SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 14. Januar 2015(1)

Rechtssache C‑62/14

Peter Gauweiler,

Bruno Bandulet,

Wilhelm Hankel,

Wilhelm Nölling,

Albrecht Schachtschneider,

Joachim Starbatty,

Roman Huber u. a.,

Johann Heinrich von Stein u. a.

sowie die

Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag

gegen

Deutscher Bundestag

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverfassungsgerichts [Deutschland])

„Wirtschaftspolitik und Währungspolitik – Gültigkeit des Beschlusses des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 – Technische Merkmale des Ankaufs von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt (‚Outright Monetary Transactions‘ [OMT]) – Innerstaatliche Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Handlungen der Union – Ultra-vires-Akte – Verfassungsidentität – Loyale Zusammenarbeit – Zulässigkeit – Einstufung als angreifbare Handlung im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens – Öffentliche Kommunikationspolitik der Europäischen Zentralbank – Kompetenzen der Europäischen Zentralbank – Preisstabilität – Wiederherstellung der geldpolitischen Transmissionskanäle – Art. 119 AEUV und 127 Abs. 1 und 2 AEUV – Außergewöhnliche Umstände – Unkonventionelle Maßnahmen der Geldpolitik – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Art. 5 Abs. 4 EUV – Art. 123 AEUV – Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten der Euro-Zone“






Inhaltsverzeichnis


I – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

B – Innerstaatlicher rechtlicher Rahmen

II – Sachverhalt und Verfahren vor dem nationalen Gericht

III – Das Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof

IV – Vorüberlegung: zur „funktionalen“ Problematik der Vorlagefragen im Kontext der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG

V – Zulässigkeit

VI – Die Vorlagefragen

A – Die erste Vorlagefrage: die Art. 119 AEUV und 127 Abs. 1 und 2 AEUV und die Grenzen der Geldpolitik der EZB

1. Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

2. Prüfung

a) Vorbemerkungen

i) Zum Status und Mandat der EZB

ii) Unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen und die Einordnung des OMT‑Programms als eine dieser Maßnahmen

– Unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen aus der Sicht der EZB

– Das OMT‑Programm als unkonventionelle geldpolitische Maßnahme

b) Die Zuständigkeiten der EZB und das OMT‑Programm

i) Das OMT‑Programm und die Wirtschaftspolitik der Union und der Mitgliedstaaten als Zuständigkeitsgrenze der EZB

– Die Wirtschaftspolitik und die Währungspolitik der Union

– Das OMT‑Programm im Licht der Kriterien für die Definition der Wirtschaftspolitik und der Währungspolitik der Union

ii) Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des OMT‑Programms (Art. 5 Abs. 4 EUV)

– Die Prämisse der Verhältnismäßigkeit: die Begründung des Vorliegens der das OMT‑Programm rechtfertigenden Umstände

– Die Prüfung der Geeignetheit

– Die Prüfung der Erforderlichkeit

– Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne

– Zwischenergebnis

c) Antwort auf die erste Vorlagefrage

B – Die zweite Vorlagefrage: die Vereinbarkeit des OMT‑Programms mit Art. 123 Abs. 1 AEUV (Verbot der monetären Finanzierung der Staaten der Euro-Zone)

1. Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

2. Prüfung

a) Das Verbot der monetären Finanzierung der Mitgliedstaaten (Art. 123 Abs. 1 AEUV) und der Erwerb von Staatsschuldtiteln durch die EZB

b) Das OMT‑Programm und seine Vereinbarkeit mit dem Verbot des Art. 123 Abs. 1 AEUV

i) Forderungsverzicht und Pari-passu-Behandlung

ii) Ausfallrisiko

iii) Halten bis zur Endfälligkeit

iv) Zeitpunkt des Erwerbs

v) Anreiz für den Erwerb auf dem Primärmarkt

3. Antwort auf die zweite Vorlagefrage

VII – Ergebnis


1.        Mit einer Pressemitteilung, die im Anschluss an eine Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank am 5. und 6. September 2012 veröffentlicht wurde, gab die Europäische Zentralbank einen Beschluss bekannt, mit dem ein Programm für den Ankauf von Staatsanleihen von Mitgliedstaaten der Euro-Zone gebilligt wurde, das den Namen „Outright Monetary Transactions“ (geldpolitische Outright-Geschäfte, im Folgenden: OMT) erhalten soll. In der Pressemitteilung wurden die wesentlichen Merkmale dieses Programms für den Ankauf solcher Anleihen erläutert. Allerdings wurden die Rechtsakte, die die Durchführung dieses Programms regeln, noch nicht erlassen, und so verhält es sich bis zum heutigen Tag.

2.        In dieser Pressemitteilung tat die Europäische Zentralbank (im Folgenden: EZB) ihre Bereitschaft kund, Staatsanleihen von Staaten der Euro-Zone auf den Sekundärmärkten unter bestimmten Voraussetzungen zu erwerben: Die EZB machte, kurz gesagt, die Durchführung des Programms davon abhängig, dass der betroffene Mitgliedstaat oder die betroffenen Mitgliedstaaten an einem Finanzhilfeprogramm der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) teilnähmen, vorausgesetzt weiter, dass dieses Hilfsprogramm die Möglichkeit von Primärmarktkäufen umfasst. Zudem war vorgesehen, dass sich Geschäfte des OMT‑Programms auf das kürzere Ende der Zinsstrukturkurve konzentrieren sollen, ohne dass ex ante quantitative Beschränkungen festgelegt werden, dass ferner die gleiche Behandlung wie die privater Gläubiger („Pari-passu-Behandlung“) akzeptiert wird und dass eine Verpflichtung zur vollständigen Sterilisierung der geschaffenen Liquidität besteht.

3.        Auf diese Weise entstand das OMT‑Programm in einem Kontext und als Antwort auf eine Situation, die als außergewöhnliche Probe für die Tragfähigkeit der der EZB anvertrauten Währungspolitik galt. So hatte sich aus der 2008 eingetretenen internationalen Wirtschaftskrise im Jahr 2010 eine Staatsschuldenkrise verschiedener Staaten der Euro-Zone entwickelt. Als sich unter den Investoren Zweifel an der Überlebensfähigkeit des Euro ausbreiteten, steuerten im Sommer 2012 mehrere Mitgliedstaaten der Euro-Zone infolge des anscheinend unaufhaltsamen Anstiegs der Risikoprämien für ihre Staatsanleihen auf das Szenario einer Zahlungsunfähigkeit zu. Die „Reversibilität“ des Euro und eine daraus folgende Rückkehr zu den nationalen Währungen schienen zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu werden. Genau in diesem Kontext kündigte die EZB das OMT‑Programm an, das allgemein als eine Konkretisierung des wenige Wochen zuvor von ihrem Präsidenten, Herrn Draghi, gegebenen Versprechens betrachtet wurde, im Rahmen des Mandats der Bank zu tun, „was immer erforderlich ist“, um das Vertrauen in die gemeinsame Währung wiederherzustellen.

4.        Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat sich das deutsche Bundesverfassungsgericht (im Folgenden: BVerfG) gemäß Art. 267 AEUV an den Gerichtshof gewandt, und zwar zur Klärung der Frage, ob das OMT‑Programm rechtmäßig ist. Wie im Folgenden darzulegen sein wird, werfen die vom BVerfG gestellten Fragen Auslegungsprobleme ersten Ranges auf, über die der Gerichtshof zu befinden haben wird.

5.        So verlangt in der vorliegenden Rechtssache als Erstes Aufmerksamkeit, dass das BVerfG seine Vorabentscheidungsfragen im Rahmen dessen stellt, was es als „Ultra-vires-Kontrolle“ von Akten der Union bezeichnet, die Auswirkungen auf die „Verfassungsidentität“ der Bundesrepublik Deutschland haben können. Dabei bildet den Ausgangspunkt des BVerfG seine prima facie vorgenommene Beurteilung, dass die in Rede stehende Handlung der EZB nach dem nationalen Verfassungsrecht, und auch nach dem Unionsrecht, rechtswidrig sei. Bevor es aber seine Prüfung fortsetzt, legt es die Sache dem Gerichtshof vor, damit dieser sie aus der Sicht des Unionsrechts beurteile.

6.        Weiter hat sich der Gerichtshof mit einer Zulässigkeitsfrage zu befassen, die der Justiziabilität eines Beschlusses gilt, der nur in Gestalt einer Pressemitteilung in seinen Grundzügen bekannt gegeben wurde. Ungeachtet der Frage, ob auch eine bloße Pressemitteilung Gegenstand einer Gültigkeitsprüfung sein kann, könnten trotz der äußeren Form des fraglichen Beschlusses die Umstände des vorliegenden Falles, zu denen die besondere Rolle öffentlicher Kommunikation in der Tätigkeit der Zentralbanken hinzutritt, hier eine andere Beurteilung rechtfertigen.

7.        Was hingegen die materiell-rechtliche Seite der vorliegenden Rechtssache anbelangt, so sieht sich der Gerichtshof hier jenen Schwierigkeiten gegenüber, die Notstände für das öffentliche Recht traditionell stets mit sich gebracht haben. Angesichts eines seinerzeit möglichen Zerfalls der Euro-Zone sehen wir uns hier mit der Frage konfrontiert, über welche Befugnisse die EZB als ein Organ verfügt, das im Unterschied zu anderen Zentralbanken einem besonders beschränkten Mandat unterliegt. Die EZB hat vorgetragen, das OMT‑Programm sei ein geeignetes Instrument, um außergewöhnlichen Situationen zu begegnen, da es trotz seines „unkonventionellen“ Charakters und der damit verbundenen Risiken auf nichts anderes abziele als das, was unerlässlich sei zur Rückgewinnung der Fähigkeit der EZB, ihre geldpolitischen Instrumente wirksam einsetzen zu können. Dagegen wird von den Beschwerdeführern und der Antragstellerin der Ausgangsverfahren sowie dem vorlegenden Gericht bezweifelt, dass hierin die wahre Zielsetzung des Programms liege. Sie sehen das mit ihm letztlich verfolgte Ziel vielmehr darin, die EZB zu einem „lender of last resort“ für die Staaten der Euro-Zone zu machen.

8.        Diese Situation hat das BVerfG dazu veranlasst, dem Gerichtshof seine Bedenken gegen die Vereinbarkeit des OMT‑Programms mit den Verträgen zu unterbreiten. Als Erstes fragt es danach, ob dieses Programm statt einer währungspolitischen Maßnahme nicht vielmehr eine wirtschaftspolitische sei, die damit außerhalb der Reichweite des Mandats der EZB liege. Als Zweites wirft es die Frage auf, ob die fragliche Maßnahme das in Art. 123 Abs. 1 AEUV verankerte Verbot der monetären Finanzierung einhalte.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

9.        Der Titel VIII („Die Wirtschafts- und Währungsunion“) des Dritten Teils des AEU-Vertrags beginnt mit folgender Grundnorm:

Artikel 119

(1) Die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union im Sinne des Artikels 3 des Vertrags über die Europäische Union umfasst nach Maßgabe der Verträge die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist.

(2) Parallel dazu umfasst diese Tätigkeit nach Maßgabe der Verträge und der darin vorgesehenen Verfahren eine einheitliche Währung, den Euro, sowie die Festlegung und Durchführung einer einheitlichen Geld- sowie Wechselkurspolitik, die beide vorrangig das Ziel der Preisstabilität verfolgen und unbeschadet dieses Zieles die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union unter Beachtung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb unterstützen sollen.

(3) Diese Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union setzt die Einhaltung der folgenden richtungweisenden Grundsätze voraus: stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine tragfähige Zahlungsbilanz.“

10.      Weiter enthält der AEU-Vertrag eine Bestimmung über das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten, die wie folgt gefasst ist:

Artikel 123

(1) Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (im Folgenden als ‚nationale Zentralbanken‘ bezeichnet) für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken.

(2) Die Bestimmungen des Absatzes 1 gelten nicht für Kreditinstitute in öffentlichem Eigentum; diese werden von der jeweiligen nationalen Zentralbank und der Europäischen Zentralbank, was die Bereitstellung von Zentralbankgeld betrifft, wie private Kreditinstitute behandelt.“

11.      Die Ziele und die grundlegenden Aufgaben der EZB werden im AEU-Vertrag folgendermaßen umschrieben:

Artikel 127

(1) Das vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken (im Folgenden ‚ESZB‘) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union, um zur Verwirklichung der in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegten Ziele der Union beizutragen. Das ESZB handelt im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird, und hält sich dabei an die in Artikel 119 genannten Grundsätze.

(2) Die grundlegenden Aufgaben des ESZB bestehen darin,

–        die Geldpolitik der Union festzulegen und auszuführen,

–        Devisengeschäfte im Einklang mit Artikel 219 durchzuführen,

–        die offiziellen Währungsreserven der Mitgliedstaaten zu halten und zu verwalten,

–        das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern.

…“

12.      Die Unabhängigkeit der EZB wird in Art. 130 AEUV wie folgt statuiert und gewährleistet:

„Bei der Wahrnehmung der ihnen durch die Verträge und die Satzung des ESZB und der EZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die Europäische Zentralbank noch eine nationale Zentralbank noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen. Die Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, diesen Grundsatz zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen.“

13.      Das Protokoll (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank zählt die der EZB zur Verfügung stehenden geldpolitischen Instrumente auf, unter denen im Hinblick auf die vorliegende Rechtssache Folgende hervorzuheben sind:

Artikel 18

Offenmarkt- und Kreditgeschäfte

18.1. Zur Erreichung der Ziele des ESZB und zur Erfüllung seiner Aufgaben können die EZB und die nationalen Zentralbanken

–        auf den Finanzmärkten tätig werden, indem sie auf Euro oder sonstige Währungen lautende Forderungen und börsengängige Wertpapiere sowie Edelmetalle endgültig (per Kasse oder Termin) oder im Rahmen von Rückkaufsvereinbarungen kaufen und verkaufen oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen;

–        Kreditgeschäfte mit Kreditinstituten und anderen Marktteilnehmern abschließen, wobei für die Darlehen ausreichende Sicherheiten zu stellen sind.

18.2. Die EZB stellt allgemeine Grundsätze für ihre eigenen Offenmarkt- und Kreditgeschäfte und die der nationalen Zentralbanken auf; hierzu gehören auch die Grundsätze für die Bekanntmachung der Bedingungen, zu denen sie bereit sind, derartige Geschäfte abzuschließen.“

14.      Im Jahr 1993, als die EZB noch nicht errichtet war und man sich mitten im Prozess des Übergangs zur Wirtschafts- und Währungsunion befand, erließ der Rat die Verordnung (EG) Nr. 3603/93 vom 13. Dezember 1993 zur Festlegung der Begriffsbestimmungen für die Anwendung der in Artikel 104 und Artikel 104b Absatz 1 des Vertrages [Art. 123 AEUV] vorgesehenen Verbote (ABl. L 332, S. 1). Für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens ist auf folgende Erwägungsgründe und Bestimmungen dieser Verordnung hinzuweisen:

„…

Die Mitgliedstaaten müssen geeignete Maßnahmen ergreifen, damit die nach Artikel 104 des Vertrages vorgesehenen Verbote wirksam und uneingeschränkt angewendet werden und damit insbesondere das mit diesem Artikel verfolgte Ziel nicht durch den Erwerb auf dem Sekundärmarkt umgangen wird.

Artikel 1

(1) Im Sinne von Artikel 104 des Vertrages gilt als

a)      ‚Überziehungsfazilität‘ jede Bereitstellung von Mitteln zugunsten des öffentlichen Sektors, deren Verbuchung einen Negativsaldo ergibt oder ergeben könnte;

b)      ‚andere Kreditfazilität‘:

i)      jede am 1. Januar 1994 bestehende Forderung an den öffentlichen Sektor mit Ausnahme der vor diesem Zeitpunkt erworbenen Forderungen mit fester Laufzeit,

ii)      jede Finanzierung von Verbindlichkeiten des öffentlichen Sektors gegenüber Dritten, und,

iii)      unbeschadet der Bestimmung in Artikel 104 Absatz 2 des Vertrages, jede Transaktion mit dem öffentlichen Sektor, die zu einer Forderung an diesen führt oder führen könnte.

…“

B –    Innerstaatlicher rechtlicher Rahmen

15.      Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren sind folgende Bestimmungen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden: GG) zu nennen:

„Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel 20

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Artikel 23

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.

Artikel 79

(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

Artikel 88

Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank. Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.“

16.      Das BVerfG hat eine Rechtsprechung entwickelt, der zufolge es eine Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Handlungen der Organe und Einrichtungen der Union vornimmt. Sie erstreckt sich auf die Kontrolle, ob solche Akte auf einer offensichtlichen Kompetenzüberschreitung beruhen oder die aus der Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 des Bonner Grundgesetzes abgeleitete „Verfassungsidentität“ berühren.

17.      Hinsichtlich der Kontrolle offensichtlicher Kompetenzüberschreitungen, der sogenannten Ultra-vires-Kontrolle, hat das BVerfG sowohl im Honeywell-Beschluss vom 6. Juli 2010 als auch vorher im Lissabon-Urteil vom 30. Juni 2009 betont, dass diese unionsrechtsfreundlich zu erfolgen habe. Zudem hat es darauf hingewiesen, dass im Rahmen dieser Kontrolle Entscheidungen des Gerichtshofs über die Auslegung des Unionsrechts als verbindlich zu beachten seien.

18.      Für das BVerfG kommt eine Ultra-vires-Kontrolle eines Unionsrechtsakts nur in Betracht, wenn ersichtlich ist, dass Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen außerhalb der übertragenen Kompetenzen ergangen sind, sofern es sich dabei unter Berücksichtigung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung und der rechtsstaatlichen Gesetzesbindung um „hinreichend qualifizierte“ Verstöße handelt(2).

II – Sachverhalt und Verfahren vor dem nationalen Gericht

19.      Zwischen Anfang 2010 und Anfang 2012 trafen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zahlreiche Maßnahmen, um den schwerwiegenden Folgen der Finanzkrise entgegenzuwirken, die die Weltwirtschaft erschütterte. Als sich die Finanzkrise in verschiedenen Mitgliedstaaten zu einer Staatsschuldenkrise entwickelte, wurde neben anderen Initiativen die Errichtung eines dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus beschlossen, dessen Ziel die Wahrung der Finanzstabilität in der Euro-Zone mittels der Gewährung von Finanzhilfen für an dem Mechanismus teilnehmende Staaten bildet.

20.      Trotz der Anstrengungen der Union und der Mitgliedstaaten erhöhten sich die Risikoprämien für Staatsanleihen verschiedener Staaten der Euro-Zone im Laufe des Sommers 2012 erheblich. Angesichts der Zweifel der Investoren an der Überlebensfähigkeit der Währungsunion hoben Vertreter der Union und der Staaten der Euro-Zone wiederholt die Irreversibilität der einheitlichen Währung hervor. In dieser Zeit erklärte der Präsident der EZB in einer viel zitierten Rede, er werde im Rahmen des Mandats der Bank alles tun, was für die Erhaltung des Euro erforderlich sei(3).

21.      Einige Wochen später beschloss der Rat der Europäischen Zentralbank (im Folgenden: EZB-Rat), wie sich dem Protokoll seiner 340. Sitzung am 5. und 6. September 2012 entnehmen lässt, die wesentlichen Aspekte des Programms geldpolitischer Outright-Geschäfte auf dem Sekundärmarkt für Staatsanleihen, die im Englischen formell als „Outright Monetary Transactions“ bezeichnet werden. In dieser Sitzung wurden ferner, wie sich aus den schriftlichen Erklärungen der EZB im vorliegenden Verfahren ergibt, der Entwurf eines Beschlusses über geldpolitische Outright-Geschäfte und zur Aufhebung des Beschlusses EZB/2010/5 sowie der Entwurf einer Leitlinie zur Durchführung geldpolitischer Outright-Geschäfte genehmigt. Beide Entwürfe wurden später auf den Sitzungen des EZB-Rates am 4. Oktober und am 7. und 8. November 2012 geändert.

22.      Nach der Sitzung des EZB-Rates am 6. September 2012 gab der Präsident der EZB auf einer Pressekonferenz die wesentlichen Aspekte des OMT‑Programms bekannt, das am selben Tag auch in einer auf der Website der EZB veröffentlichten Pressemitteilung in englischer Sprache vorgestellt wurde. In dieser Pressemitteilung werden die technischen Merkmale des OMT‑Programms in folgenden Worten beschrieben:

„Wie am 2. August 2012 angekündigt, hat der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) heute Beschlüsse zu einer Reihe technischer Merkmale der Outright-Geschäfte des Eurosystems an den Sekundärmärkten für Staatsanleihen gefasst. Mit diesen geldpolitischen Outright-Geschäften (Outright Monetary Transactions – OMTs) sollen eine ordnungsgemäße geldpolitische Transmission und die Einheitlichkeit der Geldpolitik sichergestellt werden. Für ihre Durchführung gelten folgende Rahmenbedingungen:

Konditionalität

Eine notwendige Voraussetzung für die geldpolitischen Outright-Geschäfte ist die mit einem entsprechenden Programm der Europäischen Finanzstabilitätsfazilität bzw. des Europäischen Stabilitätsmechanismus (European Financial Stability Facility/European Stability Mechanism – EFSF/ESM) verbundene strenge und wirksame Konditionalität. Dabei kann es sich um ein vollständiges makroökonomisches EFSF/ESM-Anpassungsprogramm handeln oder ein vorsorgliches Programm (Enhanced Conditions Credit Line – Kreditlinie mit verschärfter Konditionalität), sofern die Möglichkeit von EFSF/ESM-Primärmarktkäufen vorgesehen ist. Bei der Ausgestaltung der länderspezifischen Konditionalität und der Überwachung eines solchen Programms wird die Einbindung des IWF angestrebt.

Der EZB-Rat wird geldpolitische Outright-Geschäfte in Erwägung ziehen, sofern sie aus geldpolitischer Sicht geboten sind und solange die mit den Programmen verbundene Konditionalität vollständig erfüllt ist. Der EZB-Rat wird die Transaktionen einstellen, sobald die damit verfolgten Ziele erreicht wurden oder wenn eine Nichteinhaltung des makroökonomischen Anpassungsprogramms bzw. des vorsorglichen Programms festzustellen ist.

Nach einer gründlichen Beurteilung wird der EZB-Rat im alleinigen Ermessen und im Einklang mit seinem geldpolitischen Mandat über die Aufnahme, Fortsetzung und Einstellung von geldpolitischen Outright-Geschäften entscheiden.

Geltungsbereich

Geldpolitische Outright-Geschäfte werden künftig, wie weiter oben erläutert, bei makroökonomischen Anpassungsprogrammen oder vorsorglichen Programmen der EFSF bzw. des ESM in Erwägung gezogen. Sie kommen auch für Mitgliedstaaten in Betracht, die bereits ein makroökonomisches Anpassungsprogramm durchlaufen, wenn ihr Zugang zum Anleihemarkt wieder hergestellt wird.

Die Geschäfte konzentrieren sich auf das kürzere Ende der Zinsstrukturkurve, insbesondere auf Staatsanleihen mit einer Laufzeit von einem Jahr und bis zu drei Jahren.

Der Umfang der geldpolitischen Outright-Geschäfte ist ex ante nicht quantitativ beschränkt.

Gläubigerstatus

Das Eurosystem beabsichtigt, in einem Rechtsakt über die geldpolitischen Outright-Geschäfte klarzustellen, dass es für Anleihen von Euro-Ländern, die es im Rahmen geldpolitischer Outright-Geschäfte erwirbt, im Einklang mit den entsprechenden Anleihebedingungen dieselbe (gleichrangige) Behandlung wie private oder sonstige Gläubiger akzeptiert.

Sterilisierung

Die durch die geldpolitischen Outright-Geschäfte geschaffene Liquidität wird vollständig sterilisiert.

Transparenz

Der Gesamtbestand aus geldpolitischen Outright-Geschäften und sein jeweiliger Marktwert wird wöchentlich bekannt gegeben. Die Veröffentlichung der durchschnittlichen Duration des Bestands aus Outright-Geschäften und der Aufschlüsselung nach Ländern erfolgt auf monatlicher Basis.

Programm für die Wertpapiermärkte

Mit dem heutigen Beschluss zur Durchführung geldpolitischer Outright-Geschäfte wird das Programm für die Wertpapiermärkte (Securities Markets Programme – SMP) eingestellt. Die im Rahmen des SMP bereitgestellte Liquidität wird wie schon in der Vergangenheit weiterhin abgeschöpft, und die Wertpapiere im SMP-Portfolio werden bis zu ihrer Fälligkeit gehalten.“

23.      Eine Reihe deutscher Staatsbürger erhoben beim BVerfG Verfassungsbeschwerden wegen des Unterlassens der deutschen Bundesregierung, gegen den Beschluss vom 6. September 2012 über das OMT‑Programm eine Nichtigkeitsklage vor dem Gerichtshof zu erheben.

24.      Die Bundestagsfraktion der politischen Partei Die Linke beantragte beim BVerfG im Rahmen eines Organstreitverfahrens die Feststellung, dass der Bundestag darauf hinzuwirken habe, dass der Beschluss der EZB vom 6. September 2012 über geldpolitische Outright-Geschäfte aufgehoben werde.

III – Das Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof

25.      Mit einem Beschluss, der am 10. Februar 2014 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat das BVerfG im Rahmen der von den genannten Beschwerdeführern und der Bundestagsfraktion Die Linke eingeleiteten Verfahren an den Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen gerichtet.

26.      Das vorlegende Gericht stellt darin folgende Fragen:

1.      a) Ist der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 über Technical features of Outright Monetary Transactions mit Art. 119 AEUV und Art. 127 Abs. 1 und 2 AEUV sowie mit den Art. 17 bis 24 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank unvereinbar, weil er über das in den genannten Vorschriften geregelte Mandat der Europäischen Zentralbank zur Währungspolitik hinausgeht und in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten übergreift?

Ergibt sich eine Überschreitung des Mandates der Europäischen Zentralbank insbesondere daraus, dass der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012

aa)      an wirtschaftspolitische Hilfsprogramme der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus anknüpft (Konditionalität)?

bb)      den Ankauf von Staatsanleihen nur einzelner Mitgliedstaaten vorsieht (Selektivität)?

cc)      den Ankauf von Staatsanleihen der Programmländer zusätzlich zu Hilfsprogrammen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus vorsieht (Parallelität)?

dd)      Begrenzungen und Bedingungen der Hilfsprogramme der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus unterlaufen könnte (Umgehung)?

b)      Ist der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 über Technical features of Outright Monetary Transactions mit dem in Art. 123 AEUV verankerten Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung unvereinbar?

Steht der Vereinbarkeit mit Art. 123 AEUV insbesondere entgegen, dass der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012

aa)      keine quantitative Begrenzung des Ankaufs von Staatsanleihen vorsieht (Volumen)?

bb)      keinen zeitlichen Abstand zwischen der Emission von Staatsanleihen am Primärmarkt und ihrem Ankauf durch das Europäische System der Zentralbanken am Sekundärmarkt vorsieht (Marktpreisbildung)?

cc)      es zulässt, dass sämtliche erworbenen Staatsanleihen bis zur Fälligkeit gehalten werden (Eingriff in die Marktlogik)?

dd)      keine spezifischen Anforderungen an die Bonität der zu erwerbenden Staatsanleihen enthält (Ausfallrisiko)?

ee)      eine Gleichbehandlung des Europäischen Systems der Zentralbanken mit privaten und anderen Inhabern von Staatsanleihen vorsieht (Schuldenschnitt)?

2.      Hilfsweise für den Fall, dass der Gerichtshof den Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 6. September 2012 über Technical features of Outright Monetary Transactions als Handlung eines Organs der Europäischen Union nicht als tauglichen Gegenstand eines Ersuchens nach Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV ansehen sollte:

a)      Sind Art. 119 AEUV und Art. 127 AEUV sowie die Art. 17 bis 24 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank so auszulegen, dass sie es dem Eurosystem – alternativ oder kumulativ – gestatten,

aa)      den Ankauf von Staatsanleihen von der Existenz und Einhaltung wirtschaftspolitischer Hilfsprogramme der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus abhängig zu machen (Konditionalität)?

bb)      Staatsanleihen nur einzelner Mitgliedstaaten anzukaufen (Selektivität)?

cc)      Staatsanleihen von Programmländern zusätzlich zu Hilfsprogrammen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus anzukaufen (Parallelität)?

dd)      Begrenzungen und Bedingungen der Hilfsprogramme der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu unterlaufen (Umgehung)?

b)      Ist Art. 123 AEUV mit Blick auf das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung so auszulegen, dass es dem Eurosystem – alternativ oder kumulativ – erlaubt ist,

aa)      Staatsanleihen ohne quantitative Begrenzung anzukaufen (Volumen)?

bb)      Staatsanleihen ohne zeitlichen Mindestabstand zu ihrer Emission von Staatsanleihen am Primärmarkt anzukaufen (Marktpreisbildung)?

cc)      sämtliche erworbenen Staatsanleihen bis zur Fälligkeit zu halten (Eingriff in die Marktlogik)?

dd)      Staatsanleihen ohne Mindestanforderung an die Bonität zu erwerben (Ausfallrisiko)?

ee)      eine Gleichbehandlung des Europäischen Systems der Zentralbanken mit privaten und anderen Inhabern von Staatsanleihen hinzunehmen (Schuldenschnitt)?

ff)      durch die Äußerung von Kaufabsichten oder auf andere Weise in zeitlichem Zusammenhang mit der Emission von Staatsanleihen von Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes Einfluss auf die Preisbildung zu nehmen (Ermutigung zum Ersterwerb)?

27.      Es sind schriftliche Erklärungen eingereicht worden von den Beschwerdeführern der Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerde, der Bundestagsfraktion Die Linke, der Bundesrepublik Deutschland, der Hellenischen Republik, der Republik Zypern, der Portugiesischen Republik, der Republik Polen, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, dem Königreich der Niederlande, dem Königreich Spanien, der Republik Irland und der Republik Finnland sowie der EZB, dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission.

28.      Vorab muss ich darauf hinweisen, dass das Europäische Parlament, obschon es schriftliche und mündliche Erklärungen abgegeben hat, in einem Verfahren wie dem vorliegenden hierzu nicht befugt ist. Da ein Ersuchen um Vorabentscheidung über die Gültigkeit einer Handlung vorgelegt worden ist, die nicht vom Europäischen Parlament ausgegangen ist, gewährt Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs dem Parlament nicht das Recht, sich an dem vorliegenden Verfahren zu beteiligen. Daher sollte der Gerichtshof die schriftlichen Erklärungen und mündlichen Ausführungen des Europäischen Parlaments unberücksichtigt lassen.

29.      Die mündliche Verhandlung hat am 14. Oktober 2014 stattgefunden. Mit Ausnahme der Republik Zypern und der Republik Finnland haben alle Beteiligten, die zuvor schriftliche Erklärungen eingereicht hatten, auch an der mündlichen Verhandlung teilgenommen.

IV – Vorüberlegung: zur „funktionalen“ Problematik der Vorlagefragen im Kontext der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG

30.      Die Vorlageentscheidung mit den vorstehend wiedergegebenen Vorabentscheidungsfragen weist die Besonderheit auf, dass sie einen umfangreichen einführenden Teil den nationalen Rechtsvorschriften und der innerstaatlichen Rechtsprechung widmet, die als relevant angesehen werden. Diese Besonderheit liegt offensichtlich nicht in der Anführung nationaler Rechtsvorschriften, hier einiger weniger Bestimmungen des Grundgesetzes (die Art. 20, 23, 38, 79 und 88 GG), sondern in der eingehenden Darlegung der Rechtsprechung des BVerfG zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen und Grenzen der Integration der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union. In einem Abschnitt über die „Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“(4) wird in der Vorlageentscheidung die Tragweite dieser bisherigen Rechtsprechung erläutert, die im Wesentlichen in seinen Entscheidungen vom 12. Oktober 1993 (Maastricht)(5), 30. Juni 2009 (Lissabon)(6) und 6. Juli 2010 (Honeywell)(7) enthalten ist, wobei der hier zu beurteilende Fall der letztgenannten Entscheidung nachfolgt.

31.      Man könnte denken, dass dieser einführende Teil der Vorlageentscheidung, wie in so vielen anderen Fällen, keinem anderen Zweck dient, als dem Gerichtshof dabei zu helfen, die vorgelegten Fragen in ihren Kontext einzuordnen. Auch wenn dieser Teil über die Zusammenfassung der innerstaatlichen Rechtsprechung hinausweist, sind in ihm zugleich Wertungen enthalten, die nicht als nebensächlich betrachtet werden können(8).

32.      Eine derartige Darlegung des Kontexts der nationalen Rechtsprechung, deren Tragweite dem Gerichtshof vorab erläutert wird, hat meiner Ansicht nach unmittelbare Auswirkungen auf die Funktionalität der zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen. Es sei vorausgeschickt, dass diese gesamte Rechtsprechung ausgesprochen komplex ist, weshalb ich in meiner Auslegung vorsichtig vorgehen werde. Schon in den Sondervoten, die der Vorlageentscheidung beigefügt sind, werden unterschiedliche Sichtweisen deutlich, wie die Erwägungen der Honeywell-Entscheidung auf den hier zu beurteilenden Fall zu übertragen sind(9).

33.      So einfach wie möglich gesagt, ist diesem Abschnitt zur nationalen Rechtsprechung Folgendes zu entnehmen: Unter bestimmten Voraussetzungen, die im Moment nicht unbedingt näher zu erörtern sind, muss die Antwort des Gerichtshofs auf eine zu einem bestimmten Unionsrechtsakt vorgelegte Frage, wie sie hier gestellt wurde, nicht notwendigerweise ein ausschlaggebendes Element für die Entscheidung über das beim vorlegenden Gericht anhängige Verfahren darstellen. Vielmehr könnte, wenn dem Maßstab, den das Unionsrecht bildet, genügt worden ist, auf dieselbe streitige Handlung möglicherweise ein anderer Gültigkeitsmaßstab angewandt werden, über den das BVerfG zu befinden hat: die nationale Verfassung selbst.

34.      Genauer gesagt, bestünde ein solcher verfassungsrechtlicher Maßstab einer nachfolgenden Beurteilung durch das BVerfG sowohl in dem unabänderlichen Inhalt der nationalen Verfassung (der aus Art. 79 Abs. 3 GG hergeleiteten „Verfassungsidentität“) als auch in dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (mit den logischen Folgen für Ultra-vires-Akte der Union, die sich aus Art. 23 Abs. 1 GG ergeben). Beide verfassungsrechtlichen Maßstäbe sollen keineswegs in einem Ausschlussverhältnis zueinander stehen, sondern sich gegenseitig verstärken können(10), wie dies hier der Fall zu sein scheint. Und diese Kriterien der Gültigkeit (die sogenannte „Identitätskontrolle“ und die sogenannte „Ultra-vires-Kontrolle“) könnten per definitionem nur vom BVerfG selbst angewandt werden(11).

35.      Unter diesen Umständen darf es nicht verwundern, dass verschiedene Mitgliedstaaten, die sich an dem vorliegenden Verfahren beteiligt haben (die Niederlande, die Italienische Republik und das Königreich Spanien), mit unterschiedlicher Entschiedenheit die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens in Frage gestellt oder sogar verneint haben. Um auch dies vereinfachend wiederzugeben, wird geltend gemacht, dass die Vorlage zur Vorabentscheidung kein verfahrensrechtlicher Mechanismus sei, der den nationalen Organen der rechtsprechenden Gewalt, wie im vorliegenden Fall, eine von ihnen selbst durchgeführte Kontrolle der Gültigkeit dieser Handlungen der Union erleichtern solle. Vielmehr solle das Verfahren der Vorabentscheidung gewährleisten, dass diese Kontrolle vor dem dafür ausschließlich zuständigen Rechtsprechungsorgan erfolge: dem Gerichtshof. Und auf der gleichen Linie ist argumentiert worden: Wenn sich das nationale Rechtsprechungsorgan das letzte Wort zur Gültigkeit einer Handlung der Union vorbehalte, habe das Vorabentscheidungsverfahren einen bloß konsultativen Charakter, womit seine Funktion in dem von den Verträgen vorgesehenen System der Rechtsbehelfe unterlaufen würde(12).

36.      Letzten Endes dürfte ein nationales Gericht nicht dazu berechtigt sein, sich mit einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu wenden, wenn dieses Vorabentscheidungsersuchen bereits seinem Wesen oder seiner Konzeption nach die Hypothese einschließt, von der erhaltenen Antwort tatsächlich abzuweichen. Und zwar könnte es dies nicht tun, weil es sich dabei nicht um eine Fallgestaltung handelt, die als von Art. 267 AEUV umfasst angesehen werden kann(13).

37.      Nachdem damit die Problematik des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens benannt ist – ich erlaube mir, sie als eine „funktionale“ zu kennzeichnen –, sei sogleich hinzugefügt, dass der Gerichtshof meiner Auffassung nach dennoch auf diese Problematik als Teil der Beantwortung der Vorlagefragen eingehen sollte. Ich betone jedoch zugleich, dass er dies nur insoweit tun sollte, als dies für die Zwecke des vorliegenden Falles unerlässlich ist, d. h., soweit es um die Auswirkungen dieser Problematik auf die Statthaftigkeit des Vorabentscheidungsersuchens geht. Denn die Bedeutung der angeführten Rechtsprechung des BVerfG und ihrer möglichen Folgen ist unbestreitbar, wie dies schon seit Langem in verschiedenen Stellungnahmen der Literatur hervorgehoben wird(14). Beispielhaft sei lediglich verwiesen auf die Ausführungen in Rn. 30 der Vorlageentscheidung, wonach die Begriffe der „Verfassungsidentität“ und der „Ultra-vires-Kontrolle“ im Verfassungsrecht zahlreicher anderer Mitgliedstaaten zu finden seien.

38.      In dieser Hinsicht steht fest, dass es mehrere nationale Verfassungs- und oberste Gerichte in recht unterschiedlicher Weise vorsorglich für angezeigt gehalten haben, die normalerweise als Extremfall(15) gedachte Hypothese eines, allgemein ausgedrückt, Bruchs des „Verfassungspakts“ zu erörtern oder anzusprechen, der dem europäischen Integrationsprozess zugrunde liegt, und zwar insbesondere infolge einer Handlungsweise eines der Unionsorgane.

39.      Ebenso wie hinsichtlich anderer Fragen, die ähnlich bedeutsam sind, erscheint es mir aber für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens nicht unverzichtbar, dass sich der Gerichtshof näher mit der Daseinsberechtigung dieser – um es zu wiederholen, normalerweise auf Extremfälle bezogenen – Formulierungen sowie mit ihrer größeren oder geringeren allgemeinen Verbreitung auf der Ebene der Mitgliedstaaten oder ihrer größeren oder geringeren Übereinstimmung mit den Erwägungen des BVerfG befasst. „One case at a time“(16) sollte die behutsame Devise auch in diesem konkreten Fall sein. Ich werde zu erklären versuchen, warum ich dieser Ansicht bin.

40.      Es sei vorausgeschickt, dass die Tatsache, dass sich das BVerfG zum ersten Mal in seiner langen Geschichte mit einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof wendet, keinen Anlass zu einem besonderen Kommentar meinerseits gibt, außer vielleicht, dass sich hierin etwas bestätigt, das Normalität zu werden beginnt. Die – um es so zu sagen – Verdichtung der Unionsrechtsordnung gibt den speziell verfassungsrechtlichen Gerichten der Mitgliedstaaten Anlass, in steigendem Maß als Gerichte im Sinne von Art. 267 AEUV tätig zu werden(17). Die besondere Stellung des in den meisten Mitgliedstaaten vorhandenen Verfassungsgerichts konnte in der Vergangenheit eine hinreichende Erklärung dafür liefern, dass die Fälle, in denen sich diese Gerichte an den Gerichtshof wandten, Ausnahmen darstellten, und zwar sowohl für Zwecke der richterlichen Zusammenarbeit als auch für solche der Gewährleistung der einheitlichen Auslegung des Unionsrechts. Dieses allgemeine Bild beginnt sich zu ändern, und das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren ist hierfür vielleicht eine Bestätigung.

41.      Gleichzeitig jedoch lässt dieser einführende Teil der Vorlageentscheidung den deutlichen Ton eines „Ausnahmecharakters“ dieses Schritts des BVerfG anklingen. Denn es ist keineswegs klar, dass dieses Vorabentscheidungsersuchen als Schritt zu einer Normalisierung in dem von mir gerade dargestellten Sinne zu betrachten ist.

42.      Aus der oben genannten Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen die unausweichliche Folge einer als „außergewöhnlich“ angesehenen Situation sein soll, die vorerst und vereinfacht als ultra vires gekennzeichnet werden kann: die Erwägung, dass ein Organ oder eine Einrichtung der Union einen qualifizierten Verstoß gegen die Kompetenzordnung begangen hat, die sich aus den Verträgen ergibt, aber deren Grundlage und Vorbedingungen in der nationalen Verfassung enthalten sind. Fürs Erste werde ich mich auf den Ultra-vires-Aspekt dieser Rechtsprechung beschränken und dabei den Aspekt der „Verfassungsidentität“ außer Acht lassen.

43.      Der vorliegende Fall entspricht der soeben beschriebenen Konstellation. Das nationale Gericht geht von der grundsätzlichen Feststellung eines Ultra-vires-Handelns eines Unionsorgans(18) aus. Dieses sei auf der Ebene des innerstaatlichen Rechts als ein „offensichtlicher und strukturell bedeutsamer Ultra-vires-Akt“(19) zu qualifizieren, wobei in diesem Fall außerdem Kerninhalte der nationalen Verfassungsrechtsordnung betroffen wären(20).

44.      Was die Funktionalität des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens angeht, so war bereits in der Honeywell-Entscheidung festgestellt worden, dass in einer derartigen Situation und im Rahmen einer in gewisser Weise bereits eingeleiteten Ultra-vires-Kontrolle dem Gerichtshof die „Gelegenheit … zu geben“ sei, über den fraglichen Rechtsakt zu befinden, was das BVerfG dann „grundsätzlich als verbindliche Auslegung des Unionsrechts“ beachten werde(21).

45.      Für den Moment sei der Zweifel beiseite gelassen, ob diese Formulierung des vorlegenden Gerichts hinreichend der Verpflichtung genügt, welche den letztinstanzlich entscheidenden nationalen Gerichten im Sinne von Art. 267 AEUV obliegt. Wesentlich ist, dass auf diese Weise in ein Ausgangsverfahren, das von Anfang an eine Ultra-vires-Kontrolle zum Gegenstand hat, ein die Gültigkeit desselben streitigen Rechtsakts betreffendes Verfahren vor dem Gerichtshof „eingeschoben“ wird. Gewiss wird dabei von der Anerkennung des Grundsatzes ausgegangen, dass es Sache des Gerichtshofs ist, im Zuge der Überprüfung des streitigen Rechtsakts seine Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für das nationale Gericht verbindlich ist. Die Frage ist jedoch um einiges problematischer.

46.      Denn das Gesagte schlösse, wie sogleich hinzugefügt wird – und wenn ich es richtig verstanden habe –, eine nachfolgende Kontrolle („darüber hinaus“) durch das BVerfG nicht aus, sofern „ersichtlich“ ist, dass der streitige Rechtsakt gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verstößt, wobei dies dahin zu verstehen ist, dass ein solcher Fall „ersichtlich“ ist, wenn dieses Prinzip in einer „spezifisch verletzenden Art“ überschritten wurde und der Verstoß zugleich als „hinreichend qualifiziert“ eingestuft werden kann(22). Wenn meine Auslegung des wiedergegebenen Passus zutreffend ist, so liegt auf der Hand, dass der „Einschub“ des Vorabentscheidungsersuchens in den Verfahrensgang der abschließenden Beurteilung einer Ultra-vires-Handlung durch das nationale Gericht Probleme aufwirft, die ich als funktional bezeichnen möchte.

47.      Dabei wird dieses für erforderlich erachtete Ersuchen an den Gerichtshof, vorab über den streitigen Rechtsakt zu befinden, wenn auch nur aus der Sicht des Unionsrechts, seinerseits als Ausdruck des zwischen beiden Gerichten bestehenden „Kooperationsverhältnisses“ verstanden, wie der vom vorlegenden Gericht selbst geprägte Begriff lautet.

48.      Dieses „Kooperationsverhältnis“ ist weit davon entfernt, einen präzisen Inhalt zu besitzen, aber mit ihm ist eindeutig der Anspruch verbunden, dass es mehr sei als ein vager „Dialog“ zwischen Gerichten. Seine Grundlage soll letztlich in dem Konzept liegen, dass die Wahrnehmung der dem BVerfG obliegenden Pflicht, die sich aus der nationalen Verfassung ergebende Grundordnung zu gewährleisten, stets von einer gegenüber dem Unionsrecht offenen und aufgeschlossenen, „europarechtsfreundlichen“ Haltung geleitet sein müsse, wobei sich dieses Konzept vielleicht auch aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) herleiten ließe.

49.      Damit ist alles gesagt zu der Ambiguität, der sich der Gerichtshof im Fall dieses Vorabentscheidungsersuchens gegenübersieht: Auf der einen Seite ein nationales Verfassungsgericht, dass seine Stellung als ein innerstaatliches Gericht letzter Instanz im Sinne von Art. 267 AEUV wahrnimmt, und zwar als Ausdruck eines besonderen Kooperationsverhältnisses und eines allgemeinen Grundsatzes einer gegenüber dem sogenannten „Integrationsprogramm“ freundlichen Haltung; auf der anderen Seite ein nationales Gericht, das sich an den Gerichtshof zu wenden wünscht, ohne aber, wie es selbst klarstellt, auf seine Letztverantwortlichkeit zu verzichten, darüber zu entscheiden, was die verfassungsrechtlichen Bedingungen und Grenzen der europäischen Integration seines Staates sind. Diese Ambivalenz ist in der uns beschäftigenden Vorlageentscheidung allgegenwärtig, und dies macht es außerordentlich schwierig, sie bei der Prüfung des Falles völlig auszuklammern.

50.      Wenn ich mich nun ganz dem Problem zuwende, das ich soeben als „Funktionalität“ dieses Vorabentscheidungsersuchens beschrieben habe, sollte meines Erachtens mit der Prüfung begonnen werden, ob das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen tatsächlich auf den Grundprämissen beruht, unter denen dieses als „Vorlage zur Vorabentscheidung“ bezeichnete Verfahren vor dem Gerichtshof in den aufeinanderfolgenden Verträgen geschaffen worden ist, auf dem seinerseits die Gewährleistung des Rechtsschutzes im Unionsrecht strategisch aufbaut(23).

51.      Wäre die einzig mögliche Auslegung des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens die von der italienischen Regierung ausdrücklich vorgeschlagene(24), bliebe natürlich nichts anderes übrig, als davon auszugehen, dass ungeachtet des äußeren Anscheins in Wirklichkeit keine Vorlage zur Vorabentscheidung im Sinne „des Art. 267“ vorliegt, sondern etwas anderes – etwas, das sich jedenfalls schwerlich im Vertrag ausmachen lässt.

52.      Das Vorabentscheidungsverfahren – und darin ist verschiedenen Beteiligten im vorliegenden Verfahren Recht zu geben – wurde nämlich niemals als eine dem Gerichtshof gewährte bloße „Gelegenheit“ konzipiert, mit dem nationalen Gericht, sei es in der Beurteilung als ultra vires oder einer anderen, „übereinzustimmen“, was mit der möglichen Folge verbunden wäre, dass eine etwaige „fehlende Übereinstimmung“ seitens des Gerichtshofs der von ihm erteilten Antwort ihre Bedeutung nehmen könnte. Und es ist klar, dass diese Erwägung nicht durch eine Haltung entkräftet wird, die grundsätzlich für eine bestimmte vertragskonforme Auslegung des streitigen Rechtsakts offen ist. Vor diesem Hintergrund könnte das an den Gerichtshof gerichtete Ersuchen, eine Vorabentscheidung zu erlassen, letztlich sogar die unerwünschte äußerste Konsequenz haben, schlicht und einfach den Gerichtshof selbst in den kausalen Verfahrensgang einzubinden, der zur Vollziehung des Bruchs des der europäischen Integration zugrunde liegenden Verfassungspakts führt(25).

53.      Entgegen dieser Sichtweise des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens geht das vorlegende Gericht – immer im Bereich der Ultra-vires-Kontrolle – offenbar davon aus, dass der Maßstab seiner Beurteilung des streitigen Rechtsakts von dem des Gerichtshofs abweichen kann („die … Perspektive[n] … nicht vollständig harmonieren“)(26). Dies hätte zur Folge, dass der vor dem BVerfG geführte Rechtsstreit nur bis zu einem bestimmten Punkt Unterschiede aufwiese gegenüber dem vorangegangenen Verfahren vor dem Gerichtshof. Gleichwohl neige ich sowohl aufgrund der Vorsicht, mit der das BVerfG sich ausdrückt, als auch aufgrund des Charakters der von ihm angestellten Erwägungen(27) zu der Auffassung, dass materiell-rechtlich der Maßstab für die Ultra-vires-Kontrolle weitestgehend der gleiche wäre.

54.      In diesem Sinne kann die uns beschäftigende Frage einen guten Beleg hierfür bilden. Wenn nämlich die Gültigkeitsprüfung des streitigen EZB-Beschlusses zu einem erheblichen Teil durch die Auslegungsfrage bestimmt wird, welche Reichweite der Kompetenz der Bank beizulegen und wie insbesondere das vorrangige Ziel der „Preisstabilität“ auszulegen ist, so ist dieser Begriff ein integraler Bestandteil sowohl des Vertrags (Art. 127 Abs. 1 AEUV) als auch der nationalen Verfassung (Art. 88 am Ende GG). In beiden Fällen ginge es um die Auslegung der Tragweite ein und desselben Begriffs, dem der Preisstabilität als vorrangigem Auftrag der EZB, unabhängig davon, ob dieser Begriff in der einen oder anderen Grundnorm oder aber in beiden enthalten ist.

55.      Nun steht aber im Ausgangsverfahren laut der Vorlageentscheidung nicht nur das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (ultra vires) in Frage, sondern auch die „Verfassungsidentität“ der Bundesrepublik Deutschland, und zwar wegen der Folgen, die der streitige Rechtsakt für das Verfassungsorgan mit sich bringen würde, das zuvörderst dazu berufen ist, dem Willen der Bürger Ausdruck zu geben. Ultra-vires-Kontrolle und Identitätskontrolle, wie sie in der Terminologie des BVerfG genannt werden, würden damit in diesem Verfahren zusammenfallen.

56.      Dabei taucht die Frage des unterschiedlichen Prüfungsmaßstabs, den das eine und das andere Gericht anzuwenden hätten, in diesem Teil der Vorlageentscheidung erneut auf. So führt das BVerfG speziell zur „Identitätskontrolle“ wörtlich aus, dass „[i]m Rahmen des bestehenden Kooperationsverhältnisses … dem Gerichtshof die Auslegung der Maßnahme [obliegt]. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt demgegenüber die Feststellung des unantastbaren Kernbestandes der Verfassungsidentität und die Prüfung, ob die Maßnahme (in der vom Gerichtshof festgestellten Auslegung) in diesen Kernbestand eingreift“(28).

57.      Hier erschiene es erneut angebracht, verschiedenen Erwägungen von gewissem Gewicht Raum zu geben. Ich werde mich jedoch, ohne dass es der Untersuchung weiterer Hypothesen bedürfte, auf den Hinweis beschränken, dass im vorliegenden Fall, in dem alles darauf hinzudeuten scheint, dass „Ultra-vires-Kontrolle“ und „Identitätskontrolle“ untrennbar miteinander verknüpft sind, die bereits angesprochenen Schwierigkeiten, unterschiedliche Kontrollmaßstäbe für die Aufgabe des Gerichtshofs einerseits und die des BVerfG andererseits anzuerkennen, weiterhin relevant bleiben.

58.      Jedenfalls sei mir gestattet, an dieser Stelle meiner Überlegungen einige Anmerkungen allgemeiner Art zu machen.

59.      Als Erstes die, dass mir die Aufgabe der Wahrung dieser Union, wie wir sie heute haben, kaum weniger als unerfüllbar erscheint, wenn man sie in Gestalt einer als „Verfassungsidentität“ bezeichneten Kategorie einem absoluten Vorbehalt unterstellen will, der kaum präzisiert wird und praktisch in das freie Ermessen jedes einzelnen Mitgliedstaats gestellt ist. Dies gilt erst recht, wenn von dieser Verfassungsidentität behauptet wird, sie sei eine andere als die in Art. 4 Abs. 2 EUV genannte nationale Identität.

60.      Ein solcher „Identitätsvorbehalt“, der von den zuständigen Organen – häufig den Rechtsprechungsorganen – der Mitgliedstaaten, deren Zahl sich heute bekanntermaßen auf 28 beläuft, autonom ausgestaltet und ausgelegt würde, verwiese die Unionsrechtsordnung, zumindest in qualitativer Hinsicht, höchstwahrscheinlich in eine zweitrangige Position. Ohne in die Einzelheiten zu gehen und ohne irgendeine Wertung vornehmen zu wollen, glaube ich, dass die Umstände des uns beschäftigenden Falles eine gute Veranschaulichung dieses von mir angedeuteten Szenarios bieten.

61.      Als Zweites erscheint es nützlich, daran zu erinnern, dass der Gerichtshof schon frühzeitig mit der Kategorie der „gemeinsamen Verfassungstraditionen“ der Mitgliedstaaten gearbeitet hat, um Leitlinien für die Entwicklung des Wertesystems zu finden, auf dem die Union beruht(29). Insbesondere war der Gerichtshof bestrebt, ganz vorzugsweise diese gemeinsamen Verfassungstraditionen zum Fundament einer eigenen Kultur von Grundrechten zu machen, der Kultur der Unionsrechte. Die Union hat auf diese Weise nicht nur den Charakter einer Rechtsgemeinschaft, sondern auch den einer „europäischen Verfassungskultur“ angenommen(30). Diese gemeinsame Verfassungskultur ist Teil der gemeinsamen Identität der Union, mit der meines Erachtens bedeutsamen Folge, dass die Verfassungsidentität jedes Mitgliedstaats, die natürlich im notwendigen Maß eigener Art ist, sich nicht, um es vorsichtig auszudrücken, als von dieser gemeinsamen Verfassungskultur astronomisch weit entfernt verstehen kann. Vielmehr müsste eine wohlverstandene offene Haltung gegenüber dem Unionsrecht mittel- und langfristig im Grundsatz bewirken, dass sich die Verfassungsidentität der Union und die der einzelnen Mitgliedstaaten in der Tendenz annähern.

62.      Um nun wieder zu der funktionalen Problematik des Vorabentscheidungsersuchens zurückzukehren, so meine ich, dass die Gefahr seiner „Instrumentalisierung“ im Kontext der innerstaatlichen Beurteilung eines Falles der „Ultra-vires-Kontrolle“ in Verbindung mit einer „Identitätskontrolle“ hinreichend real ist, um sich die Frage zu stellen, ob nicht ein alternatives Verständnis möglich wäre, durch das diese Problematik überwunden werden könnte. Meiner Ansicht nach wäre eine solche alternative Lesart möglich, wenn man den Ursprung dieser Rechtsprechung berücksichtigt und sich zugleich des Potenzials des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) bedient. Letztendlich ginge es darum, die Vorteile jener bereits angesprochenen Ambiguität zu nutzen, die das Vorabentscheidungsersuchen kennzeichnet.

63.      Man darf nicht vergessen, dass allem Anschein nach die – wenn man so sagen will – Verpflichtung, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, als eine Art Novum in die Honeywell-Entscheidung des BVerfG vom 6. Juli 2010 zu dem, wie weithin anerkannt worden ist, Zweck aufgenommen wurde, den Weg zum Dialog zwischen den Gerichten in der Weise offenzuhalten, dass er in dem gesamten Umfang geführt werden kann, den die Bedeutung der Rechtssache verlangt(31). Damit dürfte in der Vorsorge, dass ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt wird, das loyale Bestreben zum Ausdruck kommen, dass die vom Gerichtshof vorzunehmende Auslegung des Unionsrechts ausreichen möge, um eine Lösung für die im Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche zu finden. Das wünschenswerte Endergebnis bestünde darin, dass eine etwaige anschließende Prüfung am Maßstab der Verfassung unter den gegebenen Umständen des Falles nicht zu Schlüssen führte, die in einem offenen Widerspruch zu der Antwort des Gerichtshofs stünden.

64.      Zudem ist klar, dass der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit auch für die Gerichte gilt, einschließlich der beiden mit diesem bedeutsamen Verfahren befassten(32). Diese gegenseitige Loyalität ist um so dringlicher in Fällen, in denen ein oberstes Gericht eines Mitgliedstaats in verantwortlicher Ausübung seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeiten, ohne weitere Erwägungen anzustellen, in loyaler Weise seine Bedenken gegen eine bestimmte Entscheidung eines Unionsorgans zum Gegenstand einer Vorlage macht. Dieser Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet natürlich das nationale Gericht, da es zu seiner eigenen Verantwortlichkeit gehört, diesem Grundsatz Gestalt zu geben und Wirkung zu verleihen. Was den Gerichtshof betrifft, so verpflichtet ihn meiner Ansicht nach dieser Grundsatz unter den Umständen des vorliegenden Falles in doppelter Weise.

65.      Es ist erstens grundsätzlich festzustellen, dass dieser Grundsatz ihn dazu verpflichtet, mit größtmöglicher Loyalität auf eine ihrerseits in völliger Loyalität vorgelegte Frage zu antworten; hierüber besteht nicht der geringste Zweifel. So ist insbesondere dann, wenn das Gericht in seinen Darlegungen, in welchem Maß der fragliche Rechtsakt in ihm Zweifel an dessen Gültigkeit oder richtigen Auslegung erweckt hat, eine besonders deutliche Sprache gewählt hat, dies als Ausdruck des Ausmaßes seiner Besorgnis zu bewerten. Ich meine, dass die deutsche Regierung dies mit ihrem Appell im Sinn hatte, der vorliegenden Rechtssache eine „konstruktive“ Behandlung zuteil werden zu lassen(33).

66.      Zweitens, und darum geht es vor allem im Moment, verlangt der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit vom Gerichtshof eine besondere Anstrengung, um ungeachtet aller Schwierigkeiten, wie sie eingehend dargelegt worden sind, auf die Vorlagefragen in der Sache zu antworten. Für den Gerichtshof heißt das, dass er hinsichtlich des Schicksals seiner Antwort von einer bestimmten Hypothese ausgehen sollte.

67.      Konkret bestünde diese Hypothese darin, es nicht von vornherein auszuschließen und sogar darauf zu vertrauen, dass das nationale Gericht in Anbetracht und unter Berücksichtigung der Antwort, die es vom Gerichtshof auf seine Vorlagefragen erhalten hat, unbeschadet der Wahrnehmung seiner eigenen Verantwortung diese Antwort als für im Ausgangsverfahren maßgeblich erachten werde. Die loyale Zusammenarbeit umfasst ein Element des Vertrauens, und dieses Vertrauen kann im vorliegenden Fall in besonderer Weise zum Tragen kommen. Es ist zu berücksichtigen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen vom BVerfG in einer Weise formuliert worden ist, nach der der Gerichtshof, innerhalb der Grenzen des Vernünftigen, darauf vertrauen kann, dass es die erhaltene Antwort als eine genügende und abschließende betrachten werde, die ihm hinreichende Kriterien an die Hand gibt, um über die in den Ausgangsverfahren vorgebrachten Begehren zu entscheiden(34). Der „Fahrplan“, den das BVerfG in der Honeywell-Entscheidung skizziert, könnte diese Herangehensweise bestätigen(35).

68.      Sofern diese Beurteilung der Lage vertretbar erscheint, meine ich, dass der Gerichtshof mit dem Problem der Funktionalität, das das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren aufwirft, in der Weise umgehen sollte, dass er andere Hypothesen als die von mir gerade genannte außer Betracht lassen sollte, da sie nur als schwerlich vorstellbare Extremfälle und letzten Endes unzureichend betrachtet werden können, um es abzulehnen, die vorgelegten Fragen in der Sache zu beantworten.

69.      Als Zwischenergebnis schlage ich dem Gerichtshof daher vor, das Vorabentscheidungsersuchen für geeignet zu erklären, in der Sache beantwortet zu werden.

V –    Zulässigkeit

70.      Eine größere Zahl der Mitgliedstaaten sowie die Organe, die im vorliegenden Verfahren Erklärungen abgegeben haben, haben Bedenken gegen die Zulässigkeit der in erster Linie gestellten Fragen geäußert, da sie die Gültigkeit einer Handlung (des OMT‑Programms) beträfen, der es an Rechtswirkungen gegenüber Dritten fehle.

71.      Diese Beteiligten unterstreichen, ganz kurz zusammengefasst, den nicht endgültigen oder sogar, wie sich sagen ließe, „vorbereitenden“ Charakter des Aktes vom 6. September 2012, mit dem der EZB-Rat die zentralen Kriterien für das in Rede stehende Programm festgelegt habe, dessen endgültige Genehmigung aber noch ausstehe. Wie die EZB bestätigt habe, seien in dieser Sitzung verschiedene Kriterien beschlossen worden, noch nicht aber das OMT‑Programm als solches. Die Gültigkeit dieses Programms werde erst dann geprüft werden können, wenn es der EZB-Rat gemäß der in der Satzung des ESZB und der EZB vorgesehenen Systematik von Rechtsakten förmlich beschlossen und veröffentlicht habe.

72.      In der Rechtsprechung des Gerichtshofs könnte diese Auslegung grundsätzlich eine Bestätigung finden. Die Rechtsprechung zu Nichtigkeitsklagen verneint die Anfechtbarkeit von Handlungen ohne Rechtswirkungen(36). Speziell im Zusammenhang mit dem Verfahren der Vorlage zur Vorabentscheidung hat der Gerichtshof in der Vergangenheit Vorlagen zur Gültigkeitsprüfung für unzulässig erklärt, in denen ein atypischer Akt in Rede stand, der nicht veröffentlicht worden war und keine rechtlich verbindlichen Wirkungen entfaltete(37). Dies gilt nach Ansicht verschiedener Beteiligter im vorliegenden Verfahren auch für das OMT‑Programm, das am 6. September 2012 vom EZB-Präsidenten auf einer Pressekonferenz angekündigt worden sei und dessen technische Hauptmerkmale sodann in einer Pressemitteilung im Einzelnen beschrieben worden seien.

73.      Aus Gründen, die ich im Folgenden darlegen werde, meine ich jedoch, dass das OMT‑Programm eine Handlung darstellt, deren Gültigkeit im Rahmen einer Vorlage zur Vorabentscheidung geprüft werden kann. Diese Beurteilung stützt sich auf zwei Gründe: Erstens halte ich den Umstand für maßgeblich, dass es sich um einen Akt handelt, der ein allgemeines Programm für die Handlungsweise eines Unionsorgans in seinen allgemeinen Merkmalen festlegt. Zweitens halte ich es für erforderlich, der besonderen Bedeutung Aufmerksamkeit zu schenken, die öffentliche Kommunikation für die heutige Geldpolitik der EZB besitzt.

74.      Seit Beginn seiner Tätigkeit hat der Gerichtshof für die Anfechtbarkeit von Handlungen das gleichzeitige Vorliegen zweier Voraussetzungen verlangt, nämlich deren bindenden Charakter und ihre Eignung, Rechtswirkungen zu erzeugen(38). Diese Erfordernisse müssen kumulativ vorliegen, auch wenn sie zuweilen, wie bei der Gültigkeitsprüfung von Empfehlungen im Wege der Vorabentscheidung, alternativ gegeben sein können(39).

75.      Gleichwohl meine ich, dass beide Erfordernisse nach Maßgabe des unmittelbaren Adressaten der angefochtenen Handlung unterschiedlich zu beurteilen sind. Wie ich nun darlegen werde, zeigt sich die Rechtsprechung in der Anwendung der beiden Erfordernisse flexibler, wenn die angefochtene Handlung eine Maßnahme darstellt, mit der ein allgemeines Handlungsprogramm festgelegt wird, das die den Beschluss erlassende Stelle selbst binden soll, als dann, wenn die Handlung eine Maßnahme mit konstitutiven Wirkungen gegenüber Dritten beinhaltet. Der Grund hierfür liegt darin, dass allgemeine Handlungsprogramme einer öffentlichen Einrichtung in atypischen Formen auftreten und dennoch geeignet sein können, die Rechtsstellung Einzelner ganz unmittelbar zu beeinflussen. Demgegenüber müssen Maßnahmen, deren unmittelbare Adressaten Einzelne sind, bestimmte formale und materielle Voraussetzungen erfüllen, damit sie nicht für inexistent erachtet werden.

76.      Einem allgemeinen Handlungsprogramm wie dem hier in Frage stehenden kann mittels atypischer Techniken seine äußere Form gegeben werden, sein Adressat kann die öffentliche Einrichtung selbst sein, die Urheber der Handlung ist, es kann von außen betrachtet formal inexistent sein, aber seine Eignung, die Rechtsstellung Dritter maßgeblich zu beeinflussen, rechtfertigt es, für seine Einstufung als „Handlung“ eine nichtformalistische Herangehensweise zu wählen. Andernfalls liefe man Gefahr, dass ein Organ die Systematik von Handlungen und die damit verbundenen Rechtsschutzgarantien unterläuft und so Handlungen, die Wirkung nach außen entfalten sollen, als allgemeine Programme verschleiert.

77.      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs hat in seiner Umgangsweise mit dieser Art von allgemeinen Handlungsprogrammen, die zur Erzeugung von Außenwirkungen geeignet sind, eine besondere Flexibilität bewiesen.

78.      Das 1971 ergangene Urteil Kommission/Rat (AETR)(40) stellt einen wichtigen Ausgangspunkt dar, denn in ihm wird u. a. die Frage behandelt, ob eine Beschlussfassung des Rates über die Aushandlung und den Abschluss eines internationalen Übereinkommens durch die Mitgliedstaaten als ein Rechtsakt eingestuft werden kann. Nach Ansicht des Rates stellte dieser Beschluss weder aufgrund seiner Form noch aufgrund seines Gegenstands oder Inhalts einen anfechtbaren Rechtsakt dar, sondern nur eine politische Abstimmung zwischen Mitgliedstaaten im Rahmen des Rates ohne jede Absicht, ein Recht zu begründen, eine Verpflichtung aufzuerlegen oder eine Rechtslage zu verändern.

79.      Bei seiner Erörterung dieser Argumente des Rates stellte der Gerichtshof fest, dass „alle Handlungen der Organe, die dazu bestimmt sind, Rechtswirkungen zu erzeugen, ohne Unterschied ihrer Rechtsnatur oder Form“(41) einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen müssen. Nach Prüfung des angefochtenen Beschlusses hob der Gerichtshof hauptsächlich zwei Merkmale hervor: als Erstes, dass der Beschluss nicht Ausdruck einer freiwilligen Koordinierung sei, sondern vielmehr die Festlegung einer verbindlichen Verhaltensregel widerspiegele(42), und als Zweites, dass der Beschluss seinem Inhalt nach zu „Abweichungen von den im Vertrag … vorgesehenen Verfahren“ führen konnte(43).

80.      In gleicher Weise und ergänzend zu seiner grundsätzlichen Festlegung im Urteil AETR (EU:C:1971:32) hat der Gerichtshof besonderes Augenmerk auf die Umstände gerichtet, unter denen die angefochtene Handlung ergeht. Über die schon aufgezeigte objektive Komponente hinaus kann der Kontext, in dem die Handlung erlassen wurde, zusätzliche Indizien liefern, die entweder die Intention ihres Urhebers, Wirkungen gegenüber Dritten zu erzeugen, oder seine Kenntnis der potenziellen Außenwirkung der Maßnahme bestätigen. Die Erheblichkeit dieser Umstände hat der Gerichtshof in der Rechtssache Frankreich/Kommission(44) betont, in der die Anfechtbarkeit einer internen Anweisung der Kommission deshalb bejaht wurde, weil sie sich von einer bloßen Dienstanweisung „sowohl durch die Umstände, unter denen sie erlassen wurde, als auch durch die Art und Weise ihrer Ausarbeitung, ihrer Abfassung und ihrer Veröffentlichung“ unterscheiden ließ(45).

81.      Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung sei nunmehr die Anfechtbarkeit der Handlung geprüft, nach deren Gültigkeit das vorlegende Gericht fragt.

82.      Das OMT‑Programm ist, zumindest was seine formale Präsentation anbelangt, eine Maßnahme mit atypischen Grundzügen. Es wird am 5. und 6. September 2012 im EZB-Rat festgelegt und findet Erwähnung im Protokoll dieser Sitzung, das indessen die Beschreibung seiner technischen Merkmale einer Pressemitteilung überlässt. Die technischen Merkmale des Programms werden demgemäß auf einer Pressekonferenz des Präsidenten dieses Organs im Einzelnen vorgestellt, der die Veröffentlichung einer Pressemitteilung in englischer Sprache auf der Website der EZB folgt. Die Veröffentlichung und Verbreitung des Programms im Internet stellt den einzigen „offiziellen“ schriftlichen Text dar, der über das OMT‑Programm zur Verfügung steht, wenn man von den Entwürfen für einen Beschluss und eine Leitlinie absieht, die die EZB in diesem Verfahren vorgelegt hat, die aber noch interne Dokumente des Organs bilden, deren endgültiger Erlass und spätere Veröffentlichung im Amtsblatt ausstehen. Diese Entwürfe beschreiben detailliert, was in der Pressemitteilung in allgemeinen Worten, aber dennoch mit erheblicher Präzision ausgeführt wird.

83.      Es besteht kein Zweifel, dass es sich bei dem OMT‑Programm um einen Beschluss mit einem genauen, zwei Tage lang erörterten Inhalt handelt, dessen Hauptmerkmale im EZB-Rat genehmigt wurden. Auch die Bekanntgabe der wesentlichen Merkmale des Programms sowohl auf der Pressekonferenz als auch in schriftlicher Form auf der Website der EZB bestätigen den offenkundigen Willen des Organs, der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen, was zuvor im EZB-Rat beschlossen worden war. Es handelt sich um ein allgemeines Handlungsprogramm, da in ihm die Bedingungen festgelegt werden, unter denen die EZB im Fall einer Störung der geldpolitischen Transmissionskanäle tätig werden wird, aber es handelt sich auch um eine Maßnahme, die bereits auf eine Außenwirkung abzielt. Andernfalls wäre sie weder unter größtmöglicher Öffentlichkeit auf einer Pressekonferenz angekündigt worden, noch wären ihre technischen Merkmale auf der Website der EZB veröffentlicht worden.

84.      Zudem scheinen die Umstände, die mit dem OMT‑Programm verknüpft sind, zu bestätigen, dass es das Ziel der EZB war, bereits durch die bloße Ankündigung des Programms auf den Märkten – unter Umständen in unkonventioneller Weise – zu „intervenieren“. Die bereits erwähnte Rede des EZB-Präsidenten am 26. Juli 2012 in London mit ihrer Ankündigung, alle nötigen Maßnahmen zu erlassen, um „die gemeinsame Währung zu retten“, die Pressekonferenz vom 2. August 2012 nach der Sitzung des EZB-Rates am selben Tag und die Situation, mit der zu jener Zeit verschiedene Mitgliedstaaten auf den Staatsanleihemärkten konfrontiert waren, bestätigen, dass die von der EZB mit der bloßen Ankündigung des OMT‑Programms verfolgte Absicht nicht einfach darin bestand, über interne Arbeiten an einer noch im Diskussionsstadium befindlichen Initiative zu berichten, sondern dass durch die Ankündigung der Schaffung eines potenziell ambitionierten OMT‑Programms, mit dem – wie geltend gemacht worden ist – einige der damaligen Beeinträchtigungen der geldpolitischen Transmissionskanäle bekämpft werden sollten, auch eine Wirkung erzielt werden sollte. Beweis dafür ist die durchschlagende Wirkung, die die Ankündigung des Programms allen Anzeichen nach auf den Finanzmärkten hatte, und die nach Ansicht der EZB und der Kommission auch noch mehr als zwei Jahre später andauert.

85.      Ferner ist hervorzuheben, dass mit dem OMT‑Programm nicht eine bloße Einzelmaßnahme bekannt gegeben, sondern ein ganzes normatives Programm angekündigt wurde, das in die Zukunft gerichtet war, mit verhältnismäßig genauen Bedingungen einherging und einen regulatorischen Anspruch aufwies. Angesichts seines Inhalts ist hinzuzufügen, dass die EZB am 6. September 2012 keine unwichtige Entscheidung ankündigte. Vielmehr wurden an diesem Tag Einzelheiten zu einer Maßnahme von offenkundig großer Bedeutung für die Euro-Zone bekannt gegeben, die trotz ihres unvollendeten Charakters dauerhaft gelten sollte.

86.      An dieser Stelle ist der zweite der Umstände anzusprechen, die mir relevant erscheinen, um Einwände gegen die Zulässigkeit zurückzuweisen. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass wir es in der vorliegenden Rechtssache mit einer Handlung in Form einer öffentlichen Mitteilung einer Zentralbank zu tun haben, mit der ein geldpolitisches Handlungsprogramm gebilligt wird. Öffentliche Kommunikationsakte der Zentralbanken können denen der anderen Organe, seien diese politischer oder technischer Art, nicht gleichgestellt werden. In den letzten 30 Jahren haben die Zentralbanken eine bedeutende Entwicklung durchlaufen, die sich auf ihre geldpolitischen Instrumente ausgewirkt hat. Nach einhelliger Meinung der Fachleute kann auch die öffentliche Kommunikation zu diesen Instrumenten hinzugezählt werden.

87.      Es ist eine Tatsache, dass die öffentliche „Kommunikationspolitik“ der Zentralbanken zu einer der Hauptachsen der gegenwärtigen Währungspolitik geworden ist. Angesichts der Unmöglichkeit, rationale Verhaltensweisen auf den Märkten vorherzusehen, besteht eine wirksame Form, bestimmte Erwartungen nicht zu enttäuschen und mithin die Wirksamkeit der Geldpolitik zu gewährleisten, darin, alle Potenziale der öffentlichen Kommunikation („Kommunikationsstrategien“) der Zentralbanken zu nutzen(46). In Anbetracht des Ansehens und Informationsstands, über die diese Einrichtungen verfügen, aber auch ihrer Befugnisse kraft der konventionellen geldpolitischen Instrumente spielen Ankündigungen, Meinungsäußerungen oder Erklärungen der Vertreter der Zentralbanken generell eine entscheidende Rolle für die heutige Geldpolitik(47).

88.      Es besteht kein Zweifel, dass auch die EZB die öffentliche Kommunikation zu ihren zentralen geldpolitischen Instrumente zählt. Das Organ hat dies selbst in der Vergangenheit anerkannt, und niemand würde in Abrede stellen, dass die regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit der EZB, in deren Rahmen sie die Grundlinien ihres Handelns ankündigt oder bestimmte Stellungnahmen abgibt, die möglicherweise ihren künftigen Kurs widerspiegeln, einen zentralen Pfeiler ihrer Tätigkeit darstellt(48). Ich meine, dass dieser Umstand, der in ganz singulärer und charakteristischer Weise für die EZB gilt, die Natur einer Handlung wie des angekündigten OMT‑Programms vom 6. September 2012 in bestimmender Weise kennzeichnet.

89.      Schließlich, und angesichts dieser großen Bedeutung der Kommunikationspolitik der EZB, muss bedacht werden, dass die Alternative, die darin bestünde, eine Handlung wie das OMT‑Programm für nicht anfechtbar zu erklären, das Risiko mit sich brächte, dass eine große Zahl von Beschlüssen der EZB der gerichtlichen Kontrolle mit dem alleinigen Argument entzogen würde, sie seien noch nicht förmlich erlassen und im Amtsblatt veröffentlicht worden. Wenn eine Maßnahme in ihrer typischen Form keiner förmlichen Veröffentlichung bedarf, um Wirkung zu zeigen, weil es genügt, sie auf einer Pressekonferenz oder im Wege einer Pressemitteilung bekannt zu geben, um ihre Wirkungskraft nach außen hin zu erzeugen, so würde das in den Verträgen vorgesehene System der Handlungen und gerichtlichen Kontrolle in gravierender Weise unterminiert, wenn die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht überprüft werden könnte.

90.      Nach alledem bin ich im speziellen Fall dieser Art von Handlungen der EZB, in deren Zusammenhang öffentlichen Kommunikationsakten eine besondere Bedeutung für die Effektivität der Geldpolitik zukommt, der Auffassung, dass ein Akt wie der vom BVerfG in Frage gestellte in der Form, in der er am 6. September 2012 angekündigt wurde, unter Berücksichtigung seines Inhalts, der tatsächlichen Wirkungen, die er erzeugen kann, aber auch der Umstände, unter denen die Maßnahme beschlossen wurde, eine Handlung eines Organs darstellt, deren Gültigkeit im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV zur Überprüfung gestellt werden kann.

91.      Ich meine daher, dass die Einwände gegen die Zulässigkeit der zur Gültigkeit dieser Handlung gestellten Vorlagefragen zurückzuweisen sind, womit es nicht mehr erforderlich ist, über die vom vorlegenden Gericht hilfsweise gestellte Auslegungsfrage zu befinden.

VI – Die Vorlagefragen

A –    Die erste Vorlagefrage: die Art. 119 AEUV und 127 Abs. 1 und 2 AEUV und die Grenzen der Geldpolitik der EZB

92.      Mit seiner ersten Frage thematisiert das BVerfG die Gültigkeit des am 6. September 2012 von der EZB angekündigten OMT‑Programms und möchte vom Gerichtshof insbesondere wissen, ob es sich um eine Maßnahme handelt, die mit den Art. 119 AEUV und 127 Abs. 1 und 2 AEUV unvereinbar ist, und ob ein Übergriff in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten vorliegt.

93.      In seiner Vorlageentscheidung gelangt das BVerfG nach einer umfassenden und detaillierten Begründung zu dem Ergebnis, es lägen genügende Anhaltspunkte dafür vor, dass die EZB eine wirtschaftspolitische und keine währungspolitische Maßnahme erlassen habe. Das BVerfG konstatiert zugleich eine Überschreitung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung, das das Verhalten der EZB bestimmen müsse. Es zeigt vier Aspekte des OMT‑Programms auf, die diese Kompetenzüberschreitung belegten: die Konditionalität, die Selektivität, die Parallelität und die Umgehung. Die Besorgnis des vorlegenden Gerichts gilt, allgemeiner ausgedrückt, dem Problem der Grenzen, die den Befugnissen der EZB im Angesicht außergewöhnlicher Szenarien, wie sie in den Sommermonaten des Jahres 2012 entstanden waren, gezogen sind.

1.      Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

94.      Alle Beschwerdeführer und die Antragstellerin der Ausgangsverfahren stimmen grundsätzlich in einer Auslegung der Verträge überein, der zufolge ein Programm wie das am 6. September 2012 angekündigte eine wirtschaftspolitische Maßnahme ist. Nach ihrer Ansicht missachtet das OMT‑Programm das Mandat, das die EZB primär an das Ziel der Gewährleistung der Preisstabilität binde, da es sich um eine Maßnahme handele, die unmittelbare Auswirkungen auf die Finanzierungsquellen der betroffenen Mitgliedstaaten habe, was die angefochtene Maßnahme im Bereich der Wirtschaftspolitik verorte. In ihren Darlegungen berufen sie sich wiederholt auf das Urteil Pringle(49), in dem festgestellt worden sei, dass die Errichtung des ESM eine wirtschaftspolitische Maßnahme sei, während ihre Einstufung als eine währungspolitische Maßnahme zurückgewiesen worden sei. Die Beschwerdeführer und die Antragstellerin meinen, dass in Anbetracht der Grundzüge, die der ESM und ein Programm wie das OMT‑Programm teilten, auch Letzteres als eine wirtschaftspolitische Maßnahme qualifiziert werden müsse.

95.      Sowohl Herr Gauweiler als auch Herr Huber heben vor allem hervor, dass das eigentliche Ziel des OMT‑Programms nicht die Wiederherstellung der geldpolitischen Transmissionskanäle sei, sondern die „Rettung des Euro“ durch eine Vergemeinschaftung der Staatsschulden der betroffenen Mitgliedstaaten, die nicht mit den Verträgen vereinbar sei, da sie einigen Mitgliedstaaten die Übernahme der Schulden anderer Mitgliedstaaten aufbürden könne. Eine derartige Maßnahme gehe weit über eine „Unterstützung“ der Wirtschaftspolitiken der Union und der Mitgliedstaaten hinaus, die die Verträge der EZB erlaubten.

96.      Herr von Stein hält es für unzutreffend, dass es in den Monaten vor der Ankündigung des OMT‑Programms zu unnatürlichen Zinssätzen auf den Staatsschuldenmärkten gekommen sei. Er meint, dass diese Zinssätze lediglich den echten Marktpreis widergespiegelt hätten. Hier interveniere die EZB, indem sie mit der Ankündigung ihrer Bereitschaft, Staatsanleihen bestimmter Mitgliedstaaten anzukaufen, diesen Marktpreis manipuliere. Die so verursachte Wettbewerbsverzerrung auf den Märkten sei unvereinbar mit dem Mandat der Gewährleistung der Preisstabilität, das die Verträge der EZB zuwiesen.

97.      Herr Bandulet unterstreicht, dass das OMT‑Programm die strukturellen Mängel in der Konzeption der Währungsunion nicht auffangen könne. Dies sei in keiner Weise eine der EZB übertragene Kompetenz, da andernfalls der Demokratiegrundsatz und das Prinzip der Volkssouveränität verletzt würden.

98.      Die Bundestagsfraktion Die Linke bestreitet ebenfalls eine Kompetenz der EZB für den Erlass des OMT‑Programms, stützt sich dafür aber auf andere Argumente. Die Linke verweist auf die wirtschaftlichen Folgen, die die sukzessiven Finanzhilfeprogramme in verschiedenen Mitgliedstaaten ausgelöst hätten. Diese Auswirkungen bestätigten, dass die EZB, indem sie derartige Hilfsaktionen mittels der Durchführung des OMT‑Programms unterstütze, in die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten eingreife. Die Linke beruft sich weiter auf verschiedene Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, denen die Interventionen der Union und der EZB in Staaten, die einem solchen Finanzhilfeprogramm unterworfen seien, zuwiderliefen.

99.      Alle Staaten, die sich am vorliegenden Verfahren beteiligt haben, sowie die EZB und die Kommission sind mit jeweils unterschiedlicher Nuancierung der Auffassung, dass das OMT‑Programm, so wie es in der Pressemitteilung bekannt gegeben wurde, eine währungspolitische Maßnahme darstelle, die mit den der EZB durch die Verträge zugewiesenen Kompetenzen vereinbar sei.

100. Die genannten Staaten und Unionsorgane stimmen auch darin überein, dass die EZB bei der Definition und Durchführung der Währungspolitik über ein weites Ermessen verfüge. Der Gerichtshof müsse dieses Ermessen achten und die Ziele anerkennen, die die EZB bei der Ankündigung ihres OMT‑Programms dargelegt habe. Im Rahmen dieser Ziele sei zu konzedieren, dass die EZB auch unkonventionelle Maßnahmen der Geldpolitik erlassen könne, sofern diese zwingend notwendig seien, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Insbesondere sind sowohl die Republik Polen als auch das Königreich Spanien der Meinung, dass das OMT‑Programm den Kriterien des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genüge.

101. Diese Staaten und Organe widersprechen zudem übereinstimmend der vom vorlegenden Gericht geäußerten Ansicht, es ergebe sich aus dem Urteil Pringle (EU:C:2012:756), dass das OMT‑Programm eine wirtschaftspolitische Maßnahme sei. Im Urteil Pringle sei vielmehr anerkannt worden, dass Wirtschafts- und Währungspolitik eng miteinander verknüpft seien, so dass sich eine wirtschaftspolitische Maßnahme auf die Währungspolitik auswirken könne und umgekehrt, ohne das dies die Natur der Maßnahme ändere. Im vorliegenden Fall werde das OMT‑Programm dadurch, dass es Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik haben könne, noch nicht selbst zu einer wirtschaftspolitischen Maßnahme.

102. Dazu, dass das OMT‑Programm zu einer künstlichen Änderung der Preise auf dem Staatsanleihemarkt führen könne, tragen die polnische Regierung, die Kommission und die EZB vor, dass die Geldpolitik insgesamt eine Änderung der Preise zum Ziel habe, da es eine dieser Politik innewohnende Funktion sei, auf die Märkte mit Mitteln einzuwirken, die bestimmte Verhaltensweisen änderten, jedoch stets mit dem Ziel, die der EZB zugewiesenen Aufgabe zu erfüllen, im vorliegenden Fall namentlich die Gewährleistung der Preisstabilität.

103. Die Bundesrepublik Deutschland vertritt grundsätzlich den Standpunkt, dass das OMT‑Programm mit den bekannten Bedingungen rechtmäßig sei, verweist aber darauf, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt lediglich eine Ankündigung dieses Programms vorliege und seine konkrete Anwendung abgewartet werden müsse, um zu beurteilen, ob es sich tatsächlich um eine wirtschaftspolitische oder eine währungspolitische Maßnahme handele. Jedenfalls verfüge die EZB über ein weites Ermessen, und nur dann, wenn eine Maßnahme offensichtlich wirtschaftspolitischer Natur sei, liege eine Überschreitung der sich aus den Verträgen ergebenden Kompetenzen vor. Die Bundesrepublik Deutschland würde es zudem als hilfreich betrachten, wenn der Gerichtshof Kriterien vorgäbe, mittels deren das OMT‑Programm so angewandt werden könnte, dass es mit den Verträgen und, soweit möglich, mit den wesentlichen Elementen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland in Einklang stünde.

104. Die EZB begründet ihre Auffassung, dass das OMT‑Programm rechtmäßig sei, mit der im Sommer 2012 eingetretenen Entwicklung. Zu jener Zeit hätten sich unter Investoren Ängste bezüglich einer Reversibilität des Euro ausgebreitet, was für die Staatsanleihen verschiedener Mitgliedstaaten zu Zinsaufschlägen von außergewöhnlichem Umfang geführt habe. Angesichts dieses Szenarios sei es der EZB unmöglich geworden, ihre Geldpolitik über die konventionellen geldpolitischen Transmissionsmechanismen wirksam werden zu lassen. Die Fragmentierung der Staatsanleihemärkte in Verbindung mit den Finanzierungsschwierigkeiten verschiedener Staaten (und des Weiteren auch der Finanzinstitute dieser Staaten) habe verhindert, dass die geldpolitischen Impulse der EZB weiterhin angemessen übertragen worden seien. Diese Lage habe den Erlass einer unkonventionellen Maßnahme der Geldpolitik wie des OMT‑Programms gerechtfertigt. Insgesamt sei es nicht das Ziel des OMT‑Programms, die Finanzierungsbedingungen bestimmter Mitgliedstaaten zu begünstigen oder deren Wirtschaftspolitiken zu lenken, sondern vielmehr, die geldpolitischen Transmissionsmechanismen der EZB wieder freizusetzen.

105. Die EZB bestreitet, dass sich hinter den technischen Merkmalen des OMT‑Programms eine wirtschaftspolitische Maßnahme verberge. Seine Konditionalität sei ein unerlässliches Mittel, um zu vermeiden, dass seine Durchführung den betroffenen Mitgliedstaaten einen Anreiz gebe, die Verwirklichung von Strukturreformen aufzugeben, die zur Verbesserung der Grundlagen ihrer Wirtschaft erforderlich seien. Ebenso sei die „Selektivität“ der vorgesehenen Maßnahmen dem OMT‑Programm wesenseigen, da die Störungen der Transmissionskanäle infolge von Zinsaufschlägen für die Staatsanleihen gerade bestimmter Mitgliedstaaten eingetreten seien. Im Ergebnis sei festzustellen, dass das OMT‑Programm mit Schutzmechanismen ausgestattet sei, die seine Bindung an die Währungspolitik und die Wahrung der dem Organ in den Verträgen übertragenen Befugnisse gewährleisteten.

2.      Prüfung

a)      Vorbemerkungen

106. Bevor die Frage des BVerfG im Einzelnen geprüft wird, erscheint es zweckmäßig, auf zwei maßgebliche Aspekte der vorliegenden Rechtssache einzugehen: zum einen den Status und das Mandat der EZB, wie sie in den Verträgen definiert werden, und zum anderen den Begriff der „unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen“. Beide Aspekte werden uns grundlegende Kriterien zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Programms wie das der geldpolitischen Outright-Geschäfte an die Hand geben, das sich nach Ansicht der EZB in den Rahmen der unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen einfügt.

i)      Zum Status und Mandat der EZB

107. Die EZB ist das Organ, dem die Verträge die Ausübung der ausschließlichen Zuständigkeiten der Union auf dem Gebiet der Währungspolitik übertragen. Die EZB und die nationalen Zentralbanken bilden das ESZB, dessen Hauptaufgabe unbeschadet der Maßnahmen, die es treffen kann, um die Wirtschaftspolitik zu „unterstützen“, in der Gewährleistung der Preisstabilität besteht(50). Infolgedessen ist es, im Unterschied zu anderen Zentralbanken, für die EZB kennzeichnend, dass sie an ein klares und eng an die Bekämpfung der Inflation geknüpftes Mandat gebunden ist. Die vorbereitenden Arbeiten, die zu dem Vertrag von Maastricht(51) geführt haben, sowie zeitgeschichtliche Werke zur Währungspolitik(52) bestätigen die Bedeutung dieses Mandats in den Verhandlungen, die in die Errichtung der EZB mündeten.

108. Neben ihrer strikten Bindung an das Ziel der Gewährleistung der Preisstabilität ist die EZB durch ein hohes Niveau an Unabhängigkeit sowohl in funktionaler als auch organschaftlicher Hinsicht gekennzeichnet(53). Die Verträge betonen in zahlreichen Zusammenhängen die Unabhängigkeit der EZB in allen ihren Tätigkeiten, was sich auch in der strengen Ausgestaltung der Verfahren zur Änderung der Satzung des ESZB und der EZB niederschlägt. Letzteres unterscheidet das Organ von den Zentralbanken seiner Umgebung, deren Regelungsrahmen von den jeweiligen nationalen Parlamenten(54) geändert werden kann. Für die EZB gilt dies nicht, weil jede Umgestaltung ihrer Satzung eine Umgestaltung der Verträge erfordert(55).

109. Die Unabhängigkeit der EZB dient – ebenso wie im Fall der nationalen Zentralbanken – auch dem Ziel, das Organ von der politischen Auseinandersetzung fernzuhalten, indem kategorisch jede Anweisung seitens anderer Organe oder der Mitgliedstaaten untersagt wird(56). Diese Abkoppelung von der Politik erscheint geboten angesichts des ausgeprägt technischen Charakters und hohen Spezialisierungsgrades, die der Währungspolitik eigen sind(57).

110. Demgemäß übertragen die Verträge ausschließlich der EZB die Konzipierung und Durchführung der Währungspolitik, wofür ihr weitreichende Mittel zugewiesen werden, mit denen sie ihren Aufgaben nachkommen kann. Dank dieser Mittel verfügt die EZB zugleich über besonders wertvolle Kenntnisse und Informationen, die es ihr ermöglichen, ihren Auftrag effizienter auszuführen und zudem im Laufe der Zeit ihren technischen Sachverstand und ihr Ansehen zu steigern. Diese Eckpunkte sind von grundlegender Bedeutung, um sicherzustellen, dass die Impulse der Währungspolitik tatsächlich die Wirtschaft erreichen, besteht doch, wie bereits ausgeführt, eine der Funktionen der heutigen Zentralbanken in dem Umgang mit Erwartungen, und hierfür bilden technischer Sachverstand, Ansehen und öffentliche Kommunikation die elementaren Werkzeuge.

111. Notwendige Konsequenz hieraus ist, dass der EZB für die Konzipierung und Durchführung der Währungspolitik der Union ein weites Ermessen eingeräumt wird(58). Die Gerichte müssen daher bei einer Kontrolle der Tätigkeit der EZB die Gefahr vermeiden, sich an die Stelle dieses Organs zu setzen, indem sie sich auf ein hochgradig technisches Terrain begeben, auf dem eine Spezialisierung und Erfahrung erforderlich sind, die nach den Verträgen allein bei der EZB liegen. Deshalb muss die Intensität der gerichtlichen Kontrolle des Handelns der EZB unbeschadet ihres zwingenden Charakters durch ein erhebliches Maß an Zurückhaltung gekennzeichnet sein(59).

112. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Währungspolitik der EZB, wie schon gesagt, über verschiedene „Kanäle“ oder „Transmissionsmechanismen“ ausgeführt wird, mit denen das Organ auf dem Markt interveniert und seinem Mandat der Gewährleistung der Preisstabilität nachkommt(60). Um ihre Währungspolitik durchzuführen, kontrolliert die EZB die monetäre Basis der Wirtschaft in der Euro-Zone, indem sie, hauptsächlich mittels der Festsetzung von Zinssätzen, entsprechende Impulse gibt, die anschließend vom Finanzsektor bis zu den Unternehmen und Haushalten weitergegeben werden(61).

113. Zur Sicherstellung eines reibungslosen Funktionierens dieser Transmissionskanäle weisen die Satzung des ESZB und der EZB im beschriebenen Sinne dem ESZB ausdrücklich eine Zuständigkeit für die Wahrnehmung einer Reihe „währungspolitischer Aufgaben und Operationen“ zu. Unter diesen Operationen sind im Rahmen der vorliegenden Rechtssache die in Art. 18.1 der Satzung genannten hervorzuheben. Nach dieser Bestimmung können die EZB und die nationalen Zentralbanken „auf den Finanzmärkten tätig werden, indem sie auf Euro oder sonstige Währungen lautende Forderungen und börsengängige Wertpapiere sowie Edelmetalle endgültig (per Kasse oder Termin) oder im Rahmen von Rückkaufsvereinbarungen kaufen und verkaufen oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen“.

114. Gleichwohl lässt sich, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, von einem Programm wie dem OMT‑Programm nicht sagen, dass es sich in den Rahmen der gewöhnlichen geldpolitischen Instrumente der EZB einfügt. Das OMT‑Programm verwendet formal eine der vorgenannten währungspolitischen Operationen, aber tut dies in hinreichend ungewöhnlicher Weise, um seine Einstufung als eine „unkonventionelle geldpolitische Maßnahme“ zu rechtfertigen. Im Weiteren werde ich darlegen, worauf sich dieser Begriff konkret bezieht, wie ihn die EZB gerechtfertigt hat und inwieweit es sich dabei um ein in den Verträgen rechtlich vorgesehenes Mittel handelt.

ii)    Unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen und die Einordnung des OMT‑Programms als eine dieser Maßnahmen

–       Unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen aus der Sicht der EZB

115. Nach Auffassung der EZB ist das OMT‑Programm als eine Maßnahme zulässig, die eine Blockierung der geldpolitischen Transmissionskanäle der Union ausräumen solle. Wie dargelegt, funktionieren diese geldpolitischen Transmissionskanäle nicht als Mechanismen mit unmittelbarer Wirkung, sondern als ein Rahmen, in dem die EZB eine Reihe von Impulsen mit der Zielsetzung aussendet, dass diese die Realwirtschaft erreichen. Die EZB verweist darauf, dass die Geldpolitik durch gegenüber den Transmissionskanälen exogene Faktoren beeinträchtigt werden könne, die das reibungslose Funktionieren der von der EZB ausgesandten Signale stören könnten: So könnten etwa, neben anderen Faktoren, eine politische Krise oder eine drastische Änderung der Ölpreise die Impulse, die die EZB über die geldpolitischen Transmissionskanäle übertrage, schwerwiegend beeinträchtigen.

116. Entsteht eine Situation dieser Art, erachtet sich die EZB für zuständig, mit ihren eigenen Instrumenten zu intervenieren, um die Blockierung dieser Kanäle zu beseitigen. In einem solchen Fall handele es sich um Interventionen, die sich von den in der Praxis der EZB üblichen unterschieden, da sie keine gewöhnliche Tätigkeit, sondern eine Tätigkeit der „Entstörung“ und der späteren Wiederherstellung der eigentlichen geldpolitischen Instrumente darstellten(62).

117. Sowohl die EZB als auch die an dem vorliegenden Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten halten den Einsatz dieser Art von unkonventionellen Maßnahmen als Teil der Geldpolitik für legitim. Tatsächlich handelt es sich ausweislich der Akten um eine Art der Intervention, von denen in der ab 2008 einsetzenden internationalen Finanzkrise die meisten Zentralbanken Gebrauch gemacht haben(63), und zwar einschließlich, wie im vorliegenden Verfahren ersichtlich geworden ist, der EZB selbst(64). Nach Ansicht der EZB und der beteiligten Mitgliedstaaten hindern die Verträge die EZB nicht an der Inanspruchnahme von Befugnissen zur Wiederherstellung ihrer geldpolitischen Instrumente, wenn Umstände eintreten, die das normale Funktionieren der Transmissionskanäle erheblich beeinträchtigten. Nach Ansicht der Kommission ist diese Handlungsweise mit den Verträgen vereinbar, sofern sie zurückhaltend und in Verbindung mit Schutzvorkehrungen vorgenommen werde.

118. Unter diesen Prämissen ist das genaue Wesen des OMT‑Programms, wie es mit der Pressemitteilung vom 6. September 2012 bekannt gegeben wurde, zu untersuchen.

–       Das OMT‑Programm als unkonventionelle geldpolitische Maßnahme

119. Das OMT‑Programm gehört formal zu den Operationen, die die Satzung des ESZB und der EZB im oben angeführten Art. 18.1 vorsehen. Wenn diese Vorschrift dem ESZB die Befugnis verleiht, Forderungen und andere börsengängige Wertpapiere zu erwerben, so ist eindeutig, dass damit der EZB Instrumente zur Verfügung gestellt werden sollen, mit denen sie als konventionelles Mittel zur Aufrechterhaltung der Preisstabilität die monetäre Basis kontrollieren kann.

120. Es ist jedoch sogleich hinzuzufügen, dass das OMT‑Programm die Befugnisse aus Art. 18.1 der Satzung in einer Art und Weise nutzt, die außerhalb der normalen Praxis der EZB liegt. Es ist eindeutig, dass eine selektive Maßnahme, die auf einen oder verschiedene Staaten der Euro-Zone ausgerichtet ist und darin besteht, ohne vorherige quantitative Begrenzung Staatsanleihen dieses oder dieser Staaten im Vertrauen darauf zu erwerben, dass sich dessen oder deren Finanzierungsbedingungen auf den Finanzmärkten verbessern, der gewöhnlichen Praxis der EZB fremd ist.

121. Wie in der Pressemitteilung vom 6. September 2012 beschrieben, sieht das OMT‑Programm eine Intervention der EZB auf dem Sekundärmarkt für Staatsanleihen vor, indem es ihr erlaubt, Staatsanleihen von Staaten der Euro-Zone anzukaufen, die einem Finanzhilfeprogramm unterliegen und mutmaßlich Schwierigkeiten haben, Anleihen zu platzieren. Die Prämisse, auf der das OMT‑Programm beruht, ist das Auftreten eines exogenen Faktors, der die Transmissionskanäle der Geldpolitik stört. Diese Störung besteht nach den Darlegungen der EZB in einer plötzlichen und praktisch nicht hinnehmbaren Erhöhung der Risikoprämien für bestimmte Staaten der Euro-Zone, die grundsätzlich nicht mit der makroökonomischen Realität dieser Staaten übereinstimmt und es infolgedessen der EZB unmöglich macht, ihre Impulse wirksam zu übertragen und damit ihr Mandat der Gewährleistung der Preisstabilität zu erfüllen.

122. Daher lässt sich nach dem vorstehend Ausgeführten meines Erachtens das OMT‑Programm als eine unkonventionelle geldpolitische Maßnahme einordnen, mit den Folgen, die sich daraus unter dem Gesichtspunkt seiner Kontrolle ergeben.

b)      Die Zuständigkeiten der EZB und das OMT‑Programm

123. Nach dem oben Gesagten werde ich mich auf die beiden Aspekte konzentrieren, deren Berücksichtigung erforderlich erscheint, um eine vollständige Antwort auf die erste Vorlagefrage des BVerfG zu geben.

124. Als Erstes ist zu prüfen, ob ein Programm wie das OMT‑Programm als eine währungspolitische Maßnahme qualifiziert werden kann oder ob es sich vielmehr um eine wirtschaftspolitische und daher dem Tätigwerden der EZB entzogene Maßnahme handelt. Hierbei werden die technischen Merkmale des Programms, die das BVerfG hervorhebt, im Einzelnen zu erörtern sein. Wenn das OMT‑Programm als eine währungspolitische Maßnahme qualifiziert werden kann, wie ich es vorschlagen werde, wird das Programm sodann anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gemäß Art. 5 Abs. 4 EUV zu prüfen sein.

i)      Das OMT‑Programm und die Wirtschaftspolitik der Union und der Mitgliedstaaten als Zuständigkeitsgrenze der EZB

–       Die Wirtschaftspolitik und die Währungspolitik der Union

125. Wie oben wiedergegeben, fragt das BVerfG, ob die EZB mit der Genehmigung des OMT‑Programms eine wirtschaftspolitische und nicht eine währungspolitische Maßnahme erlassen und dadurch die Zuständigkeit verletzt habe, die der AEU-Vertrag in Art. 119 Abs. 1 dem Rat und den Mitgliedstaaten zuweise.

126. Betrachten wir das Primärrecht der Union, so beschreibt Art. 119 Abs. 1 AEUV summarisch die Hauptkomponenten der Wirtschaftspolitik der Union mit den Worten, dass diese „auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist“. Auch wenn diese Vorschrift allgemein gefasst und daher mehrdeutig ist, enthält sie doch die grundlegenden Elemente für die Definition der Aspekte der Wirtschaftspolitik, die in die Zuständigkeit der Union fallen.

127. Die Verträge schweigen jedoch, soweit es darum geht, die ausschließliche Zuständigkeit der Währungspolitik der Union zu definieren. Dies hat der Gerichtshof im Urteil Pringle festgestellt, weshalb er sich verpflichtet gesehen hat, als einziges Bezugskriterium für die Währungspolitik auf deren im AEU-Vertrag genannten Ziele zurückzugreifen(65). Das Hauptziel der Währungspolitik der Union, die Preisstabilität, und die Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Union bilden das wesentliche Definitionskriterium für die Währungspolitik (Art. 127 Abs. 1 AEUV und Art. 282 Abs. 2 AEUV). Das hat der Gerichtshof in der Rechtssache Pringle bestätigt, in der er zur Beurteilung der Frage, ob eine Änderung des Vertrags in den Bereich der Währungspolitik fällt oder nicht, als einziges Kriterium die für diese Politik vorgeschriebenen Ziele heranzieht.

128. Trotz der spärlichen Kriterien, die die Verträge auf den ersten Blick bereitstellen, verfügt das Unionsrecht über zweckmäßige Auslegungsinstrumente, um die Feststellung treffen zu können, ob ein Beschluss unter die Wirtschaftspolitik oder unter die Währungspolitik fällt.

129. Es erscheint daher, auch wenn dies offenkundig sein mag, der Hinweis angebracht, dass die Währungspolitik Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik ist. Die Trennung zwischen beiden Politiken im Unionsrecht ist ein Erfordernis, das sich aus der Struktur der Verträge und der horizontalen und vertikalen Zuständigkeitsverteilung in der Union ergibt, aber in wirtschaftlicher Hinsicht lässt sich sagen, dass letztlich jede währungspolitische Maßnahme in die weiter gefasste Kategorie der allgemeinen Wirtschaftspolitik fällt. Diese Verknüpfung zwischen beiden Politiken haben der Gerichtshof selbst und in ihren Schlussanträgen die Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Pringle mit der Feststellung hervorgehoben, dass eine wirtschaftspolitische Maßnahme nicht allein deshalb einer währungspolitischen Maßnahme gleichgestellt werden kann, weil sie mittelbare Auswirkungen auf die Stabilität des Euro haben kann(66). Diese Überlegung gilt voll und ganz auch umgekehrt, so wie es die EZB, die Kommission und die meisten am vorliegenden Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten unterstrichen haben, denn eine währungspolitische Maßnahme wird nicht allein dadurch zu einer wirtschaftspolitischen Maßnahme, dass sie mittelbare Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik der Union und der Mitgliedstaaten haben kann.

130. Das Schweigen des Vertrags, der auf eine genaue Definition der Währungspolitik der Union verzichtet, steht in Einklang mit einer funktionalen Konzeption der Rolle der Währungspolitik, der zufolge Währungspolitik jede Maßnahme ist, die durch Instrumente vorgenommen wird, die der Währungspolitik eigen sind. Wenn eine Maßnahme also zu den Instrumenten gehört, die das Recht für die Durchführung der Währungspolitik vorsieht, besteht eine anfängliche Vermutung, dass diese Maßnahme das Ergebnis einer Durchführung der Währungspolitik der Union ist. Evidentermaßen handelt sich dabei um eine Vermutung, die widerlegbar ist, so beispielsweise dann, wenn die Maßnahme Ziele verfolgt, die sich von den in Art. 127 Abs. 1 AEUV und Art. 282 Abs. 2 AEUV abschließend aufgeführten unterscheiden.

131. Ebenso liefern andere Vertragsbestimmungen über die Währungspolitik relevante Anhaltspunkte, die den Inhalt der Definition dieser Politik anreichern. So sehen die Art. 123 AEUV und 125 AEUV, denen ich im Zusammenhang mit der zweiten Vorlagefrage größere Aufmerksamkeit widmen werde, strenge Verbote einer staatlichen Haushaltsfinanzierung vor, sei es durch Maßnahmen monetärer Finanzierung oder durch monetäre Transfers zwischen Staaten. Diese Verbote bestätigen, dass die Währungsunion, obgleich sie sich einer auf dem Wert der Solidarität beruhenden Union (Art. 2 EUV)(67) einfügt, zugleich die Finanzstabilität zu erhalten sucht, weshalb sie auf einem Grundsatz der Haushaltsdisziplin und der fehlenden finanziellen Mitverantwortung basiert(68).

132. Um tatsächlich Teil der Währungspolitik zu sein, muss eine Maßnahme der EZB daher speziell dem Hauptziel der Aufrechterhaltung der Preisstabilität dienen, vorausgesetzt, sie wird mittels eines der in den Verträgen ausdrücklich vorgesehenen Instrumente der Währungspolitik getroffen und läuft nicht den Geboten der Haushaltsdisziplin und der fehlenden Mitverantwortung zuwider. Wenn die fragliche Maßnahme punktuelle Aspekte aufweist, die einer Wirtschaftspolitik eigen sind, wird dies nur dann mit dem Mandat der EZB vereinbar sein, wenn die Maßnahme der „Unterstützung“ wirtschaftspolitischer Maßnahmen dient und dem prioritären Ziel der EZB untergeordnet ist.

–       Das OMT‑Programm im Licht der Kriterien für die Definition der Wirtschaftspolitik und der Währungspolitik der Union

133. Es ist nunmehr, wobei ich mich auf die gerade dargelegten Kriterien konzentrieren werde, zu prüfen, ob das OMT‑Programm den Charakter einer währungs- oder wirtschaftspolitischen Maßnahme besitzt. Das vorlegende Gericht hat eine Reihe von Aspekten aufgeführt, die belegen könnten, dass es sich um eine wirtschaftspolitische Maßnahme handele, und mit denen ich mich einzeln befassen möchte. Vorab ist jedoch auf die Ziele einzugehen, die die EZB zur Rechtfertigung des OMT‑Programms dargelegt hat, die hingegen vom BVerfG hinterfragt und von den Beschwerdeführern und der Antragstellerin der Ausgangsverfahren zurückgewiesen worden sind. Nach Erörterung der angegebenen Gründe und ihrer rechtlichen Einordnung werde ich mich sodann der Prüfung der vom vorlegenden Gericht einzeln aufgeführten Aspekte zuwenden: Konditionalität, Parallelität, Selektivität und Umgehung.

– Die Ziele des OMT‑Programms

134. Wie die EZB in ihren schriftlichen Erklärungen ausführlich dargelegt hat, wirkten in den Sommermonaten des Jahres 2012 eine Reihe außergewöhnlicher Umstände in der Wirtschaft der Euro-Zone zusammen: stark überhöhte Risikoaufschläge für verschiedene Mitgliedstaaten, eine hohe Volatilität an den Staatsanleihemärkten, eine Fragmentierung bei der Refinanzierung der Banken und, infolge all dessen, eine Erhöhung der Finanzierungskosten der Unternehmen. Diese Ereignisse wurden zudem stark beeinflusst von einer wachsenden Furcht der Märkte vor einem möglichen Zusammenbruch der einheitlichen Währung, sei es durch den selektiven Austritt eines oder einiger Teilnehmerstaaten, sei es in Form des unmittelbaren Verschwindens des Euro und einer Rückkehr zu den nationalen Währungen. Keiner der Beteiligten im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren hat diese Tatsachen substanziell bestritten.

135. Nach Ansicht der EZB wirkten sich die vorgenannten Umstände störend auf die konventionellen Instrumente der Geldpolitik aus. Die Zinssätze für Staatsanleihen seien nicht mehr nach Maßgabe der Qualität des gewährten Kredits bemessen worden, sondern des Ortes, an dem sich der Schuldner befunden habe. Eine territoriale Fragmentierung der Zinssätze für Anleihen der Staaten der Euro-Zone, in manchen Fällen ohne kausale Bedingtheit durch die makroökonomischen Fundamentaldaten der betroffenen Staaten, habe die EZB, die auf die Nutzung verschiedener Mittel oder Kanäle der geldpolitischen Transmission angewiesen sei, mit einem ernsten Hindernis für ihre Währungspolitik konfrontiert. Als auf dem Staatsanleihemarkt, einem der zentralen geldpolitischen Transmissionskanäle, eine derart schwere Störung aufgetreten sei, habe die EZB einen großen Teil des Spielraums verloren, über den sie zur Erfüllung des ihr von den Verträgen zugewiesenen Mandats sonst verfüge.

136. Im Angesicht dieser entstandenen Sachlage, so die EZB weiter, sei mit dem OMT‑Programm ein zweifaches Ziel verfolgt worden, nämlich ein unmittelbares und ein weiteres, mittelbares: Zunächst sei eine Senkung der Zinssätze, die für Staatsanleihen eines Mitgliedstaats verlangt worden seien, angestrebt worden, um sodann die Zinsaufschläge zu „normalisieren“ und so das geldpolitische Instrumentarium der EZB wiederherzustellen.

137. Einige Beschwerdeführer der Ausgangsverfahren dagegen argumentieren, das Ziel der EZB habe vielmehr darin bestanden, „die einheitliche Währung zu retten“, indem die EZB die Rolle eines „lender of last resort“ der Mitgliedstaaten eingenommen habe, um auf diese Weise strukturelle Defizite der Währungsunion wettzumachen. Ich glaube nicht, dass sich dies in schlüssiger Weise dartun lässt. Die Tatsache, dass der EZB-Monatsbericht August 2012 im Zuge der Maßnahmen, die in die Ankündigung der EZB vom 6. September jenes Jahres mündeten, auf den Zusammenhang zwischen dem Programm und der „Irreversibilität des Euro“ hinwies, erscheint mir nicht ausreichend, um die konstante und wiederholte Verteidigung der Ziele des OMT‑Programms in Frage zu stellen, die die EZB seit dessen Ankündigung bis zum vorliegenden Verfahren vorgebracht hat(69).

138. Daher bin ich in Anbetracht der Fakten und der von der EZB dargelegten Zielsetzung der Auffassung, dass hinreichende Elemente für die Annahme vorliegen, dass die vom OMT‑Programm vorgesehenen Ziele grundsätzlich als legitime Ziele anerkannt werden können. Die im Sommer 2012 entstandene Sachlage lässt sich so wenig bestreiten wie die Situation verschiedener Mitgliedstaaten auf den Staatsanleihemärkten, und hinzutreten muss die Anerkennung eines erheblichen Einschätzungsspielraums zugunsten der EZB, soweit es um die Überprüfung ihrer Beurteilung der Sachlage geht.

139. Im Ergebnis meine ich, dass die mit dem OMT‑Programm verfolgten Ziele in ihrer Darstellung durch die EZB akzeptiert werden können, ausgehend von der Anerkennung ihrer Absicht, mit der Ankündigung des OMT‑Programms ein währungspolitisches Ziel zu verfolgen. Eine andere Frage ist es, ob die Prüfung des Inhalts des OMT‑Programms zu einem gegenteiligen Ergebnis führt. Insoweit nennt das vorlegende Gericht verschiedene Gesichtspunkte, die seiner Auffassung nach das OMT‑Programm zu einer wirtschaftspolitischen Maßnahme machen und denen ich mich im Folgenden zuwenden werde.

– Konditionalität und Parallelität

140. Das BVerfG erörtert zwei Aspekte, die zusammen untersucht werden können. Dass das OMT‑Programm an das Bestehen eines Finanzhilfeprogramms zugunsten eines oder mehrerer Mitgliedstaaten geknüpft ist, deren Schuldtitel auf dem Sekundärmarkt angekauft werden, während die EZB die Ziele des OMT‑Programms an die des Finanzhilfeprogramms binde, betrachtet das BVerfG als Bestätigung dafür, dass dieses Handeln der EZB im Bereich der Wirtschaftspolitik und nicht der Währungspolitik erfolge(70). In diesem Sinne haben sich auch alle Beschwerdeführer und die Antragstellerin der Ausgangsverfahren geäußert, nicht immer mit der gleichen Begründung, aber übereinstimmend im Ergebnis.

141. Die EZB argumentiert, das OMT‑Programm werde nur unter der Voraussetzung aktiviert, dass ein Staat der Euro-Zone einem Finanzhilfeprogramm des ESM oder der EFSF unterliege, so dass die in diesem Programm vorgeschriebene Konditionalität garantiere, dass die Durchführung des OMT‑Programms die betroffenen Mitgliedstaaten nicht dazu verleite, in der Umsetzung der notwendigen Strukturreformen nachzulassen – etwas, das gemeinhin als „moralisches Risiko“ („moral hazard“) bezeichnet wird(71). Nach Auffassung der EZB kann der Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt nicht als eine unbedingte Stützungsmaßnahme gewertet werden, da die Intervention der EZB im Wesentlichen nur erfolge, solange die über das entsprechende Finanzhilfeprogramm vorgeschriebenen Strukturreformen unternommen würden. Aus Sicht der EZB wird die Gefahr eines Eingriffs in die Wirtschaftspolitik durch den Effekt der Neutralisierung des „moralischen Risikos“ ausgeglichen, das eine merkliche Intervention der EZB auf dem Sekundärmarkt für Staatsanleihen mit sich bringen könnte.

142. Das Vorbringen der Beschwerdeführer und der Antragstellerin der Ausgangsverfahren entbehrt nicht jeder Grundlage. Auch wenn die EZB behauptet hat, dass die Bindung des OMT‑Programms an die Erfüllung der Finanzhilfeprogramme eine von der EZB selbst festgelegte Bedingung sei, von der jederzeit abgegangen werden könne, haben die Beschwerdeführer und insbesondere die Antragstellerin Die Linke hervorgehoben, dass die EZB nicht einfach nur an die Erfüllung eines Hilfsprogramms anknüpfe, an dem sie gar nicht beteiligt sei. Vielmehr habe sie aktiven Anteil an der Konzipierung solcher Finanzhilfeprogramme. Diese „Doppelrolle“ der EZB als Inhaberin eines Darlehensanspruchs aus Staatsanleihen und als Überwacherin und Verhandlungsführerin im Rahmen eines Finanzhilfeprogramms, das für denselben Staat mit makroökonomischer Konditionalität gelte, lasse ihre Argumentation als äußerst fragwürdig erscheinen.

143. Ich stimme diesem Vorbringen im Wesentlichen zu. Obgleich die EZB in der Pressemitteilung vom 6. September 2012 die Durchführung des OMT‑Programms an die tatsächliche Erfüllung der im Rahmen eines Finanzhilfeprogramms eingegangenen Verpflichtungen bindet, steht außer Frage, dass die Rolle der EZB im Rahmen dieser Finanzhilfeprogramme darüber hinausgeht, dass sie sich diesen lediglich einseitig angeschlossen hätte. Die Regelung des ESM(72), aber auch die Erfahrung mit den durchgeführten oder noch in Durchführung begriffenen Finanzhilfeprogrammen belegen umfassend, dass die Rolle der EZB bei der Ausarbeitung, Billigung und regelmäßigen Überwachung dieser Programme bedeutsam, um nicht zu sagen entscheidend ist(73). Zum anderen hat, wie die Bundestagsfraktion Die Linke in ihren schriftlichen und mündlichen Erklärungen ausgeführt hat, die Konditionalität der Finanzhilfeprogramme, die bisher gewährt wurden und an denen die EZB aktiv beteiligt war, erhebliche makroökonomische Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der betroffenen Staaten wie auch in der Euro-Zone insgesamt gehabt. Diese Feststellung dürfte bestätigen, dass die EZB mit ihrer Beteiligung an den genannten Hilfsprogrammen aktiv an Maßnahmen mitgewirkt hat, die unter bestimmten Umständen so zu verstehen sein könnten, dass sie über eine „Unterstützung“ der Wirtschaftspolitik hinausgingen.

144. Tatsächlich überträgt der ESM-Vertrag der EZB vielfältige Aufgaben im Verlauf eines Finanzhilfeprogramms, einschließlich ihrer Beteiligung an der Aushandlung und an Aufgaben der Überwachung und Bewertung(74). So hat die EZB an der Ausarbeitung der Konditionen teil, die einem um Hilfe ersuchenden Staat auferlegt werden, und beteiligt sich überdies später an Aufgaben der Bewertung und Überwachung der Einhaltung dieser Konditionen, die für die tatsächliche Fortführung und etwaige Beendigung des Programms von großer Bedeutung sind. Diese Aufgaben teilt sich die EZB mit der Kommission, auch wenn der ESM-Vertrag Letzterer noch gewichtigere Funktionen überträgt.

145. Um das OMT‑Programm als eine währungspolitische Maßnahme einzustufen, ist es – wie bereits oben ausgeführt – unerlässlich, dass sich die verfolgten Ziele in diese Politik einfügen und dass die eingesetzten Instrumente solche der Währungspolitik sind. Die Bindung des OMT‑Programms an die Erfüllung der Finanzhilfeprogramme lässt sich durch ein zweifellos legitimes Interesse an der Ausmerzung jedes Schattens eines „moralischen Risikos“ rechtfertigen, das sich aus einer signifikanten Intervention der EZB auf dem Staatsanleihemarkt ergeben könnte. Der Umstand jedoch, dass sich dieses Organ aktiv am Ablauf der Finanzhilfeprogramme beteiligt, kann aus dem OMT‑Programm, soweit es einseitig mit diesen verknüpft ist, mehr machen als eine währungspolitische Maßnahme. Denn es ist nicht das Gleiche, den Ankauf von Staatsanleihen einseitig an die Erfüllung von Bedingungen zu knüpfen, die ein Dritter festlegt, und dies zu tun, wenn dieser Dritte nicht wirklich ein Dritter ist. Unter diesen Umständen kann sich der bedingte Ankauf von Staatsanleihen zu einem weiteren Instrument dieser Konditionalität wandeln. Und allein die Tatsache, dass er so wahrgenommen werden kann, als ein Instrument im Dienst der makroökonomischen Konditionalität, kann genügende Auswirkungen haben, um die mit dem OMT‑Programm verfolgten Ziele der Währungspolitik zu beeinträchtigen oder sogar zu entstellen.

146. Sicherlich wird die EZB auf einen Staat, der einem Finanzhilfeprogramm unterliegt, immer Druck ausüben können, wenn sie, und sei es auch nur einseitig, das OMT‑Programm an die Erfüllung der im Rahmen des ESM ausgehandelten Konditionalität knüpft. Dennoch muss unterschieden werden zwischen einer Maßnahme, die das „moralische Risiko“ ausschließen soll, wie sie die einseitige Bindung an die in einem Finanzhilfeprogramm auferlegte Konditionalität sein kann, und einer Maßnahme, die, in ihrer Gesamtheit betrachtet, die EZB als ein Organ einschließt, das diese Konditionalität aushandelt und vor allem in direkter Weise mit überwacht(75).

147. Insgesamt meine ich, dass die EZB bei der Ausgestaltung und Ankündigung des OMT‑Programms, soweit sich dieses in den größeren Rahmen einer Mitwirkung der EZB an Finanzhilfeprogrammen des ESM einfügt, die Folgen ihrer Mitwirkung an diesen Finanzhilfeprogrammen für die währungspolitische Natur des OMT‑Programms nicht richtig abgewogen hat.

148. Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, welche unmittelbaren Konsequenzen sich hieraus für die Zuordnung des OMT‑Programms zur Währungspolitik der Union ergeben.

149. Der obige Schluss hindert meines Erachtens die EZB nicht daran, sich an den Finanzhilfeprogrammen, wie sie der ESM-Vertrag vorsieht, regelmäßig zu beteiligen. Die Genehmigung eines Finanzhilfeprogramms schafft keineswegs die Voraussetzung dafür, dass später Umstände eintreten, die für die Aktivierung des OMT‑Programms durch die EZB erforderlich sind.

150. Wenn nun die außergewöhnlichen Umstände entstehen sollten, die zum Einsatz des OMT‑Programms Anlass geben, ist es, damit dieses seine Funktion als innerhalb der Währungspolitik angesiedelte Maßnahme behält, von grundlegender Bedeutung, dass sich die EZB anschließend von jeder unmittelbaren Beteiligung an der Durchführung des für den betroffenen Staat geltenden Finanzhilfeprogramms loslöst. Die EZB wäre durch nichts daran gehindert, sich zu unterrichten und sogar angehört zu werden(76), aber keinesfalls zulässig wäre es, dass sie sich in einem Fall, in dem ein Programm wie das OMT‑Programm ausgeführt wird, weiterhin an der Überwachung des Finanzhilfeprogramms beteiligt, dem der Mitgliedstaat unterliegt, auf den gleichzeitig eine bedeutende Intervention der EZB auf dem Sekundärmarkt für Staatsanleihen ausgerichtet ist. Zusammenfassend meine ich, dass diese funktionale Distanz zwischen den beiden Programmen eingehalten werden muss, damit das OMT‑Programm seinen Charakter als eine währungspolitische Maßnahme wahrt, die ausschließlich der Wiederherstellung geldpolitischer Transmissionskanäle dienen soll.

151. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen bin ich daher im Ergebnis der Auffassung, dass das OMT‑Programm als eine währungspolitische Maßnahme einzustufen ist, soweit sich die EZB, wenn das OMT‑Programm zur Anwendung gelangen sollte, jedes unmittelbaren Eingriffs in Finanzhilfeprogramme des ESM/der EFSF enthält.

– Selektivität

152. Das zweite vom vorlegenden Gericht hervorgehobene Merkmal, das Zweifel am währungspolitischen Charakter des OMT‑Programms begründe, ist die sogenannte Selektivität, d. h. der Charakter als eine Maßnahme, die auf einen Staat oder mehrere Staaten, aber jedenfalls nicht auf alle Staaten der Euro-Zone anwendbar ist. Damit laufe das OMT‑Programm der üblichen Praxis der EZB zuwider, deren Maßnahmen für die gesamte Euro-Zone in gleicher Weise gälten und nicht für einzelne territoriale Segmente der Wirtschaft. Überdies bewirke, so das BVerfG, die Selektivität eine Verzerrung der Finanzierungskonditionen auf dem Markt, die die Staatsanleihen der übrigen Mitgliedstaaten potenziell benachteilige.

153. Dieser Einwand erscheint mir nicht schlüssig, denn aus dieser Argumentation ergibt sich nicht, dass die Selektivität als solche das OMT‑Programm zu einer wirtschaftspolitischen Maßnahme machte. Zum einen hat die EZB überzeugend dargelegt, dass die Zinsaufschläge, die die geldpolitischen Transmissionskanäle blockieren können, auf die Staatsanleihen einer Gruppe von Mitgliedstaaten bezogen sind. Dieser Umstand liegt dem OMT‑Programm gerade zugrunde, weil es andernfalls nicht erforderlich wäre, seine Durchführung mit einem Finanzhilfeprogramm zu verknüpfen. Somit ist die Selektivität nur die logische Folge eines Programms, dass darauf abzielt, eine entstandene Blockierung aufzulösen, die in verschiedenen Mitgliedstaaten lokalisiert ist. Ob dieser Umstand den Markt verändert oder die Staatsanleihen anderer Mitgliedstaaten benachteiligt, berührt nicht die Qualifizierung des OMT‑Programms als eine währungspolitische Maßnahme, weil seine Wirksamkeit nur durch seine Ausrichtung auf die Staatsanleihen der betroffenen Staaten sichergestellt werden kann.

154. Daher beeinträchtigt meines Erachtens der Umstand, dass das OMT‑Programm selektiv auf einen oder mehrere Mitgliedstaaten der Euro-Zone Anwendung findet, nicht den währungspolitischen Charakter dieses Programms im Sinne von Art. 127 Abs. 1 AEUV und Art. 282 Abs. 2 AEUV.

– Umgehung

155. Schließlich führt das BVerfG aus, dass mit dem OMT‑Programm die in den Finanzhilfeprogrammen vorgesehenen Verpflichtungen und Bedingungen umgangen werden könnten, da die in den Art. 18 und 14 des ESM-Vertrags festgelegten Voraussetzungen, denen der Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt durch den ESM unterliege, strenger seien als die im OMT‑Programm vorgesehenen. Dies ermögliche der EZB Ankäufe von Staatsanleihen zu für den betroffenen Staat günstigeren Marktbedingungen, womit die für den ESM geltenden Anforderungen umgangen würden.

156. Diesem Argument kann nach der obigen Prüfung der Bedenken, die aus der Konditionalität und Parallelität hergeleitet werden, schwerlich gefolgt werden. Sobald nämlich festgestellt ist, wie ich es oben getan habe, dass die Eigenständigkeit des OMT‑Programms gegenüber den Finanzhilfeprogrammen, so wie ich sie oben umrissen habe, als ein Faktor wirkt, der den währungspolitischen Charakter der fraglichen Maßnahme garantiert, ergibt sich daraus logischerweise, dass es als Folge dieser Garantie die EZB selbst ist, die ihre eigenen Anforderungen an den Erwerb von Staatsanleihen aufstellt.

157. Meiner Ansicht nach können Probleme nicht so sehr aus der abstrakten Tatsache erwachsen, dass die Anforderungen der einen oder der anderen Institution unterschiedlich wären, sondern aus den spezifischen Anforderungen, die die EZB aufstellt. Aber aus der ausschließlichen Perspektive betrachtet, von der das vorlegende Gericht ausgeht, macht meiner Meinung nach der Umstand, dass die EZB nicht an die gleichen Voraussetzungen gebunden ist wie der ESM, das OMT‑Programm nicht zu einer wirtschaftspolitischen Maßnahme.

– Zwischenergebnis

158. Nach alledem bin ich der Auffassung, dass sich das OMT‑Programm, so wie es sich aus seiner Beschreibung in der Pressemitteilung vom 6. September 2012 ergibt, in die Währungspolitik einfügt, die der Vertrag der EZB überträgt, und keine wirtschaftspolitische Maßnahme darstellt, vorausgesetzt, dass sich die EZB während der gesamten Durchführung eines etwaigen OMT‑Programms jedes unmittelbaren Eingriffs in die Finanzhilfeprogramme enthält, an die das OMT‑Programm geknüpft ist.

ii)    Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des OMT‑Programms (Art. 5 Abs. 4 EUV)

159. Dieser Schluss, wonach sich das OMT‑Programm in seiner bekannten Form in die Währungspolitik der EZB einfügt, sagt noch nichts über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Insoweit haben mehrere Beteiligte im vorliegenden Verfahren das Programm unter Heranziehung der Kategorien der Verhältnismäßigkeitsprüfung verteidigt.

160. Die Ausübung einer Zuständigkeit, die als unkonventionell einzustufen ist, muss mindestens zwei Bedingungen erfüllen. Erstens muss hierfür insbesondere verlangt werden, dass diese Zuständigkeitsausübung keine anderen Bestimmungen des Primärrechts verletzt. Dies wird im Rahmen der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage zu behandeln sein, die sich auf das Verbot der monetären Finanzierung der Mitgliedstaaten bezieht.

161. Zweitens ist im Fall einer Maßnahme, die als eine unkonventionelle einzustufen ist und mit außergewöhnlichen Umständen gerechtfertigt wird, zwingend zu kontrollieren, ob das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung unter dem Blickwinkel des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 5 Abs. 4 EUV) eingehalten wurde. Wenn die Union ihre aus dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung abgeleiteten Zuständigkeiten stets unter Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 4 EUV) ausüben muss, so erweist sich diese Einhaltung als besonders dringlich, wenn es sich um die Ausübung von Zuständigkeiten handelt, die aufgrund von außergewöhnlichen Umständen ausgeübt werden.

162. Dennoch ist festzustellen, dass die vorliegende Rechtssache hinsichtlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung der angegriffenen Maßnahme eine besondere Schwierigkeit aufweist. Wie bereits erläutert, ist das OMT‑Programm eine unvollendete Maßnahme, und zwar nicht nur deshalb, weil sein förmlicher Erlass auf einen unbestimmten späteren Zeitpunkt verschoben worden ist, sondern auch deshalb, weil es darüber hinaus noch nicht konkret im Einzelfall durchgeführt worden ist. Zwar sind die grundlegenden Merkmale des Programms bekannt, aber es liegt auf der Hand, dass diese bei Weitem nicht den Vollständigkeitsgrad aufweisen, den ihre Festlegung in einem Rechtsakt mit sich brächte. Und erst in Anbetracht einer solchen etwaigen Regelung wird eine umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit möglich sein.

163. Folglich muss sich die vom Gerichtshof insoweit vorzunehmende Prüfung in erster Linie auf die Maßnahme, so wie sie im September 2012 angekündigt worden ist, konzentrieren, auch wenn dabei zuweilen nach Maßgabe der von der EZB bekannt gegebenen technischen Merkmale des OMT‑Programms bestimmte Hinweise für den Fall zu geben sein werden, dass es zu einer tatsächlichen Anwendung des Programms kommt.

164. Dies im Voraus bemerkt, sei zunächst ein meines Erachtens grundlegender und der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgeschalteter Gesichtspunkt behandelt: die unerlässliche Begründung für das OMT‑Programm. Anschließend werde ich dann dessen technische Merkmale im Licht der drei Bestandteile des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes prüfen, d. h. Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

–       Die Prämisse der Verhältnismäßigkeit: die Begründung des Vorliegens der das OMT‑Programm rechtfertigenden Umstände

165. Alle Organe der Union haben die Pflicht, ihre Rechtsakte mit einer Begründung zu versehen (Art. 296 Abs. 2 AEUV). Diese Pflicht beruht auf Gründen der Transparenz, aber auch der gerichtlichen Kontrolle: Erst durch die Erläuterung der Gründe, aus denen eine hoheitliche Entscheidung erlassen wurde, wird eine wirksame gerichtliche Kontrolle ermöglicht. Der Gerichtshof hat bei zahlreichen Gelegenheiten auf diese Doppelfunktion der Begründungspflicht Bezug genommen(77), die auch für eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gilt.

166. So wird die EZB, wenn sie ein Programm wie das OMT‑Programm im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Anwendung bringt, alle Gesichtspunkte darzulegen haben, die vorliegen müssen, um eine Intervention der Bank auf dem Sekundärmarkt für Staatsanleihen zu rechtfertigen. Es ist, anders ausgedrückt, unverzichtbar, dass sie zunächst die ausnahmsweise gegebenen und außergewöhnlichen Umstände darlegt, die sie dazu veranlassen, eine unkonventionelle Maßnahme wie die hier fragliche zu erlassen.

167. In diesem Sinne wird sie erstens genaue Angaben zu machen haben, die eine erhebliche Veränderung der Marktbedingungen bestätigen, durch die eine exogene Störung der geldpolitischen Transmissionskanäle verursacht worden ist. Die EZB muss ebenfalls aufzeigen, in welchem Maß ihre Transmissionskanäle blockiert worden sind, wobei sich dies nicht in bloßen Behauptungen deklaratorischer Art erschöpfen darf. Die EZB hat vielmehr Tatsachen darzulegen, die diese Blockierung bestätigen. Schließlich müssen diese Gründe öffentlich kundgetan werden, wobei die Vertraulichkeit der zwingend erforderlichen Aspekte sicherzustellen ist, deren Bekanntgabe die Wirksamkeit des Programms beeinträchtigen könnte. Es ist aber von der allgemeinen Regel auszugehen, dass die Begründung unter vollständiger Transparenz zu erfolgen hat.

168. Als unverzichtbare Grundlage für eine spätere gerichtliche Kontrolle müssen diese Kriterien von der EZB genau eingehalten werden.

169. Legt man diese Erwägungen zugrunde, so ist offensichtlich, dass in der Pressemitteilung vom 6. September 2012, die im Wesentlichen die Merkmale des OMT‑Programms beschreiben sollte, so gut wie kein Hinweis auf die genauen Umstände enthalten ist, die den Erlass eines Programms wie des OMT‑Programms rechtfertigten. Erst die einleitenden Worte des EZB-Präsidenten, Herrn Draghi, auf seiner Pressekonferenz am selben Tag haben Aufschluss darüber gegeben, um welche Art von Notsituation es sich handelt, die den Erlass des Programms rechtfertigen könnte(78). Das hat zur Folge, dass wir unter dem Gesichtspunkt der Begründung der Maßnahme so, wie sie angekündigt wurde, von den seinerzeit gemachten Angaben auszugehen haben. Im Übrigen hat die EZB, und zwar dann schon im Rahmen dieses Verfahrens, umfassende ergänzende Informationen über die von ihr geltend gemachte Notsituation beigebracht, wie sie in den Nrn. 115, 116, 117, 134, 135 und 136 dieser Schlussanträge wiedergegeben sind.

170. Letztlich werde ich für die Zwecke der Verhältnismäßigkeitsprüfung des OMT‑Programms diese im vorliegenden Verfahren erteilten Informationen zugrunde legen, jedoch unter eindringlicher Erinnerung daran, dass für den Fall einer Durchführung des Programms sowohl der Rechtsakt, der ihm dann seine Form geben wird, als auch dessen Durchführung den Anforderungen an eine Begründung genügen müssen, wie sie in den Nrn. 166 und 167 dieser Schlussanträge beschrieben worden sind.

–       Die Prüfung der Geeignetheit

171. Wenn ich jetzt zu einzelnen Bestandteilen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes komme, so ist als Erstes zu prüfen, ob eine unkonventionelle Maßnahme wie das OMT‑Programm objektiv geeignet ist, die angegebenen währungspolitischen Ziele zu erreichen. Es geht somit um die Prüfung der Stimmigkeit der Maßnahme, wenn man den Kausalzusammenhang zwischen Mitteln und Zielen betrachtet(79).

172. Keiner der Beteiligten im vorliegenden Verfahren hat bestritten, dass die Ankündigung des OMT‑Programms eine erhebliche Senkung der Zinssätze für die Staatsanleihen verschiedener Mitgliedstaaten zur Folge hatte. Schon diese Folge, so ist vorgebracht worden, bestätige die Eignung des OMT‑Programms, denn wenn bereits die bloße Ankündigung seiner Existenz eine nahezu unmittelbare Wirkung auf den Märkten erzeuge, so sei zu erwarten, dass seine Durchführung auf einen oder mehrere Mitgliedstaaten eine zumindest ähnliche Wirkung zeitigen werde. Es ist offensichtlich, dass diese Behauptung den verschiedensten Vorbedingungen unterliegt, die sich im Augenblick nicht vorhersagen lassen; als Ausgangspunkt liefern die Auswirkungen der Ankündigung des OMT‑Programms aber einen Anhaltspunkt für die Wirksamkeit der Maßnahme.

173. Offensichtlich können die Auswirkungen der Ankündigung des OMT‑Programms jedoch nicht als einziges Bezugskriterium für die Prüfung dienen, ob die Maßnahme geeignet ist, denn sie sind nicht mehr als bloße Indizien, freilich von gewissem Gewicht. Daher ist in genauerer Weise, aber unter Anerkennung eines weiten Ermessens der EZB, zu untersuchen, ob die verschiedenen Komponenten des OMT‑Programms objektiv geeignet sind, die geltend gemachten Ziele zu erreichen.

174. Das unmittelbare Ziel des OMT‑Programms ist die Senkung der Zinssätze für die Staatsanleihen bestimmter Mitgliedstaaten. Das hierfür verwendete Mittel ist der Ankauf von Staatsanleihen bestimmter Staaten der Euro-Zone zu den auf der Pressekonferenz vom 6. September 2012 mitgeteilten Bedingungen. Es handelt sich um einen Ankauf, der von dem vorherigen Bestehen eines – vollständigen oder vorsorglichen – Finanzhilfeprogramms abhängig ist. Zudem beschränkt sich die EZB dabei auf den Ankauf von Anleihen am kürzeren Ende der Zinsstrukturkurve, insbesondere solcher mit einer Laufzeit von einem Jahr bis zu drei Jahren.

175. Betrachtet man es objektiv, so ist ein Programm wie das OMT‑Programm, das auf den Ankauf von Staatsschulden ausgerichtet ist, geeignet, eine Senkung der Zinssätze für die Staatsanleihen der betroffenen Staaten zu erreichen. Keiner der Beteiligten im vorliegenden Verfahren hat diese Feststellung bestritten. Diese Senkung führt zur Wiederherstellung einer gewissen finanziellen Normalität für die betroffenen Mitgliedstaaten, was zur Folge hat, dass die EZB sodann ihre Währungspolitik unter den Voraussetzungen größerer Sicherheit und Stabilität umsetzen kann. Diese Feststellung bedeutet nicht, dass eine solche Normalität nicht Risiken mit sich brächte, wie wir im Folgenden noch sehen werden. Jedoch ist bei der Beurteilung der Eignung die logische Stimmigkeit von Mittel und Ziel zu untersuchen, die ich im vorliegenden Fall für gegeben halte.

176. Daher bin ich der Ansicht, dass das OMT‑Programm, so wie es am 6. September 2012 angekündigt worden ist, eine Maßnahme ist, die zur Erreichung der von der EZB verfolgten Ziele geeignet ist.

–       Die Prüfung der Erforderlichkeit

177. Auch wenn die Geeignetheit der hier zu beurteilenden Maßnahme zu bejahen ist, könnte das angewandte Mittel gleichwohl nicht erforderlich sein, wenn es mit den Alternativen verglichen wird, die dem Organ zur Verfügung gestanden hätten(80). Unter diesem Aspekt ist zu prüfen, ob die EZB eine Maßnahme erlassen hat, die zur Erreichung der mit dem OMT‑Programm angestrebten Ziele zwingend erforderlich ist.

178. Zunächst wird durch die Beschränkung des OMT‑Programms auf solche Fälle, in denen ein Mitgliedstaat ein Finanzhilfeprogramm in Anspruch genommen hat, gewährleistet, dass es sich um eine begrenzte und auf spezielle Einzelfälle zugeschnittene Maßnahme handelt. Das OMT‑Programm ist kein Mittel, um allgemein und unter jeglichen Umständen auf dem Sekundärmarkt für Staatsanleihen zu intervenieren. Sogar dann, wenn die geldpolitischen Transmissionskanäle gestört sind, kann das OMT‑Programm nur dann aktiviert werden, wenn ein Mitgliedstaat einem makroökonomischen Anpassungsprogramm oder einem vorsorglichen Programm der EFSF/des ESM unterliegt. Dieser Umstand schränkt die Zahl der Szenarien, in denen die EZB auf dem Sekundärmarkt für Staatsanleihen tätig werden kann, bereits beträchtlich ein, was damit übereinstimmt, dass wir es mit einer unkonventionellen geldpolitischen Maßnahme zu tun haben, die als solche Ausnahmecharakter trägt und auf spezielle Einzelfälle zugeschnitten ist. Dass die EZB die Aktivierung des OMT‑Programms von der vorherigen Genehmigung eines Finanzhilfeprogramms abhängig macht, bestätigt den Ausnahmecharakter der Maßnahme, stellt sie aber ihrerseits – meiner Ansicht nach zu Recht – unter die Bedingung des Ausnahmefalls.

179. Aus den Akten ergibt sich weiter, dass die Durchführung des OMT‑Programms schon seinem Wesen nach einen zeitlich begrenzten Charakter hat. Wie die Französische Republik zutreffend ausgeführt hat, kann ein Programm wie das OMT‑Programm nur ein konjunkturelles sein(81). Sowohl aus der Pressemitteilung als auch aus den Erklärungen der EZB ergibt sich, dass das Programm gegebenenfalls während des erforderlichen Zeitraums angewandt würde, bis die Zinssätze des betroffenen Staates oder der betroffenen Staaten die als marktüblich angesehenen Niveaus erreichen(82). Die Aufgabe des OMT‑Programms besteht nicht einfach darin, die Finanzierungskonditionen eines Staates zu verbilligen, sondern, sie auf eine Höhe zurückzuführen, die mit der makroökonomischen Wirklichkeit dieses Staates in Einklang steht. Ist dieses Ziel einmal erreicht und sind die Transmissionskanäle entstört, so findet das OMT‑Programm, im Einklang mit der strikten Erforderlichkeit der Maßnahme, damit ein Ende.

180. In einem derart sensiblen Fall wie dem vorliegenden ist jede Änderung der Umstände (und damit ihres Ausnahmecharakters) von Bedeutung für die Prüfung der Erforderlichkeit. In diesem Sinne meine ich, dass das Verhalten der EZB im September 2012, als sie sich auf die Ankündigung der technischen Merkmale des Programms beschränkte, einer Beurteilung der Entwicklung der Situation auf den Finanzmärkten entsprang, die den Anforderungen der Erforderlichkeitsprüfung entspricht.

181. Abschließend ist auf die vom BVerfG angesprochene Möglichkeit einzugehen, dem OMT‑Programm im Wege der vertragskonformen Auslegung andere technische Merkmale zu verleihen als die in der Pressemitteilung vom 6. September 2012 beschriebenen, die die Zweifel des BVerfG an der Gültigkeit der Maßnahme erweckt haben. Diese Möglichkeit ist an dieser Stelle im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung zu beurteilen, denn gäbe es weniger einschneidende Alternativmaßnahmen, wie dies das vorlegende Gericht in Rn. 100 seiner Vorlageentscheidung zum Ausdruck bringt, so bedeutete dies, dass das OMT‑Programm dieser Prüfung nicht standhielte.

182. Ich meine jedoch, dass die vom vorlegenden Gericht angedeuteten Alternativen das Risiko mit sich brächten, die Wirksamkeit des OMT‑Programms ernstlich in Frage zu stellen. Wie die EZB und die Kommission ausgeführt haben, ist anzuerkennen, dass eine Ex-ante-Beschränkung des Volumens der Ankäufe von Staatsanleihen die Wirksamkeit, die mit der Intervention auf dem Sekundarmärkt angestrebt wird, unterminieren würde und Spekulationsgeschäfte auslösen könnte.

183. Ebenso erscheint es zutreffend, dass die Anerkennung einer bevorrechtigten Gläubigerstellung die Stellung der übrigen Gläubiger der EZB und damit indirekt die Wirkung der Maßnahme auf den Wert der Anleihen auf dem Sekundärmarkt in Frage stellen würde. Wie die Kommission hervorgehoben hat, würde dadurch, dass dem Ankauf von Staatsanleihen des betroffenen Staates für Investoren Attraktivität verliehen würde – und nicht das Gegenteil –, zugleich die Nachfrage nach diesen Anleihen erhöht, woraufhin der Zinssatz sinken würde. Die Anerkennung der nicht bevorrechtigten Gläubigerstellung der EZB trägt so dazu bei, eine effizientere Normalisierung der Marktpreise der Staatsanleihen zu gewährleisten, was seinerseits dazu beiträgt, mittel- und langfristig ihre Solvenz zu garantieren und folglich die damit verbundenen Risiken zu vermindern.

184. Daher bin ich der Ansicht, dass die von der EZB vorgesehenen Schutzvorkehrungen für den Schluss genügen, dass das OMT‑Programm, so wie es in der genannten Pressemitteilung beschrieben ist, der Erforderlichkeitsprüfung standhält, sofern sich diese Feststellung an dem Rechtsakt bestätigen wird, mit dem das Programm gegebenenfalls in Kraft gesetzt wird.

–       Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne

185. Zuletzt ist zu untersuchen, ob alle Bestandteile der fraglichen Maßnahme ordnungsgemäß gegeneinander abgewogen worden sind, so dass sie sich nicht als unverhältnismäßig im engeren Sinne erweist.

186. Als Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordert diese dritte Stufe eine Abwägung, ob unter den Umständen des vorliegenden Falles die „Vorteile“ der in Rede stehenden Maßnahme die „Kosten“ überwiegen(83). Es handelt sich offenkundig um eine Beurteilung der Gesamtheit der Vorteile und Kosten, die sich folgendermaßen angeben lassen: Auf der einen Seite erlaubt das OMT‑Programm der EZB das Tätigwerden in einer Ausnahmesituation, um ihre geldpolitischen Instrumente wiederherzustellen und auf diese Weise die Wirksamkeit ihres Mandats zu gewährleisten. Auf der anderen Seite handelt es sich um eine Maßnahme, die die EZB einem finanziellen Risiko aussetzt, das zu dem „moralischen Risiko“ hinzutritt, welches durch die Veränderung des Wertes der Staatsanleihen des betroffenen Staates entsteht, die nicht der wirtschaftlichen Realität entspricht.

187. Ich erlaube mir, erneut daran zu erinnern, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung, die in diesem Fall vorzunehmen ist, der EZB ein weites Ermessen einzuräumen hat. Das bedeutet – insbesondere bei der dritten Stufe der Verhältnismäßigkeitskontrolle –, dass bei der Abwägung, die die EZB in einem Fall wie dem des OMT‑Programms vorzunehmen hat, ein weites Ermessen zu tolerieren ist, solange kein Ungleichgewicht entsteht, dessen Unverhältnismäßigkeit evident ist.

188. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne im Fall eines Programms wie dem der geldpolitischen Outright-Geschäfte abschließend erst angesichts einer etwaigen Aktivierung des Programms und insbesondere seiner Größenordnung zu beurteilen sein wird. In meinen folgenden Ausführungen stütze ich mich auf die Merkmale des Programms, so wie sie in der Pressemitteilung angegeben sind.

189. Die Beschwerdeführer und die Antragstellerin der Ausgangsverfahren sowie das BVerfG haben darauf hingewiesen, dass die Durchführung des OMT‑Programms die EZB und letztlich die Steuerzahler der Mitgliedstaaten einem übermäßigen Risiko aussetze, das sogar bis zur Zahlungsunfähigkeit des Organs reichen könne. Das ist evidentermaßen ein hoher und gewichtiger Kostenfaktor, der geeignet ist, die Vorteile, die das OMT‑Programm mit sich bringt, zunichte zu machen.

190. Wie der Vertreter von Herrn Gauweiler eingehend dargelegt hat, bringt die Anwendung des OMT‑Programms mit sich, dass die EZB Wertpapiere mit zweifelhafter Bonität in sehr großen Mengen in ihre Bilanz aufnehme, die bei Zahlungsausfall zu einer Insolvenz der EZB führen könnten. Dass das OMT‑Programm keinerlei Beschränkung des Volumens der Anleihekäufe vorsehe, lasse darum diesen hypothetischen Fall zu einem realen Szenario werden, dessen Eintritt die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme bestätige.

191. Insoweit hat die EZB in ihren schriftlichen wie mündlichen Ausführungen darauf verwiesen, dass ihre Interventionen auf dem Sekundärmarkt für Staatsanleihen quantitativen Beschränkungen unterlägen, jedoch weder im Vorhinein festgelegt noch rechtlich vorgegeben seien. Das OMT‑Programm könne nicht als ein Ankaufprogramm mit bestimmten Grenzen angekündigt werden, denn sonst leistete es spekulativen Attacken Vorschub, die seine Zielsetzung vereiteln würden. Ebenso verlöre die Maßnahme auch dann ihr Potenzial, wenn die EZB das genaue Ankaufvolumen ankündigte. Daher bestehe die von der EZB gewählte Lösung in der Ankündigung, dass es keine quantitativen Ex-ante-Beschränkungen des Volumens gebe, wobei unbeschadet bleibe, dass das Organ intern seine eigenen quantitativen Beschränkungen kalkuliere, deren Höhe aus strategischen Gründen, die im Wesentlichen die Wirksamkeit des OMT‑Programms sicherstellen sollten, nicht offengelegt werden könne.

192. Unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne stellt meiner Ansicht nach die Inexistenz einer quantitativen Ex-ante-Beschränkung keinen Gesichtspunkt dar, der per se ausreicht, um die Maßnahme als unverhältnismäßig zu bewerten.

193. Tatsächlich birgt jedes Geschäft auf einem Finanzmarkt ein Risiko, das alle Marktteilnehmer tragen. Die Renditen, die Finanzmärkte für Investoren bieten, stehen im Verhältnis zu den eingegangenen Risiken, die ihrerseits im Allgemeinen von der Größenordnung des wahrscheinlichen Erfolgs oder Scheiterns der Investition abhängen. Der Staatsschuldenmarkt unterliegt wie jeder andere Markt ebendieser Logik. Alle Investoren, die auf diesem Markt tätig sind, sind sich der Tatsache bewusst, dass der Erfolg ihrer Investition von zufälligen und unvorhersehbaren Faktoren abhängt.

194. Bekanntlich intervenieren Zentralbanken auf dem Staatsanleihemarkt, da Ankäufe und Vereinbarungen über den Rückkauf von Staatsanleihen, als Mittel zur Kontrolle der monetären Basis, zu ihren geldpolitischen Instrumenten zählen. Mit ihren Interventionen auf diesem Markt gehen die Zentralbanken immer ein bestimmtes Risiko ein, ein Risiko, dass auch eingegangen wurde, als die Mitgliedstaaten beschlossen, die EZB zu errichten.

195. Unter dieser Prämisse wären die Einwände, wonach das von der EZB eingegangene Risiko übermäßig groß sei, begründet, wenn das Organ ein Ankaufvolumen übernähme, dass es unvermeidlich in ein Szenario der Insolvenz führen würde. Ein solches Szenario scheint jedoch aus Gründen, die ich im Folgenden ausführen werde, mit dem OMT‑Programm nicht verbunden zu sein.

196. So, wie das OMT‑Programm konzipiert ist, ist die EZB sicherlich einem Risiko ausgesetzt, allerdings nicht notwendigerweise einem Insolvenzrisiko. Das Risiko besteht, da Anleihen von Staaten in finanziellen Schwierigkeiten angekauft werden, deren Fähigkeit zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten beeinträchtigt ist. Es ist offenkundig, dass die EZB mit dem Erwerb der Anleihen eines in solcher Lage befindlichen Staates ein Risiko eingeht, doch handelt es sich dabei meiner Ansicht nach nicht um Risiken, die qualitativ andere wären als die, die die EZB zu anderen Gelegenheiten in ihrer gewöhnlichen Tätigkeit eingehen könnte.

197. Es ist weithin anerkannt, dass die Tatsache, dass ein Staat Liquiditätsschwierigkeiten hat, nicht notwendigerweise bedeutet, dass er am Rande eines Zahlungsausfalls seiner Schulden steht. Ein Staat kann zeitweise Liquiditätsschwierigkeiten haben und trotzdem zugleich ein solventer Staat sein. Die sukzessiven Krisen, die in den 1980er und 1990er Jahren zu erleben waren, bestätigen diese Realität(84). Dass das OMT‑Programm auf einen Staat oder Staaten ausgerichtet ist, die einem Finanzhilfeprogramm unterliegen, bedeutet darum nicht automatisch, dass es zu einem vollständigen oder teilweisen Zahlungsausfall der Schulden dieser Staaten kommen wird. Die Tatsache, dass dieser Staat oder diese Staaten einer Konditionalität unterliegen, mit der ihre makroökonomischen Grundlagen verbessert werden sollen, ist eher eine Bestätigung dafür, dass ein Finanzhilfeprogramm dem betroffenen Staat hinreichende Hilfe bietet, um seine Verbindlichkeiten in der Zukunft zu erfüllen, insbesondere weil es sich um Staaten handelt, die im Rahmen einer auf Kooperation und Loyalität zwischen ihren Mitgliedern beruhenden Union in einen Binnenmarkt integriert sind.

198. Außerdem wird das mittelbare Ziel des OMT‑Programms, die Freisetzung der geldpolitischen Transmissionsmechanismen, durch eine Senkung der Zinssätze für Staatsanleihen bis auf ein Niveau erreicht, das als der Marktsituation und der makroökonomischen Lage des betroffenen Staates angemessen angesehen wird. Die EZB hat bei zahlreichen Anlässen erklärt, Ziel des OMT‑Programms sei es nicht, die Zinsen für Staatsanleihen so weit abzusenken, bis sie genauso hoch wie im Fall der anderen Mitgliedstaaten seien, sondern sie auf ein Niveau zu senken, das als mit dem Markt und der makroökonomischen Lage übereinstimmend betrachtet werden könne und wiederum der Bank den wirksamen Einsatz ihrer geldpolitischen Instrumente ermögliche. Infolgedessen ist davon auszugehen, dass der betroffene Staat gerade wegen der Aktivierung des OMT‑Programms Staatsanleihen unter Bedingungen ausgeben kann, die für seine Finanzen besser verkraftbar sind, und damit seine Möglichkeiten wachsen, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Die Intervention der EZB sollte, in anderen Worten, objektiv dazu beitragen, dass der Staat seine finanziellen Verbindlichkeiten in Zukunft erfüllen kann, und damit das Risiko vermindern, das die EZB mit der Aktivierung des OMT‑Programms eingeht.

199. Dass das Ausmaß des Risikos begrenzt ist, findet schließlich darin eine Bestätigung, dass es für die Ankaufvolumen quantitative Grenzen gibt. Wie die EZB selbst anerkannt hat, bestehen diese Grenzen; sie werden aus strategischen Gründen nicht publik gemacht, dienen aber dazu, das Risikoausmaß zu vermindern. Die EZB hat ebenfalls erklärt, dass sie die Durchführung eines OMT‑Programms abbrechen würde, falls ein exzessiver Anstieg des Volumens der Staatsanleihen zu beobachten wäre, die der von dem Programm betroffene Mitgliedstaat ausgibt. Sollte also ein Staat die Gelegenheit, die sich ihm mit den Anleihekäufen der EZB auf dem Sekundärmarkt bietet, dazu ausnutzen wollen, sich übermäßig zu verschulden, wenngleich zu günstigeren Bedingungen als vor dieser Intervention durch die EZB, so würde sie dieses Risiko nicht tragen. All dies dürfte bestätigen, dass das OMT‑Programm, bevor das Szenario einer Insolvenz der EZB entstünde, ausgesetzt würde. In anderen Worten gesagt, die EZB würde keine Risiken eingehen, die sie der Gefahr einer Insolvenz aussetzen würden.

200. Natürlich ist dies eine Beurteilung, die sich auf den möglichen Fall einer Durchführung des OMT‑Programms bezieht. Soll die Verhältnismäßigkeit des OMT‑Programms im engeren Sinne bejaht werden, so halte ich es aber für unerlässlich, dass die von der EZB dargelegte Risikobeschränkung auch tatsächlich umgesetzt wird, wenn der Zeitpunkt der Anwendung dieses Programms kommt.

201. Dies hinzugefügt, und in Anbetracht der vorstehend dargelegten Argumente, bin ich der Ansicht, dass die EZB mit der Ankündigung des OMT‑Programms die Nutzen und Kosten in verhältnismäßiger Weise gegeneinander abgewogen hat.

–       Zwischenergebnis

202. Zusammenfassend ist im Licht der Darlegungen in den vorstehenden Nummern dieser Schlussanträge festzustellen, dass das von der EZB beschlossene OMT‑Programm, so wie es sich aus den in der Pressemitteilung beschriebenen technischen Merkmalen ergibt, nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Demnach kann das OMT‑Programm für zulässig erachtet werden, vorausgesetzt, dass im Fall seiner Durchführung die Erfordernisse der Begründung und der Verhältnismäßigkeit streng eingehalten werden.

c)      Antwort auf die erste Vorlagefrage

203. Im Ergebnis bin ich, was die Antwort auf die erste Vorlagefrage des BVerfG betrifft, der Auffassung, dass das OMT‑Programm mit Art. 119 AEUV und Art. 127 Abs. 1 und 2 AEUV vereinbar ist, vorausgesetzt, dass die EZB, wenn das Programm zur Anwendung gelangen sollte,

–        sich jedes unmittelbaren Eingreifens in die Finanzhilfeprogramme enthält, an die das OMT‑Programm anknüpft;

–        der Begründungspflicht sowie den Erfordernissen, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben, in strikter Weise nachkommt.

B –    Die zweite Vorlagefrage: die Vereinbarkeit des OMT‑Programms mit Art. 123 Abs. 1 AEUV (Verbot der monetären Finanzierung der Staaten der Euro-Zone)

204. Mit seiner zweiten Frage möchte das BVerfG wissen, ob das OMT‑Programm dadurch, dass es zu einem Ankauf von Staatsanleihen der Mitgliedstaaten der Euro-Zone durch die EZB auf dem Sekundärmarkt ermächtigt, gegen das in Art. 123 Abs. 1 AEUV vorgesehene Verbot verstößt, wonach der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von den Mitgliedstaaten durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken verboten ist.

205. Nach Auffassung des BVerfG erfüllt das OMT‑Programm zwar formal die in Art. 123 Abs. 1 AEUV ausdrücklich festgelegte Regel, die sich allein auf den Erwerb von Staatsanleihen auf dem Primärmarkt beziehe, jedoch könne dieses Verbot mit dem OMT‑Programm umgangen werden, wenn sich die Interventionen der EZB auf dem Sekundärmarkt, ebenso wie Ankäufe auf dem Primärmarkt, als eine finanzielle Hilfsmaßnahme mittels der Geldpolitik darstellten. Zur Stützung dieser Beurteilung verweist das BVerfG auf verschiedene technische Merkmale des OMT‑Programms: den Verzicht auf Forderungen, das Ausfallrisiko, das Halten von Staatsanleihen bis zur Endfälligkeit, den möglichen Zeitpunkt des Erwerbs und die Ermutigung zum Erwerb auf dem Primärmarkt. All dies seien klare Anzeichen für eine Umgehung des in Art. 123 Abs. 1 AEUV enthaltenen Verbots.

1.      Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

206. Die Beschwerdeführer und die Antragstellerin der Ausgangsverfahren sind, bei weitgehender Übereinstimmung ihrer Argumentation, der Auffassung, dass das OMT‑Programm gegen Art. 123 Abs. 1 AEUV verstößt. In diesem Sinne schließen sie sich den Bedenken des vorlegenden Gerichts gegen die einzelnen Aspekte des Programms an, die bestätigten, dass dieses Programm dem in Art. 123 Abs. 1 AEUV enthaltenen Verbot zuwiderlaufe.

207. Herr Huber hebt besonders hervor, dass mit den Ankäufen von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt das in Art. 123 Abs. 1 AEUV, namentlich in dessen letztem Halbsatz, verankerte Verbot umgangen werde. Herr Bandulet verweist auf das sehr hohe Risiko, das die EZB mit Ankäufen wie den im OMT‑Programm vorgesehenen eingehe, und wendet sich ferner gegen die damit verbundene Kollektivierung von Verlusten, die zu einem Ergebnis führe, das vertragswidrig sei und den Grundsatz verletze, wonach es keine finanzielle Mitverantwortung gebe.

208. Herr von Stein betont ebenfalls die Wirkung einer Umgehung des Verbots und weist außerdem auf die Folgen einer Maßnahme wie des OMT‑Programms für den Markt der Union hin. Seiner Meinung nach würde ein massiver Ankauf öffentlicher Anleihen den Wettbewerb im Binnenmarkt verfälschen und zugleich einen Verstoß gegen Art. 51 AEUV und das Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb darstellen.

209. Alle Mitgliedstaaten, die sich an diesem Verfahren beteiligt haben, sowie die Kommission und die EZB halten das OMT‑Programm für mit Art. 123 Abs. 1 AEUV vereinbar, da Ankäufe von Staatsschuldtiteln auf dem Sekundärmarkt in den Verträgen ausdrücklich vorgesehen seien. Sie betonen, dass Art. 123 Abs. 1 AEUV allein den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln eines Mitgliedstaats verbiete, während Art. 18.1 des Protokolls über das ESZB und die EZB Letztere und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten ausdrücklich zu dieser Art von Operationen ermächtige.

210. Gleichzeitig räumen die Französische Republik, die Italienische Republik, die Niederlande, die Republik Polen und die Portugiesische Republik sowie die Kommission und die EZB ein, dass der letzte Halbsatz von Art. 123 Abs. 1 AEUV auch ein Umgehungsverbot enthalte, d. h. das Verbot, Transaktionen vorzunehmen, die die gleiche Wirkung haben wie der unmittelbare Erwerb von Staatsschuldtiteln. Diese Auslegung werde durch die Verordnung Nr. 3603/93, konkret ihren siebten Erwägungsgrund, bestätigt.

211. Insoweit sind mehrere Mitgliedstaaten, so die Republik Polen, die Französische Republik und die Niederlande, sowie die Kommission der Ansicht, dass die EZB keine derartige Umgehung des in Art. 123 Abs. 1 AEUV aufgestellten Verbots begehe, wenn sichergestellt sei, dass für den vom betroffenen Staat ausgegebenen Schuldtitel ein den Marktbedingungen entsprechender Preis gezahlt werde. In diesem Fall liege, sofern die Maßnahme ein währungspolitisches Ziel verfolge, kein Verstoß gegen Art. 123 AEUV vor.

212. Die beteiligten Mitgliedstaaten, die Kommission und die EZB widersprechen damit der Ansicht, dass die einzelnen Merkmale des OMT‑Programms zu dessen Unvereinbarkeit mit Art. 123 Abs. 1 AEUV führten. Durch den Wortlaut der Pressemitteilung, mit dem diese technischen Merkmale beschrieben würden, sowie die von der EZB vorgelegten Entwürfe eines Beschlusses und einer Leitlinie für das OMT‑Programm, deren Genehmigung noch ausstehe, werde bestätigt, dass die EZB ganz besonders dafür Sorge getragen habe, einen gegen Art. 123 Abs. 1 AEUV verstoßenden Markteingriff zu vermeiden. Als Belege für die von der EZB getroffenen Schutzvorkehrungen verweisen diese Beteiligten im Einzelnen darauf, dass der Ankauf von Staatsanleihen währungspolitischen Erfordernissen unterliege, dass Zeitpunkt und Volumen des Erwerbs vorher nicht angekündigt würden, dass je nach Umfang der Emission durch den betroffenen Staat die Ankäufe ausgesetzt oder beschränkt werden könnten, dass die EZB einer Umstrukturierung gehaltener Staatsschulden nicht zustimme und dass zwischen dem Zeitpunkt der Begebung eines Schuldtitels und dem seines Ankaufs durch die EZB auf dem Sekundärmarkt eine „Stillhaltefrist“ eingehalten werde.

213. Schließlich ersucht die Bundesrepublik Deutschland den Gerichtshof um eine Auslegung von Art. 123 Abs. 1 AEUV, die mit der Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten in Einklang stehe. Sie erläutert hierfür den Kontext, in dem das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen steht, und gibt ihrer Auffassung Ausdruck, dass die Auslegung der fraglichen Vorschrift auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Mitgliedstaaten entsprechen müsse.

2.      Prüfung

214. Ähnlich wie bei meiner Antwort auf die vorangegangene Frage werde ich damit beginnen, das in Art. 123 Abs. 1 AEUV enthaltene Verbot in dem größeren Zusammenhang seiner Stellung im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion zu erläutern. Sodann werde ich mich der Frage der Vereinbarkeit des OMT‑Programms mit dieser Vorschrift zuwenden, dabei aber die einzelnen vom vorlegenden Gericht genannten technischen Merkmale gesondert behandeln.

a)      Das Verbot der monetären Finanzierung der Mitgliedstaaten (Art. 123 Abs. 1 AEUV) und der Erwerb von Staatsschuldtiteln durch die EZB

215. Die Wirtschafts- und Währungsunion, die die Union heute bildet, wird von einer Reihe von Grundsätzen im Hinblick auf ihre Ziele und ihre Grenzen geprägt, die sich insgesamt als ihr „Verfassungsrahmen“ darstellen. Gemäß ihrer Bedeutung schreiben die Verträge diese Grundsätze ausdrücklich fest und machen so aus ihnen zwingende und nicht zur Disposition der Organe und der Mitgliedstaaten stehende Regeln, die allein durch ein ordentliches Vertragsänderungsverfahren einer Änderung zugänglich sind. Während unter den Zielen der Auftrag zur Aufrechterhaltung der Preisstabilität und die Wahrung der Finanzstabilität hervorzuheben sind (Art. 127 Abs. 1 AEUV und Art. 282 AEUV), sind die prägnantesten Grenzen das Verbot der Schuldenübernahme zur Rettung von Mitgliedstaaten (Art. 125 AEUV) und das Verbot der monetären Finanzierung der Mitgliedstaaten (Art. 123 AEUV).

216. Es ist das zweite dieser Verbote, das uns hier beschäftigt, aber sein genaues Verständnis lässt sich offenkundig nur erschließen, wenn sein Ursprung, das System, in das es sich einfügt, und die ihm zugrunde liegenden Ziele berücksichtigt werden. Hiermit werde ich mich im Folgenden kurz befassen, mich dabei aber auf die Erwägungen stützen, zu deren Darlegung im Hinblick auf Art. 123 AEUV der Gerichtshof und seine Generalanwältin (EU:C:2012:675) bereits in der Rechtssache Pringle (EU:C:2012:756) Gelegenheit hatten.

217. Die Vorarbeiten, die in den Vertrag von Maastricht mündeten, in dem der jetzige Art. 123 AEUV erstmals auftaucht (damals Art. 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft), zeigen, dass eine der Hauptsorgen der für die institutionelle Konzeption der Wirtschafts- und Währungsunion verantwortlichen Verhandlungsführer der Aufrechterhaltung einer gesunden Haushaltsdisziplin galt, die das effiziente Funktionieren der einheitlichen Währung nicht gefährden würde(85). Der Eventualfall von Mitgliedstaaten mit maroden öffentlichen Finanzen wurde als ein Szenario betrachtet, das sowohl mit einem stabilen Wachstum in der Euro-Zone als auch mit dem begrenzten währungspolitischen Eingriffsinstrumentarium der EZB schwerlich zu vereinbaren wäre. Da die Staaten der Euro-Zone ihre währungspolitischen Kompetenzen auf ein gemeinsames Organ übertragen, gleichzeitig jedoch ihre Kompetenzen auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik behalten sollten, war es unerlässlich, die erforderlichen Mittel sicherzustellen, um eine strenge Finanzdisziplin der Staaten der Euro-Zone zu gewährleisten(86). Ergebnis dieses Anliegens sind die Vorschriften über die Haushaltsdisziplin in Art. 126 AEUV, wonach sich die Mitgliedstaaten bestimmten Zielen in Bezug auf das Haushaltsdefizit unterwerfen, wie auch die Verbote der Art. 125 AEUV und 123 AEUV, die die Finanzierung der Mitgliedstaaten zulasten anderer Staaten oder zulasten der EZB oder der Zentralbanken der Mitgliedstaaten untersagen.

218. Art. 123 AEUV ist somit Ausdruck einer Besorgnis, die unter den Gestaltern der institutionellen Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion sehr lebendig war und den Grund für die Entscheidung bildete, in das Primärrecht ein kategorisches Verbot jeder Form der Finanzierung von Staaten aufzunehmen, die die in den Verträgen niedergelegten Ziele der Haushaltsdisziplin gefährden würde. Eine dieser verbotenen Formen ist die sogenannte „monetäre Finanzierung“, die darin besteht, dass eine Zentralbank, also eine zur Notenausgabe befugte Einrichtung, Schuldtitel eines Staates erwirbt. Offenkundig kann diese Finanzierungsform die Fähigkeit des betreffenden Staates, seine finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen, mittel- und langfristig beeinträchtigen und dabei zugleich eine bedeutende Quelle für eine Preisinflation sein. Da eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik die Existenz von Staaten mit gesunden öffentlichen Finanzen und einer Politik voraussetzt, deren Priorität in der Aufrechterhaltung der Preisstabilität liegt, ist es naheliegend, dass unter den gegebenen Umständen der Mechanismus einer monetären Finanzierung diese Ziele gravierend beeinträchtigen würde.

219. Ich bin deshalb der Ansicht, dass das Verbot der monetären Finanzierung auf Unionsebene, wie der Gerichtshof bereits im Urteil Pringle im Hinblick auf Art. 125 AEUV hervorgehoben hat, „zur Verwirklichung eines übergeordneten Ziels [beiträgt], und zwar dem der Aufrechterhaltung der finanziellen Stabilität der Unionswährung“(87). Letztlich besitzt dieses Verbot den Rang einer fundamentalen Regel des „Verfassungsrahmens“ der Wirtschafts- und Währungsunion, deren Ausnahmen eng auszulegen sind.

220. Im gleichen Sinne bestätigt eine systematische Auslegung von Art. 123 AEUV nicht nur die Bedeutung des durch dieses Verbot gebildeten Grundsatzes, sondern auch seinen einschränkenden Charakter. Im Gegensatz zu Art. 125 AEUV, der es den Mitgliedstaaten untersagt, in die Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedstaats „einzutreten“ oder für sie zu „haften“, ist Art. 123 AEUV strenger gefasst. Dieser Gegensatz der beiden Vorschriften ist vom Gerichtshof im Urteil Pringle(88) herausgestellt worden, in dem die Vereinbarkeit von Maßnahmen der Kreditgewährung zwischen Mitgliedstaaten mit Art. 125 AEUV bejaht wurde, was Art. 123 AEUV hingegen ausdrücklich verbietet, indem er jegliche „Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten“ ausschließt.

221. Gleichwohl ergibt die systematische Auslegung von Art. 123 AEUV auch eine bedeutende Nuancierung der Reichweite des Verbots. Hierbei handelt es sich, wie im Folgenden auszuführen sein wird, um die besondere Behandlung von Geschäften, mit denen die EZB und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten Staatsschuldtitel der Mitgliedstaaten erwerben.

222. Die Begebung von Staatsschuldtiteln ist eine der Hauptfinanzierungsquellen, über die ein Staat verfügt. Wer Staatsanleihen von einem Staat erwirbt, finanziert ihn unmittelbar oder mittelbar, und zwar gegen eine Gegenleistung, die das Rechtsgeschäft zu einer Art Darlehen macht. Der Inhaber des Staatsschuldtitels hat einen Rückzahlungsanspruch gegen den begebenden Mitgliedstaat und wird so zu dessen Gläubiger. Der Staat begibt den Titel zu einem Zinssatz, der im Zeitpunkt der Begebung festgelegt worden ist und von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Daher spiegelt sich in dem Geschäft, das beide Teile, der begebende Staat und der Erwerber des Staatsschuldtitels, vornehmen, die gleiche Struktur wie in einer Darlehensgewährung wider. Das alles erklärt hinreichend, dass Art. 123 Abs. 1 AEUV einen letzten Halbsatz umfasst, mit dem auch „der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von [den Mitgliedstaaten] durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken“ verboten wird.

223. Ursprünglich ist dieser Halbsatz eine Ergänzung, die im Endstadium der Ausarbeitung des Vertrags von Maastricht hinzugefügt wurde(89), und man kann sie nur verstehen, wenn man Art. 18.1 der Satzung des ESZB und der EZB berücksichtigt. Wie bereits ausgeführt, ermächtigt diese Satzungsbestimmung die EZB und die nationalen Zentralbanken dazu, auf den Finanzmärkten tätig zu werden, indem sie Forderungen und börsengängige Wertpapiere endgültig oder im Rahmen von Rückkaufvereinbarungen kaufen und verkaufen oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen. Diese Art von Operationen sind grundlegend und dienen wesentlich dem Ziel, das ESZB zur Kontrolle der monetären Basis der Euro-Zone zu befähigen, wobei zu ihnen auch Ankäufe von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt gehören(90).

224. Deshalb ist, wie die EZB in Beantwortung von Fragen in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, der letzte Halbsatz von Art. 123 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 18.1 der Satzung des ESZB und der EZB auszulegen, denn allein hierdurch ist eine traditionelle währungspolitische Maßnahme, der Erwerb von Staatsschuldtiteln auf dem Sekundärmarkt, rechtlich erlaubt worden. Gäbe es den letzten Halbsatz von Art. 123 Abs. 1 AEUV nicht, müsste Art. 18.1 der Satzung des ESZB und der EZB dahin ausgelegt werden, dass Geschäfte mit Staatsschuldtiteln auf dem Sekundärmarkt ausgeschlossen wären, was dem Eurosystem ein wesentliches Instrument für die ordnungsgemäße Durchführung der Währungspolitik nehmen würde.

225. Aber dies vorausgeschickt, ist in Anbetracht der Bedeutung des Art. 123 AEUV offenkundig, dass es zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das in dieser Bestimmung niedergelegte Verbot nicht genügte, wenn sich die EZB bloß darauf beschränken würde, Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt zu kaufen. Ich meine vielmehr, dass bei der Auslegung von Art. 123 AEUV der Fokus so zu setzen ist, dass dem materiellen Gehalt der Bestimmung besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. Dieser Herangehensweise, die der Gerichtshof bei der Auslegung von Vertragsbestimmungen häufig gewählt hat, ist auch im Fall von Art. 123 AEUV zu folgen, wie dies im Übrigen von allen am vorliegenden Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten, der Kommission und der EZB selbst anerkannt worden ist.

226. Diese Sorge spiegelt sich auch im abgeleiteten Recht wider, nämlich in der vor der Gründung der EZB erlassenen Verordnung Nr. 3603/93, in der das Verbot der Umgehung des Normzwecks dieses Artikels ausdrücklich Erwähnung findet. So heißt es im siebten Erwägungsgrund dieser Verordnung, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, damit insbesondere „das mit diesem Artikel verfolgte Ziel nicht durch den Erwerb auf dem Sekundärmarkt umgangen wird“(91).

227. Zusammenfassend meine ich, dass Art. 123 Abs. 1 AEUV nicht nur Erwerbsgeschäfte unmittelbar auf dem Primärmarkt verbietet, sondern es der EZB und den nationalen Zentralbanken auch untersagt, Transaktionen auf dem Sekundärmarkt zu tätigen, deren Wirkung in einer Umgehung dieses Verbots bestünde. Um es noch anders auszudrücken, der Vertrag verbietet Geschäfte auf dem Sekundärmarkt nicht, aber wenn die EZB auf diesem Markt tätig wird, so verlangt er, dass sie dies mit hinreichenden Garantien tut, die sicherstellen, dass ihr Tätigwerden mit dem Verbot der monetären Finanzierung vereinbar ist.

228. Demnach ist zu prüfen, ob das Programm für geldpolitische Outright-Geschäfte, also für Interventionen der EZB auf dem sekundären Staatsanleihenmarkt, ungeachtet des Umstands, dass es den letzten Halbsatz von Art. 123 Abs. 1 AEUV dem Wortlaut nach wahrt, eine Maßnahme darstellen kann, mit der das in dieser Bestimmung niedergelegte Verbot umgangen werden soll.

b)      Das OMT‑Programm und seine Vereinbarkeit mit dem Verbot des Art. 123 Abs. 1 AEUV

229. Bevor ich in die Prüfung des OMT‑Programms unter dem speziellen Blickwinkel des Verbots der monetären Haushaltsfinanzierung gemäß Art. 123 Abs. 1 AEUV eintrete, sei hervorgehoben, dass diese Antwort bereits von der Prämisse ausgeht, dass eine etwaige Implementierung des OMT‑Programms, wie im Rahmen der vorgeschlagenen Antwort auf die erste Frage dargelegt, unter strenger Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen würde. Verschiedene meiner folgenden Überlegungen sind dahin zu verstehen, dass sie auf dieser Grundlage aufbauen.

230. Wie bereits dargelegt, ist das BVerfG ebenso wie die Beschwerdeführer und die Antragstellerin der Ausgangsverfahren der Auffassung, dass das OMT‑Programm gegen Art. 123 Abs. 1 AEUV verstößt, da es das in dieser Bestimmung aufgestellte Verbot umgehe. Insoweit verweist das vorlegende Gericht auf eine Reihe technischer Merkmale, die seiner Ansicht nach diesen Schluss bestätigen. Die am vorliegenden Verfahren beteiligten Staaten, die Kommission und die EZB sind dieser Rechtsauffassung des BVerfG entgegengetreten, wofür sie sich auf eben dieselben technischen Merkmale beziehen.

231. Wie im Folgenden zu erörtern sein wird, ergeben sich die Bedenken des BVerfG aus einer bestimmten Auslegung der Pressemitteilung vom 6. September 2012. Die EZB hat dieser Auslegung widersprochen und zur Untermauerung ihrer Auffassung verschiedene Nachweise vorgebracht. Ihrer Ansicht nach haben die technischen Merkmale gerade den Sinn, als ein Bündel von Schutzvorkehrungen einer Umgehung von Art. 123 AEUV entgegenzuwirken.

232. Dementsprechend werde ich im Folgenden die vom vorlegenden Gericht angeführten Merkmale einzeln prüfen.

i)      Forderungsverzicht und Pari-passu-Behandlung

233. Der völlige oder teilweise Verzicht auf Erfüllung von Zahlungsansprüchen aus Anleihen eines dem OMT‑Programm unterliegenden Staates ist das erste technische Merkmal, das nach Ansicht des BVerfG einen Verstoß des OMT‑Programms gegen Art. 123 Abs. 1 AEUV begründen könnte. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts und verschiedener Beschwerdeführer der Ausgangsverfahren macht der Umstand, dass die EZB und die Zentralbanken keine bevorrechtigte Gläubigerstellung beanspruchen (pari passu) und sich darauf verwiesen sehen könnten, im Rahmen einer Vereinbarung über eine Schuldenumstrukturierung einen vollständigen oder teilweisen Forderungsausfall hinzunehmen(92), aus dem OMT‑Programm ein indirektes Mittel zur Finanzierung des Schuldnerstaats.

234. Dieses Argument erscheint mir nicht überzeugend. Erstens darf nicht vergessen werden, dass sich das Risiko eines vollständigen oder teilweisen Forderungsverzichts nur auf ein in der Zukunft liegendes und hypothetisches Szenario einer Umstrukturierung der Schulden des Schuldnerstaats bezieht und damit, um es so zu formulieren, nicht einen wesenseigenen Bestandteil des OMT‑Programms bildet. Wie ich bereits in den Nrn. 193 und 194 dieser Schlussanträge ausgeführt habe, wohnt die Übernahme von Risiken der Tätigkeit einer Zentralbank als solcher inne, so dass der Eintritt eines bestimmten Ereignisses, wie das vom vorlegenden Gericht benannte, nicht allein dadurch, dass er möglich ist, zu einer zwingenden Folge der Durchführung des Programms werden kann.

235. Zum anderen hat die EZB in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt, dass sie sich im Rahmen einer den CAC unterliegenden Umstrukturierung immer gegen einen vollständigen oder teilweisen Forderungsverzicht aussprechen werde. Das bedeutet, dass die EZB nicht aktiv dazu beitragen wird, dass es zu einer Umstrukturierungsmaßnahme kommt, sondern dass sie die vollständige Erfüllung des Darlehensanspruchs aus dem Schuldtitel anstreben wird. Der Umstand, dass die EZB mit dem Ziel handelt, die Forderung insgesamt zu erhalten, bestätigt, dass ihr Verhalten nicht darauf gerichtet ist, dem Schuldnerstaat einen finanziellen Vorteil zu verschaffen, sondern darauf, die Erfüllung der von diesem eingegangenen Verpflichtung zu gewährleisten.

236. Schließlich verdient meiner Auffassung nach ebenfalls Beachtung, dass ein Erwerb von Staatsanleihen eines Mitgliedstaats durch die EZB als nicht bevorrechtigte Gläubigerin unvermeidlich eine gewisse Veränderung der Marktsituation bewirkt, die mir jedoch unter dem Blickwinkel der Verbotsregel von Art. 123 Abs. 1 AEUV hinnehmbar erscheint. Vielmehr haben, wie bereits oben in Nr. 183 der vorliegenden Schlussanträge angesprochen, Ankäufe als bevorrechtigter Gläubiger eine abschreckende Wirkung auf andere Investoren, weil von ihnen die Botschaft ausgeht, dass ein bedeutender Gläubiger, hier eine Zentralbank, für den Forderungseinzug Vorrang vor den übrigen Gläubigern erhält, was sich entsprechend auf die Nachfrage nach diesen Anleihen auswirken muss. Insgesamt meine ich, dass Pari-passu-Klauseln als ein Mittel angesehen werden können, mit dem erreicht werden soll, dass die EZB das normale Funktionieren des Marktes so wenig wie möglich beeinflusst, was letztlich eine zusätzliche Garantie dafür bildet, dass Art. 123 Abs. 1 AEUV nachgekommen wird.

237. Daher hat meiner Auffassung nach der Umstand, dass infolge einer etwaigen Aktivierung des OMT‑Programms die EZB in dem hypothetischen Fall, dass es zu einer Umstrukturierung der Schulden eines Mitgliedstaats kommt, gezwungen sein könnte, vollständig oder teilweise auf Darlehensansprüche aus Staatsanleihen zu verzichten, nicht zur Folge, dass das OMT‑Programm einer gegen Art. 123 Abs. 1 AEUV verstoßenden Maßnahme der monetären Finanzierung gleichgestellt werden könnte.

ii)    Ausfallrisiko

238. Das BVerfG führt weiter aus, dass ein Ankauf von Staatsschuldtiteln mit einem – wie in gewissem Maß vorhersehbar – niedrigen Rating die EZB einem übermäßigen Risiko des Zahlungsausfalls aussetzen würde und deshalb mit Art. 123 Abs. 1 AEUV unvereinbar sei. Auch wenn das vorlegende Gericht anerkennt, dass die Übernahme von Risiken der Tätigkeit einer Zentralbank als solcher innewohnt, gestatten es die Verträge seiner Auffassung nach nicht, Verlustrisiken in erheblichem Umfang einzugehen.

239. Insoweit beziehe ich mich ein weiteres Mal auf meine Ausführungen oben in den Nrn. 193 bis 198 in denen ich mich bereits eingehender mit der Übernahme von Risiken durch die EZB befasst habe. Ich meine, dass sich diese Überlegungen voll und ganz auf den vorliegenden Aspekt übertragen lassen, da – wie bereits oben ausgeführt – der ganz grundsätzlich nicht auszuschließende Eventualfall einer Insolvenz der EZB oder eines Zahlungsausfalls bei Staatsanleihen eines Mitgliedstaats das Risiko nicht allein deshalb zu einer Gewissheit macht. Dass ein Programm für den Ankauf öffentlicher Schuldtitel die EZB einem Risiko aussetzt, ist dieser Art von Transaktionen, wie nicht anders zu erwarten, wesenseigen, womit ein solches Programm nur dann Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit erwecken muss, wenn seine technischen Merkmale oder spätere konkrete Anwendung bestätigen, dass sich die EZB eindeutig einem Szenario des Zahlungsausfalls aussetzt.

240. Tatsächlich deuten die technischen Merkmale des OMT‑Programms nicht darauf hin, dass sich die EZB mit einem bestimmten Grad an Vorhersehbarkeit einem Szenario wie dem vom BVerfG beschriebenen aussetzte. Es sei daran erinnert, dass der Hauptzweck des OMT‑Programms darin besteht, die für bestimmte Staatsanleihen geltenden Zinssätze zu stabilisieren, um als Ziel auf diese Weise die geldpolitischen Instrumente wiederherzustellen. Das unmittelbare Ziel jedoch, die Senkung der Finanzierungskosten des betroffenen Staates, trägt gerade dazu bei, dass er mittel- und langfristig seine Fähigkeit zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten wiedererlangt. Der Rahmen, in dem das OMT‑Programm bewilligt würde, soll das Risiko beseitigen oder zumindest erheblich senken. Wie bereits oben in Nr. 197 der vorliegenden Schlussanträge betont, dürfte darin, dass die mit dem OMT‑Programm angekündigten Operationen, in ihrer Gesamtheit betrachtet, den Willen der EZB zu belegen vermögen, mehr oder minder irrationalen Entwicklungen, durch die Risiken erzeugt oder signifikant erhöht würden, vorzubeugen oder Einhalt zu gebieten, eine Bestätigung dafür liegen, dass eine Maßnahme wie die in Rede stehende keine Umgehung des Verbots des Art. 123 AEUV darstellt.

241. Im Ergebnis bin ich daher der Auffassung, dass dieser Wille der EZB hinreichend substantiiert nachgewiesen worden ist, um zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass ein Ankauf von Staatsanleihen, obschon mit niedrigem Rating, der die EZB einem relativen Risiko eines Zahlungsausfalls aussetzen kann, unter den beschriebenen Umständen nicht als solcher dem Verbot der monetären Finanzierung gemäß Art. 123 Abs. 1 AEUV entgegensteht.

iii) Halten bis zur Endfälligkeit

242. Das BVerfG führt ferner aus, dass das Halten von Staatsanleihen bis zu ihrer Endfälligkeit mit Art. 123 Abs. 1 AEUV kollidieren könne, weil dies zu einer Verknappung der auf dem Sekundärmarkt zirkulierenden Anleihen beitrage und auf diese Weise die normale Kursentwicklung verändert werde.

243. Wenn die EZB Staatsanleihen unter der Verpflichtung ankaufte, sie bis zu ihrer Endfälligkeit zu halten, wäre damit sicherlich, wie das BVerfG geltend macht, eine erhebliche Beeinflussung des Sekundärmarkts für Staatsschuldtitel verbunden. Auf diesem Markt würde dann die Präsenz eines Investors, der EZB, mit einem großen Anleiheportfolio einkalkuliert, das nicht mehr auf dem Markt zirkulierte, wie immer auch sich sein Kurswert entwickeln würde.

244. Die EZB hat hierzu vorgetragen, es sei an keiner Stelle der Pressemitteilung vom 6. September 2012 die Rede davon, dass die im Rahmen des OMT‑Programms erworbenen Staatsanleihen bis zu ihrer Endfälligkeit gehalten würden(93).

245. Die von der EZB vorgetragenen Argumente erscheinen mir schlüssig, und zwar nicht nur deshalb, weil das Organ erklärt hat, dass seine Absicht nicht darin bestehe, die von ihm erworbenen Staatsanleihen bis zu ihrer Endfälligkeit zu halten, sondern auch, weil feststeht, dass bei früheren Programmen so verfahren wurde, in deren Rahmen die EZB auf dem Sekundärmarkt für Staatsschuldtitel operiert hat(94). Dass so gehandelt wird, erscheint angemessen, denn die EZB hat erläutert, dass die Interventionen auf dem Sekundärmarkt durch einen hohen Grad an Flexibilität gekennzeichnet sein müssten, der es dem Organ ermögliche, das OMT‑Programm durchzuführen und dabei zugleich Geschäfte zu tätigen, die keine Verluste generierten und den Markt nicht zu stark beeinflussten. Ich bin der Ansicht, dass die Flexibilität, mit der die EZB, wie in dem Beschluss-Entwurf vorgesehen, vorgehen will, mit den vorstehend dargestellten Erfordernissen in Einklang steht. Auch der Umstand, dass das OMT‑Programm nur für Anleihen mit einer Laufzeit von einem Jahr bis drei Jahren bis zur Fälligkeit gilt, dürfte bestätigen, dass die EZB Vorkehrungen getroffen hat, um sowohl das Risiko von Verlusten als auch der Verzerrung des Marktes zu vermeiden.

246. Schließlich erscheint es eindeutig, dass das OMT‑Programm in seiner bekannten Form, und zwar weder in der Pressemitteilung vom 6. September 2012 noch für den Eventualfall seiner Durchführung, nichts enthält, was auf eine ausdrückliche Verpflichtung hindeutete, Staatsanleihen bis zu ihrer Endfälligkeit zu halten. Die vom BVerfG insoweit aufgeworfenen Bedenken sind daher zurückzuweisen.

iv)    Zeitpunkt des Erwerbs

247. Das vorlegende Gericht erläutert weiter, dass Ankäufe von Staatsanleihen, die die EZB auf dem Sekundärmarkt in erheblicher Höhe und ohne vorgesehenen zeitlichen Abstand zur Emission tätige, ihrer Wirkung nach einem unmittelbaren Erwerb auf dem Primärmarkt gleichkämen, was ebenfalls Art. 123 Abs. 1 AEUV zuwiderlaufe.

248. Es ist einzuräumen, dass ein Ankauf auf dem Sekundärmarkt, der Sekunden nach dem Zeitpunkt der Begebung erfolgt, die Unterscheidung zwischen den beiden Märkten verwischen kann, auch wenn er formal erst auf dem Sekundärmarkt erfolgt ist. Dies ist ein Fall, der sich nicht völlig ausschließen lässt, da ein Geschäft auf dem Sekundärmarkt, wie in verschiedenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen in diesem Verfahren dargelegt worden ist, tatsächlich bereits wenige Augenblicke nach dem unmittelbaren Erwerb vom begebenden Mitgliedstaat stattfinden kann.

249. Die EZB hat betont, dass diese Besorgnis des BVerfG unbegründet sei, weil Transaktionen im Rahmen des OMT‑Programms einer sogenannten „Stillhaltefrist“ unterlägen. Demgemäß nehme das Eurosystem ab dem Zeitpunkt der Ausgabe bis zum Ablauf einer bestimmten Zahl von Tagen kein Geschäft vor, auch wenn dies nicht vorher angekündigt werde. Diese Frist erlaube die Bildung eines Marktpreises für die betreffenden Wertpapiere. Die EZB interveniere nicht zum Zeitpunkt der Emission, sondern erst Tage später, nachdem sich ein Preis auf dem Markt gebildet habe.

250. Ich meine, dass dieser Einwand des BVerfG im Fall einer – wie es Herr Bandulet formuliert – praktischen Zeitgleichheit nicht unbegründet ist, denn mit einer solchen Vorgehensweise würde das in Art. 123 Abs. 1 AEUV enthaltene Verbot praktisch umgangen. Diese Auffassung scheint auch die EZB zu teilen, da sie wiederholt darauf hingewiesen hat, dass sie Ankäufe dieser Art in der Vergangenheit nicht getätigt habe und das auch im Rahmen des OMT‑Programms nicht tun werde(95).

251. Der Pressemitteilung ist jedoch an keiner Stelle zu entnehmen, dass eine bestimmte „Stillhaltefrist“ einzuhalten sei.

252. Ich bin der Auffassung, dass es ein etwaiges OMT‑Programm, um die Regelung des Art. 123 Abs. 1 AEUV in der Sache einzuhalten, ermöglichen muss, im Fall der betreffenden Staatsanleihen eine – wenn auch unter diesen besonderen Umständen – reale Gelegenheit für die Bildung ihres Marktpreises zu schaffen, so dass bis zu einem gewissen Punkt der Unterschied zwischen einem Erwerb von Schuldtiteln auf dem Primärmarkt und ihrem Erwerb auf dem Sekundärmarkt erhalten bleibt.

253. Wie jedoch abschließend hinzuzufügen ist, erscheint es nicht unerlässlich, dass eine solche „Stillhaltefrist“ genau und öffentlich festgelegt würde. Es muss zum anderen, wie die EZB zutreffend erläutert hat, eine übermäßig kurze Frist, die Art. 123 Abs. 1 AEUV zuwiderliefe, vermieden werden, aber auch eine zu lange Frist, die zu Überlappungen mit anderen laufenden Geschäften führte, womit im Ergebnis die Effektivität des OMT‑Programms beeinträchtigt würde. Es erscheint vertretbar, der EZB ein weites Ermessen bei der genauen Bemessung der Fristen zuzuerkennen, sofern diese eine reale Gelegenheit ermöglichen, dass der Preis der Staatsanleihen im Wesentlichen den Marktwerten entspricht.

254. Deshalb meine ich, dass das OMT‑Programm, um Art. 123 Abs. 1 AEUV zu genügen, gegebenenfalls in der Weise durchzuführen ist, dass für die betreffenden Staatsanleihen die Bildung eines Marktpreises ermöglicht wird.

v)      Anreiz für den Erwerb auf dem Primärmarkt

255. Schließlich können nach Ansicht des BVerfG Ankündigungen, dass das OMT‑Programm in einem konkreten Fall eingesetzt werde, zu Ankäufen auf dem Primärmarkt ermutigen und damit einen Anreiz schaffen, der die EZB, mit allen daraus folgenden Risiken, zu einem „lender of last resort“ machte.

256. Die EZB sowie die Kommission meinen, dass diese Beurteilung auf einer falschen Prämisse beruhe, nämlich der Annahme, dass dem Beginn von Ankäufen durch die EZB eine vorherige öffentliche Ankündigung vorausgehen werde. Der Pressemitteilung vom 6. September 2012 sei aber nicht zu entnehmen, dass die EZB so vorgehen werde, sondern vielmehr das Gegenteil, da eine vorherige und detaillierte Ankündigung, wann genau solche Ankäufe erfolgen sollten, die Ziele des OMT‑Programms vereiteln würde.

257. Dieser Auffassung der EZB und der Kommission kann ich mich anschließen. Nichts in der Pressemitteilung vom 6. September 2012 deutet darauf hin, dass die EZB die Merkmale des konkret geplanten Programms oder den genauen Zeitpunkt des Beginns der Ankäufe vorab und detailliert ankündigen würde. Vielmehr dürften die Praxis, die die EZB bisher im Rahmen ähnlicher Programme geübt hat, und der Punkt betreffend Stillhaltefristen im Beschluss-Entwurf für das OMT‑Programm Belege dafür bilden, dass das Organ bei Interventionen auf dem Sekundärmarkt eine besondere Vorsicht beachten wird, um spekulativen Verhaltensweisen, die die Wirksamkeit des OMT‑Programms beeinträchtigen könnten, vorzubeugen.

258. Der Einwand des vorlegenden Gerichts wäre stichhaltig, wenn die EZB tatsächlich eine Politik der eingehenden öffentlichen Unterrichtung verfolgte, die unmittelbare Veränderungen auf dem Markt zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt und als Folge der vorherigen Ankündigung durch die EZB bewirken würde. Meines Erachtens lässt sich jedoch nicht die Prognose stellen, dass es zu einem derartigen Verhalten kommen wird, was im Übrigen auch durch die bisherige Praxis der EZB bestätigt wird.

259. Wie im Übrigen auch insoweit ein weiteres Mal anzuerkennen ist, bildet die Tatsache, dass eine Durchführung des OMT‑Programms bis zu einem gewissen Grad die Veranlassung von Investoren zum Erwerb von Schuldtiteln auf dem Primärmarkt mit sich bringt, angesichts der Wesensmerkmale dieses Programms eine kaum zu vermeidende Konsequenz. Wenn mit dem OMT‑Programm unmittelbar das Ziel verfolgt wird, die von bestimmten Mitgliedstaaten geforderten Zinssätze auf ein Normalniveau abzusenken, und damit mittelbar klar das Ziel, die Transmissionskanäle der Geldpolitik zu entstören, so ist offenkundig, dass eine solche Normalisierung eine erhöhte Nachfrage auf dem Primärmarkt voraussetzt. Aus diesem Grund ist der Anreiz zum Erwerb dem OMT‑Programm praktisch wesenseigen.

260. Von grundlegender Bedeutung ist es, dass solche Auswirkungen auf die Wirtschaftsteilnehmer mit dem Ziel in Einklang stehen, das das OMT‑Programm gegebenenfalls erreichen soll, was uns erneut auf den Stellenwert verweist, der auch unter dem Gesichtspunkt der hier erörterten Verbotsregel der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zukommt.

261. Eingedenk dessen meine ich, dass es, die Angaben in der Pressemitteilung vom 6. September 2012 zugrunde gelegt, keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Realisierung des OMT‑Programms als Folge seiner Aktivierung und Ankündigung einen unverhältnismäßigen Anreiz für den Erwerb von Staatsanleihen auf dem Primärmarkt bewirken würde.

3.      Antwort auf die zweite Vorlagefrage

262. Im Ergebnis ist damit meiner Auffassung nach die zweite Vorlagefrage des BVerfG dahin zu beantworten, dass das OMT‑Programm mit Art. 123 Abs. 1 AEUV vereinbar ist, sofern dieses Programm, wenn es zur Anwendung gelangen sollte, unter zeitlichen Umständen durchgeführt wird, die tatsächlich die Bildung eines Marktpreises für die Staatsschuldtitel ermöglichen.

VII – Ergebnis

263. Folglich schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom BVerfG vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

1.      Das am 6. September 2012 angekündigte Programm der Europäischen Zentralbank für geldpolitische Outright-Geschäfte (Outright Monetary Transactions) (abgekürzt: OMT‑Programm) ist mit Art. 119 AEUV und Art. 127 Abs. 1 und 2 AEUV vereinbar, vorausgesetzt, dass die EZB, wenn das Programm zur Anwendung gelangen sollte,

–        sich jedes unmittelbaren Eingreifens in die Finanzhilfeprogramme enthält, an die das OMT‑Programm anknüpft;

–        der Begründungspflicht sowie den Erfordernissen, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben, in strikter Weise nachkommt.

2.      Das OMT‑Programm ist mit Art. 123 Abs. 1 AEUV vereinbar, vorausgesetzt, dass dieses Programm, wenn es zur Anwendung gelangen sollte, unter zeitlichen Umständen durchgeführt wird, die tatsächlich die Bildung eines Marktpreises für die Staatsschuldtitel ermöglichen.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 – BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 (2 BvR 2661/06), BVerfGE 126, 286 (303 f.) (Honeywell).


3 – Wörtlich führte Herr Draghi aus: „Wenn von der Fragilität des Euro und der wachsenden Fragilität des Euro und vielleicht sogar der Krise des Euro die Rede ist, so wird von nicht der Euro-Zone angehörenden Staaten oder führenden Persönlichkeiten sehr häufig die Größe des politischen Kapitals unterschätzt, das in den Euro investiert wird.


      Und wir sehen es so, und ich glaube nicht, dass wir unbeteiligte (,unbiased‘) Beobachter sind, wir betrachten den Euro als irreversibel. …


      Aber ich möchte Ihnen noch etwas mitteilen.


      Innerhalb unseres Mandats ist die EZB bereit, zu tun, was immer erforderlich ist, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“


      Vgl. das vollständige Transkript der Rede von Herrn Draghi unter http:??www.ecb.europa.eu?press?key?date?2012?html?sp120726.en.html.


4 – Rn. 17 bis 32.


5 – BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1992 (2 BvR 2134/92), BVerfGE 89, 155.


6 – BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 (2 BvE 2/08), BVerfE 123, 267.


7 – BVerfGE 126, 286 (oben in Fn. 2 angeführt, im Folgenden: Honeywell-Entscheidung).


8 – Als Beispiel möge ein Hinweis auf die Darlegungen genügen, warum der Begriff der „Verfassungsidentität“ des innerstaatlichen Rechts nicht mit dem Begriff der „nationalen Identität“ des Art. 4 Abs. 2 EUV zusammenfallen könne (Rn. 29 der Vorlageentscheidung).


9 – Vgl. die Sondervoten der Richterin Lübbe-Wolff und des Richters Gerhardt zu dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen. Vgl. insbesondere die Argumente der Richterin Lübbe-Wolff in Rn. 28 und des Richters Gerhardt in den Rn. 14 bis 18 dieser Sondervoten.


10 – Rn. 25 der Vorlageentscheidung.


11 – Rn. 26 und 27 der Vorlageentscheidung.


12 – Vgl. in diesem Sinne auch die Ausführungen in Rn. 11 des Sondervotums der Richterin Lübbe-Wolff.


13 – Der Gerichtshof hat bei zahlreichen Gelegenheiten festgestellt, dass das Vorabentscheidungsverfahren nicht als ein Verfahren zur Abgabe von Gutachten dienen kann. Nach der Rechtsprechung besteht der Zweck eines Vorabentscheidungsverfahrens nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern in dem Erfordernis, einen das Unionsrecht betreffenden Rechtsstreit tatsächlich zu lösen (vgl. u. a. Urteile Djabali, C‑314/96, EU:C:1998:104, Rn. 19, Alabaster, C‑147/02, EU:C:2004:192, Rn. 54, und Åkerberg Fransson, C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 42).


14 – Vgl. u. a. Craig, P., „The ECJ and ultra vires action: A conceptual analysis“, Common Market Law Review 48 (2011), Kumm, M., „Who Is the Final Arbiter of Constitutionality in Europe?“, Common Market Law Review 36 (1999), Millet, F.‑X., „L’Union européenne et l’identité constitutionnelle des États membres“, LGDJ, Paris 2013, Payandeh, M., „Constitutional review of EU law after Honeywell: Contextualizing the relationship between the German Constitutional Court and the EU Court of Justice“, Common Market Law Review 48 (2011).


15 – Vgl. u. a., außer den oben in Fn. 5 bis 7 angeführten Entscheidungen des BverfG, die Entscheidungen des französischen Conseil constitutionnel vom 27. Juli 2006 und 9. Juni 2011 (Entscheidungen Nr. 2006-540 DC und Nr. 2011-631), die Entscheidung 1/2004 des spanischen Tribunal Constitucional vom 13. Dezember 2004, die Entscheidungen der italienischen Corte costituzionale 183/1973 und 168/1991, die Entscheidung des dänischen Højesteret vom 6. April 1998 (I 361/1997), die Entscheidung des polnischen Trybunał Konstytucyjny vom 11. Mai 2005 (K 18/04) oder die Entscheidung des britischen Supreme Court vom 22. Januar 2014 ([2014] UKSC 3).


16 – Sunstein, C., One Case at a Time. Judicial Minimalism on the Supreme Court, Harvard University Press, Cambridge 2001.


17 – Vgl. insoweit Martinico, G., „Preliminary Reference and Constitutional Courts: Are You in the Mood for Dialogue?“, in: Fontanelli, F., Martinico, G., Carrozza, P., Shaping Rule of Law through Dialogue: International and Supranational Experiences, Europa Law Publishing, Groningen 2010, Alonso García, R., Justicia Constitucional y Unión Europea, 2. Aufl., Thomson-Civitas, Madrid 2014, Ukrow, J., „Von Luxemburg lernen heißt Integrationsgrenzen bestimmen. Anmerkungen zur Vorlage-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 2014“, Zeitschrift für Europarechtliche Studien 2014, S. 122, Mayer, F., „Multilevel Constitutional Jurisdiction“, in: Bogdandy, A., und Bast, J. (Hrsg.), Principles of European Constitutional Law, 2. Aufl., Hart-Beck-Nomos, 2010, und Komárek, J., „The Place of Constitutional Courts in the EU“, European Constitutional Law Review 9 (2013).


18 – Vgl. die in Rn. 24 der Vorlageentscheidung angeführte Rechtsprechung des BVerfG.


19 – Rn. 33 der Vorlageentscheidung.


20 – Rn. 28 der Vorlageentscheidung und die dort angegebenen Hinweise zur Verfassungsidentität.


21 – So wird es wörtlich in der Honeywell-Entscheidung ausgedrückt und vom vorlegenden Gericht in Rn. 24 der Vorlageentscheidung wiederholt.


22 – Honeywell-Entscheidung, Rn. 61.


23 – Zum Vorabentscheidungsersuchen und seiner Rolle im gerichtlichen System der Union vgl. Lecourt, R., L’Europe des juges, Bruylant, Brüssel 2008, und Ruiz-Jarabo Colomer, La Justicia de la Unión Europea, Thomson-Civitas, Madrid 2011.


24 – Rn. 5 bis 12 der schriftlichen Erklärungen der italienischen Regierung.


25 – Vgl. die Formulierung von A. Funke, „Virtuelle verfassungsgerichtliche Kontrolle von EU-Rechtsakten: der Schlussstein? Anmerkung zu BVerfGE 126, 286 (Honeywell bzw. Mangold-Urteil EuGH)“, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 172. Vgl. auch Hobe, S., „Abkehr von Solange? – Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung und zu Honeywell“, in: Sachs, M., und Siekmann, H., Der grundrechtsgeprägte Verfassungsstaat, Festschrift für Klaus Stern zum 80. Geburtstag, Duncker & Humblot, Berlin 2012, S. 753.


26 – Rn. 26 der Vorlageentscheidung.


27 – Nach Ansicht des BVerfG könnten in „Grenzfällen“ möglicher Kompetenzüberschreitungen seitens der Union die Perspektive des einen und die des anderen Gerichts nicht „vollständig“ übereinstimmen, da zum einen die Mitgliedstaaten unverändert „Herren der Verträge“ seien und zum anderen das Unionsrecht nicht die Stellung (des Geltungs- oder Anwendungsvorrangs) einnehme, die das Recht des Bundes gegenüber dem der Länder habe (Suprematie).


28 – Rn. 27 der Vorlageentscheidung.


29 – Vgl. Pizzorusso, A., Il patrimonio costituzionale europeo, Il Mulino, Bologna 2012, Kapitel IV und V.


30 – Vgl. Voßkuhle, A., „Der Europäische Verfassungsgerichtsverbund“, TranState Working Papers Nr. 16, Staatlichkeit im Wandel – Transformations of the State, Bremen 2009, S. 22, unter Verweis auf Häberle, P., Europäische Verfassungslehre, 6. Aufl., Nomos, Baden-Baden 2009, S. 478 ff.


31 – Vgl. die Initiative einer Gruppe von 35 Juristen, die als Reaktion darauf, dass die Entscheidung des BVerfG vom 30. Juni 2009 über den Lissabonner Vertrag keine Bezugnahme auf das Kooperationsverhältnis enthält, die Einfügung einer entsprechenden Bestimmung in das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht befürwortet haben. Der Text dieser Initiative ist verfügbar unter www.europa-union-de/fileadmin/files_eud/Appell_Vorlagepflicht_BVerfG.pdf.


32 – Vgl. in diesem Sinne Streinz, R., „Der Kontrollvorbehalt des BVerfG gegenüber dem EuGH nach dem Lissabon-Urteil und dem Honeywell-Beschluss“, in: Sachs, M., und Siekmann, H., Der grundrechtsgeprägte Verfassungsstaat, Festschrift für Klaus Stern zum 80. Geburtstag, Duncker & Humblot, Berlin 2012, S. 978.


33 – In diesem Sinne hat die deutsche Regierung in ihren schriftlichen und mündlichen Erklärungen im vorliegenden Verfahren die Notwendigkeit hervorgehoben, dass der Gerichtshof die Verträge in der vorliegenden Rechtssache in der Weise auslegt, dass ein Konflikt zwischen den wesentlichen Strukturen des Verfassungsrechts der Mitgliedstaaten und dem Unionsrecht vermieden wird.


34 – Welche Wirkungskraft der Klausel der Achtung der nationalen Identität (Art. 4 Abs. 2 EUV) im Zusammenhang mit einem etwaigen Vorabentscheidungsersuchen des BVerfG zukommen kann, ist ein noch lange nicht abschließend erörtertes Problem (vgl. Dederer, H.-G., „Die Grenzen des Vorrangs des Unionsrechts“, Juristenzeitung 7/2014, S. 313). Vgl. in diesem Sinne die Ausführungen der Kommission zu einer vorherigen Verstärkung der europäischen Kontrollmöglichkeiten, etwa durch eine weitere Vorlage zur Vorabentscheidung, für den unwahrscheinlichen Fall, dass das BVerfG trotz der Antwort des Gerichtshofs, mit der die Rechtmäßigkeit des Unionsakts bestätigt würde, dessen Ultra-vires-Charakter feststellen würde (Rn. 37 der schriftlichen Erklärungen der Kommission).


35 – Insoweit führt das BVerfG (in Rn. 66 der Honeywell-Entscheidung) aus, dass die Ultra-vires-Kontrolle, solle das Integrationsprinzip „nicht Schaden nehmen“, „zurückhaltend“ auszuüben sei. Darüber hinaus solle die Eigenart der Auslegungsmethoden des Gerichtshofs das nationale Gericht dazu veranlassen, von deren Ersetzung durch seine eigenen Auslegungsmethoden abzusehen. In diesem Sinne ist der Hinweis des nationalen Gerichts zu verstehen, dass ein „Anspruch“ des Gerichtshofs „auf Fehlertoleranz“ gerechtfertigt sei.


36 – Vgl. neben vielen anderen die Urteile in den Rechtssachen Cimenteries u. a./Kommission (8/66 bis 11/66, EU:C:1967:7, Rn. 91), Sucrimex/Kommission (133/79, EU:C:1980:104, Rn. 12 bis 19) und Gauff/Kommission (182/80, EU:C:1982:78, Rn. 18).


37–      Urteil Friesland Coberco Dairy Foods (C‑11/05, EU:C:2006:312, Rn. 38 bis 41).


38 – Vgl. die in Fn. 36 angeführte Rechtsprechung.


39–      Vgl. Urteile Grimaldi (C‑322/88, EU:C:1989:646, Rn. 8 und 9) sowie Deutsche Shell (C‑188/91, EU:C:1993:24, Rn. 18).


40 – 22/70, EU:C:1971:32.


41 – Ebd., Rn. 42.


42 – Ebd., Rn. 53.


43 – Ebd., Rn. 54.


44 –      C-366/88, EU:C:1990:348.


45 – Ebd., Rn. 10.


46 – Vgl. Binder, Alan S., Ehrmann, M., Fratzscher, M., de Hann, J., Jansen, D.-J., „Central Bank Communication and Monetary Policy. A Survey of Theory and Evidence“, und Woodford, M., „Fedspeak: Does It Matter How Central Bankers Explain Themselves?“, University of Columbia, April 2013.


47 – Nach Ansicht der gegenwärtigen Präsidentin der US-amerikanischen Federal Reserve, Janet L. Yellen, hängen die „Wirkungen der Geldpolitik … entscheidend davon ab, dass die Öffentlichkeit erfährt, was die Politik in den kommenden Monaten … sein wird“ (Rede vor der Society of American Business Editors and Writers 50th Anniversary Conference, Washington, D.C., verfügbar unter http://www.federalreserve.gov/newsevents/speech/yellen20130404a.htm).


48 – Europäische Zentralbank, Die Geldpolitik der EZB, Frankfurt 2011, S. 94 ff.


49 – C‑370/12, EU:C:2012:756.


50 – Art. 119 Abs. 2 AEUV, Art. 127 Abs. 1 AEUV, Art. 282 Abs. 2 AEUV sowie die Art. 2 und 3.3 der Satzung des ESZB und der EZB.


51 – Vgl. insbesondere den unter der Bezeichnung „Delors-Bericht“ bekannten Bericht über die Wirtschafts- und Währungsunion in der Europäischen Gemeinschaft vom 17. April 1989, insbesondere dessen Punkt 32.


52 – Vgl. u. a. Dyson, K., und Featherstone, K., The Road to Maastricht. Negotiating Economic and Monetary Union, Oxford University Press, Oxford 1999, S. 378 ff., Ungerer, H., A Concise History of European Monetary Integration. From EPU to EMU, Quorum Books, Westport/London 1997, S. 209 ff., und Viebig, J., Der Vertrag von Maastricht. Die Positionen Deutschlands und Frankreichs zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, Schäffer-Poeschel Verlag, 1999, S. 150 ff.


53 – Art. 282 Abs. 3 AEUV: „Die Europäische Zentralbank besitzt Rechtspersönlichkeit. Sie allein ist befugt, die Ausgabe des Euro zu genehmigen. Sie ist in der Ausübung ihrer Befugnisse und der Verwaltung ihrer Mittel unabhängig. Die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten achten diese Unabhängigkeit.“


54 – De Grauwe, P., Economics of Monetary Union, 10. Aufl., Oxford University Press, Oxford 2014, S. 156 bis 159.


55 – Vgl. Sparve, R., „Central Bank Independence Under European Union And Other International Standards“, in: Legal Aspects of the European System of Central Banks. Liber Amicorum Paolo Zamboni Garavelli, EZB (Hrsg.), Frankfurt am Main 2005.


56 – Ebd.


57 – Zur Unabhängigkeit der EZB und ihren Grenzen vgl. insbesondere Zilioli, C., und Selmayr, M., „The European Central Bank: An Independent Specialized Organization of Community Law“, Common Market Law Review 37 (2000), S. 591 ff., Dernedde, I., Die Autonomie der Europäischen Zentralbank.Im Spannungsfeld zwischen demokratischer Legitimation der Europäischen Union und Währungsstabilität, Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2002, und vergleichend Amtenbrink, F., The Democratic Accountability of Central Banks. A Comparative Study of the European Cenetral Bank, Hart, Oxford/Portland 1999.


58 – Vgl., wenn auch zu anderen Bereichen als der Währungspolitik, Urteile Sison/Rat (C‑266/05 P, EU:C:2007:75, Rn. 32 bis 34), Arcelor Atlantique et Lorraine u. a. (C‑127/07, EU:C:2008:728, Rn. 57) und Vodafone u. a. (C‑58/08, EU:C:2010:321, Rn. 52).


59 – Vgl. in diesem Sinne Louis, J.-V., L’Union européenne et sa monnaie, Commentaire J. Mégret, 3. Aufl., Editions de l’Université de Bruxelles, Brüssel 2009, S. 211, Craig, P., „EMU, the European Central Bank and Judicial Review“, in: Beaumont, P., und Walker, N. (Hrsg.), Legal Framework of the Single European Currency, Hart, Oxford/Portland 1999, S. 97 bis 114, und Malatesta, A., La Banca Centrale Europea, Giuffrè, Mailand 2003, S. 183 ff.


60 – „Der Prozess, mittels dessen sich geldpolitische Entscheidungen auf die Wirtschaft im Allgemeinen und das Preisniveau im Besonderen auswirken, wird als Transmissionsmechanismus der Geldpolitik bezeichnet.“ (Europäische Zentralbank, Die Geldpolitik der EZB, Frankfurt 2011, S. 62). Vgl. hierzu auch Angeloni, I., Kashyap, A., und Mojon, B. (Hrsg.), Monetary Policy Transmission in the Euro Area, Cambridge University Press, Cambridge 2003, und Suardi, M., „Monetary Policy Transmission in EMU“, in: Buti, M., und Sapir, A., EMU and Economic Policy In Europe. The Challenge of the Early Years, Edward Elgar, Cheltenham/Northampton 2002.


61 – „Die Übertragung geldpolitischer Impulse auf die Realwirtschaft umfasst eine Reihe unterschiedlicher Mechanismen und Maßnahmen seitens der Wirtschaftsakteure in verschiedenen Phasen des Transmissionsprozesses. Entsprechend schlagen geldpolitische Maßnahmen in der Regel erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung auf die Preisentwicklung durch. Darüber hinaus können Umfang und Stärke der unterschiedlichen Wirkungen je nach Wirtschaftslage variieren, weshalb eine präzise Schätzung des Einflusses schwierig ist. Insgesamt sehen sich Zentralbanken bei der Durchführung der Geldpolitik für gewöhnlich mit langen, variablen und nicht genau vorhersagbaren Wirkungsverzögerungen konfrontiert.“ (Europäische Zentralbank, Die Geldpolitik der EZB, Frankfurt 2011, S. 62 f.). Vgl. auch Angeloni, I., Kashyap, A., und Mojon, B. (Hrsg.), Monetary Policy Transmission in the Euro Area, Cambridge University Press, Cambridge 2003.


62 –      Vgl. hierzu Cour-Thimann, P., und Winkler, B., „The ECB’s Non-Standard Monetary Policy Measures. The Role of Institutional Factors and Financial Structure“, Oxford Review of Economic Policy 28 (2012), S. 72 ff.


63 –      Vgl. die vergleichende Darstellung von Lenza, M., Pill, H., und Reichlin, L., „Monetary Policy in Exceptional Times“, Economic Policy 2010, S. 62, und García-Andrade, J., „El sistema Monetario en una Unión Europea de Derecho“, in: Salvador Armendáriz, M. A. (Hrsg.), Regulación bancaria: transformación y Estado de Derecho, Aranzadi, Cizur Menor 2014.


64 –      Die EZB hat sich in der Vergangenheit verschiedener unkonventioneller Maßnahmen bedient, so der Bereitstellung von Liquidität über Mengentender (mit festgelegtem Zinssatz) mit Vollzuteilung, der Ausweitung des Verzeichnisses zugelassener Sicherheiten, der längerfristigen Bereitstellung von Liquidität oder endgültiger Käufe bestimmter Schuldverschreibungen. Vgl. zu diesen Maßnahmen Hinarejos, A., The Euro Area Crisis in Constitutional Perspective, Oxford University Press, Oxford 2014, Kapitel 3, Abschnitt 3.1.


65 –      Urteil Pringle (EU:C:2012:756, Rn. 55).


66 –      Urteil Pringle (EU:C:2012:756, Rn. 56) und Schlussanträge der Generalanwältin Kokott (EU:C:2012:675, Nr. 85) in dieser Rechtssache.


67 –      Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Pringle (EU:C:2012:675, Nrn. 142 und 143).


68 –      Urteil Pringle (EU:C:2012:756, Rn. 135), wo es heißt: „Die Einhaltung [der Haushaltsdisziplin] trägt auf Unionsebene zur Verwirklichung eines übergeordneten Ziels bei, und zwar dem der Aufrechterhaltung der finanziellen Stabilität der Unionswährung.“


69 –      Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, bestätigen die EZB-Monatsberichte September und Oktober 2012, dass das Ziel des OMT‑Programms die Wiederherstellung der geldpolitischen Transmissionskanäle ist.


70 –      Soweit die Bedingungen, an die der Erwerb von Staatsanleihen geknüpft werde, nicht mit den von der EFSF oder dem ESM festgelegten Bedingungen übereinstimmten, wirke das Programm wie ein „paralleles Hilfsprogramm“. Demnach meine ich, dass es sich um zwei Zweifelsfragen handelt, die zusammen untersucht werden können.


71 –      Nach Krugman und Wells bezieht sich der Ausdruck „moralisches Risiko“ („moral hazard“) darauf, dass Einzelne in ihren Entscheidungen sehr große Risiken eingehen, wenn die möglichen negativen Folgen ihres Handelns nicht von ihnen selbst, sondern einem Dritten verantwortet werden. Vgl. hierzu ausführlicher Krugman, P., und Wells, R., Microeconomics, 3. Aufl., Worth Publishers, 2012.


72 –      Vgl. konkret Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 3 und 5 Buchst. g, Art. 6 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, 3 und 7 sowie Art. 14 Abs. 6 des Vertrags zur Einrichtung des ESM.


73 –      Zur institutionellen Rolle der EZB im Rahmen der Hilfsprogramme vgl. Beukers, T., „The new ECB and its relationship with the eurozone Member States: Between central bank independence and central bank intervention“, Common Market Law Review 50 (2013), S. 1588 ff.


74 –      Vgl. konkret Art. 13 Abs. 3 und 7 des ESM-Vertrags.


75 –      Vgl. beispielsweise die Allgemeinen Bedingungen für Vereinbarungen über eine Finanzhilfefazilität, die vom Direktorium des ESM am 22. November 2012 (verfügbar auf der Website www.esm.europa.eu) genehmigt wurden und die Rolle der EZB bei der Überwachung der Finanzhilfeprogramme bestätigen (vgl. konkret die Art. 3.3.2, 3.4.2, 5.3.4, 5.12.1, 6.2.6, 9.6, 9.8.2 und 12.2).


76 –      Tatsächlich würde der Wortlaut des ESM-Vertrags ein Tätigwerden dieser Art zulassen. Die Wendung „im Benehmen mit“ in den Art. 13 und 14 des ESM-Vertrags würde viele verschiedene Tätigkeiten der EZB im Verlauf eines Finanzhilfeprogramms, einschließlich der hier vorgeschlagenen „passiven“ Tätigkeiten, erlauben.


77 – Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs beruht die im Vertrag vorgesehene Begründungspflicht „nicht lediglich auf formalen Erwägungen, sondern will den Parteien die Wahrnehmung ihrer Rechte, dem Gerichtshof die Ausübung seiner Rechtskontrolle und den Mitgliedstaaten sowie deren etwa beteiligten Angehörigen die Unterrichtung darüber ermöglichen, in welcher Weise [das Organ] den Vertrag angewandt hat“. Vgl. u. a. Urteile Deutschland/Kommission (24/62, EU:C:1963:14, S. 155) und DIR International Film u. a./Kommission (C‑164/98 P, EU:C:2000:48, Rn. 33).


78 – Ausführungen des EZB-Präsidenten Draghi auf der Pressekonferenz vom 6. September 2012, verfügbar unter http://www.ecb.europa.eu/press/pressconf/2012/html/is120906.en.html.


79 – Vgl. in diesem Sinne Urteile National Panasonic/Kommission (136/79, EU:C:1980:169, Rn. 28 bis 30) und Roquette Frères (C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 77).


80 – Vgl. u. a. Urteile Fedesa u. a. (C‑331/88, EU:C:1990:391, Rn. 13) und Niederlande/Kommission (C‑180/00, EU:C:2005:451, Rn. 103).


81 – Schriftliche Erklärungen der Französischen Republik (Rn. 40), in denen auf den zielgerichteten und vorübergehenden Charakter des OMT‑Programms („ce programme constitue une mesure ciblée et provisoire“) verwiesen wird.


82 – Die Pressemitteilung vom 6. September 2012 nennt nicht nur die Konditionalität durch Finanzhilfeprogramme als eine notwendige Voraussetzung, sondern spricht weiter davon, dass die Einstellung des OMT‑Programms durch eine Entscheidung erfolgen werde, die zwar im „Ermessen“ des EZB-Rates liege, aber „im Einklang mit seinem geldpolitischen Mandat steht“.


83 – Vgl. Tridimas, T., The General Principles of EU Law, 2. Aufl., Oxford University Press, Oxford 2010, Kapitel 3.


84 – Vgl. hierzu Sunkel, O., and Griffith-Jones, S., Debt and Development Crises in Latin America: The End of an Illusion, Oxford University Press, Oxford 1989.


85 – Vgl. den in Fn. 51 angeführten Delors-Bericht, insbesondere Punkt 30.


86 – Vgl. Siekmann, H., „Law and Economics of Monetary Union“, in: Eger, T., und Schäfer, H.-B., Research Handbook on the Economics of European Union Law, Edward Elgar, Cheltenham/Northampton 2012, S. 370 ff.


87 – Urteil Pringle (EU:C:2012:756, Rn. 135).


88 – Ebd., Rn. 132.


89 – Man vergleiche insoweit den Vorschlag zur Fassung des damaligen Art. 104a Abs. 1 Buchst. a des Entwurfs eines Vertrages zur Änderung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Hinblick auf die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 2/91, mit der endgültigen Fassung dieses Artikels, die mit der heute geltenden von Art. 123 AEUV übereinstimmt. Zu den Verhandlungen, die zur Fassung des jetzigen Art. 123 AEUV führten, vgl. Conthe, M., „El Tratado de la Unión Europea: la Unión Económica y Monetaria“, in: VVAA, España y el Tratado de la Unión Europea. Una aproximación al Tratado elaborada por el equipo negociador en las Conferencias Intergubernamentales sobre la Unión Política y la Unión Económica y Monetaria, Colex, 1994, S. 295-297.


90 – Zu den nach Art. 18.1 der Satzung zulässigen Offenmarktgeschäften vgl. Leitlinie der EZB vom 20. September 2011 über geldpolitische Instrumente und Verfahren des Eurosystems (Neufassung) (EZB/2011/14).


91 – In Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 3603/93 heißt es unter Ziff. ii, dass als „andere Kreditfazilitäten“ auch „jede Finanzierung von Verbindlichkeiten des öffentlichen Sektors gegenüber Dritten“ gilt.


92 –      Gemäß den vertraglich vorgesehenen Klauseln über Schuldenumstrukturierungen (Collective Action Clauses, CAC) setzt ein Schuldenschnitt die Zustimmung einer bestimmten Gläubigermehrheit voraus. Zu CAC‑Klauseln und der Rolle der EZB vgl. Hofmann, C., „Enfranchisement and Disenfranchisement in Collective Action Clauses“, in: Bauer, K.-A., Cahn, A., und Kenadjian, S. (Hrsg.), Collective Action Clauses and the Restructuring of Sovereign Debt, Institute for Law and Finance Series, De Gruyter, 2013, S. 56 ff.


93 –      Es werde nicht nur keine Verpflichtung festgelegt, die Schuldtitel bis zu ihrer Endfälligkeit zu halten, sondern, so die EZB weiter, der Entwurf für einen Beschluss über die geldpolitischen Outright-Geschäfte lege ausdrücklich fest, dass es der EZB möglich sei, die Titel zu einem früheren Zeitpunkt zu verkaufen.


94 –      Nach den Ausführungen der EZB war dies beim „Securities Market Programme“ (im Folgenden: SMP) der Fall, in dem die Titel nicht notwendigerweise bis zu ihrer Endfälligkeit gehalten worden seien.


95 –      Wie die EZB in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, war auch im Rahmen des SMP-Programms, das dem OMT‑Programm vorausgegangen ist, eine solche Stillhaltefrist vorgesehen.