SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ATHANASIOS RANTOS

vom 8. September 2022(1)

Rechtssache C707/20

Gallaher Limited

gegen

The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs

(Vorabentscheidungsersuchen des Upper Tribunal [Tax and Chancery Chamber] [Rechtsmittelgericht (Kammer für Steuer- und Finanzsachen)], Vereinigtes Königreich)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 49, 63 und 64 AEUV – Konzerninterne Übertragung von Vermögenswerten – In einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft mit einer Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat und einer Schwestergesellschaft in einem Drittstaat – Übertragung der geistigen Eigentumsrechte von der in dem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft auf ihre Schwestergesellschaft für eine dem Marktwert entsprechende Gegenleistung – Steuerbefreiung oder Besteuerung je nach dem Sitzstaat der Empfängergesellschaft“






 Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber) (Rechtsmittelgericht [Kammer für Steuer- und Finanzsachen], Vereinigtes Königreich) betrifft die Auslegung der Art. 49, 63 und 64 AEUV.

2.        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gallaher Limited (im Folgenden: GL), einer Gesellschaft mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich, und den Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs (Steuer- und Zollverwaltung, Vereinigtes Königreich, im Folgenden: Steuerverwaltung). Gegenstand dieses Rechtsstreits ist die Besteuerung von GL wegen zweier Übertragungen von Vermögenswerten auf Gesellschaften, die demselben Konzern angehören, deren steuerlicher Sitz sich aber nicht im Vereinigten Königreich befindet, wobei GL nicht berechtigt ist, die Entrichtung der Steuer aufzuschieben. Konkret bestanden diese Vorgänge erstens in einer Veräußerung der geistigen Eigentumsrechte an Tabakmarken an eine Schwestergesellschaft von GL mit steuerlichem Sitz in der Schweiz (im Folgenden: Veräußerung von 2011) und zweitens in einer Veräußerung der Aktien an einer Tochtergesellschaft von GL an deren zwischengeschaltete Muttergesellschaft mit Sitz in den Niederlanden (im Folgenden: Veräußerung von 2014).

3.        Im Ausgangsrechtsstreit rügt GL, die von der Steuerverwaltung Bescheide über die Festsetzung der Höhe der mit diesen beiden Veräußerungen realisierten steuerpflichtigen Wertzuwächse und Gewinne erhielt, im Wesentlichen eine steuerliche Ungleichbehandlung gegenüber konzerninternen Übertragungen zwischen Gesellschaften mit Sitz oder ständiger Niederlassung im Vereinigten Königreich, die von der Körperschaftsteuer befreit seien. Denn nach den im Vereinigten Königreich geltenden „Group Transfer Rules“ (Vorschriften über konzerninterne Übertragungen) wäre bei einer Übertragung derselben Vermögenswerte auf eine Mutter- oder Schwestergesellschaft mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich (bzw. ohne Sitz im Vereinigten Königreich, aber mit einer dort über eine ständige Niederlassung betriebenen Geschäftstätigkeit) die im Ausgangsverfahren fragliche Steuerpflicht nicht entstanden, da diese Veräußerungen als steuerlich neutral angesehen würden.

4.        Es stellt sich daher die Frage, ob die Entstehung einer Steuerpflicht ohne das Recht auf Aufschub der Steuerzahlung für diese beiden Veräußerungen mit dem Unionsrecht, namentlich mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV (für beide Veräußerungen) und dem Recht auf freien Kapitalverkehr nach Art. 63 AEUV (für die Veräußerung von 2011), vereinbar ist.

5.        Wie vom Gerichtshof gewünscht, werde ich mich in den vorliegenden Schlussanträgen auf die Prüfung der dritten, der fünften und der sechsten Vorlagefrage konzentrieren(2). Diese Fragen laufen im Wesentlichen darauf hinaus, ob Vorschriften über konzerninterne Übertragungen, wie sie Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind, die Niederlassungsfreiheit insofern beeinträchtigen können, als eine unterschiedliche steuerliche Behandlung erfolgt, je nachdem, ob die an der fraglichen konzerninternen Übertragung beteiligten Gesellschaften alle beide im Vereinigten Königreich ansässig sind oder ob eine von ihnen in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist. Für den Fall, dass ein Verstoß gegen das Unionsrecht vorliegen sollte, möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Abhilfemaßnahmen geeignet wären.

6.        Als Ergebnis meiner rechtlichen Würdigung werde ich diese Vorschriften für mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar erachten, denn die unterschiedliche Behandlung entgeltlicher inländischer und grenzüberschreitender Übertragungen von Vermögenswerten innerhalb eines Konzerns kann grundsätzlich durch das Erfordernis gerechtfertigt werden, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zu wahren, ohne dass die Möglichkeit eines Aufschubs der Steuerzahlung vorgesehen werden müsste, um die Verhältnismäßigkeit dieser Beschränkung zu gewährleisten.

 Rechtlicher Rahmen

 Allgemeine Grundsätze der Körperschaftsteuer im Vereinigten Königreich

7.        Nach den Sections 2 und 5 des Corporation Tax Act 2009 (Körperschaftsteuergesetz von 2009, im Folgenden: CTA 2009) und nach Section 8 des Taxation of Chargeable Gains Act 1992 (Gesetz über die Besteuerung steuerpflichtiger Gewinne von 1992, im Folgenden: TCGA 1992) ist eine Gesellschaft mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich für alle ihre im jeweiligen Geschäftsjahr erzielten Gewinne (einschließlich der Wertzuwächse) körperschaftsteuerpflichtig.

8.        Gemäß Section 5(3) CTA 2009 ist eine Gesellschaft, deren steuerlicher Sitz sich nicht im Vereinigten Königreich befindet, die dort aber über eine ständige Niederlassung eine Geschäftstätigkeit betreibt, für die dieser ständigen Niederlassung zuzurechnenden Gewinne körperschaftsteuerpflichtig. Außerdem ist eine solche Gesellschaft nach Section 10 B TCGA 1992 für bei der Veräußerung von Vermögenswerten realisierte Wertzuwächse körperschaftsteuerpflichtig, wenn diese Vermögenswerte im Vereinigten Königreich belegen sind und für die Zwecke der Geschäftstätigkeit oder der ständigen Niederlassung genutzt werden. Diese Vermögenswerte gelten gemäß Section 171(1 A) TCGA 1992 als „steuerpflichtige Vermögenswerte“.

9.        Nach den Sections 17 und 18 TCGA 1992 gilt die Veräußerung eines Vermögenswerts als für eine Gegenleistung zum Marktwert erfolgt, wenn sie nicht zu anderen als marktüblichen Bedingungen stattfindet oder wenn sie zugunsten einer verbundenen Person getätigt wird.

 Vorschriften über konzerninterne Übertragungen im Vereinigten Königreich

10.      Nach Section 171 TCGA 1992 sowie den Sections 775 und 776 CTA 2009 (im Folgenden zusammen: Vorschriften über konzerninterne Übertragungen) muss eine Veräußerung von Vermögenswerten zwischen im Vereinigten Königreich körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaften ein und desselben Konzerns steuerneutral erfolgen.

11.      Im Einzelnen gilt nach Section 171 TCGA 1992 eine Veräußerung von Vermögenswerten innerhalb eines Konzerns von einer im Vereinigten Königreich körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaft A an eine andere dort ebenfalls körperschaftsteuerpflichtige Gesellschaft B als für eine Gegenleistung erfolgt, bei der weder ein Mehrwert noch ein Verlust anfällt (mit der Folge, dass B so behandelt wird, als habe sie die Vermögenswerte zu den gleichen Kosten erworben, zu denen A sie erworben hatte). Eine Steuerpflicht kann jedoch später entstehen, wenn bei der Veräußerung der Vermögenswerte ein Mehrwert unter Umständen realisiert wird, unter denen Section 171 TCGA 1992 keine Anwendung findet (z. B. wenn B die Vermögenswerte außerhalb des Konzerns oder an eine Konzerngesellschaft veräußert, die im Vereinigten Königreich nicht körperschaftsteuerpflichtig ist).

12.      Ebenso wenig entsteht bei Anwendung von Section 775 CTA 2009 eine Steuerpflicht (oder ein Verlustausgleich), wenn innerhalb eines Konzerns immaterielle Vermögenswerte von einer im Vereinigten Königreich körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaft A an eine andere dort ebenfalls körperschaftsteuerpflichtige Gesellschaft B übertragen werden. Denn B wird so behandelt, als sei sie schon Eigentümerin des betreffenden Vermögenswerts gewesen, als dieser noch im Eigentum von A stand, und als habe sie ihn zu den gleichen Kosten erworben, zu denen A ihn erworben hatte. Eine Steuerpflicht kann jedoch später insbesondere dann entstehen, wenn die Vermögenswerte unter Umständen veräußert werden, unter denen Section 775 CTA 2009 keine Anwendung findet (d. h. wenn die Veräußerung außerhalb des Konzerns stattfindet oder an eine Gesellschaft erfolgt, die im Vereinigten Königreich nicht steuerpflichtig ist).

 Geltende Doppelbesteuerungsabkommen

13.      Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland hat mit anderen Hoheitsgebieten zahlreiche Verträge und Abkommen in der Regel auf der Grundlage des Mustersteuerabkommens der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geschlossen. Insbesondere sieht Art. 13 Abs. 5 des Abkommens zwischen dem Vereinigten Königreich und der Schweiz zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vor, dass Gewinne aus der Veräußerung von Vermögenswerten, wie sie Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, nur in dem Hoheitsgebiet besteuert werden können, in dem der Veräußerer ansässig ist.

 Vorschriften über die Entrichtung der Körperschaftsteuer im Vereinigten Königreich

14.      Gemäß Section 59D des Taxes Management Act 1970 (Gesetz über die Steuerverwaltung von 1970) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: TMA 1970) ist die Körperschaftsteuer für ein Geschäftsjahr neun Monate und einen Tag nach dem Ende dieses Jahres zu entrichten. Außerdem kann nach den Sections 55 und 56 TMA 1970 für den Fall, dass ein Bescheid (einschließlich eines Bescheids über einen Teilabschluss) der Steuerverwaltung zur Änderung einer Erklärung einer Gesellschaft für einen bestimmten Abrechnungszeitraum vor dem First-tier Tribunal (Tax Chamber) (erstinstanzliches Gericht [Kammer für Steuersachen], Vereinigtes Königreich) angefochten wurde, die Zahlung der festgesetzten Steuer im Einvernehmen mit der Steuerverwaltung oder auf Antrag bei diesem Gericht aufgeschoben werden, so dass diese Steuer erst fällig wird, wenn über die bei diesem Gericht erhobene Klage entschieden worden ist.

 Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

15.      GL ist eine Gesellschaft mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich, die zur Unternehmensgruppe Japan Tobacco Inc. (JT) gehört, einem globalen Tabakkonzern, der seine Produkte in 130 Ländern weltweit vertreibt. An der Spitze des Konzerns steht eine börsennotierte Gesellschaft mit steuerlichem Sitz in Japan.

16.      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Leitung des JT‑Konzerns in Europa die in den Niederlanden ansässige Gesellschaft JTIH (im Folgenden: niederländische Gesellschaft) innehat, die mittelbar die Muttergesellschaft von GL ist, wobei die niederländische Gesellschaft mit GL über vier andere Gesellschaften verbunden ist, die allesamt im Vereinigten Königreich ansässig sind.

17.      2011 veräußerte GL an eine Schwestergesellschaft, die eine unmittelbare Tochtergesellschaft der niederländischen Gesellschaft ist, nämlich an die in der Schweiz ansässige JTISA (im Folgenden: schweizerische Gesellschaft) Rechte des geistigen Eigentums in Bezug auf Tabakmarken und damit verbundene Vermögenswerte (Veräußerung von 2011). Das Entgelt, das GL als Gegenleistung erhielt, wurde von der schweizerischen Gesellschaft gezahlt, der zu diesem Zweck von der niederländischen Gesellschaft konzerninterne Darlehen in Höhe des Entgelts gewährt worden waren.

18.      2014 veräußerte GL sämtliche Anteile, die sie an einer ihrer Tochtergesellschaften, einer auf der Isle of Man ansässigen Gesellschaft, hielt, an die niederländische Gesellschaft (Veräußerung von 2014).

19.      Die Steuerverwaltung erließ zwei Bescheide (über einen Teilabschluss), mit denen die Höhe der von GL mit den Veräußerungen von 2011 und von 2014 in den jeweiligen Abrechnungszeiträumen realisierten steuerpflichtigen Wertzuwächse und Gewinne festgesetzt wurde. Da die Erwerber steuerlich nicht im Vereinigten Königreich ansässig waren, entstand für den Wertzuwachs der Vermögenswerte eine sofortige Steuerpflicht, wobei keine Bestimmung im Steuerrecht des Vereinigten Königreichs einen Aufschub dieser Pflicht oder eine Zahlung in Raten vorsah.

20.      GL erhob ursprünglich zwei Klagen gegen diese Bescheide vor dem First-tier Tribunal (Tax Chamber) (erstinstanzliches Gericht [Kammer für Steuersachen]).

21.      Mit der die Übertragung von 2011 betreffenden Klage machte GL geltend, durch die fehlende Befugnis, die Zahlung der Steuerschuld aufzuschieben, werde die Niederlassungsfreiheit der niederländischen Gesellschaft, hilfsweise, das Recht dieser Gesellschaft und/oder von GL auf freien Kapitalverkehr beschränkt. Wenngleich das Vereinigte Königreich aufgrund einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis die realisierten Wertzuwächse besteuern dürfe, sei es außerdem unverhältnismäßig, die sofortige Zahlung der Steuer ohne Option eines Zahlungsaufschubs zu verlangen.

22.      Mit der die Übertragung von 2014 betreffenden Klage machte GL geltend, durch die fehlende Befugnis, die Zahlung der Steuerschuld aufzuschieben, werde die Niederlassungsfreiheit der niederländischen Gesellschaft beschränkt. Wenngleich das Vereinigte Königreich aufgrund einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis grundsätzlich die realisierten Wertzuwächse besteuern dürfe, sei es außerdem unverhältnismäßig, die sofortige Zahlung der Steuer ohne Option eines Zahlungsaufschubs zu verlangen. Nach Erhebung dieser Klage schob GL die Zahlung der Körperschaftsteuer bis zur Entscheidung in der Hauptsache auf, wozu sie gemäß Section 55 TMA 1970 berechtigt war.

23.      Das First-tier Tribunal (Tax Chamber) (erstinstanzliches Gericht [Kammer für Steuersachen]) entschied, dass jede Veräußerung auf triftigen wirtschaftlichen Gründen beruht habe(3), dass keine dieser Veräußerungen Teil rein künstlicher Gestaltungen ohne Bezug zur wirtschaftlichen Realität gewesen sei und dass bei keiner dieser Veräußerungen eine Steuerhinterziehung das Hauptziel oder eines der Hauptziele dargestellt habe.

24.      Nach Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts war in Bezug auf die angefochtene Veräußerung von 2014 gegen das Unionsrecht verstoßen worden, nicht jedoch in Bezug auf die angefochtene Veräußerung von 2011. Es gab somit der 2014 betreffenden Klage statt, während es die 2011 betreffende Klage abwies.

25.      In Bezug auf die Klage betreffend die Veräußerung von 2011 entschied es u. a., die Niederlassungsfreiheit der niederländischen Gesellschaft sei nicht beschränkt. Das Recht auf freien Kapitalverkehr könne nicht geltend gemacht werden, da die fragliche Regelung nur für Konzerne gelte, die aus Gesellschaften unter gemeinsamer Kontrolle bestünden.

26.      In Bezug auf die Klage betreffend die Veräußerung von 2014 entschied es u. a., dass eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der niederländischen Gesellschaft vorliege, dass diese Gesellschaft objektiv mit einer im Vereinigten Königreich steuerpflichtigen Gesellschaft vergleichbar sei  und dass es unverhältnismäßig sei, das Recht auf Aufschub der Steuerzahlung auszuschließen.

27.      GL legte hinsichtlich der Veräußerung von 2011 Berufung beim vorlegenden Gericht ein. Die Steuerverwaltung legte bei diesem Gericht Berufung hinsichtlich der Veräußerung von 2014 ein.

28.      Das vorlegende Gericht führt aus, im nationalen Verfahren stelle sich die Frage, ob eine Besteuerung der Veräußerungen von 2011 und 2014 ohne das Recht auf Aufschub der Steuerzahlung mit dem Unionsrecht vereinbar sei, und zwar insbesondere mit der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV in Bezug auf beide Veräußerungen und mit dem freien Kapitalverkehr gemäß Art. 63 AEUV in Bezug auf die Veräußerung von 2011. Für den Fall, dass eine solche Besteuerung ohne das Recht auf Aufschub der Steuerzahlung unionsrechtswidrig sein sollte, müsse sodann geklärt werden, welche Abhilfemaßnahmen geeignet seien.

29.      Unter diesen Umständen hat das Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber) (Rechtsmittelgericht [Kammer für Steuer- und Finanzsachen]) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Kann Art. 63 AEUV im Zusammenhang mit einer innerstaatlichen Regelung wie den Vorschriften über konzerninterne Übertragungen, die nur auf Konzerne anwendbar sind, geltend gemacht werden?

2.      Falls Art. 63 AEUV im Zusammenhang mit den Vorschriften über konzerninterne Übertragungen nicht allgemein geltend gemacht werden kann, kann er dennoch geltend gemacht werden

a)      im Zusammenhang mit den Kapitalbewegungen von einer in einem Mitgliedstaat der Union ansässigen Muttergesellschaft zu einer in der Schweiz ansässigen Tochtergesellschaft, wenn die Muttergesellschaft sowohl an der in der Schweiz ansässigen Tochtergesellschaft als auch an der im Vereinigten Königreich ansässigen Tochtergesellschaft, der die Steuerlast auferlegt wird, zu 100 % beteiligt ist?

b)      im Zusammenhang mit der Kapitalbewegung von einer im Vereinigten Königreich ansässigen 100%igen Tochtergesellschaft zu einer in der Schweiz ansässigen 100%igen Tochtergesellschaft derselben in einem Mitgliedstaat der Union ansässigen Muttergesellschaft, wobei die beiden Gesellschaften Schwestergesellschaften sind und nicht in einem Mutter-Tochter-Verhältnis stehen?

3.      Stellt eine Regelung wie die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen, wonach eine Übertragung von Vermögenswerten von einer im Vereinigten Königreich ansässigen Gesellschaft auf eine in der Schweiz ansässige Schwestergesellschaft (die nicht über eine ständige Niederlassung im Vereinigten Königreich Geschäfte betreibt) sofort besteuert wird, wenn diese beiden Gesellschaften 100%ige Tochtergesellschaften einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen gemeinsamen Muttergesellschaft sind, während unter den gleichen Umständen eine solche Übertragung steuerlich neutral wäre, wenn die Schwestergesellschaft ebenfalls im Vereinigten Königreich ansässig wäre (oder über eine ständige Niederlassung im Vereinigten Königreich Geschäfte betreiben würde), eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Muttergesellschaft nach Art. 49 AEUV oder gegebenenfalls eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nach Art. 63 AEUV dar?

4.      Wenn Art. 63 AEUV geltend gemacht werden könnte:

a)      War die Übertragung der Marken und der zugehörigen Vermögenswerte von GL auf die schweizerische Gesellschaft für eine Gegenleistung, die den Marktwert der Marken widerspiegeln sollte, eine Kapitalbewegung im Sinne von Art. 63 AEUV?

b)      Stellten die Kapitalbewegungen der niederländischen Gesellschaft an die schweizerische Gesellschaft, ihre in der Schweiz ansässige Tochtergesellschaft, Direktinvestitionen im Sinne von Art. 64 AEUV dar?

c)      Da Art. 64 AEUV nur für bestimmte Arten von Kapitalbewegungen gilt, kann er unter Umständen angewandt werden, unter denen Kapitalbewegungen sowohl als Direktinvestitionen (auf die Art. 64 AEUV Bezug nimmt) als auch als eine andere Kategorie von Kapitalbewegungen, auf die Art. 64 AEUV nicht Bezug nimmt, angesehen werden können?

5.      Falls eine Beschränkung vorliegt, wobei unstreitig ist, dass sie grundsätzlich aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses (nämlich der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis) gerechtfertigt ist, ist diese Beschränkung erforderlich und verhältnismäßig im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere in einem Kontext, in dem der betreffende Steuerpflichtige einen Erlös aus der Veräußerung des Vermögenswerts erzielt hat, der dessen vollem Marktwert entspricht?

6.      Falls ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit und/oder das Recht auf freien Kapitalverkehr vorliegt:

a)      Verlangt das Unionsrecht, die innerstaatliche Regelung so auszulegen oder unangewendet zu lassen, dass GL eine Option zukommt, die Entrichtung der Steuer aufzuschieben?

b)      Ist dies der Fall, verlangt das Unionsrecht, die innerstaatliche Regelung so auszulegen oder unangewendet zu lassen, dass GL eine Option zukommt, die Entrichtung der Steuer aufzuschieben, bis die Vermögenswerte außerhalb der Untergruppe veräußert sind, deren Muttergesellschaft die in dem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft ist (d. h. „auf Realisierungsbasis“), oder kann eine Option, die Steuer in Raten zu entrichten (d. h. „auf Ratenzahlungsbasis“), eine verhältnismäßige Abhilfe bieten?

c)      Falls eine Option, die Steuer in Raten zu entrichten, grundsätzlich eine verhältnismäßige Abhilfe sein kann:

i.      Ist dies nur der Fall, wenn das innerstaatliche Recht die Option zum Zeitpunkt der Veräußerungen der Vermögenswerte vorgesehen hat, oder ist es mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn eine solche Option als Abhilfe nachträglich eingeräumt wird (in dem Sinne, dass das nationale Gericht eine solche Option nachträglich einräumt, indem es eine konforme Auslegung vornimmt oder die Rechtsvorschriften unangewendet lässt)?

ii.      Verlangt das Unionsrecht von den nationalen Gerichten, eine Abhilfe zu gewähren, die in die maßgebliche unionsrechtliche Freiheit so wenig wie möglich eingreift, oder ist es ausreichend, wenn die nationalen Gerichte eine Abhilfe gewähren, die verhältnismäßig ist, aber vom bestehenden nationalen Recht so wenig wie möglich abweicht?

iii.      Welcher Zeitraum ist für die Ratenzahlung erforderlich?

iv.      Verstößt eine Abhilfe, die einen Ratenzahlungsplan beinhaltet, demzufolge Zahlungen vor dem Zeitpunkt fällig werden, zu dem die zwischen den Parteien bestehenden Streitpunkte endgültig entschieden werden, gegen Unionsrecht, d. h., müssen die Fälligkeitszeitpunkte für die Ratenzahlungen in der Zukunft liegen?

30.      Obwohl das Vereinigte Königreich die Union am 31. Januar 2020 verlassen hat, bleibt der Gerichtshof für die Entscheidung über dieses Ersuchen zuständig(4).

31.      GL, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

 Rechtliche Würdigung

 Vorbemerkungen

32.      Da sich die Vorlagefragen sowohl auf Art. 49 AEUV betreffend die Niederlassungsfreiheit als auch auf Art. 63 AEUV betreffend den freien Kapitalverkehr beziehen, ist zu klären, welche Freiheit im Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist(5).

33.      Um festzustellen, ob eine nationale Regelung unter die eine oder die andere der nach dem AEU-Vertrag garantierten Grundfreiheiten fällt, ist nach gefestigter Rechtsprechung auf den Gegenstand der jeweiligen Regelung abzustellen(6).

34.      Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, in den Anwendungsbereich von Art. 49 AEUV fällt. Hingegen sind nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen(7).

35.      Im vorliegenden Fall regeln die im Ausgangsverfahren fraglichen Rechtsvorschriften die steuerliche Behandlung konzerninterner Veräußerungen von Vermögenswerten(8). Solche Rechtsvorschriften können, wie das vorlegende Gericht bemerkt, sowohl unter Art. 49 AEUV als auch unter Art. 63 AEUV fallen(9). Bezieht sich eine nationale Regelung aber sowohl auf die Niederlassungsfreiheit als auch auf den freien Kapitalverkehr, ist sie nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Freiheiten zu prüfen, wenn sich herausstellt, dass unter den Umständen des Ausgangsfalls eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber völlig zweitrangig ist und ihr zugeordnet werden kann(10).

36.      Meines Erachtens ist in unserem Fall die Niederlassungsfreiheit die Hauptfreiheit, auf die sich die in Rede stehende nationale Regelung bezieht. Denn ausweislich der Vorlageentscheidung gelten die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen nur für Veräußerungen innerhalb eines „Konzerns“, wobei dieser Begriff gemäß Section 170(3) TCGA 1992 als eine Gesellschaft zusammen mit ihren 75%igen Tochtergesellschaften (sowie deren 75%igen Tochtergesellschaften) definiert ist. Folglich gelten die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen nur für die Übertragung von Vermögenswerten zwischen einer Muttergesellschaft und den Tochtergesellschaften (oder Enkelgesellschaften), auf die sie einen sicheren unmittelbaren (oder mittelbaren) Einfluss ausübt, sowie für die Übertragung von Vermögenswerten zwischen Tochtergesellschaften (oder Enkelgesellschaften), die als Schwestergesellschaften eine gemeinsame Muttergesellschaft haben, welche einen sicheren gemeinsamen Einfluss auf sie ausübt. In beiden Fällen greifen die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen ein, weil die Muttergesellschaft aufgrund ihrer Beteiligung in der Lage ist, einen sicheren Einfluss auf ihre Tochtergesellschaften auszuüben. Diese Regelung betrifft also nur die Beziehungen innerhalb eines Konzerns, und der Gerichtshof hat deutlich gemacht, dass eine derartige Regelung vorwiegend die Niederlassungsfreiheit berührt(11).

37.      Selbst wenn diese Regelung im Übrigen zu Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs führen sollte, wären derartige Auswirkungen die unvermeidliche Konsequenz einer eventuellen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und würden keine eigenständige Prüfung der Regelung im Hinblick auf Art. 63 AEUV rechtfertigen(12). Der Gerichtshof sollte daher – anders, als GL im Wesentlichen geltend macht – bei der Prüfung, ob die im Ausgangsverfahren zu beurteilende Situation in den Anwendungsbereich von Art. 49 AEUV fällt, nicht auf die tatsächlichen Umstände des Falles, sondern auf den Gegenstand der Regelung abstellen und auch von einer ergänzenden Prüfung der Anwendbarkeit von Art. 63 AEUV absehen. Diese erste Analyse dürfte dem Gerichtshof jedoch Anhaltspunkte liefern, aufgrund deren er die erste, die zweite und die vierte Vorlagefrage beantworten kann, bei denen es um die Anwendung von Art. 63 AEUV geht.

38.      Infolgedessen sind die dritte, die fünfte und die sechste Vorlagefrage allein im Hinblick auf Art. 49 AEUV zu beantworten.

 Zur dritten Vorlagefrage

39.      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine nationale Regelung wie die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen, wonach eine Übertragung von Vermögenswerten von einer Gesellschaft mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich auf eine Schwestergesellschaft mit steuerlichem Sitz in der Schweiz (die nicht über eine ständige Niederlassung im Vereinigten Königreich Geschäfte betreibt) sofort besteuert wird, wenn diese beiden Gesellschaften 100%ige Tochtergesellschaften einer gemeinsamen Muttergesellschaft mit steuerlichem Sitz in einem anderen Mitgliedstaat sind, während unter den gleichen Umständen eine solche Übertragung steuerlich neutral wäre, wenn auch die Schwestergesellschaft im Vereinigten Königreich ansässig wäre (oder dort über eine ständige Niederlassung Geschäfte betreiben würde), die Niederlassungsfreiheit dieser Muttergesellschaft nach Art. 49 AEUV beschränkt.

40.      Dazu trägt GL vor, wegen der Niederlassungsfreiheit der niederländischen Gesellschaft müssten die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen auch auf eine Übertragung von Vermögenswerten auf außerhalb des Vereinigten Königreichs bestehende Tochtergesellschaften dieser Gesellschaft Anwendung finden, unabhängig davon, ob diese Tochtergesellschaften in einem Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat ansässig seien. Nach Ansicht der Regierung des Vereinigten Königreichs wird durch eine sofortige Besteuerung der Übertragung von Vermögenswerten von einer im Vereinigten Königreich ansässigen Gesellschaft auf eine in der Schweiz ansässige Schwestergesellschaft, wie die Veräußerung von 2011, die Niederlassungsfreiheit nicht beschränkt. Die Kommission macht geltend, ein derartiger Vorgang werde nicht von Art. 49 AEUV erfasst, da die Schweiz kein Mitgliedstaat der Union sei.

41.      Zunächst ist festzustellen, dass diese Frage nur auf eine solche Übertragung gerichtet ist, die der Form der Veräußerung von 2011 entspricht, nämlich eine Übertragung von Vermögenswerten von einer im Vereinigten Königreich steuerpflichtigen Gesellschaft auf eine Gesellschaft mit steuerlichem Sitz außerhalb der Union (hier: in der Schweiz), die im Vereinigten Königreich keiner Steuerpflicht unterliegt.

42.      Außerdem betrifft die Frage eine Situation, in der die Muttergesellschaft von ihrer Freiheit aus Art. 49 AEUV Gebrauch gemacht und eine Tochtergesellschaft im Vereinigten Königreich (hier: GL) gegründet hat. Ich werde die Niederlassungsfreiheit daher nur im Hinblick auf die Rechte der Muttergesellschaft (hier: der niederländischen Gesellschaft) prüfen.

43.      Vor diesem Hintergrund möchte ich darauf hinweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs den nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, gemäß Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV das Recht zusteht, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten mittels einer Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben(13). Diese Bestimmungen sollen u. a. die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat gewährleisten, indem sie jede ungünstigere Behandlung aufgrund des Ortes des Sitzes einer Gesellschaft untersag(14).

44.      Die (niederländische) Muttergesellschaft kann somit gemäß Art. 49 AEUV verlangen, dass ihre Tochtergesellschaft (GL) unter den gleichen Bedingungen behandelt wird, wie sie im Vereinigten Königreich für Gesellschaften mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich festgelegt sind(15).

45.      Es ist jedoch festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorschriften über konzerninterne Übertragungen, insbesondere Section 171 TCGA 1992 keine Ungleichbehandlung je nach dem Ort des steuerlichen Sitzes der Muttergesellschaft bewirken, da sie die im Vereinigten Königreich ansässige Tochtergesellschaft einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat genauso behandeln wie die im Vereinigten Königreich ansässige Tochtergesellschaft einer Muttergesellschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich. GL wäre, mit anderen Worten, steuerlich in gleicher Weise behandelt worden, wenn die Muttergesellschaft im Vereinigten Königreich ansässig gewesen wäre, was letztlich keine Ungleichbehandlung im Hinblick auf die Muttergesellschaften bedeutet.

46.      Folglich behandelt das Vereinigte Königreich die Tochtergesellschaft einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft nicht schlechter als eine vergleichbare Tochtergesellschaft einer im Vereinigten Königreich ansässigen Gesellschaft, so dass Art. 49 AEUV unter den in der dritten Vorlagefrage dargelegten Umständen der Anordnung einer sofortigen Steuerpflicht nicht entgegensteht.

47.      Diese Schlussfolgerung wird meines Erachtens nicht durch die verschiedenen Argumente entkräftet, die GL vorgebracht hat, um ihre Auffassung zu begründen, wonach die niederländische Gesellschaft gegenüber einer im Vereinigten Königreich ansässigen Muttergesellschaft ungleich behandelt und so die Niederlassungsfreiheit beschränkt werde.

48.      Denn erstens ist das auf das Urteil vom 27. November 2008, Papillon (C‑418/07, EU:C:2008:659), gestützte Argument von GL zurückzuweisen, eine Ungleichbehandlung könne nur sachgerecht festgestellt werden, wenn das tatsächliche Geschehen (d. h. eine Übertragung seitens einer im Vereinigten Königreich ansässigen Tochtergesellschaft einer dort nicht ansässigen Muttergesellschaft an eine dort ebenfalls nicht ansässige Schwestergesellschaft) mit einem rein innerstaatlichen Geschehen (d. h. einer Übertragung seitens einer im Vereinigten Königreich ansässigen Tochtergesellschaft einer dort ansässigen Muttergesellschaft an eine dort ebenfalls ansässige Tochtergesellschaft) verglichen werde.

49.      Entgegen dem Vorbringen von GL unterscheidet sich aber die Rechtssache, in der das Urteil Papillon ergangen ist, vom vorliegenden Fall. In jener Rechtssache prüfte der Gerichtshof nämlich eine Regelung, aufgrund deren für eine steuerliche Integration je nachdem optiert werden konnte, ob die Muttergesellschaft ihre mittelbaren Beteiligungen über eine in Frankreich oder über eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Tochtergesellschaft hielt. In diesem Zusammenhang war es unerlässlich, auf die Vergleichbarkeit eines Sachverhalts mit Gemeinschaftsbezug mit einem rein innerstaatlichen Sachverhalt abzustellen, was der Gerichtshof auch getan hat. Es steht außer Frage, dass der Gerichtshof kein Grundsatzurteil erlassen hat, dem zufolge ungeachtet der Umstände stets der Sachverhalt, wie er sich zugetragen hat, mit einem rein innerstaatlichen Sachverhalt zu vergleichen wäre. Aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs geht vielmehr klar hervor, dass der Aufnahmemitgliedstaat nach Art. 49 AEUV eine Tochtergesellschaft einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft genauso behandeln muss wie eine Tochtergesellschaft, die wie auch ihre Muttergesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat ansässig ist. Hingegen müsste der Aufnahmemitgliedstaat nach dem von GL vorgeschlagenen Vergleich eine gebietsansässige Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Muttergesellschaft steuerlich besser behandeln als eine gebietsansässige Tochtergesellschaft einer gebietsansässigen Muttergesellschaft.

50.      Zweitens trägt GL im Wesentlichen vor, es sei letztlich unerheblich, ob eine Ungleichbehandlung vorliege, da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit alle Maßnahmen anzusehen seien, die „die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen“(16). Dass GL keine Vermögenswerte an ausländische Konzerngesellschaften übertragen könne, ohne sofort steuerpflichtig zu werden, obwohl die Vermögenswerte im selben wirtschaftlichen Eigentum verblieben, mache es für die niederländische Gesellschaft weniger attraktiv, ihre Niederlassungsfreiheit durch den Erwerb von GL auszuüben.

51.      Hierzu ist festzustellen, dass die von GL angeführte Rechtsprechung, wonach eine Maßnahme die Niederlassungsfreiheit beschränkt, wenn sie „die Ausübung dieser Freiheit weniger attraktiv macht“, andere Fälle als den des Ausgangsrechtsstreits erfasst, nämlich solche, in denen ein Unternehmen, das seine Niederlassungsfreiheit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben will, im Vergleich zu einem ähnlichen Unternehmen, das von dieser Freiheit keinen Gebrauch macht, benachteiligt wird(17). Ohne einen solchen Vergleich würde jede Anordnung einer Steuerpflicht gegen Art. 49 AEUV verstoßen, denn es ist weniger attraktiv, eine Steuer zahlen zu müssen, als von dieser Pflicht befreit zu sein. In der Tat bestätigt die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Wegzugsbesteuerung(18), dass die Prüfung auf der Feststellung einer Ungleichbehandlung, also auf einem Vergleich, beruhen muss und dass es nicht genügt, der Frage nachzugehen, ob die nationalen Maßnahmen die Ausübung der Freiheit „weniger attraktiv“ machen. So hat der Gerichtshof beispielsweise entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit durch nationale Maßnahmen beschränkt wird, die für die Verlegung einer Betriebsstätte in einen anderen Mitgliedstaat im Vergleich zu deren Verlegung innerhalb des Mitgliedstaats(19) bzw. für die Überführung von Vermögenswerten an eine Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat im Vergleich zu deren Überführung an eine Betriebsstätte innerhalb des Mitgliedstaats(20) jeweils eine ungünstigere Behandlung vorschreiben.

52.      Wie aber in den Nrn. 45 und 46 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt, ordnen die nationalen Maßnahmen in der mit der dritten Vorlagefrage angesprochenen Situation für die Übertragung von Vermögenswerten durch eine im Vereinigten Königreich ansässige Tochtergesellschaft einer dort nicht ansässigen Muttergesellschaft in ein Drittland eine sofortige Steuerpflicht an und schreiben dieselbe Steuerpflicht in der vergleichbaren Situation vor, in der eine im Vereinigten Königreich ansässige Tochtergesellschaft einer dort ebenfalls ansässigen Muttergesellschaft Vermögenswerte in ein Drittland überträgt.

53.      Drittens sind die Umstände des Ausgangsrechtsstreits entgegen dem Vorbringen von GL nicht mit denen der Rechtssache vergleichbar, in der das Urteil Test Claimants II ergangen ist. GL beruft sich auf dieses Urteil, um ihre Ansicht zu begründen, wonach die Unmöglichkeit eines Zahlungsaufschubs im Rahmen der Veräußerung von 2011 die Niederlassungsfreiheit der niederländischen Gesellschaft in Bezug auf den Erwerb von GL beschränke, unabhängig vom Standort der Schwestergesellschaft, auf den es für die Prüfung nicht ankomme.

54.      Es ist jedoch festzustellen, dass sich die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen von der im Urteil Test Claimants II geprüften und von GL angeführten Unterkapitalisierungsregelung des Vereinigten Königreichs erheblich unterscheiden. Das wesentliche Merkmal der Unterkapitalisierungsregelung im Vereinigten Königreich bestand darin, dass sie die Möglichkeit einer in diesem Staat ansässigen Gesellschaft, die an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige unmittelbare oder mittelbare Muttergesellschaft (oder an eine von dieser kontrollierte andere Gesellschaft) gezahlten Zinsen abzuziehen, beschränkte, während sie keine derartigen Beschränkungen für Zinszahlungen einer im Vereinigten Königreich ansässigen Gesellschaft an eine dort ebenfalls ansässige Muttergesellschaft vorsah. Der Gerichtshof hat entschieden, dass diese unterschiedliche Behandlung gebietsansässiger Tochtergesellschaften „je nach dem Ort des Sitzes ihrer Muttergesellschaft“ eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften darstellt(21).

55.      Da die aus der Unterkapitalisierungsregelung resultierende Ungleichbehandlung auf dem Ort des Sitzes der Muttergesellschaft beruhte, war deren Freiheit sowohl dann beschränkt, wenn die Zinsen unmittelbar an die nicht im Vereinigten Königreich ansässige Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat gezahlt wurden, als auch dann, wenn sie an eine von der Muttergesellschaft kontrollierte andere Gesellschaft gezahlt wurden (ungeachtet des Ortes des Sitzes dieser Gesellschaft)(22). Dagegen führt die Anwendung der Vorschriften über konzerninterne Übertragungen auf eine Übertragung von Vermögenswerten durch eine im Vereinigten Königreich ansässige Tochtergesellschaft einer niederländischen Muttergesellschaft an eine in der Schweiz ansässige Schwestergesellschaft, wie vorstehend bereits ausgeführt, zu keiner Ungleichbehandlung aufgrund des Ortes, an dem die Muttergesellschaft ihren Sitz hat. Die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen würden genauso gelten, wenn die Muttergesellschaft im Vereinigten Königreich gegründet worden oder dort ansässig wäre.

56.      Infolgedessen schlage ich vor, auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung mit Vorschriften über konzerninterne Übertragungen nicht entgegensteht, wonach eine Übertragung von Vermögenswerten von einer Gesellschaft mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich auf eine Schwestergesellschaft mit steuerlichem Sitz in der Schweiz (die nicht über eine ständige Niederlassung im Vereinigten Königreich Geschäfte betreibt) sofort besteuert wird, wenn diese beiden Gesellschaften 100%ige Tochtergesellschaften einer gemeinsamen Muttergesellschaft mit steuerlichem Sitz in einem anderen Mitgliedstaat sind, während unter den gleichen Umständen eine solche Übertragung steuerlich neutral wäre, wenn auch die Schwestergesellschaft im Vereinigten Königreich ansässig wäre (oder dort über eine ständige Niederlassung Geschäfte betreiben würde).

 Zur fünften Vorlagefrage

57.      Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob für den Fall, dass eine durch die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen verursachte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegen sollte, die grundsätzlich aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, nämlich der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis, gerechtfertigt wäre, diese Beschränkung vor allem dann als erforderlich und verhältnismäßig angesehen werden könnte, wenn der betreffende Steuerpflichtige einen Erlös aus der Veräußerung des Vermögenswerts erzielt hat, der dessen vollem Marktwert entspricht.

58.      Diese Frage braucht angesichts des Antwortvorschlags für die dritte Vorlagefrage nicht in Bezug auf die Veräußerung von 2011 beantwortet zu werden.

59.      Was die Veräußerung von 2014 betrifft, so stimmen die Parteien des Ausgangsverfahrens darin überein, dass die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen, insbesondere Section 171 TCGA 1992, zu einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von im Vereinigten Königreich körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaften führen, die Vermögenswerte konzernintern übertragen, je nachdem, ob der Erwerber im Vereinigten Königreich körperschaftsteuerpflichtig ist oder nicht (wie die niederländische Gesellschaft). Genauer gesagt: Während keine Steuerpflicht entstehe, wenn eine solche Gesellschaft Vermögenswerte an eine im Vereinigten Königreich steuerpflichtige Konzerngesellschaft übertrage, versagten diese Vorschriften einen solchen Vorteil, wenn die Übertragung wie hier im Rahmen der Veräußerung von 2014 an eine in einem anderen Mitgliedstaat steuerpflichtige Konzerngesellschaft erfolge. Diese Vorschriften könnten daher die Niederlassungsfreiheit beschränken.

60.      Ich kann mich dieser Auslegung seitens der Parteien nur anschließen, denn die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen führen tatsächlich zu einer ungünstigeren steuerlichen Behandlung von im Vereinigten Königreich körperschaftsteuerpflichtigen Unternehmen, die Vermögenswerte konzernintern an verbundene Unternehmen übertragen, die im Vereinigten Königreich keiner Körperschaftsteuer unterliegen.

61.      Das vorlegende Gericht geht von der Prämisse aus, dass eine solche Beschränkung grundsätzlich durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden könne, nämlich durch das Erfordernis, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zu wahren. Das Vereinigte Königreich müsse, mit anderen Worten, die Befugnis haben, Wertzuwächse zu besteuern, die vor der Veräußerung der Vermögenswerte an eine im Vereinigten Königreich nicht körperschaftsteuerpflichtige Gesellschaft realisiert worden seien. Ich halte diese Prämisse für zutreffend. Der Gerichtshof hat nämlich anerkannt, dass es zur Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis grundsätzlich gerechtfertigt sein kann, grenzüberschreitende Transaktionen anders zu behandeln als solche, die innerhalb ein und desselben Steuergebiets stattfinden(23). Der Gerichtshof hat dieses Erfordernis speziell in Bezug auf die Wegzugsbesteuerung als Rechtfertigung für die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit anerkannt(24). Er hat jedoch entschieden, dass diese Rechtfertigung nur gelten kann, wenn und soweit die Beschränkung nicht über das hinausgeht, was notwendig ist, um das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu erreichen(25).

62.      In diesem Kontext geht die einzige noch offene Frage, über die sich die Parteien uneins sind, dahin, ob es im Hinblick auf dieses Ziel verhältnismäßig ist, dass die Zahlung der fraglichen Steuer ohne die Möglichkeit eines Zahlungsaufschubs sofort fällig wird. Das vorlegende Gericht scheint nämlich in Wirklichkeit zu fragen, welche Konsequenz sich daraus ergibt, dass GL durch die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen wegen der sofortigen Fälligkeit des geschuldeten Steuerbetrags von der Steuerentlastung ausgeschlossen wird.

63.      Hierzu trägt GL vor, der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens sei den vom Gerichtshof im Zusammenhang mit Wegzugsteuern geprüften Sachverhalten ähnlich, in denen entweder ein Steuerpflichtiger das Steuergebiet eines Mitgliedstaats verlassen oder Vermögenswerte dessen Steuerhoheit entzogen habe(26). Der Gerichtshof habe festgestellt, dass es zwar mit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten vereinbar sei, den Betrag der Steuer zu dem Zeitpunkt zu berechnen, zu dem die Vermögenswerte aus dem Steuergebiet überführt würden, dass die sofortige Auferlegung einer Steuerpflicht ohne die Option eines Zahlungsaufschubs aber unverhältnismäßig sei(27).

64.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht geltend, mit den nationalen Rechtsvorschriften solle sichergestellt werden, dass die gewöhnliche Regelung zur Festsetzung und Erhebung der für die tatsächliche Veräußerung eines Vermögenswerts vorgesehenen Steuer dann Anwendung finde, wenn dieser Vermögenswert durch die Veräußerung einer Besteuerung im Vereinigten Königreich entzogen werde. In Anbetracht dieses Ziels gehe die Regelung nicht über das zu dessen Erreichung erforderliche Maß hinaus, indem sie die gewöhnlichen Besteuerungs- und Erhebungsmaßnahmen (einschließlich des Rechts auf Zahlungsaufschub der fraglichen Steuer mittels Klageerhebung) auf diesen Vorgang anwende. Außerdem unterschieden sich diese Rechtsvorschriften inhaltlich von denjenigen, die Gegenstand der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Wegzugsbesteuerung seien, wonach eine spezielle Steuerpflicht für die Überführung von Vermögenswerten aus dem Steuergebiet des betreffenden Mitgliedstaats bestehe, ohne dass das steuerpflichtige Unternehmen diese Vermögenswerte veräußert hätte.

65.      Bevor ich diese Frage in der Sache prüfe, bedarf es einiger verfahrensrechtlicher Klarstellungen. Ich weise speziell darauf hin, dass das erstinstanzliche Gericht im vorliegenden Fall entschieden hatte, eine Abhilfemaßnahme, die die Option eines Zahlungsaufschubs auf Ratenzahlungsbasis beinhalte, sei mit dem Unionsrecht vereinbar, dass das Gericht eine solche Maßnahme aber nicht durchsetzen konnte (da es nicht seine Aufgabe sei, über die Einzelheiten eines Ratenzahlungsplans zu entscheiden) und dass es stattdessen die Wegzugsteuer unangewendet ließ. Außerdem hat GL nach Erhebung ihrer Klage gegen den Bescheid über den Teilabschluss betreffend die Veräußerung von 2014 die Zahlung der Körperschaftsteuer bis zur Entscheidung über diese Klage aufgeschoben, wozu GL gemäß Section 55 TMA 1970 berechtigt war. Folglich brauchte GL die entsprechende Körperschaftsteuer nicht zu zahlen (und hat sie auch nicht gezahlt). Es stellt sich daher die Frage, ob dem Umstand Bedeutung zukommt, dass GL die Zahlung durch Erhebung einer Klage und Anwendung weiterer nationaler Rechtsvorschriften aufschieben konnte. Meines Erachtens ist das nicht der Fall. Wie das vorlegende Gericht nämlich zutreffend ausführt, muss für den Fall, dass der Gerichtshof die nationalen Rechtsvorschriften nur dann für unionsrechtskonform erachten sollte, wenn sie eine Option für einen Aufschub der Steuerzahlung enthalten, diese Option unabhängig davon zur Verfügung stehen, ob ein Rechtsstreit geführt wird oder nicht.

66.      In der Sache selbst ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass den Mitgliedstaaten aus dem Recht zur Besteuerung der stillen Reserven, die entstanden sind, als sich das betreffende Vermögen in ihrem Hoheitsgebiet befand, die Befugnis erwächst, für diese Besteuerung einen anderen Entstehungstatbestand als die tatsächliche Realisierung dieser stillen Reserven vorzusehen, um die Besteuerung dieses Vermögens sicherzustellen(28). Ein Mitgliedstaat darf also stille Reserven einer Steuerpflicht unterwerfen, um die Besteuerung der betreffenden Vermögenswerte sicherzustellen(29). Eine sofortige Erhebung der Steuer auf stille Reserven hat der Gerichtshof jedoch als unverhältnismäßig angesehen, da der Steuerpflichtige die Steuer nicht unter Rückgriff auf die stillen Reserven zahlen kann und dies für ihn bei der Erhebung einer Wegzugsteuer spezifische Liquiditätsnachteile bewirkt(30). Da die Ablehnung einer sofortigen Erhebung von Wegzugsteuern durch den Gerichtshof mit Liquiditätsnachteilen für den Steuerpflichtigen begründet wird, ist folglich klar, dass der Zeitraum für die Erhebung lang genug sein muss, um dieses Problem zu mildern(31).

67.      Im vorliegenden Fall ist daher zu klären, inwieweit die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Besteuerung stiller Reserven in einem Fall herangezogen werden kann, in dem der Veräußerer der Vermögenswerte einen Wertzuwachs realisiert hat. Denn im Gegensatz zur Wegzugsbesteuerung, die sich auf stille Reserven bezieht, gelten die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen für realisierte Wertzuwächse.

68.      Wie die Kommission betont, sind bei der Unterscheidung zwischen stillen Reserven und den vom Veräußerer der Vermögenswerte konzernintern realisierten Wertzuwächsen zwei Umstände von besonderer Bedeutung. Zum einen sind alle Fälle von Wegzugsteuern, darunter auch solche einer Reinvestition, dadurch gekennzeichnet, dass dem Steuerzahler ein Liquiditätsproblem entsteht, wenn er eine Steuer auf einen Wertzuwachs entrichten soll, den er noch gar nicht realisiert hat. Zum anderen müssen die Steuerbehörden sicherstellen, dass die Steuer auf Wertzuwächse gezahlt wird, die in einer Zeit realisiert wurden, als die Vermögenswerte noch ihrer Steuerhoheit unterlagen, wobei die Gefahr, dass die Steuer nicht gezahlt wird, mit fortschreitendem Zeitablauf wachsen kann.

69.      Wenn ein Wertzuwachs durch eine Übertragung von Vermögenswerten realisiert wird, ist der Steuerpflichtige aber mit keinem Liquiditätsproblem konfrontiert und kann die Steuer auf den Wertzuwachs ohne Weiteres mit dem Erlös aus der Veräußerung der Vermögenswerte entrichten. Im vorliegenden Fall steht ausweislich des Vorabentscheidungsersuchens fest, dass GL als Gegenleistung für die Veräußerungen von 2011 und 2014 ein Entgelt erhielt, das deren vollem Marktwert entsprach. Folglich handelte es sich bei den Wertzuwächsen, für die GL steuerpflichtig war, um realisierte Wertzuwächse, und GL erhielt eine finanzielle Gegenleistung, die es ihr ermöglichte, die aus den Veräußerungen jeweils resultierende Steuerpflicht zu erfüllen. Ohne die sofortige Steuererhebung bestünde für den Mitgliedstaat also die mit fortschreitendem Zeitablauf möglicherweise wachsende Gefahr eines Steuerausfalls. Die Verhältnismäßigkeit ist im vorliegenden Fall somit anders zu beurteilen als in den Fällen der Wegzugsbesteuerung. Es ist daher gerechtfertigt, dass dem Steuerpflichtigen nicht die Möglichkeit eines Zahlungsaufschubs eingeräumt wird, um die Verhältnismäßigkeit der durch die Vorschriften über konzerninterne Übertragungen verursachten Beschränkung zu gewährleisten.

70.      Infolgedessen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die fünfte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine Beschränkung des Rechts auf Niederlassungsfreiheit, die sich daraus ergibt, dass inländische und grenzüberschreitende entgeltliche Übertragungen von Vermögenswerten innerhalb eines Konzerns aufgrund einer nationalen Regelung ungleich behandelt werden, wonach die Übertragung eines Vermögenswerts durch eine Gesellschaft mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich einer sofortigen Steuerpflicht unterliegt, wegen der erforderlichen Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis grundsätzlich gerechtfertigt sein kann, ohne dass die Möglichkeit eines Aufschubs der Steuerzahlung vorgesehen werden müsste, um die Verhältnismäßigkeit dieser Beschränkung zu gewährleisten, sofern der betreffende Steuerpflichtige aus der Veräußerung des Vermögenswerts einen Erlös erzielt hat, der dessen vollem Marktwert entspricht.

 Zur sechsten Vorlagefrage

71.      Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, welche Konsequenzen zu ziehen wären, falls die fünfte Frage verneint würde, so dass die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht als erforderlich und verhältnismäßig anzusehen wäre.

72.      In Anbetracht des Antwortvorschlags für die fünfte Frage erübrigt sich eine Beantwortung der sechsten Vorlagefrage.

 Ergebnis

73.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die dritte, die fünfte und die sechste Vorlagefrage des Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber) (Rechtsmittelgericht [Kammer für Steuer- und Finanzsachen], Vereinigtes Königreich) wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 49 AEUV

ist dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Regelung mit Vorschriften über konzerninterne Übertragungen nicht entgegensteht, wonach eine Übertragung von Vermögenswerten von einer Gesellschaft mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich auf eine Schwestergesellschaft mit steuerlichem Sitz in der Schweiz (die nicht über eine ständige Niederlassung im Vereinigten Königreich Geschäfte betreibt) sofort besteuert wird, wenn diese beiden Gesellschaften 100%ige Tochtergesellschaften einer gemeinsamen Muttergesellschaft mit steuerlichem Sitz in einem anderen Mitgliedstaat sind, während unter den gleichen Umständen eine solche Übertragung steuerlich neutral wäre, wenn auch die Schwestergesellschaft im Vereinigten Königreich ansässig wäre (oder dort über eine ständige Niederlassung Geschäfte betreiben würde).

2.      Art. 49 AEUV

ist dahin auszulegen, dass

eine Beschränkung des Rechts auf Niederlassungsfreiheit, die sich daraus ergibt, dass inländische und grenzüberschreitende entgeltliche Übertragungen von Vermögenswerten innerhalb eines Konzerns aufgrund einer nationalen Regelung ungleich behandelt werden, wonach die Übertragung eines Vermögenswerts durch eine Gesellschaft mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich einer sofortigen Steuerpflicht unterliegt, wegen der erforderlichen Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis grundsätzlich gerechtfertigt sein kann, ohne dass die Möglichkeit eines Aufschubs der Steuerzahlung vorgesehen werden müsste, um die Verhältnismäßigkeit dieser Beschränkung zu gewährleisten, sofern der betreffende Steuerpflichtige aus der Veräußerung des Vermögenswerts einen Erlös erzielt hat, der dessen vollem Marktwert entspricht.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Das vorlegende Gericht hat dem Gerichtshof sechs Fragen gestellt. Mit seinen ersten beiden Fragen möchte es im Wesentlichen wissen, ob Art. 63 AEUV, der den freien Kapitalverkehr gewährleistet, gegenüber einer nationalen Regelung wie den Vorschriften über konzerninterne Übertragungen, die nur auf Konzerne anwendbar sind, geltend gemacht werden kann. Die vierte Frage wird nur für den Fall gestellt, dass die ersten beiden Fragen nach Ansicht des Gerichtshofs zu bejahen sind. Wie ich im Rahmen meiner rechtlichen Würdigung darlegen werde, lassen sich diese Fragen ohne Weiteres aufgrund der ständigen Rechtsprechung beantworten, wonach, selbst wenn diese nationale Regelung zu Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs führen sollte, derartige Auswirkungen die unvermeidliche Konsequenz einer eventuellen Beschränkung der in Art. 49 AEUV vorgesehenen Niederlassungsfreiheit wären und keine eigenständige Prüfung der Regelung im Hinblick auf Art. 63 AEUV rechtfertigen würden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2007, Oy AA, C‑231/05, im Folgenden: Urteil Oy AA, EU:C:2007:439, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung). Außerdem kann Art. 63 AEUV jedenfalls nicht auf eine Situation angewandt werden, die grundsätzlich in den Anwendungsbereich von Art. 49 AEUV fallen würde, wenn eine der beteiligten Gesellschaften ihren steuerlichen Sitz in einem Drittstaat hat (was bei der schweizerischen Gesellschaft im Rahmen der Veräußerung von 2011 der Fall ist).


3      Durch die Veräußerung von 2011 habe das Markenmanagement innerhalb des Konzerns zur Maximierung des Markenwerts zentralisiert werden sollen, während die Veräußerung von 2014 der Rationalisierung und Vereinfachung der Konzernstruktur gedient habe, indem nicht mehr benötigte Einheiten aufgelöst worden seien und bei den Einheiten, die nicht hätten aufgelöst werden können, eine unter Risiko- und Effizienzaspekten möglichst sinnvolle Leitung sichergestellt worden sei.


4      Nach Art. 86 Abs. 2 des am 1. Februar 2020 in Kraft getretenen Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2019, C 384 I, S. 1) ist der Gerichtshof weiterhin für Vorabentscheidungsersuchen der Gerichte des Vereinigten Königreichs zuständig, die vor Ende des Übergangszeitraums vorgelegt werden. Gemäß Art. 126 dieses Abkommens war dieser Zeitraum am 31. Dezember 2020 beendet. Außerdem gilt nach Art. 86 Abs. 3 des Abkommens ein Vorabentscheidungsersuchen zu dem Zeitpunkt als gemäß Abs. 2 vorgelegt, zu dem die Unterlagen zur Einleitung des Verfahrens von der Kanzlei des Gerichtshofs registriert wurden. Das hier vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ist am 30. Dezember 2020, also vor dem Ende des Übergangszeitraums, von der Kanzlei des Gerichtshofs registriert worden.


5      Vgl. Urteil vom 7. April 2022, Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö (Befreiung vertraglicher Investmentfonds) (C‑342/20, EU:C:2022:276, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).


6      Vgl. Urteile vom 13. November 2012, Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑35/11, im Folgenden: Urteil Test Claimants III, EU:C:2012:707, Rn. 90), und vom 7. April 2022, Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö (Befreiung vertraglicher Investmentfonds) (C‑342/20, EU:C:2022:276, Rn. 34 und 35 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


7      Vgl. Urteil Test Claimants III (Rn. 91 und 92 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


8      Denn zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens ist unstreitig, dass die niederländische Gesellschaft, GL und die schweizerische Gesellschaft Teil ein und desselben Konzerns im Sinne der Sections 170 und 171 TCGA 1992 waren.


9      Vgl. in diesem Sinne Urteile Test Claimants III (Rn. 89), und vom 11. September 2014, Kronos International (C‑47/12, EU:C:2014:2200, Rn. 29).


10      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2009, Glaxo Wellcome (C‑182/08, EU:C:2009:559, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).


11      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑446/04, EU:C:2006:774, Rn. 118), vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation (C‑524/04, im Folgenden: Urteil Test Claimants II, EU:C:2007:161, Rn. 30 bis 33), und Oy AA (Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).


12      Vgl. Urteil Oy AA (Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).


13      Vgl. Urteile vom 20. September 2018, EV (C‑685/16, EU:C:2018:743, Rn. 50), und vom 17. Oktober 2019, Argenta Spaarbank (C‑459/18, EU:C:2019:871, Rn. 35).


14      Vgl. Urteile vom 28. Januar 1986, Kommission/Frankreich (270/83, EU:C:1986:37, Rn. 14), und Test Claimants II (Rn. 37).


15      Vgl. Urteile vom 28. Januar 1986, Kommission/Frankreich (270/83, EU:C:1986:37, Rn. 18), vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 30), vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 41), und Test Claimants II (Rn. 36).


16      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. November 2011, National Grid Indus (C‑371/10, im Folgenden: Urteil National Grid Indus, EU:C:2011:785, Rn. 36 und 37).


17      Vgl. in diesem Sinne Urteil National Grid Indus (Rn. 36 und 37).


18      Vgl. Nr. 66 der vorliegenden Schlussanträge.


19      Vgl. Urteile National Grid Indus (Rn. 36 und 37), und vom 14. September 2017, Trustees of the P Panayi Accumulation & Maintenance Settlements (C‑646/15, EU:C:2017:682).


20      Vgl. Urteil vom 21. Mai 2015, Verder LabTec (C‑657/13, im Folgenden: Urteil Verder LabTec, EU:C:2015:331).


21      Urteil Test Claimants II (Rn. 61). Hervorhebung nur hier.


22      Urteil Test Claimants II (Rn. 94 und 95).


23      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Februar 2010, X Holding (C‑337/08, EU:C:2010:89, Rn. 33).


24      Vgl. Urteile National Grid Indus (Rn. 48), und vom 23. Januar 2014, DMC (C‑164/12, im Folgenden: Urteil DMC, EU:C:2014:20, Rn. 49).


25      Vgl. Urteile DMC (Rn. 59), und vom 8. März 2017, Euro Park Service (C‑14/16, EU:C:2017:177, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).


26      Vgl. Urteile vom 11. März 2004, de Lasteyrie du Saillant (C‑9/02, EU:C:2004:138, Rn. 46 bis 48), National Grid Indus (Rn. 52), und vom 14. September 2017, Trustees of the P Panayi Accumulation & Maintenance Settlements (C‑646/15, EU:C:2017:682, Rn. 57 bis 60).


27      Vgl. Urteile vom 7. September 2006, N (C‑470/04, EU:C:2006:525, Rn. 46 bis 48 und 50), sowie vom 6. September 2012, Kommission/Portugal (C‑38/10, EU:C:2012:521, Rn. 31 bis 33).


28      Vgl. Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission/Dänemark (C‑261/11, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:480, Rn. 37), DMC (Rn. 53), und Verder LabTec (Rn. 45).


29      Vgl. Urteil Verder LabTec (Rn. 45).


30      Vgl. Urteile National Grid Indus, DMC und Verder LabTec. Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Verder LabTec (C‑657/13, EU:C:2015:132, Nrn. 22, 25 und 72).


31      Vgl. hierzu Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Verder LabTec (C‑657/13, EU:C:2015:132, Nr. 72).