URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

16. Juli 2020(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zulässigkeit – Art. 267 AEUV – Begriff ‚einzelstaatliches Gericht‘ – Kriterien – Sozialpolitik – Richtlinie 2003/88/EG – Anwendungsbereich – Art. 7 – Bezahlter Jahresurlaub – Richtlinie 1999/70/EG – EGB‑UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge – Paragrafen 2 und 3 – Begriff ‚befristet beschäftigter Arbeitnehmer‘ – Friedensrichter und ordentliche Richter – Unterschiedliche Behandlung – Paragraf 4 – Grundsatz der Nichtdiskriminierung – Begriff ‚sachliche Gründe‘“

In der Rechtssache C‑658/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Giudice di pace di Bologna (Friedensrichter Bologna, Italien) mit Entscheidung vom 16. Oktober 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Oktober 2018, in dem Verfahren

UX

gegen

Governo della Repubblica italiana

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter) sowie der Richter P. G. Xuereb und T. von Danwitz,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. November 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von UX, vertreten durch G. Guida, F. Sisto, F. Visco und V. De Michele, avvocati,

–        des Governo della Repubblica italiana, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. Fiandaca und F. Sclafani, avvocati dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 23. Januar 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 267 AEUV, Art. 31 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), den Grundsatz der Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Unionsrecht sowie die Auslegung von Art. 1 Abs. 3 und Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) und der Paragrafen 2 und 4 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (im Folgenden: Rahmenvereinbarung) im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen UX und dem Governo della Repubblica italiana (italienische Regierung) über eine Forderung auf Ersatz des durch einen Verstoß des italienischen Staates gegen das Unionsrecht entstandenen Schadens.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 89/391/EWG

3        Art. 2 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. 1989, L 183, S. 1) bestimmt die Tätigkeitsbereiche, die von dieser Richtlinie erfasst werden:

„(1)      Diese Richtlinie findet Anwendung auf alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche (gewerbliche, landwirtschaftliche, kaufmännische, verwaltungsmäßige sowie dienstleistungs- oder ausbildungsbezogene, kulturelle und Freizeittätigkeiten usw.).

(2)      Diese Richtlinie findet keine Anwendung, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z. B. bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen.

In diesen Fällen ist dafür Sorge zu tragen, dass unter Berücksichtigung der Ziele dieser Richtlinie eine größtmögliche Sicherheit und ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet ist.“

 Richtlinie 2003/88

4        Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2003/88 bestimmt in den Abs. 1 bis 3:

„(1)      Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.

(2)      Gegenstand dieser Richtlinie sind

a)      … der Mindestjahresurlaub …

(3)      Diese Richtlinie gilt unbeschadet ihrer Artikel 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG.

…“

5        Art. 7 („Jahresurlaub“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

(2)      Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.“

 Richtlinie 1999/70

6        Der 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 1999/70 lautet:

„Bezüglich der in der Rahmenvereinbarung verwendeten, jedoch nicht genau definierten Begriffe überlässt es diese Richtlinie – wie andere im Sozialbereich erlassene Richtlinien, in denen ähnliche Begriffe vorkommen – den Mitgliedstaaten, diese Begriffe entsprechend ihrem nationalen Recht und/oder ihrer nationalen Praxis zu definieren, vorausgesetzt, diese Definitionen entsprechen inhaltlich der Rahmenvereinbarung.“

7        Nach Art. 1 dieser Richtlinie soll mit ihr „die zwischen den allgemeinen branchenübergreifenden Organisationen (EGB, UNICE und CEEP) geschlossene Rahmenvereinbarung …, die im Anhang enthalten ist, durchgeführt werden“.

8        Die Rahmenvereinbarung soll nach ihrem Paragraf 1 zum einen durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse verbessern und zum anderen einen Rahmen schaffen, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse verhindert.

9        Paragraf 2 („Anwendungsbereich“) der Rahmenvereinbarung sieht vor:

„1.      Diese Vereinbarung gilt für befristet beschäftigte Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis gemäß der gesetzlich, tarifvertraglich oder nach den Gepflogenheiten in jedem Mitgliedstaat geltenden Definition.

2.      Die Mitgliedstaaten, nach Anhörung der Sozialpartner, und/oder die Sozialpartner können vorsehen, dass diese Vereinbarung nicht gilt für:

a)      Berufsausbildungsverhältnisse und Auszubildendensysteme/Lehrlingsausbildungssysteme;

b)      Arbeitsverträge und ‑verhältnisse, die im Rahmen eines besonderen öffentlichen oder von der öffentlichen Hand unterstützten beruflichen Ausbildungs‑, Eingliederungs- oder Umschulungsprogramms abgeschlossen wurden.“

10      In Paragraf 3 („Definitionen“) der Rahmenvereinbarung heißt es:

„Im Sinne dieser Vereinbarung ist:

1.      ‚befristet beschäftigter Arbeitnehmer‘ eine Person mit einem direkt zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis, dessen Ende durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses bestimmt wird.

2.      ‚vergleichbarer Dauerbeschäftigter‘ ein Arbeitnehmer desselben Betriebs mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis, der in der gleichen oder einer ähnlichen Arbeit/Beschäftigung tätig ist, wobei auch die Qualifikationen/Fertigkeiten angemessen zu berücksichtigen sind. …“

11      Paragraf 4 („Grundsatz der Nichtdiskriminierung“) der Rahmenvereinbarung sieht vor:

„1.      Befristet beschäftig[t]e Arbeitnehmer dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil für sie ein befristeter Arbeitsvertrag oder ein befristetes Arbeitsverhältnis gilt, gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.

2.      Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz. …“

 Italienisches Recht

12      Art. 106 der italienischen Verfassung enthält grundlegende Bestimmungen über den Zugang zum Richteramt:

„Die Bestellung der Richter findet durch Wettbewerb statt.

Das Gesetz über die Gerichtsverfassung kann die Bestellung von ehrenamtlichen [onorari] Richtern, auch mittels Wahl, für alle einzelnen Richtern zustehenden Aufgaben gestatten.

…“

13      Die Legge n. 374, Istituzione del giudice di pace (Gesetz Nr. 374, Errichtung des Friedensgerichts) vom 21. November 1991 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 278 vom 27. November 1991, S. 5, im Folgenden: Gesetz Nr. 374/1991) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung bestimmt:

„Art. 1

Errichtung und Aufgaben des Friedensgerichts

(1)      Es werden Friedensgerichte errichtet, welche die Gerichtsbarkeit in Zivilsachen und in Strafsachen sowie die Schlichtungstätigkeit in Zivilsachen gemäß den Vorschriften dieses Gesetzes ausüben.

(2)      Das Amt des Friedensrichters wird von einem ehrenamtlichen Richter bekleidet, der dem Richterstand zugezählt wird.

Art. 3

Gesamtstellenplan und Stellenplan der Ämter des Friedensgerichts

(1)      Der Gesamtstellenplan für die den Friedensgerichtsämtern zuzuteilenden ehrenamtlichen Richter umfasst 4 700 Stellen; …

Art. 4

Bestellung zum Amt

(1)      Die ehrenamtlichen Richter, die berufen werden, das Amt eines Friedensrichters zu bekleiden, werden durch Dekret des Präsidenten der Republik bestellt, und zwar aufgrund eines Beschlusses des Obersten Rates für das Gerichtswesen, der auf Vorschlag des örtlich zuständigen Gerichtsrats, der durch fünf von den Ausschüssen der Rechtsanwaltskammer des Oberlandesgerichtssprengels einvernehmlich bezeichnete Vertreter ergänzt wird, ergeht.

Art. 10

Pflichten und Disziplinaraufsicht

(1)      Ein ehrenamtlicher Richter, welcher die Tätigkeit eines Friedensrichters ausübt, ist verpflichtet, die für die ordentlichen Richter vorgesehenen Pflichten zu beachten. …

Art. 11

Dem Friedensrichter zustehende Entschädigungen

(1)      Das Amt des Friedensrichters ist ein Ehrenamt.

(2)      Die ehrenamtlichen Richter, die das Amt des Friedensrichters ausüben, erhalten eine Entschädigung von 70 000 [italienischen Lire (ITL) (etwa 35 Euro)] für jede Verhandlung in Zivil- oder Strafsachen, auch wenn es sich nicht um eine Hauptverhandlung handelt, sowie für die Anlegung von Siegeln und eine Entschädigung von 110 000 [ITL (etwa 55 Euro)] für jedes andere zugewiesene Verfahren, das erledigt oder aus dem Register gestrichen wird.

(3)      Außerdem steht ihnen eine Entschädigung von 500 000 [ITL (etwa 250 Euro)] für jeden Monat tatsächlicher Dienstzeit als Aufwendungserstattung für Ausbildung, Fortbildung und Ausführung der allgemeinen Gerichtsdienstleistungen zu.

(4-bis)      Die in diesem Artikel vorgesehenen Entschädigungen sind mit Renten- und Ruhestandsbezügen unabhängig von deren Bezeichnung kumulierbar.

(4-ter)      Die in diesem Artikel vorgesehenen Entschädigungen dürfen in keinem Fall 72 000 Euro brutto pro Jahr übersteigen.“

14      In Art. 8-bis der Legge n. 97, Norme sullo stato giuridico dei magistrati e sul trattamento economico dei magistrati ordinari e amministrativi, dei magistrati della giustizia militare e degli avvocati dello Stato (Gesetz Nr. 97, Vorschriften über den Rechtsstatus der Richter und die Besoldung der ordentlichen Richter und Verwaltungsrichter, der Richter der Militärgerichtsbarkeit und der Avvocati dello Stato) vom 2. April 1979, der für den Sachverhalt des vorliegenden Falls maßgeblich ist, heißt es:

„… die ordentlichen Richter, Verwaltungsrichter, Rechnungshofrichter und Militärrichter sowie die Avvocati dello Stato und Staatsanwälte [haben] einen Jahresurlaub von 30 Tagen.“

15      Art. 24 des Decreto legislativo n. 116, Riforma organica della magistratura onoraria e altre disposizioni sui giudici di pace, nonché disciplina transitoria relativa ai magistrati onorari in servizio, a norma della legge 28 aprile 2016, n. 57 (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 116, Strukturreform des ehrenamtlichen Richteramts und weitere Bestimmungen über die Friedensrichter sowie Übergangsregelung für amtierende ehrenamtliche Richter gemäß dem Gesetz Nr. 57 vom 28. April 2016) vom 13. Juli 2017 (GURI Nr. 177 vom 31. Juli 2017, S. 1) sieht eine Entschädigung der Friedensrichter für den Zeitraum der Gerichtsferien vor, allerdings nur für die ehrenamtlichen Richter, die ihr Amt nach dem 16. August 2017 angetreten haben.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

16      Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens wurde am 23. Februar 2001 zur Giudice di pace (Friedensrichterin) ernannt und übte dieses Amt von 2002 bis 2005 und von 2005 bis heute an zwei verschiedenen Gerichten aus.

17      Vom 1. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2018 erließ sie 478 Urteile als Strafrichterin sowie 1 113 Einstellungsbeschlüsse gegen bekannte Verdächtige und 193 Einstellungsbeschlüsse gegen unbekannte Verdächtige als Giudice dell’indagine preliminare (Ermittlungsrichterin). Im Rahmen ihrer Aufgaben hält sie als Einzelrichterin zwei Sitzungen pro Woche ab, außer in der Zeit des unbezahlten Urlaubs im August, in der die Verfahrensfristen gehemmt sind.

18      Im August 2018 war die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens während ihres unbezahlten Urlaubs nicht als Friedensrichterin tätig und bezog dementsprechend keine Entschädigung.

19      Am 8. Oktober 2018 reichte sie beim Giudice di pace di Bologna (Friedensrichter Bologna, Italien) zum Ersatz des Schadens, den sie aufgrund eines offensichtlichen Verstoßes des italienischen Staates namentlich gegen Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung, Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 der Charta erlitten haben will, einen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids gegen den Governo della Republicca italiana (italienische Regierung) über einen Betrag von 4 500,00 Euro ein, der, so die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens, der Besoldung für den Monat August 2018 entspreche, auf die ein ordentlicher Richter mit dem gleichen Dienstalter wie sie Anspruch hätte. Hilfsweise beantragt sie die Verurteilung der italienischen Regierung zur Zahlung eines Betrags von 3 039,76 Euro auf derselben Anspruchsgrundlage, ausgehend von ihrer Nettoentschädigung im Juli 2018.

20      In diesem Zusammenhang geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die von den Friedensrichtern bezogenen Zahlungen an die geleistete Arbeit anknüpfen und mit Blick auf die Zahl der erlassenen Entscheidungen berechnet werden. Infolgedessen erhielt die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens während der Urlaubszeit im August keinerlei Entschädigung, während die ordentlichen Richter Anspruch auf bezahlten Urlaub von 30 Tagen haben. Art. 24 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 116 vom 13. Juli 2017, der nunmehr die Bezahlung der Urlaubszeit für die Friedensrichter vorsieht, ist ausweislich der Vorlageentscheidung auf die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens wegen des Zeitpunkts ihres Amtsantritts nicht anwendbar.

21      Aus der Vorlageentscheidung geht auch hervor, dass die Friedensrichter hinsichtlich ihrer Pflichten den ordentlichen Richtern disziplinarrechtlich gleichgestellt sind. Die Aufsicht über die Einhaltung dieser Pflichten führt der Oberste Rat für das Gerichtswesen gemeinsam mit dem Justizminister.

22      Der Giudice di pace di Bologna (Friedensrichter Bologna) ist im Gegensatz zu den obersten italienischen Gerichten der Ansicht, dass die Friedensrichter trotz ihres Ehrenamts nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 und der Rahmenvereinbarung als „Arbeitnehmer“ anzusehen seien. Er verweist für diesen Ansatz insbesondere auf das Unterordnungsverhältnis, das seiner Ansicht nach das Verhältnis zwischen den Friedensrichtern und dem Ministero della giustizia (Justizministerium) kennzeichnet. Ebenso unterlägen die Friedensrichter nicht nur der Disziplinargewalt des Obersten Rates für das Gerichtswesen, sondern seien auch in den Stellenplan der Judikative integriert. Außerdem würden die Entgeltabrechnungen der Friedensrichter in der gleichen Weise ausgestellt wie für die öffentlichen Bediensteten, und das Einkommen des Friedensrichters sei mit dem des Arbeitnehmers gleichgestellt. Daher seien die Richtlinie 2003/88 und die Rahmenvereinbarung auf die Friedensrichter anwendbar.

23      Unter diesen Umständen hat der Giudice di pace di Bologna (Friedensrichter Bologna) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof fünf Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

24      Mit Entscheidung vom 11. November 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 12. November 2019, hat das vorlegende Gericht die vierte und die fünfte Vorlagefrage zurückgenommen und gleichzeitig bestätigt, dass es die folgenden Vorlagefragen 1 bis 3 aufrechterhalte:

1.      Fällt der Friedensrichter als vorlegendes Gericht unter den Begriff des nationalen Gerichts als europäisches Gericht, das eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV stellen kann, auch wenn in Anbetracht seiner prekären arbeitsrechtlichen Situation ihm das innerstaatliche Recht unter Verstoß gegen die Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des nationalen Gerichts als europäisches Gericht, auf die der Gerichtshof in den Urteilen vom 19. September 2006, Wilson (C‑506/04, EU:C:2006:587, Rn. 47 bis 53), vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 32 und 41 bis 45), und vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 50 bis 54), hingewiesen hat, keine Arbeitsbedingungen zuerkennt, die denjenigen der Berufsrichter entsprechen, obwohl er dieselben Rechtsprechungsaufgaben unter Eingliederung in die nationale Gerichtsverfassung ausübt?

2.      Bei Bejahung der Frage 1: Fällt die Diensttätigkeit der antragstellenden Friedensrichterin unter den Begriff „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ nach Art. 1 Abs. 3 und Art. 7 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Paragraf 2 der Rahmenvereinbarung und Art. 31 Abs. 2 der Charta in der Auslegung des Gerichtshofs in den Urteilen vom 1. März 2012, O’Brien (C‑393/10, EU:C:2012:110), und vom 29. November 2017, King (C‑214/16, EU:C:2017:914), und können bejahendenfalls ordentliche Richter oder Berufsrichter für die Zwecke der Anwendung derselben Arbeitsbedingungen nach Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung als dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer „Friedensrichter“ vergleichbare Dauerbeschäftigte angesehen werden?

3.      Bei Bejahung der Frage 1 und der Frage 2: Steht Art. 47 der Charta in Verbindung mit Art. 267 AEUV im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich der Haftung des italienischen Staates wegen offenkundigen Verstoßes gegen das Unionsrecht durch ein letztinstanzliches Gericht in den Urteilen vom 30. September 2003, Köbler (C‑224/01, EU:C:2003:513), vom 13. Juni 2006, Traghetti del Mediterraneo (C‑173/03, EU:C:2006:391), und vom 24. November 2011, Kommission/Italien (C‑379/10, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:775), Art. 2 Abs. 3 und 3-bis der Legge no 117, Risarcimento dei danni cagionati nell’esercizio delle funzioni giudiziarie e responsabilità civile dei magistrati (Gesetz Nr. 117, Ersatz der in Ausübung der Gerichtstätigkeiten verursachten Schäden und zivilrechtliche Haftung der Richter) vom 13. April 1988 (GURI Nr. 88 vom 15. April 1988) entgegen, der die Haftung des Richters für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit „im Fall eines offenkundigen Verstoßes gegen das Gesetz oder gegen das Unionsrecht“ vorsieht und das nationale Gericht vor die Wahl stellt – die, wie auch immer sie ausfällt, zu einer zivilrechtlichen und disziplinarischen Haftung gegenüber dem Staat in den Rechtssachen führt, in denen eben diese öffentliche Verwaltung Partei ist, insbesondere wenn das Gericht in der Rechtssache ein Friedensrichter mit befristetem Arbeitsvertrag und ohne effektiven rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialversicherungsrechtlichen Schutz ist –, wie im vorliegenden Fall, entweder gegen die nationale Regelung zu verstoßen, indem es sie unangewendet lässt und das Unionsrecht, wie der Gerichtshof es ausgelegt hat, anwendet, oder aber gegen das Unionsrecht zu verstoßen, indem es die nationalen Bestimmungen anwendet, die der Zuerkennung des Schutzes entgegenstehen und gegen Art. 1 Abs. 3 und Art. 7 der Richtlinie 2003/88, die Paragrafen 2 und 4 der Rahmenvereinbarung sowie Art. 31 Abs. 2 der Charta verstoßen?

 Verfahren vor dem Gerichtshof

25      Das vorlegende Gericht hat beantragt, die Rechtssache dem in Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union vorgesehenen Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen.

26      Am 6. November 2018 hat der Gerichtshof auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung der Generalanwältin entschieden, diesem Antrag nicht stattzugeben.

 Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

27      Nach der Verlesung der Schlussanträge der Generalanwältin hat die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens mit Schriftsatz, der am 29. Januar 2020 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, beantragt, nach Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zu beschließen.

28      Sie stützt ihren Antrag im Wesentlichen darauf, dass sich die Generalanwältin in Bezug auf die Komponenten der Vergütung der Friedensrichter in ihren Schlussanträgen auf eine Rechtsprechung des Gerichtshofs gestützt habe, die in der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2019 nicht erörtert worden sei. Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens wendet sich dagegen, wie die Methode zur Berechnung des Urlaubsentgelts und, genauer, bestimmte Aspekte der für die Berechnung dieses Entgelts heranzuziehenden Vergütung von der Generalanwältin beurteilt worden sind. Sie ist somit der Ansicht, dass die Generalanwältin ein neues Argument eingeführt habe, das in der mündlichen Verhandlung nicht erörtert worden sei.

29      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen stellt, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Der Gerichtshof ist weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      In diesem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, dass die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung keine Möglichkeit für die Parteien oder die in Art. 23 der Satzung bezeichneten Beteiligten vorsehen, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen. Dass eine Partei oder ein solcher Beteiligter nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Da der Antrag der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens es ihr ermöglichen soll, auf den Standpunkt zu erwidern, den die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen eingenommen hat, kann ihm folglich nicht stattgegeben werden.

32      Dessen ungeachtet kann der Gerichtshof gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

33      Im vorliegenden Fall geht der Gerichtshof aber nach Anhörung der Generalanwältin davon aus, dass er über alle erforderlichen Angaben verfügt, um die Fragen des vorlegenden Gerichts zu beantworten, und dass kein zwischen den Beteiligten etwa nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

34      Demnach besteht keine Veranlassung, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zu beschließen.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit

35      Die Italienische Republik und die Europäische Kommission machen erstens geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen insgesamt unzulässig sei, da der Friedensrichter, von dem die Vorlage zur Vorabentscheidung stamme, nicht als einzelstaatliches Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen werden könne, weil insoweit drei der wesentlichen Voraussetzungen fehlten.

36      Als Erstes sei das Erfordernis der Unabhängigkeit insbesondere unter seinem zweiten, das Innenverhältnis betreffenden Aspekt nicht gewahrt, da der erkennende Richter zwangsläufig ein Interesse am Ausgang des Ausgangsrechtsstreits habe, weil er zur Kategorie der Friedensrichter gehöre, weshalb er nicht als unparteiisch gelten könne.

37      Als Zweites machen die Italienische Republik und die Kommission zur obligatorischen Gerichtsbarkeit des erkennenden Richters geltend, dass zum einen die Forderungen der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens im Zusammenhang mit einem arbeitsrechtlichen Rechtsstreit stünden, in dem es um die Frage gehe, ob die Friedensrichter Arbeitnehmer seien, und dass zum anderen die Zuständigkeit des Friedensrichters auf einer nach italienischem Recht verbotenen Aufspaltung der Forderungen der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens gegen den italienischen Staat beruhe.

38      Als Drittes vertreten die italienische Regierung und die Kommission die Auffassung, dass im vorliegenden Fall das Mahnverfahren vor dem erkennenden Richter kein streitiges Verfahren sei.

39      Zweitens äußert die Kommission Zweifel zum einen an der Erforderlichkeit des Vorabentscheidungsersuchens und zum anderen an der Erheblichkeit der Vorlagefragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits. Sie ist als Erstes der Ansicht, das vorlegende Gericht habe, obwohl es in Nr. 22 der Vorlageentscheidung selbst ausgeführt habe, dass eine Vorlage zur Vorabentscheidung nicht erforderlich sei, nicht klar die Gründe erläutert, aus denen ihm die Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts fraglich erscheine. Als Zweites ist die Kommission der Auffassung, dass zum einen die zweite Frage nicht zur Klärung eines wirklichen Zweifels des erkennenden Richters an der Auslegung des Unionsrechts aufgeworfen werde und dass zum anderen die dritte Frage in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stehe.

40      Insoweit ist erstens zu prüfen, ob hier der Friedensrichter, auf den die vorliegende Vorlage zur Vorabentscheidung zurückgeht, die Kriterien erfüllt, um als einzelstaatliches Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV zu gelten.

41      Diese Fragestellung wird auch mit der ersten Frage aufgeworfen, mit der im Wesentlichen geklärt werden soll, ob der Friedensrichter unter den Begriff „Gericht eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV fällt.

42      Bei der Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der jeweils vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt, berücksichtigt der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung eine Reihe von Merkmalen, wie z. B. die gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ihren ständigen Charakter, die obligatorische Gerichtsbarkeit, das streitige Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie ihre Unabhängigkeit (Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Im vorliegenden Fall lassen die Angaben in der dem Gerichtshof unterbreiteten Akte keinen Zweifel daran zu, dass der Friedensrichter die Kriterien hinsichtlich seiner gesetzlichen Grundlage, seines ständigen Charakters und der Anwendung von Rechtsnormen durch ihn erfüllt.

44      Dagegen stellt sich zunächst die Frage, ob er das Kriterium der Unabhängigkeit erfüllt. Das vorlegende Gericht äußert Bedenken hinsichtlich seiner eigenen Unabhängigkeit, die mit den Arbeitsbedingungen der italienischen Friedensrichter zusammenhängen.

45      Hierzu ist daran zu erinnern, dass die Unabhängigkeit der nationalen Gerichte für das reibungslose Funktionieren des Systems der justiziellen Zusammenarbeit, das durch den Mechanismus des Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUV verkörpert wird, von grundlegender Bedeutung ist, da nach der oben in Rn. 42 angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs die Vorlageberechtigung von Einrichtungen, die mit der Anwendung des Unionsrechts betraut sind, u. a. daran geknüpft ist, dass sie unabhängig sind (Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs umfasst der Begriff der Unabhängigkeit zwei Aspekte. Der erste, das Außenverhältnis betreffende Aspekt erfordert, dass die betreffende Einrichtung ihre Funktionen in völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, so dass sie vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten (Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Zu diesem das Außenverhältnis betreffenden Aspekt des Begriffs der Unabhängigkeit ist auch daran zu erinnern, dass die Nichtabsetzbarkeit der Mitglieder der betreffenden Einrichtung eine wesentliche Garantie für die richterliche Unabhängigkeit darstellt, da sie darauf abzielt, die mit der Aufgabe des Richtens Betrauten in ihrer Person zu schützen (Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Der Grundsatz der Unabsetzbarkeit, dessen zentrale Bedeutung hervorzuheben ist, erfordert insbesondere, dass die Richter im Amt bleiben dürfen, bis sie das obligatorische Ruhestandsalter erreicht haben oder ihre Amtszeit, sofern diese befristet ist, abgelaufen ist. Dieser Grundsatz beansprucht zwar nicht völlig absolute Geltung, doch dürfen Ausnahmen von ihm nur unter der Voraussetzung gemacht werden, dass dies durch legitime und zwingende Gründe gerechtfertigt ist und dabei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet wird. So ist allgemein anerkannt, dass Richter abberufen werden können, wenn sie wegen Dienstunfähigkeit oder einer schweren Verfehlung nicht mehr zur Ausübung ihres Amtes geeignet sind, wobei angemessene Verfahren einzuhalten sind (Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Die Unabsetzbarkeit der Mitglieder eines Gerichts ist somit nur dann gewährleistet, wenn die Fälle, in denen die Mitglieder der Einrichtung abberufen werden können, in besonderen Regelungen durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen festgelegt sind, die Garantien bieten, die über das hinausgehen, was die allgemeinen Regeln des Verwaltungs- und des Arbeitsrechts im Fall einer missbräuchlichen Abberufung vorsehen (Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Der zweite, das Innenverhältnis betreffende Aspekt des Begriffs der Unabhängigkeit steht mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass den Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen am Streitgegenstand mit dem gleichen Abstand begegnet wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51      Diese Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der genannten Stelle für Einflussnahmen von außen und an ihrer Neutralität in Bezug auf die einander gegenüberstehenden Interessen auszuschließen (Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52      Im vorliegenden Fall ist zur Ernennung der Friedensrichter festzustellen, dass nach der anwendbaren nationalen Regelung, namentlich Art. 4 des Gesetzes Nr. 374/1991, die Friedensrichter durch Dekret des Präsidenten der Italienischen Republik bestellt werden, und zwar aufgrund eines Beschlusses des Obersten Rates für das Gerichtswesen auf Vorschlag des örtlich zuständigen Gerichtsrats, der durch fünf von den Ausschüssen der Rechtsanwaltskammer des Oberlandesgerichtssprengels einvernehmlich bezeichnete Vertreter ergänzt wird.

53      Zur Amtsdauer der Friedensrichter geht aus der dem Gerichtshof unterbreiteten Akte hervor, dass sie eine Amtszeit von vier Jahren haben, die zu ihrem Ablauf um die gleiche Dauer verlängert werden kann. Außerdem bleiben die Friedensrichter grundsätzlich bis zum Ablauf ihrer Amtszeit von vier Jahren im Amt, sofern die Amtszeit nicht verlängert wird.

54      In Bezug auf die Abberufung der Friedensrichter geht aus der Akte hervor, dass die Fälle ihrer Abberufung und die besonderen Verfahren dafür durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen auf nationaler Ebene festgelegt sind.

55      Außerdem üben die Friedensrichter ihre Funktionen vorbehaltlich der Disziplinarvorschriften in völliger Autonomie und ohne Druck von außen aus, der ihre Entscheidungen beeinflussen könnte.

56      Was das Erfordernis der Unabhängigkeit unter dem Blickwinkel seines zweiten, das Innenverhältnis betreffenden Aspekts (siehe oben, Rn. 50) betrifft, genügt, wie von der Generalanwältin in Nr. 51 ihrer Schlussanträge ausgeführt, die Feststellung, dass der Gerichtshof bereits mehrfach Vorlagefragen zum Status von Richtern beantwortet hat, ohne die Unabhängigkeit der vorlegenden Gerichte zu bezweifeln, von denen diese Fragen ausgingen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juni 2017, Florescu u. a., C‑258/14, EU:C:2017:448, vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, vom 7. Februar 2019, Escribano Vindel, C‑49/18, EU:C:2019:106, und vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982).

57      In Anbetracht der Erwägungen in den vorstehenden Rn. 44 bis 56 ist davon auszugehen, dass dem Erfordernis der Unabhängigkeit im vorliegenden Fall genügt ist.

58      Sodann stellt sich die Frage der obligatorischen Gerichtsbarkeit im Fall des vorlegenden Gerichts.

59      Die Italienische Republik und die Kommission haben Zweifel an der Zuständigkeit des erkennenden Richters für die Entscheidung eines Rechtsstreits wie desjenigen des Ausgangsverfahrens geäußert, da zum einen die Forderungen der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens im Zusammenhang eines arbeitsrechtlichen Rechtsstreits stünden, in dem es um die Frage gehe, ob die Friedensrichter Arbeitnehmer seien. Hierzu genügt jedoch der Hinweis, dass feststeht, dass es sich beim Ausgangsrechtsstreit nicht um ein arbeitsrechtliches Verfahren, sondern um ein Schadensersatzverfahren gegen den Staat handelt. Die Italienische Republik und die Kommission stellen auch nicht in Abrede, dass Friedensrichter dafür zuständig sind, über solche Ansprüche zu entscheiden.

60      Was zum anderen die behauptete Aufteilung der Forderungen der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass ausweislich der Vorlageentscheidung der Friedensrichter nach Art. 7 Abs. 1 des Codice di procedura civile (Zivilprozessgesetzbuch) für Rechtsstreitigkeiten über bewegliche Sachen mit einem Streitwert von nicht mehr als 5 000 Euro zuständig ist, sofern sie nicht durch Gesetz der Zuständigkeit eines anderen Gerichts zugewiesen sind. Ebenfalls nach der Vorlageentscheidung sieht Art. 4 Abs. 43 der Legge n. 183 (Gesetz Nr. 183) vom 12. November 2011 keinerlei Vorbehalt hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit vor, so dass der Antrag der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens auf Erlass eines Mahnbescheids gegen die italienische Regierung ordnungsgemäß innerhalb der Grenzen der Zuständigkeit des erkennenden Richters nach Maßgabe des Streitwerts und seiner örtlichen Zuständigkeit gestellt wurde.

61      Insoweit genügt der Hinweis, dass es nicht Sache des Gerichtshofs ist, die im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts fallende Beurteilung der Zulässigkeit des Ausgangsrechtsstreits durch das vorlegende Gericht in Frage zu stellen, und er auch nicht zu überprüfen hat, ob die Vorlageentscheidung im Einklang mit den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das gerichtliche Verfahren ergangen ist (Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 30, sowie Beschluss vom 17. Januar 2019, Rossi u. a., C‑626/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:28, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof ist an die von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Vorlageentscheidung gebunden, solange sie nicht aufgrund eines im nationalen Recht eventuell vorgesehenen Rechtsbehelfs aufgehoben worden ist (Urteile vom 7. Juli 2016, Genentech, C‑567/14, EU:C:2016:526, Rn. 23, und vom 11. Juli 1996, SFEI u. a., C‑39/94, EU:C:1996:285, Rn. 24).

62      Hinzuzufügen ist, dass sich unter den gegebenen Umständen eine solche Situation von den Situationen unterscheidet, die insbesondere in den Beschlüssen vom 6. September 2018, Di Girolamo (C‑472/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:684), und vom 17. Dezember 2019, Di Girolamo (C‑618/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1090), in Rede standen, wo das vorlegende Gericht klar angegeben hatte, dass es für die Entscheidung über den bei ihm gestellten Antrag nicht zuständig sei.

63      Was schließlich die Eigenschaft des beim erkennenden Richter anhängigen Verfahrens als streitiges Verfahren betrifft, genügt der Hinweis, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs Art. 267 AEUV die Anrufung des Gerichtshofs nicht davon abhängig macht, dass das Verfahren vor dem vorlegenden Gericht streitigen Charakter hat. Dagegen ergibt sich aus diesem Artikel, dass die nationalen Gerichte den Gerichtshof nur anrufen können, wenn bei ihnen ein Rechtsstreit anhängig ist und sie im Rahmen eines Verfahrens zu entscheiden haben, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt (Urteile vom 16. Dezember 2008, Cartesio, C‑210/06, EU:C:2008:723, Rn. 56, und vom 4. September 2019, Salvoni, C‑347/18, EU:C:2019:661, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies ist hier aber der Fall.

64      Außerdem hat der Gerichtshof, wie von der Generalanwältin in Nr. 62 ihrer Schlussanträge festgestellt, bereits entschieden, dass ein Vorabentscheidungsersuchen auch aus einem Mahnverfahren heraus an ihn gerichtet werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Dezember 1971, Politi, 43/71, EU:C:1971:122, Rn. 4 und 5, sowie vom 8. Juni 1998, Corsica Ferries France, C‑266/96, EU:C:1998:306, Rn. 23).

65      Demnach sind die von der Kommission und der italienischen Regierung geäußerten Zweifel zurückzuweisen, und es ist festzustellen, dass der Friedensrichter die Kriterien erfüllt, um als „Gericht eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV zu gelten.

66      Was zweitens die Erforderlichkeit des Vorabentscheidungsersuchens und die Erheblichkeit der Vorlagefragen betrifft, ist daran zu erinnern, dass es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, ist, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67      Folglich gilt für Fragen zum Unionsrecht eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteile vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 19. Oktober 2017, Paper Consult, C‑101/16, EU:C:2017:775, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68      Da die Vorlageentscheidung die Grundlage für das Verfahren vor dem Gerichtshof bildet, ist es unerlässlich, dass das nationale Gericht darin den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits darlegt und ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Vorschriften des Unionsrechts, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Vorschriften und der nationalen Regelung herstellt, die auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anzuwenden ist (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 9. März 2017, Milkova, C‑406/15, EU:C:2017:198, Rn. 73, und Beschluss vom 16. Januar 2020, Telecom Italia u. a., C‑368/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:21, Rn. 37)

69      Diese kumulativen Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens sind in Art. 94 der Verfahrensordnung ausdrücklich aufgeführt. Danach muss das Vorabentscheidungsersuchen insbesondere „eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang [enthalten], den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt“.

70      Im vorliegenden Fall geht aus Nr. 22 der Vorlageentscheidung klar hervor, dass das vorlegende Gericht dort lediglich das Vorbringen der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens schildert, wonach es möglich sei, ihrem Antrag ohne Befragung des Gerichtshofs stattzugeben, und in keiner Weise feststellt, dass eine Vorlage zur Vorabentscheidung für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits nicht erforderlich sei.

71      Außerdem ist, wie die Generalanwältin in den Nrn. 32 und 33 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, in Bezug auf die zweite Vorlagefrage festzustellen, dass diese nicht unerheblich ist, da das vorlegende Gericht damit zwecks Klärung der Frage, ob die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens wegen der Verweigerung bezahlten Urlaubs Anspruch auf Schadensersatz hat, Erkenntnisse über den Arbeitnehmerbegriff der Richtlinie 2003/88 und den Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus der Rahmenvereinbarung begehrt, um zu entscheiden, ob beide auf die italienischen Friedensrichter Anwendung finden.

72      Wie aber die Generalanwältin in Nr. 34 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, besteht insoweit Klärungsbedarf.

73      Dagegen ist zur dritten Frage festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit nicht die persönliche Haftung der Richter betrifft, sondern einen Schadensersatzanspruch auf der Grundlage bezahlten Urlaubs. Das vorlegende Gericht hat weder erläutert, inwiefern eine Auslegung von Art. 47 der Charta für seine Entscheidung erforderlich sein soll, noch, welchen Zusammenhang es zwischen den Unionsvorschriften, um deren Auslegung es ersucht, und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt.

74      Außerdem geht aus der Vorlageentscheidung in keiner Weise hervor, dass es um die Haftung des vorlegenden Richters für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit gehen könnte.

75      Unter diesen Umständen ist nach alledem festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen mit Ausnahme der dritten Frage zulässig ist.

 Zur Beantwortung der Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

76      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 267 AEUV dahin auszulegen ist, dass der Giudice di pace (Friedensrichter) unter den Begriff „Gericht eines Mitgliedstaats“ im Sinne dieses Artikels fällt.

77      Hier ergibt sich aus den Erwägungen in den vorstehenden Rn. 42 bis 65, dass dies der Fall ist. Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass der Giudice di pace (Friedensrichter) unter den Begriff „Gericht eines Mitgliedstaats“ im Sinne des Art. 267 AEUV fällt.

 Zur zweiten Frage

78      Eingangs ist festzustellen, dass die zweite Frage drei verschiedene Aspekte umfasst, die der Beurteilung eines etwaigen Anspruchs der Friedensrichter auf bezahlten Urlaub auf der Grundlage des Unionsrechts dienen. So betrifft diese Frage zunächst die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs der Richtlinie 2003/88, um festzustellen, ob ein Giudice di pace (Friedensrichter) wie die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens unter diesen Begriff fallen kann, da Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält. Sodann betrifft die Frage den Begriff „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ im Sinne der Rahmenvereinbarung. Schließlich fragt sich das vorlegende Gericht für den Fall, dass der letztgenannte Begriff den Friedensrichter erfassen sollte, ob dieser für die Zwecke der Anwendung des in Paragraf 4 dieser Rahmenvereinbarung festgeschriebenen Grundsatzes der Nichtdiskriminierung mit ordentlichen Richtern verglichen werden kann, denen ein zusätzlicher bezahlter Jahresurlaub von insgesamt 30 Tagen zusteht.

–       Zur Richtlinie 2003/88

79      Mit dem ersten Teil seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen sind, dass ein Friedensrichter, der seine Aufgaben im Sinne einer Hauptbeschäftigung wahrnimmt und leistungsbezogene Entschädigungen sowie Entschädigungen für jeden Monat tatsächlicher Dienstzeit bezieht, unter den Begriff „Arbeitnehmer“ im Sinne dieser Bestimmungen fallen kann.

80      Als Erstes ist zu prüfen, ob die Richtlinie 2003/88 im vorliegenden Fall anwendbar ist.

81      Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 verweist insoweit für ihren Anwendungsbereich auf Art. 2 der Richtlinie 89/391.

82      Nach dessen Art. 2 Abs. 1 findet die Richtlinie 89/391 auf „alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche“ Anwendung.

83      Wie sich aus Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 dieser Richtlinie ergibt, findet sie jedoch keine Anwendung, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z. B. bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen.

84      In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das in Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 verwendete Kriterium zur Ausnahme bestimmter Tätigkeiten vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie und mittelbar auch vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 nicht auf der Zugehörigkeit der Arbeitnehmer zu einem der in dieser Bestimmung beschriebenen Bereiche des öffentlichen Dienstes bei allgemeiner Betrachtung dieses Bereichs beruht, sondern ausschließlich auf der spezifischen Natur bestimmter von den Arbeitnehmern in den von dieser Vorschrift umfassten Bereichen wahrgenommener besonderer Aufgaben, die wegen der unbedingten Notwendigkeit, einen wirksamen Schutz des Gemeinwesens zu gewährleisten, eine Ausnahme von den Vorschriften auf dem Gebiet des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer rechtfertigt (Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 55).

85      Im vorliegenden Fall gehört die Rechtsprechungstätigkeit des Friedensrichters, auch wenn sie in den in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/391 angeführten Beispielen nicht ausdrücklich erwähnt wird, zum öffentlichen Tätigkeitsbereich. Sie fällt somit grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Richtlinie 89/391 und der Richtlinie 2003/88.

86      Außerdem ist, wie die Generalanwältin in Nr. 71 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, kein Grund dafür ersichtlich, Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 auf die Friedensrichter anzuwenden und diese pauschal vom Anwendungsbereich der beiden Richtlinien auszunehmen.

87      Unter diesen Umständen ist die Richtlinie 2003/88 im Ausgangsverfahren anwendbar.

88      Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass der Arbeitnehmerbegriff für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2003/88 nicht nach Maßgabe der nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich ausgelegt werden kann, sondern eine eigenständige unionsrechtliche Bedeutung hat (Urteile vom 26. März 2015, Fenoll, C‑316/13, EU:C:2015:200, Rn. 25, und vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

89      Diese Feststellung ist für die Auslegung der Arbeitnehmerbegriffe des Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und des Art. 31 Abs. 2 der Charta gleichermaßen geboten, um die Einheitlichkeit des persönlichen Geltungsbereichs des Anspruchs der Arbeitnehmer auf bezahlten Urlaub zu gewährleisten (Urteil vom 26. März 2015, Fenoll, C‑316/13, EU:C:2015:200, Rn. 26).

90      Der Begriff „Arbeitnehmer“ ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen (Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91      Im Rahmen der letztlich dem nationalen Gericht obliegenden Subsumtion unter den Arbeitnehmerbegriff muss dieses sich auf objektive Kriterien stützen und eine Gesamtwürdigung aller Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache vornehmen, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des Verhältnisses zwischen den fraglichen Parteien betreffen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Oktober 2010, Union syndicale Solidaires Isère, C‑428/09, EU:C:2010:612 Rn. 29).

92      Der Gerichtshof kann jedoch dem vorlegenden Gericht die Grundsätze und die Kriterien aufzeigen, die es im Rahmen seiner Prüfung zu berücksichtigen hat.

93      Daher ist zum einen darauf hinzuweisen, dass „Arbeitnehmer“ jeder ist, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (Urteil vom 26. März 2015, Fenoll, C‑316/13, EU:C:2015:200, Rn. 27).

94      Zum anderen besteht nach ständiger Rechtsprechung das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

95      Was zunächst die von der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens als Friedensrichterin erbrachten Leistungen betrifft, geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass es sich um tatsächliche und echte Leistungen handelt, die von ihr außerdem im Sinne einer Hauptbeschäftigung erbracht werden. Insbesondere erließ sie während einer bestimmten Zeit, im vorliegenden Fall der Zeit vom 1. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2018, 478 Urteile und 1 326 Beschlüsse als Strafrichterin und hielt zweimal in der Woche Sitzungen ab. Diese Leistungen erscheinen nicht als völlig untergeordnet und unwesentlich.

96      In diesem Zusammenhang ist zur Art des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsverhältnisses, in dessen Rahmen die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens ihre Aufgaben wahrnimmt, darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass es für die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts ohne Bedeutung ist, dass ein Beschäftigungsverhältnis nach nationalem Recht ein Rechtsverhältnis sui generis ist (Urteil vom 26. März 2015, Fenoll, C‑316/13, EU:C:2015:200, Rn. 31).

97      Sodann ist hinsichtlich der Vergütung zu prüfen, ob der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens die von ihr bezogenen Beträge als Gegenleistung für ihre berufliche Tätigkeit gezahlt werden.

98      Insoweit ergibt sich aus der dem Gerichtshof unterbreiteten Akte, dass die Friedensrichter in Anknüpfung an die von ihnen erbrachten Leistungen Entschädigungen in Höhe von 35 bzw. 55 Euro beziehen, die den gleichen Steuern unterliegen wie das Entgelt eines gewöhnlichen Arbeitnehmers. Konkret erhalten sie diese Entschädigungen für jede Verhandlung in Zivil- oder Strafsachen, auch wenn es sich nicht um eine Hauptverhandlung handelt, für die Anlegung von Siegeln sowie für jedes andere zugewiesene Verfahren, das erledigt oder aus dem Register gestrichen wird. Zudem erhalten sie eine Entschädigung für jeden Monat tatsächlicher Dienstzeit für Aus- und Fortbildungsaufwendungen und für Aufwendungen in Ausführung der allgemeinen Gerichtsdienstleistungen.

99      Zwar geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Aufgaben eines Friedensrichters „ehrenamtlich“ sind und dass manche der gezahlten Beträge als Aufwendungserstattungsentschädigung gezahlt werden, doch sind das von der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens geleistete Arbeitsvolumen und folglich die von ihr für diese Arbeit bezogenen Beträge nichtsdestotrotz erheblich. Ausweislich der Vorlageentscheidung schloss nämlich die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens im Zeitraum vom 1. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2018 etwa 1 800 Verfahren ab.

100    Der bloße Umstand, dass die Aufgaben des Friedensrichters nach der nationalen Regelung als „ehrenamtlich“ eingestuft werden, bedeutet somit nicht, dass die finanziellen Leistungen, die ein Friedensrichter bezieht, als Leistungen ohne Vergütungscharakter anzusehen sind.

101    Im Übrigen kann, auch wenn die Vergütung der erbrachten Leistungen unstreitig ein Grundmerkmal eines Arbeitsverhältnisses ist, gleichwohl weder die begrenzte Höhe der Vergütung noch die Herkunft der Mittel für diese Vergütung irgendeine Auswirkung auf die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts haben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. März 2006, Mattern und Cikotic, C‑10/05, EU:C:2006:220, Rn. 22, und vom 4. Juni 2009, Vatsouras und Koupatantze, C‑22/08 und C‑23/08, EU:C:2009:344, Rn. 27).

102    Unter diesen Umständen ist es Sache des nationalen Gerichts, bei der allein in seine Zuständigkeit fallenden Tatsachenwürdigung letztlich zu prüfen, ob die von der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Friedensrichterin bezogenen Beträge Vergütungscharakter im Sinne der Verschaffung eines materiellen Vorteils aufweisen und ihren Lebensunterhalt sichern.

103    Schließlich setzt ein Arbeitsverhältnis das Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber voraus. Ob ein solches gegeben ist, muss in jedem Einzelfall anhand aller Gesichtspunkte und aller Umstände, die die Beziehungen zwischen den Beteiligten kennzeichnen, geprüft werden (Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

104    Dem Amt der Richter wohnt zwar inne, dass sie vor Interventionen oder Druck von außen zu schützen sind, die ihre Unabhängigkeit bei der Ausübung ihrer Rechtsprechungs- und Richtertätigkeit beeinträchtigen könnten.

105    Wie die Generalanwältin jedoch in Nr. 83 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, hindert dieses Erfordernis nicht daran, Friedensrichter als „Arbeitnehmer“ einzustufen.

106    Insoweit geht aus der Rechtsprechung hervor, dass der Umstand, dass Richter Dienstvorschriften unterliegen und möglicherweise als Arbeitnehmer zu betrachten sind, in keiner Weise den Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz und die Befugnis der Mitgliedstaaten, für den Richterstand einen besonderen Status vorzusehen, berührt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. März 2012, O’Brien, C‑393/10, EU:C:2012:110, Rn. 47).

107    Unter diesen Umständen genügt der Umstand, dass die Friedensrichter im vorliegenden Fall der Disziplinargewalt des Consiglio superiore della magistratura (Oberster Rat für das Gerichtswesen, Italien, im Folgenden: CSM) unterliegen, zwar für sich allein nicht für die Annahme, dass sie sich gegenüber einem Arbeitgeber in einem Rechtsverhältnis der Unterordnung befinden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 1987, Kommission/Niederlande, 235/85, EU:C:1987:161, Rn. 14), er ist jedoch im Kontext des Gesamtsachverhalts des Ausgangsverfahrens zu berücksichtigen.

108    Somit ist zu berücksichtigen, wie sich die Arbeitsorganisation der Friedensrichter darstellt.

109    Hierzu geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Friedensrichter, auch wenn sie ihre Arbeit flexibler gestalten können als Angehörige anderer Berufe, die Richttabellen der Friedensgerichte, denen sie angehören, zu beachten haben, da damit die Organisation ihrer Arbeit im Einzelnen und verbindlich geregelt wird, einschließlich der Zuweisung der Sachen und der Sitzungstermine.

110    Ferner geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Friedensrichter verpflichtet sind, den Dienstanweisungen des Capo dell’Ufficio (Gerichtspräsident, Italien) nachzukommen. Sie sind auch verpflichtet, besondere und allgemeine Organisationsmaßnahmen des CSM zu beachten.

111    Das vorlegende Gericht fügt hinzu, dass sich die Friedensrichter ständig bereithalten müssten und disziplinarrechtlich Verpflichtungen unterlägen, die denen der Berufsrichter entsprächen.

112    Unter diesen Umständen scheint es, dass die Friedensrichter ihre Aufgaben im Kontext eines Rechtsverhältnisses der Unterordnung auf Verwaltungsebene wahrnehmen, das ihre Unabhängigkeit bei der Richtertätigkeit nicht berührt, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

113    Nach alledem ist auf den ersten Teil der zweiten Frage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 und Art. 31 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen sind, dass ein Friedensrichter, der im Rahmen seiner Aufgaben tatsächliche und echte Leistungen erbringt, die weder völlig untergeordnet noch unwesentlich sind und für die er Entschädigungen mit Vergütungscharakter erhält, unter den Begriff „Arbeitnehmer“ im Sinne dieser Bestimmungen fallen kann, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

–       Zum Begriff „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ im Sinne der Rahmenvereinbarung

114    Mit dem zweiten Teil seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass ein für einen begrenzten Zeitraum ernannter Friedensrichter, der seine Aufgaben im Sinne einer Hauptbeschäftigung wahrnimmt und leistungsbezogene Entschädigungen sowie Entschädigungen für jeden Monat tatsächlicher Dienstzeit bezieht, unter den Begriff „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

115    Insoweit geht aus dem Wortlaut der besagten Bestimmung hervor, dass der Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung weit gefasst ist, da sie allgemein „befristet beschäftigte Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis gemäß der gesetzlich, tarifvertraglich oder nach den Gepflogenheiten in jedem Mitgliedstaat geltenden Definition“ erfasst. Zudem fallen nach der Definition des Begriffs „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ gemäß Paragraf 3 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung darunter alle Arbeitnehmer, ohne Unterscheidung danach, ob sie an einen öffentlichen oder an einen privaten Arbeitgeber gebunden sind, und unabhängig davon, wie ihr Vertrag nach dem innerstaatlichen Recht zu qualifizieren ist (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 108).

116    Die Rahmenvereinbarung ist mithin auf alle Arbeitnehmer anwendbar, die entgeltliche Arbeitsleistungen im Rahmen eines mit ihrem Arbeitgeber bestehenden befristeten Beschäftigungsverhältnisses erbringen, vorausgesetzt, zwischen ihnen besteht ein Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis nach nationalem Recht, und vorbehaltlich allein des den Mitgliedstaaten in Paragraf 2 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung eingeräumten Ermessens hinsichtlich deren Anwendung auf bestimmte Kategorien von Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen sowie des Ausschlusses von Leiharbeitnehmern nach dem vierten Absatz der Präambel der Rahmenvereinbarung (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 109).

117    Wie sich aus dem 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 1999/70 und Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung ergibt, überlässt es diese Richtlinie zwar den Mitgliedstaaten, die in diesem Paragrafen verwendeten Begriffe „Arbeitsvertrag“ oder „Arbeitsverhältnis“ entsprechend ihrem nationalen Recht und/oder ihrer nationalen Praxis zu definieren, doch ist das den Mitgliedstaaten eingeräumte Ermessen bei der Definition dieser Begriffe nicht unbegrenzt. Solche Begriffe dürfen zwar nämlich entsprechend dem nationalen Recht und/oder der nationalen Praxis definiert werden, vorausgesetzt allerdings, die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts wird gewahrt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. März 2012, O’Brien, C‑393/10, EU:C:2012:110, Rn. 34).

118    In diesem Zusammenhang ist der Umstand, dass eine Erwerbstätigkeit, deren Ausübung einen materiellen Vorteil verschafft, im nationalen Recht als „ehrenamtlich“ bezeichnet wird, was die Anwendbarkeit der Rahmenvereinbarung betrifft, für sich genommen unerheblich, da andernfalls die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 1999/70 und der Rahmenvereinbarung sowie die einheitliche Anwendung von Richtlinie und Vereinbarung in den Mitgliedstaaten ernstlich dadurch in Frage gestellt würde, dass den Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorbehalten bliebe, nach ihrem Belieben bestimmte Personalkategorien von dem mit diesen Instrumenten bezweckten Schutz auszunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. September 2007, Del Cerro Alonso, C‑307/05, EU:C:2007:509, Rn. 29, und vom 1. März 2012, O’Brien, C‑393/10, EU:C:2012:110, Rn. 36)

119    Wie oben in Rn. 116 ausgeführt, finden die Richtlinie 1999/70 und die Rahmenvereinbarung auf alle Arbeitnehmer Anwendung, die entgeltliche Arbeitsleistungen im Rahmen eines mit ihrem Arbeitgeber bestehenden befristeten Beschäftigungsverhältnisses erbringen.

120    Wie sich aber insbesondere aus den vorstehenden Rn. 95, 98 und 99 sowie aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, erbringt ein Friedensrichter wie die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens in dieser Funktion tatsächliche und echte Leistungen, die weder völlig untergeordnet noch unwesentlich sind und für die im Gegenzug leistungsbezogene und monatliche Entschädigungen anfallen, deren Vergütungscharakter nicht ausgeschlossen werden kann.

121    Im Übrigen hat der Gerichtshof entschieden, dass die Rahmenvereinbarung keine bestimmte Branche ausschließt und dass ihre Bestimmungen auf mit Behörden und anderen Stellen des öffentlichen Sektors geschlossene befristete Arbeitsverträge und ‑verhältnisse Anwendung finden sollen (Beschluss vom 19. März 2019, CCOO, C‑293/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:224, Rn. 30).

122    Insoweit ist festzustellen, dass der Umstand, dass vorliegend die Friedensrichter Inhaber eines Richteramts sind, für sich genommen nicht ausreicht, um ihnen die in dieser Rahmenvereinbarung vorgesehenen Rechte zu entziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. März 2012, O’Brien, C‑393/10, EU:C:2012:110, Rn. 41).

123    Aus der Notwendigkeit, die praktische Wirksamkeit des in der Rahmenvereinbarung verankerten Gleichbehandlungsgrundsatzes zu wahren, ergibt sich nämlich, dass ein solcher Ausschluss nur dann zugelassen werden kann, wenn das in Rede stehende Arbeitsverhältnis seinem Wesen nach erheblich anders ist als dasjenige, das zwischen den Beschäftigten, die nach dem nationalen Recht zur Kategorie der Arbeitnehmer gehören, und ihren Arbeitgebern besteht, da andernfalls dieser Ausschluss als willkürlich zu betrachten wäre (vgl. entsprechend Urteil vom 1. März 2012, O’Brien, C‑393/10, EU:C:2012:110, Rn. 42).

124    Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, letztlich zu prüfen, inwiefern das zwischen den Friedensrichtern und dem Justizministerium bestehende Rechtsverhältnis seinem Wesen nach erheblich anders ist als das Arbeitsverhältnis, das einen Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer verbindet. Der Gerichtshof kann jedoch dem vorlegenden Gericht einige Grundsätze und Kriterien aufzeigen, die dieses im Rahmen seiner Prüfung zu berücksichtigen hat (vgl. entsprechend Urteil vom 1. März 2012, O’Brien, C‑393/10, EU:C:2012:110, Rn. 43).

125    Insoweit wird das vorlegende Gericht bei der Prüfung der Frage, ob dieses Rechtsverhältnis seinem Wesen nach erheblich anders ist als das Arbeitsverhältnis, das die Beschäftigten, die nach dem nationalen Recht zur Kategorie der Arbeitnehmer gehören, mit ihren Arbeitgebern verbindet, nach dem Sinn und Zweck der Rahmenvereinbarung die Abgrenzung zwischen der Kategorie der Arbeitnehmer und der Kategorie der selbständig Erwerbstätigen zu berücksichtigen haben (vgl. entsprechend Urteil vom 1. März 2012, O’Brien, C‑393/10, EU:C:2012:110, Rn. 44).

126    In dieser Hinsicht sind die Modalitäten der Ernennung und der Abberufung der Friedensrichter, aber auch die Art und Weise, in der ihre Arbeit organisiert ist, zu berücksichtigen (vgl. entsprechend Urteil vom 1. März 2012, O’Brien, C‑393/10, EU:C:2012:110, Rn. 45).

127    Hinsichtlich der Ernennung der Friedensrichter sieht Art. 4 des Gesetzes Nr. 374/1991 vor, dass sie durch Dekret des Präsidenten der Italienischen Republik bestellt werden, und zwar aufgrund eines Beschlusses des Obersten Rates für das Gerichtswesen auf Vorschlag des örtlich zuständigen Gerichtsrats, der durch fünf von den Ausschüssen der Rechtsanwaltskammer des Oberlandesgerichtssprengels einvernehmlich bezeichnete Vertreter ergänzt wird.

128    Insoweit kommt es aber nicht darauf an, dass diese Arbeitsverhältnisse wegen des öffentlichen Arbeitgebers durch Präsidialdekrete begründet wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 115).

129    Zur Abberufung der Friedensrichter ergibt sich aus den Aktenstücken, dass die Fälle ihrer Abberufung und die besonderen Verfahren dafür durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen auf nationaler Ebene festgelegt sind. Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die auf nationaler Ebene festgelegten Modalitäten für die Abberufung der Friedensrichter das zwischen ihnen und dem Justizministerium bestehende Rechtsverhältnis erheblich anders machen als das Arbeitsverhältnis, das einen Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer verbindet.

130    Was die Art und Weise der Arbeitsorganisation der Friedensrichter und genauer die Frage betrifft, ob sie ihre Aufgaben im Kontext eines Rechtsverhältnisses der Unterordnung wahrnehmen, so scheint es zwar, wie sich aus den vorstehenden Rn. 107 bis 112 ergibt, dass diese Richter ihre Aufgaben im Kontext eines solchen Rechtsverhältnisses wahrnehmen, doch ist es Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu überprüfen.

131    In Bezug auf die Frage, ob das zwischen den Friedensrichtern und dem Justizministerium bestehende Rechtsverhältnis befristet ist, ergibt sich aus dem Wortlaut von Paragraf 3 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung, dass einem befristeten Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis zu eigen ist, dass sein Ende „durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses bestimmt wird“ (Beschluss vom 19. März 2019, CCOO, C‑293/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:224, Rn. 31).

132    Für das Ausgangsverfahren geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass die Amtszeit der Friedensrichter auf einen Zeitraum von vier Jahren begrenzt ist, der verlängerbar ist.

133    Daher ist im vorliegenden Fall das zwischen den Friedensrichtern und dem Justizministerium bestehende Rechtsverhältnis offensichtlich befristet.

134    Nach alledem ist auf den zweiten Teil der zweiten Frage zu antworten, dass Paragraf 2 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „befristet beschäftigte Arbeitnehmer“ einen Friedensrichter umfassen kann, der für einen begrenzten Zeitraum ernannt ist und im Rahmen seiner Aufgaben tatsächliche und echte Leistungen erbringt, die weder völlig untergeordnet noch unwesentlich sind und für die er Entschädigungen mit Vergütungscharakter erhält, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

–       Zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Sinne der Rahmenvereinbarung

135    Mit dem dritten Teil seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für einen Friedensrichter keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von 30 Tagen, wie er für ordentliche Richter vorgesehen ist, kennt, falls dieser Friedensrichter unter den Begriff „befristet beschäftigte Arbeitnehmer“ im Sinne von Paragraf 2 Nr. 1 dieser Rahmenvereinbarung fallen sollte.

136    Hierzu ist daran zu erinnern, dass Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung es verbietet, befristet beschäftigte Arbeitnehmer in ihren Beschäftigungsbedingungen gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nur deswegen schlechter zu behandeln, weil sie aufgrund eines befristeten Vertrags tätig sind, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.

137    Der Gerichtshof hat festgestellt, dass diese Bestimmung bezweckt, den Grundsatz der Nichtdiskriminierung auf befristet beschäftigte Arbeitnehmer anzuwenden, um zu verhindern, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis von einem Arbeitgeber benutzt wird, um diesen Arbeitnehmern Rechte vorzuenthalten, die Dauerbeschäftigten zuerkannt werden (Urteil vom 22. Januar 2020, Baldonedo Martín, C‑177/18, EU:C:2020:26, Rn. 35).

138    In Anbetracht der Ziele der Rahmenvereinbarung muss ihr Paragraf 4 als Ausdruck eines Grundsatzes des Sozialrechts der Union verstanden werden, der nicht restriktiv ausgelegt werden darf (Urteil vom 5. Juni 2018, Montero Mateos, C‑677/16, EU:C:2018:393, Rn. 41).

139    Im vorliegenden Fall ist als Erstes festzustellen, dass die von der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens geltend gemachte unterschiedliche Behandlung darin besteht, dass ordentliche Richter Anspruch auf 30 Tage bezahlten Jahresurlaub haben, während den Friedensrichtern kein solcher Anspruch zusteht.

140    Als Zweites fallen die den Arbeitnehmern zuerkannten Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub unbestreitbar unter den Begriff „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung.

141    Als Drittes ist daran zu erinnern, dass der Grundsatz der Nichtdiskriminierung, der in Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung eine besondere Ausprägung findet, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt (Urteil vom 5. Juni 2018, Montero Mateos, C‑677/16, EU:C:2018:393, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

142    Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung ist insoweit durch die Rahmenvereinbarung nur in Bezug auf die unterschiedliche Behandlung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern und Dauerbeschäftigten, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, umgesetzt und konkretisiert worden (Urteil vom 5. Juni 2018, Montero Mateos, C‑677/16, EU:C:2018:393, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

143    Um festzustellen, ob die Betroffenen die gleiche oder eine ähnliche Arbeit im Sinne der Rahmenvereinbarung verrichten, ist nach ständiger Rechtsprechung im Einklang mit Paragraf 3 Nr. 2 und Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung zu prüfen, ob sie unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können (Urteil vom 5. Juni 2018, Montero Mateos, C‑677/16, EU:C:2018:393, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

144    Insoweit ist dann, wenn die befristet beschäftigten Arbeitnehmer während der Zeit ihrer Beschäftigung erwiesenermaßen die gleichen Aufgaben wahrnehmen wie die vom selben Arbeitgeber auf unbestimmte Zeit beschäftigten Arbeitnehmer oder die gleiche Arbeitsstelle wie diese bekleiden, grundsätzlich davon auszugehen, dass die Situation dieser beiden Arbeitnehmergruppen vergleichbar ist (Urteil vom 22. Januar 2020, Baldonedo Martín, C‑177/18, EU:C:2020:26, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

145    Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof unterbreiteten Akte hervor, dass die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens als Friedensrichterin als mit einem Togato (ordentlicher Richter) vergleichbar angesehen werden könnte, der die dritte Bewertung der Fachkompetenz absolviert und ein Dienstalter von mindestens 14 Jahren erworben hat, da sie eine der Tätigkeit eines solchen ordentlichen Richters gleichwertige gerichtliche Tätigkeit mit den gleichen administrativen, disziplinarischen und steuerlichen Pflichten ausübte, ununterbrochen in den Stellenplan der Gerichte, bei denen sie arbeitete, eingetragen war und die in Art. 11 des Gesetzes Nr. 374/1991 vorgesehenen finanziellen Leistungen bezog.

146    Genauer geht aus der Akte hervor, dass der Friedensrichter wie ein ordentlicher Richter erstens ein Richter ist, der dem italienischen Richterstand angehört und eine Rechtsprechungsfunktion in Zivil- und Strafsachen sowie eine Schlichtungsfunktion in Zivilsachen ausübt. Zweitens unterliegt der Friedensrichter nach Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 374/1991 den für ordentliche Richter geltenden Pflichten. Drittens hat der Friedensrichter wie ein ordentlicher Richter die Richttabellen des Friedensgerichts, dem er angehört, zu beachten, da damit die Organisation der Arbeit der Friedensrichter im Einzelnen und verbindlich geregelt wird, einschließlich der Zuweisung der Sachen und der Sitzungstermine. Viertens sind sowohl der ordentliche Richter als auch der Friedensrichter verpflichtet, die Dienstanweisungen des Gerichtspräsidenten sowie die besonderen und allgemeinen Organisationsmaßnahmen des CSM zu beachten. Fünftens muss der Friedensrichter genau wie ein ordentlicher Richter in ständiger Bereitschaft sein. Sechstens unterliegt der Friedensrichter bei einem Verstoß gegen seine Standes- und Dienstpflichten ebenso wie der ordentliche Richter der Disziplinargewalt des CSM. Siebtens unterliegt der Friedensrichter denselben strengen Kriterien, wie sie für die Bewertungen der Fachkompetenz des ordentlichen Richters gelten. Achtens gelten für einen Friedensrichter die gleichen Regeln über die zivilrechtliche Haftung und die Haftung bei Schäden zum Nachteil der öffentlichen Hand, wie sie das Gesetz für ordentliche Richter vorsieht.

147    Allerdings ergibt sich in Bezug auf die Aufgaben eines Friedensrichters aus den Aktenstücken, dass die Rechtsstreitigkeiten, die dem ehrenamtlichen Richteramt und insbesondere den Friedensgerichten vorbehalten sind, nicht die Komplexität aufweisen, die für die Rechtsstreitigkeiten kennzeichnend ist, mit denen ordentliche Richter betraut sind. Die Friedensrichter behandelten hauptsächlich Sachen von geringerer Bedeutung, während die ordentlichen Richter in höheren Instanzen Sachen von größerer Bedeutung und Komplexität bearbeiteten. Außerdem können Friedensrichter nach Art. 106 Abs. 2 der italienischen Verfassung nur als Einzelrichter tätig sein, und sie könnten mithin nicht in Kollegialgerichten eingesetzt werden.

148    Unter diesen Umständen ist es Sache des für die Tatsachenwürdigung allein zuständigen vorlegenden Gerichts, letzten Endes festzustellen, ob sich ein Friedensrichter wie die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens in einer Situation befindet, die mit der eines ordentlichen Richters vergleichbar ist, der die dritte Bewertung der Fachkompetenz absolviert hat und im selben Zeitraum ein Dienstalter von mindestens 14 Jahren erworben hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2018, Montero Mateos, C‑677/16, EU:C:2018:393, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

149    Wenn die Vergleichbarkeit eines Friedensrichters wie der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens mit den ordentlichen Richtern festgestellt wird, ist noch zu prüfen, ob ein sachlicher Grund vorliegt, der eine Ungleichbehandlung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende rechtfertigt.

150    Hierzu ist daran zu erinnern, dass der Begriff „sachliche Gründe“ im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung nach ständiger Rechtsprechung so zu verstehen ist, dass eine unterschiedliche Behandlung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern und Dauerbeschäftigten nicht damit gerechtfertigt werden kann, dass sie in einer allgemeinen oder abstrakten Norm wie einem Gesetz oder einem Tarifvertrag vorgesehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2018, Montero Mateos, C‑677/16, EU:C:2018:393, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

151    Der besagte Begriff verlangt nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung, dass die festgestellte Ungleichbehandlung durch das Vorhandensein genau bezeichneter, konkreter Umstände gerechtfertigt ist, die die betreffende Beschäftigungsbedingung in ihrem speziellen Zusammenhang und auf der Grundlage objektiver und transparenter Kriterien für die Prüfung der Frage kennzeichnen, ob die Ungleichbehandlung einem echten Bedarf entspricht und ob sie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Diese Umstände können sich etwa aus der besonderen Art der Aufgaben, zu deren Erfüllung befristete Verträge geschlossen wurden, und ihren Wesensmerkmalen ergeben oder gegebenenfalls aus der Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Ziels durch einen Mitgliedstaat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2018, Montero Mateos, C‑677/16, EU:C:2018:393, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

152    Die Berufung auf die bloße temporäre Natur der Beschäftigung genügt diesen Anforderungen nicht und kann daher keinen „sachlichen Grund“ im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 und/oder Nr. 4 der Rahmenvereinbarung darstellen. Die bloße temporäre Natur eines Beschäftigungsverhältnisses zur Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern und Dauerbeschäftigten ausreichen zu lassen, würde nämlich die Ziele der Richtlinie 1999/70 und der Rahmenvereinbarung ihrer Substanz berauben und liefe auf die Fortschreibung einer für befristet beschäftigte Arbeitnehmer ungünstigen Situation hinaus (Urteil vom 20. September 2018, Motter, C‑466/17, EU:C:2018:758, Rn. 38).

153    Der bloße Umstand, dass der befristet beschäftigte Arbeitnehmer einschlägige Dienstzeiten auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags oder ‑verhältnisses zurückgelegt hat, stellt keinen solchen sachlichen Grund dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2018, Motter, C‑466/17, EU:C:2018:758, Rn. 39).

154    Im vorliegenden Fall macht die italienische Regierung zur Rechtfertigung der im Ausgangsverfahren behaupteten unterschiedlichen Behandlung geltend, dass das Bestehen eines Eingangsauswahlverfahrens, das speziell für die ordentlichen Richter im Hinblick auf den Zugang zum Richteramt konzipiert worden sei und das es im Zusammenhang mit der Ernennung der Friedensrichter nicht gebe, einen sachlichen Grund darstelle. Die Zuständigkeit der Friedensrichter unterscheide sich nämlich von derjenigen der aufgrund eines Auswahlverfahrens eingestellten ordentlichen Richter. Im Gegensatz zu Letzteren seien die Friedensrichter, was die besondere Art der Aufgaben und deren Wesensmerkmale betreffe, mit Rechtsstreitigkeiten betraut, die nach Komplexität und Umfang nicht den Sachen der ordentlichen Richter entsprächen.

155    In Anbetracht dieser Unterschiede sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht sei es gerechtfertigt, Friedensrichter und ordentliche Richter unterschiedlich zu behandeln.

156    Hierzu ist festzustellen, dass die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung ihres Ermessens bei der Organisation ihrer öffentlichen Verwaltungen grundsätzlich, ohne gegen die Richtlinie 1999/70 oder die Rahmenvereinbarung zu verstoßen, Voraussetzungen für den Zugang zum Richteramt sowie Beschäftigungsbedingungen, die sowohl für ordentliche Richter als auch für Friedensrichter gelten, vorsehen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2018, Motter, C‑466/17, EU:C:2018:758, Rn. 43).

157    Gleichwohl müssen ungeachtet dieses Ermessens die von den Mitgliedstaaten aufgestellten Kriterien in transparenter und nachprüfbarer Weise angewandt werden, um zu verhindern, dass befristet beschäftigte Arbeitnehmer allein wegen der Befristung der Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse, mit denen sie ihre Dienstzeit und ihre Berufserfahrung nachweisen, benachteiligt werden (Urteil vom 20. September 2018, Motter, C‑466/17, EU:C:2018:758, Rn. 44).

158    Ergibt sich eine solche unterschiedliche Behandlung aus der Notwendigkeit, objektive Erfordernisse zu berücksichtigen, die sich auf die mit dem Einstellungsverfahren ausgeschriebene Beschäftigung beziehen und nichts mit der Befristung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber zu tun haben, so könnte sie im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 und/oder Nr. 4 der Rahmenvereinbarung gerechtfertigt sein (Urteil vom 20. September 2018, Motter, C‑466/17, EU:C:2018:758, Rn. 45).

159    Insoweit ist davon auszugehen, dass manche Unterschiede in der Behandlung der auf ein Auswahlverfahren hin eingestellten Dauerbeschäftigten und der befristet beschäftigten Arbeitnehmer, die nach einem anderen als dem für die Dauerbeschäftigten vorgesehenen Verfahren eingestellt werden, grundsätzlich durch die Unterschiede in den verlangten Qualifikationen und die Art der in den jeweiligen Verantwortungsbereich fallenden Aufgaben gerechtfertigt werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2018, Motter, C‑466/17, EU:C:2018:758, Rn. 46).

160    Die von der italienischen Regierung angegebene Zielsetzung, die Unterschiede in der Berufsausübung zwischen einem Friedensrichter und einem ordentlichen Richter widerzuspiegeln, kann daher als „sachlicher Grund“ im Sinne von Paragraf 4 Nr. 1 und/oder Nr. 4 der Rahmenvereinbarung angesehen werden, sofern sie einem echten Bedarf entspricht und eine Geeignetheit und Erforderlichkeit zur Erreichung des verfolgten Ziels gegeben ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2018, Motter, C‑466/17, EU:C:2018:758, Rn. 47).

161    Unter diesen Umständen erfordern zwar die Unterschiede zwischen den Einstellungsverfahren für Friedensrichter und für ordentliche Richter nicht zwangsläufig, dass den Friedensrichtern ein bezahlter Jahresurlaub vorenthalten wird, der dem für die ordentlichen Richter vorgesehenen entspricht, doch scheinen diese Unterschiede und insbesondere die besondere Bedeutung, die die nationale Rechtsordnung und genauer Art. 106 Abs. 1 der italienischen Verfassung den speziell für die Einstellung der ordentlichen Richter konzipierten Auswahlverfahren beimessen, auf eine besondere Art der in den Verantwortungsbereich der ordentlichen Richter fallenden Aufgaben und auf ein anderes Niveau der für die Erledigung dieser Aufgaben erforderlichen Qualifikationen hinzudeuten. Jedenfalls ist es Sache des vorlegenden Gerichts, insoweit die verfügbaren qualitativen und quantitativen Anhaltspunkte in Bezug auf die Aufgaben der Friedensrichter und der Berufsrichter, die für sie geltenden zeitlichen Zwänge und Verpflichtungen sowie allgemein sämtliche relevanten Umstände und Tatsachen zu beurteilen.

162    Vorbehaltlich der Überprüfungen, die in die alleinige Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fallen, scheint es, dass die von der italienischen Regierung im vorliegenden Fall angeführte Zielsetzung, nämlich die Widerspiegelung der Unterschiede in der Berufsausübung zwischen den Friedensrichtern und den Berufsrichtern, so geartet sein könnte, dass sie einem echten Bedarf entspricht und die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Kategorien, auch im Bereich des bezahlten Jahresurlaubs, als gemessen an den mit ihr verfolgten Zielen verhältnismäßig angesehen werden könnte.

163    Nach alledem ist auf den dritten Teil der zweiten Frage zu antworten, dass Paragraf 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für einen Friedensrichter keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von 30 Tagen, wie er für ordentliche Richter vorgesehen ist, kennt, falls dieser Friedensrichter unter den Begriff „befristet beschäftigte Arbeitnehmer“ im Sinne von Paragraf 2 Nr. 1 dieser Rahmenvereinbarung fallen und sich in einer mit einem ordentlichen Richter vergleichbaren Situation befinden sollte, es sei denn, diese unterschiedliche Behandlung ist durch die Unterschiede in den verlangten Qualifikationen und die Art der in den Verantwortungsbereich der ordentlichen Richter fallenden Aufgaben gerechtfertigt, was zu überprüfen dem vorlegenden Gericht obliegt.

 Kosten

164    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass der Giudice di pace (Friedensrichter, Italien) unter den Begriff „Gericht eines Mitgliedstaats“ im Sinne dieses Artikels fällt.

2.      Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass ein Friedensrichter, der im Rahmen seiner Aufgaben tatsächliche und echte Leistungen erbringt, die weder völlig untergeordnet noch unwesentlich sind und für die er Entschädigungen mit Vergütungscharakter erhält, unter den Begriff „Arbeitnehmer“ im Sinne dieser Bestimmungen fallen kann, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Paragraf 2 Nr. 1 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGBUNICECEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „befristet beschäftigte Arbeitnehmer“ einen Friedensrichter umfassen kann, der für einen begrenzten Zeitraum ernannt ist und im Rahmen seiner Aufgaben tatsächliche und echte Leistungen erbringt, die weder völlig untergeordnet noch unwesentlich sind und für die er Entschädigungen mit Vergütungscharakter erhält, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Paragraf 4 Nr. 1 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für einen Friedensrichter keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von 30 Tagen, wie er für ordentliche Richter vorgesehen ist, kennt, falls dieser Friedensrichter unter den Begriff „befristet beschäftigte Arbeitnehmer“ im Sinne von Paragraf 2 Nr. 1 dieser Rahmenvereinbarung fallen und sich in einer mit einem ordentlichen Richter vergleichbaren Situation befinden sollte, es sei denn, diese unterschiedliche Behandlung ist durch die Unterschiede in den verlangten Qualifikationen und die Art der in den Verantwortungsbereich der ordentlichen Richter fallenden Aufgaben gerechtfertigt, was zu überprüfen dem vorlegenden Gericht obliegt.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.