URTEIL DES GERICHTSHOFES
22. Juni 1999 (1)
„Richtlinie 89/104/EWG Markenrecht Verwechslungsgefahr Klangliche
Ähnlichkeit“
In der Rechtssache C-342/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG (früher Artikel 177) vom
Landgericht München I in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Lloyd Schuhfabrik Meyer & Co. GmbH
gegen
Klijsen Handel BV
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 5
Absatz 1 Buchstabe b der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21.
Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten und der Sechsten Kammer
P. J. G. Kapteyn in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten, der
Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet und P. Jann sowie der Richter G. F. Mancini,
J. C. Moitinho de Almeida, C. Gulmann (Berichterstatter), D. A. O. Edward,
L. Sevón und M. Wathelet,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: R. Grass
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Lloyd Schuhfabrik Meyer & Co. GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt
Jürgen Kroher, München,
der Klijsen Handel BV, vertreten durch Rechtsanwalt Wolfgang
A. Rehmann, München,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Berend
Jan Drijber, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, Beistand:
Rechtsanwalt Bertrand Wägenbaur, Hamburg und Brüssel,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Lloyd Schuhfabrik Meyer & Co.
GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt Jürgen Kroher, der Klijsen Handel BV,
vertreten durch Rechtsanwalt Wolfgang A. Rehmann, und der Kommission,
vertreten durch Karen Banks, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Beistand:
Rechtsanwalt Bertrand Wägenbaur, in der Sitzung vom 22. September 1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29.
Oktober 1998,
folgendes
Urteil
- 1.
- Das Landgericht München I hat mit Beschluß vom 11. September 1997, beim
Gerichtshof eingegangen am 1. Oktober 1997, gemäß Artikel 234 EG (früher
Artikel 177) vier Fragen nach der Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b
der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl.
1989, L 40, S. 1; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der deutschen Firma
Lloyd Schuhfabrik Meyer & Co. GmbH (im folgenden: Klägerin) und der
niederländischen Firma Klijsen Handel BV (im folgenden: Beklagte) über die
Verwendung der Marke Loint's für Schuhe im geschäftlichen Verkehr in
Deutschland durch die Beklagte.
- 3.
- Die Richtlinie, die in Deutschland durch das Gesetz über den Schutz von Marken
und sonstigen Kennzeichen vom 25. Oktober 1994 (BGBl. 1994 I S. 3082)
umgesetzt wurde, bestimmt in Artikel 5 unter der Überschrift „Rechte aus der
Marke“:
„(1) Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht.
Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine
Zustimmung im geschäftlichen Verkehr
...
b) ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit
des Zeichens mit der Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch
die Marke und das Zeichen erfaßten Waren oder Dienstleistungen für das
Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr
einschließt, daß das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung
gebracht wird.“
- 4.
- Eine im wesentlichen inhaltsgleiche Bestimmung findet sich in Artikel 4 Absatz 1
Buchstabe b der Richtlinie, die für die Zwecke des Verfahrens zur Eintragung einer
Marke weitere Eintragungshindernisse oder Ungültigkeitsgründe bei Kollision mit
älteren Rechten festlegt.
- 5.
- Die Klägerin stellt Schuhe her, die sie seit 1927 unter der Marke Lloyd vertreibt.
Sie ist Inhaberin verschiedener in Deutschland angemeldeter Wort-Bildmarken, die
alle mit dem Begriff Lloyd gebildet sind.
- 6.
- Die Beklagte stellt ebenfalls Schuhe her, die sie unter der Marke Loint's seit 1970
in den Niederlanden und seit 1991 in Deutschland vertreibt. Diese Schuhe werden
in Schuhgeschäften, die sich auf Komfortschuhe spezialisiert haben, abgesetzt; mehr
als 90 % der Verkäufe werden mit Damenschuhen erzielt. Die Beklagte ließ die
IR-Marke Loint's 1995 in den Beneluxstaaten eintragen und beantragte die
Schutzerstreckung auf Deutschland. Darüber hinaus ließ sie 1996 in den
Beneluxstaaten die Wort-Bildmarke Loint's eintragen, deren Schutz sich ebenfalls
auf Deutschland erstreckt.
- 7.
- Im Ausgangsverfahren beantragt die Klägerin u. a., der Beklagten zu verbieten, in
Deutschland im geschäftlichen Verkehr das Zeichen Loint's für Schuhe und
Schuhwaren zu benutzen, und gegenüber dem deutschen Patentamt in die
Schutzentziehung der deutschen Teile der Marke Loint's einzuwilligen. Sie trägt
hierzu vor, daß wegen der klanglichen Ähnlichkeit, wegen der Benutzung für
identische Produkte sowie wegen der besonderen Unterscheidungskraft der Marke
Lloyd als Folge des Fehlens eines beschreibenden Anklangs, des erhöhten
Bekanntheitsgrads dieser Marke und ihrer fast das gesamte Jahrhundert
umfassenden, gleichbleibenden, umfangreichen Benutzung die Gefahr einer
Verwechslung der Marke Loint's mit der Marke Lloyd bestehe.
- 8.
- Die Beklagte beantragt die Zurückweisung dieser Anträge, weil keinerlei
Verwechslungsgefahr zwischen den beiden Marken gegeben sei. Sie macht
insbesondere geltend, es sei nicht bewiesen, daß die Produkte der Klägerin einen
hohen Bekanntheitsgrad genössen. Außerdem wiesen diese Produkte keine
Berührungspunkte mit den ihren auf, da die Klägerin nicht nennenswert auf dem
Markt der Freizeitschuhe tätig sei, während die Beklagte ausschließlich derartige
Schuhe herstelle. Schließlich komme es auf dem Warensektor für Schuhe nicht auf
die klangliche Verwechslungsgefahr, sondern allein auf die Verwechslungsgefahr im
Hinblick auf das Schriftbild der Marke an.
- 9.
- Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, daß die Entscheidung des
Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung der Richtlinie abhänge; es hat u. a. darauf
hingewiesen, daß
die Bejahung einer Verwechslungsgefahr angesichts der bisherigen
deutschen Rechtsprechung wahrscheinlich sei. Es hat allerdings Zweifel, ob
diese Rechtsprechung unter der Geltung der Richtlinie noch
aufrechterhalten werden könne;
allerhöchstens eine klangliche Verwechslungsgefahr in Betracht komme;
nach einer im November 1995 durchgeführten Umfrage der
Bekanntheitsgrad der Marke Lloyd unter der Gesamtbevölkerung von 14 bis
64 Jahren mit 36 % festgestellt worden sei. Nach einer im April 1996
durchgeführten Umfrage hätten 10 % der Männer ab 14 Jahren in ihrer
Antwort auf die Frage „Welche Marken kennen Sie bei Herrenschuhen?“
die Marke Lloyd genannt;
zweifelhaft sei, ob eine durch eine Verkehrsbekanntheit von 36 % bei den
maßgeblichen Verkehrskreisen begründete, erhöhte Kennzeichnungskraft
auch unter dem Gesichtspunkt des gedanklichen Inverbindungbringens eine
Verwechslungsgefahr begründen könne. Insoweit sei von Bedeutung, daß bei
einer 1995 durchgeführten Umfrage 33 Schuhmarken einen
Bekanntheitsgrad von über 20 %, 13 einen Bekanntheitsgrad von 40 % und
mehr und 6 dieser Marken einen Wert von 70 % und mehr aufgewiesen
hätten;
vorliegend von identischen Waren auszugehen sei, da es sich bei der
Warenpalette beider Parteien um Schuhe handle und die aktuelle Tendenz
eher zu einer Ausdehnung als Verengung des Bereichs der unter einer
Marke vertriebenen Waren gehe;
auch wenn ähnliche Zeichen fast nie gleichzeitig von den Käufern von
Schuhen wahrgenommen würden, nicht der „gedankenlose Käufer“ bei der
Prüfung der Verwechslungsgefahr das Modell abgeben könne.
- 10.
- Angesichts dieser Feststellungen hat das Landgericht München I das Verfahren
ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Genügt es zur Gefahr der Verwechslung wegen Ähnlichkeit des Zeichens
mit der Marke und Identität der durch die Marke und das Zeichen erfaßten
Waren oder Dienstleistungen, wenn die Marke und das Zeichen jeweils nur
aus einer Silbe bestehen, klanglich am Anfang, so auch in der einzigen
Vokalkombination am Anfang identisch sind und der einzige
Endkonsonant der Marke im Zeichen ähnlich (t statt d) in einer
Konsonantengruppe aus drei Buchstaben einschließlich s wiederkehrt;
konkret: kollidieren die Bezeichnungen Lloyd und Loint's für Schuhwaren?
2. Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Wortlaut der
Richtlinie zu, wonach die Verwechslungsgefahr die Gefahr einschließt, daß
das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird?
3. Ist bei einer Bekanntheit von 10 % bei den maßgebenden Verkehrskreisen
bereits von einer besonderen Kennzeichnungskraft und deshalb von einem
erweiterten sachlichen Schutzumfang einer Kennzeichnung auszugehen?
Wäre dies bei einer Bekanntheit von 36 % der Fall?
Würde ein so erweiterter Schutzumfang zu einer anderen Beantwortung der
Frage 1 führen, wenn diese vom Gerichtshof verneint werden sollte?
4. Ist bereits deshalb bei einer Marke eine erhöhte Kennzeichnungskraft
anzunehmen, weil sie keine beschreibenden Elemente hat?
- 11.
- Nach der ständigen Rechtsprechung zu der Aufgabenverteilung nach Artikel 234
EG, an die der Generalanwalt in den Nummern 8 bis 13 seiner Schlußanträge
erinnert hat, ist die Aufgabe des Gerichtshofes darauf beschränkt, dem nationalen
Gericht die Auslegungskriterien anzugeben, die es zur Entscheidung des bei ihm
anhängigen Rechtsstreits benötigt, während es Sache des nationalen Gerichts ist,
diese Vorschriften, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt worden sind, auf den
anhängigen Fall anzuwenden (vgl. Urteil in der Rechtssache C-320/88, Shipping and
Forwarding Enterprise Safe, Slg. 1990, I-285, Randnr. 11). Demnach ist die
Entscheidung, ob bei den beiden Marken, um die es im Ausgangsverfahren geht,
eine Verwechslungsgefahr im Sinne der Richtlinie vorliegt, Sache des vorlegenden
Gerichts.
- 12.
- Somit möchte das vorlegende Gericht mit seinen Fragen, die gemeinsam zu prüfen
sind, vom Gerichtshof wissen,
welche Kriterien bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne von
Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie anzuwenden sind;
welche Bedeutung dem Wortlaut der Richtlinie zukommt, wonach die
Verwechslungsgefahr „die Gefahr der gedanklichen Verbindung“ mit der
älteren Marke einschließt; und
welche Wirkung bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr dem
Umstand zuzuerkennen ist, daß einer Marke eine hohe
Kennzeichnungskraft zukommt.
- 13.
- Das vorlegende Gericht wirft also die Frage auf, ob eine Verwechslungsgefahr
allein auf die klangliche Ähnlichkeit der betreffenden Marken gestützt sein könne,
und ob bereits der Umstand, daß eine Marke keine beschreibenden Elemente
aufweise, zur Folge habe, daß sie eine erhöhte Kennzeichnungskraft genieße.
- 14.
- Die Klägerin schlägt vor, die Vorlagefrage zu bejahen. Für die Beurteilung einer
besonderen Kennzeichnungskraft sei nicht schematisch auf prozentuale
Bekanntheitsgrade, die sich aus Umfragen ergeben könnten, abzustellen. Die
Anerkennung einer besonderen Kennzeichnungskraft hänge vielmehr von einer
qualitativen Bewertung aller Umstände, die die Bekanntheit einer Marke
ausmachten, einschließlich des Grades an originärer Kennzeichnungskraft, der
Dauer und des Umfangs ihrer Benutzung, der Gütevorstellungen, die die relevanten
Abnehmerkreise mit der Marke verbänden, sowie ihres Bekanntheitsgrads ab.
Außerdem besitze eine Marke ohne beschreibende Elemente von Haus aus höhere
Kennzeichnungskraft als Marken mit geringerer Unterscheidungskraft oder einem
hohen Freihaltebedürfnis, wobei für die Bestimmung der Verwechslungsgefahr die
Frage der Warenähnlichkeit eine gewichtige Rolle spiele.
- 15.
- Die Beklagte trägt vor, daß nicht allein auf die einzelne Vokalkombination, sondern
auf den Gesamteindruck der beiden Marken unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls, insbesondere des konkreten Aufeinandertreffens der
Marken im Markt abzustellen sei. Die beteiligten Verkehrskreise nähmen die
Marken optisch wahr, da Schuhe ausschließlich gekauft würden, nachdem sie
anprobiert worden seien. Eine Gefahr der Verwechslung durch einen umsichtigen
und kritisch prüfenden Verbraucher bestehe gerade aufgrund der konkreten
Situation beim Schuhkauf nicht. Für die Annahme einer besonderen
Kennzeichnungskraft könne nicht allein auf einen abstrakt festgelegten
Bekanntheitsgrad abgestellt werden. Vielmehr seien alle die jeweiligen Marken
konkret prägenden Umstände zu berücksichtigen. Allein aus dem Fehlen
beschreibender Elemente in einer Marke könne noch nicht auf eine erhöhte
Kennzeichnungskraft geschlossen werden.
- 16.
- Die Kommission ist der Ansicht, daß es nicht Sache des Gerichtshofes sei, darüber
zu befinden, ob die Bezeichnungen Lloyd und Loint's für Schuhwaren in klanglicher
Hinsicht hinreichend ähnlich seien, um eine Verwechslungsgefahr zu begründen.
Unter Bezugnahme auf das Urteil vom 11. November 1997 in der Rechtssache
C-251/95 (SABEL, Slg. 1997, I-6191, Randnrn. 22 und 23) führt die Kommission
aus, daß es für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr im Sinne von Artikel 5
Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie nicht nur auf die Frage einer Ähnlichkeit der
Marken in klanglicher Hinsicht ankomme. Außerdem macht sie geltend, daß die
Kennzeichnungskraft einer Marke nicht nur vom Maß ihrer Verkehrsgeltung
abhänge, sondern auch anhand der Frage zu beurteilen sei, ob und inwieweit ihre
Bestandteile beschreibender Natur seien und wenig verfremdende Phantasie
aufwiesen.
- 17.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes liegt eine Verwechslungsgefahr im
Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie dann vor, wenn die
Öffentlichkeit glauben könnte, daß die betreffenden Waren oder Dienstleistungen
aus demselben Unternehmen oder gegebenenfalls aus wirtschaftlich miteinander
verbundenen Unternehmen stammen (vgl. Urteile SABEL, Randnrn. 16 bis 18, und
vom 29. September 1998 in der Rechtssache C-39/97, Canon, Slg. 1998, I-5507,
Randnr. 29). Bereits aus dem Wortlaut des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b ergibt
sich, daß der Begriff der Gefahr der gedanklichen Verbindung keine Alternative
zum Begriff der Verwechslungsgefahr darstellt, sondern dessen Umfang genauer
bestimmen soll (vgl. Urteil SABEL, Randnrn. 18 und 19).
- 18.
- Nach der Rechtsprechung ist weiter das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für
die Öffentlichkeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend
zu beurteilen (vgl. Urteil SABEL, Randnr. 22).
- 19.
- Diese umfassende Beurteilung impliziert eine Wechselbeziehung zwischen den in
Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der
Ähnlichkeit der von ihnen erfaßten Waren oder Dienstleistungen. So kann ein
geringer Grad der Ähnlichkeit der erfaßten Waren oder Dienstleistungen durch
einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und
umgekehrt. Die Wechselbeziehung zwischen diesen Faktoren kommt auch in der
zehnten Begründungserwägung der Richtlinie zum Ausdruck, wonach es unbedingt
erforderlich ist, den Begriff der Ähnlichkeit im Hinblick auf die
Verwechslungsgefahr auszulegen, deren Beurteilung ihrerseits insbesondere vom
Bekanntheitsgrad der Marke auf dem Markt und dem Grad der Ähnlichkeit
zwischen der Marke und dem Zeichen und zwischen den damit gekennzeichneten
Waren oder Dienstleistungen abhängt (vgl. Urteil Canon, Randnr. 17).
- 20.
- Da außerdem die Verwechslungsgefahr um so größer ist, je höher sich die
Kennzeichnungskraft der älteren Marke darstellt (Urteil SABEL, Randnr. 24),
genießen Marken, die, von Haus aus oder wegen ihrer Bekanntheit auf dem Markt,
eine hohe Kennzeichnungskraft besitzen, einen umfassenderen Schutz als Marken,
deren Kennzeichnungskraft geringer ist (vgl. Urteil Canon, Randnr. 18).
- 21.
- Daher kann nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie trotz eines
geringen Grades der Ähnlichkeit zwischen den Marken eine Verwechslungsgefahr
gegeben sein, wenn die Ähnlichkeit zwischen den von ihnen erfaßten Waren oder
Dienstleistungen groß und die Kennzeichnungskraft der älteren Marke hoch ist (vgl.
Urteil Canon, Randnr. 19).
- 22.
- Um die Kennzeichnungskraft einer Marke zu bestimmen und folglich zu beurteilen,
ob sie eine erhöhte Kennzeichnungskraft besitzt, hat das vorlegende Gericht
umfassend zu prüfen, ob die Marke geeignet ist, die Waren oder Dienstleistungen,
für die sie eingetragen worden ist, als von einem bestimmten Unternehmen
stammend zu kennzeichnen und damit diese Waren oder Dienstleistungen von
denen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. Urteil vom 4. Mai 1999 in den
Rechtssachen C-108/97 und C-109/97, Windsurfing Chiemsee, Slg. 1999, I-0000,
Randnr. 49).
- 23.
- Bei dieser Beurteilung sind insbesondere die Eigenschaften zu berücksichtigen, die
die Marke von Haus aus besitzt, einschließlich des Umstands, ob sie beschreibende
Elemente in bezug auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen
worden ist, aufweist, des von der Marke gehaltenen Marktanteils, der Intensität, der
geographischen Verbreitung und der Dauer der Benutzung dieser Marke, des
Werbeaufwands des Unternehmens für die Marke, des Teils der beteiligten
Verkehrskreise, der die Waren oder Dienstleistungen aufgrund der Marke als von
einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt, sowie der Erklärungen von
Industrie- und Handelskammern oder von anderen Berufsverbänden (vgl. Urteil
Windsurfing Chiemsee, Randnr. 51).
- 24.
- Demnach kann nicht allgemein, beispielsweise durch Rückgriff auf bestimmte
Prozentsätze in bezug auf den Bekanntheitsgrad der Marke bei den beteiligten
Verkehrskreisen, angegeben werden, wann eine Marke eine hohe
Kennzeichnungskraft besitzt (vgl. Urteil Windsurfing Chiemsee, Randnr. 52).
- 25.
- Ferner ist bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr hinsichtlich
der Ähnlichkeit der betreffenden Marken im Bild, im Klang oder in der Bedeutung
auf den Gesamteindruck abzustellen, den die Marken hervorrufen, wobei
insbesondere die sie unterscheidenden und dominierenden Elemente zu
berücksichtigen sind. Aus dem Wortlaut des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b der
Richtlinie, wonach „für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht“,
geht nämlich hervor, daß es für die umfassende Beurteilung der
Verwechslungsgefahr entscheidend darauf ankommt, wie die Marke auf den
Durchschnittsverbraucher dieser Art von Waren oder Dienstleistungen wirkt. Der
Durchschnittsverbraucher nimmt eine Marke aber regelmäßig als Ganzes wahr und
achtet nicht auf die verschiedenen Einzelheiten (vgl. Urteil SABEL, Randnr. 23).
- 26.
- Bei dieser umfassenden Beurteilung ist auf einen durchschnittlich informierten,
aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der betreffenden
Warenart abzustellen (vgl. Urteil vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C-210/96,
Gut Springenheide und Tusky, Slg. 1998, I-4657, Randnr. 31). Allerdings ist zu
berücksichtigen, daß sich dem Durchschnittsverbraucher nur selten die Möglichkeit
bietet, verschiedene Marken unmittelbar miteinander zu vergleichen, sondern daß
er sich auf das unvollkommene Bild verlassen muß, das er von ihnen im Gedächtnis
behalten hat. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die Aufmerksamkeit des
Durchschnittsverbrauchers je nach Art der betreffenden Waren oder
Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein kann.
- 27.
- Um zu beurteilen, wie weit die Ähnlichkeit zwischen den betreffenden Marken
geht, muß das vorlegende Gericht den Grad ihrer Ähnlichkeit im Bild, im Klang
und in der Bedeutung bestimmen sowie gegebenenfalls unter Berücksichtigung der
Art der betreffenden Waren oder Dienstleistungen und der Bedingungen, unter
denen sie vertrieben werden, bewerten, welche Bedeutung diesen einzelnen
Elementen beizumessen ist.
- 28.
- Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, daß sich nicht
ausschließen läßt, daß allein die klangliche Ähnlichkeit der Marken eine
Verwechslungsgefahr im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie
hervorrufen kann. Je größer die Ähnlichkeit der erfaßten Waren oder
Dienstleistungen und je höher die Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist, um
so größer ist die Verwechslungsgefahr. Um die Kennzeichnungskraft einer Marke
zu bestimmen und folglich zu beurteilen, ob sie eine erhöhte Kennzeichnungskraft
besitzt, ist die Eignung der Marke zu prüfen, die Waren oder Dienstleistungen, für
die sie eingetragen worden ist, als von einem bestimmten Unternehmen stammend
zu kennzeichnen und sie damit von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden.
Bei dieser Beurteilung sind sämtliche maßgebenden Faktoren und insbesondere die
Eigenschaften zu berücksichtigen, die die Marke von Haus aus besitzt,
einschließlich des Umstands, ob sie beschreibende Elemente in bezug auf die
Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen worden ist, aufweist. Es kann
nicht allgemein, beispielsweise durch Rückgriff auf bestimmte Prozentsätze in bezug
auf den Bekanntheitsgrad der Marke bei den beteiligten Verkehrskreisen,
angegeben werden, wann eine Marke eine hohe Kennzeichnungskraft besitzt.
Kosten
- 29.
- Die Auslagen der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben
hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das
Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Landgericht München I mit Beschluß vom 11. September 1997
vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Es läßt sich nicht ausschließen, daß allein die klangliche Ähnlichkeit der Marken
eine Verwechslungsgefahr im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Ersten
Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken hervorrufen kann. Je
größer die Ähnlichkeit der erfaßten Waren oder Dienstleistungen und je höher die
Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist, um so größer ist die
Verwechslungsgefahr. Um die Kennzeichnungskraft einer Marke zu bestimmen und
folglich zu beurteilen, ob sie eine erhöhte Kennzeichnungskraft besitzt, ist die
Eignung der Marke zu prüfen, die Waren oder Dienstleistungen, für die sie
eingetragen worden ist, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu
kennzeichnen und sie damit von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Bei
dieser Beurteilung sind sämtliche maßgebenden Faktoren und insbesondere die
Eigenschaften zu berücksichtigen, die die Marke von Haus aus besitzt,
einschließlich des Umstands, ob sie beschreibende Elemente in bezug auf die
Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen worden ist, aufweist. Es kann
nicht allgemein, beispielsweise durch Rückgriff auf bestimmte Prozentsätze in
bezug auf den Bekanntheitsgrad der Marke bei den beteiligten Verkehrskreisen,
angegeben werden, wann eine Marke eine hohe Kennzeichnungskraft besitzt.
KapteynPuissochet
Jann
Mancini Moitinho de Almeida
Gulmann
Edward Sevón
Wathelet
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 22. Juni 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias