Language of document : ECLI:EU:C:2009:767

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

10. Dezember 2009(*)

„Vorabentscheidungsersuchen – Art. 234 EG – Begriff ‚nationales Gericht‘ – Zulässigkeit – Richtlinie 85/337/EWG – Umweltverträglichkeitsprüfung – Bau von Hochspannungsfreileitungen – Länge von mehr als 15 km – Grenzüberschreitender Bau – Grenzüberschreitende Leitung – Den Schwellenwert übersteigende Gesamtlänge – Hauptsächlich im Hoheitsgebiet eines benachbarten Mitgliedstaats liegende Leitung – Länge des inländischen Teils, die unter dem Schwellenwert liegt“

In der Rechtssache C‑205/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Umweltsenat (Österreich) mit Entscheidung vom 2. April 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Mai 2008, in dem Verfahren

Umweltanwalt von Kärnten

gegen

Kärntner Landesregierung

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer J.‑C. Bonichot in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer sowie der Richter C. W. A. Timmermans, K. Schiemann, P. Kūris (Berichterstatter) und L. Bay Larsen,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Umweltanwalts von Kärnten, vertreten durch U. Scheuch, Landesrat,

–        der Alpe Adria Energia SpA, vertreten durch Rechtsanwalt M. Mendel,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J.‑B. Laignelot und B. Kotschy als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juni 2009

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175, S. 40) in der durch die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 (ABl. L 156, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 85/337).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen des Verfahrens über eine Berufung des Umweltanwalts von Kärnten (im Folgenden: Umweltanwalt) gegen einen an die Alpe Adria Energia SpA (im Folgenden: Alpe Adria) gerichteten Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 11. Oktober 2007 (im Folgenden: strittiger Bescheid).

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsrecht

3        Die Richtlinie 85/337 bezweckt nach ihrem ersten Erwägungsgrund, Verschmutzungen und sonstige Umweltbelastungen dadurch zu verhindern, dass bestimmte öffentliche und private Projekte einer vorherigen Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden.

4        Hierzu stellt diese Richtlinie, wie sich aus ihrem fünften Erwägungsgrund ergibt, allgemeine Grundsätze für Umweltverträglichkeitsprüfungen auf, um die Genehmigungsverfahren für öffentliche und private Projekte, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben könnten, zu ergänzen und zu koordinieren.

5        Nach dem achten und dem elften Erwägungsgrund der Richtlinie 85/337 haben Projekte bestimmter Klassen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und sind grundsätzlich einer systematischen Prüfung zu unterziehen, um die menschliche Gesundheit zu schützen, durch eine Verbesserung der Umweltbedingungen zur Lebensqualität beizutragen, für die Erhaltung der Artenvielfalt zu sorgen und die Reproduktionsfähigkeit des Ökosystems als Grundlage allen Lebens zu erhalten.

6        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 sieht vor:

„Gegenstand dieser Richtlinie ist die Umweltverträglichkeitsprüfung bei öffentlichen und privaten Projekten, die möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.“

7        Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht Folgendes vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vor Erteilung der Genehmigung die Projekte, bei denen unter anderem aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Genehmigungspflicht unterworfen und einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden. Diese Projekte sind in Artikel 4 definiert.“

8        Art. 4 Abs. 1 der genannten Richtlinie bestimmt:

„Projekte des Anhangs I werden … einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen.“

9        Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 sieht vor:

„Stellt ein Mitgliedstaat fest, dass ein Projekt erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt eines anderen Mitgliedstaats haben könnte, oder stellt ein Mitgliedstaat, der möglicherweise davon erheblich betroffen ist, einen entsprechenden Antrag, so übermittelt der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet das Projekt durchgeführt werden soll, dem betroffenen Mitgliedstaat so bald wie möglich, spätestens aber zu dem Zeitpunkt, zu dem er in seinem eigenen Land die Öffentlichkeit unterrichtet, unter anderem

a)      eine Beschreibung des Projekts zusammen mit allen verfügbaren Angaben über dessen mögliche grenzüberschreitende Auswirkungen,

b)      Angaben über die Art der möglichen Entscheidung

und räumt dem anderen Mitgliedstaat eine angemessene Frist für dessen Mitteilung ein, ob er an dem umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 teilzunehmen wünscht oder nicht; ferner kann er die in Absatz 2 dieses Artikels genannten Angaben beifügen.“

10      In Anhang I Nr. 20 dieser Richtlinie wird der „Bau von Hochspannungsfreileitungen für eine Stromstärke von 220 kV oder mehr und mit einer Länge von mehr als 15 km“ aufgeführt.

 Nationales Recht

11      Nach Art. 11 Abs. 7 des Bundes-Verfassungsgesetzes (im Folgenden: B‑VG) steht in den Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung von Vorhaben, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, die Entscheidung nach Erschöpfung des Instanzenzugs im Bereich der Vollziehung jedes Landes dem unabhängigen Umweltsenat zu.

12      Nach dem genannten Artikel ist der Umweltsenat ein unabhängiges Organ, das aus dem Vorsitzenden, Richtern und anderen rechtskundigen Mitgliedern besteht und beim zuständigen Bundesministerium eingesetzt wird. Die Einrichtung, die Aufgaben und das Verfahren des Umweltsenats werden durch Bundesgesetz geregelt. Seine Entscheidungen unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Instanzenzug; die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ist zulässig.

13      Art. 20 Abs. 2 des B‑VG sieht Folgendes vor:

„Ist durch Bundes‑ oder Landesgesetz zur Entscheidung in oberster Instanz eine Kollegialbehörde eingesetzt worden, deren Bescheide nach der Vorschrift des Gesetzes nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen und der wenigstens ein Richter angehört, so sind auch die übrigen Mitglieder dieser Kollegialbehörde in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden.“

14      Von der Regel, wonach im Allgemeinen über Beschwerden gegen die Bescheide der verschiedenen Verwaltungsbehörden der Verwaltungsgerichtshof entscheidet, enthält Art. 133 Z 4 B‑VG für den Fall, dass diese Befugnis auf einem bestimmten Gebiet einer unabhängigen Behörde übertragen wurde, eine Ausnahme. Der Umweltsenat ist eine dieser Behörden.

15      § 1 des Bundesgesetzes über den Umweltsenat aus dem Jahr 2000 (im Folgenden: USG 2000) sieht Folgendes vor:

„(1)      Beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft wird ein Umweltsenat eingerichtet.

(2)      Der Umweltsenat besteht aus zehn Richtern und weiteren 32 rechtskundigen Mitgliedern. …“

16      § 2 USG 2000 sieht vor, dass der Bundespräsident die Mitglieder auf Vorschlag der Bundesregierung für die Dauer von sechs Jahren ernennt. Die Wiederbestellung ist zulässig. Die Bundesregierung ist außerdem an bestimmte Nominierungsvorschläge gebunden.

17      § 4 USG 2000 lautet:

„Die Mitglieder des Umweltsenates sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden.“

18      § 5 USG 2000 lautet:

„Der Umweltsenat entscheidet über Berufungen in Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes [2000], BGBl. Nr. 697/1993 [zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 149/2006; im Folgenden: UVP‑G 2000] …“.

19      § 6 USG 2000 bestimmt:

„Die Entscheidungen des Umweltsenates können im Verwaltungswege weder aufgehoben noch abgeändert werden. Die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes ist zulässig.“

20      § 2 Abs. 2 UVP‑G 2000 definiert in Umsetzung der Richtlinie 85/337 ein „Vorhaben“ als „die Errichtung einer Anlage oder ein sonstiger Eingriff in Natur und Landschaft unter Einschluss sämtlicher damit in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehender Maßnahmen“.

21      § 3 Abs. 1 UVP‑G 2000 sieht Folgendes vor:

„Vorhaben, die in Anhang 1 angeführt sind, … sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Für Vorhaben, die in Spalte 2 und 3 des Anhanges 1 angeführt sind, ist das vereinfachte Verfahren durchzuführen. …“

22      § 3 Abs. 7 UVP‑G 2000 bestimmt Folgendes:

„Die Behörde hat auf Antrag des Projektwerbers/der Projektwerberin, einer mitwirkenden Behörde oder des Umweltanwaltes festzustellen, ob für ein Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach diesem Bundesgesetz durchzuführen ist und welcher Tatbestand des Anhanges 1 oder des § 3a Abs. 1 bis 3 durch das Vorhaben verwirklicht wird. Diese Feststellung kann auch von Amts wegen erfolgen. Der Projektwerber/die Projektwerberin hat der Behörde Unterlagen vorzulegen, die zur Identifikation des Vorhabens und zur Abschätzung seiner Umweltauswirkungen ausreichen. Die Entscheidung ist in erster und zweiter Instanz jeweils innerhalb von sechs Wochen mit Bescheid zu treffen. Parteistellung haben der Projektwerber/die Projektwerberin, die mitwirkenden Behörden, der Umweltanwalt und die Standortgemeinde. Vor der Entscheidung ist das wasserwirtschaftliche Planungsorgan zu hören. Der wesentliche Inhalt der Entscheidungen einschließlich der wesentlichen Entscheidungsgründe sind von der Behörde in geeigneter Form kundzumachen oder zur öffentlichen Einsichtnahme aufzulegen. Die Standortgemeinde kann gegen die Entscheidung Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erheben. Der Umweltanwalt und die mitwirkenden Behörden sind von der Verpflichtung zum Ersatz von Barauslagen befreit.“

23      Anhang 1 des UVP‑G 2000 führt die Vorhaben auf, die zwingend einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 3 dieses Gesetzes zu unterziehen sind. Sie sind in drei Gruppen (Spalten) gegliedert. Die Vorhaben der ersten beiden Gruppen (Spalten) sind jedenfalls einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen, wenn die festgelegten Schwellenwerte erreicht werden und die vorgesehenen Kriterien erfüllt sind. Die Vorhaben der dritten Gruppe (Spalte) sind einer Einzelfallprüfung zu unterziehen, wenn der angeführte Schwellenwert erreicht wird.

24      Das UVP‑G 2000 führt in Anhang 1 Z 16 lit. a „Starkstromfreileitungen mit einer Nennspannung von mindestens 220 kV und einer Länge von mindestens 15 km“ auf.

25      In Anhang 1 Z 16 lit. b des UVP‑G 2000 werden in Spalte 3 „Starkstromfreileitungen in schutzwürdigen Gebieten der Kategorien A [besonderes Schutzgebiet] oder B [Alpinregion] mit einer Nennspannung von mindestens 110 kV und einer Länge von mindestens 20 km“ aufgeführt.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

26      Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass Alpe Adria ein italienisches Unternehmen ist, das eine 220‑kV‑Hochspannungsfreileitung mit einer Nennleistung von 300 MVA errichten will, um das Netz der Rete Elettrica Nazionale SpA, eines italienischen Unternehmens, mit dem Netz der österreichischen VERBUND-Austrian Power Grid AG zu verbinden.

27      Zu diesem Zweck beantragte die Alpe Adria mit Schreiben vom 12. Juli 2007 bei der Kärntner Landesregierung den Erlass eines Feststellungsbescheids nach § 3 Abs. 7 UVP‑G 2000 für die Errichtung und den Betrieb dieses Vorhabens. Auf österreichischem Hoheitsgebiet umfasst das Vorhaben eine rund 7,4 km lange Freileitung mit einer zu errichtenden Schaltstation in Weidenburg bis zur Staatsgrenze durch den Kronhofgraben über das Kronhofer Törl. Im italienischen Hoheitsgebiet beträgt die projektierte Länge etwa 41 km.

28      Die Kärntner Landesregierung stellte im strittigen Bescheid fest, dass für das genannte Vorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei, da der österreichische Teil der Leitung nicht den im UVP‑G vorgesehenen Schwellenwert von 15 km erreiche.

29      Zwar verpflichte, so heißt es in dem Bescheid weiter, Art. 7 der Richtlinie 85/337, wenn ein Projekt erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt eines anderen Mitgliedstaats haben könnte, die Mitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebiet das Projekt durchgeführt werden solle, diesen anderen Mitgliedstaat in die Umweltverträglichkeitsprüfung einzubeziehen. Dieser Artikel ziele jedoch nur auf Projekte ab, die zur Gänze im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gelegen seien, und nicht auf grenzüberschreitende Projekte.

30      Mangels einer besonderen Bestimmung in der Richtlinie 85/337 für grenzüberschreitende Projekte habe daher jeder Mitgliedstaat ausschließlich nach seinem nationalen Recht zu beurteilen, ob ein Projekt unter den Anhang I dieser Richtlinie falle.

31      Das UVP‑G 2000 enthalte keine Bestimmung, wonach bei grenzüberschreitenden Energiewegen oder sonstigen Linienvorhaben die Gesamtlänge der Anlage zu berücksichtigen wäre.

32      Am 18. Dezember 2007 erhob der Umweltanwalt gegen den strittigen Bescheid Berufung an den Umweltsenat.

33      Vor diesem Hintergrund hat der Umweltsenat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die Richtlinie 85/337 so auszulegen, dass ein Mitgliedstaat eine Prüfpflicht für die in Anhang I der Richtlinie, namentlich in Nr. 20 (Bau von Hochspannungsfreileitungen für eine Stromstärke von 220 kV oder mehr und mit einer Länge von mehr als 15 km) angeführten Projekttypen bei einer auf dem Gebiet von zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geplanten Anlage auch dann vorsehen muss, wenn der die Prüfpflicht auslösende Schwellenwert (hier: die Länge von 15 km) zwar nicht durch den auf seinem Staatsgebiet liegenden Anlagenteil, jedoch durch Hinzurechnung der im Nachbarstaat/in den Nachbarstaaten geplanten Anlagenteile erreicht bzw. überschritten wird?

 Zur Zulässigkeit der Vorlagefrage

 Zur Gerichtseigenschaft des Umweltsenats

34      Vorab ist zu prüfen, ob der Umweltsenat ein Gericht im Sinne des Art. 234 EG und die Vorlagefrage daher zulässig ist.

35      Nach ständiger Rechtsprechung stellt der Gerichtshof zur Beurteilung der rein gemeinschaftsrechtlichen Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein Gericht im Sinne von Art. 234 EG handelt, auf eine ganze Reihe von Gesichtspunkten ab, wie z. B. gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie ihre Unabhängigkeit (vgl. Urteile vom 30. Juni 1966, Vaassen-Göbbels, 61/65, Slg. 1966, 584, 601, und vom 18. Oktober 2007, Österreichischer Rundfunk, C‑195/06, Slg. 2007, I‑8817, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Dazu ist zum einen festzuhalten, dass Art. 11 Abs. 7, Art. 20 Abs. 2 und Art. 133 Z 4 B‑VG sowie die §§ 1, 2, 4 und 5 USG 2000 zweifelsfrei erkennen lassen, dass der Umweltsenat die Kriterien der gesetzlichen Grundlage, der ständigen und obligatorischen Gerichtsbarkeit, der Anwendung von Rechtsnormen sowie der Unabhängigkeit einer solchen Einrichtung erfüllt.

37      Ferner ist bei dem Verfahren vor dem Umweltsenat, wie der Generalanwalt in den Nrn. 58 und 59 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, gewährleistet, dass jeder, der am Verwaltungsverfahren beteiligt war, sowie die im UVP‑G 2000 aufgeführten Einrichtungen Berufung erheben können. Eine mündliche Verhandlung wird von Amts wegen oder auf Antrag der Parteien durchgeführt; jeder Beteiligte kann sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Die Entscheidungen des Umweltsenats werden rechtskräftig, sind zu begründen und werden in öffentlicher Sitzung verkündet.

38      Zum anderen gewährleisten das USG 2000 und das UVP‑G 2000 in Verbindung mit Art. 133 Z 4 B‑VG ein streitiges Verfahren vor dem Umweltsenat, der bei seinen Entscheidungen das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz anwendet.

39      Nach alledem ist der Umweltsenat als Gericht im Sinne von Art. 234 EG anzusehen, so dass seine Vorlagefrage zulässig ist.

 Zur Vorlagefrage

40      Alpe Adria bringt vor, die aufgeworfenen gemeinschaftsrechtlichen Fragen hätten in der konkret vorliegenden Rechtssache nur hypothetische Bedeutung. Sie seien nämlich für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht objektiv erforderlich und wiesen keinen Bezug zu den Fragen auf, die das vorlegende Gericht zu entscheiden habe.

41      Hierzu ist festzustellen, dass es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache des nationalen Gerichts ist, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. Urteil vom 5. März 2009, Apis-Hristovich, C‑545/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen (vgl. Urteil Apis-Hristovich, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Der Gerichtshof ist im vorliegenden Fall dazu aufgerufen, dem vorlegenden Gericht Hinweise zur Auslegung der Richtlinie 85/337 zu geben, damit es beurteilen kann, ob das fragliche Projekt nach dem Gemeinschaftsrecht unter die von dieser Richtlinie vorgesehenen verfahrensrechtlichen Verpflichtungen fällt, selbst wenn das nationale Recht für dieses Projekt solche verfahrensrechtlichen Verpflichtungen nicht vorsieht.

44      Das Vorabentscheidungsersuchen ist somit als zulässig anzusehen.

 Zur Beantwortung der Frage

45      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 dahin auszulegen sind, dass ein in Anhang I Nr. 20 dieser Richtlinie aufgeführtes Projekt wie der Bau von Hochspannungsfreileitungen für eine Stromstärke von 220 kV oder mehr und mit einer Länge von mehr als 15 km von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats auch dann einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss, wenn es sich um ein grenzüberschreitendes Projekt handelt, das sich im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats nur über eine Länge von weniger als 15 km erstreckt.

46      Zunächst ist festzustellen, dass ein Projekt, das die Errichtung einer 48,4 km langen Stromfreileitung für 220 kV und eine Nennleistung von 300 MVA betrifft, zu den von Anhang I Nr. 20 der Richtlinie 85/337 erfassten Projekten gehört und daher zwingend einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie zu unterziehen ist.

47      Sodann ist für die Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage zu prüfen, ob die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass diese Verpflichtung auch für ein grenzüberschreitendes Projekt wie das des Ausgangsverfahrens gilt.

48      Es ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die Begriffe einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der gesamten Gemeinschaft eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontextes der Vorschrift und des mit der Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. Urteile vom 19. September 2000, Linster, C‑287/98, Slg. 2000, I‑6917, Randnr. 43, und vom 4. Mai 2006, Barker, C‑290/03, Slg. 2006, I‑3949, Randnr. 40).

49      Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 sieht eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, Projekte, bei denen u. a. aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Prüfung zu unterziehen.

50      Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass die Richtlinie 85/337, was die Verpflichtung zur Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen anbelangt, einen weiten Anwendungsbereich hat und ein sehr weitgehendes Ziel verfolgt (vgl. Urteil vom 24. Oktober 1996, Kraaijeveld u. a., C‑72/95, Slg. 1996, I‑5403, Randnrn. 31 und 39).

51      Ferner geht die Richtlinie 85/337 von einer Gesamtbewertung der Auswirkungen von Projekten auf die Umwelt aus (Urteil vom 25. Juli 2008, Ecologistas en Acción-CODA, C‑142/07, Slg. 2008, I‑6097, Randnr. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung), unabhängig davon, ob es sich möglicherweise um ein grenzüberschreitendes Projekt handelt.

52      Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten die Richtlinie 85/337 so ausführen, dass sie dabei in vollem Umfang den Anforderungen entsprechen, die die Richtlinie im Hinblick auf ihr wesentliches Ziel aufstellt, das nach Art. 2 Abs. 1 darin besteht, dass Projekte, bei denen insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, vor Erteilung der Genehmigung einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Ecologistas en Acción-CODA, Randnr. 33).

53      Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass das Ziel der Richtlinie 85/337 nicht durch die Aufsplitterung eines Projekts umgangen werden und die Nichtberücksichtigung der kumulativen Wirkung mehrerer Projekte in der Praxis nicht zur Folge haben darf, dass die Projekte insgesamt der Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung entzogen werden, obwohl sie zusammengenommen „erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 haben können (vgl. in diesem Sinne Urteil Ecologistas en Acción-CODA, Randnr. 44).

54      Daraus folgt, dass die von Anhang I der Richtlinie 85/337 erfassten Projekte, die sich auf das Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten erstrecken, der Anwendung dieser Richtlinie nicht aus dem alleinigen Grund entzogen werden können, dass die Richtlinie keine ausdrückliche Bestimmung über solche Projekte enthält.

55      Eine solche Ausnahme würde das von der Richtlinie 85/337 verfolgte Ziel stark beeinträchtigen. Ihre praktische Wirksamkeit wäre nämlich ernsthaft in Frage gestellt, wenn die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats bei der Entscheidung über die Frage, ob ein Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss, den in einem anderen Mitgliedstaat durchzuführenden Teil des Projekts außer Acht lassen dürften (vgl. entsprechend Urteil vom 16. September 2004, Kommission/Spanien, C‑227/01, Slg. 2004, I‑8253, Randnr. 53).

56      Wie der Generalanwalt in Nr. 81 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, wird diese Feststellung durch den Wortlaut von Art. 7 der Richtlinie 85/337 bekräftigt, der eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit für den Fall vorsieht, dass ein Projekt erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt in einem anderen Mitgliedstaat haben könnte.

57      Der Umstand allein, dass die in Österreich gelegene Teilstrecke weniger als 15 km lang ist, darf nicht dazu führen, dass das Projekt von dem in der Richtlinie 85/337 vorgesehenen Prüfverfahren ausgenommen wird. Der betroffene Mitgliedstaat wird die Auswirkungen eines solchen Projekts auf die Umwelt in seinem eigenen Hoheitsgebiet einer Prüfung unter Berücksichtigung der konkreten Folgen dieses Projekts unterziehen müssen.

58      Nach alledem sind Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 dahin auszulegen, dass ein in Anhang I Nr. 20 dieser Richtlinie aufgeführtes Projekt wie der Bau von Hochspannungsfreileitungen für eine Stromstärke von 220 kV oder mehr und mit einer Länge von mehr als 15 km von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats auch dann einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss, wenn es sich um ein grenzüberschreitendes Projekt handelt, das sich im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats nur über eine Länge von weniger als 15 km erstreckt.

 Kosten

59      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass ein in Anhang I Nr. 20 dieser Richtlinie aufgeführtes Projekt wie der Bau von Hochspannungsfreileitungen für eine Stromstärke von 220 kV oder mehr und mit einer Länge von mehr als 15 km von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats auch dann einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss, wenn es sich um ein grenzüberschreitendes Projekt handelt, das sich im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats nur über eine Länge von weniger als 15 km erstreckt.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.