URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

4. März 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 92/43/EWG – Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – Art. 12 Abs. 1 – Richtlinie 2009/147/EG – Erhaltung der wildlebenden Vogelarten – Art. 5 – Forstwirtschaft – Verbote, die die Erhaltung der geschützten Arten gewährleisten sollen – Geplanter Kahlschlag – Gebiet, in dem geschützte Arten vorkommen“

In den verbundenen Rechtssachen C‑473/19 und C‑474/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Vänersborgs tingsrätt, mark- och miljödomstolen (Kammer für Land- und Umweltangelegenheiten des Gerichts erster Instanz Vänersborg, Schweden) mit Entscheidungen vom 12. und vom 13. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juni 2019, in den Verfahren

Föreningen Skydda Skogen (C‑473/19)

Naturskyddsföreningen i Härryda,

Göteborgs Ornitologiska Förening (C‑474/19)

gegen

Länsstyrelsen i Västra Götalands län,

B.A.B. (C‑473/19),

U.T.B. (C‑474/19)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer sowie der Richter A. Kumin, T. von Danwitz und P. G. Xuereb,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Föreningen Skydda Skogen, vertreten durch E. Götmark,

–        von Naturskyddsföreningen i Härryda, vertreten durch J. Hort,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und L. Dvořáková als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Simonsson, C. Hermes und E. Ljung Rasmussen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. September 2020

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. 1992, L 206, S. 7, im Folgenden: Habitatrichtlinie) und von Art. 5 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010, L 20, S. 7, im Folgenden: Vogelschutzrichtlinie).

2        Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen Föreningen Skydda Skogen (Verein „Schützt den Wald“), Naturskyddsföreningen i Härryda (Naturschutzverein Härryda) und Göteborgs Ornitologiska Förening (Ornithologischer Verein Göteborg) auf der einen und Länsstyrelsen i Västra Götalands län (Provinzverwaltung Västra Götaland), B.A.B. und U.T.B. auf der anderen Seite wegen einer Entscheidung der Provinzverwaltung Västra Götaland, gegen eine Abholzungsanmeldung betreffend ein Waldgebiet in der Gemeinde Härryda (Schweden) nicht tätig zu werden.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Habitatrichtlinie

3        Die Erwägungsgründe 3, 4 und 6 der Habitatrichtlinie lauten:

„Hauptziel dieser Richtlinie ist es, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, wobei jedoch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Anforderungen berücksichtigt werden sollen. Diese Richtlinie leistet somit einen Beitrag zu dem allgemeinen Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. Die Erhaltung der biologischen Vielfalt kann in bestimmten Fällen die Fortführung oder auch die Förderung bestimmter Tätigkeiten des Menschen erfordern.

Der Zustand der natürlichen Lebensräume im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten verschlechtert sich unaufhörlich. Die verschiedenen Arten wildlebender Tiere und Pflanzen sind in zunehmender Zahl ernstlich bedroht. Die bedrohten Lebensräume und Arten sind Teil des Naturerbes der Gemeinschaft, und die Bedrohung, der sie ausgesetzt sind, ist oft grenzübergreifend; daher sind zu ihrer Erhaltung Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene erforderlich.

Zur Wiederherstellung oder Wahrung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und der Arten von gemeinschaftlichem Interesse sind besondere Schutzgebiete auszuweisen, um nach einem genau festgelegten Zeitplan ein zusammenhängendes europäisches ökologisches Netz zu schaffen.“

4        Art. 1 Buchst. i und m der Habitatrichtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:

i)      ‚Erhaltungszustand einer Art‘: die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in dem in Artikel 2 bezeichneten Gebiet auswirken können.

Der Erhaltungszustand wird als ‚günstig‘ betrachtet, wenn

–        aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, dass diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird, und

–        das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird und

–        ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern.

m)      ‚Exemplar‘: jedes Tier oder jede Pflanze – lebend oder tot – der in Anhang IV und Anhang V aufgeführten Arten, jedes Teil oder jedes aus dem Tier oder der Pflanze gewonnene Produkt sowie jede andere Ware, die aufgrund eines Begleitdokuments, der Verpackung, eines Zeichens, eines Etiketts oder eines anderen Sachverhalts als Teil oder Derivat von Tieren oder Pflanzen der erwähnten Arten identifiziert werden kann.“

5        Art. 2 der Habitatrichtlinie sieht vor:

„(1)      Diese Richtlinie hat zum Ziel, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, beizutragen.

(2)      Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.

(3)      Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen tragen den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung.“

6        Art. 12 Abs. 1 der Habitatrichtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchstabe a) genannten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen; dieses verbietet:

a)      alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten;

b)      jede absichtliche Störung dieser Arten, insbesondere während der Fortpflanzungs‑, Aufzucht‑, Überwinterungs- und Wanderungszeiten;

c)      jede absichtliche Zerstörung oder Entnahme von Eiern aus der Natur;

d)      jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten.“

7        Art. 16 Abs. 1 der Habitatrichtlinie bestimmt:

„Sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und unter der Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, können die Mitgliedstaaten von den Bestimmungen der Artikel 12, 13 und 14 sowie des Artikels 15 Buchstaben a) und b) im folgenden Sinne abweichen:

a)      zum Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume;

b)      zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum;

c)      im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positiver Folgen für die Umwelt;

d)      zu Zwecken der Forschung und des Unterrichts, der Bestandsauffüllung und Wiederansiedlung und der für diese Zwecke erforderlichen Aufzucht, einschließlich der künstlichen Vermehrung von Pflanzen;

e)      um unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten und von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- und Pflanzenarten des Anhangs IV zu erlauben.“

8        Anhang IV Buchst. a der Habitatrichtlinie nennt u. a. die Art Rana arvalis, gemeinhin als Moorfrosch bezeichnet, als streng zu schützende Tierart von gemeinschaftlichem Interesse.

 Vogelschutzrichtlinie

9        Die Erwägungsgründe 3 bis 5 der Vogelschutzrichtlinie lauten:

„(3)      Bei vielen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wildlebenden Vogelarten ist ein Rückgang der Bestände festzustellen, der in bestimmten Fällen sehr rasch vonstatten geht. Dieser Rückgang bildet eine ernsthafte Gefahr für die Erhaltung der natürlichen Umwelt, da durch diese Entwicklung insbesondere das biologische Gleichgewicht bedroht wird.

(4)      Bei den im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wildlebenden Vogelarten handelt es sich zum großen Teil um Zugvogelarten. Diese Arten stellen ein gemeinsames Erbe dar; daher ist der wirksame Schutz dieser Vogelarten ein typisch grenzübergreifendes Umweltproblem, das gemeinsame Verantwortlichkeiten mit sich bringt.

(5)      Die Erhaltung der im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wildlebenden Vogelarten ist für die Verwirklichung der Gemeinschaftsziele auf den Gebieten der Verbesserung der Lebensbedingungen und der nachhaltigen Entwicklung erforderlich.“

10      Art. 1 der Vogelschutzrichtlinie bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie betrifft die Erhaltung sämtlicher wildlebenden Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf welches der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind. Sie hat den Schutz, die Bewirtschaftung und die Regulierung dieser Arten zum Ziel und regelt die Nutzung dieser Arten.

(2)      Sie gilt für Vögel, ihre Eier, Nester und Lebensräume.“

11      Art. 2 der Vogelschutzrichtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die Bestände aller unter Artikel 1 fallenden Vogelarten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, wobei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung getragen wird.“

12      Art. 3 der Vogelschutzrichtlinie sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen unter Berücksichtigung der in Artikel 2 genannten Erfordernisse die erforderlichen Maßnahmen, um für alle unter Artikel 1 fallenden Vogelarten eine ausreichende Vielfalt und eine ausreichende Flächengröße der Lebensräume zu erhalten oder wieder herzustellen.

(2)      Zur Erhaltung und Wiederherstellung der Lebensstätten und Lebensräume gehören insbesondere folgende Maßnahmen:

a)      Einrichtung von Schutzgebieten;

b)      Pflege und ökologisch richtige Gestaltung der Lebensräume in und außerhalb von Schutzgebieten;

c)      Wiederherstellung zerstörter Lebensstätten;

d)      Neuschaffung von Lebensstätten.“

13      In Art. 4 der Vogelschutzrichtlinie heißt es:

„(1)      Auf die in Anhang I aufgeführten Arten sind besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Lebensräume anzuwenden, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen.

Die Mitgliedstaaten erklären insbesondere die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten, wobei die Erfordernisse des Schutzes dieser Arten in dem geografischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, zu berücksichtigen sind.

(4)      Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen dieses Artikels erheblich auswirken, in den [in den] Absätzen 1 und 2 genannten Schutzgebieten zu vermeiden. Die Mitgliedstaaten bemühen sich ferner, auch außerhalb dieser Schutzgebiete die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume zu vermeiden.“

14      Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie bestimmt:

„Unbeschadet der Artikel 7 und 9 erlassen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller unter Artikel 1 fallenden Vogelarten, insbesondere das Verbot

a)      des absichtlichen Tötens oder Fangens, ungeachtet der angewandten Methode;

b)      der absichtlichen Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern und der Entfernung von Nestern;

c)      des Sammelns der Eier in der Natur und des Besitzes dieser Eier, auch in leerem Zustand;

d)      ihres absichtlichen Störens, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, sofern sich diese Störung auf die Zielsetzung dieser Richtlinie erheblich auswirkt;

…“

15      Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten können, sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt, aus den nachstehenden Gründen von den Artikeln 5 bis 8 abweichen:

a)      –      im Interesse der Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit,

–        im Interesse der Sicherheit der Luftfahrt,

–        zur Abwendung erheblicher Schäden an Kulturen, Viehbeständen, Wäldern, Fischereigebieten und Gewässern,

–        zum Schutz der Pflanzen- und Tierwelt;

b)      zu Forschungs- und Unterrichtszwecken, zur Aufstockung der Bestände, zur Wiederansiedlung und zur Aufzucht im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen;

c)      um unter streng überwachten Bedingungen selektiv den Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung bestimmter Vogelarten in geringen Mengen zu ermöglichen.“

16      Art. 14 der Vogelschutzrichtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten können strengere Schutzmaßnahmen ergreifen, als sie in dieser Richtlinie vorgesehen sind.“

 Schwedisches Recht

17      § 4 Abs. 1 der Artskyddsförordning (Verordnung über den Artenschutz [2007:845], im Folgenden: Artenschutzverordnung), der auf der Grundlage von Art. 1 des 8. Kapitels des Miljöbalk, Lag (1998:808) (Gesetz zur Schaffung des Umweltgesetzbuchs [1998:808]) zur Umsetzung von Art. 5 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 1979, L 103, S. 1), dessen Wortlaut in Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie, mit der die Richtlinie 79/409 aufgehoben und ersetzt wurde, übernommen wurde, und von Art. 12 der Habitatrichtlinie in schwedisches Recht erlassen wurde, bestimmt:

„In Bezug auf wildlebende Vögel und solche wildlebenden Tierarten, die in Anhang 1 dieser Verordnung mit N oder n bezeichnet wurden, ist es verboten,

1.      Tiere absichtlich zu fangen oder zu töten,

2.      Tiere absichtlich zu stören, insbesondere während ihrer Paarungs‑, Aufzucht‑, Überwinterungs- und Wanderungszeiten,

3.      absichtlich Eier in der Natur zu zerstören oder zu sammeln und

4.      Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der Tiere zu beschädigen oder zu vernichten.

Das Verbot gilt für alle Lebensstadien der Tiere.

…“

18      Mit § 4 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 dieser Verordnung wird so das in Bezug auf absichtliche Handlungen geltende Verbot gemäß Art. 5 Buchst. a bis d der Vogelschutzrichtlinie und Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie umgesetzt. § 4 Abs. 1 Nr. 4 dieser Verordnung setzt Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie um.

19      Anhang 1 der Artenschutzverordnung enthält die Liste aller Arten, die in den Anhängen I bis III der Vogelschutzrichtlinie und in den Anhängen II, IV und V der Habitatrichtlinie aufgeführt sind.

20      Aus § 30 des Skogsvårdslag (1979:429) (Gesetz über die Forstwirtschaft [1979:429]) geht hervor, dass die Regierung oder die von ihr beauftragte Verwaltungsbehörde Anweisungen insbesondere hinsichtlich der im Rahmen der Forstwirtschaft zu beachtenden Belange des Naturschutzes erteilen kann.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

21      Bei Skogsstyrelsen (nationale Forstverwaltung, Schweden) wurde eine Abholzungsanmeldung betreffend ein Waldgebiet in der Gemeinde Härryda eingereicht. Diese Anmeldung betrifft einen Kahlschlag, was die Entfernung fast aller Bäume bedeutet.

22      Die nationale Forstverwaltung gab eine Stellungnahme zu den in diesem besonderen Fall zu treffenden Vorsorgemaßnahmen ab und war der Auffassung, dass die in der Anmeldung beschriebene Maßnahme nicht gegen die Verbote der schwedischen Artenschutzverordnung verstoße, sofern ihrer Stellungnahme gefolgt werde.

23      Wie aus den Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, ist das in der in Rede stehenden Anmeldung genannte Waldgebiet der natürliche Lebensraum von nach der Artenschutzverordnung geschützten Arten. Die in diesem Gebiet geplante Waldbewirtschaftung wird indessen zur Folge haben, dass Exemplare dieser geschützten Arten gestört oder getötet werden. Außerdem werden die Eier dieser Arten, die sich in diesem Gebiet befinden, zerstört werden.

24      Am 22. Dezember 2016 und am 17. Januar 2018 beantragten daraufhin die Kläger der Ausgangsverfahren bei der Provinzverwaltung Västra Götaland, die für die Kontrolle des Artenschutzes in dieser Provinz verantwortlich ist, gegen die Abholzungsanmeldung und die Stellungnahme der nationalen Forstverwaltung vorzugehen. Sie sind der Ansicht, dass die geplante Abholzung den in der Artenschutzverordnung vorgesehenen Verboten widerspreche, und beantragten insbesondere, dass die Provinzverwaltung ihrem Auftrag der Kontrolle der Anwendung dieser Verordnung nachkomme.

25      Die Provinzverwaltung Västra Götaland entschied, dass sie nicht verpflichtet sei, die Notwendigkeit einer Ausnahme von der Anwendung der Artenschutzverordnung zu prüfen, was bedeutet, dass die geplante Maßnahme ihrer Ansicht nach gegen keines der darin genannten Verbote verstößt, soweit die in der in Rn. 22 des vorliegenden Urteils genannten Stellungnahme der nationalen Forstverwaltung empfohlenen Vorsorgemaßnahmen berücksichtigt werden. Die Kläger der Ausgangsverfahren erhoben daraufhin bei dem vorlegenden Gericht Klage gegen diese Entscheidung der Provinzverwaltung Västra Götaland, keine Kontrollmaßnahmen zu ergreifen.

26      Das vorlegende Gericht führt zum einen aus, dass § 4 der Artenschutzverordnung sowohl Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie als auch Art. 12 der Habitatrichtlinie umsetze, so dass diese Verordnung im Hinblick auf den Umfang der Verbote keinen Unterschied zwischen den Arten mache, die unter die eine oder die andere dieser Richtlinien fielen, und dass sich das in der Habitatrichtlinie vorgesehene Verbot der Beschädigung oder Vernichtung von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten somit nach nationalem Recht auch auf Vögel erstrecke. Diese Umsetzung führe zu keiner Kontroverse, da die Vogelschutzrichtlinie eine Richtlinie zur Mindestharmonisierung sei, die auf der Grundlage von Art. 175 Abs. 1 EG erlassen worden sei.

27      Zum anderen beträfen die Rechtssachen, in denen es zu entscheiden habe, die Auswirkung der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden forstwirtschaftlichen Maßnahme auf eine Reihe von unter die Vogelschutzrichtlinie fallenden Vogelarten, von denen mehrere in Anhang I dieser Richtlinie angeführt seien, sowie auf die Art Rana arvalis, gemeinhin als Moorfrosch bezeichnet, die in Anhang IV Buchst. a der Habitatrichtlinie genannt werde, die den durch diese Richtlinie vorgesehenen strengen Schutz genieße und in dem in Rede stehenden Abholzungsgebiet vorkomme. In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass diese Arten in dem betroffenen Gebiet mit hoher Wahrscheinlichkeit Fortpflanzungsstätten hätten. Diese würden aber durch die geplante Abholzung zerstört oder verschlechtert werden.

28      Das vorlegende Gericht ist somit der Ansicht, dass die Auslegung einiger Begriffe der Vogelschutz- und der Habitatrichtlinie notwendig sei, um die vor ihm aufgeworfenen Fragen entscheiden zu können und um in diesem Zusammenhang prüfen zu können, ob sich damit die nationale Rechtsprechung vereinbaren lasse, die bei Maßnahmen, mit denen ein anderer Zweck verfolgt werde als der, auf den sich die Verbote in den Richtlinien bezögen, verlange, dass ein Risiko bestehen müsse, dass sich die entsprechende Maßnahme negativ auf den Erhaltungszustand der betroffenen Arten auswirke, damit diese Verbote Anwendung fänden.

29      Unter diesen Umständen hat das Vänersborgs tingsrätt, mark- och miljödomstolen (Kammer für Land- und Umweltangelegenheiten des Gerichts erster Instanz Vänersborg, Schweden) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, deren Wortlaut in den Rechtssachen C‑473/19 und C‑474/19 identisch ist:

1.      Ist Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie dahin auszulegen, dass er eine innerstaatliche Rechtspraxis ausschließt, wonach das Verbot lediglich Arten erfasst, die in Anhang I der Richtlinie aufgeführt sind oder auf irgendeiner Ebene bedroht sind oder deren Population auf lange Sicht rückläufig ist?

2.      Sind die Begriffe „absichtliches Töten/Stören/Zerstören“ in Art. 5 Buchst. a bis d der Vogelschutzrichtlinie und in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie dahin auszulegen, dass sie eine innerstaatliche Praxis ausschließen, wonach in dem Fall, dass mit einer Maßnahme offenkundig ein anderer Zweck verfolgt wird, als Arten zu töten oder zu stören (z. B. forstwirtschaftliche Maßnahmen oder Erschließung), ein Risiko bestehen muss, dass sich die Maßnahme negativ auf den Erhaltungszustand der Arten auswirkt, damit die Verbote Anwendung finden?

Die Fragen 1 und 2 werden u. a. vor dem Hintergrund gestellt,

–        dass Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie den Schutz sämtlicher Vogelarten im Sinne von Art. 1 Abs. 1 bezweckt,

–        wie Art. 1 Buchst. m der Habitatrichtlinie „Exemplar“ definiert,

–        dass sich die Frage nach dem Erhaltungszustand der Art erst im Zusammenhang mit Ausnahmen nach Art. 16 der Habitatrichtlinie (Ausnahmen setzen voraus, dass es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen) bzw. nach Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie (Ausnahmen dürfen nicht mit dieser Richtlinie unvereinbar sein, die die Mitgliedstaaten in Art. 2 verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Bestände aller unter Art. 1 fallenden Vogelarten auf einem Stand zu halten, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht) stellen dürfte.

3.      Soweit die Frage 2 dahin beantwortet wird, dass ein Schaden auf einer anderen Ebene als der Ebene des Individuums zu beurteilen ist, damit das Verbot Anwendung findet, ist die Beurteilung dann in einem der folgenden Bereiche oder auf einer dieser Ebenen vorzunehmen:

a.      einem bestimmten geografisch abgegrenzten Teil der Population wie unter Buchst. a definiert, z. B. durch die Grenzen der Provinz, des Mitgliedstaats oder der Europäischen Union,

b.      der lokalen Population, die betroffen (und von anderen Populationen der Art biologisch isoliert) ist,

c.      der Metapopulation, die betroffen ist, oder

d.      der gesamten Population der Art innerhalb des betreffenden Teils der biogeografischen Region des Verbreitungsgebiets der Art?

4.      Ist der Begriff „Vernichtung/Beschädigung“ in Bezug auf Fortpflanzungsstätten von Tieren in Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie dahin auszulegen, dass er eine innerstaatliche Praxis ausschließt, wonach in dem Fall, dass die kontinuierliche ökologische Funktionalität in dem Lebensraum der betroffenen Art in einem einzelnen Gebiet trotz Vorsorgemaßnahmen entweder durch Beschädigung, Zerstörung oder Verschlechterung, unmittelbar oder mittelbar, einzeln oder kumulativ verloren geht, das Verbot erst Anwendung findet, wenn sich der Erhaltungszustand der betroffenen Art auf einer der in Frage 3 genannten Ebenen zu verschlechtern droht?

5.      Soweit die Frage 4 verneint wird, d. h., ein Schaden auf einer anderen Ebene als der des Lebensraums innerhalb des einzelnen Gebiets zu beurteilen ist, damit das Verbot Anwendung findet, ist die Beurteilung dann in einem der folgenden Bereiche oder auf einer dieser Ebenen vorzunehmen:

a.      einem bestimmten geografisch abgegrenzten Teil der Population wie unter Buchst. a definiert, z. B. durch die Grenzen der Provinz, des Mitgliedstaats oder der Europäischen Union,

b.      der lokalen Population, die betroffen (und von anderen Populationen der Art biologisch isoliert) ist,

c.      der Metapopulation, die betroffen ist, oder

d.      der gesamten Population der Art innerhalb des betreffenden Teils der biogeografischen Region des Verbreitungsgebiets der Art?

Die Fragen 2 und 4 umfassen die Frage, ob der strenge Schutz der Vogelschutz- und der Habitatrichtlinie für Arten nicht mehr gilt, für die das Ziel der Habitatrichtlinie (günstiger Erhaltungszustand) erreicht wurde.

30      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 22. Juli 2019 sind die Rechtssachen C‑473/19 und C‑474/19 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

31      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, wonach die in dieser Bestimmung vorgesehenen Verbote lediglich Arten erfassen, die in Anhang I der Richtlinie aufgeführt sind, die auf irgendeiner Ebene bedroht sind oder deren Population auf lange Sicht rückläufig ist.

32      Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 2. Juli 2020, Magistrat der Stadt Wien [Feldhamster], C‑477/19, EU:C:2020:517, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten unmittelbar nach dem Wortlaut von Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie unbeschadet ihrer Art. 7 und 9 die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller unter Art. 1 dieser Richtlinie fallenden Vogelarten erlassen, insbesondere die in Art. 5 aufgeführten Verbote.

34      Nach Art. 1 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie betrifft diese „die Erhaltung sämtlicher wildlebenden Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf welches der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind“.

35      Nach Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie sind die Mitgliedstaaten also verpflichtet, einen vollständigen und wirksamen Rechtsrahmen zu erlassen. Sie müssen wie bei Art. 12 der Habitatrichtlinie konkrete, spezifische Schutzmaßnahmen ergreifen, mit denen gewährleistet wird, dass die in Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie genannten Verbote zum Schutz der Arten sowie der Fortpflanzungs- und Ruhestätten der unter diese Richtlinie fallenden Vögel tatsächlich beachtet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. April 2018, Kommission/Polen [Wald von Białowieża], C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 252).

36      Daher geht aus dem Wortlaut von Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie klar und eindeutig hervor, dass die Anwendung der in dieser Bestimmung genannten Verbote keineswegs nur den Arten vorbehalten ist, die in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführt sind oder auf irgendeiner Ebene bedroht sind oder deren Population auf lange Sicht rückläufig ist.

37      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass weder der Zusammenhang, in dem Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie steht, noch der Sinn und Zweck dieser Richtlinie es erlauben, ihren Anwendungsbereich auf diese drei Kategorien von Vogelarten, die das vorlegende Gericht in seiner ersten Frage nennt, zu beschränken.

38      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 191 Abs. 2 AEUV die Umweltpolitik der Union auf ein hohes Schutzniveau abzielt. Zudem beruht sie insbesondere auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung sowie auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen.

39      Wie aus den Erwägungsgründen 3 bis 5 der Vogelschutzrichtlinie hervorgeht, ist bei vielen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wildlebenden Vogelarten ein Rückgang der Bestände festzustellen, der eine ernsthafte Gefahr für die Erhaltung der natürlichen Umwelt bildet. Daher ist die Erhaltung solcher Vogelarten, bei denen es sich zum großen Teil um Zugvogelarten handelt und die somit ein gemeinsames Erbe darstellen, für die Verwirklichung der Unionsziele in Bezug auf die nachhaltige Entwicklung und die Verbesserung der Lebensbedingungen erforderlich.

40      Der Gerichtshof hat auch bereits darauf hingewiesen, dass die Vogelschutzrichtlinie, deren Anwendungsbereich sämtliche wildlebenden Vogelarten umfasst, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf das der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind, in ihrem Art. 2 vorsieht, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Bestände aller dieser Vogelarten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, wobei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung getragen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 1996, Royal Society for the Protection of Birds, C‑44/95, EU:C:1996:297, Rn. 3).

41      Außerdem erlegt Art. 3 der Vogelschutzrichtlinie den Mitgliedstaaten Verpflichtungen allgemeiner Art auf, die darin bestehen, eine ausreichende Vielfalt und eine ausreichende Flächengröße der Lebensräume sicherzustellen, und bezieht sich dabei – wie auch Art. 5 dieser Richtlinie – auf alle unter Art. 1 dieser Richtlinie fallenden Vogelarten, nämlich sämtliche wildlebenden Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf das der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind.

42      Die Bestimmung dieses Anwendungsbereichs ist mit der Bedeutung eines vollständigen und wirksamen Schutzes der wildlebenden Vogelarten in der gesamten Union verbunden, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort oder ihrer Zugstrecke und somit unabhängig von nationalen Rechtsvorschriften, die den Schutz der wildlebenden Vogelarten nach Maßgabe des Begriffs des nationalen Erbes bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 1988, Kommission/Frankreich, 252/85, EU:C:1988:202, Rn. 15).

43      Art. 4 der Vogelschutzrichtlinie enthält seinerseits eine besonders gezielte und verstärkte Schutzregelung, die besondere Verpflichtungen u. a. hinsichtlich der in Anhang I dieser Richtlinie aufgezählten Vogelarten umfasst (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 1996, Royal Society for the Protection of Birds, C‑44/95, EU:C:1996:297, Rn. 19 und 23), die darin bestehen, besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Lebensräume zu treffen, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen. Die Mitgliedstaaten erklären insbesondere die für die Erhaltung der in Anhang I dieser Richtlinie genannten Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten, wobei die Erfordernisse des Schutzes dieser Arten in dem geografischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, zu berücksichtigen sind.

44      Dagegen spielt es, wie die Generalanwältin in Nr. 44 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, für die Zwecke von Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie keine Rolle, ob die betroffenen Vogelarten unter Anhang I dieser Richtlinie fallen, ob sie auf irgendeiner Ebene bedroht sind oder ob ihre Population auf lange Sicht rückläufig ist.

45      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 5 der Vogelschutzrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, wonach die in dieser Bestimmung vorgesehenen Verbote lediglich Arten erfassen, die in Anhang I der Richtlinie aufgeführt sind, die auf irgendeiner Ebene bedroht sind oder deren Population auf lange Sicht rückläufig ist.

 Zur zweiten Frage

46      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass sich aus den Vorabentscheidungsersuchen ergibt, dass die Artenschutzverordnung hinsichtlich des Umfangs der in ihrem § 4 enthaltenen Verbote des absichtlichen Fangens oder Tötens und des Störens von Tierarten sowie des Zerstörens oder Sammelns von Eiern nicht zwischen den unter die Habitatrichtlinie fallenden Arten und den unter die Vogelschutzrichtlinie fallenden Arten unterscheidet. Das vorlegende Gericht hebt insbesondere hervor, dass § 4 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 dieser Verordnung so die Verbote betreffend absichtliche Handlungen nach Art. 5 Buchst. a bis d der Vogelschutzrichtlinie und Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie umsetze.

47      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 14 der Vogelschutzrichtlinie strengere Schutzmaßnahmen ergreifen können, als sie in dieser Richtlinie vorgesehen sind (Urteil vom 21. Juli 2011, Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura, C‑2/10, EU:C:2011:502, Rn. 49).

48      Da das vorlegende Gericht feststellt, dass sich aus der Artenschutzverordnung ergibt, dass sich die Verbote nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie auf Vögel erstrecken, ist die Prüfung der zweiten Frage folglich auf die Auslegung dieser Bestimmung zu beschränken.

49      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage wissen möchte, ob Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er zum einen einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, wonach die in dieser Bestimmung vorgesehenen Verbote, wenn mit einer menschlichen Tätigkeit wie einer forstwirtschaftlichen Maßnahme oder einer Erschließung offenkundig ein anderer Zweck verfolgt wird als das Töten oder Stören von Tierarten, nur dann Anwendung finden, wenn ein Risiko besteht, dass sich die Maßnahme negativ auf den Erhaltungszustand der betroffenen Arten auswirkt, und zum anderen der Schutz dieser Bestimmung für die Arten nicht mehr gilt, die einen günstigen Erhaltungszustand erreicht haben.

50      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie die notwendigen Maßnahmen zu treffen haben, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchst. a der Richtlinie genannten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen, das jedes absichtliche Fangen oder Töten von Exemplaren dieser Arten, deren absichtliche Störung und jede absichtliche Zerstörung oder Entnahme ihrer Eier verbietet.

51      Der Gerichtshof hat entschieden, dass das Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Habitatrichtlinie nur verwirklicht sein kann, wenn nachgewiesen ist, dass der Handelnde den Fang oder die Tötung eines Exemplars einer geschützten Tierart gewollt oder zumindest in Kauf genommen hat (Urteil vom 18. Mai 2006, Kommission/Spanien, C‑221/04, EU:C:2006:329, Rn. 71). Dieselbe Feststellung gilt für die Verbote in Art. 12 Abs. 1 Buchst. b und c dieser Richtlinie.

52      Insbesondere hat der Gerichtshof etwa den Umstand, dass trotz Hinweisen auf das Vorhandensein von Gelegen geschützter Meeresschildkröten auf einem Sandstrand Mopeds verkehren und dass im Meeresgebiet der betreffenden Strände Tretboote und kleine Boote vorhanden sind, als absichtliche Störung im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Habitatrichtlinie angesehen und festgestellt, dass ein Mitgliedstaat dann gegen seine Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie verstoßen hat, wenn er nicht alle konkreten Maßnahmen ergriffen hat, die erforderlich sind, um die absichtliche Störung der betreffenden Tierart während der Fortpflanzungszeit zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2006, Kommission/Spanien, C‑221/04, EU:C:2006:329, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53      Daher können die Verbote in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie auf eine Maßnahme wie eine forstwirtschaftliche Maßnahme oder eine Erschließung Anwendung finden, mit der offenkundig ein anderer Zweck verfolgt wird als das Fangen oder Töten, die Störung von Tierarten oder die absichtliche Zerstörung oder Entnahme von Eiern.

54      Was die Maßgeblichkeit des Erhaltungszustands einer Tierart im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und c der Habitatrichtlinie betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass sich die Notwendigkeit einer Prüfung der Situation auf der Ebene der Individuen der betroffenen Art schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, bestimmte Handlungen, die „Exemplare“ oder „Eier“ von Tierarten beeinträchtigen, zu verbieten.

55      Festzustellen ist, dass sich die Definition des Begriffs „Erhaltungszustand einer Art“ in Art. 1 Buchst. i dieser Richtlinie ausdrücklich auf „die Größe der Populationen [einer Art]“ bezieht und nicht auf die besondere Situation eines Individuums oder eines Exemplars dieser Art, so dass dieser Erhaltungszustand insbesondere im Hinblick auf Populationen der betroffenen Arten bestimmt oder beurteilt wird.

56      Ferner ist in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Habitatrichtlinie, der das Verbot jeder absichtlichen Störung von Arten, insbesondere während der Fortpflanzungs‑, Aufzucht‑, Überwinterungs- und Wanderungszeiten, enthält, festzustellen, dass diese Bestimmung, soweit mit ihr der Schwerpunkt auf die gesteigerte Bedeutung dieses Verbots während der Zeiten gelegt werden soll, in denen die Exemplare insbesondere im Hinblick auf ihre Fortpflanzungsfähigkeit oder ihren Fortpflanzungserfolg besonders verletzlich sind, so dass eine Missachtung des Verbots in besonderer Weise geeignet ist, sich auf den Erhaltungszustand der betroffenen Art negativ auszuwirken, es indessen schon ihrem Wortlaut nach nicht ausschließt, dass Maßnahmen, die kein solches Risiko bergen, im Einzelfall davon erfasst sein können.

57      Daraus folgt, dass die Durchführung der in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie vorgesehenen Schutzregelung nicht davon abhängt, dass eine bestimmte Maßnahme mit dem Risiko verbunden ist, dass sie sich negativ auf den Erhaltungszustand der betroffenen Tierart auswirkt.

58      Was sodann den Kontext anbelangt, in dem diese Bestimmung steht, ist festzustellen, dass die Prüfung der Auswirkung einer Maßnahme auf den Erhaltungszustand der betroffenen Tierart hingegen im Rahmen von nach Art. 16 der Habitatrichtlinie erlassenen Ausnahmen maßgeblich ist.

59      Im Rahmen der Prüfung dieser Ausnahmen wird nämlich eine Beurteilung sowohl der Auswirkung der in Rede stehenden Maßnahme auf den Erhaltungszustand der Populationen der betroffenen Arten als auch der Notwendigkeit dieser Maßnahme und der Alternativen, die es ermöglichen, das für die beantragte Ausnahme angeführte Ziel zu erreichen, vorgenommen.

60      Würde die Anwendbarkeit der Verbote nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie vom Risiko einer negativen Auswirkung der in Rede stehenden Maßnahme auf den Erhaltungszustand der betroffenen Art abhängig gemacht, so könnte dies zu einer Umgehung der nach Art. 16 dieser Richtlinie vorgesehenen Prüfung führen und würde somit bewirken, diesem Artikel, den Ausnahmevorschriften und den sich daraus ergebenden restriktiven Voraussetzungen ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen. Eine solche Auslegung kann nicht als mit den in Rn. 38 des vorliegenden Urteils angeführten Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung sowie dem erhöhten Schutzniveau nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c dieser Richtlinie für Exemplare von Tierarten und Eier vereinbar angesehen werden.

61      Daher schließen es sowohl der Wortlaut als auch der Kontext dieser Bestimmung aus, die Anwendbarkeit der in dieser Bestimmung genannten Verbote auf eine Maßnahme wie eine forstwirtschaftliche Maßnahme oder eine Erschließung vom Risiko einer negativen Auswirkung auf den Erhaltungszustand der betroffenen Tierart abhängig zu machen, wobei diese Auslegung auch durch die Ziele der Habitatrichtlinie bestätigt wird.

62      Insoweit ergibt sich aus dem dritten Erwägungsgrund dieser Richtlinie, dass es deren Hauptziel ist, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, wobei jedoch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Anforderungen berücksichtigt werden sollen, womit sie einen Beitrag zu dem allgemeinen Ziel einer nachhaltigen Entwicklung leistet.

63      In diesem Zusammenhang sind nach dem sechsten Erwägungsgrund der Habitatrichtlinie zur Wiederherstellung oder Wahrung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und der Arten von gemeinschaftlichem Interesse besondere Schutzgebiete auszuweisen, um nach einem genau festgelegten Zeitplan ein zusammenhängendes europäisches ökologisches Netz zu schaffen.

64      Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Habitatrichtlinie nach ihrem Art. 2 Abs. 1 zum Ziel hat, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten beizutragen. Zudem zielen nach Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie die zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.

65      Aus diesen Zielen ergibt sich daher auch, dass, da die Habitatrichtlinie auch auf die „Wahrung“ eines günstigen Erhaltungszustands abzielt, davon auszugehen ist, dass die Arten, die einen solchen Erhaltungszustand erreicht haben, gegen jede Verschlechterung dieses Zustands geschützt werden müssen.

66      Daher ist festzustellen, dass Art. 12 Abs. 1 der Habitatrichtlinie nicht dahin ausgelegt werden kann, dass der Schutz, den diese Bestimmung vorsieht, für die Arten, die einen günstigen Erhaltungszustand erreicht haben, nicht mehr gilt.

67      Für die Zwecke der Anwendung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c dieser Richtlinie ist es daher Sache des vorlegenden Gerichts, insbesondere zu prüfen, ob die von dieser Richtlinie erfassten Tierarten, wie sie in den Vorabentscheidungsersuchen genannt sind, in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abholzungsgebiet vorkommen.

68      Hierzu ist festzustellen, dass die Art Rana arvalis, gemeinhin als Moorfrosch bezeichnet, entsprechend den Angaben des vorlegenden Gerichts wahrscheinlich ihren natürlichen Lebensraum in dem von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abholzungsanmeldung erfassten Gebiet hat. Diese Art gehört zu den mit der Habitatrichtlinie geschützten Tierarten, die nach Art. 12 dieser Richtlinie einem strengen Schutz unterliegen.

69      Ferner hat das vorlegende Gericht darauf hingewiesen, dass in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebiet zumindest die Arten Tetrao urogallus, gemeinhin als Auerhuhn bezeichnet, Pernis apivorus, gemeinhin als Wespenbussard bezeichnet, und Accipiter gentilis, gemeinhin als Habicht bezeichnet, die alle in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführt sind und somit die am bedrohtesten Vogelarten darstellen, dort ihren natürlichen Lebensraum haben.

70      Das vorlegende Gericht wird auch zu prüfen haben, ob die Bedingungen, unter denen die im Ausgangsverfahren fragliche Abholzung durchzuführen ist, unter die vorsorglichen und nachhaltigen Praktiken der Waldbewirtschaftung fallen, die mit den sich aus der Habitatrichtlinie ergebenden Anforderungen der Erhaltung vereinbar sind.

71      Das vorlegende Gericht weist insbesondere darauf hin, dass es festzulegen habe, inwieweit die von der nationalen Forstverwaltung empfohlenen Vorsorgemaßnahmen dazu beitragen könnten, die Gefahr einer Schädigung so weit zu reduzieren, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme nicht mehr unter die Verbote nach § 4 der Artenschutzverordnung falle, und ob zusätzliche Vorsorgemaßnahmen erforderlich seien, um die Anwendung dieser Verbote zu vermeiden.

72      Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die nationale Forstverwaltung im Rahmen der Behandlung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abholzungsanmeldung keinen freiwilligen forstwirtschaftlichen Plan beurteilt hat. Zudem habe die nationale Verwaltung nicht überprüft, ob diese Abholzung unter voller Beachtung der in der Artenschutzverordnung vorgesehenen Verbote durchgeführt werden könne.

73      Außerdem sei die Stellungnahme der nationalen Forstverwaltung für den Grundeigentümer nicht bindend, und für den Fall der Nichtbeachtung der in dieser Stellungnahme enthaltenen Erwägungen sei keine strafrechtliche Sanktion vorgesehen. Nach Ansicht der Kläger der Ausgangsverfahren enthält diese Stellungnahme jedenfalls keine Anhaltspunkte dazu, ob die geschützten Arten in dem von der Rodung betroffenen Gebiet leben, obwohl sie die Aufmerksamkeit der Forstverwaltung auf ihre Anwesenheit in diesem Gebiet gelenkt hätten. Was die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Abholzungsanmeldung betreffe, gebe diese den Zeitabschnitt des Jahres nicht an, in dem die Abholzung durchgeführt werde.

74      Der Verein „Schützt den Wald“ trägt darüber hinaus vor, dass, wenn das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Waldgebiet im Einklang mit der Stellungnahme der nationalen Forstverwaltung abgeholzt werde, der Lebensraum Wald verschwinden werde, was auch zum Verschwinden eines Teils des natürlichen Lebensraums der dort vorkommenden geschützten Arten führen und daher ihr Überleben langfristig bedrohen werde.

75      Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten zur Wahrung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie nicht nur einen vollständigen gesetzlichen Rahmen schaffen, sondern auch konkrete besondere Schutzmaßnahmen durchführen müssen. Desgleichen setzt ein solch strenges Schutzsystem den Erlass kohärenter und koordinierter vorbeugender Maßnahmen voraus. Dieses strenge Schutzsystem muss es also erlauben, Beeinträchtigungen von geschützten Tierarten wie den in dieser Bestimmung genannten tatsächlich zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2020, Alianța pentru combaterea abuzurilor, C‑88/19, EU:C:2020:458, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76      Für die Verwirklichung der Ziele der Habitatrichtlinie kommt es nämlich entscheidend darauf an, dass die zuständigen Behörden in der Lage sind, die Maßnahmen vorherzusehen, die für die von dieser Richtlinie geschützten Arten schädlich sind, wobei es insoweit unerheblich ist, ob mit der betreffenden Maßnahme das Töten oder Stören dieser Arten bezweckt wird oder nicht.

77      Das vorlegende Gericht wird daher zu prüfen haben, ob Waldbewirtschaftungsmaßnahmen wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf einem vorbeugenden Ansatz beruhen, der den Erhaltungsbedarf der betroffenen Arten berücksichtigt, und ob sie in einer Art und Weise geplant und durchgeführt werden, dass die sich aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie ergebenden Verbote nicht verletzt werden und dabei entsprechend Art. 2 Abs. 3 dieser Richtlinie die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, regionalen und örtlichen Anforderungen berücksichtigt werden.

78      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er zum einen einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, wonach die in dieser Bestimmung vorgesehenen Verbote, wenn mit einer menschlichen Tätigkeit wie einer forstwirtschaftlichen Maßnahme oder einer Erschließung offenkundig ein anderer Zweck verfolgt wird als das Töten oder Stören von Tierarten, nur dann Anwendung finden, wenn ein Risiko besteht, dass sich die Maßnahme negativ auf den Erhaltungszustand der betroffenen Arten auswirkt, und zum anderen der Schutz dieser Bestimmung auch für die Arten noch gilt, die einen günstigen Erhaltungszustand erreicht haben.

 Zur vierten Frage

79      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, wonach in dem Fall, dass die kontinuierliche ökologische Funktionalität in dem natürlichen Lebensraum der betroffenen Art in einem einzelnen Gebiet trotz Vorsorgemaßnahmen durch Beschädigung, Zerstörung oder Verschlechterung, unmittelbar oder mittelbar, einzeln oder kumulativ mit anderen Maßnahmen verloren geht, das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot erst dann Anwendung findet, wenn sich der Erhaltungszustand der betroffenen Art zu verschlechtern droht.

80      Hintergrund dieser Frage ist die doppelte Prämisse des vorlegenden Gerichts, die von ihm zu bestätigen ist, wonach zum einen die geschützten Vogelarten und der Moorfrosch das angemeldete Gebiet als Fortpflanzungsstätte nutzen, die durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Abholzung zerstört oder verschlechtert wird, und zum anderen die kontinuierliche ökologische Funktionalität im natürlichen Lebensraum der betroffenen Arten nach dieser Abholzung verloren sein wird.

81      Zur Beantwortung dieser Frage ist daher zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie der darin vorgesehene strenge Schutz auf ein Verbot „jede[r] Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten“ gerichtet ist.

82      Im Hinblick auf dieses strenge Schutzsystem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Handlungen im Sinne dieser Bestimmung nicht nur absichtliche, sondern auch unabsichtliche Handlungen sind. Der Unionsgesetzgeber hat dadurch, dass er das Verbot nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie anders als die Verbote der in ihrem Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c genannten Handlungen nicht auf absichtliche Handlungen beschränkt hat, deutlich gemacht, dass er die Fortpflanzungs- und Ruhestätten verstärkt vor Handlungen schützen will, die zu ihrer Beschädigung oder Vernichtung führen (Urteil vom 2. Juli 2020, Magistrat der Stadt Wien [Feldhamster], C‑477/19, EU:C:2020:517, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83      Zudem hat der Gerichtshof betont, dass der in Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie vorgesehene strenge Schutz unabhängig von der Anzahl der Exemplare der jeweiligen in dem betroffenen Gebiet vorkommenden Art gilt (Urteil vom 17. April 2018, Kommission/Polen [Wald von Białowieża], C‑441/17, EU:C:2018:255, Rn. 237).

84      Somit ist davon auszugehen, dass die Durchführung der Schutzregelung nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie, da sie nicht von der Anzahl der Exemplare der betroffenen Art abhängig ist, entsprechend den Ausführungen der Generalanwältin in den Nrn. 53 und 55 ihrer Schlussanträge nicht vom Risiko einer negativen Auswirkung auf den Erhaltungszustand dieser Art abhängen kann.

85      Hinzuzufügen ist, dass die Erwägungen in den Rn. 58 bis 77 des vorliegenden Urteils entsprechend für die in Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie vorgesehenen Verbote gelten.

86      Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Habitatrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, wonach in dem Fall, dass die kontinuierliche ökologische Funktionalität in dem natürlichen Lebensraum der betroffenen Art in einem einzelnen Gebiet trotz Vorsorgemaßnahmen durch Beschädigung, Zerstörung oder Verschlechterung, unmittelbar oder mittelbar, einzeln oder kumulativ mit anderen Maßnahmen verloren geht, das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot erst dann Anwendung findet, wenn sich der Erhaltungszustand der betroffenen Art zu verschlechtern droht.

 Zur dritten und zur fünften Frage

87      Angesichts der Antworten auf die zweite und die vierte Frage sind die dritte und die fünfte Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

88      Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 5 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten ist dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, wonach die in dieser Bestimmung vorgesehenen Verbote lediglich Arten erfassen, die in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführt sind, die auf irgendeiner Ebene bedroht sind oder deren Population auf lange Sicht rückläufig ist.

2.      Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen ist dahin auszulegen, dass er zum einen einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, wonach die in dieser Bestimmung vorgesehenen Verbote, wenn mit einer menschlichen Tätigkeit wie einer forstwirtschaftlichen Maßnahme oder einer Erschließung offenkundig ein anderer Zweck verfolgt wird als das Töten oder Stören von Tierarten, nur dann Anwendung finden, wenn ein Risiko besteht, dass sich die Maßnahme negativ auf den Erhaltungszustand der betroffenen Arten auswirkt, und zum anderen der Schutz dieser Bestimmung auch für die Arten noch gilt, die einen günstigen Erhaltungszustand erreicht haben.

3.      Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/43 ist dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, wonach in dem Fall, dass die kontinuierliche ökologische Funktionalität in dem natürlichen Lebensraum der betroffenen Art in einem einzelnen Gebiet trotz Vorsorgemaßnahmen durch Beschädigung, Zerstörung oder Verschlechterung, unmittelbar oder mittelbar, einzeln oder kumulativ mit anderen Maßnahmen verloren geht, das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot erst dann Anwendung findet, wenn sich der Erhaltungszustand der betroffenen Art zu verschlechtern droht.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Schwedisch.