URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

5. April 2016(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Richtlinie 89/665/EWG – Art. 1 Abs. 1 und 3 – Nachprüfungsverfahren – Klage eines Bieters, dessen Angebot nicht angenommen wurde, auf Nichtigerklärung der Entscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags – Anschlussrechtsbehelf des Zuschlagsempfängers – Von der nationalen Rechtsprechung entwickelte Regel, nach der zunächst der Anschlussrechtsbehelf zu prüfen ist und bei dessen Begründetheit die Klage ohne Prüfung ihrer Begründetheit für unzulässig zu erklären ist – Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht – Art. 267 AEUV – Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts – Durch eine Entscheidung des Plenums des obersten Verwaltungsgerichts eines Mitgliedstaats aufgestellter Rechtsgrundsatz – Nationale Regelung, nach der diese Entscheidung für die Kammern dieses Gerichts verbindlich ist – Pflicht der mit einer unionsrechtlichen Frage befassten Kammer, diese Frage, falls sie mit der Entscheidung des Plenums nicht einverstanden ist, an dieses zu verweisen – Befugnis oder Pflicht der Kammer, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen“

In der Rechtssache C‑689/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di giustizia amministrativa per la Regione siciliana (Rat der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Region Sizilien, Italien) mit Entscheidung vom 26. September 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Dezember 2013, in dem Verfahren

Puligienica Facility Esco SpA (PFE)

gegen

Airgest SpA,

Beteiligte:

Gestione Servizi Ambientali Srl (GSA),

Zenith Services Group Srl (ZS),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, T. von Danwitz, J. L. da Cruz Vilaça, D. Šváby und F. Biltgen, der Richter A. Rosas, E. Juhász (Berichterstatter), A. Borg Barthet, J. Malenovský, J.‑C. Bonichot, C. Vajda und S. Rodin sowie der Richterin K. Jürimäe,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: I. Illéssy, dann V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsräte,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Puligienica Facility Esco SpA (PFE), vertreten durch U. Ilardo, avvocato,

–        der Gestione Servizi Ambientali Srl (GSA) und der Zenith Services Group Srl (ZS), vertreten durch D. Gentile und D. Galli, avvocati,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Varone, avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Recchia und A. Tokár als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. April 2015,

aufgrund des Beschlusses vom 16. Juli 2015 über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Varone, avvocato dello Stato,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Recchia und A. Tokár als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der ergänzenden Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Oktober 2015

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl. L 335, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665), von Art. 267 AEUV sowie der Grundsätze des Vorrangs und der Effektivität des Unionsrechts.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Puligienica Facility Esco SpA (PFE) (im Folgenden: PFE) und der Airgest SpA (im Folgenden: Airgest) über die Rechtmäßigkeit der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags durch Letztere an die Gestione Servizi Ambientali Srl (GSA) und die Zenith Services Group Srl (ZS).

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 1 („Anwendungsbereich und Zugang zu Nachprüfungsverfahren“) der Richtlinie 89/665 bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie gilt für Aufträge im Sinne der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge [(ABl. L 134, S. 114)], sofern diese Aufträge nicht gemäß den Artikeln 10 bis 18 der genannten Richtlinie ausgeschlossen sind.

Aufträge im Sinne der vorliegenden Richtlinie umfassen öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen, öffentliche Baukonzessionen und dynamische Beschaffungssysteme.

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie [2004/18] fallenden Aufträge die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f der vorliegenden Richtlinie auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.

(3)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.

…“

4        In Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit

b)      die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen … vorgenommen oder veranlasst werden kann;

…“

 Italienisches Recht

5        Der Consiglio di giustizia amministrativa per la Regione siciliana (Rat der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Region Sizilien) wurde durch das gesetzesvertretende Dekret Nr. 654 über die Vorschriften für die Ausübung der dem Staatsrat obliegenden Funktionen in der Region Sizilien (Decreto legislativo n. 654 – Norme per l’esercizio nella Regione siciliana delle funzioni spettanti al Consiglio di Stato) vom 6. Mai 1948 (GURI Nr. 135 vom 12. Juni 1948) errichtet. Er nimmt in dieser Region dieselben beratenden und richterlichen Aufgaben wie der Consiglio di Stato (Staatsrat) wahr.

6        Das gesetzesvertretende Dekret Nr. 104 zur Umsetzung von Art. 44 des Gesetzes Nr. 69 vom 18. Juni 2009, mit dem der Regierung die Neuordnung des Verwaltungsprozesses übertragen wird (Decreto legislativo n. 104 – Attuazione dell’articolo 44 della legge 18 giugno 2009, n. 69, recante delega al governo per il riordino del processo amministrativo), vom 2. Juli 2010 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 156 vom 7. Juli 2010) betrifft den Erlass der Verwaltungsprozessordnung.

7        Art. 6 der Verwaltungsprozessordnung bestimmt:

„(1)      Der Consiglio di Stato (Staatsrat) ist das letztinstanzliche Organ der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

(6)      Berufungen gegen Entscheidungen des Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht für Sizilien) sind beim Consiglio di giustizia amministrativa per la Regione siciliana (Rat der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Region Sizilien) unter Beachtung der Bestimmungen des Sonderstatuts und der diesbezüglichen Durchführungsbestimmungen einzubringen.“

8        Art. 42 der Verwaltungsprozessordnung sieht in Abs. 1 vor:

„Die Gegenparteien und die Streithelfer können mittels eines Anschlussrechtsbehelfs Anträge stellen, wenn das Interesse dazu sich aus dem Antrag der Hauptklage ergibt.“

9        Art. 99 der Verwaltungsprozessordnung lautet:

„(1)      Wenn die Abteilung, der ein Rechtsmittel zugewiesen wurde, feststellt, dass die von ihr zu entscheidende Rechtsfrage zu einer widersprüchlichen Rechtsprechung geführt hat oder führen könnte, kann sie mit Beschluss, der auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen zu erlassen ist, das Rechtsmittel an das Plenum verweisen. Das Plenum kann die Akten, wenn ihm dies zweckmäßig erscheint, an die Abteilung zurückleiten.

(2)      Vor der Entscheidung kann der Präsident des Consiglio di Stato (Staatsrat) auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen jedes Rechtsmittel an das Plenum verweisen, um Grundsatzfragen von besonderer Wichtigkeit lösen oder Widersprüche in der Rechtsprechung bereinigen zu lassen.

(3)      Wenn eine Abteilung, der ein Rechtsmittel zugewiesen worden ist, glaubt, sich einem vom Plenum formulierten Rechtsgrundsatz nicht anschließen zu können, verweist sie die Entscheidung über das Rechtsmittel mit begründetem Beschluss an das Plenum.

(4)      Das Plenum entscheidet über den gesamten Rechtsstreit, es sei denn, es hält es für angebracht, nur einen Rechtsgrundsatz auszusprechen und das Verfahren im Übrigen an die Abteilung, die die Verweisung vorgenommen hat, zurückzuverweisen.

(5)      Wenn das Plenum glaubt, dass der Rechtsfrage besondere Bedeutung zukommt, kann es jedenfalls im Interesse der Gesetzesanwendung einen Rechtsgrundsatz aussprechen, auch wenn es das Rechtsmittel für unstatthaft, unzulässig oder unverfolgbar oder das Verfahren für erloschen erklärt. In solchen Fällen hat die Entscheidung des Plenums keine Auswirkung auf die angefochtene Maßnahme.“

10      Art. 100 der Verwaltungsprozessordnung bestimmt:

„Gegen Urteile der Regionalen Verwaltungsgerichte ist ein Rechtsmittel an den Consiglio di Stato (Staatsrat) zulässig, wobei für Rechtsmittel, die gegen Urteile des Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht für Sizilien) eingelegt werden, die Zuständigkeit des Consiglio di giustizia amministrativa per la Regione siciliana (Rat der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Region Sizilien) unberührt bleibt.“

11      Das gesetzesvertretende Dekret Nr. 373 über die Modalitäten der Anwendung des Sonderstatuts für die Region Sizilien bei der Ausübung der dem Staatsrat obliegenden Funktionen in der Region (Decreto legislativo n. 373 – Norme di attuazione dello Statuto speciale della Regione siciliana concernenti l’esercizio nella regione delle funzioni spettanti al Consiglio di Stato) vom 24. Dezember 2003 (GURI Nr. 10 vom 14. Januar 2004, S. 4) sieht in Art. 1 Abs. 2 vor, dass die Abteilungen des Consiglio di giustizia amministrativa per la Regione siciliana (Rat der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Region Sizilien) als Außenstellen der Abteilungen des Consiglio di Stato (Staatsrat) fungieren; nach Art. 4 Abs. 3 des Dekrets entscheidet der Consiglio di giustizia amministrativa per la Regione siciliana (Rat der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Region Sizilien) über Berufungen gegen die Entscheidungen des Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht für Sizilien).

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12      Mit einer am 18. Januar 2012 veröffentlichten Bekanntmachung nahm Airgest, die Betreibergesellschaft des zivilen Flughafens von Trapani-Birgi (Italien), eine Ausschreibung zur Vergabe von Dienstleistungen der Reinigung und Unterhaltung von Grünflächen dieses Zivilflughafens für einen Zeitraum von drei Jahren vor. Der Wert dieses Auftrags lag ohne Mehrwertsteuer bei 1 995 496,35 Euro, und den Zuschlag sollte das wirtschaftlich günstigste Angebot erhalten. Der Auftrag wurde durch eine endgültige Vergabeentscheidung vom 22. Mai 2012 einer aus GSA und ZS bestehenden befristeten Unternehmensvereinigung erteilt.

13      PFE, die an der Ausschreibung teilgenommen hatte und auf die zweite Rangstelle gesetzt worden war, erhob Klage beim Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht für Sizilien). Sie begehrte u. a., die Entscheidung über die Vergabe des Auftrags für nichtig zu erklären und infolgedessen den Auftrag an sie zu vergeben und den entsprechenden Vertrag mit ihr zu schließen. Die übrigen Bieter fochten die genannte Entscheidung nicht an.

14      GSA, das federführende Unternehmen der befristeten Unternehmensvereinigung, an die der Auftrag vergeben worden war, trat dem Rechtsstreit bei und legte einen Anschlussrechtsbehelf ein, den sie auf das fehlende Rechtsschutzinteresse von PFE stützte. Sie machte geltend, PFE habe die Zulassungsvoraussetzungen der Ausschreibung nicht erfüllt und hätte daher vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden müssen. Das Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht für Sizilien) gab nach Prüfung des Vorbringens beider Parteien sowohl der Klage als auch dem Anschlussrechtsbehelf statt. Daraufhin schloss Airgest in ihrer Eigenschaft als Auftraggeber beide Parteien sowie alle anderen ursprünglich in die Rangliste aufgenommenen Unternehmen wegen Unzulänglichkeit ihrer jeweiligen Angebote im Hinblick auf die Ausschreibungsunterlagen aus. Diese anderen Bieter hatten keinen Rechtsbehelf gegen die Zuschlagsentscheidung eingelegt. Ein neues Verhandlungsverfahren zur Vergabe des fraglichen Auftrags wurde eröffnet.

15      PFE hat beim Consiglio di giustizia amministrativa per la Regione siciliana (Rat der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Region Sizilien) gegen das Urteil des Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht für Sizilien) Berufung eingelegt. GSA hat Anschlussberufung eingelegt und diese u. a. damit begründet, dass das Tribunale amministrativo regionale per la Sicilia (Regionales Verwaltungsgericht für Sizilien) durch die Prüfung der Gründe der Klage die im Urteil Nr. 4/2011 des Plenums des Consiglio di Stato (Staatsrat) vom 7. April 2011 aufgestellten Grundsätze in Bezug auf die Prüfungsreihenfolge nicht eingehalten habe. Nach diesem Urteil ist, wenn mit einem Anschlussrechtsbehelf die Zulässigkeit der Klage bestritten wird, der Anschlussrechtsbehelf vorrangig, vor der Klage, zu prüfen. In der nationalen Rechtsordnung wird ein solcher Anschlussrechtsbehelf als „ausschließend“ oder „hemmend“ eingestuft, weil das angerufene Gericht, wenn es den Anschlussrechtsbehelf als begründet ansieht, die Klage für unzulässig erklären muss, ohne ihre Begründetheit zu prüfen.

16      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil Fastweb (C‑100/12, EU:C:2013:448), das nach dem genannten Urteil des Plenums des Consiglio di Stato (Staatsrat) ergangen sei, Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 dahin ausgelegt habe, dass er den im letztgenannten Urteil aufgestellten und in der vorstehenden Randnummer wiedergegebenen Grundsätzen entgegenstehe. Die Rechtssache, in der das Urteil Fastweb (C‑100/12, EU:C:2013:448) ergangen sei, habe zwei Bieter betroffen, die vom öffentlichen Auftraggeber ausgewählt und zur Abgabe von Angeboten aufgefordert worden seien. Nachdem der Bieter, dessen Angebot nicht angenommen worden sei, Klage erhoben habe, habe der erfolgreiche Bieter einen Anschlussrechtsbehelf eingelegt und geltend gemacht, das nicht angenommene Angebot hätte ausgeschlossen werden müssen, da es eine der in den Verdingungsunterlagen vorgesehenen Mindestbedingungen nicht erfüllt habe.

17      Das vorlegende Gericht möchte erstens wissen, ob die Auslegung des Gerichtshofs im Urteil Fastweb (C‑100/12, EU:C:2013:448) auch hier gelte, da in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, zwei Unternehmen Angebote abgegeben hätten und beide im Rahmen der Nichtigkeitsklage des Unternehmens, dessen Angebot nicht angenommen worden sei, und des Anschlussrechtsbehelfs des erfolgreichen Bieters widerstreitende Interessen gehabt hätten, wohingegen im Ausgangsverfahren mehr als zwei Unternehmen Angebote abgegeben hätten, auch wenn nur zwei von ihnen vor Gericht gegangen seien.

18      Zweitens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es nach Art. 1 Abs. 2 des gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 373 vom 24. Dezember 2003 über die Modalitäten der Anwendung des Sonderstatuts für die Region Sizilien bei der Ausübung der dem Staatsrat obliegenden Funktionen in der Region eine Abteilung des Consiglio di Stato (Staatsrat) und damit ein Gericht sei, dessen Entscheidungen nicht mit einem innerstaatlichen Rechtsmittel im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV angefochten werden könnten. Nach der Verfahrensvorschrift in Art. 99 Abs. 3 der Verwaltungsprozessordnung sei es jedoch verpflichtet, die vom Plenum des Consiglio di Stato (Staatsrat) formulierten Rechtsgrundsätze auch in Fragen der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts anzuwenden, und könne die betreffende Frage, falls es von diesen Grundsätzen abweichen wolle, an das Plenum verweisen, um eine Änderung von dessen Rechtsprechung zu erwirken.

19      Das vorlegende Gericht hebt in diesem Zusammenhang die Widersprüche zwischen dem Urteil Nr. 4 des Plenums des Consiglio di Stato (Staatsrat) vom 7. April 2011 und dem Urteil Fastweb (C‑100/12, EU:C:2013:448) hervor und führt aus, eine Geltung der in der vorstehenden Randnummer beschriebenen verfahrensrechtlichen Pflicht auch für Fragen des Unionsrechts wäre mit dem Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Auslegung des Unionsrechts und der Pflicht aller letztinstanzlichen Gerichte der Mitgliedstaaten unvereinbar, den Gerichtshof bei Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts um Vorabentscheidung zu ersuchen.

20      Vor diesem Hintergrund hat der Consiglio di giustizia amministrativa per la Regione siciliana (Rat der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Region Sizilien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Gelten die vom Gerichtshof im Urteil Fastweb (C‑100/12, EU:C:2013:448) in Bezug auf den dieser Vorabentscheidung zugrunde liegenden Einzelfall, in dem nur zwei Unternehmen an einem Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilgenommen hatten, aufgestellten Grundsätze wegen der weitgehenden Ähnlichkeit des Rechtsstreits auch in dem hier dem Consiglio zur Beurteilung vorliegenden Fall, in dem die am Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen – obwohl mehr als zwei zugelassen worden waren – alle von der Vergabestelle abgelehnt wurden, ohne dass die Ablehnung von anderen als den am vorliegenden Verfahren beteiligten Unternehmen angefochten wurde, so dass der Rechtsstreit, mit dem der Consiglio jetzt befasst ist, de facto nur zwei Unternehmen betrifft?

2.      Steht bei Fragen, die durch Anwendung des Unionsrechts zu entscheiden sind, Art. 99 Abs. 3 der Verwaltungsprozessordnung in Widerspruch zur Auslegung des Unionsrechts, insbesondere zu Art. 267 AEUV, soweit diese Verfahrensvorschrift jeden vom Plenum formulierten Rechtsgrundsatz für alle Abteilungen und Senate des Consiglio di Stato (Staatsrat) für verbindlich erklärt, auch wenn klar ersichtlich ist, dass das Plenum einen Grundsatz formuliert hat oder formuliert haben könnte, der dem Unionsrecht widerspricht oder mit ihm unvereinbar ist? Insbesondere:

–        Müssen die mit der Behandlung der Rechtssache befassten Abteilungen oder Senate des Consiglio di Stato (Staatsrat) bei Zweifeln an der Übereinstimmung oder Vereinbarkeit eines bereits vom Plenum formulierten Rechtsgrundsatzes mit dem Unionsrecht die Entscheidung über das Rechtsmittel – gegebenenfalls noch bevor sie den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Übereinstimmung und Vereinbarkeit des fraglichen Rechtsgrundsatzes mit dem europäischen Recht ersuchen können – mit begründetem Beschluss an das Plenum verweisen, oder können oder besser gesagt müssen die Abteilungen oder Senate des Consiglio di Stato (Staatsrat) als letztinstanzliches nationales Gericht, das als Gericht der Gemeinschaft das Unionsrecht anzuwenden hat, den Gerichtshof eigenständig um Vorabentscheidung über die korrekte Auslegung des Unionsrechts ersuchen?

–        Können oder müssen – falls die im vorhergehenden Absatz gestellte Frage dahin zu beantworten ist, dass jeder Abteilung und jedem Senat des Consiglio di Stato (Staatsrat) die Befugnis/Pflicht zuzuerkennen ist, dem Gerichtshof direkt Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, oder in jedem Fall, in dem der Gerichtshof sich schon geäußert hat, vor allem, wenn er sich nach einer Feststellung des Plenums des Consiglio di Stato (Staatsrat) geäußert und eine Abweichung oder unzulängliche Übereinstimmung zwischen der korrekten Auslegung des Unionsrechts und dem vom Plenum formulierten innerstaatlichen Rechtsgrundsatz bestätigt hat – alle Abteilungen und Senate des Consiglio di Stato (Staatsrat), die als letztinstanzliche Gemeinschaftsgerichte das Unionsrecht anzuwenden haben, unverzüglich die korrekte Auslegung des Unionsrechts in seiner Auslegung durch den Gerichtshof anwenden, oder müssen sie auch in diesen Fällen die Entscheidung über das Rechtsmittel mit begründetem Beschluss an das Plenum verweisen, so dass die Anwendung des vom Gerichtshof bereits verbindlich ausgelegten Unionsrechts allein vom Plenum zu beurteilen ist und in seinem richterlichen Ermessen steht?

–        Widerspricht schließlich eine Auslegung des Verwaltungsprozessrechts der Italienischen Republik dahin, dass über ein etwaiges Ersuchen um Vorabentscheidung des Gerichtshofs – oder auch nur darüber, wie die Rechtssache zu entscheiden ist, wenn sich dies direkt aus der Anwendung vom Gerichtshof bereits aufgestellter unionsrechtlicher Grundsätze ergibt – allein das Plenum zu befinden hat, nicht nur Grundsätzen der angemessenen Verfahrensdauer und der raschen Einlegung eines Rechtsbehelfs in Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge, sondern auch dem Erfordernis, dass das Unionsrecht von jedem Gericht jedes Mitgliedstaats vollständig und umgehend, in verbindlicher Weise und in Übereinstimmung mit seiner vom Gerichtshof festgelegten korrekten Auslegung anzuwenden ist, auch im Interesse der weitestgehenden Anwendung der Grundsätze der sogenannten „praktischen Wirksamkeit“ und des Vorrangs des Unionsrechts vor dem (nicht nur materiellen, sondern auch prozessualen) innerstaatlichen Recht des einzelnen Mitgliedstaats (im vorliegenden Fall vor Art. 99 Abs. 3 der Verwaltungsprozessordnung der Italienischen Republik)?

 Zur ersten Frage

21      Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 und Abs. 3 der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen ist, dass er nationalen Verfahrensvorschriften entgegensteht, die es gestatten, die Klage eines Bieters, der ein Interesse daran hat, einen bestimmten Auftrag zu erhalten, und der rügt, dass ihm durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht im Bereich öffentlicher Aufträge oder gegen die Vorschriften über dessen Umsetzung ein Schaden entstanden sei oder zu entstehen drohe, auf Ausschluss eines anderen Bieters für unzulässig zu erklären, nachdem die von diesen Vorschriften vorgesehene vorrangige Prüfung des vom anderen Bieter eingelegten Anschlussrechtsbehelfs vorgenommen wurde.

22      Das vorlegende Gericht möchte insbesondere in Erfahrung bringen, ob die vom Gerichtshof im Urteil Fastweb (C‑100/12, EU:C:2013:448) vorgenommene Auslegung von Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 auch in einem Fall anzuwenden ist, in dem alle der ursprünglich mehr als zwei am fraglichen Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen von der Vergabestelle ausgeschlossen wurden, ohne dass von anderen als den beiden am Ausgangsverfahren beteiligten Unternehmen Klage erhoben wurde.

23      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 und Abs. 3 der Richtlinie Verfahren zur Nachprüfung der Entscheidungen eines öffentlichen Auftraggebers, um als wirksam angesehen werden zu können, zumindest jeder Person zur Verfügung stehen müssen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.

24      In Rn. 33 des Urteils Fastweb (C‑100/12, EU:C:2013:448) hat der Gerichtshof die Auffassung geäußert, dass der Anschlussrechtsbehelf des Zuschlagsempfängers dann nicht zur Abweisung der Klage eines abgelehnten Bieters führen kann, wenn die Ordnungsmäßigkeit des Angebots jedes der Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen desselben Verfahrens in Frage gestellt wird, da sich in einem solchen Fall jeder Wettbewerber auf ein äquivalentes berechtigtes Interesse am Ausschluss des Angebots der jeweils anderen berufen kann, was zu der Feststellung führen kann, dass es dem öffentlichen Auftraggeber unmöglich ist, ein ordnungsgemäßes Angebot auszuwählen.

25      Der Gerichtshof hat daher in Rn. 34 dieses Urteils Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 dahin ausgelegt, dass diese Bestimmung es nicht gestattet, die Klage eines Bieters, dessen Angebot nicht angenommen wurde, nach der Vorabprüfung der im Rahmen des Anschlussrechtsbehelfs des Zuschlagsempfängers erhobenen Unzulässigkeitseinrede für unzulässig zu erklären, ohne dass darüber entschieden wird, ob die beiden in Rede stehenden Angebote den Spezifikationen in den Verdingungsunterlagen entsprechen.

26      Dieses Urteil stellt eine Konkretisierung der Anforderungen der in Rn. 23 des vorliegenden Urteils angeführten Bestimmungen des Unionsrechts unter Umständen dar, unter denen im Anschluss an ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags zwei Bieter Klagen erheben, mit denen der Ausschluss des jeweils anderen begehrt wird.

27      In einer solchen Situation hat jeder der beiden Bieter ein Interesse daran, einen bestimmten Auftrag zu erhalten. Zum einen kann nämlich der Ausschluss eines Bieters dazu führen, dass der andere den Auftrag unmittelbar im Rahmen desselben Verfahrens erhält. Zum anderen könnte im Fall eines Ausschlusses eines der beiden Bieter und der Einleitung eines neuen Vergabeverfahrens jeder von ihnen daran teilnehmen und auf diese Weise mittelbar den Auftrag erhalten.

28      Die in den Rn. 24 und 25 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Auslegung des Gerichtshofs im Urteil Fastweb (C‑100/12, EU:C:2013:448) ist in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens anwendbar. Zum einen hat nämlich jede der Streitparteien ein äquivalentes berechtigtes Interesse am Ausschluss des Angebots der anderen Wettbewerber. Zum anderen ist es, wie der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge ausführt, nicht ausgeschlossen, dass eine der Regelwidrigkeiten, die dem Ausschluss des Angebots sowohl des Zuschlagsempfängers als auch des Bieters, der die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers anficht, zugrunde lagen, auch die anderen im Rahmen der Ausschreibung abgegebenen Angebote erfasst; dann könnte der Auftraggeber gezwungen sein, ein neues Verfahren einzuleiten.

29      Die Zahl der Teilnehmer am Verfahren zur Vergabe des betreffenden öffentlichen Auftrags ist ebenso wie die Zahl der Teilnehmer, die Klagen erhoben haben, und die Unterschiedlichkeit der von ihnen geltend gemachten Gründe für die Anwendung des sich aus dem Urteil Fastweb (C‑100/12, EU:C:2013:448) ergebenden Rechtsgrundsatzes unerheblich.

30      Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 und Abs. 3 der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen ist, dass er nationalen Verfahrensvorschriften entgegensteht, die es gestatten, die Klage eines Bieters, der ein Interesse daran hat, einen bestimmten Auftrag zu erhalten, und der rügt, dass ihm durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht im Bereich öffentlicher Aufträge oder gegen die Vorschriften über dessen Umsetzung ein Schaden entstanden sei oder zu entstehen drohe, auf Ausschluss eines anderen Bieters für unzulässig zu erklären, nachdem die von diesen Vorschriften vorgesehene vorrangige Prüfung des vom anderen Bieter eingelegten Anschlussrechtsbehelfs vorgenommen wurde.

 Zur zweiten Frage

 Zum ersten Teil

31      Mit dem ersten Teil seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 267 AEUV dahin auszulegen ist, dass er der Auslegung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der eine Kammer eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts, die sich in Bezug auf eine Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Unionsrechts der durch eine Entscheidung des Plenums dieses Gerichts aufgestellten Leitlinie nicht anzuschließen vermag, diese Frage an das Plenum verweisen muss und somit daran gehindert ist, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.

32      Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, haben die nationalen Gerichte die umfassende Befugnis, ihn mit einer Frage nach der Auslegung der relevanten Bestimmungen des Unionsrechts zu befassen (vgl. in diesem Sinne Urteil Rheinmühlen-Düsseldorf, 166/73, EU:C:1974:3, Rn. 3), und aus dieser Befugnis wird für letztinstanzlich entscheidende Gerichte, vorbehaltlich der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten Ausnahmen, eine Pflicht (vgl. in diesem Sinne Urteil Cilfit u. a., 283/81, EU:C:1982:335, Rn. 21 und Tenor). Eine nationale Vorschrift kann ein nationales Gericht weder daran hindern, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteile Rheinmühlen-Düsseldorf, 166/73, EU:C:1974:3, Rn. 4, Melki und Abdeli, C‑188/10 und C‑189/10, EU:C:2010:363, Rn. 42, sowie Elchinov, C‑173/09, EU:C:2010:581, Rn. 27), noch daran, dieser Pflicht nachzukommen.

33      Sowohl diese Befugnis als auch diese Pflicht sind nämlich dem durch Art. 267 AEUV errichteten System der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof und den mit dieser Bestimmung den nationalen Gerichten zugewiesenen Aufgaben des zur Anwendung des Unionsrechts berufenen Richters inhärent.

34      Folglich ist ein mit einer Rechtssache befasstes nationales Gericht, wenn es der Auffassung ist, dass sich im Rahmen dieser Rechtssache eine Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Unionsrechts stellt, befugt oder verpflichtet, den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zu ersuchen, ohne dass diese Befugnis oder diese Pflicht durch nationale gesetzliche oder von der Rechtsprechung aufgestellte Regeln eingeschränkt werden könnte.

35      Im vorliegenden Fall kann eine Vorschrift des nationalen Rechts eine Kammer eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts, die sich mit einer Frage nach der Auslegung der Richtlinie 89/665 konfrontiert sieht, nicht daran hindern, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.

36      Nach alledem ist auf den ersten Teil der zweiten Frage zu antworten, dass Art. 267 AEUV dahin auszulegen ist, dass er der Auslegung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der eine Kammer eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts, die sich in Bezug auf eine Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Unionsrechts der durch eine Entscheidung des Plenums dieses Gerichts aufgestellten Leitlinie nicht anzuschließen vermag, diese Frage an das Plenum verweisen muss und somit daran gehindert ist, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.

 Zum zweiten und zum dritten Teil

37      Mit dem zweiten und dem dritten Teil der zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 267 AEUV dahin auszulegen ist, dass es, nachdem der Gerichtshof eine von ihm gestellte Frage nach der Auslegung des Unionsrechts beantwortet hat oder wenn aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits eine eindeutige Antwort auf die Frage hervorgeht, selbst alles Erforderliche tun muss, damit diese Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird.

38      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass ein Urteil des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren das nationale Gericht hinsichtlich der Auslegung oder der Gültigkeit der in Rede stehenden Rechtsakte der Unionsorgane bei der Entscheidung des Ausgangsverfahrens bindet (vgl. Urteil Elchinov, C‑173/09, EU:C:2010:581, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung). Mithin ist das nationale Gericht, das als letztinstanzlich entscheidendes Gericht seiner Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nachgekommen ist, für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens an die Auslegung der fraglichen Vorschriften durch den Gerichtshof gebunden und muss gegebenenfalls von der nationalen Rechtsprechung, die es für nicht unionsrechtskonform hält, abweichen (vgl. in diesem Sinne Urteil Elchinov, C‑173/09, EU:C:2010:581, Rn. 30).

39      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die praktische Wirksamkeit von Art. 267 AEUV geschmälert würde, wenn es dem nationalen Gericht verwehrt wäre, das Unionsrecht nach Maßgabe der Entscheidung oder der Rechtsprechung des Gerichtshofs unmittelbar anzuwenden (vgl. in diesem Sinne Urteil Simmenthal, 106/77, EU:C:1978:49, Rn. 20).

40      Das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, ist gehalten, für ihre volle Wirksamkeit zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende nationale Rechtsvorschrift aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Vorschrift auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl. erstmals Urteil Simmenthal, 106/77, EU:C:1978:49, Rn. 21 und 24, und zuletzt Urteil A, C‑112/13, EU:C:2014:2195, Rn. 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen wäre nämlich jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis unvereinbar, die dadurch zu einer Schwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem für dessen Anwendung zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um von innerstaatlichen Rechtsvorschriften abzuweichen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Unionsnormen bilden (vgl. Urteile Simmenthal, 106/77, EU:C:1978:49, Rn. 22, sowie A, C‑112/13, EU:C:2014:2195, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      In Anbetracht dessen ist auf den zweiten und den dritten Teil der zweiten Frage zu antworten, dass Art. 267 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine Kammer eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts, nachdem der Gerichtshof eine ihm von ihr gestellte Frage nach der Auslegung des Unionsrechts beantwortet hat oder wenn aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits eine eindeutige Antwort auf die Frage hervorgeht, selbst alles Erforderliche tun muss, damit diese Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird.

 Kosten

43      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 3 und Abs. 3 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Verfahrensvorschriften entgegensteht, die es gestatten, die Klage eines Bieters, der ein Interesse daran hat, einen bestimmten Auftrag zu erhalten, und der rügt, dass ihm durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht im Bereich öffentlicher Aufträge oder gegen die Vorschriften über dessen Umsetzung ein Schaden entstanden sei oder zu entstehen drohe, auf Ausschluss eines anderen Bieters für unzulässig zu erklären, nachdem die von diesen Vorschriften vorgesehene vorrangige Prüfung des vom anderen Bieter eingelegten Anschlussrechtsbehelfs vorgenommen wurde.

2.      Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Auslegung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der eine Kammer eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts, die sich in Bezug auf eine Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Unionsrechts der durch eine Entscheidung des Plenums dieses Gerichts aufgestellten Leitlinie nicht anzuschließen vermag, diese Frage an das Plenum verweisen muss und somit daran gehindert ist, den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung zu ersuchen.

3.      Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine Kammer eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union eine ihm von ihr gestellte Frage nach der Auslegung des Unionsrechts beantwortet hat oder wenn aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bereits eine eindeutige Antwort auf die Frage hervorgeht, selbst alles Erforderliche tun muss, damit diese Auslegung des Unionsrechts umgesetzt wird.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.