URTEIL DES GERICHTSHOFES

23. September 2003(1)

„Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Angehöriger eines Drittstaats, der mit einem Angehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist - Ehegatte, der in diesem Mitgliedstaat mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot belegt ist - Vorübergehende Niederlassung des Ehepaars in einem anderen Mitgliedstaat - Niederlassung in der Absicht, dem Ehegatten nach Gemeinschaftsrecht einen Anspruch zu verschaffen, in den ersten Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten - Missbrauch“

In der Rechtssache C-109/01

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Immigration Appeal Tribunal (Vereinigtes Königreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Secretary of State for the Home Department

gegen

Hacene Akrich

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts eines Drittstaatsangehörigen, der mit einem Angehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist,

erlässt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet, M. Wathelet, R. Schintgen und C. W. A. Timmermans, der Richter D. A. O. Edward, A. La Pergola und P. Jann, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric (Berichterstatterin) sowie des Richters S. von Bahr,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed,


Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

-    von Herrn Akrich, vertreten durch T. Eicke, Barrister, beauftragt durch D. Flynn, Joint Council for the Welfare of Immigrants, und D. Betts, Solicitor,

-    der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins als Bevollmächtigten im Beistand von E. Sharpston, QC, und T. R. Tam, Barrister,

-    der griechischen Regierung, vertreten durch I. Galani-Maragkoudaki und S. Vodina als Bevollmächtigte,

-    der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. O'Reilly als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn Akrich, vertreten durch T. Eicke, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins im Beistand von E. Sharpston, der griechischen Regierung, vertreten durch I. Galani-Maragkoudaki und E.-M. Mamouna als Bevollmächtigte, und der Kommission, vertreten durch C. O'Reilly, in der Sitzung vom 5. November 2002,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Februar 2003

folgendes

Urteil

1.
    Das Immigration Appeal Tribunal hat mit Beschluss vom 3. Oktober 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 7. März 2001, gemäß Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der Freizügigkeit und des Aufenthaltsrechts eines Drittstaatsangehörigen, der mit einem Angehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.
    Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Secretary of State for the Home Department (nachfolgend: Secretary of State) und Herrn Akrich, einem marokkanischen Staatsangehörigen, über dessen Recht, in das Vereinigte Königreich einzureisen und sich dort aufzuhalten.

Rechtlicher Rahmen

Das Gemeinschaftsrecht

3.
    In Artikel 39 Absätze 1 bis 3 EG heißt es:

„(1)    Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

(2)    Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

(3)    Sie gibt - vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen - den Arbeitnehmern das Recht,

...

b)    sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;

...“

4.
    Die Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, Nr. 56, S. 850), sieht in ihren Artikeln 1, 2 und 3 Absätze 1 und 2 Folgendes vor:

„Artikel 1

(1)    Diese Richtlinie gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft aufhalten oder sich dorthin begeben, um eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben oder um Dienstleistungen entgegenzunehmen.

(2)    Diese Bestimmungen gelten auch für den Ehegatten und die Familienmitglieder, welche die Bedingungen der aufgrund des Vertrages auf diesem Gebiet erlassenen Verordnungen und Richtlinien erfüllen.

Artikel 2

(1)     Diese Richtlinie betrifft die Vorschriften für die Einreise, die Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet, welche die Mitgliedstaaten aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen.

(2)     Diese Gründe dürfen nicht für wirtschaftliche Zwecke geltend gemacht werden.

Artikel 3

(1)     Bei Maßnahmen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit darf ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen ausschlaggebend sein.

(2)     Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen.“

5.
    Artikel 10 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) bestimmt:

„(1)    Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:

a)     sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;

b)     seine Verwandten und die Verwandten seines Ehegatten in aufsteigender Linie, denen er Unterhalt gewährt.

...

(3)    Voraussetzung für die Anwendung der Absätze 1 und 2 ist, dass der Arbeitnehmer für seine Familie über eine Wohnung verfügt, die in dem Gebiet, in dem er beschäftigt ist, den für die inländischen Arbeitnehmer geltenden normalen Anforderungen entspricht; diese Bestimmung darf nicht zu Diskriminierungen zwischen den inländischen Arbeitnehmern und den Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten führen.“

6.
    Zeitgleich mit der Verordnung Nr. 1612/68 erließ der Gemeinschaftsgesetzgeber die Richtlinie 68/360/EWG des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 13). Diese Richtlinie bezweckt nach ihrer ersten Begründungserwägung den Erlass von Maßnahmen, die den Rechten und Befugnissen entsprechen, die Staatsangehörigen der einzelnen Mitgliedstaaten, die zur Ausübung einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis zuwandern, und ihren Familienangehörigen in der Verordnung Nr. 1612/68 zuerkannt werden. Nach der zweiten Begründungserwägung der genannten Richtlinie soll die Lage der Arbeitnehmer der anderen Mitgliedstaaten und ihrer Familienangehörigen durch die Regelung über den Aufenthalt so weit wie möglich an die der eigenen Staatsangehörigen angeglichen werden.

7.
    Artikel 1 der Richtlinie 68/360 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten beseitigen nach Maßgabe dieser Richtlinie die Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen, auf die die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 Anwendung findet.“

8.
    Artikel 3 der Richtlinie 68/360 lautet:

„(1)    Die Mitgliedstaaten gestatten den in Artikel 1 genannten Personen bei Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses die Einreise in ihr Hoheitsgebiet.

(2)    Für die Einreise darf weder ein Sichtvermerk noch ein gleichartiger Nachweis verlangt werden; dies gilt jedoch nicht für die Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen. Die Mitgliedstaaten gewähren den genannten Personen zur Erlangung der erforderlichen Sichtvermerke alle Erleichterungen.“

9.
    Artikel 4 der Richtlinie 68/360 bestimmt:

„(1)     Die Mitgliedstaaten gewähren den in Artikel 1 genannten Personen, welche die in Absatz 3 aufgeführten Unterlagen vorlegen, das Aufenthaltsrecht in ihrem Hoheitsgebiet.

(2)     Zum Nachweis des Aufenthaltsrechts wird eine Bescheinigung, die .Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG‘, erteilt. In dieser Bescheinigung muss vermerkt sein, dass sie aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und der von den Mitgliedstaaten gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften ausgestellt worden ist. Der Text dieses Vermerks ist in der Anlage dieser Richtlinie wiedergegeben.

(3)     Die Mitgliedstaaten dürfen für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG nur die Vorlage nachstehender Unterlagen verlangen:

-    vom Arbeitnehmer:

    a)    den Ausweis, mit dem er in ihr Hoheitsgebiet eingereist ist;

    b)    eine Einstellungserklärung des Arbeitgebers oder eine Arbeitsbescheinigung;

-    von den Familienangehörigen:

    c)    den Ausweis, mit dem sie in ihr Hoheitsgebiet eingereist sind;

    d)    eine von der zuständigen Behörde ihres Herkunftsstaats ausgestellte Bescheinigung, in der das Verwandtschaftsverhältnis bestätigt ist;

    e)    in den Fällen des Artikels 10 Absätze 1 und 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 eine von der zuständigen Behörde des Herkunftsstaats ausgestellte Bescheinigung, in der bestätigt wird, dass ihnen der Arbeitnehmer Unterhalt gewährt oder dass sie in diesem Land bei dem Arbeitnehmer leben.

(4)    Einem Familienmitglied, das nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, wird ein Aufenthaltsdokument mit der gleichen Gültigkeit ausgestellt wie dem Arbeitnehmer, von dem es seine Rechte herleitet.“

10.
    Selbständige und ihre Familienangehörigen fallen unter die Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs (ABl. L 172, S. 14).

Das nationale Recht

Allgemeines

11.
    Das Zuwanderungsrecht des Vereinigten Königreichs besteht im Wesentlichen aus dem Immigration Act (Zuwanderungsgesetz) 1971 und den United Kingdom Immigration Rules (House of Commons Paper 395) (1994 vom britischen Parlament erlassene Zuwanderungsbestimmungen), die seither mehrfach geändert wurden (nachfolgend: Immigration Rules).

12.
    Nach den Sections 1(2) und 3(1) des Immigration Act 1971 darf, wer nicht britischer Staatsbürger ist, grundsätzlich nur dann in das Vereinigte Königreich einreisen oder sich dort aufhalten, wenn er eine Genehmigung hierfür erhalten hat. Die entsprechenden Titel werden als „Einreisegenehmigung“ („leave to enter“) und „Aufenthaltsgenehmigung“ („leave to remain“) bezeichnet.

13.
    Nach Paragraph 24 der Immigration Rules benötigen die Staatsangehörigen mancher Länder wie z. B. Marokko eine Bescheinigung zur Einreise („entry clearance“) vor der Ankunft im Vereinigten Königreich. Eine Bescheinigung zur Einreise gleicht einem Sichtvermerk. Personen, die einen Sichtvermerk benötigen, wird sie in Form eines solchen erteilt.

14.
    Nach Section 7(1) des Immigration Act 1988 benötigt keine Genehmigung für die Einreise in das Vereinigte Königreich oder den Aufenthalt dort, „wer dazu aufgrund eines durchsetzbaren gemeinschaftsrechtlichen Anspruchs berechtigt ist“.

Ermessen des Secretary of State

15.
    Der Secretary of State verfügt über ein Ermessen, Personen auch dann zu gestatten, in das Vereinigte Königreich einzureisen oder sich dort aufzuhalten, wenn sie nicht die Voraussetzungen nach den ausländerrechtlichen Sonderbestimmungen erfüllen.

Ausweisung

16.
    Nach den Sections 3(5) und 3(6) des Immigration Act 1971 kann, wer nicht britischer Staatsbürger ist, aus dem Vereinigten Königreich u. a. dann ausgewiesen werden („deportation“), wenn er wegen einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Straftat verurteilt und seine Ausweisung von einem Strafgericht befürwortet wurde.

17.
    Eine Ausweisungsverfügung bewirkt, wenn sie vom Secretary of State unterzeichnet wurde, nach Section 5(1) des Immigration Act 1971, dass der Betroffene das Vereinigte Königreich zu verlassen hat, dass er nicht in das Vereinigte Königreich einreisen darf und dass eine ihm etwa erteilte Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigung ihre Gültigkeit unabhängig davon verliert, ob sie vor oder nach Unterzeichnung der Verfügung erteilt wurde. Die Ausweisungsverfügungen stellen ein Mittel zur Abschiebung von Personen aus dem Vereinigten Königreich dar.

18.
    Wird eine Einreisegenehmigung für das Vereinigte Königreich beantragt, obwohl gegen den Antragsteller eine Ausweisungsverfügung vorliegt, so muss die Einreisegenehmigung versagt werden (Paragraph 320[2] der Immigration Rules), selbst wenn der Antragsteller im Übrigen die Voraussetzungen für eine Einreise erfüllen würde. Wer in das Vereinigte Königreich einreist, obwohl eine Ausweisungsverfügung gegen ihn vorliegt, ist eine rechtswidrig eingereiste Person (Section 33[1] des Immigration Act 1971). Er kann als solche gemäß Section 4(2)(c) und Paragraph 9 des Anhangs 2 des Immigration Act 1971 aus dem Vereinigten Königreich abgeschoben werden.

19.
    Ausweisungsverfügungen gelten unbefristet. Nach Section 5(2) des Immigration Act 1971 kann der Secretary of State jedoch eine Ausweisungsverfügung jederzeit widerrufen. Gemäß Paragraph 390 der Immigration Rules sind bei der Prüfung eines Antrags auf Widerruf einer Ausweisungsverfügung sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, die die Gründe für den Erlass der Ausweisungsverfügung, das für den Widerruf geltend gemachte Vorbringen, das Allgemeininteresse einschließlich der Aufrechterhaltung einer wirksamen Einreisekontrolle und das Interesse des Antragstellers einschließlich humanitärer Gesichtspunkte umfassen. Ehe- und familienbezogene Gesichtspunkte werden in der Regel im Rahmen der humanitären Gesichtspunkte berücksichtigt.

20.
    Nach Paragraph 391 der Immigration Rules wird eine Ausweisungsverfügung in der Regel nur widerrufen, wenn eine wesentliche Änderung der Umstände eingetreten ist oder der Widerruf angesichts der verstrichenen Zeit gerechtfertigt erscheint. Sofern keine ganz außergewöhnlichen Umstände vorliegen, wird eine Ausweisungsverfügung jedoch nicht widerrufen, es sei denn, die betroffene Person hat sich seit dem Erlass der Verfügung mindestens drei Jahre lang außerhalb des Vereinigten Königreichs aufgehalten.

21.
    Paragraph 392 der Immigration Rules stellt klar, dass der Widerruf der Ausweisungsverfügung als solcher die betroffene Person noch nicht zur Einreise in das Vereinigte Königreich berechtigt. Er ermöglicht ihr nur die Stellung eines Antrags auf Einreise in das Vereinigte Königreich gemäß den Immigration Rules oder anderen ausländerrechtlichen Bestimmungen.

Heirat mit einem britischen Staatsbürger oder einem Angehörigen eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)

22.
    Wessen Einreise in das Vereinigte Königreich von der Erteilung einer Einreisegenehmigung abhängt, kann diese Genehmigung unter Hinweis darauf beantragen, dass er mit einer Person - unter Einschluss von Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs - verheiratet ist, die im Vereinigten Königreich lebt und dort auf Dauer Wohnsitz genommen hat. Die Voraussetzungen für die Erteilung dieser Genehmigung werden in Paragraph 281 der Immigration Rules aufgezählt. Unter anderem ist nach Ziffer vi dieser Vorschrift erforderlich, dass der Antragsteller eine gültige Bescheinigung zur Einreise besitzt, die ihm die Einreise in das Vereinigte Königreich in seiner Eigenschaft als Ehegatte gestattet.

23.
    Wer den in Paragraph 281 der Immigration Rules genannten Voraussetzungen genügt, kann eine Bescheinigung zur Einreise erhalten und nach deren Erteilung eine Einreisegenehmigung bei seiner Ankunft am Grenzübergang zum Vereinigten Königreich beantragen. Nach Paragraph 282 der Immigration Rules kann, wer eine Einreisegenehmigung für das Vereinigte Königreich in seiner Eigenschaft als Ehegatte einer dort lebenden und auf Dauer wohnhaften Person anstrebt, eine anfängliche, höchstens zwölf Monate gültige Einreisegenehmigung erhalten, wenn er über eine solche Bescheinigung zur Einreise verfügt.

24.
    Beantragt jedoch eine Person, gegen die eine Ausweisungsverfügung vorliegt, die Einreise in das Vereinigte Königreich in ihrer Eigenschaft als Ehegatte einer dort lebenden und auf Dauer wohnhaften Person, so werden ihr, auch wenn sie im Übrigen die Voraussetzungen für eine Einreise als Ehegatte erfüllen würde, nach Paragraph 320(2) und Paragraph 321(3) der Immigration Rules die Bescheinigung zur Einreise und, sofern beantragt, die Einreisegenehmigung versagt. Eine solche Person muss erst den Widerruf der Ausweisungsverfügung erwirken, bevor sie eine Bescheinigung oder Genehmigung zur Einreise in das Vereinigte Königreich erhalten kann. Sie kann den Widerruf der Ausweisungsverfügung entweder vor oder zeitgleich mit der Bescheinigung zur Einreise beantragen.

25.
    Das Zuwanderungsrecht des Vereinigten Königreichs enthielt zunächst keine besondere Bestimmung für die Fallgestaltung, mit der sich der Gerichtshof in seinem Urteil vom 7. Juli 1992 in der Rechtssache C-370/90 (Singh, Slg. 1992, I-4265) befasst hat und bei der es um die Einreise einer Person in das Vereinigte Königreich ging, die normalerweise eine Einreisegenehmigung benötigen würde und als Ehegatte eines Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs einreisen will, der dorthin zurückkehrt oder zurückkehren möchte, nachdem er seine gemeinschaftsrechtlichen Rechte als Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat wahrgenommen hat.

26.
    Im Licht des Urteils Singh besaß eine entsprechende Person aber einen „durchsetzbaren gemeinschaftsrechtlichen Anspruch“ im Sinne von Section 7(1) des Immigration Act 1988 und Section 2 des European Communities Act (Gesetz über die Europäischen Gemeinschaften) 1972 und benötigte als solche keine Einreisegenehmigung für das Vereinigte Königreich.

27.
    In der Praxis benötigte eine solche Person, wenn sie eine „Person, die einer Bescheinigung zur Einreise bedarf“, war, diese Bescheinigung, um in das Vereinigte Königreich einreisen zu dürfen. Sie wurde ihr normalerweise erteilt, konnte ihr aber aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit versagt werden. Erhielt sie die Bescheinigung, war sie damit bei ihrer Ankunft im Vereinigten Königreich unter denselben Voraussetzungen wie ein Familienangehöriger eines Angehörigen eines EWR-Mitgliedstaats mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs zu Einreise und Aufenthalt berechtigt (Artikel 3[2] und [3] der Immigration [European Economic Area] Order [Verordnung über die Zuwanderung - Europäischer Wirtschaftsraum] 1994).

28.
    Nach Artikel 11 Absatz 1 der EEA Regulations (Verordnung über die Zuwanderung [Europäischer Wirtschaftsraum]) 2000 gilt diese Verordnung für einen „Familienangehörigen“ eines Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs, als ob er ein Familienangehöriger eines „EWR-Staatsangehörigen“ wäre, wenn die in Artikel 11 Absatz 2 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Voraussetzungen sind folgende:

-    Der Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs hat sich, nachdem er das Vereinigte Königreich verlassen hat, in einem Mitgliedstaat des EWR aufgehalten und war dort entweder als Arbeitnehmer (nicht nur vorübergehend oder gelegentlich) beschäftigt oder hat sich dort als Selbständiger niedergelassen;

-    der Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs hat das Vereinigte Königreich nicht verlassen, um es einem Familienangehörigen zu ermöglichen, Ansprüche nach dieser Verordnung zu erwerben und so das Zuwanderungsrecht des Vereinigten Königreichs zu umgehen;

-    der Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs wäre bei seiner Rückkehr in das Vereinigte Königreich, wenn er ein EWR-Staatsangehöriger wäre, zum Aufenthalt im Vereinigten Königreich berechtigt („qualified person“), und

-    falls es sich bei dem Familienangehörigen des Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs um seinen Ehegatten handelt: Die Ehe ist in einem EWR-Mitgliedstaat geschlossen worden, und die Beteiligten haben in einem EWR-Mitgliedstaat zusammengelebt, bevor der Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs in das Vereinigte Königreich zurückkehrt.

Der Ausgangsrechtsstreit

29.
    Im Februar 1989 wurde Herrn Akrich, einem 1967 geborenen marokkanischen Staatsbürger, die Einreise in das Vereinigte Königreich als Besucher für die Dauer eines Monats gestattet. Er beantragte eine Aufenthaltsgenehmigung als Student, die ihm aber im Juli 1989 versagt wurde; ein daraufhin eingelegter Rechtsbehelf wurde im August 1990 zurückgewiesen.

30.
    Im Juni 1990 wurde er wegen versuchten Diebstahls und Benutzung eines gestohlenen Ausweispapiers verurteilt. Am 2. Januar 1991 wurde er auf der Grundlage einer Ausweisungsverfügung des Secretary of State nach Algerien abgeschoben.

31.
    Im Januar 1992 kehrte er in das Vereinigte Königreich zurück, wobei er einen gefälschten französischen Personalausweis benutzte. Er wurde festgenommen und im Juni 1992 erneut abgeschoben. Nach einem Aufenthalt außerhalb des Vereinigten Königreichs von weniger als einem Monat reiste er heimlich wieder dorthin ein.

32.
    Während seines unerlaubten Aufenthalts im Vereinigten Königreich heiratete er am 8. August 1996 die britische Staatsbürgerin Helina Jazdzewska und beantragte am Ende desselben Monats eine Aufenthaltsgenehmigung als Ehegatte eines Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs.

33.
    Anfang 1997 wurde er nach dem Immigration Act 1971 in Haft genommen und später, im August 1997, gemäß seinem Wunsch nach Dublin (Irland) abgeschoben, wo seine Ehefrau seit Juni 1997 wohnte.

34.
    Im Januar 1998 beantragte er den Widerruf der Ausweisungsverfügung und einen Monat später eine Bescheinigung zur Einreise als Ehegatte einer im Vereinigten Königreich wohnhaften Person.

35.
    Anlässlich dieses Antrags wurden Herr und Frau Akrich von einem Beamten der Botschaft des Vereinigten Königreichs in Dublin zu ihrem Aufenthalt in Irland und ihren Absichten befragt. Es wurde zum einen festgestellt, dass Frau Akrich ab August 1997 in Dublin gearbeitet hatte, wobei sie ab Januar 1998 und befristet bis Mai oder Juni 1998, jedoch mit Verlängerungsmöglichkeit, vollzeitbeschäftigt war. Herr Akrich war über eine Agentur in der Gastronomie beschäftigt, wobei er jede verfügbare Arbeit angenommen hatte. Nachdem der Bruder von Frau Akrich ihnen für den Fall einer Rückkehr in das Vereinigte Königreich eine Unterkunft dort angeboten hatte, wurde ihr eine Beschäftigung im Vereinigten Königreich ab August 1998 angeboten.

36.
    Zum anderen ergab sich aus dieser Anhörung, dass Herr und Frau Akrich eine Bescheinigung zur Einreise auf der Grundlage des Urteils Singh begehrten. So gab Frau Akrich auf eine Frage an, dass sie und ihr Ehegatte beabsichtigten, in das Vereinigte Königreich zurückzukehren, da sie „von gemeinschaftsrechtlichen Rechten gehört hatten, wonach man nach einem Verbleib von sechs Monaten in das Vereinigte Königreich zurückkehren kann“. Als Quelle dieser Information nannte sie „Solicitors und andere in derselben Situation“.

37.
    Am 21. September 1998 lehnte der Secretary of State einen Widerruf der Ausweisungsverfügung ab. Gemäß seinen Weisungen wurde am 29. September 1998 auch die auf der Grundlage des Urteils Singh beantragte Bescheinigung zur Einreise versagt. Der Secretary of State war der Ansicht, dass der Wegzug des Ehepaars Akrich nach Irland nur zu einer vorübergehenden Abwesenheit geführt habe und in der Absicht erfolgt sei, Herrn Akrich bei seiner Rückkehr in das Vereinigte Königreich ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen und damit die nationalen Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs zu umgehen, und dass Frau Akrich deshalb nicht wirklich von ihren im EG-Vertrag verbrieften Rechten als Arbeitnehmerin in einem anderen Mitgliedstaat Gebrauch gemacht habe.

38.
    Im Oktober 1998 erhob Herr Akrich gegen diese beiden Entscheidungen Klage beim Immigration Adjudicator (Vereinigtes Königreich), der ihr im November 1999 stattgab.

39.
    Der Immigration Adjudicator stellte u. a. als erwiesen fest, dass die Eheleute Akrich in der Absicht nach Irland gezogen seien, im Anschluss daran gemeinschaftsrechtliche Rechte auszuüben, die ihnen die Rückkehr ins Vereinigte Königreich gestatten sollten; gleichwohl habe in rechtlicher Hinsicht Frau Akrich vom Gemeinschaftsrecht verliehene Rechte tatsächlich ausgeübt, woran auch die Absichten des Ehepaars nichts änderten, und die Eheleute hätten sich deshalb nicht zur Umgehung der nationalen Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs auf Gemeinschaftsrecht berufen. Ferner stelle Herr Akrich keine tatsächliche und hinreichend ernste Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die eine Aufrechterhaltung der Ausweisungsverfügung rechtfertigen würde.

40.
    Der Secretary of State legte beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ein.

Der Vorlagebeschluss und die Vorabentscheidungsfragen

41.
    In seinem Vorlagebeschluss weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der Gerichtshof in Randnummer 24 des Urteils Singh folgenden Vorbehalt formuliert habe:

„Hinsichtlich der vom Vereinigten Königreich angeführten Gefahr der Gesetzesumgehung genügt der Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. insbesondere Urteile vom 7. Februar 1979 in der Rechtssache 115/78, Knoors, Slg. 1979, 399, Randnr. 25, und vom 3. Oktober 1990 in der Rechtssache C-61/89, Bouchoucha, Slg. 1990, I-3551, Randnr. 14), wonach es nicht Folge der mit dem EWG-Vertrag geschaffenen Vergünstigungen sein kann, dass die Begünstigten sich den nationalen Rechtsvorschriften missbräuchlich entziehen dürfen und dass es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um einen derartigen Missbrauch zu verhindern.“

42.
    Das vorlegende Gericht fragt sich, ob der Immigration Adjudicator diesen Vorbehalt richtig angewandt hat, als er sich der Ansicht von Herrn Akrich anschloss, dass jede Maßnahme, die ein Mitgliedstaat zur Missbrauchsverhütung ergreife, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein müsse.

43.
    Nach Ansicht des Secretary of State ist der Vorbehalt auf beiden Stufen der Argumentation von Herrn Akrich zu berücksichtigen, so dass sich ohne angemessene Berücksichtigung des Umstands, dass die vermeintliche Ausübung gemeinschaftsrechtlicher Rechte gerade dem Zweck gedient habe, der normalen Anwendung des Zuwanderungsrechts des Vereinigten Königreichs zu entgehen, weder feststellen lasse, ob den Eheleuten Akrich Rechte als „Arbeitnehmer“ zuständen, noch, ob die Reichweite der Ausnahme aus Gründen der „öffentlichen Ordnung“ den Ausschluss des Ehegatten eines „Arbeitnehmers“ aus einem Mitgliedstaat zulasse.

44.
    Das vorlegende Gericht sieht hierin eine Frage, die im Urteil Singh nicht klar beantwortet worden sei, so dass es angebracht sei, den Gerichtshof um weitere Orientierungshilfen zu ersuchen.

45.
    Vor diesem Hintergrund hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Zieht ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der mit einem Drittstaatsangehörigen verheiratet ist, der nach nationalem Recht nicht zur Einreise oder zum Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat berechtigt ist, mit dem ausländischen Ehegatten in der Absicht in einen anderen Mitgliedstaat, durch eine zeitlich begrenzte Berufstätigkeit in diesem Mitgliedstaat gemeinschaftsrechtliche Rechte auszuüben, um anschließend bei der gemeinsamen Rückkehr mit dem ausländischen Ehegatten in seinen Herkunftsmitgliedstaat gemeinschaftsrechtliche Rechte geltend zu machen, kann dann

1.    der Herkunftsmitgliedstaat die von den Eheleuten bei dem Umzug in den anderen Mitgliedstaat verfolgte Absicht, bei der Rückkehr in den Herkunftsmitgliedstaat - trotz der mangelnden Berechtigung des ausländischen Ehegatten nach nationalem Recht - gemeinschaftsrechtliche Rechte geltend zu machen, als Berufung auf Gemeinschaftsrecht zum Zweck der Umgehung nationaler Rechtsvorschriften ansehen und,

2.    wenn ja, kann der Herkunftsmitgliedstaat es dann ablehnen,

a)    ein etwa bestehendes Hindernis für die Einreise des ausländischen Ehegatten (im vorliegenden Fall eine gültige Ausweisungsverfügung) zu beseitigen und

b)    dem ausländischen Ehegatten die Einreise in sein Hoheitsgebiet zu gestatten?

Zu den Vorabentscheidungsfragen

46.
    Mit seinen gemeinsam zu prüfenden Fragen ersucht das vorlegende Gericht im Wesentlichen um Auskunft über die Tragweite des Urteils Singh im Hinblick auf eine Fallgestaltung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht.

47.
    Im Urteil Singh hat der Gerichtshof entschieden, dass Artikel 52 EWG-Vertrag (später Artikel 52 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) und die Richtlinie 73/148 einen Mitgliedstaat verpflichten, dem Ehegatten eines Angehörigen dieses Staates ohne Rücksicht auf seine Staatsangehörigkeit zu gestatten, in sein Hoheitsgebiet einzureisen und sich dort aufzuhalten, wenn sich der Angehörige dieses Staates mit diesem Ehegatten in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begeben hatte, um dort eine unselbständige Tätigkeit im Sinne von Artikel 48 EWG-Vertrag (später Artikel 48 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) auszuüben, und zurückkehrt, um sich im Hoheitsgebiet des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, im Sinne von Artikel 52 EWG-Vertrag niederzulassen. Nach dem Tenor dieses Urteils muss der Ehegatte zumindest in den Genuss der Rechte kommen, die das Gemeinschaftsrecht ihm gewähren würde, wenn sein Ehegatte in einen anderen Mitgliedstaat einreisen und sich dort aufhalten würde.

48.
    Dieselben Konsequenzen ergeben sich aus Artikel 39 EG, wenn der Angehörige des betreffenden Mitgliedstaats in dessen Hoheitsgebiet zurückzukehren beabsichtigt, um dort eine unselbständige Berufstätigkeit auszuüben. Wenn der Ehegatte Angehöriger eines Drittstaats ist, muss er folglich zumindest in den Genuss der Rechte kommen, die Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 ihm gewähren würde, wenn sein Ehegatte in einen anderen Mitgliedstaat einreisen und sich dort aufhalten würde.

49.
    Die Verordnung Nr. 1612/68 betrifft jedoch nur die Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft. Sie sagt nichts über das Bestehen von Rechten von mit einem Unionsbürger verheirateten Drittstaatsangehörigen im Hinblick auf den Zugang zum Gemeinschaftsgebiet.

50.
    Um in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens in den Genuss der Rechte aus Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 kommen zu können, muss sich der mit einem Unionsbürger verheiratete Drittstaatsangehörige rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, wenn er sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, in den der Unionsbürger abwandert oder abgewandert ist.

51.
    Diese Auslegung steht im Einklang mit der Systematik der Gemeinschaftsbestimmungen zur Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Gemeinschaft, deren Ausübung den Wanderarbeitnehmer und seine Familie nicht benachteiligen darf.

52.
    Begibt sich ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Unionsbürger, der mit einem zum Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat berechtigten Drittstaatsangehörigen verheiratet ist, in einen anderen Mitgliedstaat, um dort eine unselbständige Berufstätigkeit auszuüben, so darf aufgrund dieses Ortswechsels nicht die Möglichkeit verloren gehen, rechtmäßig zusammen zu leben, weshalb Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 dem Ehegatten das Recht verleiht, sich in diesem anderen Mitgliedstaat niederzulassen.

53.
    Begibt sich dagegen ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Unionsbürger, der mit einem zum Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat nicht berechtigten Drittstaatsangehörigen verheiratet ist, in einen anderen Mitgliedstaat, um dort eine unselbständige Berufstätigkeit auszuüben, so kann in dem Umstand, dass seinem Ehegatten aus Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 kein Recht erwächst, sich mit ihm in diesem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, keine ungünstigere Behandlung liegen als die, die dem Ehepaar zuteil wurde, bevor dieser Unionsbürger die nach dem EG-Vertrag auf dem Gebiet der Freizügigkeit eröffneten Möglichkeiten in Anspruch nahm. Dass ein solches Recht nicht besteht, kann also den Unionsbürger nicht davon abhalten, die durch Artikel 39 EG zuerkannten Freizügigkeitsrechte wahrzunehmen.

54.
    Gleiches gilt, wenn der mit einem Drittstaatsangehörigen verheiratete Unionsbürger in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger er ist, zurückkehrt, um dort eine unselbständige Berufstätigkeit auszuüben. Verfügt sein Ehegatte über ein Recht zum Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat, so findet Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 Anwendung, damit der Unionsbürger nicht davon abgehalten wird, von seiner Freizügigkeit Gebrauch zu machen, indem er in den Mitgliedstaat zurückkehrt, dessen Staatsangehöriger er ist. Verfügt sein Ehegatte dagegen nicht bereits über ein Recht zum Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat, so hat der Umstand, dass ihm aus besagtem Artikel 10 keine Rechte erwachsen, bei dem Unionsbürger Wohnung zu nehmen, insoweit keine abschreckende Wirkung.

55.
    Was die in Randnummer 24 des Urteils Singh angesprochene Frage des Missbrauchs anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass es für das Recht eines Arbeitnehmers aus einem Mitgliedstaat, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einzureisen und sich dort aufzuhalten, ohne Belang ist, welche Absichten ihn dazu veranlasst haben, im letztgenannten Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, sofern er dort tatsächlich eine echte Tätigkeit ausübt oder ausüben will (Urteil vom 23. März 1982 in der Rechtssache 53/81, Levin, Slg. 1982, 1035, Randnr. 23).

56.
    Auch für die Beurteilung der Rechtslage, in der sich das Ehepaar bei der Rückkehr in den Mitgliedstaat befindet, dessen Staatsangehöriger der Arbeitnehmer ist, kommt es auf solche Absichten nicht an. Ein solches Verhalten kann selbst dann keinen Missbrauch im Sinne von Randnummer 24 des Urteils Singh darstellen, wenn der Ehegatte zu dem Zeitpunkt, zu dem sich das Ehepaar in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat, in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Arbeitnehmer ist, kein Aufenthaltsrecht hatte.

57.
    Ein Missbrauch läge dagegen vor, wenn die Vergünstigungen des Gemeinschaftsrechts für Wanderarbeitnehmer und ihre Ehegatten im Rahmen von Scheinehen geltend gemacht würden, die zur Umgehung der für Drittstaatsangehörige geltenden Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen geschlossen werden.

58.
    Ist die Ehe keine Scheinehe, und hält sich zum Zeitpunkt der Rückkehr des Unionsbürgers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, sein Ehegatte, der Angehöriger eines Drittstaats ist und mit dem er in dem Mitgliedstaat lebte, den er nun verlässt, nicht rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats auf, so ist gleichwohl das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Artikels 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (nachfolgend: EMRK), zu berücksichtigen. Dieses Recht gehört zu den Grundrechten, die nach der im Übrigen durch die Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte und Artikel 6 Absatz 2 EU bestätigten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes in der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützt werden.

59.
    Auch wenn die EMRK kein Recht eines Ausländers, in ein bestimmtes Land einzureisen oder sich dort aufzuhalten, als solches gewährleistet, kann es einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens, wie es in Artikel 8 Absatz 1 EMRK geschützt ist, darstellen, wenn einer Person die Einreise in ein Land, in dem ihre nahen Verwandten leben, oder der Aufenthalt dort verweigert wird. Ein solcher Eingriff verstößt gegen die EMRK, wenn er nicht den Anforderungen ihres Artikels 8 Absatz 2 genügt, d. h., wenn er nicht „gesetzlich vorgesehen“, von einem oder mehreren im Hinblick auf diesen Absatz berechtigten Zielen getragen und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ist, d. h., „durch ein zwingendes gesellschaftliches Bedürfnis gerechtfertigt“ ist und insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zu dem berechtigten Ziel steht, das mit ihm verfolgt wird (Urteil vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-60/00, Carpenter, Slg. 2002, I-6279, Randnr. 42).

60.
    Die Grenzen dessen, was „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist“, wenn der Ehegatte rechtsbrüchig geworden ist, sind vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seinen Urteilen Boultif/Schweiz vom 2. August 2001 (Recueil des arrêts et décisions 2001-IX, §§ 46 bis 56) und Amrollahi/Dänemark vom 11. Juli 2002 (noch nicht im Recueil des arrêts et décisions veröffentlicht, §§ 33 bis 44) herausgearbeitet worden.

61.
    Nach alledem sind die vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

-     In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens stehen die Rechte aus Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 dem mit einem Unionsbürger verheirateten Drittstaatsangehörigen nur dann zu, wenn er sich zu dem Zeitpunkt rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, zu dem er in einen anderen Mitgliedstaat zieht, in den der Unionsbürger abwandert oder abgewandert ist.

-    Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 findet keine Anwendung, wenn der Angehörige eines Mitgliedstaats und der Drittstaatsangehörige eine Scheinehe zur Umgehung der für Drittstaatsangehörige geltenden Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen geschlossen haben.

-    Bei einer Ehe zwischen einem Angehörigen eines Mitgliedstaats und einem Drittstaatsangehörigen, die keine Scheinehe ist, ist der Umstand, dass sich die Ehegatten in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen haben, um bei ihrer Rückkehr in den Mitgliedstaat, dem der erstgenannte Ehegatte angehört, in den Genuss der vom Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte zu kommen, für die Beurteilung ihrer Rechtslage durch die zuständigen Stellen des letztgenannten Staates unerheblich.

-    Stehen zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Angehöriger eines ersten Mitgliedstaats, der mit einem Drittstaatsangehörigen verheiratet ist und mit ihm in einem zweiten Mitgliedstaat lebt, in den Mitgliedstaat, dem er angehört, zurückkehrt, um dort eine unselbständige Berufstätigkeit auszuüben, seinem Ehegatten keine Rechte nach Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 zu, weil sich der Ehegatte nicht rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufgehalten hat, so müssen die zuständigen Stellen des ersten Mitgliedstaats gleichwohl bei der Prüfung des Antrags des Ehegatten, in das Hoheitsgebiet dieses Staates einzureisen und sich dort aufzuhalten, das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Artikels 8 der EMRK berücksichtigen, wenn die Ehe keine Scheinehe ist.

Kosten

62.
    Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der griechischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Immigration Appeal Tribunal mit Beschluss vom 3. Oktober 2000 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1.     In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens stehen die Rechte aus Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft dem mit einem Unionsbürger verheirateten Drittstaatsangehörigen nur dann zu, wenn er sich in dem Zeitpunkt rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, in dem er in einen anderen Mitgliedstaat zieht, in den der Unionsbürger abwandert oder abgewandert ist.

2.    Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 findet keine Anwendung, wenn der Angehörige eines Mitgliedstaats und der Drittstaatsangehörige eine Scheinehe zur Umgehung der für Drittstaatsangehörige geltenden Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen geschlossen haben.

3.    Besteht zwischen einem Angehörigen eines Mitgliedstaats und einem Drittstaatsangehörigen eine Ehe, die keine Scheinehe ist, so ist der Umstand, dass sich die Ehegatten in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen haben, um bei ihrer Rückkehr in den Mitgliedstaat, dem der erstgenannte Ehegatte angehört, in den Genuss der vom Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte zu kommen, für die Beurteilung ihrer Rechtslage durch die zuständigen Stellen des letztgenannten Staates unerheblich.

4.     Stehen zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Angehöriger eines ersten Mitgliedstaats, der mit einem Drittstaatsangehörigen verheiratet ist und mit ihm in einem zweiten Mitgliedstaat lebt, in den Mitgliedstaat, dem er angehört, zurückkehrt, um dort eine unselbständige Berufstätigkeit auszuüben, seinem Ehegatten keine Rechte nach Artikel 10 der Verordnung Nr. 1612/68 zu, weil sich der Ehegatte nicht rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufgehalten hat, so müssen die zuständigen Stellen des ersten Mitgliedstaats gleichwohl bei der Prüfung des Antrags des Ehegatten, in das Hoheitsgebiet dieses Staates einzureisen und sich dort aufzuhalten, das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Artikels 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten berücksichtigen, wenn die Ehe keine Scheinehe ist.

Rodríguez Iglesias
Puissochet
Wathelet

Schintgen

Timmermans
Edward

La Pergola

Jann
Macken

Colneric

von Bahr

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 23. September 2003.

Der Kanzler

Der Präsident

R. Grass

G. C. Rodríguez Iglesias


1: Verfahrenssprache: Englisch.