URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

12. Dezember 2013(*)

„Vorabentscheidungsersuchen – Richtlinie 2008/98/EG – Abfallbewirtschaftung – Art. 16 Abs. 3 – Grundsatz der Nähe – Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 – Abfallverbringung – Gemischte Siedlungsabfälle – Industrie- und Bauabfälle – Verfahren zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession für die Sammlung und den Transport von im Gebiet einer Gemeinde erzeugten Abfällen – Pflicht des künftigen Konzessionärs, die gesammelten Abfälle zu von der konzessionsgebenden Behörde bestimmten Behandlungsanlagen zu transportieren – Nächstgelegene geeignete Behandlungsanlagen“

In der Rechtssache C‑292/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Tartu ringkonnakohus (Estland) mit Entscheidung vom 5. Juni 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juni 2012, in dem Verfahren

Ragn-Sells AS

gegen

Sillamäe Linnavalitsus

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter E. Juhász, A. Rosas, D. Šváby (Berichterstatter) und C. Vajda,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Ragn-Sells AS, vertreten durch E. Tamm, vandeadvokaat,

–        der estnischen Regierung, vertreten durch M. Linntam als Bevollmächtigte,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch F. Dedousi als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und M. Szpunar als Bevollmächtigte,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Antoniadis, A. Alcover San Pedro und D. Düsterhaus als Bevollmächtigte im Beistand von C. Ginter, vandeadvokaat,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 35 AEUV, 49 AEUV, 56 AEUV und der Wettbewerbsregeln des AEU-Vertrags sowie des Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. L 312, S. 3).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Ragn-Sells AS (im Folgenden: Ragn-Sells) und der Sillamäe Linnavalitsus (Gemeinde Sillamäe) wegen bestimmter Klauseln in den Auftragsunterlagen, die Letztere im Rahmen des Verfahrens zur Vergabe einer Dienstleistungskonzession für die Sammlung und den Transport von in ihrem Gebiet erzeugten Abfällen erstellt hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2008/98

3        Nach ihrem Art. 41 hat die Richtlinie 2008/98 mit Wirkung vom 12. Dezember 2010 die Richtlinie 2006/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Abfälle (ABl. L 114, S. 9) aufgehoben und ersetzt und gelten Bezugnahmen auf die Richtlinie 2006/12 als Bezugnahmen auf die Richtlinie 2008/98.

4        In den Erwägungsgründen 6, 8, 31 und 32 der Richtlinie 2008/98 heißt es:

„(6)      Das oberste Ziel jeder Abfallpolitik sollte darin bestehen, die nachteiligen Auswirkungen der Abfallerzeugung und ‑bewirtschaftung auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu minimieren. Die Abfallpolitik sollte auch auf die Verringerung der Nutzung von Ressourcen abzielen und die praktische Umsetzung der Abfallhierarchie fördern.

(8)      … Darüber hinaus sollten die Verwertung von Abfällen sowie die Verwendung verwerteter Materialien zur Erhaltung der natürlichen Rohstoffquellen gefördert werden …

(31)      Die Abfallhierarchie legt im Allgemeinen eine Prioritätenfolge dafür fest, was ökologisch gesehen die insgesamt beste abfallrechtliche und abfallpolitische Option ist; bei bestimmten Abfallströmen kann jedoch ein Abweichen von dieser Hierarchie erforderlich sein, wenn Gründe wie etwa die technische Durchführbarkeit oder wirtschaftliche Vertretbarkeit und der Umweltschutz dies rechtfertigen.

(32)      Damit die Gemeinschaft insgesamt zu einer Autarkie bei der Abfallbeseitigung und bei der Verwertung von gemischten Siedlungsabfällen aus privaten Haushaltungen gelangt und jeder Mitgliedstaat dieses Ziel jeweils für sich erreichen kann, ist ein Kooperationsnetz für Abfallbeseitigungsanlagen und Anlagen für die Verwertung von gemischten Siedlungsabfällen aus privaten Haushaltungen aufzubauen, wobei die geografischen Gegebenheiten und der Bedarf nach besonderen Anlagen für bestimmte Abfallarten zu berücksichtigen sind.“

5        Nach ihrem Art. 1 werden mit dieser Richtlinie „Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit festgelegt, indem die schädlichen Auswirkungen der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen vermieden oder verringert, die Gesamtauswirkungen der Ressourcennutzung reduziert und die Effizienz der Ressourcennutzung verbessert werden“.

6        Nach Art. 3 der genannten Richtlinie bezeichnet in deren Sinne der Ausdruck

„9.      ‚Abfallbewirtschaftung‘ die Sammlung, den Transport, die Verwertung und die Beseitigung von Abfällen …;

10.      ‚Sammlung‘ das Einsammeln von Abfällen, einschließlich deren vorläufiger Sortierung und vorläufiger Lagerung zum Zwecke des Transports zu einer Abfallbehandlungsanlage;

11.      ‚getrennte Sammlung‘ die Sammlung, bei der ein Abfallstrom nach Art und Beschaffenheit des Abfalls getrennt gehalten wird, um eine bestimmte Behandlung zu erleichtern;

14.      ‚Behandlung‘ Verwertungs- oder Beseitigungsverfahren, einschließlich Vorbereitung vor der Verwertung oder Beseitigung;

15.      ‚Verwertung‘ jedes Verfahren, als dessen Hauptergebnis Abfälle innerhalb der Anlage oder in der weiteren Wirtschaft einem sinnvollen Zweck zugeführt werden, indem sie andere Materialien ersetzen, die ansonsten zur Erfüllung einer bestimmte Funktion verwendet worden wären, oder die Abfälle so vorbereitet werden, dass sie diese Funktion erfüllen. …

17.      ‚Recycling‘ jedes Verwertungsverfahren, durch das Abfallmaterialien zu Erzeugnissen, Materialien oder Stoffen entweder für den ursprünglichen Zweck oder für andere Zwecke aufbereitet werden. Es schließt die Aufbereitung organischer Materialien ein, aber nicht die energetische Verwertung und die Aufbereitung zu Materialien, die für die Verwendung als Brennstoff oder zur Verfüllung bestimmt sind;

19.      ‚Beseitigung‘ jedes Verfahren, das keine Verwertung ist, auch wenn das Verfahren zur Nebenfolge hat, dass Stoffe oder Energie zurück gewonnen werden. …

20.      ‚beste verfügbare Techniken‘ die besten verfügbaren Techniken im Sinne von Artikel 2 Absatz 11 der Richtlinie 96/61/EG [des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (ABl. L 257, S. 26)].“

7        Für die Definition des letztgenannten Begriffs ist nach Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (ABl. L 24, S. 8) nunmehr auf diese Richtlinie Bezug zu nehmen, die die Richtlinie 96/61 aufgehoben und ersetzt hat. Nach Art. 2 Nr. 12 der Richtlinie 2008/1 bezeichnet der Begriff

„‚beste verfügbare Techniken‘ den effizientesten und fortschrittlichsten Entwicklungsstand der Tätigkeiten und entsprechenden Betriebsmethoden, der spezielle Techniken als praktisch geeignet erscheinen lässt, grundsätzlich als Grundlage für die Emissionsgrenzwerte zu dienen, um Emissionen in und Auswirkungen auf die gesamte Umwelt allgemein zu vermeiden oder, wenn dies nicht möglich ist, zu vermindern …“.

8        Art. 4 („Abfallhierarchie“) der Richtlinie 2008/98 bestimmt in Abs. 1:

„Folgende Abfallhierarchie liegt den Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen im Bereich der Abfallvermeidung und ‑bewirtschaftung als Prioritätenfolge zugrunde:

a) Vermeidung,

b) Vorbereitung zur Wiederverwendung,

c) Recycling,

d) sonstige Verwertung, z. B. energetische Verwertung,

e) Beseitigung.“

9        Kapitel II dieser Richtlinie, das die Art. 8 bis 14 enthält, trägt die Überschrift „Allgemeine Vorschriften“. Art. 10 über die Verwertung lautet:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Abfälle Verwertungsverfahren im Einklang mit den Artikeln 4 und 13 durchlaufen.

(2) Falls dies zur Einhaltung von Absatz 1 und zur Erleichterung oder Verbesserung der Verwertung erforderlich ist, werden Abfälle getrennt gesammelt, falls dies technisch, ökologisch und wirtschaftlich durchführbar ist, und werden nicht mit anderen Abfällen oder anderen Materialien mit andersartigen Eigenschaften vermischt.“

10      Art. 13 („Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt“) der genannten Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Abfallbewirtschaftung ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der Umwelt erfolgt und insbesondere:

a)       ohne Gefährdung von Wasser, Luft, Boden, Tieren und Pflanzen,

b)       ohne Verursachung von Geräusch- oder Geruchsbelästigungen und

c)       ohne Beeinträchtigung der Landschaft oder von Orten von besonderem Interesse.“

11      Die Art. 15 bis 22 der Richtlinie 2008/98 bilden deren Kapitel III, das die Abfallbewirtschaftung betrifft. Art. 15 Abs. 4 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um in ihrem Hoheitsgebiet sicherzustellen, dass die Einrichtungen oder Unternehmen, die gewerbsmäßig Abfälle sammeln oder befördern, die gesammelten und beförderten Abfälle an geeignete Behandlungsanlagen liefern, die die Bestimmungen des Artikels 13 erfüllen.“

12      Art. 16 („Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe“) dieser Richtlinie lautet:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen – in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten, wenn dies notwendig oder zweckmäßig ist – geeignete Maßnahmen, um ein integriertes und angemessenes Netz von Abfallbeseitigungsanlagen und Anlagen zur Verwertung von gemischten Siedlungsabfällen, die von privaten Haushaltungen eingesammelt worden sind, zu errichten, auch wenn dabei Abfälle anderer Erzeuger eingesammelt werden; die besten verfügbaren Techniken sind dabei zu berücksichtigen.

… Die Mitgliedstaaten können auch ausgehende Verbringungen von Abfällen aus Umweltschutzgründen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen (ABl. L 190, S. 1)] begrenzen.

(2)       Das Netz ist so zu konzipieren, dass es der Gemeinschaft insgesamt ermöglicht, die Autarkie bei der Abfallbeseitigung sowie bei der Verwertung von Abfällen nach Absatz 1 zu erreichen, und dass es jedem einzelnen Mitgliedstaat ermöglicht, dieses Ziel selbst anzustreben, wobei die geografischen Gegebenheiten oder der Bedarf an Spezialanlagen für bestimmte Abfallarten berücksichtigt werden.

(3)      Das Netz muss es gestatten, dass die Abfälle in einer der am nächsten gelegenen geeigneten Anlagen beseitigt bzw. – im Falle der in Absatz 1 genannten Abfälle – verwertet werden, und zwar unter Einsatz von Verfahren und Technologien, die am besten geeignet sind, um ein hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes zu gewährleisten.

(4)      Die Grundsätze der Nähe und der Entsorgungsautarkie bedeuten nicht, dass jeder Mitgliedstaat über die gesamte Bandbreite von Anlagen zur endgültigen Verwertung verfügen muss.“

13      Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/98 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Anlagen und Unternehmen, die beabsichtigen, Abfallbehandlungen durchzuführen, bei der zuständigen Behörde eine Genehmigung einholen.“

14      In Art. 26 dieser Richtlinie heißt es:

„Besteht in den nachfolgend aufgeführten Fällen keine Genehmigungspflicht, so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die zuständige Behörde ein Register führt über:

a)      Anlagen oder Unternehmen, die gewerbsmäßig Abfälle sammeln oder befördern;

…“

 Verordnung Nr. 1013/2006

15      Nach ihrem Art. 61 hat die Verordnung Nr. 1013/2006 die Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft (ABl. L 30, S. 1) aufgehoben und ersetzt und gelten Verweisungen auf die Verordnung Nr. 259/93 als Verweisungen auf die Verordnung Nr. 1013/2006. Diese Verordnung wurde auf der Grundlage von Art. 175 Abs. 1 EG erlassen, dem gegenwärtig Art. 192 AEUV entspricht. Die Verordnung Nr. 259/93 wiederum war auf der Grundlage von Art. 130s EG-Vertrag (nach Änderung Art. 175 EG) erlassen worden.

16      Die Verordnung Nr. 1013/2006 enthält u. a. folgende Erwägungsgründe:

„(1)      Wichtigster und vorrangiger Zweck und Gegenstand dieser Verordnung ist der Umweltschutz; ihre Auswirkungen auf den internationalen Handel sind zweitrangig.

(14)      Im Fall von Verbringungen von zur Beseitigung bestimmten Abfällen und von zur Verwertung bestimmten Abfällen, die nicht in den Anhängen III, IIIA oder IIIB aufgeführt sind, ist es zweckmäßig, ein Höchstmaß an Überwachung und Kontrolle sicherzustellen, indem die vorherige schriftliche Zustimmung solcher Verbringungen vorgeschrieben wird. Ein entsprechendes Verfahren sollte seinerseits die vorherige Notifizierung einschließen, damit die zuständigen Behörden angemessen informiert sind und sie alle zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt notwendigen Maßnahmen treffen können. Außerdem sollte es den zuständigen Behörden ermöglichen, begründete Einwände gegen eine derartige Verbringung zu erheben.

(15)      Im Fall von Verbringungen von zur Verwertung bestimmten Abfällen, die in den Anhängen III, IIIA oder IIIB aufgeführt sind, ist es zweckmäßig, ein Mindestmaß an Überwachung und Kontrolle sicherzustellen, indem vorgeschrieben wird, dass bei solchen Verbringungen bestimmte Informationen mitzuführen sind.

(20)      Bei der Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen sollten die Mitgliedstaaten die Grundsätze der Nähe, des Vorrangs für die Verwertung und der Entsorgungsautarkie auf gemeinschaftlicher und nationaler Ebene gemäß der Richtlinie 2006/12/EG … berücksichtigen, indem sie im Einklang mit dem [EG-]Vertrag Maßnahmen ergreifen, um solche Verbringungen allgemein oder teilweise zu verbieten oder um systematisch Einwand dagegen zu erheben. Außerdem sollte der in der Richtlinie 2006/12/EG enthaltenen Vorschrift Rechnung getragen werden, wonach die Mitgliedstaaten ein integriertes und angemessenes Netz von Abfallbeseitigungsanlagen zu errichten haben, das es der Gemeinschaft insgesamt erlaubt, die Entsorgungsautarkie bei der Abfallbeseitigung zu erreichen, und es jedem einzelnen Mitgliedstaat ermöglicht, diese Autarkie anzustreben, wobei die geografischen Gegebenheiten oder der Bedarf an besonderen Anlagen für bestimmte Abfallarten zu berücksichtigen sind. …

(21)      Im Fall von zur Verwertung bestimmten Abfällen sollten die Mitgliedstaaten in der Lage sein sicherzustellen, dass die Abfallbehandlungsanlagen, die unter die Richtlinie 96/61/EG fallen, in Übereinstimmung mit der für die Anlage erteilten Genehmigung die besten verfügbaren Techniken im Sinne dieser Richtlinie anwenden. Die Mitgliedstaaten sollten auch in der Lage sein sicherzustellen, dass die Abfälle im Einklang mit den verbindlichen gemeinschaftsrechtlichen Umweltschutzstandards für die Abfallverwertung und unter Beachtung des Artikels 7 Absatz 4 der Richtlinie 2006/12/EG im Einklang mit Abfallbewirtschaftungsplänen behandelt werden, die gemäß der genannten Richtlinie erstellt wurden, um die Einhaltung verbindlicher gemeinschaftsrechtlicher Verwertungs- oder Recyclingverpflichtungen sicherzustellen.

…“

17      In Art. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 heißt es:

„(1)      In dieser Verordnung werden Verfahren und Kontrollregelungen für die Verbringung von Abfällen festgelegt, die von dem Ursprung, der Bestimmung, dem Transportweg, der Art der verbrachten Abfälle und der Behandlung der verbrachten Abfälle am Bestimmungsort abhängen.

(2) Diese Verordnung gilt für die Verbringung von Abfällen:

a)      zwischen Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft oder mit Durchfuhr durch Drittstaaten;

…“

18      Art. 2 Nrn. 4 und 6 dieser Verordnung verweist für die Definition der Begriffe „Beseitigung“ und „Verwertung“ auf die Definitionen der Richtlinie 2006/12, der gegenwärtig die Richtlinie 2008/98 entspricht. Art. 2 Nr. 34 definiert den Begriff „Verbringung“ als Transport von zur Verwertung oder Beseitigung bestimmten Abfällen, der z. B. zwischen zwei Staaten erfolgt oder erfolgen soll.

19      Titel II der genannten Verordnung, der die Verbringung innerhalb der Europäischen Union betrifft, enthält die Art. 3 bis 32. Art. 3 bestimmt:

„(1)      Die Verbringung folgender Abfälle unterliegt dem Verfahren der vorherigen schriftlichen Notifizierung und Zustimmung im Sinne der Bestimmungen dieses Titels:

a)      falls zur Beseitigung bestimmt:

      alle Abfälle;

b)      falls zur Verwertung bestimmt:

i)       in Anhang IV aufgeführte Abfälle, einschließlich u. a. der in den Anhängen II und VIII des [am 22. März 1989 unterzeichneten] Basler Übereinkommens [über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von gefährlichen Abfällen und ihrer Entsorgung, genehmigt im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch den Beschluss 93/98/EWG des Rates vom 1. Februar 1993 (ABl. L 39, S. 1)] aufgeführten Abfälle;

ii)       in Anhang IVA aufgeführte Abfälle;

iii)      nicht als Einzeleintrag in Anhang III, IIIB, IV oder IVA eingestufte Abfälle;

iv)      nicht als Einzeleintrag in Anhang III, IIIB, IV oder IVA eingestufte Abfallgemische, sofern sie nicht in Anhang IIIA aufgeführt sind.

(2) Die Verbringung folgender zur Verwertung bestimmter Abfälle unterliegt den allgemeinen Informationspflichten gemäß Artikel 18, sofern die verbrachte Abfallmenge mehr als 20 kg beträgt:

a)       in Anhang III oder IIIB aufgeführte Abfälle;

b)       nicht als Einzeleintrag in Anhang III eingestufte Gemische aus zwei oder mehr in Anhang III aufgeführten Abfällen, sofern die Zusammensetzung dieser Gemische ihre umweltgerechte Verwertung nicht erschwert und solche Gemische gemäß Artikel 58 in Anhang IIIA aufgeführt sind.

(5)      Die Verbringung von gemischten Siedlungsabfällen …, die in privaten Haushaltungen eingesammelt worden sind – einschließlich wenn dabei auch solche Abfälle anderer Erzeuger eingesammelt werden –, zu Verwertungs‐ oder Beseitigungsanlagen unterliegt gemäß dieser Verordnung den gleichen Bestimmungen wie die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen.“

20      Die in Art. 3 der Verordnung Nr. 1013/2006 erwähnten Anhänge der Verordnung beziehen sich im Wesentlichen auf folgende Abfälle:

–        Anhang III, die sogenannte „grüne“ Abfallliste, nennt die nichtgefährlichen Abfälle, die zur Verwertung bestimmt sind;

–        Anhang IIIA enthält eine Liste von Gemischen aus zwei oder mehr in Anhang III aufgeführten Abfällen, die nicht als Einzeleintrag eingestuft sind;

–        Anhang IIIB betrifft andere nichtgefährliche, zur Verwertung bestimmte Abfälle, bis über ihre Aufnahme in die entsprechenden Anhänge des Basler Übereinkommens vom 22. März 1989 oder des Beschlusses C(2001)107 endg. des Rates der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Änderung des Beschlusses C(92)39 endg. der OECD über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen entschieden ist;

–        Anhang IV, die sogenannte „gelbe“ Abfallliste, nennt die gefährlichen Abfälle, die zur Verwertung bestimmt sind;

–        Anhang IV A enthält die Liste der in Anhang III aufgeführten Abfälle, die dem Verfahren der vorherigen schriftlichen Notifizierung und Zustimmung unterliegen.

21      In den Art. 11, 12 und 18 der Verordnung Nr. 1013/2006 heißt es:

Artikel 11

Einwände gegen die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen

(1) Bei der Notifizierung einer geplanten Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen können die zuständigen Behörden am Bestimmungsort und am Versandort … im Einklang mit dem Vertrag begründete Einwände erheben, die sich auf einen oder mehrere der folgenden Gründe stützen:

a)      Die geplante Verbringung oder Beseitigung würde nicht im Einklang mit Maßnahmen stehen, die zur Umsetzung der Grundsätze der Nähe, des Vorrangs der Verwertung und der Entsorgungsautarkie auf gemeinschaftlicher und nationaler Ebene gemäß der Richtlinie 2006/12/EG ergriffen wurden, um die Verbringung von Abfällen allgemein oder teilweise zu verbieten oder um gegen jegliche Verbringungen Einwände zu erheben; oder

Artikel 12

Einwände gegen die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen

(1)      Bei der Notifizierung einer geplanten Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen können die zuständigen Behörden am Bestimmungsort und am Versandort … im Einklang mit dem Vertrag begründete Einwände erheben, die sich auf einen oder mehrere der folgenden Gründe stützen:

Artikel 18

Abfälle, für die bestimmte Informationen mitzuführen sind

(1)      Die beabsichtigte Verbringung von Abfällen im Sinne des Artikels 3 Absätze 2 und 4 unterliegt folgenden Verfahrensvorschriften:

a)      Damit die Verbringung solcher Abfälle besser verfolgt werden kann, hat die der Gerichtsbarkeit des Versandstaats unterliegende Person, die die Verbringung veranlasst, sicherzustellen, dass das in Anhang VII enthaltene Dokument mitgeführt wird.

b)       Das in Anhang VII enthaltene Dokument ist von der Person, die die Verbringung veranlasst, vor Durchführung derselben und von der Verwertungsanlage oder dem Labor und dem Empfänger bei der Übergabe der betreffenden Abfälle zu unterzeichnen.

(2) Der in Anhang VII genannte Vertrag über die Verwertung der Abfälle zwischen der Person, die die Verbringung veranlasst, und dem Empfänger muss bei Beginn der Verbringung wirksam sein und für den Fall, dass die Verbringung oder Verwertung der Abfälle nicht in der vorgesehenen Weise abgeschlossen werden kann oder dass sie als illegale Verbringung durchgeführt wurde, für die Person, die die Verbringung veranlasst, oder, falls diese zur Durchführung der Verbringung oder der Verwertung der Abfälle nicht in der Lage ist (z. B. bei Insolvenz), für den Empfänger die Verpflichtung enthalten,

a)      die Abfälle zurückzunehmen oder deren Verwertung auf andere Weise sicherzustellen und

b)      erforderlichenfalls in der Zwischenzeit für deren Lagerung zu sorgen.

Der betreffenden zuständigen Behörde ist auf Ersuchen von der Person, die die Verbringung veranlasst, oder vom Empfänger eine Kopie dieses Vertrages zu übermitteln.

(3) Die Mitgliedstaaten können zum Zwecke der Kontrolle, Durchsetzung, Planung und statistischen Erhebung nach nationalem Recht die in Absatz 1 genannten Informationen über Verbringungen anfordern, die von diesem Artikel erfasst werden.

…“

 Estnisches Recht

22      Das Abfallgesetz (Jäätmeseadus, im Folgenden: JäätS) bestimmt in § 221, dass u. a. bei der Ausarbeitung und Anwendung von Maßnahmen der Abfallbewirtschaftung von einer Abfallhierarchie auszugehen ist, die entsprechend derjenigen in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/98 festgelegt ist, erlaubt aber, von der Abfallhierarchie abzuweichen, wenn dadurch unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus der Sache ein unter dem Aspekt des Umweltschutzes besseres Gesamtergebnis gewährleistet wird.

23      § 32 („Grundsatz der Nähe bei der Abfallbehandlung“) JäätS lautet:

„Die Beseitigung von Abfällen und die Verwertung gemischter Siedlungsabfälle werden in einer so nahe wie möglich an ihrem Entstehungsort liegenden technologisch geeigneten Abfallbehandlungsanlage vorgenommen, in der sichergestellt ist, dass keine Gefahr für die Gesundheit des Menschen und die Umwelt besteht.“

24      § 66 JäätS bestimmt:

„(1)      Die organisierte Abfallabfuhr ist die Sammlung und Beförderung der Siedlungsabfälle aus einem bestimmten Gebiet zu (einer) bestimmten Abfallbehandlungsanlage(n) durch den von der entsprechenden Einheit der örtlichen Selbstverwaltung ausgewählten Unternehmer.

(2)      Die Einheit der örtlichen Selbstverwaltung organisiert in ihrem Verwaltungsgebiet die Sammlung und Beförderung der Siedlungsabfälle, insbesondere des Mülls bzw. der gemischten Siedlungsabfälle, ihrer Sortierungsrückstände und der Abfallarten, die bei der am Entstehungsort der Siedlungsabfälle nach Klassen differenzierten Sammlung anfallen. Die organisierte Abfallabfuhr kann auch andere Arten von Siedlungsabfällen oder andere Abfälle einschließen, wenn dies zur Erfüllung der Anforderungen des vorliegenden Gesetzes erforderlich ist oder durch ein wesentliches öffentliches Interesse bedingt ist.“

25      § 67 JäätS sieht vor:

„(1) Um einen Anbieter für die Dienstleistung der organisierten Abfallabfuhr zu finden, vergibt die Einheit der örtlichen Selbstverwaltung eigenständig oder in Zusammenarbeit mit anderen Einheiten der örtlichen Selbstverwaltung eine Dienstleistungskonzession auf der Grundlage der Bestimmungen des Gesetzes über öffentliche Aufträge [(riigihangete seadus)].

(3)      … In den Auftragsunterlagen betreffend die organisierte Abfallabfuhr werden u. a. folgende Bedingungen festgelegt:

1)      das Abfuhrgebiet;

2)      die zu befördernden Abfallarten;

4)      die Abfallbehandlungsanlage;

8)      die Zahl der in dem Abfuhrgebiet gelegenen Einfamilienhäuser und Mehrparteienhäuser sowie die Zahl der Wohnungen in den Mehrparteienhäusern.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

26      Sillamäe ist eine Stadt mit ungefähr 15 000 Einwohnern im äußersten Nordosten von Estland.

27      Im Jahr 2007 schrieb die Sillamäe Linnavalitsus einen „Verwaltungsvertrag zur Übertragung der Verpflichtung zur Durchführung der Verarbeitung und Verwertung von Siedlungsabfällen auf der Deponie Sillamäe auf eine privatrechtliche juristische Person“ aus. Diese Dienstleistungskonzession wurde für zehn Jahre an Ecocleaner Sillamäe OÜ vergeben.

28      Im Jahr 2011 schrieb die Sillamäe Linnavalitsus eine Konzession für die Dienstleistungen der Sammlung und des Transports von in ihrem Gebiet erzeugten Abfällen aus. Der Ausgangsrechtsstreit betrifft die Frage der Rechtmäßigkeit der Klausel, die Nr. 3.5 der Auftragsunterlagen für diese zweite Ausschreibung (im Folgenden: Auftragsunterlagen) bildet. Nach dieser Klausel sind die gemischten Siedlungsabfälle zur Deponie Sillamäe (im Folgenden: Anlage Sillamäe) – d. h. die Anlage, die Gegenstand der ersten Ausschreibung war – zu verbringen, die sich in 5 km Entfernung von der Sillamäe Linnavalitsus befindet, und Industrie- und Bauabfälle sind zur Deponie Uikala (im Folgenden: Anlage Uikala) zu verbringen, die 25 km entfernt liegt. Mit der Betreiberin der zweitgenannten Anlage schloss die Sillamäe Linnavalitsus keinen Vertrag über die Behandlung von Abfällen.

29      Ragn-Sells ist ein Unternehmen, das gemischte Siedlungsabfälle behandelt und Abfälle transportiert. Sie trägt u. a. vor, dass die streitige Klausel in den Auftragsunterlagen, indem sie für bestimmte Kategorien der im Gebiet der Sillamäe Linnavalitsus gesammelten Abfälle den Transport zu den beiden in der Klausel genannten Anlagen vorschreibe und damit alle anderen Anlagen ausschließe, in denen die Abfälle gleichwertig behandelt werden könnten, den Betreibern dieser beiden Anlagen ein ausschließliches Recht verleihe, das im Widerspruch zum Grundsatz des freien Wettbewerbs und zum freien Warenverkehr, zur Niederlassungsfreiheit und zur Dienstleistungsfreiheit stehe. Es handle sich um eine gängige Praxis der örtlichen Selbstverwaltungseinheiten in Estland, die auf eine angreifbare Auslegung von § 67 Abs. 3 Nr. 4 JäätS gestützt werde, nach der diese Einheiten verpflichtet seien, die Bestimmungsanlage der Abfälle festzulegen, die im Rahmen der von ihnen vergebenen Abfalltransportkonzessionen gesammelt würden.

30      Ragn-Sells macht geltend, dass in Estland in einem Umkreis von 260 km elf konkurrierende Anlagen für die Behandlung gemischter Siedlungsabfälle tätig seien; davon nutzen die meisten nach Angaben des vorlegenden Gerichts gleichwertige Technologien.

31      Weiter trägt sie vor, dass der Ausgangsrechtsstreit eine Grundsatzfrage aufwerfe, deren Bedeutung über die Grenzen von Estland hinausgehe, da je nach geografischer Lage der einzelnen Selbstverwaltungseinheiten lettische Unternehmen an der Erbringung der betreffenden Dienstleistungen interessiert sein könnten.

32      Nach Ansicht der Sillamäe Linnavalitsus ist es Sache des Auftraggebers, die genauen Bedingungen für den Auftrag, den er vergeben wolle, nach Maßgabe des zu deckenden Bedarfs festzulegen, insbesondere was die Behandlungsanlage angehe, zu der die zu sammelnden Abfälle transportiert werden müssten. Ein Wirtschaftsteilnehmer, der mit den Dienstleistungen der Sammlung und des Transports von Abfällen beauftragt sei, habe kein subjektives Recht in Bezug auf die Behandlung der transportierten Abfälle.

33      Die Tartu ringkonnakohus (Berufungsgericht Tartu) vertritt offenbar die Auffassung, dass der 2007 von der Sillamäe Linnavalitsus abgeschlossene Konzessionsvertrag über die Verwaltung der Anlage Sillamäe die Verleihung eines ausschließlichen Rechts im Sinne von Art. 106 AEUV an den Konzessionär zur Behandlung von im Gebiet dieser Gemeinde gesammelten, gemischten Siedlungsabfällen beinhalte. Außerdem habe Nr. 3.5 der Auftragsunterlagen zur Wirkung, dass dem Betreiber der Anlage Uikala ein entsprechendes ausschließliches Recht zur Behandlung von Industrie- und Bauabfällen verliehen werde.

34      Bei der Organisation öffentlicher Aufträge sei das Wettbewerbsrecht der Union zu beachten, und die Gewährung eines besonderen oder ausschließlichen Rechts im Sinne von Art. 106 Abs. 1 AEUV an ein Unternehmen könne einen nach Art. 102 Abs. 1 AEUV verbotenen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellen. Was die Festlegung des relevanten Marktes angehe, gebe es in Estland einen Markt für die Behandlung gemischter Siedlungsabfälle, auf dem verschiedene Unternehmen tätig seien, die diese Abfälle in Brennstoff umwandelten oder als Brennstoff nutzten und die dieselben Technologien anwendeten wie die Anlage Sillimäe. Angesichts der geringen Größe von Estland stünden alle diese Unternehmen hinsichtlich der Bewirtschaftung der im Gebiet der Sillamäe Linnavalitsus gesammelten gemischten Siedlungsabfälle miteinander im Wettbewerb, der durch die Knappheit von Abfällen dieser Art noch verschärft werde. Da es diesen Markt gebe, könne der Ausschluss aller anderen als der vom Auftraggeber festgelegten Behandlungsanlagen eine missbräuchliche Praxis im Sinne von Art. 102 Abs. 2 AEUV darstellen, insbesondere weil sich daraus eine Beschränkung des Marktes ergebe, die zu Preiserhöhungen für die Abfallerzeuger und die Stromverbraucher führen könne.

35      Die Tartu ringkonnakohus fragt sich deshalb, welche Auswirkungen die Wettbewerbsbestimmungen des AEU-Vertrags, aber auch die Art. 35 AEUV, 49 AEUV und 56 AEUV, hinsichtlich der Gewährung ausschließlicher Rechte wie der von ihr im Ausgangsverfahren festgestellten haben, da eine solche Praxis zu einer Behinderung des freien Verkehrs in Bezug auf Abfall führen könne, die Unternehmen anderer Mitgliedstaaten davon abhalten könne, sich in Estland niederzulassen, oder sie daran hindern könne, dort Dienstleistungen anzubieten.

36      Schließlich stelle sich die Frage, ob der in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2008/98 verankerte Grundsatz der Nähe im vorliegenden Fall die Gewährung eines ausschließlichen Rechts an die nächstgelegenen Behandlungsanlagen rechtfertigen könne. Für relativ kleine Mitgliedstaaten wie die Republik Estland könne dieser Grundsatz nämlich bedeuten, dass die Abfälle im betreffenden Mitgliedstaat zu behandeln seien, und das Bestehen eines Marktes für die Abfallbehandlung in diesem Mitgliedstaat könne die Festlegung einer bestimmten Anlage entbehrlich machen.

37      Vor diesem Hintergrund hat die Tartu ringkonnakohus das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Sind Art. 106 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 102 AEUV sowie die Warenverkehrsfreiheit, die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit dahin auszulegen, dass gegen keine(n) von diesen verstoßen wird, wenn ein Mitgliedstaat es erlaubt, dass in einem bestimmten Gebiet einem Unternehmen, das eine bestimmte Abfallbehandlungsanlage betreibt, gegen Entgelt ein ausschließliches Recht zur Verarbeitung von Siedlungsabfällen gewährt wird, wenn in einem Umkreis von 260 km mehrere konkurrierende Unternehmen tätig sind, die mehrere Abfallbehandlungsanlagen betreiben, die den Umweltanforderungen entsprechen und gleichwertige Technologien anwenden?

2.      Ist Art. 106 Abs. 2 AEUV dahin auszulegen, dass dagegen nicht verstoßen wird, wenn ein Mitgliedstaat als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erstens die Einsammlung und Beförderung von Abfällen und zweitens die Verarbeitung von Abfällen ansieht, diese Dienstleistungen jedoch voneinander trennt und damit den freien Wettbewerb auf dem Markt der Abfallbehandlung beschränkt?

3.      Kann in einem Verfahren zur Vergabe einer Konzession für die Dienstleistung der Einsammlung und Beförderung von Abfällen, in dem die Bedingung gilt, dass in dem Gebiet, das in dem Konzessionsvertrag festgelegt ist, zwei Unternehmen ein ausschließliches Recht zur Behandlung von Abfällen gewährt wird, die Anwendbarkeit der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des AEU-Vertrags ausgeschlossen werden?

4.      Ist Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2008/98 dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, gestützt auf den Grundsatz der Nähe, den Wettbewerb beschränken und es erlauben kann, dass dem Unternehmen, das die Abfallbehandlungsanlage betreibt, die dem Gebiet, in dem die Abfälle anfallen, am nächsten liegt, gegen Entgelt ein ausschließliches Recht zur Abfallverarbeitung gewährt wird, wenn in einem Umkreis von 260 km mehrere konkurrierende Unternehmen tätig sind, die mehrere Abfallbehandlungsanlagen betreiben, die den Umweltanforderungen entsprechen und gleichwertige Technologien anwenden?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit

38      Zu den in den ersten beiden Fragen angesprochenen möglichen Auswirkungen der Wettbewerbsregeln des AEU-Vertrags in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens ist festzustellen, dass die ersten beiden Absätze von Art. 106 AEUV für die von diesem erfassten Fälle auf sämtliche Regeln des AEU-Vertrags und insbesondere die Wettbewerbsregeln verweisen.

39      In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, es erforderlich macht, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen. Dieses Erfordernis gilt ganz besonders im Bereich des Wettbewerbs, der durch komplexe tatsächliche und rechtliche Verhältnisse gekennzeichnet ist (vgl. u. a. Urteil vom 11. März 2010, Attanasio Group, C‑384/08, Slg. 2010, I‑2055, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Im vorliegenden Fall setzen die Bestimmungen des Art. 106 AEUV in Verbindung mit denen des Art. 102 AEUV, die vom vorlegenden Gericht angeführt werden, eine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Binnenmarkts und einen Missbrauch einer solchen Stellung voraus, der dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

41      Die Vorlageentscheidung enthält aber keine Angaben, anhand deren sich feststellen lässt, dass im Ausgangsrechtsstreit die Tatbestandsmerkmale einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV verwirklicht sind.

42      Hinsichtlich des Betreibers der Anlage Uikala fehlen entsprechende Angaben in der Vorlageentscheidung völlig. Zur Anlage Sillamäe geht aus der Entscheidung hervor, dass der relevante Markt der estnische Markt für die Verwertung gemischter Siedlungsabfälle ist, auf dem elf Unternehmen tätig sind, darunter der Betreiber dieser Anlage, bei dem nichts die Annahme zulässt, dass er auf diesem Markt eine besondere Stellung einnimmt. Die Vorlageentscheidung enthält auch keine Angaben, die darauf schließen lassen, dass die im Ausgangsverfahren fraglichen Verpflichtungen, die sich auf bestimmte Kategorien von Abfällen beziehen, die im Gebiet einer kleinen Gemeinde im betreffenden Mitgliedstaat gesammelt werden, den Betreibern der genannten Anlagen eine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Binnenmarkts verschaffen oder dass die Ausübung der genannten Rechte zwangsläufig zu einer missbräuchlichen Ausnutzung einer etwaigen beherrschenden Stellung führt oder dass diese Rechte eine Situation herbeiführen könnten, in der die begünstigten Unternehmen zur Begehung eines solchen Missbrauchs veranlasst wären.

43      Die Vorlageentscheidung enthält demnach keine genauen Angaben dazu, ob die Wettbewerbsregeln des AEU-Vertrags als solche im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits anwendbar sind. Folglich sind die Vorlagefragen, soweit sie diese Regeln betreffen, unzulässig, da der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Informationen verfügt, die für ihre zweckdienliche Beantwortung erforderlich sind (vgl. entsprechend Urteil vom 19. April 2007, Asemfo, C‑295/05, Slg. 2007, I‑2999, Randnrn. 42, 43 und 45).

 Zur Begründetheit

44      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die dem künftigen Inhaber einer Konzession für die Sammlung und den Transport von Abfällen durch eine örtliche Selbstverwaltungseinheit eines Mitgliedstaats auferlegte Verpflichtung, bestimmte im Gebiet dieser Einheit gesammelte Abfallarten, nämlich gemischte Siedlungsabfälle bzw. Industrie- und Bauabfälle, zum Zweck der Behandlung an ein in demselben Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen zu liefern, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens mit den einschlägigen Bestimmungen des AEU-Vertrags, die den freien Warenverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit gewährleisten, d. h. zum einen mit den Art. 35 AEUV und 36 AEUV und zum anderen mit den Art. 49 AEUV und 56 AEUV, vereinbar ist.

45      Mit seiner vierten Frage begehrt das vorlegende Gericht Aufschluss darüber, ob und welche Auswirkungen der in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2008/98 verankerte Grundsatz der Nähe, der für die Behandlung bestimmter Abfallarten gilt, hinsichtlich der Auferlegung einer solchen Verpflichtung hat.

46      Soweit sich die erste Frage auf die Art. 35 AEUV und 36 AEUV bezieht, kann aber auch sie die besonderen Rechtsvorschriften der Union über Abfälle betreffen, insbesondere die Regelung der Abfallverbringung in der Verordnung Nr. 1013/2006 und der Richtlinie 2008/98.

 Zur ersten Frage, soweit sie die Art. 35 AEUV und 36 AEUV betrifft, und zur vierten Frage

47      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich der Gerichtshof veranlasst sehen kann, Vorschriften des Unionsrechts zu berücksichtigen, auf die das vorlegende Gericht bei der Darlegung seiner Fragen nicht Bezug genommen hat, um ihm sachdienliche Hinweise für die Auslegung zu geben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2008, Mayr, C‑506/06, Slg. 2008, I‑1017, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Hierzu ist festzustellen, dass zur Beantwortung der ersten Frage, soweit sie die Art. 35 AEUV und 36 AEUV betrifft, zu prüfen ist, ob und welche Auswirkungen die Verordnung Nr. 1013/2006 in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens hat.

49      Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass die Verordnung Nr. 1013/2006 wie ihre Vorgängerin, die Verordnung Nr. 259/93, ein harmonisiertes System von Verfahren bereitstellen soll, mit denen der Umlauf der Abfälle begrenzt werden kann, um den Schutz der Umwelt sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2009, Kommission/Parlament und Rat, C‑411/06, Slg. 2009, I‑7585, Randnr. 72). Daraus folgt, dass nicht darüber hinaus geprüft werden muss, ob eine die Abfallverbringung betreffende nationale Maßnahme mit den Art. 34 AEUV und 36 AEUV vereinbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2001, DaimlerChrysler, C‑324/99, Slg. 2001, I‑9897, Randnr. 46).

50      Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist daher davon auszugehen, dass dieses Gericht mit seiner ersten Frage, soweit sie die Art. 35 AEUV und 36 AEUV betrifft, sowie mit seiner vierten Frage wissen möchte, ob die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1013/2006 in Verbindung mit denen des Art. 16 der Richtlinie 2008/98 dahin auszulegen sind, dass sie einer örtlichen Selbstverwaltungseinheit erlauben, das Unternehmen, das Inhaber der Konzession für die Dienstleistungen der Sammlung und des Transports von im Gebiet dieser Einheit erzeugten Abfällen ist, zu verpflichten, bestimmte Arten gesammelter Abfälle an den Betreiber der nächstgelegenen geeigneten Anlage zu liefern, die sich in demselben Mitgliedstaat befindet wie die Selbstverwaltungseinheit, und auf diese Weise zu verhindern, dass die betreffenden Abfälle zur Behandlung in einen anderen Mitgliedstaat verbracht werden.

51      Nach ihrem Art. 1 Abs. 2 gilt die Verordnung Nr. 1013/2006 für die Verbringung von Abfällen u. a. zwischen Mitgliedstaaten, mit Ausnahme von Abfallverbringungen, die unter die in Art. 1 Abs. 3 angeführten Sonderfälle oder Sonderregelungen fallen, die im Ausgangsverfahren nicht einschlägig sind.

52      Nach Art. 3 dieser Verordnung unterliegt die Verbringung von Abfällen zwischen Mitgliedstaaten entweder dem Verfahren der vorherigen schriftlichen Notifizierung und Zustimmung, das in den Art. 4 bis 17 der Verordnung geregelt ist, die auf zur Beseitigung bestimmte Abfälle und zur Verwertung bestimmte gefährliche Abfälle anwendbar sind, oder allgemeinen Informationspflichten nach Art. 18 der Verordnung, der grundsätzlich nur zur Verwertung bestimmte nichtgefährliche Abfälle betrifft.

53      Aus den Art. 11, 12 und 18 der Verordnung Nr. 1013/2006 geht hervor, dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten und der Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen verschiedene Vorrechte oder Verpflichtungen haben. Im Übrigen unterliegt nach Art. 3 Abs. 5 der Verordnung die Verbringung von gemischten Siedlungsabfällen, die in privaten Haushaltungen und bei anderen Erzeugern eingesammelt werden, zu Verwertungs- oder Beseitigungsanlagen den gleichen Bestimmungen wie die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen.

54      Der Vorlageentscheidung lässt sich entnehmen, dass nach Nr. 3.5 der Auftragsunterlagen die im Gebiet der Sillamäe Linnavalitsus gesammelten gemischten Siedlungsabfälle zur Anlage Sillamäe zu transportieren sind. Wie in der vorstehenden Randnummer festgestellt, fallen diese Abfälle jedenfalls in die Kategorie der zur Beseitigung bestimmten Abfälle im Sinne der Verordnung Nr. 1013/2006.

55      Zu den zur Anlage Uikala zu transportierenden Industrie- und Bauabfällen ist festzustellen, dass derartige Abfälle angesichts der in Art. 4 der Richtlinie 2008/98 vorgesehenen Abfallhierarchie potenziell entweder zur Verwertung oder zur Beseitigung bestimmt sind. Folglich ist zu prüfen, ob die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1013/2006, die auf die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen und zur Verwertung bestimmten Abfällen zwischen Mitgliedstaaten anwendbar sind, die Festlegung einer Verpflichtung wie der nach Nr. 3.5 der Auftragsunterlagen erlauben.

56      Was erstens die zur Beseitigung bestimmten Abfälle und die gemischten Siedlungsabfälle angeht, ergibt sich aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1013/2006 im Licht des 20. Erwägungsgrundes dieser Verordnung sowie aus Art. 16 der Richtlinie 2008/98, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen mit allgemeiner Geltung zur Einschränkung der Verbringung dieser Abfälle zwischen Mitgliedstaaten in Form von allgemeinen oder teilweisen Verbringungsverboten erlassen können, um die Grundsätze der Nähe, des Vorrangs der Verwertung und der Entsorgungsautarkie gemäß der Richtlinie 2008/98 umzusetzen.

57      Im Wege der Analogie zu den Randnrn. 37 bis 42 des Urteils vom 23. Mai 2000, Sydhavnens Sten & Grus (C‑209/98, Slg. 2000, I‑3743), ergibt sich, dass die Verpflichtung, die eine örtliche Selbstverwaltungseinheit dem mit der Sammlung der Abfälle in ihrem Gebiet beauftragten Unternehmen auferlegt, bestimmte Abfallarten einer in demselben Mitgliedstaat gelegenen Behandlungsanlage zu übergeben, einer Maßnahme mit allgemeiner Wirkung gleichkommt, die ein Verbot im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1013/2006 enthält, die betreffenden Abfälle zu anderen Anlagen zu verbringen, wenn die Erzeuger dieser Abfälle selbst verpflichtet sind, die Abfälle entweder dem genannten Unternehmen oder der genannten Anlage zu übergeben.

58      Folglich steht diese Maßnahme mit der genannten Verordnung im Einklang, soweit sie der Umsetzung u. a. der in Art. 16 der Richtlinie 2008/98 aufgestellten Grundsätze der Nähe und der Entsorgungsautarkie dient.

59      Nach Art. 16 der Richtlinie 2008/98 müssen die Mitgliedstaaten ein integriertes und angemessenes Netz von Anlagen zur Behandlung der zur Beseitigung bestimmten Abfälle und gemischten Siedlungsabfälle, die gesammelt werden, errichten, wobei sie die besten verfügbaren Techniken berücksichtigen und das Netz so konzipieren müssen, dass sie selbst die Autarkie bei der Behandlung dieser Abfälle anstreben und die Behandlung in einer der am nächsten gelegenen geeigneten Anlagen möglich ist.

60      Hinsichtlich der Errichtung eines solchen integrierten Netzes verfügen die Mitgliedstaaten über einen Ermessensspielraum bei der Wahl der räumlichen Grundlage, die sie für geeignet halten, um in Bezug auf die Behandlung der Abfälle, um die es geht, eine nationale Autarkie zu erreichen (vgl. entsprechend zu Art. 5 der Richtlinie 2006/12 Urteil vom 4. März 2010, Kommission/Italien, C‑297/08, Slg. 2010, I‑1749, Randnr. 62).

61      Der Gerichtshof hat allerdings betont, dass in diesem Rahmen, soweit es insbesondere um geeignete Maßnahmen zur Förderung der Rationalisierung des Einsammelns, Sortierens und Behandelns von Abfällen geht, eine der wichtigsten Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten, u. a. über die insoweit mit Zuständigkeiten ausgestatteten örtlichen Selbstverwaltungseinheiten zu ergreifen haben, darin besteht, zu versuchen, den Abfall in einer so nahe wie möglich am Ort seiner Erzeugung gelegenen Anlage zu verwerten, insbesondere gemischte Siedlungsabfälle, um ihre Verbringung so weit wie möglich einzuschränken (vgl. u. a. Urteil Kommission/Italien, Randnrn. 64, 66 und 67 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

62      Somit dürfen die Behörden der Mitgliedstaaten die Bewirtschaftung der Abfälle im Sinne von Art. 16 der Richtlinie 2008/98 so regeln oder organisieren, dass sie in der nächstgelegenen geeigneten Anlage behandelt werden.

63      Folglich ist in Bezug auf zur Beseitigung bestimmte Abfälle und gemischte Siedlungsabfälle, die in privaten Haushaltungen und gegebenenfalls bei anderen Erzeugern eingesammelt worden sind, festzustellen, dass ein Mitgliedstaat befugt ist, örtliche Selbstverwaltungseinheiten auf der von ihm für am geeignetsten gehaltenen räumlichen Ebene mit Zuständigkeiten im Bereich der Bewirtschaftung der in ihrem Gebiet erzeugten Abfälle auszustatten, um die Erfüllung seiner Verpflichtungen aus Art. 16 der Richtlinie 2008/98 sicherzustellen, und dass diese Einheiten im Rahmen ihrer Zuständigkeiten vorsehen können, dass die Behandlung dieser Abfallarten in der nächstgelegenen geeigneten Anlage zu erfolgen hat.

64      Was zweitens zur Verwertung bestimmte andere Abfälle als gemischte Siedlungsabfälle angeht, kann ihre Verbringung zwei verschiedenen Regelungen unterliegen. Zum einen können nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 die zuständigen nationalen Behörden gegen zwischen Mitgliedstaaten erfolgende Verbringungen von Abfällen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung, die dem Verfahren der vorherigen Notifizierung und Zustimmung unterliegen, Einwände erheben – jedoch nur im Einzelfall –, und zwar gestützt auf genaue Gründe, die eine bestimmte Verbringung betreffen müssen und sich z. B. auf Mängel oder Gefahren der Verbringung selbst, die beabsichtigte Verwertung, die Bestimmungsanlage oder die Personen, die an den verschiedenen Vorgängen mitzuwirken haben, beziehen müssen.

65      Zum anderen schreibt Art. 18 der Verordnung Nr. 1013/2006, der auf die Verbringung von Abfällen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung anwendbar ist, lediglich vor, dass für die verbrachten Abfälle ein standardisiertes Informationsdokument mitzuführen ist, das auf der Grundlage eines Vertrags zu erstellen ist, der bestimmten Erfordernissen zu genügen hat, und das von den Mitgliedstaaten zum Zweck der Kontrolle, Durchsetzung der Verordnung, Planung und statistischen Erhebung angefordert werden kann.

66      Demnach ergibt sich aus der Prüfung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1013/2006, die auf die zwischen Mitgliedstaaten erfolgenden Verbringungen von zur Verwertung bestimmten anderen Abfällen als gemischten Siedlungsabfällen anwendbar sind, dass die Verordnung einer nationalen Behörde nicht die Befugnis verleiht, eine Maßnahme mit allgemeiner Wirkung zu erlassen, die zur Wirkung hat, dass die Verbringung derartiger Abfälle in andere Mitgliedstaaten zur dortigen Behandlung ganz oder teilweise verboten wird.

67      Somit kommt, wie aus Randnr. 57 des vorliegenden Urteils hervorgeht, die Verpflichtung, die eine örtliche Selbstverwaltungseinheit dem mit dem Sammeln der Industrie- und Bauabfälle in ihrem Gebiet beauftragten Unternehmen auferlegt, diese Abfälle zu einer Behandlungsanlage in demselben Mitgliedstaat zu transportieren, einer solchen Maßnahme mit allgemeiner Wirkung gleich, die nicht als nach der Verordnung Nr. 1013/2006 zulässig angesehen werden kann, soweit sie sich auf verwertbare Abfälle bezieht, wenn die betreffenden Abfallerzeuger selbst verpflichtet sind, die Abfälle entweder dem genannten Unternehmen oder der genannten Anlage zu übergeben.

68      Nach alledem ist auf die erste Frage, soweit sie die Art. 35 AEUV und 36 AEUV betrifft, sowie auf die vierte Frage zu antworten, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1013/2006 in Verbindung mit Art. 16 der Richtlinie 2008/98 wie folgt auszulegen sind:

–        Diese Bestimmungen erlauben einer örtlichen Selbstverwaltungseinheit, das mit dem Sammeln der Abfälle in ihrem Gebiet beauftragte Unternehmen zu verpflichten, die in privaten Haushalten und gegebenenfalls bei anderen Erzeugern eingesammelten gemischten Siedlungsabfälle zur nächstgelegenen geeigneten Behandlungsanlage zu transportieren, die sich in demselben Mitgliedstaat befindet wie diese Selbstverwaltungseinheit.

–        Diese Bestimmungen erlauben einer örtlichen Selbstverwaltungseinheit nicht, das mit dem Sammeln der Abfälle in ihrem Gebiet beauftragte Unternehmen zu verpflichten, die in ihrem Gebiet erzeugten Industrie- und Bauabfälle zur nächstgelegenen geeigneten Behandlungsanlage zu transportieren, die sich in demselben Mitgliedstaat befindet wie diese Selbstverwaltungseinheit, wenn diese Abfälle zur Verwertung bestimmt sind, sofern die Erzeuger der Abfälle entweder verpflichtet sind, die Abfälle entweder dem genannten Unternehmen zu übergeben oder sie direkt an die genannte Anlage zu liefern.

 Zur ersten Frage, soweit sie die Art. 49 AEUV und 56 AEUV betrifft

69      Mit seiner ersten Frage, soweit sie die Art. 49 AEUV und 56 AEUV betrifft und damit unabhängig von den Auswirkungen des Unionsrechts im Bereich der Abfallbewirtschaftung, wie sie in den vorangegangenen Randnummern des vorliegenden Urteils festgestellt worden sind, möchte das Gericht wissen, ob diese Artikel dahin auszulegen sind, dass sie einer örtlichen Selbstverwaltungseinheit verwehren, das ausschließliche Recht zur Behandlung bestimmter in ihrem Gebiet gesammelter Abfallarten zu verleihen, und zwar entweder unmittelbar durch eine Dienstleistungskonzession speziell für die Verwaltung einer für die Behandlung dieser Abfälle bestimmten Anlage oder mittelbar, indem der Inhaber einer Konzession für die Dienstleistungen des Sammelns und des Transports von Abfällen verpflichtet wird, die Abfälle an einen von dieser Selbstverwaltungseinheit amtlich bestimmten Wirtschaftsteilnehmer zu liefern.

70      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit nicht auf Betätigungen anwendbar sind, deren Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Januar 1997, USSL Nr. 47 di Biella, C‑134/95, Slg. 1997, I‑195, Randnr. 19, vom 22. Dezember 2010, Omalet, C‑245/09, Slg. 2010, I‑13771, Randnr. 12, und vom 20. Juni 2013, Impacto Azul, C‑186/12, Randnr. 19).

71      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass der Ausgangsrechtsstreit zwischen der in Estland ansässigen Gesellschaft Ragn-Sells und der estnischen Gemeinde Sillamäe Linnavalitsus eine in Auftragsunterlagen enthaltene Klausel über die „Vergabe einer Konzession für die Abfallabfuhr in der Stadt Sillamäe“ betrifft. Nach dieser Klausel sind die im Gebiet dieser Gemeinde erzeugten Abfälle zu zwei Behandlungsanlagen in Estland zu transportieren.

72      Außerdem enthalten die dem Gerichtshof vorgelegten Akten keine Anhaltspunkte dafür, dass in anderen Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen an der Behandlung von im Gebiet der Sillamäe Linnavalitsus erzeugten Abfällen interessiert gewesen wären.

73      Eine solche Situation weist keinen Bezug zu einem der vom Unionsrecht erfassten Sachverhalte im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit auf.

74      Aufgrund dessen ist auf die erste Frage, soweit sie die Art. 49 AEUV und 56 AEUV betrifft, zu antworten, dass diese Artikel keine Anwendung auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens finden, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen.

 Kosten

75      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen in Verbindung mit Art. 16 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien sind wie folgt auszulegen:

–        Diese Bestimmungen erlauben einer örtlichen Selbstverwaltungseinheit, das mit dem Sammeln der Abfälle in ihrem Gebiet beauftragte Unternehmen zu verpflichten, die in privaten Haushalten und gegebenenfalls bei anderen Erzeugern eingesammelten gemischten Siedlungsabfälle zur nächstgelegenen geeigneten Behandlungsanlage zu transportieren, die sich in demselben Mitgliedstaat befindet wie diese Selbstverwaltungseinheit.

–        Diese Bestimmungen erlauben einer örtlichen Selbstverwaltungseinheit nicht, das mit dem Sammeln der Abfälle in ihrem Gebiet beauftragte Unternehmen zu verpflichten, die in ihrem Gebiet erzeugten Industrie- und Bauabfälle zur nächstgelegenen geeigneten Behandlungsanlage zu transportieren, die sich in demselben Mitgliedstaat befindet wie diese Selbstverwaltungseinheit, wenn diese Abfälle zur Verwertung bestimmt sind, sofern die Erzeuger der Abfälle entweder verpflichtet sind, die Abfälle entweder dem genannten Unternehmen zu übergeben oder sie direkt an die genannte Anlage zu liefern.

2.      Die Art. 49 AEUV und 56 AEUV finden keine Anwendung auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Estnisch.