URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)

15. Juni 1999 (1)

„Nichtigkeitsklage - Entscheidung der Kommission - Staatliche Beihilfen - Klage einer Körperschaft unterhalb der staatlichen Ebene - Zulässigkeit“

In der Rechtssache T-288/97

Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia, vertreten durch Rechtsanwälte Renato Fusco, Triest, und Maurizio Maresca, Genua, Zustellungsanschrift: 36, rue Wiltz, Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Paul Nemitz und Paolo Stancanelli, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt Massimo Moretto, Venedig, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 98/182/EG der Kommission vom 30. Juli 1997 über von der Region Friaul-Julisch Venetien gewährte Beihilfen an Güterkraftverkehrsunternehmen der Region (ABl. 1998, L 66, S. 18)

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

(Erste erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie der Richter C. W. Bellamy, R. M. Moura Ramos, J. Pirrung und P. Mengozzi,

Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 1998,

folgendes

Urteil

Sachverhalt und Verfahren

1.
    Das Gesetz Nr. 4 der Region Friaul-Julisch Venetien vom 7. Januar 1985 sieht verschiedene Beihilfemaßnahmen - insbesondere in Form der Finanzierung von Darlehenszinsen und einer Übernahme der Investitionskosten - für den gewerblichen Güterkraftverkehr vor. Diese Maßnahmen wurden der Kommission nicht notifiziert.

2.
    Mit Schreiben vom 29. September 1995 und 30. Mai 1996 verlangte die Kommission von der Italienischen Republik Auskünfte über dieses Gesetz. Aufgrund der von ihnen erteilten Antworten wurden die italienischen Behörden mit Schreiben vom 14. Februar 1997 über die Mitteilung der Kommission gemäß Artikel 88 Absatz 2 EG (früher Artikel 93 Absatz 2) an die übrigen Mitgliedstaaten und Dritte über Beihilfen an Verkehrsunternehmen der Region Friaul-Julisch Venetien (ABl. 1997, C 98, S. 16) unterrichtet, der zufolge die Kommission beschlossen hatte, das Verfahren nach diesem Artikel des EG-Vertrags hinsichtlich der in dem erwähnten Gesetz Nr. 4/1985 vorgesehenen Regelung einzuleiten.

3.
    Die italienischen Behörden äußerten sich mit Schreiben vom 27. März 1997.

4.
    Mit Schreiben vom 18. August 1997 an die Ständige Vertretung Italiens bei der Europäischen Union unterrichtete die Kommission die italienischen Behörden von ihrer Entscheidung 98/182/EG vom 30. Juli 1997 über von der Region Friaul-Julisch Venetien gewährte Beihilfen an Güterkraftverkehrsunternehmen der Region (ABl. 1998, L 66, S. 18; im folgenden: angefochtene Entscheidung). Die Kommission stellt darin fest, daß die nach den erwähnten Rechtsvorschriften gewährten Subventionen staatliche Beihilfen im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 Absatz 1 EG) seien. In den Artikeln 4 und 5 erklärt sie diese Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und ordnet ihre Rückzahlung an. In Artikel 7 bezeichnet sie die Italienische Republik als Adressaten der angefochtenen Entscheidung.

5.
    Mit Schreiben vom 20. August 1997, eingegangen am 11. September 1997, sandte die Ständige Vertretung Italiens bei der Europäischen Union die angefochtene Entscheidung an die Präsidentschaft der Region Friaul-Julisch Venetien.

6.
    Mit am 28. Oktober 1997 eingereichter Klageschrift hat die Italienische Republik gemäß Artikel 173 Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 Absatz 2 EG) beim Gerichtshof Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung erhoben.

7.
    Mit am 10. November 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingereichter Klageschrift hat die Klägerin gemäß Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 Absatz 4 EG) die vorliegende Klage erhoben.

8.
    Mit Schriftsätzen, die zwischen dem 12. Dezember 1997 und dem 26. Januar 1998 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden sind, haben verschiedene Unternehmen, die von der Region Friaul-Julisch Venetien Beihilfen erhalten hatten, ebenfalls Klagen auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung erhoben. Diese Klagen sind unter den Nummern T-298/97, T-312/97, T-313/97, T-315/97, T-600/97 bis T-607/97, T-1/98, T-3/98 bis T-6/98 und T-23/98 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden.

9.
    Mit am 19. Februar 1998 eingereichtem Schriftsatz hat die Kommission in der vorliegenden Rechtssache eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Artikel 114 § 1 der Verfahrensordnung erhoben.

10.
    Die Klägerin hat am 11. Mai 1998 zur Einrede der Unzulässigkeit Stellung genommen.

11.
    Das Gericht hat auf Bericht des Berichterstatters gemäß Artikel 114 § 3 seiner Verfahrensordnung beschlossen, die auf die Prüfung dieser Einrede beschränkte mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Die Parteien haben in der Sitzung vom 6. Oktober 1998 mündlich verhandelt und die mündlichen Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

12.
    Die Kommission beantragt,

-    die Klage als unzulässig abzuweisen,

-    der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

13.
    Die Klägerin beantragt,

-    die Unzulässigkeitseinrede der Kommission zurückzuweisen und das Vorbringen zur Sache zu prüfen.

Rechtslage

Vorbringen der Parteien

14.
    Die Kommission stützt ihre Unzulässigkeitseinrede auf fünf Gründe. Mit dem ersten Grund macht sie geltend, der Klägerin fehle die Befugnis zur Erhebung einer Klage nach Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages gegen eine Entscheidung über staatliche Beihilfen. Unter Berufung auf die Urteile des Gerichtshofes vom 22. März 1977 in der Rechtssache 78/76 (Steinike & Weinlig, Slg. 1977, 595) und vom 14. Oktober 1987 in der Rechtssache 248/84 (Deutschland/Kommission, Slg. 1987, 4013) vertritt sie die Auffassung, nach den Artikeln 92 des Vertrages und 88 EG sei der Staat das einzige Rechtssubjekt, dem die Gewährung einer Beihilfe zugerechnet werden könne. Diese Artikel bezögen sich nämlich auf staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art. In diesem Zusammenhang werde den Gebietskörperschaften eines Mitgliedstaats keine eigene Rechtsstellung zuerkannt.

15.
    Es sei nämlich Sache des Mitgliedstaats, das Allgemeininteresse zu wahren und den unterschiedlichen Interessen bei der Gewährung von Beihilfen Rechnung zu tragen. Die Handlungen der regionalen oder örtlichen Körperschaften im Bereich der staatlichen Beihilfen könnten diesen somit nach den Bestimmungen des Vertrages keine Rechte verleihen oder Verpflichtungen auferlegen, die über diejenigen hinausgingen, die sich aus der unmittelbaren Wirkung der Gemeinschaftsvorschriften ergäben. Daher sei Adressat der Verpflichtung, die Zahlung einer Beihilfe einzustellen oder diese zurückzufordern, immer und ausschließlich der Staat, unabhängig davon, welche öffentliche Einrichtung im Rahmen der internen Organisation des Staates die Beihilfe gewährt oder verwaltet habe.

16.
    Da die Klägerin in dem durch den Vertrag errichteten Beihilfesystem keine eigene Rechtsstellung habe, würden ihre Interessen von dem Mitgliedstaat, dem sie angehöre, vertreten, dem nach Artikel 173 Absatz 2 des Vertrages ein bevorzugtes Klagerecht gegen die angefochtene Entscheidung zustehe.

17.
    Erkenne man eine Befugnis der Gebietskörperschaften, Klage nach Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages zu erheben, an, so hätte dies unannehmbare Folgen. Erstens würde das im Vertrag vorgesehene System staatlicher Beihilfen in Frage gestellt, wenn den regionalen oder örtlichen Körperschaften aufgrund der Anerkennung ihrer besonderen Situation das Recht zur Klageerhebung nach Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages zuerkannt würde. Dies würde es den Körperschaften ermöglichen, Beihilfen ohne Notifizierung zu gewähren und auch gegen den Willen des Mitgliedstaats Klage auf Nichtigerklärung von Verbotsentscheidungen der Kommission zu erheben. Die Koordinierungs- und Kontrollaufgabe, die der Vertrag den Staaten in bezug auf die in ihrem Gebiet gewährten Beihilfen zuerkenne, wäre daher in Frage gestellt, und die Gemeinschaftsgerichte hätten rein interne Interessen- und Zuständigkeitskonflikte zu schlichten, obwohl der Vertrag ihnen diese Funktion nicht zuweise (Beschlüsse des Gerichtshofes vom 21. März 1997 in der Rechtssache C-95/97, Wallonische Region/Kommission, Slg. 1997, I-1787, Randnr. 7, und vom 1. Oktober 1997 in der Rechtssache C-180/97, Regione Toscana/Kommission, Slg. 1997, I-5245, Randnr. 7).

18.
    Zweitens würde, wenn man die Zulässigkeit der vorliegenden Klage bejahte, dies zu einer Zunahme der Klagen und zu einer Behinderung der ordnungsgemäßen Durchführung der Entscheidungen der Kommission im Beihilfebereich führen. Es könnten nicht nur die Gebietskörperschaften gegen Entscheidungen klagen, denen der Mitgliedstaat nachgekommen sei, sondern ein und dieselbe Entscheidung könnte auch Gegenstand paralleler Klagen der Staaten vor dem Gerichtshof und der Körperschaften unterhalb der staatlichen Ebene vor dem Gericht sein. So könnte die Zentralregierung, wenn sie eine Klage zusammen mit einer solchen Körperschaft vorbereite, die Verpflichtung umgehen, die Gemeinschaftshandlungen fristgemäß anzufechten. Außerdem würde die Anerkennung einer Klagebefugnis der Klägerin dazu zwingen, den örtlichen Körperschaften anderer Mitgliedstaaten das Recht zuzuerkennen, die Interessen von Konkurrenzunternehmen der Beihilfeempfänger zu vertreten. Dies führe praktisch zur Anerkennung einer Popularklage. Ein eigenes Klagerecht der Körperschaften unterhalb der staatlichen Ebene würde somit die Mitgliedstaaten von ihrer Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft, die in den Artikeln 92 des Vertrages und 88 EG vorgesehen sei, entbinden.

19.
    Die Unzulässigkeit der Klage sei auch die notwendige Folge einer kohärenten Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Vertragsverletzungsklagen nach Artikel 226 EG (früher Artikel 169). Um in diesem Bereich die Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht zu gefährden, könne sich der betreffende Staat nicht auf das Verhalten seiner Gebietskörperschaften berufen, um die ihm zur Last gelegte Vertragsverletzung zu bestreiten.

20.
    Mit ihrem zweiten Unzulässigkeitsgrund macht die Kommission geltend, das italienische Recht erkenne der Klägerin keine Klagebefugnis zu. Die Verpflichtungen des italienischen Staates im Beihilfebereich wie diejenigen, die sich aus der Entscheidung der Kommission ergäben, gehörten zum Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten dieses Staates und fielen daher in die ausschließliche Zuständigkeit der Zentralregierung.

21.
    Der dritte Unzulässigkeitsgrund wird darauf gestützt, daß die Klägerin als juristische Person im Sinne von Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages kein Rechtsschutzinteresse habe. Nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 282/85 (DEFI/Kommission, Slg. 1986, 2469, Randnr. 18) müsse die Körperschaft unterhalb der staatlichen Ebene, um eine Entscheidung in diesem Rahmen anfechten zu können, nachweisen, daß sich die Interessen, die sie als die ihren ansehe, von dem Allgemeininteresse, das der Staat vertrete, unterschieden. Die von der Klägerin mit den Beihilfen verfolgten Ziele der Entwicklung, Modernisierung und Förderung des Güterkraftverkehrs entsprächen jedoch den vom italienischen Staat vertretenen Interessen. Daraus folge weiter, daß der streitige Rechtsakt keine an eine andere Person gerichtete Entscheidung im Sinne von Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages sei.

22.
    Unter Hinweis auf die Schlußanträge von Generalanwalt Van Gerven zum Urteil des Gerichtshofes vom 22. Mai 1990 in der Rechtssache C-70/88 (Parlament/Rat, Slg. 1990, I-2041, I-2052) trägt die Kommission vor, selbst wenn die Körperschaften unterhalb der staatlichen Ebene eigene Interessen verträten, täten sie dies doch um eines bestimmten gemeinsamen Interesses willen, so daß sie nicht in die Gruppe der natürlichen oder juristischen Personen im Sinne von Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages einzubeziehen seien.

23.
    Mit ihrem vierten Unzulässigkeitsgrund macht die Kommission geltend, die Klägerin sei von der angefochtenen Entscheidung nicht unmittelbar betroffen. Dazu führt sie im wesentlichen aus, die Tatsache, daß die Klägerin während des Vertragsverletzungsverfahrens der Ständigen Vertretung Italiens bei der Europäischen Union Auskünfte erteilt habe, die diese an die Kommission weitergeleitet habe, genüge nicht, damit die angefochtene Entscheidung sie unmittelbar betreffe.

24.
    Auch der Umstand, daß diese Entscheidung die Einstellung der Zahlung und die Rückforderung der für unvereinbar erklärten staatlichen Beihilfen anordne, bedeute nicht, daß die Klägerin von der Entscheidung unmittelbar betroffen sei, da Adressat der Entscheidung der italienische Staat sei und die Region Friaul-Julisch Venetien nur im Rahmen der anwendbaren Vorschriften des nationalen Rechts handele.

25.
    Mit ihrem fünften Unzulässigkeitsgrund macht die Kommission geltend, die angefochtene Entscheidung betreffe die Klägerin nicht individuell. Entgegen den Erfordernissen der ständigen Rechtsprechung könne die Region Friaul-Julisch Venetien nicht nachweisen, daß bei ihr besondere, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebende Umstände vorlägen. Die Beteiligung der Klägerin am Vertragsverletzungsverfahren könne diese nicht individualisieren. Auch sei das Interesse der Klägerin an der angefochtenen Entscheidung nicht größer als das jeder anderen öffentlichen Einrichtung, die im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsordnung an der Durchführung dieser Entscheidung mitwirken könne.

26.
    Die Klägerin weist die von der Kommission vorgetragenen Unzulässigkeitsgründe zurück. Sie erklärt im wesentlichen, die Kommission verwechsele den Bereich der Anwendung des Kontrollverfahrens bei staatlichen Beihilfen nach Artikel 92 des Vertrages mit dem des in Artikel 173 des Vertrages geregelten gerichtlichen Rechtsschutzes. Die Argumentation der Kommission laufe auf die Schlußfolgerung hinaus, daß im Bereich der Beihilfen nur der Mitgliedstaat Nichtigkeitsklage erheben könne, da ebensowenig wie die Regionen die Empfänger der Beihilfen oder ihre Konkurrenten im Rahmen einer solchen Klage eine Stellung besäßen, die sich von derjenigen des Staates unterscheide.

27.
    Die Klägerin hält sich außerdem für unmittelbar und individuell von der angefochtenen Entscheidung betroffen.

Würdigung durch das Gericht

28.
    Vorab ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin, die nach dem nationalen italienischen Recht Rechtspersönlichkeit besitzt, Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages erheben kann, wonach jede natürliche oder juristische Person gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen Entscheidungen Klage erheben kann, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen (vgl. Urteil des Gerichts vom 30. April 1998 in der Rechtssache T-214/95, Vlaams Gewest/Kommission, Slg. 1998, II-717, Randnr. 28, und die dort angeführte Rechtsprechung sowie Beschluß des Gerichts vom 16. Juni 1998 in der Rechtssache T-238/97, Comunidad Autónoma de Cantabria/Rat, Slg. 1998, II-2271, Randnr. 43).

29.
    Da die angefochtene Entscheidung an die Italienische Republik gerichtet ist, hängt das Klagerecht der Klägerin davon ab, ob sie von dieser Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen ist.

30.
    Andere Personen als die Adressaten einer Entscheidung können nur dann behaupten, individuell im Sinne von Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages betroffen zu sein, wenn diese Entscheidung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten (Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62, Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 213, 238, und vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 169/84, Cofaz u. a./Kommission, Slg. 1986, 391, Randnr. 21). Diese Bestimmung bezweckt nämlich, auch demjenigen Rechtsschutz zu verschaffen, der, ohne Adressat der fraglichen Handlung zu sein, von ihr tatsächlich in ähnlicher Weise betroffen ist wie der Adressat (Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1984 in der Rechtssache 222/83, Gemeinde Differdange u. a./Kommission, Slg. 1984, 2889, Randnr. 9).

31.
    Dazu ist festzustellen, daß die angefochtene Entscheidung von der Klägerin gewährte Beihilfen betrifft. Sie erfaßt nicht nur Handlungen, die die Klägerin vorgenommen hat, sondern sie hindert diese auch daran, ihre Befugnisse so, wie sie es beabsichtigt, auszuüben (in diesem Sinne Urteil Vlaams Gewest/Kommission, a. a. O., Randnr. 29). Entgegen der Auffassung der Kommission kann die Situation der Klägerin nicht mit derjenigen der Comunidad Autónoma de Cantabria in der Rechtssache, die zu dem zitierten Beschluß Comunidad Autónoma de Cantabria/Rat geführt hat, gleichgesetzt werden, da sich die Individualisierung, auf die sich diese autonome Gemeinschaft berufen hatte, auf die Erwähnung der sozioökonomischen Auswirkungen der angefochtenen Handlung auf ihr Gebiet beschränkte.

32.
    Darüber hinaus hindert die angefochtene Entscheidung die Klägerin daran, die fraglichen Rechtsvorschriften weiterhin anzuwenden, sie hebt deren Wirkungen auf und zwingt die Klägerin, das Verwaltungsverfahren zur Wiedereinziehung der Beihilfen bei den Empfängern einzuleiten. Auch wenn diese Entscheidung an die Italienische Republik gerichtet ist, so haben die nationalen Behörden bei ihrer Übermittlung an die Klägerin doch keinerlei Ermessen ausgeübt. Diese ist daher von der angefochtenen Handlung unmittelbar betroffen (in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes vom 13. Mai 1971 in den verbundenen Rechtssachen 41/70, 42/70, 43/70 und 44/70, International Fruit Company u. a./Kommission, Slg. 1971, 411, Randnrn. 26 bis 28, vom 29. März 1979 in der Rechtssache 113/77, NTN Toyo Bearing Company u. a./Rat, Slg. 1979, 1185, Randnr. 11, und vom 26. April 1988 in der Rechtssache 207/86, Apesco/Kommission, Slg. 1988, 2151, Randnr. 12).

33.
    Aus dem Vorstehenden folgt, daß die Klägerin von der angefochtenen Entscheidung individuell und unmittelbar betroffen ist.

34.
    Das Gericht hat jedoch auch zu prüfen, ob das Interesse der Klägerin an einer Anfechtung der fraglichen Entscheidung nicht im Interesse des italienischen Staates mit enthalten ist. Dazu ist vor allem zu bemerken, daß die Klägerin als autonome Gebietskörperschaft dieses Staates Trägerin spezifischer Rechte und Interessen ist. Die Beihilfen, auf die sich die angefochtene Entscheidung bezieht, stellen Maßnahmen dar, die kraft der legislativen und finanziellen Autonomie getroffen wurden, die die Klägerin unmittelbar aufgrund der italienischen Verfassung (Artikel 115 und 116) genießt. Somit kann die Stellung der Klägerin im vorliegenden Fall nicht mit der des Klägers in der Rechtssache verglichen werden, die zu dem genannten Urteil DEFI/Kommission geführt hat. In dieser Rechtssache war die französische Regierung befugt, die Verwaltung und Politik des Ausschusses DEFI zu bestimmen und damit auch die Interessen zu definieren, die dieser zu vertreten hatte.

35.
    Infolgedessen kann die Klägerin nach Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages gegen die angefochtene Entscheidung klagen.

36.
    Diese Schlußfolgerung läßt sich nicht durch die übrigen von der Kommission vorgebrachten Unzulässigkeitsgründe entkräften.

37.
    Wie die Klägerin zutreffend vorträgt, wird bei dem auf das im Vertrag vorgesehene System staatlicher Beihilfen gestützte Argument der Anwendungsbereich des Kontrollverfahrens der Artikel 92 des Vertrages und 88 EG mit dem des in Artikel 173 des Vertrages geregelten gerichtlichen Rechtsschutzes verwechselt.

38.
    Das Verbot des Artikels 92 Absatz 1 des Vertrages bezieht sich auf alle staatlichen oder aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfen, ohne zwischen den unmittelbar vom Staat und den von öffentlichen oder privaten Einrichtungen gewährten Beihilfen zu unterscheiden (vgl. hierzu Urteile Steinike & Weinlig, a. a. O., Randnr. 21, und Deutschland/Kommission, a. a. O., Randnr. 17). Da diese Bestimmung die Mitgliedstaaten daran hindern soll, dieses grundlegende Verbot dadurch zu umgehen, daß sie öffentliche Finanzmittel über andere Einrichtungen gewähren, werden alle aus diesem Grund vorgenommenen Handlungen unabhängig von ihrem tatsächlichen Urheber dem Staat zugerechnet. Deshalb sind die im Rahmen des Artikels 88 EG erlassenen Entscheidungen, die die Einhaltung dieses Verbotes bezwecken, nur an den Mitgliedstaat gerichtet. Somit ist die Gleichstellung der regionalen oder örtlichen Körperschaften mit dem Staat in diesem Kontext durch Gründe gerechtfertigt, die mit der Wirksamkeit des durch die Artikel 92 des Vertrages und 88 EG errichteten Kontrollsystems zusammenhängen.

39.
    Die von der Kommission befürwortete Lösung würde dazu führen, daß im Bereich staatlicher Beihilfen nur die Mitgliedstaaten, die Empfänger der Beihilfe (Urteil des Gerichtshofes vom 14. November 1984 in der Rechtssache 323/82, Intermills/Kommission, Slg. 1984, 3809, Randnr. 5), die Wettbewerber (Urteil Cofaz u. a./Kommission, a. a. O., Randnrn. 21 bis 31) und unter Umständen auch die Berufsverbände, die die Interessen des beihilfebegünstigten Industriezweigs vertreten (Urteil des Gerichtshofes vom 2. Februar 1988 in den Rechtssachen 67/85, 68/85 und 70/85, Van der Kooy u. a./Kommission, Slg. 1988, 219, Randnrn. 21 bis 24, und Urteil des Gerichts vom 6. Juli 1995 in den Rechtssachen T-447/93, T-448/93 und T-449/93, AITEC u. a./Kommission, Slg. 1995, II-1971, Randnrn. 53 und 62), den in Artikel 173 des Vertrages vorgesehenen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen könnten. Die öffentlichen Einrichtungen unterhalb der staatlichen Ebene wie die Klägerin wären damit ausgeschlossen.

40.
    Insoweit ist jedoch zunächst daran zu erinnern, daß die Bestimmungen des Vertrages über das Klagerecht nicht restriktiv ausgelegt werden dürfen (vgl. insbesondere Urteil Plaumann/Kommission, a. a. O., 237).

41.
    Der Zweck des Artikels 173 Absatz 4 des Vertrages besteht darin, allen natürlichen oder juristischen Personen, die von den Handlungen der Gemeinschaftsorgane unmittelbar und individuell betroffen sind, einen angemessenen gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren. Die Klagebefugnis ist daher allein nach Maßgabe dieses Zweckes zuzuerkennen, und die Nichtigkeitsklage muß somit allen Personen zugänglich sein, die die vorgesehenen objektiven Voraussetzungen erfüllen, d. h. die erforderliche Rechtspersönlichkeit besitzen und von der angefochtenen Handlung individuell und unmittelbar betroffen sind. Dies gilt auch für den Fall, daß der Kläger eine öffentliche Einrichtung ist, die diesen Kriterien entspricht.

42.
    Diese Schlußfolgerung wird durch einen Vergleich des Wortlauts des Artikels 33 Absatz 2 EGKS-Vertrag mit dem des Artikels 173 Absatz 4 EG-Vertrag, der einen weiteren Umfang hat, erhärtet. Während der EGKS-Vertrag das Recht zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage nur Unternehmen und Unternehmensverbänden zuerkennt (vgl. hierzu Beschluß des Gerichts vom 29. September 1997 in der Rechtssache T-70/97, Wallonische Region/Kommission, Slg. 1997, II-1513), erkennt der EG-Vertrag dieses Recht ausdrücklich „natürlichen oder juristischen Personen“ zu, ohne die juristischen Personen des öffentlichen Rechts auszunehmen. Aus der unterschiedlichen Abfassung dieser beiden Bestimmungen ergibt sich also, daß der Grundsatz des gerichtlichen Rechtsschutzes im EG-Vertrag einen weiteren Umfang hat und nicht auf Unternehmen beschränkt ist.

43.
    Somit kann das Recht der öffentlichen Einrichtungen unterhalb der staatlichen Ebene, im Bereich staatlicher Beihilfen Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages zu erheben, nicht von der ausdrücklichen Anerkennung ihrer spezifischen Rechtsstellung durch die Artikel 92 des Vertrages und 88 EG abhängen.

44.
    Dieses Recht kann im übrigen nicht die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus den Artikeln 92 des Vertrages und 88 EG in Frage stellen. Die Staaten sind nach wie vor die der Gemeinschaft gegenüber für Verstöße gegen die Verpflichtungen aus diesen Artikeln verantwortlichen Körperschaften.

45.
    Desgleichen ist das aus Artikel 226 EG hergeleitete Argument zurückzuweisen, das sich darauf bezieht, daß bei Vertragsverletzungsklagen dem Mitgliedstaat die von seinen Gebietskörperschaften begangenen Verstöße zuzurechnen seien.

46.
    Artikel 226 EG und Artikel 173 des Vertrages stellen selbständige Rechtsschutzmöglichkeiten dar, die unterschiedlichen Zwecken dienen. Artikel 226 EG soll Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Verpflichtungen ahnden, die den Staaten nach dem Vertrag obliegen und für deren Erfüllung sie der Gemeinschaft gegenüber allein verantwortlich bleiben. Daher können sich die Mitgliedstaaten in diesem Verfahren zu ihrer Rechtfertigung nicht auf Vertragsverletzungen von Körperschaften unterhalb der staatlichen Ebene berufen (Urteile des Gerichtshofes vom 14. Januar 1988 in den Rechtssachen 227/85, 228/85, 229/85 und 230/85, Kommission/Belgien, Slg. 1988, 1, Randnrn. 9 und 10, und vom 13. Dezember 1991 in der Rechtssache C-33/90, Kommission/Italien, Slg. 1991, I-5987, Randnr. 24).

47.
    Dagegen kann die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages nur nach Maßgabe der besonderen Zwecke dieser Vorschrift und des Grundsatzes des gerichtlichen Rechtsschutzes beurteilt werden, wonach jede natürliche oder juristische Person die Möglichkeit haben muß, sich aus eigener Initiative, d. h. aufgrund ihres eigenen Urteils, an die Gerichte zu wenden, um eine sie beschwerende Handlung überprüfen zu lassen.

48.
    Was die Gefahr der Einmischung des Gemeinschaftsrichters in die Verteilung der Zuständigkeiten innerhalb der Mitgliedstaaten angeht, so genügt die Feststellung, daß sich dieses Problem nicht stellt, da das Gemeinschaftsgericht nicht über die in den institutionellen Vorschriften des nationalen Rechts vorgesehene Verteilung der Zuständigkeiten auf die verschiedenen nationalen Körperschaften und über die etwaigen Verpflichtungen dieser Körperschaften zu entscheiden hat. Im übrigen sind mögliche Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Kläger und dem Mitgliedstaat über die Zweckmäßigkeit der Erhebung einer Klage gegen eine Entscheidung der Kommission für die Prüfung der Zulässigkeit dieser Klage nach Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages irrelevant.

49.
    Die Anerkennung eines eigenen Interesses der Klägerin an einer Anfechtung der fraglichen Entscheidung kann auch nicht, wie die Kommission meint, die Nichtigkeitsklage natürlicher oder juristischer Personen in eine Art Popularklage umwandeln. Die in Randnummer 41 erwähnten objektiven Zulässigkeitsvoraussetzungen stellen nach wie vor Erfordernisse dar, denen jeder Kläger genügen muß, um eine Handlung, die nicht an ihn gerichtet ist, anfechten zu können.

50.
    Was schließlich die fehlende Klagebefugnis der Klägerin im Bereich der auswärtigen Beziehungen nach italienischem Recht betrifft, so genügt die Feststellung, daß es hierauf für die Beantwortung der Frage, ob die Möglichkeit der Erhebung einer Nichtigkeitsklage vor dem Gemeinschaftsrichter besteht, nicht ankommt. Wie oben (insbesondere unter Randnr. 41) ausgeführt worden ist, sind allein die in Artikel 173 des Vertrages vorgesehenen Zulässigkeitsvoraussetzungen maßgebend.

51.
    Aus all diesen Gründen ist die Unzulässigkeitseinrede der Kommission zurückzuweisen und die Fortsetzung des Verfahrens anzuordnen.

Kosten

52.
    Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.    Die Unzulässigkeitseinrede der Kommission wird zurückgewiesen.

2.    Das Verfahren wird zur Sache fortgesetzt.

3.    Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Vesterdorf
Bellamy
Moura Ramos

            Pirrung            Mengozzi

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Juni 1999.

Der Kanzler

Der Präsident

H. Jung

B. Vesterdorf


1: Verfahrenssprache: Italienisch.