URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)
7. Dezember 1999 (1)
„Nichtigkeitsklage Transparenz Zugang zu Dokumenten Beschluß 94/90
EGKS, EG, Euratom Ablehnung eines Antrags auf Zugang zu Dokumenten
der Kommission Tragweite der Ausnahme zum Schutz des öffentlichen
Interesses (Rechtspflege) und der Urheberregel Begründung“
In der Rechtssache T-92/98,
Interporc Im- und Export GmbH, Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in
Hamburg (Deutschland), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Georg M. Berrisch,
Brüssel und Hamburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Ulrich Wölker,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos
Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 23. April 1998, mit
der der Klägerin der Zugang zu bestimmten Dokumenten verweigert wird,
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN
(Erste erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie der Richter C. W. Bellamy,
J. Pirrung, A. W. H. Meij und M. Vilaras,
Kanzler: H. Jung
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19.
Mai 1999,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
- 1.
-
Namentlich aufgrund der Schlußakte des am 7. Februar 1992 in Maastricht
unterzeichneten Vertrages über die Europäische Union, die eine Erklärung (Nr. 17)
zum Recht auf Zugang zu Informationen enthält, und mehrerer Tagungen des
Europäischen Rates, auf denen die Verpflichtung bekräftigt worden war, die
Gemeinschaft transparenter zu gestalten (vgl. dazu Urteil des Gerichts vom 5. März
1997 in der Rechtssache T-105/95, WWF UK/Kommission, Slg. 1997, II-313,
Randnrn. 1 bis 3), billigten die Kommission und der Rat am 6. Dezember 1993
einen Verhaltenskodex für den Zugang der Öffentlichkeit zu Kommissions- und
Ratsdokumenten (ABl. L 340, S. 41; im folgenden: Verhaltenskodex), in dem die
Grundsätze für den Zugang zu den in ihrem Besitz befindlichen Dokumenten
festgelegt sind. Der Verhaltenskodex bestimmt:
„Die Kommission und der Rat ergreifen vor dem 1. Januar 1994 jeweils für ihren
Zuständigkeitsbereich die erforderlichen Maßnahmen zur Durchführung dieser
Grundsätze.“
- 2.
- Zur Erfüllung dieser Verpflichtung nahm die Kommission am 8. Februar 1994 auf
der Grundlage des Artikels 162 EG-Vertrag (jetzt Artikel 218 EG) mit dem
Beschluß 94/90/EGKS, EG, Euratom über den Zugang der Öffentlichkeit zu den
der Kommission vorliegenden Dokumenten (ABl. L 46, S. 58) den Verhaltenskodex
an, dessen Wortlaut im Anhang dieses Beschlusses wiedergegeben ist.
- 3.
- Im Verhaltenskodex wird folgender allgemeiner Grundsatz aufgestellt:
„Die Öffentlichkeit erhält möglichst umfassenden Zugang zu den Dokumenten der
Kommission und des Rates.
Der Ausdruck .Dokument' bezeichnet unabhängig vom Datenträger jedes im
Besitz der Kommission oder des Rates befindliche Schriftstück mit bereits
vorhandenen Informationen.“
- 4.
- Zur Rechtfertigung der Ablehnung eines Antrags auf Zugang zu Dokumenten kann
sich ein Organ auf die folgenden im Verhaltenskodex aufgeführten Umstände
berufen:
„Die Organe verweigern den Zugang zu Dokumenten, wenn sich durch deren
Verbreitung eine Beeinträchtigung ergeben könnte in bezug auf
den Schutz des öffentlichen Interesses (öffentliche Sicherheit, internationale
Beziehungen, Währungsstabilität, Rechtspflege, Inspektionstätigkeiten);
den Schutz des einzelnen und der Privatsphäre;
den Schutz des Geschäfts- und Industriegeheimnisses;
den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft;
die Wahrung der Vertraulichkeit, wenn dies von der natürlichen oder
juristischen Person, die die Information zur Verfügung gestellt hat,
beantragt wurde oder aufgrund der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats,
der die Information bereitgestellt hat, erforderlich ist.
Die Organe können ferner den Zugang verweigern, um den Schutz des Interesses
des Organs in bezug auf die Geheimhaltung seiner Beratungen zu gewährleisten.“
- 5.
- Außerdem enthält der Verhaltenskodex unter der Überschrift „Bearbeitung der
Erstanträge“ folgende Regelung:
„Ist der Urheber des Dokuments, das sich im Besitz eines Organs befindet, eine
natürliche oder juristische Person, ein Mitgliedstaat, ein anderes
Gemeinschaftsorgan oder eine andere Gemeinschaftsinstitution oder eine sonstige
einzelstaatliche oder internationale Organisation, so ist der Antrag direkt an den
Urheber des Dokuments zu richten.“
- 6.
- Am 4. März 1994 legte die Kommission in einer Mitteilung über die Verbesserung
des Zugangs zu den Dokumenten (ABl. C 67, S. 5; im folgenden: Mitteilung von
1994) die Kriterien zur Durchführung des Beschlusses 94/90 dar. Nach dieser
Mitteilung „kann ... jedermann die Einsicht in ein unveröffentlichtes
Kommissionsdokument einschließlich der vorbereitenden Dokumente und sonstiger
Materialien beantragen“. Zu den im Verhaltenskodex vorgesehenen Ausnahmen
heißt es in der Mitteilung von 1994: „Die Kommission kann der Auffassung sein,
daß der Zugang zu einem Dokument verweigert werden muß, da seine Weitergabe
öffentliche und private Interessen schädigen und die Arbeit des Organs
beeinträchtigen könnte.“ Dazu wird in der Mitteilung klargestellt: „Es gibt keine
automatische Ablehnung. Jeder Antrag wird einzeln geprüft.“ Zur Behandlung von
Zweitanträgen bestimmt die Mitteilung von 1994 folgendes:
„Wird einem Antragsteller mitgeteilt, daß die Akteneinsicht verweigert wird, kann
er, falls er mit der Begründung nicht einverstanden ist, den Generalsekretär der
Kommission bitten, die Angelegenheit zu überprüfen und die Ablehnung zu
bestätigen oder zurückzunehmen.“
Sachverhalt
- 7.
- Die Einfuhr von Rindfleisch in die Gemeinschaft unterliegt grundsätzlich einem
Zoll und einer zusätzlichen Abschöpfung. Im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und
Handelsabkommens (GATT) eröffnet die Gemeinschaft jährlich ein sogenanntes
„Hilton-Kontingent“. Im Rahmen dieses Kontingents können bestimmte Mengen
hochwertigen argentinischen Rindfleisches („Hilton Beef“) abschöpfungsfrei in die
Gemeinschaft eingeführt werden, wobei die Zölle des anwendbaren Gemeinsamen
Zolltarifs zu entrichten sind. Diese Befreiung wird nur gegen Vorlage einer von den
argentinischen Behörden ausgestellten Echtheitsbescheinigung gewährt.
- 8.
- Nachdem die Kommission davon in Kenntnis gesetzt worden war, daß Fälschungen
von Echtheitsbescheinigungen aufgedeckt worden waren, leitete sie Ende
1992/Anfang 1993 in Zusammenarbeit mit den Zollbehörden der Mitgliedstaaten
entsprechende Untersuchungen ein. Kamen die Zollbehörden zu dem Ergebnis,
daß ihnen gefälschte Echtheitsbescheinigungen vorgelegt worden waren, erhoben
sie die Einfuhrabgaben nach.
- 9.
- Die deutschen Behörden erhoben bei der Klägerin nach Aufdeckung dieser
Fälschungen Einfuhrabgaben nach. Die Klägerin beantragte, ihr die
Einfuhrabgaben zu erlassen, da sie die Echtheitsbescheinigungen gutgläubig
vorgelegt habe und bestimmte Schwachpunkte bei den Kontrollen den zuständigen
argentinischen Behörden und der Kommission zuzurechnen seien.
- 10.
- Die Kommission vertrat in ihrer Entscheidung vom 26. Januar 1996, die an die
Bundesrepublik Deutschland gerichtet war, den Standpunkt, daß der Antrag der
Klägerin auf Erlaß der Einfuhrabgaben unbegründet sei.
- 11.
- Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin beantragte daraufhin mit Schreiben vom
23. Februar 1996 an den Generalsekretär der Kommission sowie an die
Generaldirektoren der Generaldirektionen (im folgenden: GD) I, VI und XXI
Einsicht in bestimmte Dokumente über die Kontrolle der Rindfleischeinfuhren
(„Hilton Beef“) und über die Untersuchungen, die zu den Entscheidungen der
deutschen Behörden geführt hatten, die Einfuhrabgaben nachzuerheben. Der
Antrag bezog sich auf zehn Gruppen von Dokumenten: 1. die Meldungen der
Mitgliedstaaten über die von 1985 bis 1992 aus Argentinien eingeführten Mengen
„Hilton“-Rindfleisch, 2. die Meldungen der argentinischen Behörden über die in
diesem Zeitraum in die Gemeinschaft ausgeführten Mengen „Hilton“-Rindfleisch,
3. die von der Kommission auf der Grundlage dieser Meldungen erstellten Listen,
4. die Dokumente über die Eröffnung des „Hilton-Kontingents“, 5. die Dokumente
über die Bestimmung der für die Ausstellung der Echtheitsbescheinigungen
zuständigen Stellen, 6. die Dokumente über die zwischen der Gemeinschaft und
Argentinien nach Aufdeckung der Fälschungen erzielte Einigung über eine Kürzung
des Kontingents, 7. die etwaigen Untersuchungsberichte über die von der
Kommission 1991 und 1992 durchgeführte Kontrolle des „Hilton-Kontingents“,
8. die Dokumente über die Untersuchungen hinsichtlich etwaiger
Unregelmäßigkeiten bei den Einfuhren zwischen 1985 und 1988, 9. die
Stellungnahmen der GD VI und der GD XXI zu Entscheidungen in ähnlichen
Fällen und 10. die Protokolle der Sitzungen des Ausschusses der Sachverständigen
der Mitgliedstaaten vom 2. Oktober und 4. Dezember 1995.
- 12.
- Der Generaldirektor der GD VI lehnte mit Schreiben vom 22. März 1996 den
Antrag auf Einsicht in den Schriftverkehr mit den argentinischen Behörden und in
die Protokolle der Verhandlungen, die der Gewährung und der Eröffnung der
„Hilton-Kontingente“ vorausgegangen waren, sowie in den Schriftverkehr mit den
argentinischen Behörden nach der Aufdeckung gefälschter
Echtheitsbescheinigungen ab. Zur Begründung verwies er auf die zum Schutz des
öffentlichen Interesses (internationale Beziehungen) vorgesehene Ausnahme. Den
Zugang zu den von den Mitgliedstaaten oder den argentinischen Behörden
stammenden Dokumenten verweigerte er mit dem Hinweis, daß die Klägerin ihren
Antrag unmittelbar an den jeweiligen Urheber dieser Dokumente richten müsse.
- 13.
- Der Generaldirektor der GD XXI lehnte den Antrag auf Einsicht in den internen
Untersuchungsbericht der Kommission über die Fälschungen unter Berufung auf
die zum Schutz des öffentlichen Interesses (Inspektionstätigkeiten) und zum Schutz
des einzelnen und seiner Privatsphäre vorgesehenen Ausnahmen mit Schreiben
vom 25. März 1996 ab. Den Zugang zu den Stellungnahmen der GD VI und der
GD XXI zu anderen Anträgen auf Erlaß von Einfuhrabgaben sowie die Einsicht
in die Sitzungsprotokolle des Ausschusses der Sachverständigen der Mitgliedstaaten
verweigerte der Generaldirektor der GD XXI unter Bezugnahme auf die zum
Schutz des Interesses der Kommission an der Geheimhaltung ihrer Beratungen
vorgesehene Ausnahme. Den Zugang zu den von den Mitgliedstaaten stammenden
Dokumenten lehnte er mit der Begründung ab, die Klägerin müsse ihren Antrag
unmittelbar an den jeweiligen Urheber dieser Dokumente richten.
- 14.
- Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin stellte mit Schreiben vom 27. März 1996
beim Generalsekretär der Kommission einen Zweitantrag im Sinne des
Verhaltenskodex. Darin wies er die Gründe, die von den Generaldirektoren der
GD VI und GD XXI für die Verweigerung der Einsicht in die Dokumente
angeführt worden waren, als nicht stichhaltig zurück.
- 15.
- Mit Klageschrift, die am 12. April 1996 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob
die Klägerin zusammen mit zwei weiteren deutschen Unternehmen Klage auf
Nichtigerklärung der Entscheidung vom 26. Januar 1996 (Rechtssache T-50/96).
- 16.
- Mit Schreiben vom 29. Mai 1996 lehnte der Generalsekretär der Kommission den
Zweitantrag mit folgender Begründung ab:
„Nach Prüfung Ihres Antrags muß ich Ihnen leider mitteilen, daß ich den Bescheid
der GD VI und GD XXI aus folgenden Gründen bestätige.
Die gewünschten Dokumente beziehen sich alle auf eine Kommissionsentscheidung
vom 26. Januar 1996 (Dok. KOM K[96] 180 endg.), die inzwischen Gegenstand
einer Nichtigkeitsklage ist, die Ihr Mandant erhoben hat (Rechtssache T-50/96).
Folglich und unbeschadet anderer Ausnahmen, die die Verweigerung des Zugangs
zu den gewünschten Dokumenten rechtfertigen könnten, findet die Ausnahme des
Schutzes des öffentlichen Interesses (Rechtspflege) Anwendung. Im Rahmen einer
laufenden Sache kann der Verhaltenskodex die Kommission nicht zwingen, der
Gegenpartei den Rechtsstreit betreffende Dokumente zu liefern.“
- 17.
- In der Rechtssache T-50/96 beantragte die Klägerin mit Schriftsatz, der am 25. Juni
1996 bei der Kanzlei des Gerichts einging, der Kommission im Wege
prozeßleitender Maßnahmen die Vorlage der erbetenen Dokumente aufzugeben.
- 18.
- Mit Klageschrift, die am 9. August 1996 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob
die Klägerin Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 29.
Mai 1996, mit der die Weigerung, der Klägerin Zugang zu bestimmtenDokumenten der Kommission zu gewähren, bestätigt wurde. Das Gericht stellte mit
Urteil vom 6. Februar 1998 (Rechtssache T-124/96, Interporc/Kommission, Slg.
1998, II-231; im folgenden: Urteil Interporc I) fest, daß die Entscheidung der
Kommission vom 29. Mai 1996 nicht hinreichend begründet war und erklärte sie
für nichtig.
- 19.
- In der Rechtssache T-50/96 hat die Kommission auf Verlangen des Gerichts vom
15. Dezember 1997 bestimmte Unterlagen vorgelegt, die teilweise den Dokumenten
entsprachen, die die Klägerin im Verfahren Interporc I verlangt hatte. Im
vorliegenden Fall hat die Klägerin bestätigt, daß der Zweitantrag insoweit
gegenstandslos geworden ist, als er Dokumente betrifft, die die Kommission nach
Aufforderung des Gerichts in der Rechtssache T-50/96 vorgelegt hat.
- 20.
- Aufgrund des Urteils Interporc I übermittelte die Kommission dem
Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 23. April 1998 eine neue Entscheidung
über den Zweitantrag der Klägerin vom 27. März 1996, in der sie mit einer anderen
Begründung zum selbem Ergebnis wie in der Entscheidung vom 29. Mai 1996
gelangte (im folgenden: angefochtene Entscheidung). Die angefochtene
Entscheidung lautete folgendermaßen:
„Die Unterlagen, um die Sie gebeten haben, lassen sich folgenden Kategorien
zuordnen:
1. Von den Mitgliedstaaten und den argentinischen Behörden erstellte
Dokumente
die Erklärungen der Mitgliedstaaten zu den zwischen 1985 und 1992
aus Argentinien eingeführten Mengen .Hilton Beef';
die Erklärungen der argentinischen Behörden zu den in diesem
Zeitraum in die Gemeinschaft ausgeführten Mengen .Hilton Beef';
die Schreiben der argentinischen Behörden bezüglich der zur
Ausstellung der Echtheitsbescheinigungen befugten Behörde;
die Unterlagen der argentinischen Behörden bezüglich des
Abschlusses eines Abkommens über die Eröffnung eines .Hilton-Beef'-Kontingents;
die Standpunkte der Mitgliedstaaten in ähnlichen Angelegenheiten.
2. Dokumente der Kommission
die internen Übersichten der GD VI, die auf den Erklärungen der
Mitgliedstaaten und der Drittländer beruhen;
die Schreiben der Kommission bezüglich der zur Ausstellung der
Echtheitsbescheinigungen befugten Behörde;
die Unterlagen betreffend [den Abschluß] eines Abkommens über die
Eröffnung des 'Hilton-Beef'-Kontingents; interne Vermerke der GD
VI, Vermerke zwischen Dienststellen, Mitteilungen an die
argentinischen Behörden;
die Unterlagen betreffend die Vereinbarung zwischen der
Gemeinschaft und Argentinien über die Kürzung des Kontingents
infolge der Fälschungen, interne Vermerke der GD VI, Vermerke
zwischen Dienststellen (GD I, GD XXI), Vermerke der Kabinette der
verantwortlichen Kommissionsmitglieder, Vermerke an diese
Kabinette, Mitteilungen an die Kommissionsdelegation in Argentinien,
Schreiben an den argentinischen Botschafter bei der EU;
der Bericht der Kommission über die Kontrolle des 'Hilton-Beef'-Kontingents;
die Stellungnahmen der GD VI und XXI zu Entscheidungen in
ähnlichen Angelegenheiten;
die Protokolle der Sitzungen der nationalen Sachverständigen vom 2.
Oktober und 4. Dezember 1995.
Was die von den Mitgliedstaaten und den argentinischen Behörden erstellten
Unterlagen betrifft, so empfehle ich Ihnen, eine Kopie davon unmittelbar bei
diesen Mitgliedstaaten und den betreffenden Behörden anzufordern. Im
Verhaltenskodex ist zwar festgeschrieben, daß .die Öffentlichkeit möglichst
umfassenden Zugang zu den Dokumenten der Kommission und des Rates erhält',
doch heißt es im fünften Absatz auch: .Ist der Urheber des Dokuments, das sich
im Besitz eines Organs befindet, eine natürliche oder juristische Person, ein
Mitgliedstaat oder eine andere Gemeinschaftsinstitution oder eine sonstige
einzelstaatliche oder internationale Organisation, so ist der Antrag direkt an den
Urheber des Dokuments zu richten.' Der Kommission kann hier also keinesfalls
Rechtsmißbrauch vorgeworfen werden; sie wendet lediglich eine Bestimmung ihres
Beschlusses vom 8. Februar 1994 an, der die Anwendung des Verhaltenskodexes
regelt.
Alle anderen Dokumente, die einen noch anhängigen Rechtsstreit betreffen (T-50/96), fallen unter die im Verhaltenskodex ausdrücklich vorgesehene Ausnahme
des Schutzes des öffentlichen Interesses, insbesondere des ordnungsgemäßen
Ablaufs von Gerichtsverfahren: Ihre Veröffentlichung nach den Bestimmungen über
den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der Kommission brächte vor allem
die Gefahr mit sich, die Interessen der Streitparteien, und insbesondere deren
Verfahrensrechte, zu beeinträchtigen, und würde die besonderen Vorschriften über
die Vorlage von Dokumenten bei Gerichtsverfahren unterlaufen.“
- 21.
- In der Rechtssache T-50/96 (Primex Produkte Import-Export u. a./Kommission, Slg.
1998, II-3773) erklärte das Gericht die Entscheidung vom 26. Januar 1996 mit
Urteil vom 17. September 1998 für nichtig. Hiergegen legte die Kommission ein
Rechtsmittel ein (Rechtssache C-417/98 P).
Verfahren und Anträge der Parteien
- 22.
- Die Klageschrift im vorliegenden Verfahren ist am 9. Juni 1998 bei der Kanzlei des
Gerichts eingegangen. Die Rechtssache ist zunächst einer Kammer mit drei
Richtern zugewiesen worden. Nach Anhörung der Parteien hat das Gericht die
Rechtssache mit Entscheidung vom 20. April 1999 einer Kammer mit fünf Richtern
zugewiesen.
- 23.
- Das Gericht (Erste erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters
beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu
eröffnen.
- 24.
- Die Parteien haben in der öffentlichen Sitzung vom 19. Mai 1999 mündlich
verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.
- 25.
- Die Klägerin beantragt,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben;
hilfsweise, die Entscheidung insoweit aufzuheben, als die Klägerin die
Dokumente, zu denen sie Zugang beantragt hat, nicht bereits im Verfahren
in der Rechtssache T-50/96 erhalten hat;
der Kommission in jedem Fall die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 26.
- Die Kommission beantragt,
die Klage als unbegründet abzuweisen;
der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Begründetheit
- 27.
- Die Klägerin unterscheidet bei ihren Ausführungen zwischen den von der
Kommission erstellten Dokumenten und den von den Mitgliedstaaten oder den
argentinischen Behörden erstellten Dokumenten.
Die von der Kommission erstellten Dokumente
- 28.
- Die Klägerin macht drei Klagegründe geltend: Erstens habe die Kommission gegen
den Verhaltenskodex und den Beschluß 94/90, zweitens gegen Artikel 176 EG-Vertrag (jetzt Artikel 233 EG) in Verbindung mit dem Urteil Interporc I und
drittens gegen Artikel 190 EG-Vertrag (jetzt Artikel 253 EG) verstoßen.
Verstoß gegen den Verhaltenskodex und den Beschluß 94/90
Vorbringen der Parteien
- 29.
- Die Klägerin macht zunächst geltend, die zum Schutz des öffentlichen Interesses
vorgesehene Ausnahme betreffe, soweit sie sich auf die Rechtspflege beziehe,
ausschließlich Dokumente, die von der Kommission für ein Gerichtsverfahren
erstellt worden seien, nicht aber Dokumente, die unabhängig von einem solchen
Verfahren existierten. Dies habe das Gericht in seinem Urteil vom 19. März 1998
in der Rechtssache T-83/96 (Van der Wal/Kommission, Slg. 1998, II-545, Randnr.
50; im folgenden: Urteil Van der Wal) bestätigt, das mehr als einen Monat vor
Erlaß der angefochtenen Entscheidung ergangen sei.
- 30.
- Im vorliegenden Fall sei ohne jeden Zweifel keines der Dokumente, zu denen die
Klägerin Zugang beantragt habe, von der Kommission für ein bestimmtes
Gerichtsverfahren erstellt worden. Daher sei die zum Schutz des öffentlichen
Interesses vorgesehene Ausnahme, auf die sich die Kommission berufe, nicht
einschlägig.
- 31.
- Hilfsweise rügt die Klägerin, die Kommission lege nicht dar, welche
Verfahrensrechte bei einer Übermittlung der Dokumente gefährdet würden und
warum dies so sei.
- 32.
- Die Kommission macht geltend, sie habe mit der angefochtenen Entscheidung das
Urteil Van der Wal nicht nur respektiert, sondern sich durch dieses Urteil in ihrem
Vorgehen geradezu ermutigt gefühlt. Aus dem Urteil folge nämlich, daß sich die
Kommission auf die zum Schutz des öffentlichen Interesses (Rechtspflege)
vorgesehene Ausnahme selbst dann berufen könne, wenn sie nicht an einem
Gerichtsverfahren beteiligt sei.
- 33.
- Außerdem folge aus dem Ausdruck „insoweit“ in Randnummer 50 des Urteils Van
der Wal, daß ausschließlich in Fällen, in denen die Kommission nicht selbst an
einem Gerichtsverfahren beteiligt sei, zwischen Dokumenten, die eigens für ein
bestimmtes Gerichtsverfahren erstellt worden seien, und Dokumenten, die
unabhängig von einem solchen Verfahren existierten, zu unterscheiden und die zum
Schutz des öffentlichen Interesses vorgesehene Ausnahme auf die erste Gruppe von
Dokumenten zu beschränken sei.
- 34.
- In anderen Situationen, über die das Urteil Van der Wal nichts aussage,
rechtfertige es sich, Dokumente, die zwar nicht für ein bestimmtes
Gerichtsverfahren erstellt worden seien, aber dennoch mit einem solchen Verfahren
„zusammenhingen“, anders zu behandeln.
- 35.
- Wenn die Kommission ihrem Prozeßgegner Zugang zu Dokumenten gewähren
müsse, die Streitgegenstand eines anhängigen Verfahrens seien, würden ihre
Verteidigungsrechte gefährdet, deren Wahrung der Gerichtshof als fundamentalen
Grundsatz der Gemeinschaftsrechtsordnung angesehen habe (Urteil des
Gerichtshofes vom 18. Oktober 1989 in der Rechtssache 374/87,
Orkem/Kommission, Slg. 1989, 3283, Randnr. 32).
- 36.
- Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung jedoch klargestellt, daß die
betreffende Ausnahme nur für die Dauer des Verfahrens gelte, das sie schützen
soll.
- 37.
- Schließlich könne die Frage, ob die Klägerin oder ein anderer Zugang zu den
erbetenen Dokumenten erhalten könne, nur nach der Verfahrensordnung des
Gerichts oder des Gerichtshofes der Gemeinschaften als Lex specialis, nicht jedoch
auf der Grundlage des Verhaltenskodex geprüft werden, der allgemein das Recht
auf Zugang der Öffentlichkeit regele.
Würdigung durch das Gerichts
- 38.
- Nach dem Verhaltenskodex gibt es vom Recht auf Zugang zu Dokumenten zwei
Arten von Ausnahmen, von denen die eine ihrem Wortlaut nach zwingend, die
andere fakultativ gefaßt ist. Diese Ausnahmen sind eng auszulegen, damit die
Anwendung des allgemeinen Grundsatzes, der Öffentlichkeit „möglichst
umfassenden Zugang zu den Dokumenten der Kommission“ zu gewähren, nicht
beeinträchtigt wird (Urteil Interporc I, Randnr. 49, und Urteil des Gerichts vom 17.
Juni 1998 in der Rechtssache T-174/95, Svenska Journalistförbundet/Rat, Slg. 1998,
II-2289, Randnr. 110).
- 39.
- Vor Auslegung der betreffenden Ausnahmeregelung ist darauf hinzuweisen, daß
der Beschluß 94/90 eine größere Transparenz der Gemeinschaft bezweckt, da die
Transparenz des Beschlußverfahrens den demokratischen Charakter der Organe
und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung stärkt (Erklärung Nr. 17).
Ebenso ist die auf den Tagungen des Europäischen Rates geforderte Transparenz,
bei der es darum geht, daß die Öffentlichkeit gemäß dem allgemeinen Grundsatz
des Verhaltenskodex einen „möglichst umfassenden Zugang zu den Dokumenten“
erhält, von entscheidender Bedeutung für die tatsächliche und wirksame Kontrolle
der Bürger über die Ausübung der den Gemeinschaftsorganen verliehenen Macht
und damit für eine Stärkung des Vertrauens in die Verwaltung.
- 40.
- Angesichts dieser Erwägungen sowie der Verpflichtung, die Ausnahme eng
auszulegen, muß der Begriff „Rechtspflege“ in dem Sinn verstanden werden, daß
der Schutz des öffentlichen Interesses einer Weitergabe des Inhalts von
Dokumenten entgegensteht, die die Kommission nur für ein bestimmtes
Gerichtsverfahren erstellt hat.
- 41.
- Unter der Wendung „Dokumente, die nur für ein bestimmtes Gerichtsverfahren
erstellt worden sind,“ sind nicht nur die eingereichten Schriftsätze oder Dokumente
und die internen Schriftstücke, die die Bearbeitung der anhängigen Rechtssache
betreffen, zu verstehen, sondern auch der Schriftwechsel über die Rechtssache
zwischen der betroffenen Generaldirektion und dem Juristischen Dienst oder einer
Rechtsanwaltskanzlei. Diese Abgrenzung des Geltungsbereichs der Ausnahme soll
zum einen die Arbeit innerhalb der Kommission und zum anderen die
Vertraulichkeit und die Wahrung des Grundsatzes der beruflichen Schweigepflichtder Rechtsanwälte gewährleisten.
- 42.
- Dagegen kann sich die Kommission nicht aufgrund der im Verhaltenskodex zum
Schutz des öffentlichen Interesses (Rechtspflege) vorgesehenen Ausnahme der
Verpflichtung entziehen, Dokumente zugänglich zu machen, die im Rahmen einer
reinen Verwaltungsangelegenheit erstellt worden sind. Dieser Grundsatz gilt auch,
wenn die Vorlage dieser Dokumente für die Kommission in einem Verfahren vor
dem Gemeinschaftsrichter nachteilig sein könnte. Dabei ist es unerheblich, ob eine
Nichtigkeitsklage gegen die im Verwaltungsverfahren ergangene Entscheidung
erhoben worden ist.
- 43.
- Die von der Kommission vorgeschlagene Auslegung steht im Widerspruch zu einem
der Hauptzwecke des Beschlusses 94/90, nämlich den Bürgern die Möglichkeit zu
geben, die Ausübung öffentlicher Gewalt wirksamer auf ihre Rechtmäßigkeit hin
zu kontrollieren.
- 44.
- Was die Argumente der Kommission zum Geltungsbereich des Beschlusses 94/90
betrifft, so folgt aus dem Sinn und Zweck dieses Beschlusses, daß er generell auf
alle Anträge aus der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten anwendbar ist.
Auch wenn sich die Firma Interporc in der Rechtssache T-50/96 als Klägerin auf
die Vorschriften der Verfahrensordnung über prozeßleitende Maßnahmen oder auf
ihre Verteidigungsrechte berufen konnte, um einen Teil der Dokumente zu
erhalten, die sie ursprünglich mit ihrem Antrag vom 23. Februar 1996 erbeten
hatte, behält sie nichtsdestoweniger als Bürger die Möglichkeit, parallel dazu den
Zugang zu diesen Dokumenten gemäß dem Beschluß 94/90 zu beantragen. Die
Kommission hat im übrigen in ihrer Mitteilung von 1994 erklärt, daß nach dem
Erlaß des Verhaltenskodex durch den Beschluß 94/90 „nunmehr jedermann die
Einsicht in ein unveröffentlichtes Kommissionsdokument einschließlich der
vorbereitenden Dokumente oder sonstiger Materialien beantragen“ kann.
- 45.
- Diese Auslegung bestätigt die Präambel des Verhaltenskodex, in der es heißt, daß
„diese Grundsätze [d. h. das Recht auf Zugang zu den Dokumenten] die geltenden
Bestimmungen über den Zugang zu den Dossiers, die unmittelbar Personen
betreffen, die daran ein spezifisches Interesse haben, nicht berühren“. Damit wird
nur bekräftigt, daß die von der Kommission erlassenen Vorschriften über den
Zugang zu Informationen die Anwendung von speziellen Vorschriften über die
Akteneinsicht nicht berühren. Zudem ist damit nicht ausgeschlossen, daß eine
Berufung auf den Verhaltenskodex möglich ist, obwohl auch andere Vorschriften
einschlägig sind.
- 46.
- Schließlich hat die Klägerin dadurch, daß sie zu einem Teil der Dokumente, die sie
ursprünglich mit dem Antrag vom 23. Februar 1996 erbeten hatte, im Verfahren
T-50/96 Zugang erhalten hat, nicht das Recht verloren, die Herausgabe der ihr
nicht mitgeteilten Dokumente auf der Grundlage des Beschlusses 94/90 zu
beantragen.
- 47.
- Eine derartige Einschränkung des Geltungsbereichs des Beschlusses 94/90, für die
sich die Kommission ausspricht, müßte sich aus dem Beschluß selbst ergeben.
Dieser enthält aber keine entsprechende Bestimmung.
- 48.
- Infolgedessen hat die Kommission die zum Schutz des öffentlichen Interesses
(Rechtspflege) vorgesehene Ausnahmevorschrift unzutreffend angewandt, und die
Klägerin kann ihren Antrag auf Zugang zu den Dokumenten in der vorliegenden
Klage auf den Verhaltenskodex stützen.
- 49.
- Somit ist die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie den
Zugang zu den von der Kommission stammenden Dokumenten verweigert, ohne
daß die übrigen dazu von der Klägerin vorgetragenen Klagegründe untersucht zu
werden brauchen.
Die von den Mitgliedstaaten oder den argentinischen Behörden stammenden
Dokumente
- 50.
- Die Klägerin macht drei Klagegründe geltend: erstens die Rechtswidrigkeit der
angefochtenen Entscheidung, soweit diese auf die Urheberregel gestützt wird,
zweitens eine Verletzung des Beschlusses 94/90 und des Verhaltenskodex und
drittens einen Verstoß gegen Artikel 190 EG-Vertrag.
Der Klagegrund der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung, soweit diese
auf die Urheberregel gestützt wird
Vorbringen der Parteien
- 51.
- Die Klägerin macht geltend, der Generalsekretär hätte nach Artikel 2 Absatz 2 des
Beschlusses 94/90 aufgrund des Zweitantrags vom 27. März 1996 erneut eine
vollständige Prüfung des Antrags auf Aktieneinsicht vornehmen und infolgedessen
untersuchen müssen, ob die von den Generaldirektoren der GD VI und XXI für
die Ablehnung ihres Bescheids angeführten Gründe stichhaltig seien.
- 52.
- Da der Generalsekretär in seiner Entscheidung vom 29. Mai 1996 zu der als Grund
angeführten Urheberregel nicht Stellung genommen habe, könne er sich nun nicht
mehr darauf berufen. Daher müsse die angefochtene Entscheidung für nichtig
erklärt werden, soweit sie sich erneut auf die Urheberregel stütze.
- 53.
- Nach Auffassung der Kommission muß die Überprüfung eines Zweitantrags in
bezug auf die gewünschten Dokumente vollständig sein. Der Generalsekretär könne
seine Entscheidung jedoch auf einen einzigen, sie tragenden Grund stützen. Die
angefochtene Entscheidung könne sich folglich auf Gründe stützen, die in der durch
das Urteil Interporc I für nichtig erklärten Entscheidung vom 29. Mai 1996 nicht
untersucht worden seien.
Würdigung des Gerichts
- 54.
- Zunächst ist der Ablauf des Verwaltungsverfahrens in Erinnerung zu rufen. Die
Klägerin beantragte mit Schreiben vom 23. Februar 1996 Einsicht in bestimmte
Dokumente über die Kontrolle der Einfuhren von „Hilton-Beef-“Fleisch, zu denen
auch die hier streitigen Dokumente gehören. Die Generaldirektoren der GD VI
und XXI lehnten die Anträge auf Akteneinsicht mit Schreiben vom 22. und 25.
März 1996 unter Berufung auf die zum Schutz des öffentlichen Interesses
(internationale Beziehungen) vorgesehene Ausnahme, die Urheberregel sowie die
zum Schutz des öffentlichen Interesses (Inspektionstätigkeiten) und die zum Schutz
des einzelnen und der Privatsphäre vorgesehenen Ausnahmen ab. Der
Prozeßvertreter der Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 27. März 1996 an den
Generalsekretär der Kommission gegen diese Ablehnungsgründe und stellte einen
Zweitantrag. Der Generalsekretär lehnte mit Schreiben vom 29. Mai 1996 den
Zweitantrag unter Berufung auf die zum Schutz des öffentlichen Interesses
(Rechtspflege) vorgesehene Ausnahme ab. Im Urteil Interporc I stellte das Gericht
fest, daß die Entscheidung vom 29. Mai 1996 unzureichend begründet sei, und
erklärte sie für nichtig. Im Rahmen der Umsetzung des Urteils Interporc I lehnte
der Generalsekretär den Zweitantrag erneut ab, berief sich dabei aber nicht nur
auf die zum Schutz des öffentlichen Interesses (Rechtspflege) vorgesehene
Ausnahme, sondern auch auf die Urheberregel.
- 55.
- Aus dem Urteil Interporc I folgt zum einen, daß der Generalsekretär nach Artikel
176 EG-Vertrag verpflichtet war, zur Umsetzung dieses Urteils eine neue
Entscheidung zu treffen, und zum anderen, daß die Entscheidung vom 29. Mai 1996
so anzusehen war, als wenn sie nie bestanden hätte.
- 56.
- Somit läßt sich aus Artikel 2 Absatz 2 des Beschlusses 94/90 und der Mitteilung von
1994 nicht herleiten, daß der Generalsekretär keine anderen Gründe anführen
durfte als die, die er in seiner ursprünglichen Entscheidung behandelt hatte. Er
konnte also die Anträge auf Akteneinsicht erneut vollständig prüfen und die
angefochtene Entscheidung auf die Urheberregel stützen.
- 57.
- Somit ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.
Der Klagegrund einer Verletzung des Beschlusses 94/90 und des Verhaltenskodex
Vorbringen der Parteien
- 58.
- Nach Auffassung der Klägerin ergibt sich aus dem Verhaltenskodex, insbesondere
aus dem Begriff des Dokuments, daß die Kommission Zugang zu allen in ihrem
Besitz befindlichen Dokumenten unabhängig davon gewähren müsse, wer Urheber
des jeweiligen Dokuments sei. In diesem Zusammenhang verweist die Klägerin
auch auf die Erklärung Nr. 17, die die „den Organen vorliegenden Informationen“
erwähne.
- 59.
- Die Urheberregel, wonach der Verhaltenskodex nicht für Dokumente gelte, die
nicht von der Kommission verfaßt seien, sei unzulässig. Eine Verfahrensvorschrift
dürfe den Geltungsbereich dieses Kodex nicht einschränken, indem sie bestimmte
Dokumente von diesem ausnehme. Die Urheberregel sei mithin nichtig, denn sie
verstoße gegen den Grundsatz dieses mit dem Beschluß 94/90 angenommenen
Kodex.
- 60.
- Jedenfalls stehe die Begründung der angefochtenen Entscheidung durch die
Bezugnahme auf die Urheberregel im Widerspruch zu den allgemeinen
Grundsätzen des Verhaltenskodex. Sie sei auch rechtsmißbräuchlich, weil sie die
betreffenden Dokumente vom Geltungsbereich des Verhaltenskodex ausnehme.
- 61.
- Hilfsweise macht die Klägerin geltend, die Urheberregel sei eng auszulegen, damit
sie mit dem Grundsatz eines möglichst umfassenden Zugangs der Öffentlichkeit zu
Dokumenten vereinbar bleibe.
- 62.
- Die Kommission macht geltend, daß im Verhaltenskodex auf den Grundsatz eines
möglichst umfassenden Zugangs zu den Dokumenten die Urheberregel folge, die
somit den Geltungsbereich des Kodex begrenze. Außerdem nehme der
Verhaltenskodex auf die Erklärung Nr. 17 nur vage Bezug, und diese Erklärung
empfehle der Kommission im wesentlichen nur, einen Bericht vorzulegen. Jedoch
hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, daß die
Urheberregel ihr nicht verbiete, Zugang zu den betreffenden Dokumenten zu
gewähren, sondern ihr die Weitergabe dieser Dokumente nur freistelle. Nach
Ansicht der Kommission gibt es auch keinen höherrangigen Rechtsgrundsatz, auf
den sich die Klägerin zur Begründung einer möglichen Nichtigkeit der
Urheberregel berufen könnte.
- 63.
- Außerdem habe die Klägerin einen Rechtsmißbrauch in keiner Weise dargetan.
- 64.
- Schließlich macht die Kommission hilfsweise geltend, im vorliegenden Fall stelle
sich die Frage nach einer weiten oder engen Auslegung der Urheberregel nicht.
Die Klägerin versuche nur, diese Regel schlechthin zu beseitigen.
Würdigung durch das Gericht
- 65.
- Bezüglich der Frage eines Ausschlusses der Urheberregel ist zunächst darauf
hinzuweisen, daß der Gerichtshof in seinem Urteil vom 30. April 1996 in der
Rechtssache C-58/94 (Niederlande/Rat, Slg. 1996, I-2169, Randnr. 37) zum Recht
der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten folgendes festgestellt hat:
„Solange der Gemeinschaftsgesetzgeber keine allgemeine Regelung über das Recht
der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Dokumenten, die im Besitz der
Gemeinschaftsorgane sind, erlassen hat, müssen diese die Maßnahmen, die die
Behandlung darauf gerichteter Anträge betreffen, aufgrund ihrer internen
Organisationsgewalt erlassen, in deren Rahmen sie geeignete Maßnahmen treffen
können, um das reibungslose Arbeiten ihrer Dienststellen im Interesse einer
ordnungsgemäßen Verwaltung zu gewährleisten.“
- 66.
- Nach diesem Urteil kann die Urheberregel angewandt werden, solange es keinen
höherrangigen Rechtsgrundsatz gibt, nach dem die Kommission nicht befugt ist, in
dem Beschluß 94/90 Dokumente, deren Urheber sie nicht ist, vom Geltungsbereich
des Verhaltenskodex auszunehmen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß der
Beschluß 94/90 auf allgemeine politische Erklärungen Bezug nimmt, nämlich die
Erklärung Nr. 17 und auf mehreren Tagungen des Europäischen Rates getroffene
Schlußfolgerungen, da diesen Erklärungen nicht die Bedeutung eines höherrangigen
Rechtsgrundsatzes zukommt.
- 67.
- Bei der Auslegung der Urheberregel ist zu beachten, daß zum einen in der
Erklärung Nr. 17 und im Verhaltenskodex der allgemeine Grundsatz niedergelegt
ist, daß die Öffentlichkeit einen möglichst umfassenden Zugang zu den im Besitz
der Kommission und des Rates befindlichen Dokumenten haben soll, und daß zum
anderen der Beschluß 94/90 dem Bürger ein Recht auf Zugang zu den im Besitz
der Kommission befindlichen Dokumenten einräumt (Urteil WWF
UK/Kommission, Randnr. 55).
- 68.
- Besteht ein allgemeiner Grundsatz und sind von diesem Ausnahmen vorgesehen,
so sind diese eng auszulegen und anzuwenden, damit die Anwendung des
allgemeinen Grundsatzes nicht beeinträchtigt wird (siehe die Urteile WWF
UK/Kommission, Randnr. 56, und Interporc I, Randnr. 49).
- 69.
- Die Urheberregel stellt unabhängig von ihrer Qualifizierung eine Einschränkung
des allgemeinen Transparenzgrundsatzes des Beschlusses 94/90 dar. Sie ist deshalb
eng auszulegen und anzuwenden, um die Geltung des allgemeinen
Transparenzgrundsatzes nicht zu beeinträchtigen (Urteil des Gerichts vom 19. Juli
1999 in der Rechtssache T-188/97, Rothmans International/Kommission, Slg. 1999,
II-0000, Randnrn. 53 bis 55).
- 70.
- In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission eingeräumt, daß die
Anwendung der Urheberregel Schwierigkeiten mit sich bringen kann, wenn
zweifelhaft ist, wer der Urheber eines Dokuments ist. Gerade in diesen Fällen ist
die Urheberregel eng auszulegen und anzuwenden.
- 71.
- Anhand dieser Feststellungen ist zu beurteilen, ob die Urheberregel auf die in der
angefochtenen Entscheidung angeführten fünf Gruppen von Dokumenten
anwendbar ist, die von den Mitgliedstaaten oder den argentinischen Behörden
stammen.
- 72.
- Zu diesen fünf Gruppen von Dokumenten, um die es geht, gehören erstens die
Meldungen der Mitgliedstaaten über die von 1985 bis 1992 aus Argentinien
eingeführten Mengen „Hilton“-Rindfleisch, zweitens die Meldungen der
argentinischen Behörden über die in diesem Zeitraum in die Gemeinschaft
ausgeführten Mengen „Hilton“-Rindfleisch, drittens die Dokumente der
argentinischen Behörden über die Bestimmung der für die Ausstellung der
Echtheitsbescheinigungen zuständigen Stellen, viertens die Dokumente der
argentinischen Behörden über den Abschluß einer Vereinbarung über die
Eröffnung eines „Hilton“-Kontingents und fünftens die Stellungnahmen der
Mitgliedstaaten in ähnlichen Fällen.
- 73.
- Die Prüfung dieser fünf Gruppen von Dokumenten ergibt, daß deren Urheber
entweder die Mitgliedstaaten oder die argentinischen Behörden sind.
- 74.
- Infolgedessen hat die Kommission die Urheberregel zutreffend angewandt, als sie
sich nicht für verpflichtet hielt, Zugang zu diesen Dokumenten zu gewähren. Ihr
kann somit kein Rechtsmißbrauch vorgeworfen werden. Der Klagegrund einer
Verletzung des Beschlusses 94/90 und des Verhaltenskodex ist somit als
unbegründet zurückzuweisen.
Der Klagegrund eines Verstoßes gegen Artikel 190 EG-Vertrag
Vorbringen der Parteien
- 75.
- Nach Auffassung der Klägerin hätte die Kommission in der angefochtenen
Entscheidung darlegen müssen, warum die Verweigerung des Zugangs zu den von
den Mitgliedstaaten oder den argentinischen Behörden stammenden Dokumenten
aufgrund der Urheberregel gerechtfertigt sei. Die Kommission habe somit gegen
Artikel 190 EG-Vertrag verstoßen.
- 76.
- Die Kommission hält ihren Hinweis in der angefochtenen Entscheidung, sie sei
nicht Urheber der erbetenen Dokumente, für eine vollständig ausreichende
Begründung für die Anwendung der Urheberregel.
Würdigung durch das Gericht
- 77.
- Nach ständiger Rechtsprechung muß die nach Artikel 190 EG-Vertrag erforderliche
Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den angefochtenen
Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, daß die
Betroffenen zur Verteidigung ihrer Rechte die tragenden Gründe für die getroffene
Maßnahme erkennen können und der Gemeinschaftsrichter seine
Rechtmäßigkeitskontrolle ausüben kann (Urteil WWF UK/Kommission, Randnr.
66).
- 78.
- Im vorliegenden Fall hat die Kommission in der angefochtenen Entscheidung (vgl.
Randnr. 20) die Urheberregel angeführt und die Klägerin darauf hingewiesen, daß
sie eine Kopie der fraglichen Dokumente bei den betroffenen Mitgliedstaaten oder
den argentinischen Behörden beantragen müsse. Eine derartige Begründung bringt
die Überlegungen der Kommission klar zum Ausdruck. Somit konnte die Klägerin
die Gründe für die angefochtene Entscheidung erkennen und das Gericht seine
Rechtmäßigkeitskontrolle ausüben. Die Klägerin verlangt daher zu Unrecht eine
eingehendere Begründung (vgl. in diesem Sinne Urteil Rothmans
International/Kommission, Randnr. 37).
- 79.
- Somit ist dieser Klagegrund zurückzuweisen. Infolgedessen ist die angefochtene
Entscheidung nicht aufzuheben, soweit sie die von den Mitgliedstaaten oder den
argentinischen Behörden stammenden Dokumente betrifft.
Kosten
- 80.
- Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag
zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach § 3 dieser Vorschrift kann das Gericht
die Kosten jedoch teilen oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten
trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da jede Partei mit ihrem
Vorbringen teils obsiegt hat und teils unterlegen ist, trägt jede Partei ihre eigenen
Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Entscheidung der Kommission vom 23. April 1998 wird für nichtig
erklärt, soweit damit der Klägerin der Zugang zu von der Kommission
stammenden Dokumenten verweigert wird.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
Vesterdorf Bellamy
Pirrung
Meij Vilaras
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 7. Dezember 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
B. Vesterdorf