,
Assistant Treasury Solicitor, als Bevollmächtigten, im Beistand von
R. Drabble, QC, und Barrister P. Saini,
der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger,
Abteilungsleiterin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für
Auswärtige Angelegenheiten, und R. Loosli-Surrans, Chargé de mission in
derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
Hauptrechtsberater R. B. Wainwright und durch H. Støvlbæk, Juristischer
Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Rhône-Poulenc Rorer Ltd und
der May & Baker Ltd, vertreten durch G. Hobbs und J. Stratford, der Regierung
des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Drabble und P. Saini, der
französischen Regierung, vertreten durch R. Loosli-Surrans, der schwedischen
Regierung, vertreten durch A. Kruse, Ministerialrat im Juristischen Sekretariat
(EU) des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, und
der Kommission, vertreten durch R. B. Wainwright und H. Støvlbæk, in der Sitzung
vom 9. März 1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Mai
1999,
folgendes
Urteil
- 1.
- Der High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division, hat mit
Beschluß vom 31. Juli 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 1. April 1998,
gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der
Auslegung der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur
Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten
(ABl. 1965, Nr. 22, S. 369) in der Fassung insbesondere der Richtlinie 93/39/EWG
des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 214, S. 22; im folgenden: Richtlinie) und der
Auslegung der Gemeinschaftsbestimmungen über die Erteilung von
Genehmigungen für die Paralleleinfuhr von Arzneimitteln zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Rhône-Poulenc Rorer
Ltd (im folgenden: Antragstellerin RPR) und der May & Baker Ltd (im folgenden:
Antragstellerin M & B) einerseits und der durch den Medicines Act 1968
(Arzneimittelgesetz 1968) geschaffenen Licensing Authority
(Lizenzierungsbehörde), vertreten durch die Medicines Control Agency (im
folgenden: MCA), andererseits über Entscheidungen der MCA betreffend
Genehmigungen für die Paralleleinfuhr des Arzneimittels „Zimovane“.
Rechtlicher Rahmen
- 3.
- Nach Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) sind
mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung
zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Nach Artikel 36 EG-Vertrag (nach
Änderung jetzt Artikel 30 EG) sind jedoch Einfuhrverbote und -beschränkungen,
die namentlich zum Schutz der Gesundheit von Menschen gerechtfertigt sind,
zwischen den Mitgliedstaaten erlaubt, sofern sie weder ein Mittel zur willkürlichen
Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen
Mitgliedstaaten darstellen.
- 4.
- Nach Artikel 3 der Richtlinie darf ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann
in den Verkehr gebracht werden, wenn von der zuständigen Behörde dieses
Mitgliedstaats hierfür eine Genehmigung erteilt wurde.
- 5.
- Artikel 4 der Richtlinie legt das Verfahren für die Erteilung einer Genehmigung
für das Inverkehrbringen fest und bestimmt, welche Unterlagen und Angaben
hierfür erforderlich sind. Nach Artikel 4 Nummer 3 der Richtlinie sind dem Antrag
auf Genehmigung für das Inverkehrbringen Angaben über die Zusammensetzung
nach Art und Menge aller Bestandteile des Arzneimittels beizufügen. Nach Artikel
4 Nummer 8 der Richtlinie sind dem Antrag insbesondere die Ergebnisse von
Versuchen physikalisch-chemischer, biologischer oder mikrobiologischer,
pharmakologischer und toxikologischer sowie ärztlicher oder klinischer Art
beizufügen. Gemäß Nummer 9 dieser Bestimmung sind dem Antrag auf
Genehmigung für das Inverkehrbringen außerdem eine Zusammenfassung der
Merkmale des Erzeugnisses sowie ein oder mehrere Muster oder Verkaufsmodelle
des Arzneimittels beizufügen. Der durch die Richtlinie 83/570/EWG des Rates vom
26. Oktober 1983 (ABl. L 332, S. 1) eingefügte Artikel 4a der Richtlinie bestimmt,
welche Angaben die Zusammenfassung der Merkmale enthalten muß.
- 6.
- Nach Artikel 5 der Richtlinie wird die Genehmigung für das Inverkehrbringen
versagt, wenn sich nach der Prüfung der in Artikel 4 aufgeführten Angaben und
Unterlagen ergibt, daß das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch
schädlich ist oder daß seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder vom
Antragsteller unzureichend begründet ist oder daß das Arzneimittel nicht die
angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist.
- 7.
- Artikel 10 der Richtlinie sieht vor, daß eine Genehmigung für das Inverkehrbringen
fünf Jahre gültig ist und nach einer von der zuständigen Behörde vorzunehmenden
Prüfung der Unterlagen, die eine Übersicht über den Stand der Angaben zur
Pharmakovigilanz und die übrigen für die Arzneimittelüberwachung maßgebenden
Informationen enthalten, für jeweils fünf Jahre verlängert werden kann.
- 8.
- Artikel 29a der Zweiten Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 (ABl.
L 147, S. 13), eingefügt durch die Richtlinie 93/39, sieht vor, daß die
Mitgliedstaaten ein Arzneimittel-Überwachungssystem (Pharmakovigilanz-System)
einrichten, das insbesondere dem Inhaber der Genehmigung für das
Inverkehrbringen Verpflichtungen hinsichtlich der Eintragung und Meldung aller
Nebenwirkungen des Arzneimittels auferlegt. So sind den zuständigen Behörden in
regelmäßigen Zeitabständen Unterlagen vorzulegen, denen eine wissenschaftliche
Beurteilung beizufügen ist.
- 9.
- Unter Bezugnahme auf eine am 6. Mai 1982 veröffentlichte Mitteilung der
Kommission (ABl. C 115, S. 5), die auf das Urteil vom 20. Mai 1976 in der
Rechtssache 104/75 (De Peijper, Slg. 1976, 613) gestützt ist, erstellte die MCA 1984
ein Dokument mit der Bezeichnung „Notes on Application for Product Licences
(Parallel Importing) (Medicines for Human Use)“ (Hinweise für die Stellung von
Anträgen auf Genehmigung eines Erzeugnisses [Paralleleinfuhr] [Human-Arzneimittel]; im folgenden: MAL 2 [PI]).
- 10.
- Im Sinne des Dokuments MAL 2 (PI) ist eine Einfuhr von Arzneimitteln als
„Paralleleinfuhr“ anzusehen, wenn im Vereinigten Königreich eine Genehmigung
für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses erteilt worden ist und ein Antragsteller
aus der Europäischen Gemeinschaft eine Version dieses Erzeugnisses einführen
möchte, für deren Inverkehrbringen bereits eine von einem anderen Mitgliedstaat
erteilte Genehmigung vorliegt. Nach dem Dokument MAL 2 (PI) werden Anträge
auf Genehmigung für Paralleleinfuhren nach einem sogenannten „vereinfachten“
Verfahren geprüft und bearbeitet, in dem der Antragsteller weniger Angaben
machen muß als bei einem Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für das
Inverkehrbringen nach der Richtlinie.
- 11.
- Nummer 4 des Dokuments MAL 2 (PI) bestimmt:
„Alle nachfolgenden Voraussetzungen müssen erfüllt sein, bevor ein Antrag nach
dieser Regelung behandelt werden kann, d. h., das betreffende Erzeugnis
a) muß ein Erzeugnis sein, das aus einem Mitgliedstaat der Europäischen
Gemeinschaft importiert werden soll;
b) muß eine Arzneispezialität (im Sinne der Definition des Artikels 1 der
EG-Richtlinie 65/65) für den menschlichen Gebrauch sein ...;
c) muß von einer gültigen Genehmigung für das Inverkehrbringen erfaßt sein,
die gemäß Artikel 3 der EG-Richtlinie 65/65 von der Aufsichtsbehörde eines
EG-Mitgliedstaats erteilt wurde;
d) ... darf sich in der therapeutischen Wirksamkeit nicht von einem Erzeugnis
unterscheiden, das von einer im Vereinigten Königreich erteilten
Genehmigung erfaßt ist ...;
e) muß
i) vom Hersteller des von der Genehmigung des Vereinigten
Königreichs erfaßten Erzeugnisses oder aufgrund einer von ihm
erteilten Lizenz oder
ii) von einem Mitglied derselben Unternehmensgruppe wie der
Hersteller des von der Genehmigung des Vereinigten Königreichs
erfaßten Erzeugnisses oder aufgrund einer von ihm erteilten Lizenz
hergestellt worden sein.
Ist eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, wird der Antragsteller aufgefordert,
eine Genehmigung auf dem üblichen Weg nach dem MAL-2-Verfahren zu
beantragen.“
- 12.
- Nach Nummer 12 des Dokuments MAL 2 (PI) bleibt eine Genehmigung für
Paralleleinfuhren in Kraft, solange sowohl die Genehmigung des Vereinigten
Königreichs als auch die gemeinschaftsrechtliche Genehmigung für das
Inverkehrbringen, auf das sie sich bezieht, gültig sind. Verliert eine von beiden ihre
Gültigkeit aus irgendeinem Grund (z. B. sie erlischt oder wird widerrufen), verliert
auch die Genehmigung für die Paralleleinfuhr ihre Gültigkeit.
- 13.
- Nach Nummer 21 des Dokuments MAL 2 (PI) gilt die normale Regelung für
Änderungen einer Genehmigung für die Paralleleinfuhr auf Antrag des
Genehmigungsinhabers. Die Lizenzierungsbehörde hat zu gewährleisten, daß die
Genehmigung weiter den einschlägigen Bestimmungen der betreffenden
Genehmigung entspricht. Sie hat den Inhaber der Genehmigung für die
Paralleleinfuhr von allen Schritten zu unterrichten, die durch eine Änderung der
Genehmigung des Vereinigten Königreichs erforderlich werden. Der Inhaber der
Genehmigung für die Paralleleinfuhr hat der Lizenzierungsbehörde alle
Änderungen der gemeinschaftsrechtlichen Genehmigung für das Inverkehrbringen
mitzuteilen, die ihm zur Kenntnis gelangen. Er hat die Genehmigung für das
Inverkehrbringen des geänderten Erzeugnisses dadurch einzuholen, daß er eine
Änderung seiner Genehmigung für die Paralleleinfuhr beantragt. Bevor nicht die
Änderung von der Lizenzierungsbehörde gebilligt worden ist, darf keine Serie eines
geänderten Erzeugnisses im Vereinigten Königreich in den Verkehr gebracht
werden.
Die Ausgangsverfahren
- 14.
- Der Antragstellerin M & B, die zu einer in der pharmazeutischen Forschung
tätigen Unternehmensgruppe gehört, wurden 1989 und 1993 von der MCA
Genehmigungen für das Inverkehrbringen verschiedener Formen von Tabletten und
Kapseln des Erzeugnisses „Zimovane“ erteilt, das für die Behandlung von
Schlaflosigkeit verwendet wird und dessen Gattungsname Zopiclone ist. Die
Antragstellerin M & B bestellte die Antragstellerin RPR zu ihrer Agentur für die
Herstellung und den Vertrieb dieses Erzeugnisses.
- 15.
- In über dreijähriger Forschung entwickelte die Antragstellerin RPR eine neue
Version von Zimovane. Diese enthält die gleichen Wirkstoffe und hat die gleichen
therapeutischen Wirkungen wie die alte Version, wird jedoch nach einem anderen
Verfahren und unter Verwendung anderer Hilfsstoffe hergestellt, woraus sich
gegenüber der alten Version von Zimovane ein spezifischer Vorteil für die
Volksgesundheit ergebe.
- 16.
- Zum Nachweis der Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität der neuen Version mußte
die Antragstellerin RPR der MCA gegenüber geeignete Angaben machen; am
11. Juli 1996 genehmigte die MCA die Änderung einiger der bestehendenGenehmigungen für das Inverkehrbringen von Zimovane. Die geänderten
Genehmigungen ermöglichen es der Antragstellerin RPR, ihre neue Version von
Zimovane im Vereinigten Königreich zu vermarkten. Am 31. Juli 1996 widerrief die
MCA auf Antrag der Antragstellerin RPR die Genehmigungen für das
Inverkehrbringen, auf deren Grundlage die frühere Version von Zimovane
vertrieben worden war.
- 17.
- Demgemäß vertrieb die Antragstellerin die alte Version von Zimovane im
Vereinigten Königreich nicht mehr. Sie vertrieb diese Version von Zimovane
jedoch weiter in den übrigen Mitgliedstaaten, da die neue Version nur im
Vereinigten Königreich vermarktet wurde.
- 18.
- Vor dem Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen der alten Version
von Zimovane waren verschiedenen Gesellschaften nach dem Dokument
MAL 2 (PI) Genehmigungen für die Paralleleinfuhr dieser Version erteilt worden.
Mit dem Widerruf der Hauptgenehmigung für das Inverkehrbringen, von der diese
Genehmigungen für die Paralleleinfuhr abhingen, durch die MCA endete gemäß
Nummer 12 des Dokuments MAL 2 (PI) ihre Gültigkeit. Die Inhaber der
Paralleleinfuhrgenehmigungen wurden von der MCA benachrichtigt, daß sie, wenn
sie ihre Genehmigungen aufrechtzuerhalten wünschten, Anträge auf deren
Änderung stellen müßten, damit ein neues geeignetes Bezugserzeugnis bestimmt
werden könne. Nach Prüfung der entsprechenden Anträge entschied die MCA mit
verschiedenen zwischen November 1996 und Mai 1997 erlassenen Entscheidungen,
daß die Genehmigungen für die Paralleleinfuhr als weiter gültig zu behandeln seien;
diese Genehmigungen wurden nunmehr an die für das Inverkehrbringen der neuen
Version von Zimovane erteilte Genehmigung angeheftet. Außerdem erteilte die
MCA mit Wirkung vom 1. August 1996 drei weitere Genehmigungen für die
Paralleleinfuhr der alten Version von Zimovane.
- 19.
- Mit Schriftsätzen vom 14. Februar und 5. Juni 1997 stellten die Antragstellerinnen
Anträge auf gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidungen der MCA mit der
Begründung, da für das Inverkehrbringen der alten Version von Zimovane im
Vereinigten Königreich keine gültige Genehmigung mehr bestehe, handele es sich
bei den Einfuhren dieser Version in das Vereinigte Königreich nicht um
Paralleleinfuhren, so daß es sowohl gegen die geltende Regelung im Vereinigten
Königreich als auch gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße, sie als solche zu
behandeln.
- 20.
- In diesem Verfahren macht die MCA u. a. geltend, wenn sie die beiden Versionen
von Zimovane als unterschiedliche Erzeugnisse behandelt und die
Parallelimporteure der alten Version dieses Erzeugnisses verpflichtet hätte,
Genehmigungen für dessen Inverkehrbringen nach der Richtlinie zu beantragen,
hätte sie eine gegen Artikel 30 EG-Vertrag verstoßende ungerechtfertigte
Einfuhrbeschränkung geschaffen.
- 21.
- Unter diesen Umständen hat das nationale Gericht das Verfahren ausgesetzt und
dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kann in einem Fall, in dem ein Arzneimittel X aus dem Mitgliedstaat A in
den Mitgliedstaat B eingeführt werden soll, die Person, die beabsichtigt, das
eingeführte Erzeugnis im Mitgliedstaat B in den Verkehr zu bringen, auf
ihren Antrag hin im Mitgliedstaat B von der zuständigen Behörde eine
Genehmigung für das Inverkehrbringen erhalten, ohne die Voraussetzungen
der Richtlinie 65/65/EWG des Rates (in ihrer geänderten Fassung) zu
erfüllen, wenn
a) für das Inverkehrbringen des Arzneimittels X eine im Mitgliedstaat A
erteilte Genehmigung besteht und im Mitgliedstaat B eine solche
Genehmigung zwar erteilt wurde, aber nicht mehr wirksam ist,
b) das Arzneimittel X die gleichen Wirkstoffe enthält und die gleiche
therapeutische Wirkung wie das Arzneimittel Y hat, jedoch nicht nach
der gleichen Formel wie das Arzneimittel Y hergestellt wird,
c) für das Inverkehrbringen des Arzneimittels Y eine Genehmigung im
Mitgliedstaat B, nicht jedoch im Mitgliedstaat A erteilt wurde,
d) die unter a und b genannten Genehmigungen für das
Inverkehrbringen verschiedenen Unternehmen derselben
Unternehmensgruppe erteilt wurden und die Hersteller der
Arzneimittel X und Y ebenfalls dieser Unternehmensgruppe
angehören und
e) Unternehmen, die derselben Unternehmensgruppe angehören wie der
Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses
X, dieses Erzeugnis in anderen Mitgliedstaaten als dem Mitgliedstaat
B weiterhin herstellen und vertreiben?
2. Inwieweit ist es für die Beantwortung der ersten Frage erheblich, daß
a) die Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels X im
Mitgliedstaat B wegen freiwilligen Verzichts durch die Person, der sie
erteilt wurde, ungültig geworden ist und/oder
b) die Formel des Arzneimittels Y entwickelt und eingeführt wurde, um
für die Volksgesundheit einen Vorteil zu erbringen, den das
Arzneimittel X (das nach einer anderen Formel hergestellt wird) nicht
erbringt, und/oder
c) dieser Vorteil für die Volksgesundheit nicht erzielt würde, wenn die
Erzeugnisse X und Y im Mitgliedstaat B gleichzeitig im Verkehr
wären, und/oder
d) die Formeln der Arzneimittel X und Y so unterschiedlich sind, daß
keines der beiden Erzeugnisse aufgrund der für das Inverkehrbringen
des jeweils anderen Erzeugnisses geltenden Genehmigung rechtmäßig
in den Verkehr gebracht werden dürfte, und/oder
e) die zuständige Behörde sowohl für das Erzeugnis X als auch für das
Erzeugnis Y über die nach der Richtlinie 65/65 erforderlichen
Angaben verfügt und/oder
f) nach Ansicht der zuständigen Behörde das Verbot der Einfuhren des
Erzeugnisses X aus dem Mitgliedstaat A zu einer Aufteilung des
Marktes führ en würde und/oder
g) es nach Ansicht der zuständigen Behörde keine Gründe im Sinne des
Artikels 36 EG-Vertrag gibt, die ein Verbot der Einfuhr und des
Vertriebs des Erzeugnisses X rechtfertigen würden?
Die Vorlagefragen
- 22.
- Zur Beantwortung dieser Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, ist zu
untersuchen, ob im vorliegenden Fall die Einfuhren der alten Version von
Zimovane als Paralleleinfuhren angesehen werden können, so daß das normale
Verfahren für die Erteilung von Genehmigungen für das Inverkehrbringen nach der
Richtlinie nicht anwendbar ist.
- 23.
- Ungeachtet der Vorschriften des Vertrages über den freien Warenverkehr darf ein
Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden,
wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats nach der Richtlinie eine
Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde; der von der für das
Inverkehrbringen verantwortlichen Person gestellte Antrag auf Genehmigung für
das Inverkehrbringen eines Arzneimittels muß die in Artikel 4 der Richtlinie
aufgezählten Angaben enthalten, und ihm sind die in dieser Bestimmung
aufgeführten Unterlagen beizufügen, auch wenn für das betreffende Arzneimittel
bereits von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats eine solche
Genehmigung erteilt wurde.
- 24.
- Diese Grundsätze lassen jedoch Ausnahmen zu, die sich einerseits aus der
Richtlinie selbst und andererseits aus den Vertragsvorschriften über den freien
Warenverkehr ergeben.
- 25.
- So ist mit Artikel 4 Nummer 8 Unterabsatz 2 der Richtlinie in der Fassung der
Richtlinie 87/21/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 (ABl. 1987, L 15, S. 36)
ein sogenanntes „abgekürztes“ Verfahren eingeführt worden, nach dem Hersteller
von Arzneimitteln, die im wesentlichen bereits zugelassenen Arzneimitteln gleichen,
unter bestimmten Voraussetzungen von der Vorlage der Ergebnisse von Versuchen
pharmakologischer, toxikologischer und ärztlicher oder klinischer Art befreit
werden, wodurch die Zeit und die Kosten, die für das Sammeln dieser Daten
erforderlich sind, gespart werden können und vermieden werden kann, daß
Versuche an Menschen oder am Tier ohne zwingende Notwendigkeit durchgeführt
werden (vgl. Urteil vom 3. Dezember 1998 in der Rechtssache C-368/96, Generics
[UK] u. a., Slg. 1998, I-7967, Randnrn. 2 bis 4).
- 26.
- Die andere Ausnahme, die im bereits angeführten Urteil De Peijper definiert ist,
greift im vorliegenden Fall ein. In diesem Urteil hat der Gerichtshof in den
Randnummern 21 und 36 ausgeführt, daß es im Rahmen der Artikel 30 und 36
EG-Vertrag dann, wenn die Gesundheitsbehörden des Einfuhrmitgliedstaats
aufgrund einer früheren Einfuhr, die zur Erteilung einer Genehmigung für das
Inverkehrbringen durch sie Anlaß gegeben hat, bereits über alle Angaben für die
Überprüfung der Wirksamkeit und Sicherheit eines Arzneimittels verfügen, für den
Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen nicht notwendig ist, daß sie
von einem zweiten Wirtschaftsteilnehmer, der ein mit diesem in allen Punkten
identisches oder von diesem nicht in therapeutisch relevanter Weise abweichendes
Arzneimittel eingeführt hat, verlangen, ihnen nochmals die obengenannten
Angaben vorzulegen.
- 27.
- Im Urteil vom 12. November 1996 in der Rechtssache C-201/94 (Smith & Nephew
und Primecrown, Slg. 1996, I-5819, Randnr. 21) hat der Gerichtshof darauf
hingewiesen, daß die Richtlinie keine Anwendung auf ein Arzneimittel finden kann,
für dessen Inverkehrbringen in einem Mitgliedstaat eine Genehmigung erteilt
worden ist und dessen Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat im Verhältnis zu
einem Arzneimittel, für dessen Inverkehrbringen bereits eine Genehmigung in
diesem zweiten Mitgliedstaat erteilt worden ist, eine Paralleleinfuhr darstellt; denn
in einem solchen Fall kann das eingeführte Arzneimittel nicht als erstmals im
Einfuhrmitgliedstaat in den Verkehr gebracht angesehen werden.
- 28.
- In den Randnummern 25 und 26 dieses Urteils hat der Gerichtshof weiter
klargestellt, daß die zuständige Behörde des Einfuhrmitgliedstaats, um feststellen
zu können, ob die Einfuhren eines Arzneimittels Paralleleinfuhren darstellen,
prüfen muß, ob die beiden Arzneimittel den gleichen Ursprung haben, ob sie, wenn
sie auch nicht in allen Punkten übereinstimmen, zumindest nach der gleichen
Formel und unter Verwendung des gleichen Wirkstoffs hergestellt worden sind und
ob sie die gleichen therapeutischen Wirkungen haben.
- 29.
- Angesichts dieser Rechtsprechung ist festzustellen, daß die im Ausgangsverfahren
fraglichen Arzneimittel unstreitig die gleichen Wirkstoffe enthalten und die gleichen
therapeutischen Wirkungen sowie den gleichen Ursprung haben, da sie von
Herstellern stammen, die derselben Unternehmensgruppe angehören.
- 30.
- Aus den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen geht jedoch hervor, daß
im vorliegenden Fall besondere Umstände vorliegen, die es zweifelhaft erscheinen
lassen könnten, ob die fraglichen Entscheidungen der britischen Behörden mit dem
Gemeinschaftsrecht im Einklang stehen.
- 31.
- Insoweit machen die Antragstellerinnen geltend, die Gemeinschaftsbestimmungen
über die Paralleleinfuhr von Arzneimitteln könnten nur so lange anwendbar sein,
wie das betreffende Erzeugnis im Ausfuhr- und im Einfuhrmitgliedstaat zugleich
durch gültige Genehmigungen für das Inverkehrbringen gedeckt sei. Der Rückgriff
auf das Verfahren MAL 2 (PI) zum Zweck der Genehmigung der Einfuhren des
alten Zimovane in das Vereinigte Königreich sei daher im vorliegenden Fall
rechtswidrig gewesen. Zum einen sei nämlich die Hauptgenehmigung für das
Inverkehrbringen der alten Version des Arzneimittels widerrufen worden, und zum
anderen sei auch die vom Gerichtshof im angeführten Urteil Smith & Nephew und
Primecrown aufgestellte Voraussetzung der „Herstellung nach der gleichen Formel“
nicht erfüllt. Diese Wendung beziehe sich sowohl auf die Wirkstoffe als auch auf
die Hilfsstoffe. Außerdem erkläre sich ihre Entscheidung, nur das neue Zimovane
im Vereinigten Königreich zu vertreiben und auf die Genehmigung für das
Inverkehrbringen der alten Version zu verzichten, durch die Notwendigkeit,
zunächst in diesem Mitgliedstaat den spezifischen Vorteil für die Volksgesundheit
zu verwirklichen, der nicht erzielt werden könnte, wenn die alte und die neue
Version des Arzneimittels gleichzeitig auf dem britischen Markt erhältlich wären.
- 32.
- Die französische Regierung führt aus, auch wenn der Hilfsstoff für die
therapeutische Wirkung keine Rolle spiele, werde er doch als Bestandteil der
qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Erzeugnisses im Sinne der
Richtlinie angesehen, da er zur Formel des Erzeugnisses gehöre. Da keine neue
Genehmigung für das Inverkehrbringen der alten Version von Zimovane nach den
Bestimmungen der Richtlinie erteilt worden sei, könnten die Einfuhren dieses
Erzeugnisses nicht als Paralleleinfuhren im Sinne der Rechtsprechung der
Gerichtshofes angesehen werden.
- 33.
- Die Kommission vertritt die Ansicht, nach den Artikeln 3 und 4 der Richtlinie
werde eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines bestimmten Arzneimittels
erteilt, wenn dieses Gegenstand einer Beurteilung im Rahmen eines strengen
Genehmigungsverfahrens gewesen sei, bei dem das Erzeugnis in seiner Gesamtheit
unter Einbeziehung der Hilfsstoffe geprüft worden sei. Die Zusammensetzung eines
Arzneimittels erstrecke sich sowohl auf die Wirk- als auch die Hilfsstoffe. Für die
Qualität, die Wirksamkeit und die Sicherheit des Erzeugnisses seien alle
Bestandteile eines Arzneimittels von Bedeutung und gehörten zu der in Artikel 4a
der Richtlinie vorgeschriebenen Zusammenfassung der Merkmale desArzneimittels. Diese Zusammenfassung sei integrierender Bestandteil der
Genehmigung jedes Arzneimittels. Daher seien im Ausgangsverfahren die
Unterschiede zwischen der alten und der neuen Version nicht ohne Bedeutung.
Außerdem sei im Fall des Widerrufs der Genehmigung für das Inverkehrbringen
eines Arzneimittels niemand verpflichtet, nach dem mit der Richtlinie 75/319
eingeführten Pharmakovigilanz-System regelmäßig Informationen hinsichtlich der
Erneuerung der Genehmigung für das Inverkehrbringen einzureichen. Daher
könnten die zuständigen Behörden des Einfuhrstaats keine Gewißheit auf der
Grundlage neuester wissenschaftlicher Daten darüber erhalten, daß die
Verwendung des parallel importierten alten Erzeugnisses sicher sei.
- 34.
- Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs ist die MCA unter Umständen wie
denen des Ausgangsverfahrens nach Artikel 30 EG-Vertrag verpflichtet, die weitere
Paralleleinfuhr des alten Zimovane auf dem britischen Markt zuzulassen. Es gebe
nämlich keinen Grund dafür, die beiden Versionen des Erzeugnisses als
unterschiedliche Arzneimittel zu behandeln, was es für die Parallelimporteure des
alten Zimovane erforderlich machen würde, eine Genehmigung für das
Inverkehrbringen nach der Richtlinie zu erlangen, sofern dies (angesichts der
unüberwindlichen Schwierigkeit, die mit den in der Richtlinie vorgeschriebenen
chemischen, pharmazeutischen und biologischen Versuchen verbunden sei)
überhaupt möglich sei. Das alte und das neue Arzneimittel seien unter
therapeutischem Gesichtspunkt und bei bestimmungsgemäßem Gebrauch
gleichwertige Versionen eines Erzeugnisses, die den gleichen Ursprung und den
gleichen Wirkstoff hätten. Eine Änderung der Hilfsstoffe eines Arzneimittels
ändere im allgemeinen nichts an seiner therapeutischen Wirkung.
- 35.
- Zwar habe die Antragstellerin RPR nicht wissentlich versucht, den britischen Markt
vom übrigen Gemeinschaftsmarkt abzutrennen, doch hätte, wenn der
Argumentation der Antragstellerin gefolgt würde, der freiwillige Verzicht auf die
Genehmigung für das Inverkehrbringen des alten Zimovane genau die Wirkung
einer solchen Abschottung. Trotz des formalen Widerrufs der Hauptgenehmigung
für das Inverkehrbringen lägen der MCA alle in Artikel 4 der Richtlinie
vorgeschriebene Daten, Unterlagen und Einzelheiten vor, um die Wirksamkeit und
Sicherheit des Arzneimittels überwachen zu können, das parallel importiert werden
solle. Außerdem könne sich die MCA, solange Genehmigungen für das
Inverkehrbringen in anderen Mitgliedstaaten vorlägen, auf der Grundlage der
bestehenden Pharmakovigilanz-Vorschriften in der Zukunft die notwendigen
Informationen verschaffen, um sich zu vergewissern, daß das alte Zimovane keine
Probleme für die Volksgesundheit schaffe.
- 36.
- Schließlich erfordere das Gemeinwohlinteresse des Gesundheitsschutzes, selbst
wenn es in dem von den Antragstellerinnen vertretenen Sinne verstanden werde,
keine Maßnahme wie die vollständige Verhinderung der Paralleleinfuhren der alten
Version von Zimovane.
- 37.
- Nach Auffassung der schwedischen Regierung sind die beiden Versionen von
Zimovane hinreichend identisch, um als ein und dasselbe Erzeugnis angesehen
werden zu können. Wenn die Verpflichtung hinsichtlich der Formelidentität so zu
verstehen wäre, daß damit die vollständige Formel der Arzneimittel gemeint sei,
würden nicht gerechtfertigte Hindernisse für den innergemeinschaftlichen Handel
errichtet.
- 38.
- Damit werden die gegenüber den fraglichen Entscheidungen der britischen
Behörden vorgebrachten Bedenken insbesondere darauf gestützt, daß diese
Entscheidungen aus den drei nachstehenden Gründen gemeinschaftsrechtswidrig
sein könnten:
Die beiden Versionen von Zimovane würden nicht nach derselben Formel
hergestellt, da das neue Zimovane mit anderen Hilfsstoffen und nach einem
anderen Verfahren hergestellt werde;
das Pharmakovigilanz-System werde nicht funktionieren, da die
Verpflichtung des Inhabers der Genehmigung für das Inverkehrbringen,
regelmäßig Informationen zur alten Version des Arzneimittels einzureichen,
nach der Rücknahme der Ursprungsgenehmigung für dessen
Inverkehrbringen nicht mehr bestehe;
der mit der neuen gegenüber der alten Version von Zimovane verbundene
spezifische Vorteil für die Volksgesundheit könnte nicht erzielt werden,
wenn die alte und die neue Version des Arzneimittels gleichzeitig auf dem
britischen Markt erhältlich wären.
- 39.
- Bevor diese Bedenken gegenüber den fraglichen Genehmigungen für die
Paralleleinfuhr im einzelnen geprüft werden, ist zunächst festzustellen, daß die
Frage, ob ein automatischer Wegfall der Genehmigungen für die Paralleleinfuhr
infolge des Widerrufs der Hauptgenehmigung für das Inverkehrbringen auf Antrag
des Genehmigungsinhabers im Hinblick auf den freien Warenverkehr rechtmäßig
ist, nicht beantwortet zu werden braucht; sie stellt sich im vorliegenden Fall nicht,
da die britischen Behörden damit einverstanden waren, daß die Genehmigungen
für die Paralleleinfuhr der alten Version von Zimovane der für das
Inverkehrbringen der neuen Version erteilten Genehmigung angeheftet wird.
- 40.
- Wie der Gerichtshof in den Urteilen De Peijper und Smith & Nephew und
Primecrown festgestellt hat, ergibt sich zwar aus den Artikeln 30 und 36 EG-Vertrag, daß die nationalen Behörden Paralleleinfuhren nicht behindern dürfen,
indem sie die Parallelimporteure verpflichten, denselben Erfordernissen wie denen
zu genügen, die für Unternehmen gelten, die für ein Arzneimittel erstmals eine
Genehmigung für das Inverkehrbringen beantragen, doch gilt dies nur dann, wenn
eine solche Ausnahme von den Vorschriften, die normalerweise auf
Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln anwendbar sind, nicht
den Gesundheitsschutz beeinträchtigt. Nach der ersten Begründungserwägung der
Richtlinie müssen nämlich alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem
Gebiet der Herstellung und des Vertriebs von Arzneispezialitäten in erster Linie
dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dienen. Die Anforderungen, denen ein
parallel eingeführtes Erzeugnis genügen muß, damit der Parallelimporteur nicht die
in der Richtlinie aufgeführten Angaben vorzulegen braucht, dürfen somit nicht zu
einer Abschwächung der Sicherheitsvorschriften führen (vgl. in diesem Sinne Urteil
Generics [UK] u. a., Randnr. 22).
- 41.
- Ferner bestünde ein echtes Hindernis für den innergemeinschaftlichen Handel,
wenn die Importeure des alten Zimovane, das in anderen Mitgliedstaaten immer
noch zugelassen ist und rechtmäßig vertrieben wird, nicht das den
Parallelimporteuren nach dem Dokument MAL 2 (PI) offenstehende vereinfachte
Verfahren in Anspruch nehmen könnten.
- 42.
- Wie sich jedoch aus Randnummer 35 dieses Urteils ergibt, haben die zuständigen
Behörden des Vereinigten Königreichs das Inverkehrbringen dieser parallel
importierten Arzneimittel unter Verwendung der Genehmigung für das
Inverkehrbringen des neuen Zimovane als Hauptgenehmigung für das
Inverkehrbringen zugelassen und haben es auf der Grundlage der ihnen
vorliegenden Informationen als gesichert angesehen, daß das alte Zimovane trotz
der Verwendung anderer Hilfsstoffe weiterhin wirksam und sicher sei.
- 43.
- Zwar wirken sich, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs festgestellt hat,
Unterschiede bei den in Arzneimitteln verwendeten Hilfsstoffen normalerweise
nicht auf die Sicherheit aus, jedoch sind solche Wirkungen unstreitig möglich. Es
ist nämlich nicht auszuschließen, daß ein parallel importiertes Arzneimittel, das die
gleichen Wirkstoffe enthält und die gleichen therapeutischen Wirkungen hat, aber
nicht die gleichen Hilfsstoffe verwendet wie das Arzneimittel, für dessen
Inverkehrbringen im Einfuhrmitgliedstaat eine Genehmigung erteilt worden ist,
diesem gegenüber erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Sicherheit
aufweisen kann, da sich Änderungen der Formel eines Arzneimittels, die sich auf
die Hilfsstoffe beziehen, auf die Haltbarkeit und die Biodisponibilität des
Erzeugnisses beispielsweise in bezug auf die Auflösungs- oder die
Resorptionsgeschwindigkeit des Arzneimittels auswirken kann (vgl. in diesem
Sinne auch Urteil Generics [UK] u. a., Randnr. 32).
- 44.
- Daß sich solche Auswirkungen für die Sicherheit ergeben können, bedeutet jedoch
nicht, daß die nationalen Behörden nie auf vereinfachte Verfahren der Erteilung
von Genehmigungen für Paralleleinfuhren zurückgreifen könnten, wenn
Unterschiede bei den verwendeten Hilfsstoffen vorliegen.
- 45.
- Die nationalen Behörden sind nämlich verpflichtet, ein parallel importiertes
Arzneimittel nach den Vorschriften über Paralleleinfuhren dann zuzulassen, wenn
sie davon überzeugt sind, daß dieses Arzneimittel trotz des Bestehens von
Unterschieden bei den Hilfsstoffen keine Probleme für die Volksgesundheit
aufwirft. Es kommt also darauf an, daß sich die zuständigen Behörden des
Einfuhrmitgliedstaats bei der Einfuhr aufgrund der ihnen vorliegenden Angaben
vergewissern, daß das parallel importierte Arzneimittel, auch wenn es nicht in allen
Punkten mit dem von ihnen bereits zugelassenen Arzneimittel identisch ist, den
gleichen Wirkstoff enthält, die gleichen therapeutischen Wirkungen hat und im
Hinblick auf Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit keine Probleme aufwirft (vgl. in
diesem Sinne Urteil vom 11. März 1999 in der Rechtssache C-100/96, British
Agrochemicals Association, Slg. 1999, I-1499, Randnr. 40).
- 46.
- Was das angesprochene Problem im Zusammenhang mit der Pharmakovigilanz
angeht, so genügt die Feststellung, daß eine Arzneimittelüberwachung, die die sich
insoweit aus der Richtlinie 75/319 ergebenden Anforderungen in ihrer geänderten
Fassung beachtet, bei parallel importierten Arzneimitteln wie denen des
vorliegenden Falles im Rahmen einer Zusammenarbeit mit den nationalen
Behörden der übrigen Mitgliedstaaten über den Zugang zu den Unterlagen und
Daten sichergestellt werden kann, die vom Hersteller oder anderen Unternehmen
seiner Unternehmensgruppe für die alte Version in den Mitgliedstaaten vorgelegt
wurden, in denen diese Version noch auf der Grundlage einer gültigen
Genehmigung für das Inverkehrbringen weitervertrieben wird. Außerdem besteht
die Möglichkeit, den Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen im
Einfuhrmitgliedstaat, der zu der Unternehmensgruppe gehört, die im Besitz der
Genehmigung für das Inverkehrbringen der alten Version in den anderen
Mitgliedstaaten ist, zur Erteilung der notwendigen Auskünfte zu zwingen (vgl. in
diesem Sinne Urteil De Peijper, Randnrn. 26 und 27).
- 47.
- Schließlich ist das Argument der Antragstellerinnen zu prüfen, daß der spezifische
Vorteil für die Volksgesundheit, den das neue Zimovane gegenüber der alten
Version aufweise, nicht erzielt würde, wenn das alte Zimovane auf dem britischen
Markt erhältlich wäre. Hierzu genügt die Feststellung, daß selbst dann, wenn dies
zuträfe, daraus doch nicht folgen würde, daß unter Umständen wie denen des
Ausgangsverfahrens die nationalen Behörden verpflichtet wären, von den
Parallelimporteuren die Einhaltung des in der Richtlinie vorgesehenen Verfahrens
auch dann zu verlangen, wenn sie der Auffassung sind, daß das parallel importierte
Arzneimittel, wie es in Artikel 5 der Richtlinie heißt, bei bestimmungsgemäßem
Gebrauch in bezug auf seine Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit kein Risiko
birgt.
- 48.
- Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, daß in einem Fall, in dem
ein Arzneimittel X aus dem Mitgliedstaat A in den Mitgliedstaat B eingeführt
werden soll, die Person, die beabsichtigt, das eingeführte Erzeugnis im Mitgliedstaat
B in den Verkehr zu bringen, auf ihren Antrag hin im Mitgliedstaat B von der
zuständigen Behörde eine Genehmigung für die Paralleleinfuhr erhalten kann, ohne
die Voraussetzungen der Richtlinie erfüllen zu müssen, wenn
für das Inverkehrbringen des Arzneimittels X eine im Mitgliedstaat A
erteilte Genehmigung besteht und im Mitgliedstaat B eine solche
Genehmigung zwar erteilt wurde, aber nicht mehr wirksam ist,
für das Inverkehrbringen des Arzneimittels Y eine Genehmigung im
Mitgliedstaat B, nicht jedoch im Mitgliedstaat A erteilt wurde,
das Arzneimittel X die gleichen Wirkstoffe enthält und die gleiche
therapeutische Wirkung wie das Arzneimittel Y hat, jedoch nicht die
gleichen Hilfsstoffe verwendet und nach einem anderen Verfahren
hergestellt worden ist, sofern die zuständige Behörde im Mitgliedstaat B in
der Lage ist, nachzuprüfen, daß das Arzneimittel X bei
bestimmungsgemäßem Gebrauch den Anforderungen an seine Qualität,
Wirksamkeit und Sicherheit genügt, und eine normale
Arzneimittelüberwachung sicherzustellen,
die genannten Genehmigungen für das Inverkehrbringen verschiedenen
Unternehmen derselben Unternehmensgruppe erteilt wurden und die
Hersteller der Arzneimittel X und Y ebenfalls dieser Unternehmensgruppe
angehören und
Unternehmen, die derselben Unternehmensgruppe angehören wie der
Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels X,
die im Mitgliedstaat B widerrufen wurde, dieses Arzneimittel in anderen
Mitgliedstaaten als dem Mitgliedstaat B weiterhin herstellen und vertreiben.
In einer solchen Situation ist die zuständige Behörde nicht verpflichtet, zu
berücksichtigen, daß das Arzneimittel Y entwickelt und eingeführt wurde, um einen
spezifischen Vorteil für die Volksgesundheit zu erbringen, den das Arzneimittel X
nicht erbringt, und/oder daß dieser spezifische Vorteil für die Volksgesundheit nicht
erzielt würde, wenn die Erzeugnisse X und Y im Mitgliedstaat B gleichzeitig im
Verkehr wären.
Kosten
- 49.
- Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der französischen undder schwedischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench
Division, mit Beschluß vom 31. Juli 1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
In einem Fall, in dem ein Arzneimittel X aus dem Mitgliedstaat A in den
Mitgliedstaat B eingeführt werden soll, kann die Person, die beabsichtigt, das
eingeführte Erzeugnis im Mitgliedstaat B in den Verkehr zu bringen, auf ihren
Antrag hin im Mitgliedstaat B von der zuständigen Behörde eine Genehmigung für
die Paralleleinfuhr erhalten, ohne die Voraussetzungen der Richtlinie 65/65/EWG
des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und
Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965,Nr. 22, S. 369) in der
Fassung insbesondere der Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993
erfüllen zu müssen, wenn
für das Inverkehrbringen des Arzneimittels X eine im Mitgliedstaat A
erteilte Genehmigung besteht und im Mitgliedstaat B eine solche
Genehmigung zwar erteilt wurde, aber nicht mehr wirksam ist,
für das Inverkehrbringen des Arzneimittels Y eine Genehmigung im
Mitgliedstaat B, nicht jedoch im Mitgliedstaat A erteilt wurde,
das Arzneimittel X die gleichen Wirkstoffe enthält und die gleiche
therapeutische Wirkung wie das Arzneimittel Y hat, jedoch nicht die
gleichen Hilfsstoffe verwendet und nach einem anderen Verfahren
hergestellt worden ist, sofern die zuständige Behörde im Mitgliedstaat B in
der Lage ist, nachzuprüfen, daß das Arzneimittel X bei
bestimmungsgemäßem Gebrauch den Anforderungen an seine Qualität,
Wirksamkeit und Sicherheit genügt, und eine normale
Arzneimittelüberwachung sicherzustellen,
die genannten Genehmigungen für das Inverkehrbringen verschiedenen
Unternehmen derselben Unternehmensgruppe erteilt wurden und die
Hersteller der Arzneimittel X und Y ebenfalls dieser Unternehmensgruppe
angehören und
Unternehmen, die derselben Unternehmensgruppe angehören wie der
Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels X,
die im Mitgliedstaat B widerrufen wurde, dieses Arzneimittel in anderen
Mitgliedstaaten als dem Mitgliedstaat B weiterhin herstellen und
vertreiben.
In einer solchen Situation ist die zuständige Behörde nicht verpflichtet, zu
berücksichtigen, daß das Arzneimittel Y entwickelt und eingeführt wurde, um einen
spezifischen Vorteil für die Volksgesundheit zu erbringen, den das Arzneimittel X
nicht erbringt, und/oder daß dieser spezifische Vorteil für die Volksgesundheit
nicht erzielt würde, wenn die Erzeugnisse X und Y im Mitgliedstaat B gleichzeitig
im Verkehr wären.
Rodríguez IglesiasEdward
Sevón
Schintgen Gulmann
Puissochet
Hirsch Jann
Ragnemalm
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Dezember 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias