URTEIL DES GERICHTS (Achte erweiterte Kammer)

2. Februar 2022(*)

„Wettbewerb – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Gasmärkte in Mittel- und Osteuropa – Beschluss, mit dem die von einem Unternehmen angebotenen individuellen Verpflichtungszusagen für bindend erklärt werden – Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Angemessenheit der Verpflichtungszusagen angesichts der ursprünglich in der Mitteilung der Beschwerdepunkte angeführten wettbewerbsrechtlichen Bedenken – Verzicht der Kommission, Verpflichtungszusagen in Bezug auf einige der ursprünglichen Bedenken zu verlangen – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Transparenz – Begründungspflicht – Ziele der Energiepolitik der Union – Grundsatz der Energiesolidarität – Befugnismissbrauch“

In der Rechtssache T‑616/18,

Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo S.A. mit Sitz in Warschau (Polen), Prozessbevollmächtigte: K. Karasiewicz, radca prawny, sowie Rechtsanwälte T. Kaźmierczak, K. Kicun und P. Moskwa,

Klägerin,

unterstützt durch

Republik Litauen, vertreten durch K. Dieninis und R. Dzikovič als Bevollmächtigte,

durch

Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna und M. Nowacki als Bevollmächtigte,

und durch

Overgas Inc. mit Sitz in Sofia (Bulgarien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte S. Gröss und S. Cappellari,

Streithelferinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch G. Meessen und J. Szczodrowski als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Gazprom PJSC mit Sitz in Moskau (Russland)

und

Gazprom export LLC mit Sitz in Sankt Petersburg (Russland),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J. Karenfort, J. Hainz und B. Evtimov, Rechtsanwältin N. Tuominen, Rechtsanwalt J. Heithecker sowie D. O’Keeffe, Solicitor,

Streithelferinnen,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2018) 3106 final der Kommission vom 24. Mai 2018 in einem Verfahren nach Artikel 102 AEUV und Artikel 54 des EWR-Abkommens (Sache AT.39816 – Vorgelagerte Gasversorgungsmärkte in Mittel- und Osteuropa)

erlässt

DAS GERICHT (Achte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. van der Woude, der Richter J. Svenningsen (Berichterstatter), R. Barents und C. Mac Eochaidh sowie der Richterin T. Pynnä,

Kanzler: R. Ūkelytė, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. und 19. Mai 2021

folgendes

Urteil

I.      Vorgeschichte des Rechtsstreits und Entwicklungen nach Klageerhebung

1        Die Klägerin, die Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo S.A., ist die Muttergesellschaft der PGNiG-Gruppe, die im Erdgas- und Erdölsektor, hauptsächlich in Polen, tätig ist. Die Tätigkeiten dieser Gruppe bestehen u. a. in der Exploration und Gewinnung von Gas und Rohöl sowie im Import, Verkauf und Vertrieb von Gas.

2        Die Klägerin beantragt die Nichtigerklärung des Beschlusses C(2018) 3106 final der Kommission vom 24. Mai 2018 in einem Verfahren nach Artikel 102 AEUV und Artikel 54 des EWR-Abkommens (Sache AT.39816 – Vorgelagerte Gasversorgungsmärkte in Mittel- und Osteuropa) (im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem Verpflichtungszusagen der Gazprom PJSC und der Gazprom export LLC (im Folgenden zusammen: Gazprom) für bindend erklärt wurden.

3        Mit dem angefochtenen Beschluss wurde ein von der Kommission durchgeführtes Verwaltungsverfahren abgeschlossen, in dem im Hinblick auf das in Art. 102 AEUV vorgesehene Verbot des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung die Wettbewerbskonformität bestimmter Praktiken von Gazprom geprüft wurde, die den Gassektor in bestimmten mittel- und osteuropäischen Staaten (im Folgenden: MOEL), nämlich in Bulgarien, der Tschechischen Republik, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen und der Slowakei (im Folgenden zusammen: betroffene MOEL), beeinträchtigen.

A.      Zum Verwaltungsverfahren, das zum angefochtenen Beschluss geführt hat

4        Zwischen 2011 und 2015 traf die Kommission mehrere Maßnahmen zur Untersuchung des Funktionierens der Gasmärkte in Mittel- und Osteuropa. Insbesondere richtete sie gemäß den Art. 18 und 20 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) Auskunftsverlangen an verschiedene Marktteilnehmer, einschließlich Gazprom und einiger von deren Kunden, darunter die Klägerin, und nahm Nachprüfungen, im Jahr 2011 auch in den Räumlichkeiten der Klägerin, vor. Das dieser Untersuchung entsprechende Verwaltungsverfahren, um das es im vorliegenden Fall unmittelbar geht, wurde unter dem Aktenzeichen „Sache AT.39816 – Vorgelagerte Gasversorgungsmärkte in Mittel- und Osteuropa“ (im Folgenden: Sache AT.39816) registriert.

5        Im Rahmen dieser Sache leitete die Kommission am 31. August 2012 förmlich ein Verfahren ein, um gemäß Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101] und [102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) eine Entscheidung nach Kapitel III der Verordnung Nr. 1/2003 zu erlassen.

6        Am 22. April 2015 übersandte die Kommission gemäß Art. 10 der Verordnung Nr. 773/2004 Gazprom eine Mitteilung der Beschwerdepunkte (im Folgenden: MB). In dieser Mitteilung stellte die Kommission zunächst fest, dass Gazprom auf den vorgelagerten nationalen Märkten für die Lieferung von Gas auf Großhandelsebene in den betroffenen MOEL eine beherrschende Stellung eingenommen und diese missbraucht habe, indem sie eine wettbewerbswidrige Strategie entwickelt habe, um diese Märkte zu fragmentieren und zu isolieren und so einen ungehinderten Gastransport in den betroffenen MOEL unter Verstoß gegen Art. 102 AEUV zu verhindern.

7        Die Kommission war der Ansicht, dass diese Strategie von Gazprom drei Gruppen wettbewerbswidriger Praktiken umfasst habe, die Gazprom-Kunden in den betroffenen MOEL (im Folgenden: betroffene Kunden) und deren mit Gazprom geschlossene Verträge (im Folgenden: betroffene Verträge) beeinträchtigt hätten:

–        Erstens habe Gazprom im Rahmen seiner Gaslieferverträge mit Großhändlern sowie mit bestimmten Industriekunden in den betroffenen MOEL territoriale Beschränkungen auferlegt (im Folgenden: Beschwerdepunkte betreffend die territorialen Beschränkungen), die sich aus Vertragsklauseln ergäben, die die Ausfuhr aus dem Liefergebiet untersagten oder die Nutzung des gelieferten Gases in einem bestimmten Gebiet anordneten; Gazprom habe außerdem andere Maßnahmen angewandt, die grenzüberschreitende Gasflüsse verhinderten;

–        zweitens hätten diese territorialen Beschränkungen es Gazprom ermöglicht, in fünf der betroffenen MOEL, nämlich Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen und Polen (im Folgenden: fünf von der Preispolitik betroffene MOEL), eine unlautere Preispolitik zu betreiben, indem sie überhöhte Preise oktroyiert habe, die deutlich höher gewesen seien als ihre Kosten oder bestimmte als Referenzpreise angesehene Preise (im Folgenden: Beschwerdepunkte betreffend die Preispolitik);

–        drittens habe Gazprom, was Bulgarien und Polen anbelange, ihre Gaslieferungen davon abhängig gemacht, dass Großhändler bestimmte Zusicherungen in Bezug auf die Gastransportinfrastruktur gegeben hätten; diese Zusicherungen hätten sich zum einen auf Investitionen des bulgarischen Großhändlers in das Projekt der Gasfernleitung South Stream und zum anderen auf die Zustimmung des polnischen Großhändlers, d. h. der Klägerin, zur Stärkung der Kontrolle von Gazprom über die Verwaltung des polnischen Abschnitts der Jamal-Gasfernleitung, einer der wichtigsten Transit-Gasfernleitungen in Polen, bezogen (im Folgenden: Jamal-Beschwerdepunkte).

8        Am 29. September 2015 antwortete Gazprom auf die MB, wobei sie sich gegen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission wandte, und am 15. Dezember 2015 erfolgte ihre Anhörung gemäß Art. 12 der Verordnung Nr. 773/2004.

9        Am 14. Februar 2017 legte Gazprom, obwohl sie sich weiterhin gegen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken wandte, gemäß Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 einen förmlichen Entwurf für Verpflichtungszusagen vor (im Folgenden: ursprüngliche Verpflichtungszusagen). Diesem Entwurf waren informelle Vorschläge für Verpflichtungszusagen vorausgegangen.

10      Am 16. März 2017 veröffentlichte die Kommission, um die Stellungnahmen interessierter Parteien zu den ursprünglichen Verpflichtungszusagen einzuholen, im Amtsblatt der Europäischen Union eine Mitteilung nach Art. 27 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2017, C 81, S. 9), die eine Zusammenfassung der Sache AT.39816 sowie den wesentlichen Inhalt der ursprünglichen Verpflichtungszusagen enthielt. Gemäß dieser Bestimmung stand den interessierten Parteien eine Frist von sieben Wochen ab dem Tag der Veröffentlichung der genannten Mitteilung zur Verfügung, um ihre Stellungnahmen einzureichen (im Folgenden: Marktbefragung). Die Kommission erhielt 44 Stellungnahmen von interessierten Parteien, einschließlich der Klägerin, des Präsidenten des Urząd Regulacji Energetyki (polnische Energieregulierungsbehörde, im Folgenden: polnische Regulierungsbehörde) und der Gaz-System S.A., der Betreiberin des polnischen Abschnitts der Jamal-Gasfernleitung.

11      Am 15. März 2018 legte Gazprom, nachdem sie die nicht vertraulichen Fassungen der Stellungnahmen der interessierten Parteien zu den ursprünglichen Verpflichtungszusagen erhalten hatte, einen geänderten Entwurf für Verpflichtungszusagen vor (im Folgenden: endgültige Verpflichtungszusagen).

12      Gemäß Art. 14 der Verordnung Nr. 1/2003 hörte die Kommission den Beratenden Ausschuss für Kartell- und Monopolfragen (im Folgenden: Beratender Ausschuss) und übermittelte ihm u. a. einen vorläufigen Entscheidungsvorschlag. Am 2. Mai 2018 gab der Beratende Ausschuss zu diesem vorläufigen Vorschlag eine befürwortende Stellungnahme ab. Ferner legte der Anhörungsbeauftragte gemäß Art. 16 des Beschlusses 2011/695/EU des Präsidenten der Kommission vom 13. Oktober 2011 über Funktion und Mandat des Anhörungsbeauftragten in bestimmten Wettbewerbsverfahren (ABl. 2011, L 275, S. 29) am 2. Mai 2018 seinen Abschlussbericht vor.

13      Am 24. Mai 2018 erließ die Kommission den angefochtenen Beschluss, dem die endgültigen Verpflichtungszusagen als Anhang beigefügt wurden. Mit diesem Beschluss billigte sie die genannten Verpflichtungszusagen, erklärte diese für bindend und schloss das Verwaltungsverfahren mit der Feststellung ab, dass kein Anlass mehr bestehe, ihrerseits bezüglich der ursprünglich in der MB angeführten potenziell missbräuchlichen Praktiken tätig zu werden.

B.      Zum angefochtenen Beschluss

14      Im angefochtenen Beschluss legte die Kommission zunächst eine vorläufige Beurteilung der Praktiken von Gazprom dar und stellte danach die ursprünglichen Verpflichtungszusagen, die Ergebnisse der Marktbefragung und die endgültigen Verpflichtungszusagen dar. Sodann legte sie ihre Beurteilung der endgültigen Verpflichtungszusagen und die Gründe dar, die sie dazu veranlasst hatten, diese Zusagen im Hinblick auf ihre wettbewerbsrechtlichen Bedenken als ausreichend anzusehen.

1.      Zur vorläufigen Beurteilung der in Rede stehenden Praktiken

15      In Abschnitt 4 des angefochtenen Beschlusses, in dem die vorläufige Beurteilung enthalten ist, definierte die Kommission die relevanten Märkte als die vorgelagerten nationalen Märkte für die Lieferung von Großhandelsgas. In diesem Zusammenhang stellte sie auch fest, dass Gazprom auf den relevanten Märkten in den betroffenen MOEL eine beherrschende Stellung eingenommen habe.

16      Die Kommission war der Ansicht, dass Gazprom ihre beherrschende Stellung unter Verstoß gegen Art. 102 AEUV missbraucht haben könnte, indem sie eine wettbewerbswidrige Strategie verfolgt habe, um den ungehinderten Gastransport in den betroffenen MOEL zu verhindern und dadurch die relevanten Märkte dieser Länder zu isolieren. Insbesondere habe diese Strategie drei Gruppen wettbewerbswidriger Praktiken umfasst, die im Wesentlichen den in der MB angeführten und oben in Rn. 7 dargelegten wettbewerbsrechtlichen Bedenken entsprechen.

17      Bezüglich der Jamal-Beschwerdepunkte führte die Kommission im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses – obwohl einige der interessierten Parteien im Rahmen der Marktbefragung das Fehlen von Verpflichtungszusagen, mit denen diesen Beschwerdepunkten entsprochen worden wäre, gerügt hatten – aus, dass ihre vorläufigen wettbewerbsrechtlichen Bedenken sich nach weiteren Untersuchungen nicht bestätigt hätten. Zum einen wies sie darauf hin, dass die polnische Regulierungsbehörde in einer Entscheidung vom 19. Mai 2015, mit der Gaz-System als unabhängiger Netzbetreiber (im Folgenden: UNB) des polnischen Abschnitts der Jamal-Gasfernleitung zertifiziert worden sei (im Folgenden: Zertifizierungsentscheidung), u. a. zu dem Ergebnis gelangt sei, dass Gaz-System eine entscheidende Kontrolle über die Investitionsentscheidungen bezüglich dieses Abschnitts und deren Umsetzung ausgeübt habe. Folglich hätten weder die System Gazociągów Tranzytowych EuRoPol Gaz S.A. (im Folgenden: EuRoPol) als Eigentümerin der Gasfernleitung noch Gazprom als Aktionärin von EuRoPol diese Entscheidungen blockieren können. Zum anderen wies die Kommission auf den zwischenstaatlichen Charakter der Beziehungen zwischen den im Gassektor in Polen tätigen Parteien hin, insbesondere was den Bau und die Verwaltung des polnischen Abschnitts der Jamal-Gasfernleitung anbelangt, und gelangte zu dem Schluss, dass dieser Umstand in hohem Maße das Verhalten der betroffenen Parteien habe bestimmen können.

2.      Zum Inhalt der endgültigen Verpflichtungszusagen

18      Die endgültigen Verpflichtungszusagen, die dem angefochtenen Beschluss als Anlage beigefügt sind, sollen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission ausräumen.

19      Was erstens die Verpflichtungszusagen betrifft, um die Bedenken hinsichtlich der territorialen Beschränkungen auszuräumen (im Folgenden: Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen), verpflichtete sich Gazprom im Wesentlichen zunächst, in den Gaslieferverträgen mit ihren in den betroffenen MOEL niedergelassenen Kunden alle Klauseln aufzuheben, die den ungehinderten Gastransport in der von diesen Ländern gebildeten Region unmittelbar oder mittelbar untersagten oder behinderten.

20      Um einen Gastransport zwischen Bulgarien und den baltischen Staaten auf der einen und den anderen betroffenen MOEL auf der anderen Seite trotz der infrastrukturellen Isolation der Erstgenannten zu ermöglichen, verpflichtete sich Gazprom sodann, Maßnahmen zu ergreifen, um den betroffenen Kunden die Möglichkeit zu geben, zu verlangen, dass die gesamten oder ein Teil ihrer vertraglichen Gasmengen, die an bestimmte Lieferstellen in Ungarn, Polen und der Slowakei geliefert wurden, an eine andere Lieferstelle in Bulgarien oder in den baltischen Staaten geliefert würden. Nach der Marktbefragung bekräftigte Gazprom in den endgültigen Verpflichtungszusagen u. a. ihren Vorschlag zur Änderung der Lieferstellen.

21      Um dem bulgarischen Fernleitungsnetzbetreiber die Kontrolle der Gasflüsse in Bulgarien zu ermöglichen, verpflichtete sich Gazprom außerdem insbesondere, Maßnahmen zur Änderung der maßgeblichen Gasversorgungs- und Gastransportverträge zu ergreifen, um den Abschluss von Verträgen betreffend die Verbindungsleitungen zwischen Bulgarien und anderen Mitgliedstaaten, insbesondere Griechenland, sowie die Anpassung der Methode für die Zuweisung des Gases zu ermöglichen.

22      Was zweitens die Verpflichtungszusagen betrifft, um die Bedenken hinsichtlich der Preise auszuräumen (im Folgenden: Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik), verpflichtete sich Gazprom, Preisanpassungsklauseln einzuführen oder gegebenenfalls die bestehenden Klauseln in den Verträgen mit ihren betroffenen Kunden in Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen und Polen zu ändern. Diese neuen bzw. geänderten Preisanpassungsklauseln sehen u. a. vor, dass, wenn die Parteien binnen 120 Tagen keine Einigung über einen neuen Preis erzielen, jede Partei die Streitigkeit an ein Schiedsgericht verweisen kann, das sich auf die in diesen Klauseln enthaltenen Preisleitlinien stützen und innerhalb der Europäischen Union eingerichtet werden muss. Außerdem gelten die geänderten Preise rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Zustellung des Antrags auf Preisanpassung.

23      Was drittens die Verpflichtungszusagen im Zusammenhang mit den wettbewerbsrechtlichen Bedenken betrifft, dass die Gasversorgung zu einem bestimmten Preis vom Erhalt einer Zusicherung des bulgarischen Großhändlers hinsichtlich der Investitionen in das Projekt der Gasfernleitung South Stream abhängig gemacht würde, so verpflichtete sich Gazprom, den an diesem Projekt beteiligten bulgarischen Partnern zu gestatten, sich von diesem Projekt zurückzuziehen, ohne diese Partner zivilrechtlich in Haftung zu nehmen und ohne die Gaspreisnachlässe zurückzufordern, die sie als Gegenleistung für die Beteiligung an diesem Projekt gewährt hatte. Im Übrigen verpflichtete sich Gazprom angesichts des angekündigten Verzichts auf den bulgarischen Abschnitt dieses Gasfernleitungsprojekts auch, keinen Schadensersatz als spezifischen Ausgleich im Zusammenhang mit diesem Verzicht zu verlangen.

3.      Zur Beurteilung und Umsetzung der endgültigen Verpflichtungszusagen

24      Im angefochtenen Beschluss gelangte die Kommission im Wesentlichen zu dem Schluss, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen wirksam und erforderlich seien, ohne unverhältnismäßig zu sein, um ihre wettbewerbsrechtlichen Bedenken auszuräumen, und wies darauf hin, dass sie insoweit die Entwicklungen auf den Gasmärkten seit der Zustellung der MB berücksichtigt habe. Insbesondere stellte sie erstens fest, dass Gazprom bereits bestimmte Maßnahmen ergriffen habe, um ihr Verhalten stärker mit den wettbewerbsrechtlichen Vorschriften in Einklang zu bringen, zweitens, dass sich die Situation in Bezug auf die Gasinfrastruktur in einigen der betroffenen MOEL, nämlich in der Tschechischen Republik, in Ungarn, in Polen und in der Slowakei, verbessert habe, so dass grenzüberschreitende Gasflüsse ermöglicht worden seien, auch wenn die Gasmärkte in den baltischen Staaten und in Bulgarien von den anderen Gasmärkten der Union isoliert blieben, und drittens, dass infolge des Rückgangs des Ölpreises einige der langfristigen Gaspreise, die sich aus Formeln mit einer Indexierung unter Bezugnahme auf die Preise für Erdölerzeugnisse ergäben, ebenfalls gesunken seien.

25      Die Kommission beschloss daher, die endgültigen Verpflichtungszusagen gemäß Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 für bindend zu erklären. Hinsichtlich der Geltungsdauer sieht der angefochtene Beschluss vor, dass diese Zusagen für einen Zeitraum von acht Jahren ab dem Zeitpunkt der Zustellung dieses Beschlusses an Gazprom gelten, mit Ausnahme der oben in Rn. 23 genannten Verpflichtungszusagen bezüglich des Projekts der Gasfernleitung South Stream, die für einen Zeitraum von 15 Jahren ab diesem Zeitpunkt bindend sind.

26      Im verfügenden Teil des angefochtenen Beschlusses heißt es:

„Artikel 1

Die im Anhang aufgeführten Verpflichtungszusagen sind für [Gazprom] sowie für alle unmittelbar oder mittelbar von ihr kontrollierten juristischen Personen für einen Zeitraum von acht Jahren bindend, mit Ausnahme der in Nummer 21 des Anhangs genannten Verpflichtungszusagen, die für einen Zeitraum von 15 Jahren bindend sind, und zwar ab dem in den Verpflichtungszusagen festgelegten Zeitpunkt.

Artikel 2

Es wird festgestellt, dass [für die Kommission] in dieser Sache kein Anlass mehr besteht, tätig zu werden.“

C.      Zur Beschwerde

27      Parallel zu dem von der Kommission eingeleiteten Verwaltungsverfahren, das zum angefochtenen Beschluss geführt hat, hatte die Klägerin am 9. März 2017 gemäß Art. 5 der Verordnung Nr. 773/2004 eine Beschwerde eingereicht, mit der sie angeblich missbräuchliche Praktiken von Gazprom beanstandete (im Folgenden: Beschwerde). Das Vorbringen zu diesen Praktiken, das sich zum großen Teil mit den bereits in der MB dargelegten Bedenken überschnitt, umfasste u. a. Behauptungen zu Missbräuchen durch Gazprom im Zusammenhang mit dem polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung.

28      Am 29. März 2017 bestätigte die Kommission den Eingang der Beschwerde, die anschließend unter dem Aktenzeichen „Sache AT.40497 – Polnischer Gaspreis“ (im Folgenden: Sache AT.40497) registriert wurde.

29      In einem Schreiben vom 31. März 2017 an die Klägerin wies die Kommission darauf hin, dass sich die in der Beschwerde dargelegten und die von den ursprünglichen Verpflichtungszusagen erfassten Praktiken zu überschneiden schienen, und forderte sie auf, im Rahmen der am 16. März 2017 eingeleiteten Marktbefragung eine Stellungnahme zu diesen Verpflichtungszusagen abzugeben. Nachdem der Klägerin eine Verlängerung der geltenden Frist gewährt worden war, reichte sie am 19. Mai 2017 ihre Stellungnahme ein.

30      Am 15. Mai 2017 übermittelte Gazprom der Kommission ihre Stellungnahme zu der Beschwerde.

31      Mit Schreiben vom 23. Januar 2018 an die Klägerin (im Folgenden: Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung) teilte die Kommission gemäß Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 mit, dass sie beabsichtige, die Beschwerde abzuweisen, und forderte die Klägerin auf, binnen vier Wochen nach Erhalt dieses Schreibens Stellung zu nehmen. Die Kommission übersandte außerdem eine nicht vertrauliche Fassung der MB sowie eine nicht vertrauliche Fassung der oben in Rn. 30 erwähnten Stellungnahme von Gazprom zu der Beschwerde.

32      Am 2. März 2018 reichte die Klägerin in Beantwortung des Schreibens betreffend die beabsichtigte Abweisung eine Stellungnahme ein. Abgesehen davon, dass sie ihre Unzufriedenheit hinsichtlich der in diesem Schreiben enthaltenen Schlussfolgerungen zum Ausdruck brachte, beanstandete sie die Durchführung der Untersuchung durch die Kommission und führte aus, diese habe ihre Rechte als Beschwerdeführerin in der Sache AT.39816 insbesondere dadurch verletzt, dass sie ihr trotz zahlreicher Anträge fast ein Jahr lang weder Zugang zur MB gewährt noch ihr gestattet habe, eine Stellungnahme zu dieser Mitteilung abzugeben.

33      Am 5. September 2018, also nach Erlass des angefochtenen Beschlusses, übersandte die Klägerin dem Anhörungsbeauftragten einen begründeten Antrag im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Buchst. b des Beschlusses 2011/695, mit dem sie Zugang zu allen Unterlagen verlangte, auf die die Kommission ihre vorläufige Beurteilung im Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung stützte, insbesondere Zugang zu einer Fassung der MB mit weniger ausgelassenen Informationen. Am 17. September 2018 leitete der Anhörungsbeauftragte die ihm am 5. September 2018 übersandten Anträge auf Zugang an die Generaldirektion (GD) „Wettbewerb“ der Kommission weiter. Mit Schreiben vom 25. September 2018 wies die Kommission die Anträge der Klägerin auf Zugang zu Unterlagen, die diese mit ihren Schreiben vom 2. März und vom 5. September 2018 gestellt hatte, zurück.

34      Am 24. Januar 2019 sandte die Klägerin an das für Wettbewerb zuständige Mitglied der Kommission ein Schreiben, mit dem sie die Kommission gemäß Art. 265 Abs. 2 AEUV aufforderte, dahin tätig zu werden, dass sie entweder eine Entscheidung über die Abweisung der Beschwerde erlassen oder das Verfahren in der Sache AT.40497 fortsetzen solle. Am 8. Februar 2019 antwortete die Kommission auf dieses Schreiben und wies darauf hin, dass die Beschwerde bereits zu einem mehrfachen Schriftwechsel zwischen ihnen geführt habe. Die Kommission wies ferner, was die Sache AT.39816 anbelangt, darauf hin, dass sie den angefochtenen Beschluss erlassen habe, der u. a. die Stellungnahme berücksichtige, die die Klägerin im Rahmen der Marktbefragung abgegeben habe, dass sie, was die Sache AT.40497 anbelange, das Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung, auf das die Klägerin geantwortet habe, übersandt habe und dass sie ihre Prüfung der Beschwerde abschließe.

35      Am 17. April 2019 erließ die Kommission den Beschluss C(2019) 3003 final über die Abweisung einer Beschwerde (Sache AT.40497 – Polnische Gaspreise).

36      Am 25. Juni 2019 erhob die Klägerin beim Gericht gegen diesen Beschluss über die Abweisung der Beschwerde eine Klage, die unter der Rechtssachennummer T‑399/19 in das Register eingetragen wurde.

II.    Verfahren und Anträge der Parteien

37      Mit Klageschrift, die am 15. Oktober 2018 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Die Klagebeantwortung, die Erwiderung und die Gegenerwiderung sind am 9. Januar bzw. 27. Februar und 8. Mai 2019 eingereicht worden.

38      Mit der Klageschrift beigefügtem gesonderten Schriftsatz hat die Klägerin gemäß Art. 152 der Verfahrensordnung des Gerichts beantragt, über diese Rechtssache im beschleunigten Verfahren zu entscheiden. Mit Entscheidung vom 30. November 2018 hat das Gericht diesen Antrag zurückgewiesen.

39      Mit Schriftsatz, der am 26. Februar 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Gazprom beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden. Mit Schriftsätzen, die am 25. Februar, am 27. Februar bzw. am 28. Februar 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Overgas Inc., die Republik Litauen und die Republik Polen beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der Klägerin zugelassen zu werden.

40      Mit Beschluss vom 5. April 2019 hat die Präsidentin der Ersten Kammer des Gerichts nach Anhörung der Hauptparteien die Republik Polen als Streithelferin zugelassen. Mit Beschlüssen vom 17. Mai 2019 hat sie nach Anhörung der Hauptparteien die Republik Litauen, Gazprom und Overgas als Streithelferinnen zugelassen.

41      Die Streithilfeschriftsätze sind für die Republik Litauen am 30. August 2019, für die Republik Polen und Overgas am 6. September 2019 und für Gazprom am 4. Oktober 2019 eingereicht worden. Die Klägerin und die Kommission haben ihre Stellungnahmen zu den Streithilfeschriftsätzen am 15. November 2019 eingereicht; allerdings hat die Kommission auf eine Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz von Gazprom verzichtet.

42      Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts ist der Berichterstatter am 4. Oktober 2019 der Achten Kammer zugeteilt worden, der deshalb die vorliegende Rechtssache zugewiesen worden ist.

43      Mit Schreiben der Kanzlei des Gerichts vom 17. Dezember 2019 ist die Klägerin im Rahmen prozessleitender Maßnahmen zur Vorlage mehrerer Dokumente aufgefordert worden, und die Kommission ist aufgefordert worden, schriftlich auf eine Frage betreffend die Vertraulichkeit bestimmter Informationen in der vertraulichen Fassung der MB zu antworten.

44      Mit Beschluss vom selben Tag hat das Gericht der Kommission gemäß Art. 24 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie Art. 91 Buchst. b und Art. 92 Abs. 3 der Verfahrensordnung vorbehaltlich der Anwendung von Art. 103 der Verfahrensordnung aufgegeben, eine vollständige Kopie der vertraulichen Fassung der MB vorzulegen.

45      Die Parteien sind den am 17. Dezember 2019 erlassenen prozessleitenden Maßnahmen sowie dem am selben Tag vom Gericht erlassenen Beweisbeschluss ordnungsgemäß und fristgerecht nachgekommen.

46      Mit Schreiben der Kanzlei des Gerichts vom 6. Mai 2020 sind die Klägerin und die Kommission im Rahmen prozessleitender Maßnahmen aufgefordert worden, Unterlagen vorzulegen und schriftlich Fragen des Gerichts zu beantworten. Beide sind diesen Maßnahmen fristgerecht nachgekommen.

47      Mit Beschluss vom 28. Mai 2020 hat der Präsident der Achten Kammer gemäß Art. 67 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 der Verfahrensordnung entschieden, die vorliegende Rechtssache in Anbetracht ihrer besonderen Umstände mit Vorrang zu entscheiden.

48      Am 8. Juni 2020 hat das Gericht auf Vorschlag der Achten Kammer gemäß Art. 28 der Verfahrensordnung entschieden, die Rechtssache an die Achte erweiterte Kammer zu verweisen. Da ein Mitglied dieser erweiterten Kammer an der weiteren Mitwirkung am Verfahren gehindert war, ist der Präsident des Gerichts mit Beschluss vom 15. Juni 2020 dazu bestimmt worden, die Kammer zu ergänzen.

49      Auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen. Im Hinblick darauf sind die Klägerin, die Kommission und Overgas im Rahmen prozessleitender Maßnahmen aufgefordert worden, Unterlagen vorzulegen und schriftlich Fragen des Gerichts zu beantworten. In Beantwortung dieser Maßnahmen reichte Overgas ihre Stellungnahme am 26. November 2020 ein, während die Klägerin und die Kommission am 8. Dezember 2020 ihre jeweilige Stellungnahme eingereicht und Unterlagen vorgelegt haben (im Folgenden: Antworten vom 8. Dezember 2020).

50      Ferner hat das Gericht, was die von der Kommission vorgelegte vollständige Kopie der vertraulichen Fassung der MB anbelangt (vgl. oben, Rn. 43 und 45), gemäß Art. 103 Abs. 2 der Verfahrensordnung entschieden, dieses Dokument den Vertretern der Klägerin unter der Voraussetzung der vorherigen Unterzeichnung von Vertraulichkeitsverpflichtungen zur Kenntnis zu bringen, um hierzu Stellung nehmen zu können. Nachdem diese Vertreter unterzeichnete Vertraulichkeitsverpflichtungen eingereicht hatten, wurde ihnen das Dokument zugestellt, und die Klägerin hat am 8. Dezember 2020 ihre Stellungnahme eingereicht.

51      Aus Gründen, die mit der durch Covid‑19 verursachten Gesundheitskrise zusammenhängen, und auf Antrag mehrerer Parteien hat der Präsident der Achten erweiterten Kammer beschlossen, die ursprünglich für den 20. und 21. Januar 2021 anberaumte mündliche Verhandlung zu vertragen.

52      Die Parteien haben in der Sitzung vom 18. und 19. Mai 2021 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet. Bei dieser Gelegenheit hat das Gericht auch darauf hingewiesen, dass es die Stellungnahme der Kommission vom 27. April 2021 zum Sitzungsbericht zur Kenntnis genommen hat.

53      Am zweiten Tag der mündlichen Verhandlung hat die Kommission im Rahmen von Fragen des Gerichts zur Zulässigkeit der Klage ihren Standpunkt dazu geändert und vorgetragen, dass die Klägerin ihr Rechtsschutzinteresse in der vorliegenden Rechtssache nicht nachgewiesen habe, so dass die Klage unzulässig sei.

54      Die Klägerin hat Anträge auf vertrauliche Behandlung bestimmter Informationen in verschiedenen Verfahrensschriftstücken gegenüber der Republik Litauen, der Republik Polen, Gazprom und Overgas gestellt. Diese haben gegen diese Anträge keine Einwände erhoben.

55      Die Klägerin, unterstützt durch die Republik Litauen, die Republik Polen und Overgas, beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

56      Die Kommission, unterstützt durch Gazprom, beantragt,

–        die Klage für unzulässig zu erklären, hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

57      Die Klägerin stützt ihre Klage auf sechs Gründe, mit denen sie geltend macht:

–        erstens einen Verstoß gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 102 AEUV und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe, als sie zu dem Schluss gelangt sei, dass sich die Jamal-Beschwerdepunkte als unbegründet erwiesen hätten, und indem sie Verpflichtungszusagen angenommen habe, mit denen diesen Beschwerdepunkten in keiner Weise entsprochen werde;

–        zweitens einen Verstoß gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 102 AEUV und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Kommission die endgültigen Verpflichtungszusagen angenommen habe, obwohl damit den Beschwerdepunkten betreffend die Preispolitik nicht angemessen entsprochen werde;

–        drittens einen Verstoß gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 102 AEUV und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Kommission die endgültigen Verpflichtungszusagen angenommen habe, obwohl damit den Beschwerdepunkten betreffend die territorialen Beschränkungen nicht angemessen entsprochen werde;

–        viertens einen Verstoß gegen Art. 194 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 7 AEUV, da der angefochtene Beschluss den Zielen der Energiepolitik der Union zuwiderlaufe und die Kommission die negativen Auswirkungen dieses Beschlusses auf den europäischen Gaslieferungsmarkt außer Acht gelassen habe;

–        fünftens einen Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV und den Grundsatz der Gleichbehandlung, da die Kommission die in den westeuropäischen Mitgliedstaaten tätigen Gazprom-Kunden und die in den betroffenen MOEL tätigen Gazprom-Kunden ungleich behandelt habe;

–        sechstens einen Befugnismissbrauch und eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften, da die Kommission mit dem angefochtenen Beschluss das Ziel von Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 und die Grenzen ihrer Befugnisse bei der Durchführung des Verwaltungsverfahrens verkannt habe.

A.      Antrag auf Erlass prozessleitender Maßnahmen

58      In ihren Schriftsätzen hat die Klägerin beantragt, der Kommission aufzugeben, „die Dokumente des Verfahrens AT.39816“, „die Dokumente des Verfahrens AT.40497“ und, soweit sie nicht bereits zu diesen beiden Kategorien gehören, bestimmte, genauer bezeichnete Dokumente vorzulegen. Hilfsweise hat sie beantragt, der Kommission aufzugeben, die letztgenannten Dokumente sowie eine nicht vertrauliche Fassung der MB vorzulegen, in der weniger Informationen ausgelassen seien als in der, die sie bereits erhalten habe. Die angeforderten Dokumente seien sachdienlich, da das Gericht die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses nur unter Berücksichtigung des Zusammenhangs überprüfen könne, der sich aus den Akten insgesamt in den Sachen AT.39816 und AT.40497 ergebe.

59      Die Kommission ist der Ansicht, dass mit Ausnahme der MB keines der betreffenden Dokumente und keine der betreffenden Informationen für das Verfahren sachdienlich sei, und macht geltend, dass die Klägerin ihre Anträge nicht hinreichend begründet habe.

60      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein Beschwerdeführer oder ein zum Verfahren zugelassener Dritter im Sinne der Art. 5 und 11 der Verordnung Nr. 773/2004 kein Recht auf Akteneinsicht wie das in Art. 15 dieser Verordnung vorgesehene hat, das den Adressaten einer Mitteilung der Beschwerdepunkte zusteht, denen es mit diesem Zugang u. a. ermöglicht werden soll, von den in den Akten der Kommission enthaltenen Beweismitteln Kenntnis zu nehmen, damit sie auf deren Grundlage zu den Schlussfolgerungen, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte gelangt ist, sachgerecht Stellung nehmen können (vgl. u. a. Urteil vom 14. Mai 2020, NKT Verwaltung und NKT/Kommission, C‑607/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:385, Rn. 261 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dagegen hat ein Beschwerdeführer nach Art. 6 der genannten Verordnung das Recht, eine Kopie der nicht vertraulichen Fassung der Mitteilung der Beschwerdepunkte in einer Sache zu erhalten, in der die Kommission mit einer Beschwerde befasst ist.

61      Diese Regeln gelten jedoch nicht für das Verfahren vor dem Gericht, das durch Art. 24 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung des Gerichts geregelt wird. In diesem Zusammenhang ist es Sache des Gerichts und nicht der Parteien, zu beurteilen, ob es angebracht ist, eine prozessleitende Maßnahme oder einen Beweisbeschluss zu erlassen, wobei die Parteien gegebenenfalls die im ersten Rechtszug getroffene Wahl im Rahmen eines Rechtsmittels anfechten können (Urteil vom 12. Mai 2010, Kommission/Meierhofer, T‑560/08 P, EU:T:2010:192, Rn. 61). So kann das Gericht von den Parteien gemäß Art. 89 der Verfahrensordnung die Vorlage aller Dokumente und die Erteilung aller Auskünfte verlangen, die es für wünschenswert hält. Zu diesem Zweck kann der Kläger beim Gericht beantragen, die Vorlage von Unterlagen anzuordnen, die sich im Besitz des Beklagten befinden; damit das Gericht jedoch feststellen kann, ob die Anordnung einer solchen Vorlage dem ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens dienlich ist, muss der Kläger die erbetenen Dokumente bezeichnen und zumindest einen Anhaltspunkt dafür geben, dass diese Dokumente für das Verfahren zweckdienlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission, C‑185/95 P, EU:C:1998:608, Rn. 90 bis 93).

62      Im vorliegenden Fall beschränkt sich die Klägerin weitgehend darauf, Anträge zu stellen, die sich auf umfangreiche Dokumentenkonvolute beziehen, ohne dass sie die Dokumente, deren Vorlage sie begehrt, mit einem hinreichenden Grad an Genauigkeit bezeichnen würde und indem sie die Gründe, aus denen die angeforderten Dokumente für das Verfahren zweckdienlich sein könnten, nicht näher ausführt, sondern lediglich behauptet, dass sie „den Kontext“ darstellten, den das Gericht bei seiner Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses berücksichtigen müsse.

63      Das Gericht kommt daher nach Prüfung der Anträge der Klägerin in Anbetracht der vorgebrachten Klagegründe und Argumente zu dem Schluss, dass die beantragten prozessleitenden Maßnahmen nach Art. 89 Abs. 3 Buchst. d der Verfahrensordnung nicht zu erlassen sind. Jedoch hat das Gericht, wie oben in den Rn. 43, 46 und 49 ausgeführt worden ist, zur Behandlung der zur Stützung der Klage geltend gemachten Gründe verschiedene prozessleitende Maßnahmen erlassen, die u. a. die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen umfassen.

64      Was die Behandlung der MB und insbesondere der vertraulichen Fassung dieses Dokuments anbelangt, so wird diese Frage unten im Rahmen der Behandlung des sechsten Klagegrundes geprüft.

B.      Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 102 AEUV und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe, indem sie die Auffassung vertreten habe, dass sich die Jamal-Beschwerdepunkte als unbegründet erwiesen hätten, und indem sie Verpflichtungszusagen angenommen habe, mit denen diesen Beschwerdepunkten in keiner Weise entsprochen werde

65      Der erste Klagegrund betrifft die Behandlung der Jamal-Beschwerdepunkte durch die Kommission. Dieser Klagegrund ist im Wesentlichen in zwei Teile untergliedert.

1.      Zum ersten Teil des ersten Klagegrundes: Fehler der Kommission, was den Verzicht auf die Jamal-Beschwerdepunkte anbelangt, und Fehlen einer Verpflichtungszusage, mit der diesen Beschwerdepunkten entsprochen würde

66      Die Klägerin, unterstützt durch die Republik Polen, wirft der Kommission vor, auf die ursprünglichen Beschwerdepunkte betreffend die Jamal-Gasfernleitung verzichtet zu haben, und macht ihr infolgedessen das Fehlen einer Verpflichtungszusage in Bezug auf diese Beschwerdepunkte zum Vorwurf. Sie ist der Ansicht, dass die Kommission diese Vorgehensweise – entgegen ihrem Vorbringen im Rahmen des vorliegenden Klageverfahrens – hätte begründen müssen. Außerdem seien die beiden Gründe, die insoweit dennoch im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses enthalten seien, mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler behaftet.

67      Nach Ansicht der Kommission ist dieser Teil als unbegründet zurückzuweisen.

a)      Zur Rüge, mit der geltend gemacht wird, die Kommission sei verpflichtet, das Fehlen einer Verpflichtungszusage, mit der den Jamal-Beschwerdepunkten entsprochen würde, zu rechtfertigen

68      Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe, was die Behandlung der Jamal-Beschwerdepunkte und insbesondere den Verzicht auf diese Beschwerdepunkte anbelange, die Anforderungen des Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 nicht beachtet.

69      Die Kommission habe nämlich in der MB das Verhalten von Gazprom dargelegt, das darin bestanden habe, die Entscheidungen von EuRoPol zu blockieren, die für die Durchführung von bidirektionalen virtuellen oder physischen Gasflüssen im polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung erforderlich gewesen wären, und sei davon ausgegangen, dass dieses Verhalten eine wettbewerbswidrige Verhaltensweise darstelle, die rechtlich hinreichend nachgewiesen worden sei. In Anbetracht der Anforderungen des Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 habe die Kommission daher keine Verpflichtungszusagen annehmen dürfen, die den Jamal-Beschwerdepunkten in keiner Weise abgeholfen hätten. In Wirklichkeit habe die Kommission die Tragweite der gegen Gazprom erhobenen Beschwerdepunkte wesentlich geändert, ohne das hierfür vorgesehene Verfahren einzuhalten und ohne die Gründe für diese Änderung zu erläutern.

70      Außerdem rügt die Klägerin den Standpunkt der Kommission, wonach den in der „vorläufigen Beurteilung“ im angefochtenen Beschluss (Abschnitt 4) dargelegten wettbewerbsrechtlichen Bedenken Vorrang vor den in der MB dargelegten Bedenken einzuräumen sei. Nach Rn. 123 der Bekanntmachung der Kommission über bewährte Vorgehensweisen in Verfahren nach Artikel 101 und 102 des AEUV (ABl. 2011, C 308, S. 6, im Folgenden: bewährte Vorgehensweisen) „erfüllt“ eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, wenn sie dem betroffenen Unternehmen zugestellt worden ist, „die Voraussetzungen einer vorläufigen Beurteilung“. Nichts deute jedoch darauf hin, dass die Kommission im vorliegenden Fall, nachdem sie die MB zugestellt habe, eine neue vorläufige Beurteilung ohne die Jamal-Beschwerdepunkte mitgeteilt hätte. Daher habe sie die Tragweite ihrer MB nie förmlich geändert.

71      Hierzu vertritt die Klägerin die Ansicht, dass die Kommission die Etappen des Verwaltungsverfahrens, die dem Erlass des angefochtenen Beschlusses vorausgegangen seien, darunter insbesondere die Zustellung der MB, nicht außer Acht lassen dürfe. Ein solches Verhalten würde nämlich der Kontrolle durch den Unionsrichter entgegenstehen, der zu prüfen habe, ob der Sachverhalt, der zu einem Beschluss der Kommission geführt habe, richtig, vollständig und belastbar sei, und nicht daran gehindert werden dürfe, eine Mitteilung der Beschwerdepunkte zur Auslegung eines solchen Beschlusses heranzuziehen. Der von der Kommission verfochtene Ansatz liefe darauf hinaus, ihr eine willkürliche Befugnis in Bezug auf die Billigung von Verpflichtungszusagen einzuräumen, da sie in der Lage wäre, den Inhalt einer vorläufigen Beurteilung an denjenigen der Verpflichtungszusagen „anzupassen“, die ein Unternehmen zu erteilen bereit wäre.

72      Die Kommission weist darauf hin, dass ihre Rolle im Rahmen der Anwendung von Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 darin bestehe, die vom betroffenen Unternehmen angebotenen Verpflichtungszusagen im Licht der wettbewerbsrechtlichen Bedenken zu prüfen, die sie diesem Unternehmen im Wege einer „vorläufigen Beurteilung“ mitgeteilt habe. Die Kommission unterscheidet die in der MB dargelegten Bedenken von denen, die in der vorläufigen Beurteilung des angefochtenen Beschlusses dargelegt wurden, da in Letzterer die Jamal-Beschwerdepunkte nicht mehr enthalten waren. Ab dem Zeitpunkt, zu dem auf diese Beschwerdepunkte verzichtet worden sei, habe sie somit, ohne einen Fehler zu begehen, die Verpflichtungszusagen prüfen können, auch wenn mit diesen den genannten Beschwerdepunkten nicht abgeholfen worden sei.

73      Abgesehen davon, dass die Klägerin das Urteil vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala (C‑413/06 P, EU:C:2008:392), falsch auslege und der MB einen Wert beimesse, der über den dieser Art von Dokumenten normalerweise zuerkannten verfahrensmäßigen und vorbereitenden Charakter hinausgehe, sei außerdem zu betonen, dass mit dem im vorliegenden Fall angefochtenen Beschluss, der nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 erlassen worden sei, anders als mit nach Art. 7 dieser Verordnung erlassenen Beschlüssen keine verbindliche Feststellung hinsichtlich des Vorliegens einer Zuwiderhandlung getroffen werde. Daher sei das Postulat einer gerichtlichen Kontrolle zurückzuweisen, bei der die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses, der eine vorläufige Beurteilung enthalte, im Licht der in der MB, die vorläufigen Charakter habe, dargelegten Bedenken geprüft werde.

74      Zur angeblichen Willkürlichkeit ihres Ansatzes weist die Kommission darauf hin, dass sie den Verzicht auf die Jamal-Beschwerdepunkte weder in Anbetracht der Rechtsprechung zum Anspruch auf rechtliches Gehör noch in Anbetracht der Begründungspflicht in Bezug auf eine Entscheidung nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 habe begründen müssen. Da die interessierten Parteien sie zum Fehlen einer Verpflichtungszusage in Bezug auf die Jamal-Gasfernleitung befragt hätten, habe sie im Einklang mit den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Transparenz allerdings die Gründe, weshalb ihre vorläufigen Bedenken nicht bestätigt worden seien, einbezogen.

75      Nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 kann die Kommission, wenn sie beabsichtigt, eine Entscheidung zur Abstellung einer Zuwiderhandlung zu erlassen, und die beteiligten Unternehmen anbieten, Verpflichtungen einzugehen, die geeignet sind, die ihnen von der Kommission nach ihrer vorläufigen Beurteilung mitgeteilten Bedenken auszuräumen, diese Verpflichtungszusagen im Wege einer Entscheidung für bindend für die Unternehmen erklären.

76      Insoweit soll der durch Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 eingeführte Mechanismus eine wirksame Anwendung der Wettbewerbsvorschriften sicherstellen, indem eine raschere Lösung für die von der Kommission identifizierten wettbewerbsrechtlichen Bedenken herbeigeführt wird, anstatt den Weg der förmlichen Feststellung einer Zuwiderhandlung zu beschreiten. Dieser Bestimmung liegen Erwägungen der Verfahrensökonomie zugrunde. Sie soll es den Unternehmen ermöglichen, sich dadurch in vollem Umfang an dem Verfahren zu beteiligen, dass sie die Lösungen vorschlagen, die ihnen am besten geeignet und am angemessensten erscheinen, um die genannten Bedenken auszuräumen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. Juni 2010, Kommission/Alrosa, C‑441/07 P, im Folgenden: Urteil Alrosa, EU:C:2010:377, Rn. 35, und vom 15. September 2016, Morningstar/Kommission, T‑76/14, im Folgenden: Urteil Morningstar, EU:T:2016:481, Rn. 39).

77      Außerdem nimmt Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 im Gegensatz zu Art. 7 der Verordnung, der Entscheidungen betrifft, mit denen eine Zuwiderhandlung festgestellt wird, zwar nicht ausdrücklich auf den Begriff der Verhältnismäßigkeit Bezug, doch ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gleichwohl als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts Maßstab für die Rechtmäßigkeit aller Handlungen der Unionsorgane. Die spezifischen Merkmale der in den Art. 7 und 9 dieser Verordnung vorgesehenen Mechanismen und der Handlungsmöglichkeiten, die sie einräumt, sind allerdings unterschiedlich, insbesondere, weil das Ziel des ersten Mechanismus darin besteht, eine Zuwiderhandlung abzustellen, während das Ziel des zweiten Mechanismus darin besteht, die Bedenken der Kommission auszuräumen, die sich aus ihrer vorläufigen Beurteilung ergeben. Folglich unterscheidet sich die Verpflichtung der Kommission, die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sicherzustellen, nach Umfang und Inhalt, je nachdem, im Rahmen welches der beiden Artikel sie geprüft wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Alrosa, Rn. 36 bis 38 und 46, sowie Urteil Morningstar, Rn. 43 und 44).

78      So ist bei einem Fall der Anwendung von Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 die in dieser Bestimmung genannte vorläufige Beurteilung an die Unternehmen gerichtet, die von der Untersuchung der Kommission betroffen sind, und soll es ihnen ermöglichen, zu beurteilen, ob es zweckmäßig ist, geeignete Verpflichtungszusagen anzubieten. Die Kommission ist aber von der Verpflichtung freigestellt, eine Zuwiderhandlung zu benennen und festzustellen, da sich ihre Aufgabe darauf beschränkt, die angebotenen Verpflichtungszusagen gemäß den in dieser Beurteilung festgestellten wettbewerbsrechtlichen Bedenken und im Hinblick auf die von ihr verfolgten Ziele zu prüfen und gegebenenfalls zu akzeptieren. In diesem Zusammenhang beschränkt sich die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf die Prüfung, ob zum einen die fraglichen Verpflichtungszusagen diese Bedenken ausräumen und ob zum anderen diese Unternehmen keine weniger belastenden Verpflichtungszusagen angeboten haben, die diesen Bedenken ebenfalls in angemessener Weise gerecht würden. Bei dieser Prüfung muss die Kommission die Umstände des Einzelfalls berücksichtigen, d. h. insbesondere die Interessen Dritter und den Umfang der festgestellten Bedenken (vgl. in diesem Sinne Urteil Alrosa, Rn. 40 und 41, Urteil vom 9. Dezember 2020, Groupe Canal +/Kommission, C‑132/19 P, EU:C:2020:1007, Rn. 105, und Urteil Morningstar, Rn. 45).

79      Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass die MB ungeachtet dessen, was die Kommission zu verstehen gegeben hat, die Voraussetzungen einer vorläufigen Beurteilung im Sinne von Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 erfüllt, was aus dem angefochtenen Beschluss offensichtlich hervorgeht und im Übrigen dem in Rn. 123 der bewährten Vorgehensweisen genannten Fall entspricht.

80      Daraus folgt, dass die Kommission nicht geltend machen kann, dass die Ausführungen unter der Überschrift „Vorläufige Beurteilung“ (Abschnitt 4) im angefochtenen Beschluss, der am Schluss des Verwaltungsverfahrens erlassen wurde und dieses Verfahren abschloss, den Bezugspunkt darstellen müssten, in dessen Licht die Angemessenheit von vor dem Erlass dieses Beschlusses abgegebenen Verpflichtungszusagen zu beurteilen sei. Die Kommission benennt auch kein anderes Dokument, das zwischen der Zustellung der MB und dem Erlass des angefochtenen Beschlusses erstellt worden wäre und in dem sie Gazprom eine überarbeitete vorläufige Beurteilung, insbesondere in Bezug auf die Jamal-Beschwerdepunkte, mitgeteilt hätte, bevor dieses Unternehmen in den Jahren 2015 und 2016 informelle Angebote für Verpflichtungszusagen und sodann, im Februar 2017, die ursprünglichen Verpflichtungszusagen vorlegte.

81      Im Licht dieser Feststellung zur MB ist davon auszugehen, dass die Anforderungen im Zusammenhang mit der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht bedeuten können, dass alle in einer vorläufigen Beurteilung dargelegten wettbewerbsrechtlichen Bedenken, auch wenn eine solche Beurteilung die Form einer Mitteilung der Beschwerdepunkte annimmt, notwendigerweise eine Erwiderung in den von den betroffenen Unternehmen angebotenen Verpflichtungszusagen erhalten müssten, was die Klägerin für andere Situationen als die Jamal-Beschwerdepunkte im vorliegenden Fall eingeräumt hat.

82      Bei einer anderen Auslegung von Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bestünde nämlich die Gefahr, dass die vorläufige Beurteilung der Kommission, die von Natur aus nicht endgültig ist, festgeschrieben und das Verpflichtungsverfahren unter bestimmten Umständen hinfällig würde. Desgleichen ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass eine Mitteilung der Beschwerdepunkte eine vorbereitende Verfahrenshandlung ist, die den Gegenstand des von der Kommission eingeleiteten Verwaltungsverfahrens festlegt, wobei die Kommission verpflichtet ist, die Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen, um u. a. Beschwerdepunkte fallen zu lassen, die sich als nicht ausreichend begründet erwiesen haben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, EU:C:2008:392, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 28. Januar 2021, Qualcomm und Qualcomm Europe/Kommission, C‑466/19 P, EU:C:2021:76, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83      Gleichwohl war die Kommission nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 unter den Umständen des vorliegenden Falles, insbesondere mangels einer überarbeiteten vorläufigen Beurteilung, entgegen ihrem Vorbringen verpflichtet, sich auf Gründe zu stützen, die das Fehlen einer Verpflichtungszusage, mit der den Jamal-Beschwerdepunkten entsprochen worden wäre, rechtfertigten. Soweit die Kommission geltend macht, dass ihr Fehler nicht zur – auch nur teilweisen – Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses führen könne, stellt das Gericht außerdem fest, dass dieser Fehler sehr wohl den verfügenden Teil dieses Beschlusses betrifft, da diese Beschwerdepunkte, auch wenn sie nicht von Art. 1 erfasst werden, der die endgültigen Verpflichtungszusagen für bindend erklärt, von Art. 2 erfasst werden, in dem festgestellt wird, dass kein Anlass mehr bestehe, in der Sache AT.39816 tätig zu werden.

84      Im Übrigen kann diese Verpflichtung, das Fehlen einer Verpflichtungszusage zu rechtfertigen, nicht so weit gehen, von der Kommission zu erwarten, dass sie die Unmöglichkeit, eine Zuwiderhandlung festzustellen, nachweist. Ein solcher Ansatz wäre mit der Natur eines Verpflichtungsverfahrens nicht vereinbar, da nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit deren 13. Erwägungsgrund eine Entscheidung bezüglich Verpflichtungszusagen nicht die Frage beantwortet, ob eine Zuwiderhandlung vorgelegen hat oder noch vorliegt, und die Befugnisse der Wettbewerbsbehörden und der Gerichte der Mitgliedstaaten, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung festzustellen, unberührt lässt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. November 2017, Gasorba u. a., C‑547/16, EU:C:2017:891, Rn. 26 und 30, und vom 9. Dezember 2020, Groupe Canal +/Kommission, C‑132/19 P, EU:C:2020:1007, Rn. 108).

85      Im vorliegenden Fall ist jedenfalls festzustellen, dass die Kommission die Gründe dargelegt hat, aus denen sie keine Verpflichtungszusage, mit der den Jamal-Beschwerdepunkten entsprochen worden wäre, vorgeschrieben hat; diese Gründe sind die beiden im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführten Gründe. Der erste Grund bezieht sich auf die Zertifizierungsentscheidung, und der zweite Grund betrifft den zwischenstaatlichen Charakter der Beziehungen im Gassektor in Polen (wie oben in Rn. 17 dargelegt).

b)      Zu den Rügen, mit denen die Stichhaltigkeit der beiden im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführten Gründe in Abrede gestellt wird

86      Im Rahmen einer ersten Rüge macht die Klägerin, unterstützt durch die Republik Polen, geltend, die Kommission habe sich zu Unrecht auf die Zertifizierungsentscheidung berufen, um zu dem Schluss zu gelangen, dass die Jamal-Beschwerdepunkte keine Verpflichtungszusage von Gazprom erforderten.

87      Die Klägerin vertritt erstens die Auffassung, der Erlass der Zertifizierungsentscheidung durch die polnische Regulierungsbehörde sei kein Umstand, der die Entwicklung der Beurteilung der Kommission in Bezug auf die Jamal-Beschwerdepunkte zwischen der Zustellung der MB am 22. April 2015 und der Vorlage der ursprünglichen Verpflichtungszusagen am 14. Februar 2017, mit denen diesen Beschwerdepunkten nicht entsprochen worden sei, rechtfertigen würde. In Wirklichkeit sei die Kommission trotz des Erlasses dieser Entscheidung am 19. Mai 2015 durch die genannte Behörde mit einer Reihe von Umständen konfrontiert gewesen, die zwischen dem Zeitpunkt, zu dem sie ihre Bedenken in der MB geäußert habe, und dem einige Wochen nach diesem Zeitpunkt liegenden Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidung oder sogar bis zum Abschluss der Sache AT.39816 im Wesentlichen unverändert geblieben seien.

88      Zweitens sei die Kommission über Fragen betreffend den Einfluss von Gazprom auf den polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung gerade angesichts ihrer Intervention im Rahmen des Verfahrens zur Zertifizierung von Gaz-System besonders gut informiert gewesen. So habe die Kommission in zwei an die polnische Regulierungsbehörde gerichteten Stellungnahmen vom 9. September 2014 und vom 19. März 2015 zu Entwürfen von Entscheidungen, die der Zertifizierungsentscheidung ähnlich gewesen seien, die Bedingungen für die Verwaltung dieses Abschnitts durch Gaz-System geprüft und ausdrücklich empfohlen, den Betrieb der Verdichter- und Messstationen auf diesem Abschnitt auf Letztere zu übertragen, um Wettbewerbsverzerrungen zugunsten von Gazprom zu vermeiden.

89      Vor diesem Hintergrund sei die schließlich im angefochtenen Beschluss festgehaltene Beurteilung der Kommission in Anbetracht dessen überraschend, dass die Übertragung des Betriebs der Verdichter- und Messstationen letztlich trotz der in der Zertifizierungsentscheidung festgelegten und im Mai 2017 abgelaufenen 24‑monatigen Frist nicht vollzogen worden sei. Es sei unerheblich, dass diese Übertragung nur eine „Empfehlung“ gewesen sei, weil es darauf ankomme, dass die Blockade Gazprom zuzurechnen sei und dass die Kommission darüber durch die polnische Regierung, den Präsidenten der polnischen Regulierungsbehörde, Gaz-System und die Klägerin im Rahmen der Marktbefragung informiert worden sei.

90      Drittens habe die Kommission auch die Drohungen, die Gaslieferung im Fall der Durchführung der Betriebsübertragung auszusetzen, worüber die Klägerin sie in der Beschwerde informiert habe, nicht berücksichtigt. Das tatsächliche Vorliegen dieser Drohungen sei jedoch in Anbetracht dessen erwiesen, dass Gazprom kurz nach Ablauf der 24‑monatigen Frist, innerhalb derer die Übertragung hätte stattfinden müssen, Gas in einer für das polnische Gasnetz ungeeigneten Qualität in die Jamal-Gasfernleitung eingespeist habe, sowie in Anbetracht eines Schreibens des russischen Energieministers vom 30. August 2016 an seinen polnischen Amtskollegen, in dem er gedroht habe, die Gaslieferungen von Gazprom auszusetzen, sollte Gazprom gezwungen sein, diese Übertragung vorzunehmen.

91      In diesem Schreiben habe der russische Energieminister darauf hingewiesen, dass die Gaslieferungen an Polen davon abhingen, dass die Regierung der Republik Polen ihren Verpflichtungen aus einer Reihe von zwischen der Republik Polen und der Russischen Föderation geschlossenen zwischenstaatlichen Übereinkommen nachkomme, die u. a. die Mengen der Gaslieferungen an Polen sowie den Bau und die Verwaltung der Jamal-Gasfernleitung beträfen (im Folgenden: Übereinkommen zwischen Polen und Russland), d. h. konkret die Verpflichtungen, nach denen der Betrieb der Verdichter- und Messstationen in den Händen von EuRoPol verbleiben sollte. Die Klägerin betont, dass dieser Betrieb Gaz-System zugestanden habe, um deren Unabhängigkeit gemäß den Unionsvorschriften im Bereich Gas zu gewährleisten, und die Kommission selbst habe in ihrer Stellungnahme vom 19. März 2015 die Auffassung vertreten, dass es sich dabei um eine der zentralen Aufgaben der Verwaltungsbefugnisse eines UNB handele.

92      Nach Ansicht der Kommission ist diese Rüge als unbegründet zurückzuweisen.

93      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission im Rahmen der Annahme von Verpflichtungszusagen nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 über einen Beurteilungsspielraum verfügt, da sie dazu aufgerufen ist, eine Analyse durchzuführen, bei der sie zahlreiche wirtschaftliche Faktoren berücksichtigen muss, wie beispielsweise eine vorausschauende Analyse zur Beurteilung der Angemessenheit der vom betreffenden Unternehmen angebotenen Verpflichtungszusagen, und dass das Gericht diesen Beurteilungsspielraum bei der Ausübung seiner Kontrolle berücksichtigen muss. Somit bezieht sich diese Kontrolle allein auf die Frage ob die Beurteilung, zu der die Kommission gelangt ist, offensichtlich fehlerhaft ist, und der Unionsrichter kann nicht seine eigene Beurteilung dadurch an die Stelle der Beurteilung der Kommission setzen, dass er seine eigene Beurteilung der komplexen wirtschaftlichen Umstände darlegt, da er andernfalls in den Beurteilungsspielraum der Kommission eingreifen würde, anstatt die Rechtmäßigkeit der fraglichen Beurteilung zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil Alrosa, Rn. 42, 60 und 67, sowie Urteil Morningstar, Rn. 41).

94      Im vorliegenden Fall werden die Jamal-Beschwerdepunkte hauptsächlich in den Abschnitten 13 und 15.9 der MB geprüft. Daraus geht hervor, dass sich die Bedenken der Kommission auf angebliche Verhaltensweisen von Gazprom konzentrierten, die darauf abgezielt hätten, ihre Kontrolle über die Investitionen in den polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung aufrechtzuerhalten oder zu verstärken, insbesondere weil dieses Unternehmen versucht habe, innerhalb von EuRoPol über wichtige Entscheidungsbefugnisse zu verfügen und bei EuRoPol anstelle des für diesen Abschnitt zuständigen UNB, d. h. Gaz-System, die Befugnisse für Investitionen in diesen Abschnitt aufrechtzuerhalten. In diesem Kontext hatte die Kommission den 2010 zwischen EuRoPol und Gaz-System geschlossenen Verwaltungsvertrag, die 2011 angenommene neue EuRoPol-Satzung sowie [vertraulich](1) geprüft.

95      Insbesondere soll, wie aus Abschnitt 15.9.2 der MB hervorgeht, das Ziel der angeblich missbräuchlichen Verhaltensweisen von Gazprom, die darauf gerichtet gewesen seien, ihre Kontrolle über die Investitionen in den polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung aufrechtzuerhalten, darin bestanden haben, die Entwicklung der Infrastrukturen zu verhindern, die eine Diversifizierung der Gasquellen und ‑lieferanten (d. h. der Konkurrenten von Gazprom) ermöglichen würden. Insbesondere sei es Gazprom gelungen, die Einführung virtueller und physischer Gastransporte in Gegenflussrichtung auf diesem Abschnitt hinauszuzögern und damit eine solche Diversifizierung zu verhindern. Folglich war die Kommission vorläufig zu dem Schluss gelangt, dass Gazprom zumindest potenziell einen Betriebsmissbrauch begangen habe, indem sie unter Verstoß gegen Art. 102 Buchst. d AEUV den Zugang von Wettbewerbern zu diesem Abschnitt verhindert habe.

96      In der Folge erklärte sich die Kommission jedoch bereit, die endgültigen Verpflichtungszusagen für bindend zu erklären, die keine Maßnahme enthielten, mit der den Jamal-Beschwerdepunkten entsprochen worden wäre. Im angefochtenen Beschluss stellte die Kommission zunächst im 137. Erwägungsgrund fest, dass einige interessierte Parteien im Rahmen der Marktbefragung über das Fehlen einer solchen Maßnahme erstaunt gewesen seien, erläuterte dann aber im 138. Erwägungsgrund dieses Beschlusses, dass ihre vorläufigen wettbewerbsrechtlichen Bedenken nicht bestätigt worden seien, und zwar aus den beiden in diesem Erwägungsgrund dargelegten Gründen.

97      Zum ersten, die Zertifizierungsentscheidung betreffenden Grund führte die Kommission insbesondere aus, die polnische Regulierungsbehörde habe mit dieser Entscheidung u. a. festgestellt, dass Gaz-System eine entscheidende Kontrolle über Investitionsentscheidungen bezüglich des polnischen Abschnitts der Jamal-Gasfernleitung sowie über deren Umsetzung ausübe. Folglich hätten weder EuRoPol als Eigentümerin der Gasfernleitung noch Gazprom als Aktionärin von EuRoPol diese Entscheidungen blockieren können.

98      Hierzu ist erstens festzustellen, dass die Zertifizierungsentscheidung, wie die Kommission zu Recht geltend macht, verschiedene Feststellungen – anhand einer eingehenden Prüfung der relevanten Umstände, u. a. des Verwaltungsvertrags vom 25. Oktober 2010 und der EuRoPol-Satzung – bezüglich der Kontrolle der Investitionen in den polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung durch Gaz-System enthält. Auf der Grundlage dieser Feststellungen erteilte der Präsident der polnischen Regulierungsbehörde Gaz-System schließlich eine Unabhängigkeitsbescheinigung, in der es heißt, dass dieses Unternehmen die Anforderungen im Zusammenhang mit der Rolle als UNB, insbesondere in Bezug auf die Kontrolle der Investitionen, erfülle.

99      Die Klägerin und die Republik Polen machen zwar verschiedene Umstände geltend, die dazu führen könnten, dass Gaz-System davon abgehalten werden könnte, bestimmte Entscheidungen im Bereich von Investitionen in den genannten Abschnitt zu treffen, oder dass sie erheblichen Kosten im Zusammenhang mit insbesondere von EuRoPol eingeleiteten Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren ausgesetzt sein könnte. Damit stellen sie die Beurteilung der Zertifizierungsentscheidung durch die Kommission in Frage.

100    Jedoch stellen die Klägerin und die Republik Polen weder die Gültigkeit als solche der Zertifizierungsentscheidung der polnischen Regulierungsbehörde in Frage, noch haben sie Fehler geltend gemacht, die diese begangen hätte und die mit konkreten Feststellungen in dieser Entscheidung in Zusammenhang stünden, oder angegeben, welche Feststellungen ihrer Ansicht nach unzutreffend sind. In diesem Zusammenhang und unter Berücksichtigung der Rolle, die den nationalen Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten im Rahmen der Unionsvorschriften für den Gassektor, insbesondere durch die Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. 2009, L 211, S. 94, im Folgenden: Gasrichtlinie), übertragen ist, konnte die Kommission die von einer solchen Behörde getroffenen Feststellungen vernünftigerweise berücksichtigen und sich im vorliegenden Fall auf die genannte Entscheidung stützen, mit der die polnische Regulierungsbehörde festgestellt hat, dass Gaz-System die Kontrolle über die Investitionen in den polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung habe, und diesen Betreiber als UNB zertifizierte.

101    Zweitens konzentrieren sich die von der Klägerin und der Republik Polen vorgebrachten Argumente zur Zertifizierungsentscheidung vor allem auf das Vorliegen und die Natur der in dieser Entscheidung enthaltenen Empfehlung bezüglich der Übertragung des Betriebs der Verdichter- und Messstationen sowie auf die angebliche Nichtbefolgung dieser Empfehlung. Weder aus dieser Entscheidung noch aus dem Vorbringen der Klägerin und der Republik Polen geht jedoch hervor, dass die Kontrolle von Gaz-System über die Investitionen in den polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung von der Umsetzung dieser Empfehlung abhinge.

102    Hierzu ist festzustellen, dass sich der tägliche Betrieb der Verdichter- und Messstationen nicht mit der Frage der Kontrolle der Gasflüsse im polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung deckt. Auf die Frage, ob Gaz-System die tatsächliche Kontrolle über die Gasflüsse auf diesem Abschnitt habe, hat die Klägerin bestätigt, dass dies der Fall sei. Somit kann die fehlende Umsetzung der Empfehlung bezüglich dieses Betriebs nicht eine etwaige Vereinnahmung dieser Gasflüsse durch Gazprom über EuRoPol bedeuten, die geeignet wäre, Zweifel an der Relevanz der Kontrolle von Gaz-System über die diesen Abschnitt betreffenden Investitionen und folglich über die Möglichkeiten zur Diversifizierung der Gasquellen aufkommen zu lassen.

103    Unter diesen Umständen ist das Vorbringen zur Nichtumsetzung der Empfehlung betreffend die Betriebsübertragung und zum angeblich von Gazprom über EuRoPol im Zusammenhang mit dieser Umsetzung entgegengesetzten obstruktiven Verhalten nicht geeignet, die von der Kommission vorgenommene Beurteilung der Kontrolle durch Gaz-System über die Investitionen in Frage zu stellen.

104    Ebenso wenig kann das Vorbringen der Klägerin im Zusammenhang mit den beiden Stellungnahmen, die die Kommission im Rahmen des Verfahrens zur Zertifizierung von Gaz-System als UNB an die polnische Regulierungsbehörde richtete, die Beurteilung dieser Behörde in Bezug auf den beanstandeten Grund in Frage stellen. Die polnische Regulierungsbehörde ist nämlich in verschiedenen Erwägungsgründen der letztlich erlassenen Zertifizierungsentscheidung auf die Ausführungen der Kommission in diesen Stellungnahmen eingegangen.

105    Außerdem trifft es zwar zu, dass die Kommission in ihren beiden Stellungnahmen Ausführungen zur Erforderlichkeit der Übertragung des täglichen Betriebs der Verdichter- und Messstationen machte und die Auffassung vertrat, dass dieser Betrieb eine der „zentralen Aufgaben“ eines Netzbetreibers sei, doch betrafen diese Ausführungen nicht die Investitionsplanung und ‑kontrolle, sondern waren vielmehr von Erwägungen bezüglich anderer Anforderungen der Gasrichtlinie geleitet, u. a. im Zusammenhang mit der Gefahr, dass EuRoPol Zugang zu vertraulichen Informationen anderer Betreiber erlangt haben könnte. Eine solche Gefahr entsprach aber nicht den Bedenken, die die Kommission in den Jamal-Beschwerdepunkten zum Ausdruck brachte.

106    Im Übrigen ist festzustellen, dass die Kommissionsdienststelle, die die beiden Stellungnahmen verfasst hatte, die Entscheidungsentwürfe der polnischen Regulierungsbehörde anhand der Unionsvorschriften für den Gassektor prüfte, während die GD „Wettbewerb“ den relevanten Sachverhalt im Rahmen eines Verfahrens betreffend die Anwendung von Art. 102 AEUV analysierte. Folglich konnten die in den genannten Stellungnahmen möglicherweise geäußerten Vorbehalte zwar zumindest teilweise für diese Generaldirektion von Interesse sein, doch konnten sie nicht ihre Analyse auf der Ebene des Wettbewerbsrechts und insbesondere hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Jamal-Beschwerdepunkte und der eventuellen Notwendigkeit einer diesbezüglichen Verpflichtung bestimmen. Insoweit trifft es zwar zu, dass die Kommission selbst in Rn. 1016 der MB einen offensichtlichen Widerspruch zwischen dem Inhalt des Verwaltungsvertrags vom 25. Oktober 2010 und den Bestimmungen der Gasrichtlinie festgestellt hat, doch hat der Präsident der polnischen Regulierungsbehörde in der Zertifizierungsentscheidung ausgeführt, dass der von EuRoPol erstellte Netzentwicklungsplan im Wesentlichen Fragen der Erneuerung betroffen habe und dass dies jedenfalls die Befugnisse von Gaz-System im Bereich der Investitionen, darunter die Erstellung des in dieser Richtlinie vorgesehenen zehnjährigen Entwicklungsplans, nicht eingeschränkt habe.

107    Drittens kann der Klägerin nicht gefolgt werden, wenn sie vorbringt, dass die Kommission, obwohl sich die relevanten Umstände nicht geändert hätten, ihre Beurteilung bezüglich der Jamal-Beschwerdepunkte zwischen April 2015, als sie Gazprom die MB zugestellt habe, und Mai 2018, als sie den angefochtenen Beschluss erlassen habe, zu Unrecht geändert habe. Der Erlass der Zertifizierungsentscheidung stellte nämlich einen solchen relevanten Umstand dar. Außerdem wurde diese Entscheidung in einem Kontext erlassen, in dem erhebliche Investitionen in den polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung getätigt worden waren bzw. mit diesem Abschnitt in Zusammenhang standen; gerade diese Investitionen sollten die Diversifizierung der Gasversorgungsquellen ermöglichen. So hatte der Präsident der polnischen Regulierungsbehörde in dieser Entscheidung festgestellt, dass die Investitionen in Bezug auf die Einführung physischer Transporte in Gegenflussrichtung auf dem polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung getätigt worden seien. Zu diesem Punkt hatte die Kommission bereits vorab festgestellt, dass die Verzögerungsmethoden von Gazprom zwischen 2009 und 2013 angewandt worden seien und es Gaz-System gelungen sei, verschiedene Investitionen vorzunehmen, um solche physischen Transporte in Gegenflussrichtung ab 2014 zu ermöglichen (vgl. Rn. 734 und 1033 der MB).

108    Daraus folgt, dass die Kommission angesichts der oben in Rn. 83 genannten Verpflichtung sowie der vorstehenden Erwägungen zu den Feststellungen in der Zertifizierungsentscheidung und zu den getätigten Investitionen betreffend den polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung ohne einen offensichtlichen Beurteilungsfehler zu begehen aus dem auf diese Zertifizierungsentscheidung gestützten Grund die endgültigen Verpflichtungszusagen annehmen konnte, obwohl diese keine Maßnahme enthalten, mit der den Jamal-Beschwerdepunkten entsprochen würde. Folglich ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

109    Unter diesen Umständen ist es, da feststeht, dass die beiden von der Kommission im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführten Gründe eigenständig sind, nicht erforderlich, die Begründetheit der zweiten Rüge des ersten Teils des ersten Klagegrundes zu prüfen, mit der die auf die Übereinkommen zwischen Polen und Russland sowie auf die Anwendung des sogenannten Einwands staatlichen Handelns (im Folgenden: Einwand staatlichen Handelns) gestützte Begründung beanstandet wird. Denn selbst wenn diese zweite Rüge begründet wäre, könnte sie nicht zur Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses führen, da dieser die Sache AT.39816 abschließt, so dass sie als ins Leere gehend zurückzuweisen ist.

110    Nach alledem ist der erste Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

2.      Zum zweiten Teil des ersten Klagegrundes: Verstoß gegen die Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung, der Transparenz und der loyalen Zusammenarbeit

111    Zur Stützung des Vorbringens der Klägerin im Zusammenhang mit dem Umfang der gerichtlichen Überprüfung des Verzichts auf Beschwerdepunkte im Lauf eines Verpflichtungsverfahrens hat die Republik Polen Argumente zu einem Verstoß gegen die Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung, der Transparenz und der loyalen Zusammenarbeit vorgetragen.

112    Die Kommission, die geltend macht, dass dieser Vortrag im Wesentlichen einen neuen Klagegrund darstelle, ist im Übrigen der Ansicht, dass der zweite Teil als unbegründet zurückzuweisen sei.

113    Insoweit ist, was die Zulässigkeit des Vorbringens der Republik Polen anbelangt, festzustellen, dass dieses Vorbringen möglicherweise einen Klagegrund darstellt, der vom ersten Klagegrund, wie er in der Klageschrift geltend gemacht worden ist und der auf einen Verstoß gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestützt wird, verschieden ist.

114    Jedoch fügt sich dieses Vorbringen in den Rahmen der von der Klägerin vorgebrachten Rüge betreffend das Fehlen einer Verpflichtungszusage, mit der den Jamal-Beschwerdepunkten entsprochen worden wäre, ein, so dass es den Streitgegenstand, wie er durch die Anträge und die Klage- und Verteidigungsgründe der Hauptparteien umschrieben wird, nicht ändert. Daher ist dieses Vorbringen nach Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach Art. 53 Abs. 1 dieser Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, und nach Art. 142 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts in der Auslegung durch die Rechtsprechung zulässig (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. November 2016, DTS Distribuidora de Televisión Digital/Kommission, C‑449/14 P, EU:C:2016:848, Rn. 114 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 20. September 2019, Port autonome du Centre et de l’Ouest u. a./Kommission, T‑673/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:643, Rn. 44 und 45, sowie Beschluss vom 15. November 2019, Front Polisario/Rat, T‑279/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:808, Rn. 41).

a)      Zu einem Verstoß gegen die Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Transparenz

115    Die Republik Polen bestreitet zwar nicht das Recht der Kommission, bestimmte ursprünglich in einer Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegte Beschwerdepunkte zurückzunehmen, macht aber geltend, dass die Kommission unter Verstoß gegen Art. 1 und Art. 10 Abs. 3 EUV sowie Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gegen die Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Transparenz verstoße habe. Diese Grundsätze implizierten nämlich insbesondere die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen. Die allgemeinen Feststellungen in den Erwägungsgründen 137 und 138 des angefochtenen Beschlusses könnten jedoch nicht als ausreichende Begründung angesehen werden, und diese Unzulänglichkeit sei umso weniger zu rechtfertigen, als die Kommission den polnischen Behörden über Jahre hinweg ihre Besorgnis hinsichtlich der Verwaltung des polnischen Abschnitts der Jamal-Gasfernleitung mitgeteilt habe.

116    Außerdem sei der 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses irreführend, da er den Eindruck vermittle, dass die Zertifizierungsentscheidung nicht eine Anwendung des Einwands staatlichen Handelns auf den vorliegenden Fall, sondern den Hauptgrund für den Verzicht auf die Jamal-Beschwerdepunkte darstelle. Insoweit seien die Übereinkommen zwischen Polen und Russland in allgemeinen Worten angeführt worden, die nicht erkennen ließen, dass sich die Kommission auf diesen Einwand berufe, was erst im Zusammenhang mit dem vorliegenden Klageverfahren deutlich geworden sei. Außerdem habe die Kommission es versäumt, die Maßnahmen nach russischem Recht, die angeblich das Verhalten von Gazprom gelenkt hätten, und die Möglichkeit zu erläutern, sich in Anbetracht der Rechtsprechung und der Wirksamkeit des Wettbewerbsrechts auf den genannten Einwand zu berufen, wenn der staatliche Zwang von einem Drittstaat ausgehe.

117    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

118    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass zu den Garantien, die das Unionsrecht in Verwaltungsverfahren gewährt, u. a. der in Art. 41 der Charta der Grundrechte niedergelegte Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung gehört, aus dem die Verpflichtung des zuständigen Organs folgt, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen (vgl. Urteil vom 27. September 2012, Applied Microengineering/Kommission, T‑387/09, EU:T:2012:501, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

119    Im vorliegenden Fall ist zwar offensichtlich, dass die Republik Polen die Beurteilung der Kommission bezüglich der Rücknahme der Jamal-Beschwerdepunkte beanstandet, jedoch gibt sie nicht an, welches die relevanten Gesichtspunkte des vorliegenden Falls sein sollen, die von der Kommission nicht sorgfältig und unparteiisch geprüft wurden, zumal sie keinen konkreten Verstoß gegen die in den Verordnungen Nrn. 1/2003 und 773/2004 vorgesehenen Verfahrensvorschriften geltend macht. In ähnlicher Weise erläutert die Republik Polen nicht, inwiefern die Kommission gegen den in diesen Verordnungen verankerten Grundsatz der Transparenz verstoßen haben soll.

120    Im Übrigen ist, soweit die Republik Polen und im Kern auch die Klägerin in Wirklichkeit in Abrede stellen, dass die Begründung im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausreichend sei, auch diese Rüge zurückzuweisen.

121    Die Begründungspflicht muss nämlich grundsätzlich für alle Rechtsakte der Union mit Rechtswirkung gelten. Die Begründung muss die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr zur Verteidigung ihrer Rechte die tragenden Gründe für die getroffene Entscheidung entnehmen können und andererseits der Unionsrichter in die Lage versetzt wird, diese Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. Urteil vom 19. Dezember 2019, Puppinck u. a./Kommission, C‑418/18 P, EU:C:2019:1113, Rn. 94 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere klagebefugte Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

122    Im vorliegenden Fall hat die Kommission im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses die beiden Gründe dargelegt, die das Fehlen einer Verpflichtungszusage rechtfertigen, mit der den Jamal-Beschwerdepunkten entsprochen würde. Was den ersten, auf die Zertifizierungsentscheidung gestützten Grund anbelangt, ist vor dem Hintergrund der Behandlung der diesen Grund betreffenden Rüge (vgl. oben, Rn. 86 bis 110) offensichtlich, dass die Klägerin und die Republik Polen, die sich besonders gut über die Situation im polnischen Gassektor und über die Tätigkeiten der polnischen Regulierungsbehörde informieren konnten, in der Lage waren, die mit diesem Grund zusammenhängenden Rechtfertigungen zu erfahren, um ihre Rechte zu verteidigen, und dass das Gericht seine Kontrolle über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses hat ausüben können, insbesondere in Bezug auf dessen 138. Erwägungsgrund. Folglich ist die Kommission insoweit ihrer Begründungspflicht nachgekommen.

123    Was den zweiten, mit dem zwischenstaatlichen Charakter der Beziehungen zwischen den Parteien im Gassektor in Polen zusammenhängenden Grund anbelangt, auf den sich die Vorwürfe der Klägerin und der Republik Polen hauptsächlich beziehen, vertreten diese im Wesentlichen die Auffassung, die Kommission habe ihren Standpunkt insoweit unzureichend begründet, als sie sich im Wesentlichen auf eine mögliche Anwendung des Einwands staatlichen Handelns wegen der Auswirkungen berufen habe, die die Übereinkommen zwischen Polen und Russland und die russischen Rechtsvorschriften sowie das Verhalten der Regierung der Russischen Föderation auf das Verhalten von Gazprom gehabt hätten.

124    Insoweit ist das Gericht, wie oben in den Rn. 108 und 109 dargelegt, zu dem Schluss gelangt, dass die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie aus dem auf die Zertifizierungsentscheidung gestützten Grund die endgültigen Verpflichtungszusagen annahm, obwohl diese keine Maßnahme enthielten, mit der den Jamal-Beschwerdepunkten entsprochen worden wäre, und dass aus diesem Grund und in Anbetracht der Eigenständigkeit der beiden im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführten Gründe die Begründetheit der Rüge der Klägerin in Bezug auf den zweiten Grund nicht geprüft zu werden brauchte. Daraus folgt, dass das Vorbringen der Klägerin und der Republik Polen hinsichtlich einer unzureichenden Begründung in Bezug auf diesen zweiten Grund ebenfalls ins Leere geht.

125    Schließlich genügt, soweit die Republik Polen in Wirklichkeit die Beurteilung der Kommission hinsichtlich des Verzichts auf die Jamal-Beschwerdepunkte rügen will, der Hinweis, dass eine solche Rüge bereits im Rahmen der Behandlung des ersten Teils des ersten Klagegrundes zurückgewiesen worden ist.

126    Folglich ist das Vorbringen, mit dem ein Verstoß gegen die Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Transparenz gerügt wird, zurückzuweisen.

b)      Zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

127    Nach Ansicht der Republik Polen und der Klägerin verstößt der angefochtene Beschluss gegen den in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit. Mit der Feststellung, dass die Jamal-Beschwerdepunkte „nicht bestätigt [wurden]“, habe die Kommission nämlich tatsächlich festgestellt, dass insoweit keine Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV vorliege, und einen Beschluss erlassen, der über das hinausgehe, was nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 zulässig sei. Sie habe damit eine Frage entschieden, die von den endgültigen Verpflichtungszusagen nicht erfasst gewesen sei, und die von den nationalen Wettbewerbsbehörden oder den nationalen Gerichten gegebenenfalls anders hätte beurteilt werden können. Tatsächlich habe die Kommission Letztere daran gehindert, in Bezug auf die in den genannten Beschwerdepunkten angesprochenen Praktiken tätig zu werden, obwohl sie eine wesentliche Funktion bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln der Union erfüllten.

128    Dieser Verstoß sei aber umso unglücklicher, als die nationalen Wettbewerbsbehörden und die nationalen Gerichte nicht hätten handeln können, solange die Sache AT.39816 anhängig gewesen sei. Diesen Behörden und Gerichten sei nämlich nach Art. 11 Abs. 6 bzw. Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 bereits während eines Zeitraums von fast sechs Jahren – nämlich von der Eröffnung des förmlichen Verfahrens am 31. August 2012 bis zum Erlass des angefochtenen Beschlusses am 24. Mai 2018 – die Befugnis vorenthalten worden, tätig zu werden. Da die Kommission die Tragweite der MB nicht förmlich geändert habe, hätten die nationale Wettbewerbsbehörde und die polnischen Gerichte berechtigterweise erwarten können, dass die Kommission hinsichtlich dieser Beschwerdepunkte tätig werde, insbesondere in Anbetracht der von Gaz-System, vom Präsidenten der polnischen Regulierungsbehörde und von der polnischen Regierung im Rahmen der Marktbefragung insoweit zum Ausdruck gebrachten Standpunkte. Was insbesondere die nationalen Gerichte anbelange, so seien dort Verzögerungen auf die Gefahr hin ermöglicht worden, dass bestimmte Klageansprüche nunmehr verjährt seien.

129    Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

130    Insoweit trifft es zu, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichte nach Art. 16 der Verordnung Nr. 1/2003 keine Entscheidungen erlassen dürfen, die dem angefochtenen Beschluss zuwiderlaufen würden. Außerdem dürfen sie eine nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 ergangene Entscheidung nicht ignorieren, da ein Rechtsakt dieser Art auf jeden Fall Beschlusscharakter hat und sowohl der in Art. 4 Abs. 3 EUV genannte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit als auch das Ziel einer wirksamen und einheitlichen Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union diese Behörden und Gerichte verpflichten, eine vorläufige Beurteilung der Kommission zu berücksichtigen und als Indiz oder als Anfangsbeweis für das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 und 102 AEUV zu betrachten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. November 2017, Gasorba u. a., C‑547/16, EU:C:2017:891, Rn. 29).

131    Im vorliegenden Fall hat die Kommission zwar im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses klargestellt, dass ihre in Form der Jamal-Beschwerdepunkte formulierten wettbewerbsrechtlichen Bedenken „nicht bestätigt [wurden]“.

132    Jedoch ist es so, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichte zwar den 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses gegebenenfalls als Indiz für das Nichtvorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 und 102 AEUV berücksichtigen müssen, sich aber weder aus dem Wortlaut dieses Erwägungsgrundes noch allgemein aus dem Wortlaut des angefochtenen Beschlusses im Übrigen ergibt, dass die Kommission, was die Jamal-Beschwerdepunkte anbelangt, ausdrücklich festgestellt hätte, dass keine Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV vorliegt. Der streitige Wortlaut ist daher eher so zu verstehen, dass die Kommission beschlossen hat, diese Beschwerdepunkte zurückzunehmen und sich mit den endgültigen Verpflichtungszusagen zufriedenzugeben, auch wenn damit diesen Beschwerdepunkten nicht entsprochen wurde.

133    Jedenfalls kann der streitige Wortlaut im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses nicht die Natur des angefochtenen Beschlusses ändern und die nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichte nicht daran hindern, tätig zu werden. Nach Art. 9 Abs. 1 in Verbindung mit dem 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003 kann die Kommission nämlich eine bloße „vorläufige Beurteilung“ der Wettbewerbssituation vornehmen, ohne dass anschließend in der auf der Grundlage dieses Artikels ergehenden Verpflichtungsentscheidung festgestellt wird, ob eine Zuwiderhandlung vorgelegen hat. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein nationales Gericht zu dem Schluss kommt, dass Verhaltensweisen, die Gegenstand einer Verpflichtungsentscheidung sind, gegen Art. 101 oder Art. 102 AEUV verstoßen, und damit – im Unterschied zur Kommission – eine Zuwiderhandlung gegen einen dieser beiden Artikel feststellen möchte. Ebenso wird in den Erwägungsgründen 13 und 22 der Verordnung Nr. 1/2003 in der Gesamtschau ausdrücklich klargestellt, dass Verpflichtungsentscheidungen die Befugnisse der Wettbewerbsbehörden und der Gerichte der Mitgliedstaaten, über den Fall zu entscheiden, unberührt lassen und auch nicht die Befugnis dieser Gerichte und dieser Wettbewerbsbehörden zur Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV berühren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. November 2017, Gasorba u. a., C‑547/16, EU:C:2017:891, Rn. 26 und 27).

134    Folglich hat die Kommission nicht gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verstoßen, und diese Feststellung wird durch das übrige Vorbringen der Republik Polen und der Klägerin nicht in Frage gestellt.

135    Erstens ist der Umstand, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden sechs Jahre lang nicht tätig werden konnten, nur das Ergebnis der Durchführung von Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003, der vorsieht, dass mit der Einleitung des förmlichen Verfahrens die Zuständigkeit dieser Behörden für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV entfällt. Ihre Zuständigkeit lebt wieder auf, sobald das von der Kommission eingeleitete Verfahren beendet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 2012, Toshiba Corporation u. a., C‑17/10, EU:C:2012:72, Rn. 80 und 83 bis 87).

136    Was die nationalen Gerichte anbelangt, so sind diese im Fall der Eröffnung eines förmlichen Verfahrens nicht unbegrenzt von jeder Möglichkeit ausgeschlossen, in Sachen tätig zu werden, die sich auf einen Sachverhalt beziehen, der mit den Jamal-Beschwerdepunkten zusammenhängt oder damit verbunden ist. Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 sieht lediglich vor, dass diese Gerichte es vermeiden müssen, Entscheidungen zu erlassen, die einer Entscheidung zuwiderlaufen, die die Kommission in einem von ihr eingeleiteten Verfahren zu erlassen beabsichtigt, und zu diesem Zweck prüfen können, ob es notwendig ist, ihre Verfahren auszusetzen. Die Behauptung, wonach bestimmte nationale Klagen aufgrund von Verzögerungen bei polnischen Gerichten nunmehr verjährt seien, ist unerheblich, da die einschlägigen Verjährungsfristen und die Handhabung dieser Klagen durch diese Gerichte mangels einer Regelung des geltenden Unionsrechts unter die Verfahrensautonomie der Republik Polen fallen.

137    Im Übrigen verpflichtet keine Bestimmung der Verordnungen Nrn. 1/2003 und 773/2004 die Kommission, die nationalen Wettbewerbsbehörden oder ganz allgemein interessierte Dritte förmlich zu informieren, wenn sie im Lauf des Verfahrens auf bestimmte Beschwerdepunkte gegenüber einem betroffenen Unternehmen verzichtet. Jedenfalls führen die Klägerin und die Republik Polen kein spezifisches nationales Verfahren an, das durch das Verhalten der Kommission im vorliegenden Fall beeinträchtigt worden wäre.

138    Zweitens ist das Vorbringen der Republik Polen zurückzuweisen, wonach die polnische Wettbewerbsbehörde und die polnischen Gerichte berechtigterweise hätten erwarten können, dass die Kommission hinsichtlich der Jamal-Beschwerdepunkte tätig werde, da sie die Tragweite der MB nicht förmlich geändert habe. Die in Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehene Folge, dass mit der Einleitung des förmlichen Verfahrens die Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV bezüglich des Sachverhalts, der Gegenstand dieses Verfahrens ist, entfällt, besteht nämlich darin, die betroffenen Unternehmen vor Parallelverfahren dieser Behörden zu schützen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 18, und Beschluss vom 15. März 2019, Silgan Closures und Silgan Holdings/Kommission, T‑410/18, EU:T:2019:166, Rn. 20), kann aber nicht bedeuten, dass die Kommission verpflichtet wäre, einen Beschluss zu erlassen, sei es nach Art. 7, sei es nach Art. 9 dieser Verordnung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. September 2018, EAEPC/Kommission, T‑574/14, EU:T:2018:605, Rn. 86).

139    Schließlich ist, sofern sich die Republik Polen auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen sollte, darauf hinzuweisen, dass sich auf diesen Grundsatz jeder berufen kann, bei dem ein Unionsorgan durch klare Zusicherungen begründete Erwartungen geweckt hat (vgl. Urteil vom 13. Juni 2013, HGA u. a./Kommission, C‑630/11 P bis C‑633/11 P, EU:C:2013:387, Rn. 132 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Republik Polen bringt jedoch keine klare Zusicherung der Kommission vor. Im Übrigen kann die MB keine solche Zusicherung darstellen, da dieses Dokument an Gazprom gerichtet war und nur vorläufigen Charakter hatte. Ebenso wenig stellen die Durchführung der Marktbefragung und der Umstand, dass einige interessierte Parteien im Rahmen dieser Befragung Stellungnahmen abgegeben haben, solche Zusicherungen dar, da diese Umstände sich in den Rahmen der normalen Durchführung von Art. 27 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 einfügen.

140    Folglich sind das Vorbringen bezüglich eines Verstoßes gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sowie der zweite Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.

141    Nach alledem ist der erste Klagegrund insgesamt als teils unbegründet, teils ins Leere gehend zurückzuweisen.

C.      Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 102 AEUV und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Kommission die endgültigen Verpflichtungszusagen angenommen habe, obwohl damit den Beschwerdepunkten betreffend die Preispolitik nicht angemessen entsprochen werde

142    Die Klägerin, unterstützt durch die Republik Polen und die Republik Litauen, macht geltend, die Kommission habe unter Verstoß gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 102 AEUV und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mehrere offensichtliche Beurteilungsfehler und Rechtsfehler begangen, indem sie zu dem Schluss gelangt sei, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik (Rn. 18 und 19 der endgültigen Verpflichtungszusagen) angemessen seien, obwohl diese Verpflichtungszusagen nach Ansicht der Klägerin, der Republik Polen und der Republik Litauen es nicht ermöglichten, die Gaspreise rasch und wirksam auf einem Niveau zu halten oder wieder auf ein Niveau zu bringen, das mit wettbewerbsbestimmten Referenzpreisen vergleichbar sei. Dieser Klagegrund besteht im Wesentlichen aus vier Teilen.

143    Die Kommission, unterstützt durch Gazprom, ist der Ansicht, dass der zweite Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen sei.

1.      Zum ersten Teil des zweiten Klagegrundes: Fehler bezüglich des Gegenstands der Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik, da damit den diese Politik betreffenden Beschwerdepunkten nicht im Kern abgeholfen werde

144    Die Klägerin ist der Ansicht, die Kommission habe einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, indem sie Verpflichtungszusagen angenommen habe, die auf Änderungen der Preisanpassungsklauseln (price revision clauses) beschränkt seien, die in den Verträgen zwischen Gazprom und ihren Kunden in den fünf von der Preispolitik betroffenen MOEL enthalten seien, obwohl sich die in der MB dargelegten wettbewerbsrechtlichen Bedenken nicht auf die Preisanpassungen, sondern auf die unfairen und überhöhten Preise bezogen hätten, die Gazprom im Rahmen dieser Verträge angewandt habe (im Folgenden: vertragliche Preise). Diese auf die Festlegung eines neuen Preisanpassungsverfahrens beschränkten Verpflichtungszusagen würden nicht die Ursache des Problems beseitigen, nämlich das Vorhandensein von Preisformeln (price formulae), die anhand der Preise bestimmter Erdölerzeugnisse indexiert würden.

145    So trägt die Klägerin erstens vor, die Kommission habe die fragliche Politik in der MB als gegen den ersten Teil von Art. 102 Buchst. a AEUV betreffend „unangemessene Preise“ verstoßend und nicht als gegen dessen zweiten Teil, der sich auf „unangemessene sonstige Geschäftsbedingungen“ beziehe, verstoßend eingestuft. Die wettbewerbsrechtlichen Bedenken seien daher auf die überhöhten Preise und nicht auf das Verfahren zur Anpassung dieser Preise gerichtet gewesen.

146    Insoweit habe die Kommission in der MB selbst festgestellt, dass die bestehenden Preisformeln, die anhand der Erdölpreise indexiert würden, der wichtigste zu den überhöhten vertraglichen Preisen beitragende Faktor gewesen seien. Sie habe außerdem festgestellt, dass eine Indexierung der Gaspreise anhand der Preise von Erdölerzeugnissen eine überkommene Praxis sei, die zu Preisen führen könne, die nicht den wirtschaftlichen Wert des Gases widerspiegelten. Im gleichen Sinne habe sie in der MB Korrekturmaßnahmen, insbesondere eine Änderung dieser Formeln, ausdrücklich in Betracht gezogen, damit diese Preise zu Preisen führten, die nicht höher seien als die der niederländischen Plattform Title Transfer Facility (TTF) oder die, die mit den Kosten von Gazprom in Zusammenhang stünden. Somit habe die Kommission, indem sie es unterlassen habe, in den endgültigen Verpflichtungszusagen eine Änderung der Preisformeln vorzuschreiben, und so die Rückkehr überhöhter Preise ermöglicht habe, die ursprünglichen Bedenken hinsichtlich der Preispolitik und der Ursachen dieser überhöhten Preise nicht im Kern ausgeräumt, so dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik unangemessen seien und der angefochtene Beschluss den Zielen von Art. 102 AEUV zuwiderlaufe.

147    Im gleichen Sinne weist die Republik Litauen darauf hin, dass die in den fünf von der Preispolitik betroffenen MOEL geltenden unfairen und überhöhten Preise sich daraus ergeben hätten, dass die Gaspreise in diesen Ländern von den in Westeuropa geltenden abgewichen seien. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, müsse eine Preisformel aus sich selbst heraus wettbewerbsorientierte Preise erzeugen, so dass diese Formel anstatt des Preisanpassungsverfahrens hätte geändert werden müssen, das mindestens sechs Monate dauere und vom Gutdünken von Gazprom abhängig sei.

148    Zweitens hält die Klägerin den einzigen wirklichen Grund, den die Kommission im 165. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zur Rechtfertigung ihrer Entscheidung angeführt habe, die Preisformeln nicht zu ändern, für nicht stichhaltig. Der bloße Umstand, dass die aus diesen Formeln resultierenden Preise in den Jahren 2015 und 2016 einen Rückgang und eine „gewisse Übereinstimmung“ mit den Preisen auf den Handelsplattformen erfahren hätten, habe der Kommission nämlich nicht den Schluss erlaubt, dass ein Eingreifen durch sie nicht mehr gerechtfertigt gewesen sei.

149    Insbesondere werde dieser Grund in keiner Weise, insbesondere nicht durch wirtschaftliche Analysen, untermauert und berücksichtige in keiner Weise, dass die Erdölpreise ihrem Wesen nach veränderlich seien, dass diese Preise der Kontrolle der Unionsorgane entzogen seien und dass damit die Möglichkeit bestehe, dass die vertraglichen Preise erneut überhöht sein könnten. Die Kommission habe außer Acht gelassen, dass die Erdölpreise um die Jahre 2015 und 2016 herum aus verschiedenen Gründen unter Abweichung von den Durchschnittswerten dieser Preise auf Mindestniveaus gelegen hätten.

150    Die Kommission bestreitet, die wettbewerbsrechtlichen Bedenken, auf die sich die Beschwerdepunkte betreffend die Preispolitik beziehen, nicht im Kern ausgeräumt zu haben.

151    Es ist darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik in den Nrn. 18 und 19 der endgültigen Verpflichtungszusagen niedergelegt sind. Nr. 18 sieht im Wesentlichen vor, dass Gazprom innerhalb von zehn Wochen nach Wirksamwerden der Verpflichtungszusagen eine Änderung der betreffenden Verträge anbieten musste, um eine neue Preisanpassungsklausel aufzunehmen oder, um zu demselben Ergebnis zu gelangen, die bestehenden Klauseln zu ändern, was konkret ein neues Verfahren zur Änderung der Preisformeln, die die vertraglichen Gaspreise bestimmen, bedeutete. Gazprom sollte dies für alle Gaslieferverträge mit einer Laufzeit von mindestens drei Jahren, unabhängig davon, ob es sich um laufende Verträge oder um Neuverträge handelte, anbieten. Nr. 19 der endgültigen Verpflichtungszusagen sieht fünf Elemente vor, die dieses neue Verfahren enthalten muss, um im Fall der Aktivierung des Verfahrens zu neuen Preisformeln zu gelangen.

152    Aus den Nrn. 18 und 19 der endgültigen Verpflichtungszusagen ergibt sich somit, dass sich die Kommission tatsächlich dafür entschied, ein neues Preisanpassungsverfahren zu gestatten, anstatt eine sofortige Änderung der Preisformeln sicherzustellen.

153    Insoweit trifft es zu, dass sich die Kommission in der MB nicht auf die Preisanpassungsverfahren konzentrierte, sondern die in den betreffenden Verträgen enthaltenen Preisformeln und insbesondere die Indexierung anhand der Erdölpreise, die in diesen Formeln enthalten ist, prüfte, indem sie die Frage nach den preistreibenden Auswirkungen dieser Indexierung auf die vertraglichen Gaspreise aufwarf, wie sich u. a. aus Abschnitt 11.4 („[vertraulich]“) der MB ergibt. Die Kommission hatte festgestellt, dass die Gründe, die ursprünglich eine Indexierung der Preisformeln anhand der Preise für Erdölerzeugnisse gerechtfertigt hätten, d. h. insbesondere die unzureichende Reife der Gasmärkte, weitgehend weggefallen seien (Rn. 545 der MB), wobei sich diese Feststellung im Wesentlichen auch aus Erwägungsgrund 76 des angefochtenen Beschlusses ergibt. Gleichwohl betrafen die von der Kommission in der MB vorab dargelegten wettbewerbsrechtlichen Bedenken jedoch vor allem das Vorliegen möglicherweise überhöhter vertraglicher Preise, und hatte die Kommission nicht [vertraulich] (vgl. u. a. Rn. 949 und 981 der MB). Dies findet sich im Wesentlichen in der Zusammenfassung der vorläufigen Beurteilung im angefochtenen Beschluss wieder (Erwägungsgründe 62 und 63).

154    Unabhängig davon, welchen Standpunkt die Kommission im Stadium ihrer vorläufigen Beurteilung zur Indexierung der Preisformeln eingenommen hatte, ist erstens darauf hinzuweisen, dass im Stadium des Verwaltungsverfahrens, in dem die von Gazprom angebotenen Verpflichtungszusagen geprüft wurden, die an den Rückgang der Preise für Erdölerzeugnisse geknüpften vertraglichen Preise gesunken waren, so dass diese Preise mit denen übereinstimmten, die auf den Handelsplattformen für Gas in Westeuropa galten. Diese Feststellung, auf die sich die Kommission und Gazprom im Rahmen der vorliegenden Klage berufen, geht aus dem angefochtenen Beschluss hervor (vgl. 76. Erwägungsgrund und Fn. 49 sowie Erwägungsgründe 162 und 164) und wird in Wirklichkeit von der Klägerin nicht bestritten, die vielmehr auf die Gefahr eines künftigen Anstiegs der Erdölpreise und einen damit verbundenen Anstieg der vertraglichen Preise auf ein möglicherweise überhöhtes Niveau hinweist.

155    In Anbetracht des Preisniveaus zum Zeitpunkt der Annahme der endgültigen Verpflichtungszusagen ging es folglich nicht um möglicherweise überhöhte Preise, die eine Änderung der Preisformeln mit sofortiger Wirkung erfordert hätten.

156    Hierzu ist hinzuzufügen, dass die betroffenen Kunden rasch einen Antrag auf Preisanpassung stellen konnten, um eine Änderung der Preisformeln zu erreichen. Nach Nr. 19 Ziff. ii letzter Absatz der endgültigen Verpflichtungszusagen können diese Kunden nämlich einen ersten Antrag auf Preisanpassung jederzeit stellen, sobald das neue Preisanpassungsverfahren in einen bestimmten Vertrag aufgenommen worden ist, wobei Gazprom diese Aufnahme innerhalb von zehn Wochen ab Zustellung des angefochtenen Beschlusses anbieten musste.

157    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass, wie im 176. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt wird, die Kommission durch die Wahl des Wegs eines neuen Preisanpassungsverfahrens die Möglichkeit hatte, nicht selbst in Abstimmung mit Gazprom für jeden der betroffenen Verträge neue Preisformeln konfigurieren zu müssen, was angesichts der Komplexität einer solchen Aufgabe nicht leicht gewesen wäre. Denn [vertraulich] (wie aus Rn. 223 und 1065 der MB hervorgeht). Daraus folgt, dass es für die Kommission, insbesondere in Anbetracht der Notwendigkeit, das wirtschaftliche Gleichgewicht und die besonderen Merkmale jedes einzelnen betroffenen Vertrags untersuchen zu müssen, nicht offensichtlich unvernünftig war, sich im Rahmen der Ausarbeitung der Verpflichtungszusagen nicht für eine solche Konfigurierung der Preisformeln zu entscheiden.

158    Im Übrigen ist das Vorbringen zurückzuweisen, wonach die Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik die Wiederholung der ursprünglich beanstandeten Politik, d. h. von möglicherweise überhöhten Preisen, ermöglicht hätten und daher gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit deren Art. 7 verstießen. Da die Wahl eines neuen Preisanpassungsverfahrens es ermöglichen soll, den Auswirkungen einer etwaigen künftigen Erhöhung der Erdölpreise entgegenzuwirken, indem, wie in Erwägungsgrund 179 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt wird, sichergestellt wird, dass die Preise in den fünf von der Preispolitik betroffenen MOEL nie „über einen sehr kurzen Zeitraum hinaus“ von den wettbewerbsbestimmten Referenzpreisen Westeuropas abweichen, soll mit dieser Wahl nämlich gerade eine solche Wiederholung verhindert werden.

159    Nach alledem ist unbeschadet der Behandlung der folgenden Teile des zweiten Klagegrundes, mit denen die Klägerin im Wesentlichen die Angemessenheit des neuen Preisanpassungsverfahrens als solchem bestreitet, festzustellen, dass die Kommission, ohne einen offensichtlichen Beurteilungsfehler zu begehen, eine Verpflichtungszusage annehmen konnte, die die Festlegung dieses neuen Verfahrens anstatt einer sofortigen Änderung der Preisformeln vorsah.

160    Demnach ist der erste Teil des zweiten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

2.      Zum zweiten Teil des zweiten Klagegrundes: Unwirksamkeit des neuen Preisanpassungsverfahrens

161    Im Rahmen des zweiten Teils stellt die Klägerin die Wirksamkeit des neuen, in den Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik vorgesehenen Preisanpassungsverfahrens in Frage. Dieser Teil besteht im Wesentlichen aus vier Rügen.

162    Die Kommission bestreitet die von der Klägerin behaupteten Fehler.

a)      Zur Unwirksamkeit der Verpflichtungszusagen angesichts der obstruktiven Praktiken von Gazprom (erste Rüge)

163    Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe Fehler in Bezug auf die Gründe begangen, aus denen es Gazprom gelungen sei, überhöhte vertragliche Preise beizubehalten, was sie dazu veranlasst habe, ein neues, unwirksames Preisanpassungsverfahren zu akzeptieren.

164    Die Kommission sei nämlich zu Unrecht zu dem Schluss gelangt, dass die überhöhten vertraglichen Preise der Vergangenheit auf das Fehlen wirksamer Preisanpassungsklauseln in den betreffenden Verträgen zurückzuführen seien, die auf geeignete Referenzpreise wie z. B. die Preise auf Gashandelsplattformen verweisen würden. Eine solche Schlussfolgerung stehe im Widerspruch zu den Beweismitteln, über die die Kommission verfügt habe, und zu deren Feststellungen in der MB. Insbesondere hätte die Kommission bei einer ordnungsgemäßen Prüfung der im Vertrag zwischen der Klägerin und Gazprom enthaltenen Preisanpassungsklausel feststellen können, dass diese Klausel es bereits ermöglicht habe, die Höhe bestimmter Referenzpreise sowohl als einen Umstand, der die Auslösung einer Preisanpassung rechtfertigen würde, als auch als Kriterium für die Bestimmung eines neuen Preises geltend zu machen.

165    Ungeachtet des Umstands, dass die bestehenden Preisanpassungsklauseln bereits auf wettbewerbsbestimmte Referenzpreise und die Vornahme bestimmter Anpassungen verwiesen hätten, seien die Gazprom-Kunden aber gleichwohl mit andauernden Abweichungen zwischen den angepassten Preisen und den wettbewerbsbestimmten Gaspreisen konfrontiert gewesen und verpflichtet gewesen, nicht wettbewerbsbestimmte Preise zu zahlen.

166    In Wirklichkeit resultiere das wahre Hindernis für Preisanpassungen, wie die Kommission im Übrigen in der MB festgestellt habe, aus obstruktiven Verhaltensweisen von Gazprom, die sich in der Vergangenheit geweigert habe, ihre Preise anzupassen und angepasste Preise anzuwenden. Solange die bestehende Preisformel Gazprom begünstige, würde es sich dieses Unternehmen erlauben, die Preisanpassungsverfahren in die Länge zu ziehen, da seine Kunden, die überhöhte Preise zahlen müssten, schließlich bereit sein würden, selbst marginale Preissenkungen zu akzeptieren.

167    Konkret weist die Klägerin zunächst darauf hin, dass eine Preisanpassung die Kooperation von Gazprom in verschiedenen Stadien erfordere, was zumindest voraussetze, dass Gazprom bereit sei, sich in redlicher Absicht auf Preisverhandlungen einzulassen und die aus dem Anpassungsverfahren resultierenden angepassten Preise anzuerkennen, gegebenenfalls durch Durchführung eines etwaigen Schiedsspruchs. Gazprom habe aber gerade die inhärenten Schwächen des in den bestehenden Klauseln vorgesehenen Preisanpassungsverfahrens ausgenutzt und seine Kunden über viele Jahre hinweg erpresst, insbesondere durch die Drohung, die Gaslieferungen zu verringern oder zu unterbrechen, sollten die Kunden auf einen geänderten Preis bestehen. Im Übrigen sei Gazprom auch in der Lage, die Wirksamkeit von Schiedsverfahren zu beeinträchtigen, indem sie die Durchführung von Schiedssprüchen verweigere oder in die Länge ziehe. Diese Praktiken würden durch die Situationen veranschaulicht, in denen sich Naftogaz mit Sitz in der Ukraine bzw. die Klägerin befunden hätten. In Wirklichkeit hätten in dem von der Kommission untersuchten Zeitraum nur Kunden in Westeuropa tatsächlich von Preisanpassungen profitiert, während die angeblichen Preisanpassungen gegenüber Kunden in den fünf von den Preispolitiken betroffenen MOEL nur in bestimmten „Szenarien“ stattgefunden hätten, die im Wesentlichen unter der Kontrolle von Gazprom verblieben seien.

168    Insoweit könne die Kommission nicht geltend machen, dass das Akzeptieren angepasster Preise durch die Gazprom-Kunden unter den diese Szenarien kennzeichnenden Umständen, insbesondere im Rahmen eines „erzwungenen Kompromisses“, das Ergebnis unabhängiger Entscheidungen dieser Kunden gewesen sei. Vielmehr seien diese Entscheidungen vor dem Hintergrund des von diesem Unternehmen ausgeübten Drucks getroffen worden und seien lediglich Bestandteile oder Auswirkungen der missbräuchlichen Ausnutzung dieser Position durch Gazprom.

169    Die Kommission könne auch nicht geltend machen, dass die bisherigen Praktiken von Gazprom bei Anträgen auf Preisanpassung, insbesondere diejenigen, die ihr bekannt seien, im Rahmen der Beurteilung der Angemessenheit des neuen Preisanpassungsverfahrens nicht relevant seien, nur weil dieses neue Verfahren in verbindlichen Verpflichtungszusagen niedergelegt sei. Ein solcher Ansatz würde es ermöglichen, relevante tatsächliche Umstände stillschweigend zu übergehen, und liefe daher dem Wesen der sich aus Art. 102 AEUV ergebenden Rolle der Kommission sowie den Anforderungen an die Beweiserhebung zuwider, wie sie vom Gerichtshof in den Urteilen vom 15. Februar 2005, Kommission/Tetra Laval (C‑12/03 P, EU:C:2005:87), und vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala (C‑413/06 P, EU:C:2008:392), bestätigt worden seien. In Wirklichkeit müssten die Beweise für die Schwierigkeiten, mit denen die Gazprom-Kunden in der Vergangenheit konfrontiert gewesen seien, und damit für die Unwirksamkeit der Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik als so offenkundig angesehen werden, dass sie unbestreitbar seien, so dass die vorläufigen Schlussfolgerungen der Kommission in diesem Punkt nicht geändert werden könnten.

170    Im gleichen Sinne habe die Kommission auch nicht konkret erläutert, wie die obstruktiven Verhaltensweisen von Gazprom künftig aufgrund der Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik vermieden würden oder wie sie einen Verstoß gegen diese Verpflichtungszusagen darstellen könnten. In Wirklichkeit böten Preisverhandlungen und sogar Schiedsverfahren, wie in der MB festgestellt worden sei, keine Garantie für die Beendigung überhöhter Preise, da die Praktiken von Gazprom so lange fortgesetzt würden, wie es strukturell unfaire Preisformeln gebe.

171    Insoweit sei die Wirksamkeit des am 10. Juni 1958 in New York unterzeichneten Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche angesichts der von Gazprom angewandten Praktiken nur gering, da Gazprom die Durchführung von Schiedssprüchen verweigere, Vollstreckungsverfahren behindere und seine Vermögenswerte verschleiere, indem es sie außerhalb der Reichweite der Gerichte verbringe, an die sich die Begünstigten dieser Schiedssprüche wenden könnten.

172    Schließlich weisen die Republik Polen und die Republik Litauen entsprechend dem Vorbringen der Klägerin darauf hin, dass Gazprom ein unverzichtbarer Lieferant in der Region bleibe und dass die Verhandlungsmacht von Gazprom ungeachtet der Durchführung der geplanten Infrastrukturinvestitionen und insbesondere des Baus einer Verbindungsleitung zwischen Polen und Litauen nicht geringer werde. Unter diesen Umständen hätte die Kommission von Gazprom weiter gehende Verpflichtungszusagen verlangen müssen, die geeignet wären, wirksame Preisanpassungen zu gewährleisten, da Gazprom beim derzeitigen Stand der Verpflichtungszusagen durch die erwähnten obstruktiven Verhaltensweisen formal nicht gegen die Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik verstoße.

173    Die Kommission, unterstützt durch Gazprom, tritt dem Vorbringen der Klägerin zur Unwirksamkeit des neuen Preisanpassungsverfahrens entgegen und ist der Ansicht, dass die vorliegende Rüge zurückzuweisen sei.

174    Hierzu stellt das Gericht fest, dass die Klägerin der Kommission mit ihrem Vorbringen einen offensichtlichen Beurteilungsfehler vorwirft, der aus zwei Teilen besteht, die die Unwirksamkeit des neuen Preisanpassungsverfahrens erklären sollen. Zum einen habe die Kommission fälschlicherweise die Unmöglichkeit, sich auf wettbewerbsbestimmte Referenzpreise zu berufen, als Ursache für die unwirksamen Preisanpassungen in der Vergangenheit identifiziert, und zum anderen habe sie es versäumt, die wahre Ursache dieser unwirksamen Preisanpassungen, nämlich die obstruktiven Verhaltensweisen von Gazprom, zu identifizieren und zu beheben.

175    Was den ersten Teil des Vorbringens der Klägerin betreffend das Fehlen wettbewerbsbestimmter Referenzpreise in den bestehenden Preisanpassungsklauseln anbelangt, so ergibt sich entgegen dem Vorbringen der Klägerin aus den in der MB (insbesondere in deren Rn. 226 bis 232, wie die Kommission ausführt) angeführten Beispielen von Verträgen, dass zumindest bei einer Reihe der betreffenden Verträge nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie in den Preisfestsetzungs- oder Preisanpassungsklauseln Verweise auf wettbewerbsbestimmte und klar definierte Referenzpreise, wie sie von der Kommission im angefochtenen Beschluss verstanden werden, enthielten. Diese Beispiele beziehen sich auf Klauseln, deren Wortlaut sich signifikant von dem der Preisleitlinien in Nr. 19 Ziff. iii der endgültigen Verpflichtungszusagen unterscheidet, insbesondere insofern, als diese Leitlinien auf „das Niveau der Preise auf den wettbewerbsorientierten Gasmärkten des kontinentalen Westeuropas“ verweisen und auf die gewichteten durchschnittlichen Einfuhrpreise in Deutschland, Frankreich und Italien sowie auf das Niveau der Preise auf den allgemein anerkannten Handelsplattformen für Flüssiggas des westeuropäischen Kontinents abzielen.

176    Was konkret die Klausel in dem zwischen Gazprom und der Klägerin geschlossenen Vertrag angeht, die die Klägerin mit den Antworten vom 8. Dezember 2020 in Kopie vorgelegt hat, stellt das Gericht fest, dass [vertraulich].

177    Folglich konnte sich die Kommission bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik und insbesondere der Zweckmäßigkeit des Vorgehens über den Weg eines neuen Preisanpassungsverfahrens ohne einen offensichtlichen Beurteilungsfehler zu begehen auf die vorläufige Feststellung stützen, die insbesondere in Erwägungsgrund 63 des angefochtenen Beschlusses (und, mit ähnlichen Worten, in den Erwägungsgründen 78, 79 und 177 dieses Beschlusses) angeführt ist, wonach das Fehlen eines klar definierten, wettbewerbsbestimmten und öffentlich verfügbaren Referenzpreises (wie beispielsweise die Preise auf wettbewerbsorientierten Gashandelsplattformen) in den Preisanpassungsklauseln einer der Hauptfaktoren war, die zu nicht fairen Preisen in den fünf von der Preispolitik betroffenen MOEL hätten führen können.

178    Was den zweiten Teil des Vorbringens der Klägerin, zu den obstruktiven Verhaltensweisen von Gazprom, anbelangt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass mit den Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik ein neues Preisanpassungsverfahren eingeführt werden soll, das die Position der Gazprom-Kunden in den betroffenen MOEL im Vergleich zu ihrer bestehenden Situation, wie sie aus der MB (insbesondere deren Rn. 226 bis 232) hervorgeht, stärkt. Wie oben in Rn. 151 ausgeführt, sieht Nr. 19 der endgültigen Verpflichtungszusagen fünf Elemente vor, die dieses Verfahren umfassen muss.

179    Neben der Auferlegung von Preisleitlinien (vgl. Rn. 19 Ziff. iii der endgültigen Verpflichtungszusagen, Abschnitt „Adjustment part of the price review clause“ [Die Anpassung betreffender Teil der Preisanpassungsklausel]) einschließlich Verweisen auf wettbewerbsbestimmte Referenzpreise (siehe oben, Rn. 175) sieht dieses neue Verfahren konkret u. a. Folgendes vor:

–        genaue Kriterien, die es diesen Kunden ermöglichen, eine Preisanpassung zu beantragen, darunter ein Kriterium, das auf einer Abweichung zwischen der Höhe der vertraglichen Preise und der Entwicklung der Preise auf den europäischen Gasmärkten – wie sie sich in der Entwicklung der gewichteten durchschnittlichen Einfuhrpreise in Deutschland, Frankreich und Italien oder der Preise auf den allgemein akzeptierten kontinentaleuropäischen Handelsplattformen für Flüssiggas widerspiegelt – beruht (vgl. Rn. 19 Ziff. i der endgültigen Verpflichtungszusagen, Abschnitt „The trigger part of the price review clause“ [Der auslösende Teil der Preisanpassungsklausel]);

–        die Möglichkeit, alle zwei Jahre eine Preisanpassung zu beantragen, und zusätzlich zu dieser Möglichkeit das Recht, einmal in jedem Fünfjahreszeitraum eine Anpassung zu beantragen (was dem in den Erwägungsgründen 125 und 156 des angefochtenen Beschlusses erwähnten „joker“ entspricht) (vgl. Nr. 19 Ziff. ii der endgültigen Verpflichtungszusagen, Abschnitt „The frequency and timing of the price review“ [Häufigkeit und Zeitplan der Preisanpassung]);

–        die Möglichkeit, Preisstreitigkeiten einem Schiedsverfahren zu unterwerfen, wenn die Parteien innerhalb von 120 Tagen nach Einreichung des Antrags auf Preisanpassung keine Einigung erzielen (vgl. Nr. 19 Ziff. iv der endgültigen Verpflichtungszusagen, Abschnitt „Arbitration part of the price review clause“ [Das Schiedsverfahren betreffender Teil der Preisanpassungsklausel]).

180    Über diese, das neue Preisanpassungsverfahren strukturierenden Elemente hinaus kann die Klägerin vor allem einen erheblichen Unterschied zu den Anträgen eines der betroffenen Gazprom-Kunden in der Vergangenheit auf Anpassung der Preise nicht außer Acht lassen. Sollte ein Kunde einen solchen Antrag nach dem genannten Verfahren stellen, würde sich dieser in den Rahmen der Umsetzung von Verpflichtungszusagen einfügen, die nach dem Verfahren des Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 für bindend erklärt wurden.

181    So wird das Verhalten von Gazprom bei der Umsetzung der endgültigen Verpflichtungszusagen in erster Linie von dem mit der Überwachung dieser Verpflichtungszusagen betrauten Treuhänder gemäß Abschnitt 5.2 dieser Verpflichtungszusagen überwacht. Den betroffenen Gazprom-Kunden, einschließlich der Klägerin, steht es somit frei, diesen Treuhänder und die Kommission über Verhaltensweisen zu informieren, die diesen Kunden zufolge nicht mit den endgültigen Verpflichtungszusagen in Einklang stehen. Sollte die Kommission anhand der von diesem Treuhänder oder diesen Kunden übermittelten Informationen ein Verhalten feststellen, das dem Wortlaut und dem Zweck dieser Verpflichtungszusagen zuwiderläuft, könnte sie gegen Gazprom eine Geldbuße nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1/2003 verhängen.

182    Ein solches nicht konformes Verhalten würde es der Kommission außerdem ermöglichen, das Verwaltungsverfahren nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1/2003 wieder aufzunehmen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission nach Maßgabe der Informationen, die der mit der Überwachung dieser Verpflichtungszusagen betraute Treuhänder oder die betroffenen Kunden übermitteln, das Verfahren nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. a und c der Verordnung wieder aufnehmen könnte, sollte sie feststellen, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt geändert haben oder dass die Entscheidung auf unvollständigen, unrichtigen oder irreführenden Angaben der Parteien beruht. In Anbetracht der bereits durchgeführten eingehenden Untersuchung und der Zustellung der MB wären eine solche Wiederaufnahme des Verfahrens, sein Ablauf und seine zeitliche Abfolge nicht mit der Einleitung einer grundständig neuen Untersuchung gegen dieses Unternehmen vergleichbar.

183    Unter diesen Umständen wäre es – unbeschadet möglicher Feststellungen und Schlussfolgerungen, die der mit der Überwachung der endgültigen Verpflichtungszusagen betraute Treuhänder oder die Kommission möglicherweise treffen können, und selbst unter der Annahme, dass das Verhalten von Gazprom unter den gegebenen Umständen schwer zu bewerten und einzustufen sein könnte – für dieses Unternehmen riskant, sich im Rahmen künftiger Preisanpassungsverfahren gegebenenfalls eines obstruktiven Verhaltens schuldig zu machen. Insbesondere könnten – wie u. a. die Kommission geltend macht – Verhaltensweisen, mit denen Gazprom entweder versuchen würde, das Ergebnis von Preisverhandlungen mit der Erlangung von Vorteilen zu ihren Gunsten zu verknüpfen, die offensichtlich keinen Bezug zu den Preisen haben, oder den Ablauf eines Schiedsverfahrens erheblich behindern würde, die in den beiden vorstehenden Randnummern genannten Folgen nach sich ziehen.

184    Zudem rechtfertigen die vorläufigen Feststellungen in den Rn. 976 bis 979 der MB, die die Unzulänglichkeiten der bestehenden Preisanpassungsklauseln und die Situation vor dem Erlass des angefochtenen Beschlusses betreffen, es angesichts der vorstehenden Erwägungen nicht, die Angemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik in Frage zu stellen. Auch der nach diesem Erlass liegende Umstand – den die Kommission für nicht erwiesen hält –, dass seit dem Wirksamwerden dieser Verpflichtungszusagen offenbar kein Preisanpassungsantrag mitgeteilt wurde, kann für sich allein nicht genügen, um deren Angemessenheit in Frage zu stellen.

185    Im Übrigen ist das Vorbringen der Republik Litauen zurückzuweisen, mit dem zum einen geltend gemacht wird, die Kommission habe die von ihrem Energieministerium eingereichte Stellungnahme nicht berücksichtigt, und zum anderen, dass der mit der Überwachung der endgültigen Verpflichtungszusagen betraute Treuhänder von Gazprom entlohnt werde. Das erste Argument ist nämlich nicht belegt. Bezüglich des zweiten Arguments genügt in Anbetracht der in den Nrn. 23 bis 44 der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehenen Maßnahmen der Umstand, dass dieser Treuhänder von Gazprom entlohnt wird, nicht, um seine Unabhängigkeit in Frage zu stellen. Insbesondere unterliegt die Auswahl des Treuhänders einem strengen Verfahren, und gegebenenfalls könnte die Kommission diese Auswahl selbst vornehmen. Außerdem wird in diesen Nummern die Aufgabe des Treuhänders klar festgelegt und darauf hingewiesen, dass die Kommission diesem Weisungen erteilen kann.

186    Folglich ist die erste Rüge des zweiten Teils des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

b)      Zur fehlenden Geeignetheit der Verpflichtungszusagen, die wettbewerbsrechtlichen Bedenken rechtzeitig auszuräumen (zweite Rüge)

187    Die Klägerin macht geltend, eine Entscheidung über Verpflichtungszusagen müsse die von der Kommission festgestellten wettbewerbsrechtlichen Bedenken rasch ausräumen. Die erwartete Dauer der Verfahren, die in Anwendung des neuen Preisanpassungsverfahrens eingeleitet worden seien, würde dieses jedoch unwirksam machen. Während die Kommission selbst in der MB auf dieses Problem der Preisanpassungsklauseln hingewiesen habe, erkläre sie in keiner Weise, inwiefern das neue Preisanpassungsverfahren rechtzeitig überhöhte Preise korrigieren solle.

188    Insbesondere würden die vermehrten Möglichkeiten, eine Preisanpassung zu beantragen, weder die Gefahr überhöhter Preise noch deren Auswirkungen während der vielen Jahre des Anpassungsverfahrens beseitigen. Die Verkürzung des Verhandlungszeitraums um 60 Tage vor der Einleitung eines Schiedsverfahrens von 180 auf 120 Tage wirke sich nicht auf die Länge der Schiedsverfahren selbst aus, da sich der Handlungsspielraum von Gazprom zur Verlangsamung einer Anpassung im Stadium des Schiedsverfahrens materialisieren würde, dessen Dauer sie verlängern könnte. Insoweit weist die Klägerin darauf hin, dass die Schiedsverfahren zwischen Gazprom und ihren Kunden ungefähr 25 Monate dauern würden. Zu diesem Zeitraum komme die Dauer der für die Vollstreckung von Schiedssprüchen erforderlichen gerichtlichen Verfahren hinzu, insbesondere in Anbetracht der Praxis von Gazprom, die Durchführung dieser Schiedssprüche zu verweigern. Nichts in den Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik verpflichte Gazprom dazu, die rasche Beilegung von Preisstreitigkeiten anzustreben, sei es, indem sie sich in Preisverhandlungen einbringe, sei es durch zügige Durchführung eines Schiedsspruchs.

189    Außerdem bestreitet die Klägerin, dass eine rückwirkende Anwendung der angepassten Preise, wie sie in Nr. 19 Ziff. v der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehen sei, die mit der Dauer des Anpassungsverfahrens verbundenen Risiken ausgleichen würde, wo diese Anwendung doch in Wirklichkeit die Schwierigkeiten, auf die die Gazprom-Kunden stießen, nämlich einen defizitären Betrieb über einen längeren Zeitraum, Liquiditätsverluste, die Unfähigkeit zur Finanzierung künftiger Entwicklungen oder auch eine Insolvenz, nicht beseitige.

190    Die Kommission, unterstützt durch Gazprom, ist der Ansicht, dass die vorliegende Rüge zurückzuweisen sei.

191    Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch die Kommission im Zusammenhang mit Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 auf die Prüfung beschränkt, ob die fraglichen Verpflichtungszusagen die von der Kommission gegenüber den beteiligten Unternehmen mitgeteilten Bedenken ausräumen und diese Unternehmen keine weniger belastenden Verpflichtungszusagen angeboten haben, die den Bedenken ebenfalls in angemessener Weise gerecht würden (Urteil Alrosa, Rn. 41). Zwar können diese Anforderungen es erfordern, dass solche Verpflichtungszusagen, wie die Klägerin vorträgt, wettbewerbsrechtliche Bedenken „rasch“ ausräumen, doch hängt die Beurteilung dieser Notwendigkeit vom Einzelfall ab.

192    Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass im Stadium des Verwaltungsverfahrens, in dem die von Gazprom angebotenen Verpflichtungszusagen geprüft wurden, infolge des Rückgangs der Preise für Erdölerzeugnisse die vertraglichen Preise gesunken waren und somit mit den Preisen übereinstimmten, die auf den Handelsplattformen in Westeuropa galten. Somit ging es in diesem Stadium nicht um möglicherweise überhöhte Preise, die eine sofortige Lösung erfordert hätten.

193    Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass Gazprom nach Nr. 18 der endgültigen Verpflichtungszusagen innerhalb einer relativ kurzen Frist von zehn Wochen nach deren Wirksamwerden anbieten musste, die betroffenen Verträge zu ändern, um eine neue Preisanpassungsklausel oder Änderungen der bestehenden Klauseln aufzunehmen, um das neue Anpassungsverfahren zu verwirklichen. Außerdem sieht Nr. 19 Ziff. i letzter Absatz der endgültigen Verpflichtungszusagen vor, dass der erste Antrag auf Preisanpassung jederzeit nach Einführung dieses neuen Verfahrens gestellt werden kann (siehe oben, Rn. 156).

194    Im Übrigen trifft es zwar zu, dass die betroffenen Gazprom-Kunden im Rahmen des neuen Preisanpassungsverfahrens in Erwartung der sich aus den Schiedsverfahren – die mehrere Monate oder sogar Jahre dauern könnten – ergebenden angepassten Preise weiterhin den bestehenden Preisformeln unterliegen. Die Klägerin und Gazprom führen Beispiele für die durchschnittliche Dauer solcher Verfahren von 25 Monaten bzw. 17,6 Monaten an.

195    Wie jedoch bereits oben in den Rn. 178 bis 182 dargelegt worden ist, soll zum einen mit den Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik ein neues Preisanpassungsverfahren eingeführt werden, das die Position der Gazprom-Kunden in den betroffenen MOEL im Vergleich zu ihrer bestehenden Situation stärkt. Zum anderen würde sich Gazprom mit Verhaltensweisen, die dem Wortlaut und dem Zweck der endgültigen Verpflichtungszusagen widersprächen, dem Risiko einer etwaigen Anwendung von Art. 9 Abs. 2 und Art. 23 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1/2003 aussetzen.

196    Unter diesen Umständen macht die Klägerin zu Unrecht geltend, dass nichts in den Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik Gazprom dazu verpflichte, ihr Verhalten, insbesondere im Rahmen von Schiedsverfahren oder der Durchführung von Schiedssprüchen, gegenüber vergangenen Preisanpassungen zu ändern. Im gleichen Sinne ist unbeschadet der Behandlung der folgenden Rügen und Teile von Klagegründen davon auszugehen, dass die sich aus dem neuen Preisanpassungsverfahren ergebende Situation von den zur Veranschaulichung in den Rn. 977 und 978 der MB angeführten und von der Klägerin geltend gemachten Umständen zu unterscheiden ist, unter denen Schiedsverfahren offenbar besonders lang waren oder nicht zwangsläufig zu wettbewerbsbestimmten Preisen geführt haben.

197    Was ferner die angeblichen finanziellen Schwierigkeiten betrifft, mit denen die betroffenen Gazprom-Kunden in Erwartung geänderter Preise trotz der rückwirkenden Anwendung dieser Preise konfrontiert sein sollen, ist festzustellen, dass die Klägerin kein konkretes, durch Daten untermauertes Beispiel aus der Vergangenheit genannt hat, das diese angeblichen Schwierigkeiten, auch in Bezug auf sie selbst, veranschaulichen würde.

198    Allenfalls wird in der von der Klägerin in Anlage U.6 zu ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz von Gazprom vorgelegten Wirtschaftsstudie ausgeführt, dass ein Gasabnehmer wie die Klägerin mit verschiedenen finanziellen Nachteilen konfrontiert sei, u. a. einem Verlust aufgrund der Mehrkosten im Zusammenhang mit dem Gaspreis und einem möglichen Verlust von Kunden, die zu preisgünstigeren Wettbewerbern abwandern würden (Rn. 19 bis 21 dieser Studie). Ohne dass über die Zulässigkeit dieses Teils der genannten Studie entschieden zu werden bräuchte, ist jedoch darauf hinzuweisen, dass auch diese Nachteile nicht durch konkrete Daten oder Beispiele aus der Vergangenheit untermauert werden und dass sie jedenfalls keine hinreichend schweren finanziellen Schäden wie eine Insolvenz oder einen Marktaustritt bedeuten, die geeignet wären, die Angemessenheit des neuen Preisanpassungsverfahrens in Frage zu stellen, insbesondere insoweit, als es eine mögliche Inanspruchnahme eines Schiedsverfahrens voraussetzt.

199    Die Wahrscheinlichkeit der Gefahr solcher Schäden wird noch dadurch verringert, dass, wie sich im Wesentlichen aus dem 32. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ergibt, allgemein zahlreiche betroffene Kunden in jedem der betroffenen MOEL jeweils den wichtigsten Großhändler darstellen und historisch einem Zufluss großer Gasmengen aus anderen betroffenen MOEL ausgesetzt waren.

200    Nach alledem konnte die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerin im 133. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses feststellen, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen den wettbewerbsrechtlichen Bedenken sofort abhelfen könnten und einen zukunftsorientierten Rahmen (forward-looking framework) böten, der sicherstelle, dass Gazprom künftig nicht dasselbe missbräuchliche Verhalten auf dem Markt wiederhole.

201    Im Übrigen genügt, soweit die Klägerin im Rahmen der vorliegenden Rüge geltend macht, dass die Kommission hätte eingreifen müssen, indem sie eine Verpflichtung zur unmittelbaren Änderung der in den betreffenden Verträgen enthaltenen Preisformeln hätte auferlegen müssen, der Hinweis, dass eine solche Rüge im Rahmen des ersten Teils des vorliegenden Klagegrundes zurückgewiesen worden ist.

202    Unter diesen Umständen stellt das Gericht fest, dass die Kommission den von der Klägerin behaupteten offensichtlichen Beurteilungsfehler, der sich darauf beziehen soll, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik den sich auf diese Politik beziehenden Beschwerdepunkten nicht rechtzeitig abgeholfen hätten, nicht begangen hat.

203    Folglich ist die zweite Rüge des zweiten Teils des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

c)      Zur fehlenden Berücksichtigung der Kosten der Schiedsverfahren (dritte Rüge)

204    Nach Ansicht der Klägerin hat die Kommission die hohen Kosten von Schiedsverfahren nicht berücksichtigt, obwohl diese Schwierigkeit in der MB festgestellt worden sei. Die Gazprom-Kunden könnten zwar Preisanpassungen verlangen, seien aber während des Anpassungsverfahrens einer doppelten finanziellen Belastung ausgesetzt, da sie verpflichtet seien, die Auswirkungen der überhöhten Preise als solche und die hohen Beträge, die zur Deckung der Kosten der Schiedsverfahren erforderlich seien, zu tragen.

205    Sofern die Gazprom-Kunden die Vereinbarkeit eines Schiedsspruchs mit Art. 102 AEUV bestreiten wollten, würde dies für sie zudem zusätzliche Kosten durch die Vorlage wirtschaftlicher Beweise oder die Bestellung von Sachverständigen mit sich bringen.

206    Nach Ansicht der Kommission ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

207    Insoweit trifft es zwar zu, dass die Kommission in der MB auf die Kostenlastigkeit der im Rahmen von Preisanpassungen eingeleiteten Schiedsverfahren hingewiesen und festgestellt hatte, dass auch in Anbetracht des ungewissen Ausgangs dieser Verfahren und ihres zeitraubenden Charakters [vertraulich] (vgl. insbesondere Rn. 236 und 977 der MB).

208    Jedoch geht aus diesen einleitenden Feststellungen nicht hervor, dass die Kommission der Ansicht war, dass die Gazprom-Kunden nicht in der Lage gewesen wären, die mit einem Schiedsverfahren verbundenen Kosten zu tragen. Vor allem befinden sich die betroffenen Gazprom-Kunden, wie im Wesentlichen oben in den Rn. 178 bis 182 dargelegt worden ist, infolge der Annahme der endgültigen Verpflichtungszusagen in einer stärkeren Position als vor dieser Annahme, wenn man die in Rn. 19 dieser Verpflichtungszusagen vorgeschriebenen Elemente und die Risiken für Gazprom im Zusammenhang mit einer möglichen Anwendung von Art. 9 Abs. 2 und Art. 23 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung 1/2003 berücksichtigt.

209    Unter diesen Umständen konnte die Kommission zu Recht davon ausgehen, dass diese Kunden im Rahmen des neuen Preisanpassungsverfahrens – angesichts der oben in Rn. 207 angeführten vorläufigen Feststellungen – bei ihrer Prüfung der Zweckmäßigkeit der Einleitung eines Schiedsverfahrens zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelangen könnten, und insbesondere, dass sie viel eher geneigt wären, die mit einem solchen Schiedsverfahren verbundenen Kosten in Kauf zu nehmen.

210    Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, der sich daraus ergeben soll, dass sie die Kosten der im Rahmen des neuen Preisanpassungsverfahrens eingeleiteten Schiedsverfahren nicht hinreichend berücksichtigt habe.

211    Folglich ist die dritte Rüge des zweiten Teils des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

d)      Zur Unangemessenheit der Befristung der Verträge (vierte Rüge)

212    Die Republik Litauen ist der Ansicht, dass die Kommission, indem sie die Aufnahme der neuen Preisänderungsklausel auf Verträge mit einer Laufzeit von mindestens drei Jahren – was bei in Litauen geschlossenen Verträgen nie der Fall sei – beschränke, Gazprom ermögliche, die Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik zu umgehen, da dieses Unternehmen durch den Abschluss von Verträgen mit kürzeren Laufzeiten weiterhin Preisformeln aufnehmen könnte, die zu unfairen Preisen führten.

213    Die Gefahr, die mit dieser Gazprom eingeräumten Möglichkeit verbunden sei, werde dadurch bestätigt, dass die Kommission selbst in ihrem Beschluss C(2016) 4764 final vom 26. Juli 2016 in einem Verfahren nach Art. 102 AEUV und Art. 54 des EWR-Abkommens (Sache AT.39317 – E.ON Gas) festgestellt habe, dass die Gasgroßhändler, die Gazprom-Kunden seien, zunehmend kurzfristige Verträge bevorzugt hätten.

214    Außerdem habe die Kommission im angefochtenen Beschluss festgestellt, dass die Langfristigkeit der betreffenden Verträge dazu beigetragen habe, die beherrschende Stellung von Gazprom auf den Märkten der fünf von der Preispolitik betroffenen MOEL aufrechtzuerhalten. Es sei daher nicht nachvollziehbar, dass sie dadurch, dass sie das neue Preisanpassungsverfahren langfristigen Verträgen vorbehalte, die betroffenen Kunden nunmehr dazu veranlasse, solche Verträge abzuschließen.

215    Nach Ansicht der Kommission ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

216    Hierzu ist festzustellen, dass sowohl aus der MB (vgl. insbesondere Rn. 206, 217, 396, 458, 498 und allgemein Abschnitt 15.8.2) als auch aus dem angefochtenen Beschluss (vgl. insbesondere Rn. 70, 72, 75, 162 und 176) offensichtlich hervorgeht, dass die wettbewerbsrechtlichen Bedenken, die die Kommission in Bezug auf die Preispolitik geäußert hatte, nur langfristige Verträge betrafen, d. h. Verträge mit einer Laufzeit von mindestens drei Jahren.

217    Diese Situation erklärt sich nach Ansicht der Kommission u. a. dadurch, dass Verträge mit einer Laufzeit von weniger als drei Jahren eine häufigere Neuverhandlung der Preise mit sich bringen, was – im Gegensatz zur vorläufigen Feststellung in der MB betreffend die langfristigen Verträge, die Gazprom mit ihren Kunden in den fünf von der Preispolitik betroffenen MOEL geschlossen habe – die Gefahr ausschließe, dass diese Preise dauerhaft zu wettbewerbsbestimmten Referenzpreisen würden.

218    Vor diesem Hintergrund und insbesondere in Anbetracht dessen, dass die Beschwerdepunkte betreffend die Preispolitik langfristige Verträge betrafen, kann der Kommission nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie, um diesen Beschwerdepunkten abzuhelfen, Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik mit Geltung für Verträge mit einer Laufzeit von mindestens drei Jahren angenommen hat.

219    Was im Übrigen die Behauptung betrifft, dass die Beschränkung der genannten Verpflichtungszusagen auf langfristige Verträge es Gazprom ermögliche, diese Verpflichtungszusagen zu umgehen, indem sie Verträge mit einer Laufzeit von weniger als drei Jahren abschließe, ist festzustellen, dass die Klägerin und die Kommission auf die Frage nach den Interessen der Gazprom-Kunden bzw. von Gazprom selbst am Abschluss kurz- oder längerfristiger Verträge in den Antworten vom 8. Dezember 2020 beide im Wesentlichen angegeben haben, dass die maßgeblichen Erwägungen verschieden seien und dass sowohl die Gazprom-Kunden als auch Gazprom selbst ein Interesse am Abschluss der einen oder anderen Art von Verträgen haben könnten, so dass diese Wahl eine Einzelfallprüfung erfordern würde.

220    Außerdem hat die Klägerin in ihren Antworten vom 8. Dezember 2020 darauf hingewiesen, dass es für Gazprom in Bezug auf die baltischen Staaten, da diese Märkte Gazprom keine Garantie für signifikante Mengen böten, wesentlich weniger wichtig wäre, langfristige Verträge mit Kunden abzuschließen, die auf diesen Märkten aktiv seien, so dass Gazprom leicht beschließen könnte, langfristige Verträge zugunsten kurzfristiger Verträge (in der Regel mit einer Laufzeit von einem Jahr) aufzugeben. Dieser Umstand deutet aber darauf hin, dass die Entscheidung von Gazprom, einen kurzfristigen Vertrag zu schließen, nicht zwangsläufig von dem Wunsch geleitet wird, die Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik zu umgehen.

221    Nach alledem ist die vierte Rüge des zweiten Teils des zweiten Klagegrundes und folglich dieser Teil insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

3.      Zum dritten Teil des zweiten Klagegrundes: Fehler bei der Formulierung der Preisleitlinien

222    Im Anschluss an den zweiten Teil des vorliegenden Klagegrundes, mit dem die Wirksamkeit des neuen Preisanpassungsverfahrens in Abrede gestellt wird, macht die Klägerin geltend, die Kommission habe in Bezug auf den Inhalt der in Nr. 19 Ziff. iii der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehenen Preisleitlinien unter dem Abschnitt „Die Anpassung betreffender Teil der Preisanpassungsklausel“ offensichtliche Beurteilungsfehler begangen. Dieser Teil besteht im Wesentlichen aus fünf Rügen.

223    Die Kommission bestreitet diese angeblichen Fehler.

a)      Zum Fehlen einer Hierarchisierung der in den Preisleitlinien gewählten Kriterien und zur Unbestimmtheit dieser Leitlinien (erste Rüge)

224    Nach Ansicht der Klägerin legen die Preisleitlinien drei Kriterien für die Anpassung der Preisformeln fest, nämlich im vorliegenden Fall erstens den gewichteten Durchschnitt der Einfuhrpreise in Deutschland, Frankreich und Italien, zweitens die Preise auf den allgemein anerkannten Handelsplattformen für Flüssiggas in Kontinentaleuropa und drittens die Merkmale des im Rahmen eines bestimmten Vertrags gelieferten Gases. Diese drei Kriterien würden aber von den Vergleichspunkten abweichen, die die Kommission in der MB herangezogen habe, um zu beurteilen, ob die vertraglichen Preise möglicherweise überhöht seien.

225    Die Klägerin macht geltend, dass es erforderlich gewesen wäre, eine Hierarchie zwischen den drei in den Preisleitlinien vorgesehenen Kriterien vorzusehen, und dass das Kriterium der Preise auf den allgemein anerkannten Handelsplattformen das Hauptkriterium hätte sein müssen. Dieses Fehlen einer Hierarchisierung könne nicht damit gerechtfertigt werden, dass es die Risiken im Zusammenhang mit erheblichen, sich aus einem der Kriterien ergebenden Preisentwicklungen abschwächen würde, da eine Hierarchisierung dann von den Schiedsgerichten frei und nach Modalitäten vorgenommen würde, die für Gazprom potenziell günstig seien.

226    Darüber hinaus machen die Klägerin und die Republik Polen geltend, dass die Preisleitlinien zu allgemein formuliert seien, so dass die angepassten Preise je nach den Schiedsrichtern, der Auslegung der Vertragsklauseln durch die Schiedsrichter, den herangezogenen Sachverständigen oder auch der Beurteilung der spezifischen Umstände jeder Preisstreitigkeit variieren könnten. Letztendlich würde dies Gazprom ermöglichen, sich in der Praxis gegen Preissenkungen zu schützen, und würde nicht zur Wiederherstellung eines freien und unverfälschten Wettbewerbs auf den europäischen Gasmärkten beitragen.

227    Die Kommission, unterstützt durch Gazprom, hält die Preisleitlinien für angemessen und ist daher der Ansicht, dass die vorliegende Rüge zurückzuweisen sei.

228    Es ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Nr. 19 Ziff. iii der endgültigen Verpflichtungszusagen die einschlägige Klausel der betroffenen Verträge die folgenden Preisleitlinien enthalten muss:

„passen die Parteien Bestimmungen betreffend den vertraglichen Preis an, so berücksichtigen sie das Niveau des Preises auf den wettbewerbsorientierten Gasmärkten des kontinentalen Westeuropas, u. a. die gewichteten durchschnittlichen Einfuhrpreise an der Grenze in Deutschland, Frankreich und Italien sowie das Niveau der Preise auf den allgemein anerkannten Handelsplattformen für Flüssiggas in Kontinentaleuropa (darunter TTF, NCG etc.) unter gebührender Berücksichtigung aller Merkmale des im Rahmen des Vertrags gelieferten Erdgases (wie z. B., aber nicht ausschließlich, Menge, Qualität, Kontinuität und Flexibilität).“

229    Aus einer Gesamtbetrachtung der Preisleitlinien und der Begründung des angefochtenen Beschlusses (insbesondere dessen Erwägungsgründen 103 und 155) ergibt sich, dass diese Preisleitlinien zwei Kriterien vorsehen und nicht die drei von der Klägerin festgestellten Kriterien. So ist, wie die Kommission insbesondere in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, bei der Festlegung neuer Preisformeln erstens das Niveau der Preise auf den wettbewerbsorientierten Gasmärkten des kontinentalen Westeuropas zu berücksichtigen, und dies, zweitens, unter gebührender Berücksichtigung der spezifischen Merkmale des von der Preisanpassung betroffenen Vertrags.

230    Was das erste Kriterium anbelangt, geht aus den Preisleitlinien weiter hervor, dass das Niveau der Preise auf den wettbewerbsorientierten Gasmärkten des kontinentalen Westeuropas insbesondere unter Bezugnahme auf zwei Arten von Daten zu verstehen ist, nämlich erstens die gewichteten durchschnittlichen Einfuhrpreise in Deutschland, Frankreich und Italien (im Folgenden: durchschnittliche Einfuhrpreise) und zweitens das Niveau der Preise auf den allgemein anerkannten Handelsplattformen für Flüssiggas in Kontinentaleuropa (im Folgenden: Preise auf den Plattformen).

231    Das Vorbringen der Klägerin ist im Licht dieser Erwägungen zu prüfen.

232    Zu dem von der Klägerin geltend gemachten Fehlen einer Hierarchisierung ist darauf hinzuweisen, dass unabhängig von den verwendeten Daten das zentrale Kriterium, auf das sich die Parteien eines betroffenen Vertrags und die eventuell angerufenen Schiedsgerichte beziehen müssen, das des „Niveaus der Preise auf den wettbewerbsorientierten Gasmärkten des kontinentalen Westeuropas“ ist.

233    Da aber ein Teil des im kontinentalen Westeuropa gekauften Gases durch – gegebenenfalls langfristige – Gaslieferverträge erworben wird, die im Rahmen von Geschäften geschlossen werden, die sich von denjenigen unterscheiden, die auf Gashandelsplattformen stattfinden, tragen die sich aus diesen Verträgen ergebenden Gaspreise zur Preisbildung auf den „wettbewerbsorientierten Gasmärkten des kontinentalen Westeuropas“ bei, was die Klägerin nicht bestreitet. Im Übrigen ist festzustellen, dass die Kommission die für langfristige Verträge zwischen Gazprom und deutschen Kunden geltenden Preise im Rahmen ihrer vorläufigen Beurteilung in der MB, ob die Preise für Verträge mit Kunden in den betroffenen MOEL potenziell überhöht sind, herangezogen hat (vgl. Abschnitt 10.2.1 der MB). Die Klägerin hat diesen von der Kommission in der MB verfolgten Ansatz nicht beanstandet.

234    So dienen in den Preisleitlinien die Daten zu den durchschnittlichen Einfuhrpreisen dazu, die Preise für Gaslieferverträge zu erheben, die von den Preisen auf den Handelsplattformen verschieden sind. Insoweit können diese Daten vernünftigerweise das Niveau der Preise auf den „wettbewerbsorientierten Gasmärkten des kontinentalen Westeuropas“ widerspiegeln.

235    Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik nicht darauf abzielen, den betroffenen Kunden Preise zu garantieren, die mit den niedrigsten auf den wettbewerbsorientierten Märkten des kontinentalen Westeuropas verfügbaren Preisen vergleichbar sind, sondern Preise, die mit dem allgemeinen Niveau der Preise auf diesen Märkten vergleichbar sind, wobei sich dieses Niveau sowohl aus den Preisen auf den Plattformen als auch aus den durchschnittlichen Einfuhrpreisen ergibt. Unter diesen Umständen kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe, weil sie keine Hierarchisierung zwischen diesen beiden in den Preisleitlinien vorgesehenen Arten von Daten vorgesehen habe.

236    Was das Vorbringen anbelangt, wonach der Wortlaut der Preisleitlinien unbestimmt und zu allgemein sei, ist zunächst anzumerken, dass der Umstand, dass die Anwendung der Preisleitlinien zu angepassten Preisen führen kann, die von einem betroffenen Vertrag zum anderen variieren, insbesondere je nach Schiedsrichtern, es nicht rechtfertigen kann, die Preisleitlinien als unangemessen anzusehen, da aufgrund dessen, dass die Merkmale der betroffenen Verträge variieren können, die Unterschiede zwischen den von einem betroffenen Vertrag zum anderen anwendbaren Preisen als solche nicht geeignet sind, die Annahme zu rechtfertigen, dass diese Leitlinien offensichtlich unangemessen sind. Die Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik zielen nämlich nicht darauf ab, von einem betroffenen Vertrag zum anderen sehr ähnliche oder identische Preise zu erhalten.

237    Sodann ist darauf hinzuweisen, dass das erste Kriterium, soweit es ausdrücklich auf „das Niveau der Preise auf den wettbewerbsorientierten Gasmärkten des kontinentalen Westeuropas“ abstellt, auf Referenzpreise (Benchmarks) verweist, die weitaus klarer wettbewerbsbestimmt sind als die Referenzpreise, die in den Klauseln zur Bestimmung oder Anpassung der Preise in den betreffenden Verträgen, darunter die Klausel im Vertrag der Klägerin, der auf „[vertraulich]“ verweist, enthalten sind. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Preisleitlinien keineswegs unbestimmt, sondern stellen eine Verbesserung gegenüber den bestehenden Klauseln dar.

238    Außerdem akzeptierte Gazprom, indem sie der Kommission vorschlug, das Verwaltungsverfahren im Wege von Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003, d. h. durch den Erlass eines Beschlusses, mit dem Verpflichtungszusagen für bindend erklärt werden, abzuschließen, und da sie die Verhandlungen mit diesem Organ nicht abgebrochen hatte, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen durch Art. 1 des angefochtenen Beschlusses für bindend erklärt würden. Die Wahl dieses Weges ermöglichte es Gazprom, eine etwaige Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes und eine etwaige Verhängung einer Geldbuße, mit der ein solcher Verstoß von der Kommission geahndet würde, zu vermeiden (vgl. in diesem Sinne Urteil Alrosa, Rn. 35 und 48), was durch die Feststellung in Art. 2 dieser Entscheidung bestätigt wird, wonach ein Tätigwerden der Kommission nicht mehr erforderlich sei. Dies bedeutet jedoch, dass Gazprom verpflichtet ist, diese Verpflichtungszusagen einzuhalten, da andernfalls die oben in den Rn. 181 und 182 genannten Folgen einer Feststellung der Nichtbeachtung dieses Beschlusses, darunter die Verhängung einer Geldbuße, drohen. Dieses Unternehmen unterliegt außerdem einer fortlaufenden Überwachung, um zu prüfen, ob diese Verpflichtungszusagen während ihrer Geltungsdauer eingehalten werden, wie Abschnitt 5 der Verpflichtungszusagen zeigt, der u. a. die Bestellung eines Treuhänders vorsieht, der mit der Überwachung ihrer Durchführung betraut ist.

239    In diesem Zusammenhang ist Gazprom nicht nur an den Inhalt dieser endgültigen Verpflichtungszusagen gebunden, sondern auch an den angefochtenen Beschluss selbst, wobei darauf hinzuweisen ist, dass der verfügende Teil eines Rechtsakts im Licht von dessen Begründung zu verstehen ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 10. Juli 2001, Irish Sugar/Kommission, C‑497/99 P, EU:C:2001:393, Rn. 15, und Urteile vom 22. Oktober 2013, Kommission/Deutschland, C‑95/12, EU:C:2013:676, Rn. 40, und vom 13. Dezember 2013, Ungarn/Kommission, T‑240/10, EU:T:2013:645, Rn. 90). Daher muss Gazprom im Rahmen der Erfüllung der endgültigen Verpflichtungszusagen, wozu die Durchführung und Auslegung die Preisleitlinien gehört, diese Verpflichtungszusagen im Einklang mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses anwenden und auslegen, und zwar auch in Bezug auf die Standpunkte, die sie im Rahmen von Preisverhandlungen und Schiedsverhandlungen einnimmt, die gemäß der Schiedsklausel in Art. 19 Ziff. iv der genannten Verpflichtungszusagen eingeleitet werden.

240    Aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses geht jedoch hervor, dass das Niveau der Preise auf den Handelsplattformen nach Ansicht der Kommission für die Festlegung der angepassten Preise besonders relevant ist (vgl. insbesondere Erwägungsgründe 103, 164 und 178). Folglich muss Gazprom im Rahmen eines konkreten Schiedsverfahrens einen dieser Begründung entsprechenden Standpunkt einnehmen und kann grundsätzlich nicht geltend machen, dass die Schiedsrichter das Niveau der Preise auf diesen Plattformen außer Acht lassen müssten.

241    Schließlich haben die Klägerin und die Republik Polen keine alternativen Formulierungen dieser Leitlinien vorgelegt, die ihrer Ansicht nach die Angemessenheit der die Preise betreffenden Verpflichtungszusagen sichergestellt hätten. Sie haben in ihren jeweiligen Schriftsätzen auch keine konkreten Argumente vorgetragen, die ihre Kritik bezüglich eines zu unbestimmten und zu allgemeinen Charakters der Preisleitlinien stützen würden. Die einzigen konkreten Gesichtspunkte zur Stützung dieses Vorbringens finden sich in der Wirtschaftsstudie, die die Klägerin als Anlage zu ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz von Gazprom vorgelegt hat.

242    Diese in der Wirtschaftsstudie der Klägerin enthaltenen Gesichtspunkte sind jedoch weitgehend unzulässig.

243    Soweit diese Gesichtspunkte nicht darauf gerichtet sind, auf die Beweise zu erwidern, die Gazprom in der Wirtschaftsstudie vorgebracht hat, die sie als Anlage zu ihrem Streithilfeschriftsatz eingereicht hat, sind die in der Wirtschaftsstudie der Klägerin enthaltenen Beweise nämlich gemäß Art. 85 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung verspätet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2018, Monolith Frost/EUIPO – Dovgan [PLOMBIR], T‑830/16, EU:T:2018:941, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne entsprechend auch Urteil vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission, C‑185/95 P, EU:C:1998:608, Rn. 72). Insbesondere werden die Gesichtspunkte in den Abschnitten 3.2 und 3.5 nicht als Erwiderung auf einen von der Kommission oder Gazprom vorgebrachten Beweis für das Gegenteil vorgelegt, und nichts deutet darauf hin, dass diese Abschnitte der Wirtschaftsstudie der Klägerin dem betreffenden Berater nicht früher hätten in Auftrag gegeben werden können, um zumindest als Beweisangebot in der Klageschrift vorgebracht zu werden.

244    Im gleichen Sinne stellen die in der Wirtschaftsstudie der Klägerin dargelegten Gesichtspunkte Vorbringen dar, die in der Klageschrift oder in der Stellungnahme der Klägerin zum Streithilfeschriftsatz von Gazprom hätten vorgebracht werden müssen. Es ist nämlich nicht Sache des Gerichts, die Klagegründe und Argumente, auf die sich die Klage möglicherweise stützen lässt, in den Anlagen zu suchen und zu identifizieren, denn die Anlagen haben eine bloße Beweis- und Hilfsfunktion. Entsprechende Erfordernisse gelten für eine zur Stützung eines Klagegrundes vorgebrachte Rüge. Somit genügt eine Rüge, deren wesentliche Gesichtspunkte nur in den Anlagen zur Klageschrift wiedergegeben sind, diesen Anforderungen nicht (vgl. Urteil vom 13. Juli 2011, Polimeri Europa/Kommission, T‑59/07, EU:T:2011:361, Rn. 161 und 162 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

245    Gleichwohl prüft das Gericht die in den Rn. 25, 27, 32 und 33 der Wirtschaftsstudie der Klägerin dargelegten relevanten Gesichtspunkte.

246    Was erstens das Argument betrifft, dass eine Preisanpassung nur die durchschnittlichen Einfuhrpreise, nicht aber die Preise auf den Plattformen berücksichtigen könne (Nr. 25 der Wirtschaftsstudie), ist festzustellen, dass die ausdrückliche Einbeziehung der beiden genannten Kategorien von Daten, denen die Worte „unter anderem“ vorangestellt sind, in die Preisleitlinien die Bedeutung dieser beiden Arten von Daten unterstreicht, was von Schiedsgerichten, die mit der Anwendung dieser Leitlinien betraut sind, zu berücksichtigen ist, auch wenn sie selbst nicht an den angefochtenen Beschluss gebunden sind.

247    Außerdem ist Gazprom sowohl an die endgültigen Verpflichtungszusagen als auch an den angefochtenen Beschluss, der diese für bindend erklärt, gebunden. Aus der Begründung dieses Beschlusses geht aber hervor, dass die Daten bezüglich der Preise auf den Plattformen für die Festlegung der angepassten Preise von besonderer Bedeutung sind (vgl. insbesondere Erwägungsgründe 103, 164 und 178). Folglich muss Gazprom im Rahmen eines konkreten Schiedsverfahrens einen dieser Begründung entsprechenden Standpunkt einnehmen und kann grundsätzlich nicht geltend machen, dass die Schiedsrichter diese Preise auf den Plattformen außer Acht lassen müssten.

248    Zweitens würde – der Wirtschaftsstudie der Klägerin (Rn. 27) zufolge – das mit den Merkmalen eines bestimmten Vertrags (wie Menge, Qualität, Kontinuität und Flexibilität) zusammenhängende Kriterium es Gazprom ermöglichen, das Niveau der Preise auf den Plattformen überhaupt nicht zu berücksichtigen. Da diese Lesart dem Wortlaut der Preisleitlinien widerspricht und nicht untermauert ist, ist sie zurückzuweisen.

249    Drittens sollen die Preisleitlinien nach der Studie der Klägerin unangemessen sein, da sie nichts bezüglich der fortlaufenden Indexierung der vertraglichen Preise anhand der Preise für Erdölerzeugnisse vorsähen (Rn. 32 und 33 der Studie). Insoweit genügt der Hinweis, dass eine solche Indexierung in diesen Leitlinien nicht ausdrücklich erwähnt werden musste, da diese dadurch, dass sie Preise gewährleisten, die nah an den wettbewerbsbestimmten Preisen in Westeuropa liegen, es ermöglichen müssen, etwaige preistreibende Auswirkungen einer solchen Indexierung zu korrigieren.

250    Soweit die Klägerin außerdem der Ansicht ist, dass die Preisleitlinien nicht wirksam seien, da sie in unbestimmter Weise auf „das Niveau der Preise“ auf den wettbewerbsorientierten Gasmärkten des kontinentalen Westeuropas abstellten, anstatt eine Indexierung anhand dieser Preise vorzusehen, genügt der Hinweis, dass sie in keiner Weise erklärt, wie eine solche Indexierung in der Praxis erfolgen sollte, und dass nicht ausgeschlossen ist, dass eine Anpassung im Wege von Verhandlungen oder Schiedsverfahren zu einer solchen Lösung führen könnte. Außerdem sind die Preisleitlinien, wie oben in Rn. 239 dargelegt, im Licht der Begründung des angefochtenen Beschlusses anzuwenden, in der es insbesondere heißt, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen „sicherstellen [sollen], dass die Gaspreise, die für die erdölindexierten Verträge in den [betroffenen MOEL] gelten, weiterhin mit den wettbewerbsbestimmten Preisen in Einklang stehen“ (164. Erwägungsgrund), und dass diese Verpflichtungszusagen „damit gewährleisten [sollen], dass die in den fünf [von der Preispolitik betroffenen MOEL] geltenden Preise bei ihrer Anpassung mit den wettbewerbsbestimmten Referenzpreisen Westeuropas in Einklang gebracht werden“ (179. Erwägungsgrund).

251    In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist nicht erwiesen, dass die Kommission die von der Klägerin behaupteten offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat. Im Übrigen genügt, wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin behauptet, dass die Preisleitlinien es den betroffenen Kunden ermöglichen sollten, möglichst niedrige Preise, wie z. B. die Preise auf den Plattformen, zu erhalten, der Hinweis, dass der Umstand, dass andere Verpflichtungszusagen ebenfalls hätten angenommen werden können oder sogar für den Wettbewerb günstiger gewesen wären, als solcher nicht zur Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses führen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Morningstar, Rn. 59).

252    Folglich ist die erste Rüge des dritten Teils des zweiten Klagegrundes unbeschadet der Behandlung der übrigen Rügen zurückzuweisen.

b)      Zur Unangemessenheit des Kriteriums betreffend die Höhe der Preise auf den Gashandelsplattformen (zweite Rüge)

253    Die Klägerin weist darauf hin, dass die britische Handelsplattform „National Balancing Point“ (NBP) nicht als ausdrücklich genannte Referenzplattform in die Preisleitlinien aufgenommen worden sei (im Gegensatz zu den Plattformen „Title Transfer Facility“ [TTF] und „NetConnect Germany“ [NCG]), obwohl die Reife der NBP und der Umstand, dass das Vereinigte Königreich mit Gas aus Kontinentaleuropa versorgt werde, eine Aufnahme gerechtfertigt hätten. Entgegen der ursprünglichen Behauptung der Kommission sei es nicht möglich, sich dennoch auf diese Plattform zu beziehen, da der Wortlaut der Preisleitlinien sich auf Plattformen im „kontinentalen“ Europa beziehe. Ein solcher Fehler bestätige die außerdem geltend gemachten Auslegungsschwierigkeiten.

254    Nach Ansicht der Kommission ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

255    Hierzu ist festzustellen, dass das zweimalige Vorkommen des Wortes „kontinental“ in den Preisleitlinien die Verwendung von Preisdaten, die von der Plattform NBP stammen, ausschließt.

256    Dieser Ausschluss reicht jedoch für sich genommen nicht aus, um einen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission im Zusammenhang mit der Formulierung der Preisleitlinien festzustellen, da diese Leitlinien den Rückgriff auf andere, „allgemein anerkannte“ Plattformen ermöglichen und sich ausdrücklich auf die Plattformen TTF und NCG beziehen, deren Geeignetheit und Liquidität von der Klägerin nicht bestritten wird. Im Übrigen wird in der Wirtschaftsstudie der Klägerin ausdrücklich klargestellt, dass die Plattform TTF reif sei und eine der liquidesten Handelsplattformen Europas darstelle.

257    Folglich ist die zweite Rüge des dritten Teils des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

c)      Zur Unangemessenheit der durchschnittlichen Einfuhrpreise in Deutschland, Frankreich und Italien (dritte Rüge)

258    Nach Ansicht der Klägerin sind die Daten betreffend die durchschnittlichen Einfuhrpreise in Deutschland, Frankreich und Italien ungeeignet und seien im Übrigen in der MB nicht verwendet worden. Erstens sei in den Preisleitlinien nicht angegeben, welche Quelle für die Ermittlung der relevanten Preise zu verwenden sei, und die verfügbaren öffentlichen Daten würden mangels einer rückwirkenden und rigorosen Berichtigung dieser Daten im Fall einer späteren Preisanpassung im Rahmen von Verhandlungen oder eines Schiedsverfahrens nicht die tatsächlichen Preise für einen bestimmten Zeitraum widerspiegeln.

259    Zweitens seien die durchschnittlichen Einfuhrpreise insofern unangemessen, als sich die Gasmärkte in Frankreich und Italien, die weder die liquidesten noch die am stärksten liberalisierten seien, in der Regel als teurer erwiesen als die in Deutschland. Im Übrigen würden die in diesen beiden Ländern geltenden Preise von den Gazprom-Kunden in den fünf von der Preispolitik betroffenen MOEL kaum als Referenzpreise verwendet.

260    Drittens würden sich während der achtjährigen Laufzeit der endgültigen Verpflichtungszusagen die Gasmärkte wahrscheinlich weiterentwickeln, so dass die durchschnittlichen Einfuhrpreise eines dieser drei Länder ihren „Status“ als Referenzpreise verlieren könnten, ohne dass diese Möglichkeit in den Preisleitlinien vorgesehen sei. Außerdem habe die Kommission den von der Klägerin bei der Marktbefragung gemachten Vorschlag, die Referenzpreise nach einer objektiven Methode zu bestimmen, nicht berücksichtigt.

261    Viertens seien die durchschnittlichen Einfuhrpreise im Allgemeinen höher als die Preise auf den Plattformen, so dass sie einen Preisdruck nach oben auf die Preise ausüben würden, die sich aus den Preisleitlinien ergäben.

262    Die Kommission ist der Ansicht, dass der Rückgriff auf durchschnittliche Einfuhrpreise angemessen sei, so dass die vorliegende Rüge zurückzuweisen sei.

263    Hierzu ist zunächst in Übereinstimmung mit den Ausführungen oben in den Rn. 233 bis 235 festzustellen, dass es keinen grundsätzlichen Grund gibt, der es rechtfertigen würde, die mit den Einfuhrpreisen zusammenhängenden Daten auszuschließen. Die von der Klägerin vorgetragenen punktuellen Argumente stehen diesem Ergebnis nicht entgegen.

264    Erstens ist zu den von der Klägerin festgestellten praktischen und technischen Hindernissen darauf hinzuweisen, dass diese Hindernisse nicht so beschaffen sind, dass die an der Beilegung von Preisstreitigkeiten beteiligten Personen, darunter die Mitarbeiter der betroffenen Kunden, die Schiedsrichter oder die von Schiedsgerichten herangezogenen Sachverständigen, nicht in der Lage wären, bei der Ausarbeitung von Preisformeln darauf zu reagieren oder sie zu berücksichtigen. So könnten diese Personen die Preisinformationen verwenden, die von den Behörden (nationalen Behörden oder Eurostat [Statistisches Amt der Europäischen Union]) und von privaten Unternehmen bereitgestellt werden, und diese Formeln so festlegen, dass etwaige Unzulänglichkeiten dieser Informationen überwunden werden, insbesondere der Umstand, dass sie keine Preisanpassungen widerspiegeln, die nach der Erhebung der relevanten Daten durch diese Behörden oder private Unternehmen erfolgen. Ebenso kann von diesen Personen vernünftigerweise erwartet werden, dass sie in der Lage sind, allgemein festgestellte Unterschiede zwischen den durchschnittlichen Einfuhrpreisen und den Preisen auf den Plattformen, insbesondere bei der Einbeziehung der „Eintrittskosten“ (entry costs), zu berücksichtigen.

265    Zweitens kann, selbst wenn die Gasmärkte Frankreichs und Italiens weniger liquide und weniger liberalisierte Märkte als die Deutschlands sein sollten, dies nicht für die Feststellung genügen, dass die Kommission mit der Einbeziehung der ersten beiden Länder einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hätte. Es bleibt festzuhalten, dass die Gasmärkte dieser drei Länder – im Übrigen ungeachtet der hohen Marktanteile von Gazprom – wettbewerbsorientiert sind. Was außerdem das Argument betrifft, wonach andere Märkte liquider seien, wie z. B. die Märkte Belgiens oder der Niederlande, so genügt die Feststellung, dass die Preisleitlinien die Parteien und die Schiedsrichter nicht daran hindern, diese anderen Märkte zu berücksichtigen.

266    Drittens führt die Klägerin, wie die Kommission ausführt, keinen Grund an, der die Befürchtung rechtfertigen würde, dass sich die Umstände so ändern könnten, dass die Gasmärkte Deutschlands, Frankreichs oder Italiens nicht mehr wettbewerbsorientiert wären und dass die durchschnittlichen Einfuhrpreise in Bezug auf eines dieser Länder nicht mehr als Referenzpreise dienen könnten. Jedenfalls kann die Kommission im Fall einer wesentlichen Änderung der Umstände, auf denen der angefochtene Beschluss beruht, nach Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 das Verfahren wieder aufnehmen.

267    Viertens hat die Klägerin, wie sich aus den oben in den Rn. 233 bis 235 und 263 dargelegten Erwägungen ergibt, selbst unter der Annahme, dass die durchschnittlichen Einfuhrpreise höher sind als die Preise auf den Plattformen und somit einen „Druck nach oben“ auf das Preisniveau ausüben, das sich aus den Preisleitlinien ergeben würde, nicht nachgewiesen, dass diese Durchschnittspreise grundsätzlich unangemessen wären.

268    Folglich ist die dritte Rüge des dritten Teils des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

d)      Zu den Merkmalen des im Rahmen eines bestimmten Vertrags gelieferten Gases (vierte Rüge)

269    Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe, indem sie das zweite Kriterium der Preisleitlinien, das zu „gebührender Berücksichtigung aller Merkmale des im Rahmen [eines bestimmten Vertrags] gelieferten Erdgases“ verpflichte, zugelassen habe, die nachteilige Verwendung solcher Merkmale in der Vergangenheit durch Gazprom nicht berücksichtigt. Letztere stelle nämlich ihre langfristigen Verträge als ein „Premium“-Produkt gegenüber dem auf Handelsplattformen gekauften Gas dar, das höhere Preise rechtfertige. Außerdem ermögliche es jedes der in den Preisleitlinien ausdrücklich genannten Merkmale (nämlich Menge, Qualität, Kontinuität und Flexibilität), Preiserhöhungen zu rechtfertigen, während keine Merkmale aufgenommen worden seien, die Preissenkungen rechtfertigen würden.

270    Nach Ansicht der Kommission ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

271    Insoweit sehen die Preisleitlinien, wie oben in Rn. 229 bereits ausgeführt worden ist, zwei Kriterien vor, so dass bei einer Preisanpassung erstens das Niveau der Preise auf den wettbewerbsorientierten Gasmärkten des kontinentalen Westeuropas zu berücksichtigen ist, und dies, zweitens, unter gebührender Berücksichtigung der spezifischen Merkmale des betroffenen Vertrags.

272    So ergibt sich aus den Preisleitlinien, dass sie mit dem ersten Kriterium zur Berücksichtigung von Elementen verpflichten, die außerhalb des jeweiligen Vertrags liegen, nämlich Daten, die das Niveau der Preise auf den wettbewerbsorientierten Gasmärkten des kontinentalen Westeuropas widerspiegeln. Solche Daten können sich aber aus unterschiedlichen Verträgen ergeben, die potenziell von diesem Vertrag verschieden sind, z. B., wenn sie mit Geschäften auf Handelsplattformen zusammenhängen. Unter diesen Umständen kann der Kommission nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie akzeptiert hat, dass die Preisleitlinien auch das zweite Kriterium einbeziehen, das es ermöglicht, die internen Merkmale des Vertrags zu berücksichtigen.

273    Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Einbeziehung des zweiten Kriteriums und der in den Preisleitlinien ausdrücklich angeführten Merkmale, anders als die Klägerin offenbar behauptet, nicht zwangsläufig zu einem Druck nach oben auf die angepassten Preise führen wird. Selbst unter der Annahme, dass sich das möglicherweise angerufene Schiedsgericht in einem konkreten Fall dafür entscheidet, das erste Kriterium unter Verwendung hauptsächlich von Daten im Zusammenhang mit der Lieferung von Gas im kontinentalen Westeuropa mittels langfristiger Verträge, d. h. von Verträgen mit Eigenschaften, die den betroffenen Verträgen potenziell ähnlich sind, anzuwenden, wäre ein solches Gericht durch nichts daran gehindert, diese Wahl zu berücksichtigen, indem es die Anwendung des zweiten Kriteriums abschwächt.

274    Folglich ist die vierte Rüge des dritten Teils des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

e)      Zu den in den Preisleitlinien nicht angeführten Elementen (fünfte Rüge)

275    Die Klägerin und die Republik Litauen machen im Wesentlichen geltend, dass die Preisleitlinien zusätzliche Elemente hätten enthalten müssen. Erstens hätten diese Leitlinien ein Element enthalten müssen, das sich auf die Lieferkosten beziehe, die je nach Lieferstelle erheblich variierten und beispielsweise für Gazprom bei Gaslieferungen nach Litauen aufgrund der geografischen Nähe zu Russland wesentlich niedriger wären als bei Lieferungen nach Westeuropa.

276    Zweitens weist die Klägerin darauf hin, dass die Preisleitlinien, wie sich aus ihrer Wirtschaftsstudie ergebe, den in einigen der in Rede stehenden Verträgen enthaltenen festen Kaufverpflichtungen („Take-or-pay“-Mechanismus) keine Bedeutung beimessen würden, obwohl diese Verpflichtungen für Gazprom von erheblichem Wert seien. In diese Leitlinien seien nur Faktoren aufgenommen worden, die Preiserhöhungen ermöglichten.

277    Nach Ansicht der Kommission ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

278    Insoweit geht aus dem Wortlaut der in Nr. 19 Ziff. iii der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehenen Preisleitlinien offenkundig hervor, dass, was die Berücksichtigung der Merkmale eines bestimmten betroffenen Vertrags anbelangt, die Beispiele für Merkmale, die in diesen Leitlinien ausdrücklich genannt werden, nicht abschließend sind.

279    Folglich hat die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, indem sie die Preisleitlinien akzeptierte, in denen die Lieferkosten und die festen Kaufverpflichtungen („Take-or-pay“-Mechanismus) nicht ausdrücklich erwähnt werden.

280    Im Übrigen genügt, soweit die Klägerin allgemein geltend macht, die Kommission habe bei ihrer Beurteilung der Angemessenheit der endgültigen Verpflichtungszusagen nicht hinreichend berücksichtigt, dass Gazprom in den betroffenen Verträgen feste Kaufverpflichtungen festgelegt habe, der Hinweis, dass die Kommission, obwohl sie in der MB das Vorhandensein dieser Klauseln in diesen Verträgen prüfte, keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken speziell in Bezug auf diese Klauseln darlegte und im Übrigen insoweit keine Korrekturmaßnahme in Betracht zog. Daraus folgt, dass die Kommission nicht sicherstellen musste, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen diese Bedenken ausräumen.

281    Nach alledem ist die fünfte Rüge des dritten Teils des zweiten Klagegrundes und folglich dieser Teil insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

4.      Zum vierten Teil des zweiten Klagegrundes: Rechtsfehler und offensichtliche Beurteilungsfehler, was das Verhältnis zwischen dem Unionsrecht und den Schiedsverfahren anbelangt

282    Die Klägerin macht geltend, aus der Begründung im 178. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses gehe hervor, dass die Kommission Rechtsfehler und, im Wesentlichen, offensichtliche Beurteilungsfehler begangen habe, die zum einen die Anwendung des materiellen Unionsrechts bei den in Nr. 19 Ziff. iv der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehenen Schiedsverfahren und zum anderen die Möglichkeit für die Kommission beträfen, in solchen Verfahren als amicus curiae tätig zu werden.

283    Die Kommission ist der Auffassung, dass sie insoweit keinen Fehler begangen habe.

a)      Zur Anwendung des materiellen Unionsrechts in den Schiedsverfahren (erste Rüge)

284    Die Klägerin macht erstens geltend, die Kommission habe, indem sie sich auf eine fehlerhafte Auslegung des Urteils vom 1. Juni 1999, Eco Swiss (C‑126/97, im Folgenden: Urteil Eco Swiss, EU:C:1999:269, Rn. 36), gestützt habe, zu Unrecht angenommen, dass die Schiedsgerichte aufgrund ihres Sitzes in der Union Preisstreitigkeiten zwischen Gazprom und deren betroffenen Kunden zwingend anhand des materiellen Unionsrechts entscheiden müssten.

285    Mit dem Urteil Eco Swiss habe sich der Gerichtshof nämlich nur an den Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) und mittelbar an die anderen Gerichte der Mitgliedstaaten gerichtet, nicht aber an die Schiedsgerichte, die keine Gerichte im Sinne von Art. 267 AEUV seien. Dieses Urteil verpflichte die erstgenannten Gerichte lediglich dazu, das Unionsrecht im begrenzten Rahmen der nachträglichen Kontrolle der Einhaltung der „öffentlichen Ordnung“ durch die Schiedsgerichte anzuwenden, ohne von diesen zu verlangen, dass sie das materielle Unionsrecht anwendeten.

286    In Wirklichkeit seien die betreffenden Schiedsgerichte verpflichtet, allein Nr. 19 der endgültigen Verpflichtungszusagen anzuwenden, nicht aber Art. 102 AEUV oder den angefochtenen Beschluss als solchen. Somit gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass sich ein Gazprom-Kunde im Rahmen eines Schiedsverfahrens ohne Weiteres auf den Inhalt dieses Beschlusses berufen könnte; diese Möglichkeit könnte nur im – in zeitlicher Hinsicht ineffektiven – Rahmen einer vom nationalen Gericht, das die Vollstreckung eines Schiedsspruchs überwache, zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage bejaht werden.

287    Zweitens werde die Wirksamkeit der Schiedsverfahren dadurch erheblich reduziert, dass in den endgültigen Verpflichtungszusagen nicht auf den angefochtenen Beschluss oder Art. 102 AEUV verwiesen werde. Die Schiedsgerichte würden nicht zwingend prüfen, ob die angepassten Preise mit den Zielen dieses Beschlusses oder dieser Bestimmung des AEU‑Vertrags übereinstimmten, und liefen sogar Gefahr, dass sie ihr Amt überschritten und ihre Schiedssprüche bei Vornahme einer solchen Prüfung aufgehoben würden.

288    Nach Ansicht der Kommission ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

289    Es ist darauf hinzuweisen, dass es im 178. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses unter Verweis auf das Urteil Eco Swiss (Rn. 35 und 36) heißt, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen „verlangen, dass die Schiedsverfahren innerhalb der Union stattfinden“, und dass „[d]ies … die Schiedsgerichte [verpflichtet], das Wettbewerbsrecht der Union als Bereich der öffentlichen Ordnung unabhängig von den privaten Interessen der Schiedsparteien zu beachten und anzuwenden“.

290    Insoweit ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 EUV und dem Vertrag von Lissabon beigefügten Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb (ABl. 2010, C 83, S. 309), dass die Art. 101 und 102 AEUV grundlegende Bestimmungen darstellen, die für die Erfüllung der Aufgaben der Union und insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarktes unerlässlich sind, da sie verhindern sollen, dass der Wettbewerb entgegen dem öffentlichen Interesse und zum Schaden der einzelnen Unternehmen und der Verbraucher verfälscht wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Eco Swiss, Rn. 36, und Urteil vom 17. Februar 2011, TeliaSonera Sverige, C‑52/09, EU:C:2011:83, Rn. 20 bis 22). Folglich sind die Art. 101 und 102 AEUV Bestimmungen, die der öffentlichen Ordnung zuzurechnen sind – auch im Sinne des am 10. Juni 1958 in New York unterzeichneten Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche – und die von den nationalen Gerichten von Amts wegen angewandt werden müssen, die einem Antrag auf Aufhebung eines Schiedsspruchs stattgeben müssen, wenn sie der Ansicht sind, dass dieser Schiedsspruch gegen die genannten Vorschriften verstößt (vgl. in diesem Sinne Urteil Eco Swiss, Rn. 36 bis 41, und Urteil vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a., C‑295/04 bis C‑298/04, EU:C:2006:461, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

291    Daraus folgt, dass die betreffenden Schiedsgerichte, auch wenn sie im Unionsgebiet ansässig sind, nicht notwendigerweise an das Wettbewerbsrecht der Union insgesamt und auch nicht an das übrige materielle Unionsrecht gebunden sind. Außerdem trifft es zu, dass, wie die Klägerin vorträgt, die Gerichte der Mitgliedstaaten Schiedssprüche nur in beschränktem Umfang überprüfen (vgl. Urteil vom 6. März 2018, Achmea, C‑284/16, EU:C:2018:158, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung). Allerdings müssten die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten, wenn eines dieser Schiedsgerichte einen Schiedsspruch erlassen sollte, der gegen Art. 102 AEUV verstößt, diesen Schiedsspruch auf Antrag aufheben. Dies kann die Schiedsgerichte veranlassen, sicherzustellen, dass ein erlassener Schiedsspruch diese Bestimmung des AEU‑Vertrags achtet.

292    Außerdem ist, auch wenn die vorliegende Rechtssache nicht unmittelbar Art. 102 AEUV, sondern die Einhaltung eines nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 erlassenen Beschlusses über Verpflichtungszusagen betrifft, festzustellen, dass nationale Gerichte im Licht der oben in Rn. 290 dargelegten Erwägungen, und da diese Verordnung in Anwendung von Art. 103 AEUV erlassen wurde und sich auf die Durchführung der Art. 101 und 102 AEUV bezieht, einem Antrag auf Aufhebung eines Schiedsspruchs stattgeben können, wenn sie der Auffassung sind, dass dieser Schiedsspruch gegen einen solchen Beschluss verstößt.

293    Diese Lesart der im 178. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses erwähnten Auswirkungen des Erfordernisses der Errichtung der Schiedsgerichte in der Union kann nicht durch das Vorbringen der Klägerin, dass nationale Gerichte bei der Prüfung der Vereinbarkeit von Schiedssprüchen mit Art. 102 AEUV oder mit einer nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 erlassenen Entscheidung auf angebliche praktische Schwierigkeiten stoßen könnten, in Frage gestellt werden, da die Behandlung solcher Streitigkeiten in die sachliche Zuständigkeit dieser Gerichte fällt.

294    Im Übrigen muss Gazprom, wie bereits oben ausgeführt, die endgültigen Verpflichtungszusagen im Einklang mit der Begründung des angefochtenen Beschlusses anwenden, da sie andernfalls Gefahr liefe, dass die Nichteinhaltung dieses Beschlusses festgestellt wird. Gazprom ist daher als Partei der Schiedsverfahren verpflichtet, bei der Bestimmung des Amtes der Schiedsrichter und der Abfassung ihrer Schriftsätze dafür zu sorgen, dass sie die Preisformeln im Einklang mit diesem Beschluss anpassen.

295    In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen stellt das Gericht fest, dass die Kommission trotz der etwas ungeschickten Formulierung der streitigen Begriffe im 178. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses weder einen Rechtsfehler begangen hat, indem sie diese Begriffe aufnahm, noch einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, indem sie davon ausging, dass die Verpflichtung, die Schiedsverfahren im Gebiet der Union durchzuführen, geeignet sei, die Wirksamkeit der Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik zu erhöhen. Folglich ist die erste Rüge des vierten Teils des zweiten Klagegrundes zurückzuweisen.

b)      Zur Möglichkeit für die Kommission, als amicus curiae zu intervenieren (zweite Rüge)

296    Nach Ansicht der Klägerin hat die Kommission einen Rechtsfehler begangen, indem sie im 178. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt hat, dass sie als amicus curiae in Schiedsverfahren intervenieren könne. Beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts gebe es keine Rechtsgrundlage für eine derartige Zusammenarbeit zwischen der Kommission und Schiedsgerichten. Somit müsse eine solche Intervention von den Schiedsparteien genehmigt werden, was im vorliegenden Fall durch nichts gewährleistet sei, da Gazprom sich in keiner Weise dazu verpflichtet habe und viele Kunden angesichts der ausgetauschten sensiblen oder vertraulichen Informationen und der als für Gazprom „vorteilhaft“ angesehenen Haltung der Kommission in der Sache AT.39816 zurückhaltend sein könnten, die Kommission einzubeziehen.

297    Außerdem habe die Kommission anerkannt, dass ihre Beteiligung als amicus curiae nicht stets gewährleistet sei, und betone eher die Möglichkeit, gemäß Art. 15 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 in Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Schiedssprüchen zu intervenieren.

298    Nach Ansicht der Kommission ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

299    Insoweit ist mit der Klägerin festzustellen, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen in keiner Weise ein Recht der Kommission vorsehen, als amicus curiae in einem Schiedsverfahren zu intervenieren, das auf der Grundlage der in Rn. 19 Ziff. iv der Verpflichtungszusagen vorgesehenen Schiedsklausel eingeleitet wird, und dass ein solches Recht auch nicht anderweitig durch das Unionsrecht gewährleistet wird.

300    Da jedoch die Schiedsklausel in Nr. 19 Ziff. iv der endgültigen Verpflichtungszusagen die Frage einer Intervention der Kommission als amicus curiae gerade nicht erfasst, kann der Umstand, dass die Kommission im angefochtenen Beschluss eine solche Möglichkeit erwähnt hat, ohne dass diese Möglichkeit durch diese Verpflichtungszusagen gewährleistet wäre, die Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses nicht in Frage stellen. Folglich geht die Rüge der Klägerin, mit der sie einen Rechtsfehler geltend macht, ins Leere.

301    Nach alledem ist die zweite Rüge des vierten Teils und damit der zweite Klagegrund insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

D.      Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 102 AEUV und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Kommission die endgültigen Verpflichtungszusagen angenommen habe, obwohl damit den Beschwerdepunkten betreffend die territorialen Beschränkungen nicht angemessen entsprochen werde

302    Die Klägerin, unterstützt durch die Republik Polen, die Republik Litauen und Overgas, macht geltend, die Kommission habe unter Verstoß gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 102 AEUV und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mehrere offensichtliche Beurteilungsfehler begangen, indem sie zu dem Schluss gelangt sei, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen (Rn. 5 bis 17 der endgültigen Verpflichtungszusagen) angemessen seien. Dieser Klagegrund besteht im Wesentlichen aus drei Teilen.

303    Die Kommission, unterstützt durch Gazprom, ist der Ansicht, dass der dritte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen sei. Zum Streithilfeschriftsatz von Overgas macht sie geltend, dass die meisten der darin enthaltenen Argumente unzulässig seien, da sie in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Rechtsstreits stünden, wie er von den Hauptparteien festgelegt worden sei.

1.      Zum ersten Teil des dritten Klagegrundes: Unangemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen in ihrer Gesamtheit betrachtet

304    Die Klägerin hält die Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen in ihrer Gesamtheit betrachtet für unangemessen. Obwohl ihre Analyse der voraussichtlichen Entwicklung besonders plausibel sein müsse, habe die Kommission verschiedene Elemente außer Acht gelassen, die sich entscheidend auf den Inhalt dieser Verpflichtungszusagen hätten auswirken müssen.

305    Die Kommission habe nämlich zwar in der MB ausdrücklich festgestellt, dass Gazprom eine „Strategie“ der Marktsegmentierung festgelegt habe, doch habe sie selektive Verpflichtungszusagen akzeptiert, die keine umfassende Antwort auf diese Strategie lieferten. Insbesondere bestünden die Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen im Wesentlichen darin, bestimmte vertragliche Mechanismen zu beenden, während Gazprom auch verschiedene außervertragliche Vorgehensweisen angewandt habe, um die Wiederausfuhr von Gas zu verhindern. Diese Fokussierung auf vertragliche Mechanismen sei umso unwirksamer, als die meisten von ihnen längst aufgehoben worden seien. Gazprom greife in großem Umfang auf außervertragliche Vorgehensweisen zurück, was der Kommission bekannt gewesen sei.

306    Diese Feststellung werde dadurch veranschaulicht, dass die Kommission in den Jahren 2003 und 2005 wettbewerbsrechtliche Untersuchungen durch informelle Vereinbarungen beendet habe, die die Streichung ausdrücklicher Gebietsklauseln in den Verträgen, die Gazprom mit E.ON Ruhrgas AG und ENI SpA geschlossen hatte, beinhalteten, was Gazprom jedoch nicht daran gehindert habe, die Wiedereinfuhr von Gas durch andere Vorgehensweisen weiterhin zu behindern. Des Weiteren habe die Kommission neben dem Fall der Krise von 2009/2010, in deren Rahmen die Klägerin aufgrund von Störungen der Gaslieferungen über die Ukraine einem ernsthaften Gasmangel ausgesetzt gewesen sei, auch Kenntnis von Praktiken gehabt, bei denen Gazprom in der Wintersaison 2014/2015 die Gaslieferungen reduziert habe, um die Wiederausfuhr von Gas in die Ukraine zu unterbinden, was Auswirkungen in einigen der betroffenen MOEL gehabt habe. Diese Beispiele könnten nicht als bloße Vertragsverstöße angesehen werden, und der von der Kommission gewählte, übermäßig theoretische Ansatz lasse außer Acht, dass diese Störungen und Reduzierungen eine der Facetten der Strategie von Gazprom darstellten.

307    Über diese außervertraglichen Vorgehensweisen hinaus weist die Klägerin darauf hin, dass der Gashandel zwischen betroffenen MOEL aufgrund von Mängeln bei der Gastransportinfrastruktur, die sich weitgehend aus den von Gazprom auferlegten territorialen Beschränkungen ergeben hätten, die insbesondere die grenzüberschreitende Nachfrage nach Gas erdrosselt hätten, schwierig gewesen sei. Die seitdem erzielten Verbesserungen der Infrastruktur könnten die Unzulänglichkeit der genannten Verpflichtungszusagen, die aktive Maßnahmen von Gazprom hätten umfassen müssen, nicht rechtfertigen.

308    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin und der Republik Polen entgegen, das ihrer Ansicht nach auf unzutreffenden Prämissen beruht, so dass der vorliegende Teil zurückzuweisen sei.

309    Insoweit ergibt sich zwar aus der vorläufigen Beurteilung der Kommission (vgl. insbesondere die Überschrift von Abschnitt 8 sowie Rn. 246 der MB), dass Gazprom eine allgemeine „Strategie“ zur Segmentierung der Gasmärkte verfolgte. Aus dieser Beurteilung ergibt sich jedoch auch, dass diese Strategie aus verschiedenen besonderen wettbewerbswidrigen Praktiken bestand (vgl. insbesondere Rn. 248 der MB und Erwägungsgründe 54 bis 60 des angefochtenen Beschlusses). Es stand der Kommission daher frei, zu versuchen, dieser Strategie durch ein schrittweises Vorgehen mit Maßnahmen, die spezifisch jede dieser Praktiken abstellen würden, ein Ende zu setzen.

310    In diesem Zusammenhang ist zur Prüfung der Frage, ob die Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen die verschiedenen Praktiken, auf die sich die diese Beschränkungen betreffenden Beschwerdepunkte beziehen, insgesamt abstellen, festzustellen, dass sowohl aus der MB als auch aus dem angefochtenen Beschluss hervorgeht, dass sich diese Beschwerdepunkte auf zwei Kategorien von Praktiken bezogen:

–        zum einen ausdrückliche territoriale Beschränkungen, die in Vertragsklauseln wie Klauseln zum Bestimmungsort sowie Weiterverkaufsverbots- oder Ausfuhrverbotsklauseln vorgesehen sind (vgl. insbesondere Rn. 247 und 897 sowie Abschnitte 8.2 und 15.7.2.2 der MB sowie 42. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses);

–        zum anderen vertragliche und außervertragliche Vorgehensweisen mit gleicher Wirkung wie ausdrückliche territoriale Beschränkungen (vgl. insbesondere Rn. 248, 322 und 898 sowie Abschnitte 8.3 und 15.7.2.3 der MB und 43. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), wobei diese Vorgehensweisen hauptsächlich vier Formen angenommen haben sollen, nämlich erstens die Kombination einer sogenannten „Expansionsklausel“ mit einer Informationspflicht gegenüber Gazprom, zweitens Weigerungen, eine vertraglich vorgesehene Gaslieferstelle zu ändern, drittens Weigerungen, die vertraglich vorgesehene Messstation (metering station) zu ändern, und viertens, in Bezug auf Bulgarien, spezifische Vertragsbestimmungen, insbesondere im Zusammenhang mit den Messstationen, die Gazprom de facto eine Kontrolle über die Gasexporte aus diesem Land gewährt haben sollen.

311    Die Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen (Nrn. 5 bis 17 der endgültigen Verpflichtungszusagen), mit denen diesen Beschwerdepunkten entsprochen werden soll, umfassen Folgendes:

–        Maßnahmen zum Verbot von Vertragsklauseln, mit denen Gazprom den Weiterverkauf oder die Wiederausfuhr von Gas durch ihre betroffenen Kunden unmittelbar oder mittelbar verhindern oder einschränken würde (im Folgenden: Verpflichtungszusagen betreffend die Weiterverkaufs- und Wiederausfuhrbeschränkungen); wie sich zum einen aus den Erwägungsgründen 54 bis 57 und den Abschnitten 5.1.1, 7.1.1 und 8.2.1.1 des angefochtenen Beschlusses und zum anderen aus den Nrn. 5 und 6 der endgültigen Verpflichtungszusagen ergibt, sollen diese Maßnahmen die im ersten Gedankenstrich der vorstehenden Randnummer genannten ausdrücklichen territorialen Beschränkungen sowie die erste der im zweiten Gedankenstrich jener Randnummer genannten Arten von Vorgehensweisen, nämlich die Kombination einer sogenannten „Expansionsklausel“ mit einer Informationspflicht gegenüber Gazprom, beseitigen;

–        Maßnahmen, die Änderungen der Gaslieferstellen ermöglichen (im Folgenden: Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen); wie insbesondere aus den Rn. 373 bis 375 der MB, den Rn. 59 und 60 sowie den Abschnitten 5.1.3, 7.1.3 und 8.2.1.3 des angefochtenen Beschlusses und den Nrn. 5 bis 17 der endgültigen Verpflichtungszusagen (in Abschnitt 1.2 [„Changes of Delivery Points“ (Änderungen der Lieferstellen)]) hervorgeht, sollen diese Maßnahmen die zweite und die dritte der im zweiten Gedankenstrich der vorstehenden Randnummer genannten Arten von Vorgehensweisen verhindern, nämlich die Weigerung von Gazprom, die Lieferstellen oder die Messstationen zu ändern;

–        Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verwaltung des bulgarischen Gasnetzes (im Folgenden: Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz); wie sich zum einen aus dem 58. Erwägungsgrund und den Abschnitten 5.1.2, 7.1.2 und 8.2.1.2 des angefochtenen Beschlusses und zum anderen aus den Nrn. 7 und 8 der endgültigen Verpflichtungszusagen (in Abschnitt 1.1 [„Changes to the Bulgarian Gas System“ (Änderungen am bulgarischen Gassystem)]) ergibt, sollen diese Maßnahmen die vierte der im zweiten Gedankenstrich der vorstehenden Randnummer genannten Arten von Vorgehensweisen, d. h. die Vorgehensweisen, die Gazprom de facto eine Kontrolle über die Gasausfuhren gewährt haben sollen, verhindern.

312    Aus den oben in Rn. 311 getroffenen Feststellungen ergibt sich somit, dass die Nrn. 5 bis 17 der endgültigen Verpflichtungszusagen sämtliche Praktiken erfassen, die unter die beiden Kategorien fallen, die in den oben in Rn. 310 angeführten Beschwerdepunkten betreffend die territorialen Beschränkungen enthalten sind. Bei einem Vergleich dieser Beschwerdepunkte mit diesen Verpflichtungszusagen stellt das Gericht daher keine Lücke im Umfang dieser Verpflichtungszusagen fest.

313    Die Schlussfolgerung in der vorstehenden Randnummer wird durch das übrige Vorbringen der Klägerin nicht in Frage gestellt.

314    Zunächst ergibt sich nämlich, soweit die Klägerin geltend macht, dass die von Gazprom zur Segmentierung der Märkte der betroffenen MOEL angewandten außervertraglichen Vorgehensweisen unzureichend berücksichtigt worden seien, aus den vorstehenden Erwägungen, dass die Kommission in Bezug auf die vier vertraglichen und außervertraglichen Arten von Vorgehensweisen, die in den Beschwerdepunkten betreffend die territorialen Beschränkungen tatsächlich angeführt sind, Verpflichtungszusagen erhalten hat, mit denen diesen Beschwerdepunkten entsprochen werden soll.

315    Insbesondere ist zu den vertraglichen und außervertraglichen Vorgehensweisen, die durch die Praxis von Gazprom veranschaulicht werden, die darin besteht, eine Kombination einer sogenannten „Expansionsklausel“ mit einer Informationspflicht gegenüber Gazprom anzuwenden (bei der ersten der oben in Rn. 310 zweiter Gedankenstrich genannten Arten von Vorgehensweisen und im 57. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführt), festzustellen, dass die Kommission auf die Verwendung verschiedener Vertragsbestimmungen durch dieses Unternehmen abzielte, die zwar keine ausdrücklichen territorialen Beschränkungen auferlegten, es aber ermöglichten, den wirtschaftlichen Anreiz für seine Kunden, das von ihm gelieferte Gas weiterzuverkaufen oder wieder auszuführen, zu verringern und somit grenzüberschreitende Verkäufe zu verhindern.

316    Es ist jedoch festzustellen, dass die Nrn. 5 und 6 der endgültigen Verpflichtungszusagen darauf abzielen, Klauseln zu neutralisieren, die als „Clauses Restricting Resale“ (Klauseln, die den Weiterverkauf beschränken) und als „Territorial Restriction Clause“ (Klauseln, mit denen territoriale Beschränkungen auferlegt werden) eingestuft werden, und dass diese Arten von Klauseln in Anbetracht der Definitionen dieser Begriffe, die in Nr. 4 dieser Verpflichtungszusagen enthalten sind, ein sehr weites Feld von Vertragsbestimmungen abdecken. Dies wird durch den Inhalt der „indikativen Liste“ in Anhang 1 dieser Verpflichtungszusagen bestätigt, wonach u. a. Expansionsklauseln, Überwachungsmechanismen und Informationspflichten, die in den betroffenen Verträgen vorgesehen sind, verboten sind.

317    Sodann ist erstens festzustellen, dass die Klägerin, soweit sie zu verstehen gibt, dass die Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz auf alle betroffenen MOEL hätten erstreckt werden müssen, nicht erklärt, inwiefern diese Verpflichtungszusagen für die Lage in den anderen betroffenen MOEL relevant sein sollten. Zweitens ist das Vorbringen zu den in den Jahren 2003 und 2005 getroffenen informellen Vereinbarungen zurückzuweisen, da diese Vereinbarungen auf Praktiken ohne Bezug zu den betroffenen MOEL abzielten, und vor allem, da die Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen genau Praktiken abdecken, die über ausdrückliche territoriale Beschränkungen hinausgehen. Drittens werden die Gazprom im Zusammenhang mit der Krise von 2009/2010 vorgeworfenen Verhaltensweisen, d. h. die Weigerung, eine Lieferstelle oder eine Messstation zu ändern, von den Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen erfasst (die unten im Rahmen des zweiten Teils geprüft werden). Viertens sind die Praktiken im Zusammenhang mit der Wintersaison 2014/2015 von den Beschwerdepunkten betreffend die territorialen Beschränkungen nicht erfasst, so dass die Kommission darauf nicht einzugehen brauchte. Außerdem räumt die Klägerin selbst ein, dass diese Praktiken hauptsächlich die Ukraine betrafen, ohne zu erläutern, inwiefern sich ihre angeblichen Folgen für die betroffenen MOEL trotz der Annahme der endgültigen Verpflichtungszusagen zu wiederholen drohten. Fünftens genügt, soweit sich die Klägerin auf die in Unterabschnitt 8.2.2.2 der MB dargelegten Umstände berufen möchte, die Feststellung, dass sich dieser Unterabschnitt, wie sich eindeutig aus den darin enthaltenen Angaben und allgemein aus Abschnitt 8.2 ergibt, auf die Überwachung – durch Gazprom – der Einhaltung der alten Klauseln über ausdrückliche territoriale Beschränkungen bezieht und nicht auf außervertragliche, angeblich von den Verpflichtungszusagen nicht gedeckte Vorgehensweisen.

318    Schließlich ist das Vorbringen der Klägerin zu den Mängeln bei der Gastransportinfrastruktur zurückzuweisen, da sich die von ihr angeführten Schwierigkeiten nicht in den wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission einschließlich der künftigen Auswirkungen der Gasfernleitung Nord Stream 2 wiederfinden. Im Übrigen geht aus den in der MB dargelegten Beschwerdepunkten nicht hervor, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen positive Verpflichtungen in Bezug auf die Infrastruktur hätten enthalten müssen, um diesen Beschwerdepunkten in angemessener Weise zu entsprechen, zumal die Klägerin nicht konkret angibt, welche wettbewerbswidrigen Praktiken solche Verpflichtungen rechtfertigen würden.

319    Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler in Bezug auf die Angemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen in ihrer Gesamtheit betrachtet begangen hat. Folglich ist der erste Teil des dritten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

2.      Zum zweiten Teil des dritten Klagegrundes: Unangemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen

320    Die Klägerin, die Republik Polen, die Republik Litauen und Overgas bringen im Wesentlichen sechs Rügen vor, mit denen sie die Unangemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen (Nrn. 9 bis 17 der endgültigen Verpflichtungszusagen) geltend machen.

321    Die Kommission, unterstützt durch Gazprom, tritt diesen Rügen entgegen und beantragt, den Streithilfeschriftsatz von Overgas teilweise für unzulässig zu erklären.

a)      Zur Unzulänglichkeit der betreffenden Lieferstellen (erste Rüge)

322    Die Klägerin und die Republik Litauen sind der Ansicht, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen mehr Punkte hätten betreffen müssen als die in Nr. 15 der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehenen, da die Infrastrukturverbesserungen, auf die sich die Kommission berufe, um zu rechtfertigen, dass die festgelegten Punkte ausreichend seien, den ungehinderten Gastransport in den betroffenen MOEL nicht gewährleisteten.

323    Was konkret den Gastransport zwischen Polen und seinen Nachbarn anbelangt, weist die Klägerin zunächst darauf hin, dass Gazprom aufgrund ihrer Kontrolle über die deutschen und polnischen Abschnitte der Jamal-Gasfernleitung in der Lage sei, die Transporte in Gegenflussrichtung von Deutschland nach Polen zu beeinflussen. Zudem habe es beim gegenwärtigen Stand der grenzüberschreitenden Infrastrukturen in der Tschechischen Republik, Ungarn, Polen und der Slowakei keine wirkliche Verbesserung des Handels zwischen Polen und Ungarn gegeben. Außerdem dürfte der Bau der Gasfernleitung Nord Stream 2 die Fähigkeit von Gazprom zu wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen auf dem polnischen Markt verstärken. Mit diesen Feststellungen werde aber die Unzulänglichkeit, was Polen anbelange, von auf die baltischen Staaten beschränkten Lieferstellen dargelegt, was nicht mit der besonderen Aufmerksamkeit übereinstimme, die Polen in der MB gewidmet worden sei.

324    Im Übrigen ist die Republik Litauen der Ansicht, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen es wegen der unzureichenden Zahl der betroffenen Lieferstellen nicht ermöglichen würden, eine Segmentierung der Gasmärkte Litauens, Lettlands und Estlands zu verhindern.

325    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin und der Republik Litauen entgegen und ist der Ansicht, dass die vorliegende Rüge zurückzuweisen sei.

326    Es ist festzustellen, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen einen anderen Zweck haben als die Verpflichtungszusagen betreffend die Weiterverkaufs- und Wiederausfuhrbeschränkungen und dass ihre jeweilige Relevanz vom Vorhandensein oder der Zulänglichkeit einer grenzüberschreitenden Gastransportinfrastruktur abhängt, d. h. einer Gasleitung, die zwei betroffene MOEL verbindet, oder gegebenenfalls einer Anlage, die die Verarbeitung von Flüssiggas ermöglicht.

327    Auf der einen Seite ist bei Vorhandensein einer solchen Infrastruktur zwischen betroffenen MOEL der direkte Gastransport zwischen zweien dieser Länder technisch möglich, doch könnte der Weiterverkauf oder die Wiedereinfuhr von russischem Gas von einem dieser Länder in das andere durch einen betroffenen Gazprom-Kunden anderweitig durch vertragliche oder außervertragliche Maßnahmen behindert werden, die einen solchen Weiterverkauf oder eine solche Wiedereinfuhr verhindern oder einschränken. Gazprom hat nach der vorläufigen Beurteilung der Kommission offenbar in der Vergangenheit solche Maßnahmen eingeführt, und die Verpflichtungszusagen betreffend die Weiterverkaufs- und Wiederausfuhrbeschränkungen sollen insoweit Abhilfe schaffen.

328    Auf der anderen Seite sind, wenn solche Infrastrukturen zwischen den betroffenen MOEL nicht vorhanden oder unzulänglich sind, die Verpflichtungszusagen betreffend die Weiterverkaufs- und Wiederausfuhrbeschränkungen unwirksam, wie sich im Wesentlichen aus dem 171. Erwägungsgrund a. E. des angefochtenen Beschlusses ergibt, da der Direkttransport von Gas zwischen zweien dieser Länder technisch unmöglich oder unzulänglich ist. In dieser Situation, die Gegenstand des vorliegenden zweiten Teils ist, kann der Weiterverkauf oder die Wiederausfuhr russischen Gases dann durch eine Änderung der Lieferstelle oder der Messstation erfolgen, um das vom betroffenen Gazprom-Kunden gekaufte Gas von seiner ursprünglichen Lieferstelle an die neue Lieferstelle umzuleiten, an der dieser Kunde Gas weiterverkaufen möchte.

329    Eine solche Änderung würde jedoch die Zustimmung oder Kooperation von Gazprom, d. h. ein aktives Tätigwerden von Gazprom, erfordern (wie insbesondere aus den Rn. 362, 363 und 373 bis 375 der MB sowie den Erwägungsgründen 59, 60 und 171 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht). Nach der vorläufigen Beurteilung der Kommission soll Gazprom ein solches Tätigwerden in der Vergangenheit abgelehnt haben, indem es Änderungen der Lieferstelle oder der Messstation verweigert haben soll.

330    Die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen sollen aber gerade, unter bestimmten Umständen, eine aktive Beteiligung von Gazprom gewährleisten, indem dieses Unternehmen verpflichtet wird, einer Änderung der Lieferstelle zuzustimmen, die von einem Kunden beantragt wird, der das für sein Land bestimmte Gas in ein anderes betroffenes MOEL weiterverkaufen möchte, wobei diese Änderung der Lieferstelle gegebenenfalls auch die Änderung der Messstation umfasst. Insbesondere sehen diese Verpflichtungszusagen vier Kombinationen von Änderungen von Lieferstellen vor, die den bidirektionalen Weiterverkauf von Gas ermöglichen sollen, nämlich erstens zwischen Polen und den baltischen Staaten, zweitens zwischen der Slowakei und den baltischen Staaten, drittens zwischen Ungarn und Bulgarien und viertens zwischen der Slowakei und Bulgarien (vgl. Erwägungsgründe 170 bis 172 des angefochtenen Beschlusses und Nr. 15 Ziff. i bis iv der endgültigen Verpflichtungszusagen).

331    In diesem Zusammenhang vertritt die Klägerin die Ansicht, dass die Möglichkeit, Gas nur aus den baltischen Staaten, nicht aber aus anderen Ländern weiterzuverkaufen oder weiterverkauft zu bekommen, unzureichend sei. Hierzu ist festzustellen, dass die von der Kommission in der MB dargelegten Weigerungen einer Änderung der Lieferstelle oder der Messstation tatsächlich insbesondere Polen betrafen, da die betreffenden Änderungsanträge darauf abzielten, den akuten Gasbedarf dieses Landes im Zusammenhang mit der Krise, die es im Jahr 2009/2010 erfuhr, zu decken (wie insbesondere aus den Rn. 342 bis 386, 648 und 878 bis 893 der MB sowie den Erwägungsgründen 59 und 60 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht).

332    Es ist jedoch festzustellen, dass Polen von der im 170. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellten Verbesserung der grenzüberschreitenden Gastransportinfrastruktur profitiert hat, da dieses Land erhebliche Gasmengen aus Deutschland einführen kann, die deutlich über der Fehlmenge von 2,5 Mrd. m³ Gas liegen, der sich Polen in der Krise von 2009/2010 gegenübersah.

333    Wie sich nämlich aus den Rn. 734 und 1033 der MB ergibt, waren die erforderlichen Arbeiten durchgeführt worden, um ab 2014 physische Transporte in Gegenflussrichtung aus Deutschland über die Jamal-Gasfernleitung zu ermöglichen. Ebenso geht aus einer von Gaz-System veröffentlichten Pressemitteilung vom 8. Januar 2015 hervor, dass es angesichts der verschiedenen technischen Verbesserungen ab Anfang 2015 möglich war, jährlich nahezu 5,5 Mrd. m³ Gas aus Deutschland in festen Kapazitäten durch virtuelle Transporte in Gegenflussrichtung auf dieser Gasfernleitung einzuführen (vgl. Fn. 76 der MB). In dieser Pressemitteilung wird auch darauf hingewiesen, dass es von jenem Zeitpunkt an möglich gewesen sei, mehr als 90 % des Bedarfs an Gasimporten Polens durch Transporte aus dem Westen und dem Süden dieses Landes – unter Berücksichtigung anderer technischer Mittel, darunter die Möglichkeit, über die genannte Gasfernleitung 2,7 Mrd. m³ jährlich im Rahmen unterbrechbarer Kapazitäten einzuführen – zu decken.

334    Außerdem weist das Gericht darauf hin, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen ungeachtet einer etwaigen besonderen Verantwortung von Gazprom als marktbeherrschendes Unternehmen darauf abzielen, Infrastrukturmängel zu beheben, die als solche nicht in die Verantwortung von Gazprom fallen. Zudem sind Änderungen der Lieferstelle nicht notgedrungen möglich oder einfach, da sie für Gazprom technische Zwänge mit sich bringen, die in den Erwägungsgründen 59 und 173 des angefochtenen Beschlusses erwähnt werden.

335    Im Übrigen ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die Kommission im Rahmen eines Beschlusses nach Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 gegebenenfalls hätte feststellen können, dass die in der MB dargelegten Weigerungen einer Änderung der Lieferstelle oder der Messstation einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV darstellten. Jedoch bedeutet eine solche mögliche Feststellung nicht, dass Gazprom zwingend zahlreichere Änderungen der Lieferstelle hätte garantieren müssen, und zwar selbst dann nicht, wenn man annimmt, dass eine solche Maßnahme für den Wettbewerb günstiger gewesen wäre (vgl. in diesem Sinne Urteil Morningstar, Rn. 59).

336    Daraus folgt, dass dies – ungeachtet dessen, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen von Gazproms Praktiken, Änderungen der Lieferstelle oder einer Messstation zu verweigern, inspiriert waren und möglicherweise die Situation, in die Polen im Rahmen der Krise 2009/2010 geraten war, hätte vermeiden können – nicht bedeutet, dass diese Verpflichtungszusagen es den betroffenen Kunden dieses Landes ermöglichen sollten, Gas aus zahlreichen Ländern weiterzuverkaufen oder weiterverkauft zu bekommen. In Anbetracht der im 171. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses erwähnten Isolierung der baltischen Staaten und Bulgariens konnte sich die Kommission auf die Möglichkeiten für diese betroffenen MOEL konzentrieren.

337    Unter diesen Umständen konnte die Kommission, ohne einen offensichtlichen Beurteilungsfehler zu begehen, akzeptieren, dass, was dieses Land anbelangt, die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen auf die in Nr. 15 Ziff. i der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehene Kombination von Änderungen beschränkt wurden, d. h. auf die Möglichkeit, Gas ausschließlich bezüglich der baltischen Staaten weiterzuverkaufen oder weiterverkauft zu bekommen.

338    Diese Schlussfolgerung wird durch die Behauptungen der Klägerin zur Frage der Kontrolle von Gazprom über den polnischen Abschnitt der Jamal-Gasfernleitung nicht in Frage gestellt. Da diese Behauptungen den im Rahmen des ersten Teils des ersten Klagegrundes vorgebrachten Behauptungen entsprechen, genügt der Hinweis, dass dieser Teil als unbegründet zurückgewiesen worden ist. Außerdem hatte die Kommission in ihrer Stellungnahme vom 9. September 2014 festgestellt, dass Gaz-System die Gasflüsse auf diesem Abschnitt kontrollierte, was die Klägerin im Übrigen in ihren Antworten vom 8. Dezember 2020 bestätigt hat.

339    Was schließlich das Vorbringen der Republik Litauen anbelangt, dass die Unzulänglichkeit der betreffenden Lieferstellen es nicht erlaube, eine Segmentierung der baltischen Gasmärkte zu verhindern, genügt der Hinweis, dass sie ihr Vorbringen nicht untermauert hat und insbesondere nicht angegeben hat, welche zusätzlichen Lieferstellen diese angebliche Segmentierung hätten beseitigen können.

340    Folglich ist die erste Rüge des zweiten Teils des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.

b)      Zur Unangemessenheit der Servicegebühren (zweite Rüge)

341    Die Klägerin, unterstützt durch die Republik Polen, die Republik Litauen und Overgas, ist der Ansicht, dass die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe, indem sie die in Nr. 15 der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehenen Gebühren (im Folgenden: Servicegebühren) akzeptiert habe, da diese überhöht seien und daher unter normalen Marktbedingungen jede rentable Änderung der Lieferstelle unmöglich machten.

342    Erstens ergebe sich dieser überhöhte Charakter daraus, dass die Servicegebühren auf ein festes Niveau festgelegt würden, das von den tatsächlich von Gazprom getragenen Kosten losgelöst sei. Diese Kosten würden jedoch von verschiedenen Faktoren beeinflusst, die insbesondere davon abhingen, ob die Transportkapazitäten bereits gebucht seien und ob das Gas über Gasnetze transportiert werde, die der Gazprom-Gruppe gehörten. Die Kommission hätte vielmehr eine transparente Methode zur Berechnung dieser Gebühren vorsehen müssen, worauf die interessierten Parteien bei der Marktbefragung hingewiesen hätten. In Wirklichkeit gebe es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Kommission eine Wirtschaftsanalyse durchgeführt oder die erforderlichen Daten gesammelt hätte. Hierzu tragen die Republik Litauen und Overgas vor, dass die Transportkosten von Gazprom minimal, jedenfalls aber niedriger als die genannten Gebühren seien.

343    Zweitens ist die Klägerin entgegen dem Vorbringen der Kommission der Ansicht, dass sie die Überhöhung der Servicegebühren hinreichend belegt habe, da sie im Rahmen der Marktbefragung entsprechende wirtschaftliche Aspekte dargelegt habe. Nach Ansicht von Overgas bestätigt außerdem die Entwicklung der Höhe dieser Gebühren, die zwischen den ursprünglichen und den endgültigen Verpflichtungszusagen erheblich, nämlich um 30 %, reduziert worden seien, deren übermäßige Höhe und das Bedürfnis nach Transparenz.

344    Drittens macht Overgas geltend, dass die Zahlung jeglicher Gebühr die Wirksamkeit der Verpflichtungszusagen verringere, so dass diese Verpflichtungszusagen im Wesentlichen darin bestanden hätten, ein Hindernis, nämlich die kategorische Weigerung von Gazprom, die Lieferstellen zu ändern, durch ein weiteres Hindernis, nämlich die Zahlung dieser Gebühren, zu ersetzen. Der Umstand, dass die Änderung einer Lieferstelle üblicherweise kostenpflichtig sei, könne nämlich im vorliegenden Fall nicht die Zahlung von Servicegebühren rechtfertigen, und Gazprom hätte in Anbetracht ihrer besonderen Verantwortung als marktbeherrschendes Unternehmen unentgeltliche Änderungen vornehmen müssen.

345    Viertens bestätigten die widersprüchlichen Ziele, die den Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen zugewiesen worden seien, dass die Servicegebühren überhöht seien. Zum einen heiße es im 172. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, dass das Ziel dieser Verpflichtungszusagen darin bestehe, „die Gasmärkte Mittel- und Osteuropas stärker zu integrieren und die infrastrukturelle Isolierung der Gasmärkte in den baltischen Staaten und in Bulgarien zu überwinden“. Dieses Ziel lasse erkennen, dass die genannten Gebühren so hätten bemessen werden müssen, dass ein regelmäßiger Handel zwischen Großhändlern möglich sei, um die Versorgung der bulgarischen und der baltischen Gasmärkte auf Großhandelsebene nachhaltig zu diversifizieren. Zum anderen gehe aus Erwägungsgrund 174 des angefochtenen Beschlusses hervor, dass Änderungen der Lieferstellen nur dann von Interesse seien, wenn die Preise zwischen den betroffenen MOEL „erheblich voneinander abweichen“ sollten.

346    Die Kommission und Gazprom halten die Servicegebühren für angemessen und sind daher der Ansicht, dass die vorliegende Rüge zurückzuweisen sei. Gazprom verweist zur Stützung ihres Vorbringens auf verschiedene Elemente in ihrer Wirtschaftsstudie, die in der Wirtschaftsstudie der Klägerin in Abrede gestellt wurden.

347    Insoweit geht aus den Akten hervor, dass die Kommission und Gazprom bei der Bestimmung der Servicegebühren zunächst einen Ansatz in Betracht gezogen haben, der auf einer Schätzung der Kosten eines Gastransports zwischen Paaren von Lieferstellen beruhte, die in [vertraulich] veranschaulicht wurde, wobei dieser Ansatz sich als komplex erwies und zu sehr hohen Servicegebühren führte.

348    Aufgrund dieser sehr hohen Servicegebühren haben sich die Kommission und Gazprom in der Folge für einen alternativen Ansatz entschieden, nämlich für eine Festsetzung dieser Gebühren in einer Weise, dass sie Preisarbitragen (price arbitrage) ermöglichen und nur einen geringen Teil des Preises für das an eine neue Stelle gelieferte Gas ausmachen. Dies führte zu den in Nr. 15 der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehenen Servicegebühren, die je nach der betreffenden Kombination von Lieferstellen auf 0,76 bzw. 1,52 Euro/MWh (Megawattstunde) festgesetzt wurden; diese Gebühren waren im Vergleich zu den in den ursprünglichen Verpflichtungszusagen vorgesehenen Gebühren reduziert worden (vgl. 151. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

349    Was insbesondere die Servicegebühren in Höhe von 0,76 Euro/MWh für eine Änderung der Lieferstelle zwischen Polen und einem der baltischen Staaten anbelangt, d. h. die einzigen Servicegebühren, die die Klägerin betreffen könnten, so entsprechen diese Gebühren nach Ansicht der Kommission, ohne dass die Klägerin dies bestreiten würde, ungefähr [vertraulich] des von ihr in den Jahren 2017 und 2018 gezahlten Gaspreises, d. h. in einem Zeitraum, in dem dieser Preis sich den in Westeuropa geltenden Preisen angeglichen hatte. Dies geht auch aus den Preisentwicklungen hervor, die in dem in der Klagebeantwortung enthaltenen Schaubild 1 abgebildet sind (nachstehend wiedergegeben), da dieses Schaubild [vertraulich] widerspiegelt.

350    Bei dieser Höhe der Servicegebühren wäre eine Änderung der Lieferstelle – geht man von den zwischen Polen und den baltischen Staaten angeglichenen und dem von der Klägerin in den Jahren 2017 und 2018 gezahlten Gaspreis entsprechenden Preisen aus – rentabel, sobald die Preise in Polen und in den baltischen Staaten um mehr als [vertraulich] vom Preis der Jahre 2017 und 2018 abweichen, unbeschadet etwaiger zusätzlicher Kosten und einer Marge für den betreffenden weiterverkaufenden Kunden.

[vertraulich]

351    Darüber hinaus geht aus diesem Schaubild 1 auch hervor, dass die Gaspreise in den betroffenen MOEL zwischen 2009 und 2017 [vertraulich]. Eine ähnliche Feststellung ergibt sich aus der „kontrafaktischen Evaluierung“ in der Wirtschaftsstudie von Gazprom.

352    Folglich könnten Änderungen der Lieferstelle unter bestimmten Umständen, die den in dem genannten Schaubild dargestellten vergleichbar sind, rentabel sein, unbeschadet etwaiger zusätzlicher Kosten und einer Marge für den betreffenden weiterverkaufenden Kunden. In diesem Zusammenhang hat die Klägerin lediglich potenzielle Eintrittskosten erwähnt, ohne diese oder andere mögliche Kosten zu beziffern.

353    Im Übrigen zielen die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen, worauf bereits oben in Rn. 334 hingewiesen worden ist, darauf ab, Infrastrukturmängel zu beheben, die als solche nicht in die Verantwortung von Gazprom fallen. Diese Feststellung bedeutet, dass die Kommission vor dem Hintergrund ihrer Bedenken, die sie in Bezug auf die früheren Weigerungen von Gazprom, einen Lieferpunkt zu ändern, geäußert hatte, zwar einen Mechanismus wie den in den Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen vorgesehenen verlangen konnte, aber nicht sicherstellen musste, dass diese Verpflichtungszusagen Arbitragegeschäfte ermöglichen, die mit denen vergleichbar sind, die sich ergeben können, wenn grenzüberschreitende Infrastrukturen vorhanden sind.

354    Nach alledem ist das Gericht der Auffassung, dass die Kommission, ohne einen offensichtlichen Beurteilungsfehler zu begehen, die in Nr. 15 der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehenen Servicegebühren im Hinblick auf das im 174. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses angeführte Ziel der Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen, wonach es damit möglich sein muss, Situationen abzuhelfen, in denen die Preise zwischen den Gasmärkten der betroffenen MOEL „erheblich voneinander abweichen“ sollten, akzeptieren konnte.

355    Diese Schlussfolgerung wird durch die übrigen Argumente, die die Klägerin sowie die sie unterstützenden Streithelfer – die Republik Litauen, die Republik Polen und Overgas – vorgebracht haben, nicht in Frage gestellt.

356    Erstens ist, soweit die Klägerin geltend macht, dass ein Vergleich mit einem Zeitraum vor dem Erlass des angefochtenen Beschlusses und insbesondere mit dem Zeitraum von 2009 bis 2014 nicht angemessen sei, da die Gaspreise überhöht gewesen seien, zum einen darauf hinzuweisen, dass die Angemessenheit der Servicegebühren anhand des Preisunterschieds zwischen den betroffenen MOEL und nicht anhand des Niveaus dieser Preise zu beurteilen ist. Zum anderen geht aus dem oben erwähnten Schaubild 1 hervor, dass auch während eines Zeitraums der Konvergenz mit den Preisen in Westeuropa (wie sie mit der Kurve „TTF – month ahead“ dargestellt sind), d. h. insbesondere [vertraulich], was Preisarbitragen ermöglicht. Jedenfalls kann von den Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen nicht erwartet werden, dass sie Preisarbitragen unter Umständen ermöglichen, unter denen die Preise in den MOEL wettbewerbsbestimmt sind und nicht voneinander abweichen.

357    Soweit Overgas in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, dass die Servicegebühren im Fall eines massiven Gaspreisrückgangs, wie z. B. des massiven Rückgangs um 40 %, der in Bulgarien während des Gerichtsverfahrens zu beobachten gewesen sei, unangemessen sein würden, ist darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen es ermöglichen, einen Vorteil aus einer Situation wie einem massiven Preisrückgang in einem der betroffenen MOEL zu ziehen, der sich nicht in einem anderen betroffenen MOEL ebenfalls ereignet, da eine solche Abweichung gerade eine Preisarbitrage ermöglichen kann.

358    Zweitens stellt das Gericht in Bezug auf das Argument, es sei vereinbart worden, Servicegebühren zu bevorzugen, die auf den tatsächlichen Kosten beruhten, die Gazprom bei der Vornahme von Änderungen an Lieferstellen tatsächlich entstanden seien, fest, dass die Kommission offenbar weder eine solche, dem Anschein nach vernünftige Methode in Betracht gezogen noch versucht hat, die Höhe dieser tatsächlichen Kosten unter Berücksichtigung von Faktoren wie Übertragungs- oder Ausgleichskosten auch nur annähernd zu bestimmen.

359    Angesichts ihres weiten Beurteilungsspielraums im Rahmen eines Verpflichtungsverfahrens stand es der Kommission jedoch frei, im Hinblick auf die Vorteile in Bezug auf Transparenz und Vorhersehbarkeit feste Servicegebühren zu akzeptieren, die Preisarbitragen ermöglichen. Außerdem ist, selbst wenn man annähme, dass die mit einer Änderung der Lieferstelle verbundenen tatsächlichen Kosten niedriger sind als die genannten Gebühren, dieser Umstand nicht geeignet, deren Angemessenheit in Frage zu stellen, sofern Änderungen der Lieferstelle im Fall erheblicher Preisunterschiede zwischen den betroffenen MOEL möglich und rentabel sind.

360    Drittens ist, soweit die Klägerin und Overgas auf die Risiken hinweisen, die mit der Annahme verbunden sind, dass die tatsächlichen Kosten höher sind als diese Gebühren, so dass Gazprom diese Kosten statt der festen Servicegebühren in Rechnung stelle, zu betonen, dass Gazprom verpflichtet ist, den dokumentarischen Nachweis für diese Kosten zu erbringen, und dass eine etwaige Uneinigkeit zwischen Gazprom und dem betreffenden Kunden vor den für die Überwachung der endgültigen Verpflichtungszusagen zuständigen Treuhänder gebracht werden kann (vgl. Nrn. 15, 16 und 32 Ziff. vi der endgültigen Verpflichtungszusagen).

361    Was viertens das Vorbringen anbelangt, dass Gazprom eine Änderung der Lieferstelle kostenfrei anbieten müsse, genügt der Hinweis, dass die Kommission das Recht von Gazprom, ihren Kunden die Kosten für eine solche Änderung in Rechnung zu stellen, nie – auch nicht im Stadium der Formulierung ihrer Bedenken in der MB – in Frage gestellt hat (vgl. insbesondere Rn. 883 der MB).

362    Was fünftens den angeblichen Widerspruch in der Begründung zwischen den Erwägungsgründen 172 und 173 des angefochtenen Beschlusses betrifft, ist nicht ausgeschlossen, dass es sich bei der Aussage im 172. Erwägungsgrund dieses Beschlusses, wonach die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen „ein wirksames Mittel darstellen werden, die Gasmärkte Mittel- und Osteuropas stärker zu integrieren“, um eine emphatische Aussage handelt. Allerdings ist diese Aussage nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen, da sie nicht den tragenden Grund für den verfügenden Teil dieses Beschlusses darstellt (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 28. Januar 2004, Niederlande/Kommission, C‑164/02, EU:C:2004:54, Rn. 21).

363    Folglich ist die zweite Rüge des zweiten Teils des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.

c)      Zur unangemessenen Beschränkung hinsichtlich der Laufzeit der Verträge (dritte Rüge)

364    Nach Ansicht der Klägerin und der Republik Litauen hat die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, indem sie anerkannt habe, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen nur für Verträge mit einer Laufzeit von mindestens 18 Monaten gälten, da dies diese Verpflichtungszusagen für litauische Gazprom-Kunden, die gewöhnlich keine Verträge mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr abschließen würden, unwirksam mache. Zudem würden die mit diesen Verpflichtungszusagen verbundenen Zwänge Gazprom nicht dazu veranlassen, diese Laufzeit zu verlängern.

365    Nach Ansicht der Kommission ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

366    Das Gericht stellt fest, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen einen Zeitraum für die Lieferung an eine neue Stelle von mindestens zwölf Monaten vorschreiben und eine Umsetzungsfrist (lead-time) von mindestens vier Monaten für die Durchführung eines Antrags auf Änderung der Lieferstelle vorsehen (vgl. Nr. 10 zweiter Absatz und Nr. 11 der endgültigen Verpflichtungszusagen). Aus dem 173. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses geht hervor, dass die Kommission der Ansicht war, dass diese Anforderungen im Licht der technischen Zwänge im Zusammenhang mit einer Änderung einer Lieferstelle verhältnismäßig seien.

367    Die Klägerin und die Republik Litauen haben aber nicht in Frage gestellt, dass diese Zeiträume von zwölf und vier Monaten, d. h. insgesamt 16 Monate, in Anbetracht dieser technischen Zwänge verhältnismäßig sind. In Anbetracht dieses Zeitraums von 16 Monaten konnte die Kommission, ohne einen offensichtlichen Beurteilungsfehler zu begehen, die Änderungen der Lieferstellen den Verträgen mit einer Laufzeit von mindestens 18 Monaten vorbehalten.

368    Ferner ist darauf hinzuweisen, dass sich Großhändler, die am 23. April 2015 Kunden von Gazprom waren, auf die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen berufen könnten, wenn sie künftig Verträge mit einer Laufzeit von mindestens 18 Monaten abschließen, obwohl ihre derzeitigen Verträge in der Regel nur ein Jahr laufen (vgl. Nr. 4 unter der Überschrift „Eligible Customer“ [Zugelassener Kunde] und Nr. 9 der endgültigen Verpflichtungszusagen). Soweit die Republik Litauen geltend macht, dass diese Verpflichtungszusagen Gazprom nicht dazu veranlassen würden, Verträge mit einer Laufzeit von mindestens 18 Monaten abzuschließen, genügt die Feststellung, dass die Kommission mangels wettbewerbsrechtlicher Bedenken in Bezug auf kurzfristige Verträge Gazprom nicht dazu verpflichten musste, Verträge mit einer Laufzeit von mindestens 18 Monaten anzubieten.

369    Im Übrigen ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, wonach die Durchführungsfrist von vier Monaten es Gazprom ermögliche, dem Großhändler, der Gas aus einem anderen betroffenen MOEL kaufe, bessere Bedingungen anzubieten, da sich eine solche Situation aus der Preisarbitrage und dem Spiel des Wettbewerbs ergäbe, das gerade durch die Möglichkeit, einen Lieferpunkt zu ändern, ermöglicht wird.

370    Folglich ist die dritte Rüge des zweiten Teils des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.

d)      Zur unangemessenen Voraussetzung betreffend die Mindestgasmenge (vierte Rüge)

371    Die Klägerin und die Republik Litauen machen geltend, dass die Mindestmenge an Gas, die erforderlich sei, um eine Änderung der Lieferstelle zu beantragen, und auf 50 Mio. m³ festgesetzt worden sei, im Hinblick auf die Mengen, die Gegenstand einer Änderung der Lieferstelle sein könnten, zu hoch sei. Eine solche Änderung sei nämlich nur großen Großhändlern zugänglich und setze voraus, dass diese darauf hoffen könnten, beträchtliche Marktanteile in dem von der neuen Lieferstelle bedienten Markt erwerben zu können, was diese Verpflichtungszusagen völlig illusorisch mache. So mache diese Mindestmenge mindestens 10 % des Jahresbedarfs der baltischen Großhändler aus und entspreche nach der Wirtschaftsstudie der Klägerin hinsichtlich des Gasverbrauchs 17 % des estnischen Marktes, 12 % des lettischen Marktes und 3 % des litauischen Marktes.

372    Im Übrigen verfügten die betroffenen Kunden, die ihr Gas weiterverkaufen wollten, in der Praxis nicht über große Überschussmengen, so dass eine Änderung der Lieferstelle in Wirklichkeit eine zusätzliche Bestellung an Gazprom bedeuten würde, um die Schwelle von 50 Mio. m³ Gas zu erreichen, obwohl der mit dieser Änderung zusammenhängende Weiterverkauf ungewiss wäre, da beispielsweise Gazprom die Änderung im Fall fehlender Transportkapazitäten ablehnen könnte.

373    Nach Ansicht der Kommission ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

374    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass aus dem 173. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, dass die Kommission der Ansicht war, dass diese Anforderungen im Licht der technischen Zwänge im Zusammenhang mit einer Änderung einer Lieferstelle sowie der Größe der betroffenen Gasmärkte verhältnismäßig seien. Die Klägerin und die Republik Litauen stellen zwar im Wesentlichen die Verhältnismäßigkeit der in Nr. 20 der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehenen Mindestmenge von 50 Mio. m³ in Anbetracht der Größe der Gasmärkte der baltischen Staaten in Abrede, doch haben sie die Erwägungen zu den genannten Zwängen nicht in Frage gestellt.

375    Sodann ist darauf hinzuweisen, dass, da die drei baltischen Staaten über bedeutende Verbindungskapazitäten verfügen, wie die Kommission, ohne dass ihr insoweit widersprochen worden wäre, geltend gemacht hat und wie sich aus Rn. 138 der MB ergibt, der Gesamtverbrauch dieser Länder an Gas zu berücksichtigen ist. Die Mindestmenge von 50 Mio. m³ machte im Jahr 2018 jedoch nur 1,25 % dieses Gesamtverbrauchs aus, so dass die Kommission, wie sie es im 173. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses getan hat, annehmen konnte, dass diese Menge angesichts der Größe dieser Märkte insgesamt verhältnismäßig war.

376    Im Übrigen kann das Vorbringen der Klägerin, dass die Überschussmengen nicht genügten, um aus einer Änderung der Lieferstelle Nutzen zu ziehen, nicht den Schluss rechtfertigen, dass die Mindestmenge unangemessen sei, da die Entscheidungen dieser Kunden bezüglich der Verwendung von ursprünglich bei Gazprom gekauften Mengen oder bezüglich des Kaufs zusätzlicher Mengen in ihre Verantwortung fallen. Jedenfalls ist festzustellen, dass die in den baltischen Staaten ansässigen Kunden potenziell Gas von anderen Großhändlern in diesen Ländern beziehen könnten, wenn man die in der vorstehenden Randnummer genannten Verbindungen zwischen diesen Ländern und das Vorhandensein eines Flüssigerdgasterminals in Litauen berücksichtigt (wie in Rn. 135 der MB ausgeführt).

377    Nach alledem ist, auch unter Berücksichtigung der Erwägungen oben in den Rn. 334 und 335, festzustellen, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen hinsichtlich der Anforderung in Bezug auf die Mindestmenge an Gas, die erforderlich ist, um eine Änderung der Lieferstelle zu beantragen, nicht mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler behaftet sind. Folglich ist die vierte Rüge des zweiten Teils des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.

e)      Zur unzureichenden Berücksichtigung der Marktbedingungen in Bulgarien (fünfte Rüge)

378    Overgas ist der Ansicht, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen im Licht der wettbewerbsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Isolation des bulgarischen Marktes und des Ziels der Kommission, die Struktur dieses Marktes dauerhaft zu verändern, unangemessen seien. Diese Verpflichtungszusagen würden weder die Sicherheit noch die Diversifizierung der Gasversorgung in Bulgarien verbessern, da sie in Wirklichkeit nur eine Substituierung der Lieferung russischen Gases durch bulgarische Importeure durch die Lieferung russischen Gases durch slowakische oder ungarische Exporteure ermöglichten.

379    Nach Ansicht von Overgas hätte Gazprom sich erstens verpflichten müssen, nicht nur Änderungen der Lieferstelle für russisches Gas, sondern auch einen Austausch zwischen russischem Gas und Flüssigerdgas zu ermöglichen, zweitens, Plattformen für den Gashandel an den Grenzen zwischen Russland, der Ukraine und Belarus zu schaffen, und drittens, die Durchführung von Maßnahmen zur Diversifizierung der Gasversorgung nicht zu behindern. Die Kommission habe es zu Unrecht abgelehnt, derartige Maßnahmen in Betracht zu ziehen, da sie davon ausgegangen sei, dass sie nicht in den Bereich ihrer Untersuchung in der Sache AT.39816 fielen.

380    Jedenfalls könnten die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen nicht die Bedenken ausräumen, die im Bereich der Untersuchung, wie er von der Kommission definiert worden sei, lägen, da die betroffenen Kunden, die Gas in Bulgarien liefern wollten, weder in der Lage noch veranlasst seien, das verkaufte Gas über die Lieferstellen in Negru Vodă (Rumänien) hinaus zu transportieren. Der Transportvertrag zwischen Bulgartransgaz und Gazprom reserviere nämlich 99,5 % der Transportkapazitäten in Bulgarien zugunsten von Gazprom, was die Großhändler anderer betroffener MOEL daran hindere, ihr Gas zwischen einer bestimmten Stelle von Negru Vodă und etwaigen Kunden in Bulgarien zu transportieren. Außerdem sehe der Gasliefervertrag zwischen Gazprom und Bulgargaz eine feste Kaufverpflichtung („Take-or-pay“-Verpflichtung) für erhebliche Gasmengen vor, die einen bedeutenden Teil des Bedarfs in Bulgarien und damit ein großes Eintrittshindernis für diese Großhändler darstellten. Schließlich seien die bulgarischen Kunden in der Regel durch langfristige Lieferverträge an ihre derzeitigen Lieferanten, in diesem Fall Bulgargaz, gebunden, so dass sie für diese Großhändler keine verfügbaren Kunden darstellten.

381    Die Kommission vertritt in erster Linie die Auffassung, dass die vorliegende Rüge unzulässig sei, wie bereits oben in den Rn. 303 und 321 dargelegt worden ist, und hilfsweise, dass sie unbegründet sei.

382    In ihren Antworten vom 26. November 2020 hat Overgas diese Unzulässigkeit in Abrede gestellt und im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Rechtsprechung es Streithelfern erlaube, eine breite Palette von Argumenten vorzutragen, und dass ihr gesamtes Vorbringen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Rechtsstreits stehe. Die Auslegung, die die Kommission diesem Gegenstand beimesse, würde die Streithilfeschriftsätze jeglichen Zwecks berauben, da sich Streithelfer darauf beschränken müssten, die Argumente der Hauptparteien zu wiederholen.

383    Hierzu ist festzustellen, dass, auch wenn sich die Klägerin auf die Auswirkungen der Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen auf Polen konzentriert hat, Overgas im Rahmen der vorliegenden Rüge die Angemessenheit eben dieser Verpflichtungszusagen in Frage stellt, so dass diese Rüge nicht über den Gegenstand des Rechtsstreits hinausgeht und als zulässig anzusehen ist.

384    Was die Begründetheit dieser Rüge anbelangt, so weist das Gericht darauf hin, dass, soweit Overgas Verpflichtungszusagen gewünscht haben sollte, die eine Diversifizierung der Gasversorgungsquellen sicherstellen, um der Abhängigkeit Bulgariens von russischem Gas entgegenzuwirken, solche Verpflichtungszusagen, worauf die Kommission hingewiesen hat, über den Umfang der Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen hinausgingen, wie er durch die in der MB dargelegten wettbewerbsrechtlichen Bedenken definiert ist. Diese Bedenken bezogen sich nicht auf eine Diversifizierung der Gasquellen, sondern betrafen insbesondere die Strategie von Gazprom, zu verhindern, dass ihr von einem ihrer Kunden geliefertes russisches Gas mit ihrem von anderen ihrer Kunden gelieferten russischen Gas im Wettbewerb steht (vgl. u. a. Rn. 250 der MB und Erwägungsgrund 160 des angefochtenen Beschlusses, wo von einem „Russian-on-Russian gas competition“ [Wettbewerb zwischen russischem Gas] die Rede ist).

385    Was darüber hinaus die Reservierung von 99,5 % der Kapazitäten des Netzes von Bulgartransgaz durch Gazprom anbelangt, ist festzustellen, dass die Kommission, ohne dass Overgas dem widersprochen hätte, darauf hingewiesen hat, dass diese Reservierung die Eingangsstellen von Negru Vodă betreffe und von der im vorletzten Absatz von Nr. 15 der endgültigen Verpflichtungszusagen für Gazprom vorgeschriebenen Verpflichtung zur Nutzung ihrer bestehenden Kapazitätsreservierungen gedeckt sei.

386    Was ferner die Bulgargaz angeblich auferlegten festen Kaufverpflichtungen anbelangt, so genügt der Hinweis, dass die Kommission zwar in der MB das Bestehen derartiger Verpflichtungen geprüft hat, insoweit aber keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken festgestellt hat, wie sich aus Erwägungsgrund 134 des angefochtenen Beschlusses ergibt. Zudem hindern diese festen Kaufverpflichtungen die betroffenen Gazprom-Kunden in der Slowakei oder Ungarn nicht daran, Gasmengen an andere Großhändler als Bulgargaz weiterzuverkaufen.

387    Schließlich ist das Vorbringen bezüglich der langfristigen Verträge, die die bulgarischen Kunden auf dem nachgelagerten Markt binden, zurückzuweisen, da diese Verträge nicht unter die in der MB dargelegten wettbewerbsrechtlichen Bedenken fallen. Außerdem erläutert Overgas weder, inwiefern etwaige Mängel auf diesen Märkten Gazprom zuzurechnen sein sollen, noch, welche Verpflichtungszusagen dieses Unternehmen hätte abgeben können, um die Wirkungen von Verträgen zu beseitigen, an denen es nicht beteiligt ist.

388    Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission den von Overgas behaupteten offensichtlichen Beurteilungsfehler, der darin bestehen soll, dass sie die Marktbedingungen in Bulgarien nicht hinreichend berücksichtigt habe, nicht begangen hat. Folglich ist die fünfte Rüge des zweiten Teils des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.

f)      Zur Nichtberücksichtigung der wahrscheinlichen und vorhersehbaren Entwicklung der Transitpolitik von Gazprom (sechste Rüge)

389    Nach Ansicht von Overgas berücksichtigen die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen insbesondere angesichts des Baus der Gasfernleitungen Nord Stream 2 und TurkStream die wahrscheinliche und vorhersehbare Entwicklung der Transitpolitik von Gazprom nicht gebührend, obwohl diese Entwicklung unmittelbare Auswirkungen auf die Wirksamkeit dieser Verpflichtungszusagen habe. Zudem könne die Ungewissheit hinsichtlich der Inbetriebnahme dieser Gasfernleitungen angesichts der bekannten Absichten von Gazprom und der den Gassektor kennzeichnenden Instabilität diesen Mangel nicht rechtfertigen.

390    Was konkret Bulgarien betreffe, hätte die Kommission bei der Ausarbeitung der Verpflichtungszusagen den Fall in Betracht ziehen müssen, dass Gazprom letztlich beschließen würde, ihren Transitvertrag mit dem ukrainischen Unternehmen Naftogaz nicht zu verlängern und stattdessen ihr Gas bis zu einer neuen Lieferstelle an der türkisch-bulgarischen Grenze zu befördern. Die Republik Türkei sei aber nicht Mitgliedstaat der Energiegemeinschaft, so dass die im Hoheitsgebiet dieses Staates gelegenen Lieferstellen dem Unionsrecht entzogen seien.

391    Die Kommission hält die vorliegende Rüge für unzulässig, hilfsweise für unbegründet.

392    Insoweit ist aus den oben in Rn. 383 dargelegten Gründen, und da sich die vorliegende Rüge von Overgas auf die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen bezieht, festzustellen, dass sie zulässig ist.

393    Was die Begründetheit dieser Rüge anbelangt, ist, soweit die Klägerin geltend macht, eine angebliche Entwicklung der „Transitpolitik“ von Gazprom drohe, die in Nr. 15 der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehenen Kombinationen hinfällig zu machen, festzustellen, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen, wie die Kommission zutreffend ausführt, die Möglichkeit vorsehen, eine der betreffenden Lieferstellen durch eine andere zu ersetzen, sollte Gazprom die Nutzung der ursprünglichen Lieferstelle beenden (Nr. 10 vierter Absatz der endgültigen Verpflichtungszusagen).

394    Zudem stellt der Umstand, dass sich eine neue Lieferstelle außerhalb des Gebiets der Union oder der Mitgliedstaaten der Energiegemeinschaft befindet, die Wirksamkeit der Verpflichtungszusagen nicht in Frage, da diese Wirksamkeit nicht von der Einhaltung des Unionsrechts durch den Netzbetreiber des betreffenden Drittlands abhängt, sondern daraus folgt, dass sie für Gazprom verbindlich sind.

395    Selbst wenn man im Übrigen annähme, dass Overgas mit der vorliegenden Rüge geltend machen möchte, dass die Kommission Verpflichtungszusagen speziell in Bezug auf den Bau und die Durchführung der Gasfernleitungen Nord Stream 2 und TurkStream hätte vorsehen müssen, genügt der Hinweis, dass die MB keine wettbewerbsrechtlichen Bedenken in Bezug auf diese Gasfernleitungen enthält.

396    Schließlich ist, soweit die Durchführung dieser Gasfernleitungen eine spürbare Änderung des Verhaltens von Gazprom auf den Gasmärkten der betroffenen MOEL mit sich bringen sollte, darauf hinzuweisen, dass dieser Umstand eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in einem für den Beschluss wesentlichen Punkt darstellen könnte und es der Kommission daher nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 ermöglichen könnte, das Verwaltungsverfahren wieder aufzunehmen. Jedoch stellt dieser Umstand keinen Gesichtspunkt dar, der die Annahme erlauben würde, dass die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler in Bezug auf die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen begangen hat.

397    Folglich ist die sechste Rüge des zweiten Teils des dritten Klagegrundes zurückzuweisen.

398    Soweit Overgas in der mündlichen Verhandlung betont hat, dass die Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen im Licht einer Gesamtwürdigung der Mängel und Unterlassungen, die mit den sechs oben geprüften Rügen vorgebracht worden seien, unzureichend seien, ist festzustellen, dass alle diese Rügen zurückgewiesen worden sind und selbst bei einer Gesamtbetrachtung nicht den Schluss zulassen, dass die Annahme dieser Verpflichtungszusagen mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler behaftet ist, ungeachtet dessen, dass die betroffenen Gazprom-Kunden nur unter bestimmten besonderen Umständen Änderungen der Lieferstelle in Anspruch nehmen können.

399    Nach alledem ist der zweite Teil des dritten Klagegrundes als insgesamt unbegründet zurückzuweisen.

3.      Zum dritten Teil des dritten Klagegrundes: Unangemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz

400    Nach Ansicht von Overgas stellen die Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz, wie sie in den Nrn. 7 und 8 der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehen sind, eine unangemessene Antwort auf die diesbezüglichen wettbewerbsrechtlichen Bedenken dar. Erstens habe die Kommission diese Bedenken in zwei Kategorien von Beschränkungen gegliedert, die Gazprom zum Vorwurf gemacht würden, nämlich Beschränkungen, die Gasausfuhren aus Bulgarien behindern würden, und Beschränkungen, die Gaseinfuhren in dieses Land behindern würden. Wie aus den Erwägungsgründen 167 bis 169 des angefochtenen Beschlusses hervorgehe, würden die Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz jedoch nur die Beschränkungen beseitigen, die Gaseinfuhren nach Bulgarien behindern würden.

401    Zweitens seien die Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz unangemessen, da sie gegen die tragenden Grundsätze der Unionsregelung betreffend den Gassektor verstießen. Der Gasliefervertrag zwischen Gazprom und Bulgargaz enthalte nämlich Klauseln, die gegen den in der Gasrichtlinie vorgesehenen Grundsatz der Trennung der Tätigkeiten eines Fernleitungsnetzbetreibers von den Tätigkeiten der Gasgewinnung oder ‑versorgung verstießen. Die genannten Verpflichtungszusagen schrieben jedoch nicht die Streichung dieser Klauseln vor.

402    Drittens ist Overgas der Ansicht, dass die Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz weder den Anforderungen von Rn. 128 der bewährten Vorgehensweisen noch denen der Rechtsprechung entsprächen, wonach Verpflichtungszusagen unmittelbar vollzugsfähig sein müssten und, wenn sie ohne die Zustimmung Dritter nicht umgesetzt werden könnten, das betreffende Unternehmen einen Nachweis für die Zustimmung des Dritten vorlegen müsse. Insbesondere sähen diese Verpflichtungszusagen entgegen diesen Anforderungen ausdrücklich vor, dass die Zustimmung Dritter, im vorliegenden Fall von Bulgargaz und Bulgartransgaz, eingeholt werden müsse (vgl. Nr. 7 Buchst. a und b der endgültigen Verpflichtungszusagen), und seien davon abhängig, dass Bulgartransgaz verschiedene Bedingungen einhalte (vgl. Nr. 7 Ziff. i bis iii der endgültigen Verpflichtungszusagen). Außerdem habe die Kommission Gazprom nicht aufgefordert, Beweise für die Bereitschaft dieser beiden Unternehmen zur Zusammenarbeit bei der Umsetzung dieser Verpflichtungszusagen vorzulegen.

403    Viertens seien die Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz außerdem unzureichend, da sie mehrdeutig seien. Der Wortlaut der einschlägigen Nummern dieser Verpflichtungszusagen lege nämlich die Verpflichtungen von Gazprom nicht klar fest und lasse der Auslegung zu viel Raum, was im Übrigen die Überwachung der Umsetzung der endgültigen Verpflichtungszusagen durch den hierzu bestellten Treuhänder erschwere.

404    Die Kommission hält diesen Teil, wie bereits oben in den Rn. 303 und 321 ausgeführt, in erster Linie für unzulässig. Hilfsweise stellt sie die Begründetheit des Vorbringens von Overgas in Abrede.

405    Nach der bereits oben in Rn. 114 angeführten Rechtsprechung sind Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der nach Art. 53 Abs. 1 dieser Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, und Art. 142 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts dahin auszulegen, dass eine Partei, die in einem beim Unionsrichter anhängigen Rechtsstreit als Streithelfer zugelassen wird, den Streitgegenstand, wie er durch die Anträge und die Klage- und Verteidigungsgründe der Hauptparteien umschrieben wird, nicht ändern kann. Folglich sind, wenn eine solche Partei andere Argumente als die von ihr unterstützte Hauptpartei vorbringen kann, nur solche Argumente zulässig, die sich in den durch diese Anträge und diese Klage- und Verteidigungsgründe festgelegten Rahmen einfügen.

406    Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass sich die von der Klägerin erhobene Klage auf die Wettbewerbssituation in Polen und die Auswirkungen der Verpflichtungszusagen mit transversaler Tragweite auf die Gasmärkte dieses Landes konzentriert. Mit den von der Klägerin in ihren Schriftsätzen und insbesondere im Rahmen des dritten Klagegrundes vorgebrachten Argumenten soll nämlich die Angemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen in Abrede gestellt werden, soweit sie Polen betreffen. Außerdem hat die Klägerin keine Argumente speziell zur Unangemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz vorgetragen.

407    Zweitens beziehen sich die Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz im Gegensatz zu den anderen von der Klägerin beanstandeten Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen – nämlich den Verpflichtungszusagen betreffend die Weiterverkaufs- und Wiederausfuhrbeschränkungen (Nrn. 5 und 6 der endgültigen Verpflichtungszusagen) und denjenigen betreffend die Lieferstellen (Abschnitt 1.2 und Nrn. 9 bis 17 der endgültigen Verpflichtungszusagen) – im Wesentlichen auf die Gasmärkte Bulgariens und können nicht in mehreren betroffenen MOEL Anwendung finden. Insoweit werden die Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz, die unter der Überschrift „Changes to the Bulgarian Gas System“ (Änderungen am bulgarischen Gassystem) aufgeführt sind, getrennt und als von den übrigen Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen unabhängig dargestellt. Entsprechend werden im angefochtenen Beschluss die genannten Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz, die in Abschnitt 7.1.2 dieses Beschlusses unter der Überschrift „The Commitment dealing with the Bulgarian gas system“ (Die Verpflichtung betreffend das bulgarische Gassystem) geprüft werden, getrennt von den beiden anderen Kategorien von Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen behandelt, die in den Abschnitten 7.1.1 und 7.1.3 des Beschlusses unter den Überschriften „The Commitment to remove territorial restrictions and measures of an effect equivalent to such restrictions“ (Die Verpflichtung, territoriale Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung wie solche Beschränkungen aufzuheben) und „The Commitment dealing with the changes of gas delivery points“ (Die Verpflichtung betreffend die Änderungen der Gaslieferstellen) geprüft werden.

408    Insoweit hat Overgas nicht dargelegt, inwiefern die Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz gegebenenfalls mit den anderen endgültigen Verpflichtungszusagen in Zusammenhang stehen sollen, die eine geografische Tragweite haben, die mehrere betroffene MOEL abdeckt. Aus dem Vorbringen von Overgas, insbesondere in ihren Antworten vom 26. November 2020, geht nicht hervor, dass die etwaige Unangemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz zwangsläufig Auswirkungen auf die Angemessenheit der übrigen endgültigen Verpflichtungszusagen, insbesondere derjenigen betreffend die territorialen Beschränkungen, hätte.

409    Diese Feststellung wird nicht durch das Vorbringen der Klägerin in Frage gestellt, wonach das Vorbringen von Overgas sich auf Fehler der Kommission beziehe, die auch Gasmärkte in anderen MOEL als Bulgarien beträfen. Die Klägerin beschränkt sich nämlich im Wesentlichen darauf, bestimmte Argumente von Overgas zu wiederholen, indem sie darauf hinweist, dass sie denen ähnlich seien, die sie selbst in Bezug auf die Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik vorgebracht habe, ohne jedoch darzulegen, wie mit diesen Argumenten dargetan werden könnte, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen über die Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz hinaus unangemessen sind.

410    Entgegen dem Vorbringen von Overgas ist somit davon auszugehen, dass der Streitgegenstand im vorliegenden Fall in Anbetracht des Inhalts des Vorbringens der Klägerin und der geografischen Tragweite der Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz nicht durch die Tragweite des angefochtenen Beschlusses insgesamt und durch die Gesamtheit der wettbewerbsrechtlichen Bedenken bestimmt wird, denen die endgültigen Verpflichtungszusagen entsprechen mussten.

411    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das Vorbringen von Overgas, mit dem die Angemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend das bulgarische Gasnetz in Abrede gestellt wird, über den Streitgegenstand hinausgeht, so dass der dritte Teil des dritten Klagegrundes als unzulässig zurückzuweisen ist.

412    Nach alledem ist der dritte Klagegrund insgesamt als teils unbegründet, teils unzulässig zurückzuweisen.

E.      Zum vierten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 194 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 7 AEUV, da der angefochtene Beschluss in Anbetracht seiner negativen Auswirkungen auf den europäischen Gaslieferungsmarkt den Zielen der Energiepolitik der Union zuwiderlaufe

413    Die Klägerin, unterstützt durch die Republik Polen, die Republik Litauen und Overgas, weist darauf hin, dass die Ziele der Energiepolitik der Union, die in Art. 194 Abs. 1 AEUV und in verschiedenen von den Unionsorganen veröffentlichten Dokumenten genannt seien, in Bezug auf den Gassektor insbesondere die Diversifizierung der Versorgungsquellen und der Transportwege für Gas sowie die Gewährleistung des freien Gasflusses zwischen Mitgliedstaaten zu einem angemessenen und wettbewerbsbestimmten Preis umfassten. Außerdem stelle Art. 194 Abs. 1 AEUV den Grundsatz der Energiesolidarität auf.

414    Die Kommission sei daher verpflichtet gewesen, beim Erlass des angefochtenen Beschlusses die Ziele der Energiepolitik der Union zu berücksichtigen, da sie Maßnahmen ergriffen habe, die die Struktur und die Bedingungen auf den Gasmärkten der Union für einen Zeitraum von mindestens acht Jahren festlegten, wobei diese Maßnahmen nach Art. 7 AEUV einer „vollständigen Beurteilung“ hätten unterzogen werden müssen, bei der ihre Vereinbarkeit mit diesen Zielen geprüft worden wäre. Ebenso müsse der angefochtene Beschluss einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden, die – über die Anforderungen hinaus, die der Unionsrichter bereits in Bezug auf nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 erlassene Entscheidungen festgelegt habe – die Prüfung seiner Vereinbarkeit mit Art. 194 AEUV umfasse.

415    Im Übrigen würden die Erwägungen des Gerichts im Urteil vom 10. September 2019, Polen/Kommission (T‑883/16, EU:T:2019:567, Rn. 70 bis 73), den von der Klägerin vertretenen Standpunkt bestätigen. Insbesondere ergebe sich daraus, dass der Grundsatz der Solidarität nicht auf außergewöhnliche Situationen beschränkt sei, sondern auch eine allgemeine Verpflichtung für die Union und ihre Mitgliedstaaten beinhalte, im Rahmen der Ausübung ihrer jeweiligen Befugnisse die Interessen der anderen Akteure zu berücksichtigen. Außerdem unterscheide sich dieser Grundsatz von den etwaigen besonderen Anforderungen, die für die Kommission beim Erlass von Beschlüssen gälten, die auf Bestimmungen des abgeleiteten Rechts gestützt seien. Somit hätte die Kommission im Hinblick auf den Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht nur die Angemessenheit der Verpflichtungszusagen prüfen, sondern auch das Interesse der Union gegen die Interessen der von den Praktiken von Gazprom betroffenen Mitgliedstaaten abwägen müssen.

416    Der angefochtene Beschluss verstoße aber gegen die Ziele der Energiepolitik und den Grundsatz der Energiesolidarität und entbehre in diesen Punkten einer Begründung, was umso bestürzender sei, als die Kommission die Anwendung der endgültigen Verpflichtungszusagen für einen Zeitraum von acht Jahren bestätigt habe, ohne auch nur den geringsten Mechanismus vorzusehen, der ihre schnelle Anpassung an die Entwicklung der Gasmärkte ermöglichen würde. Zudem liefe der von der Kommission befürwortete Ansatz darauf hinaus, dass ihre quasi-regulatorische Tätigkeit im vorliegenden Fall nicht anhand anderer, ebenfalls im AEU‑Vertrag festgelegter Ziele beurteilt würde, und würde ihr ermöglichen, die Verwirklichung der in Art. 194 AEUV festgelegten Ziele zu neutralisieren. Die Klägerin hebt insbesondere Folgendes hervor:

–        Erstens habe die Kommission die Abhängigkeit der betroffenen MOEL von Gaseinfuhren und den problematischen Einfluss von Gazprom auf die Gasinfrastruktur, die diese Region versorge und umgehe, nicht ausreichend berücksichtigt, obwohl diese Situation mit dem „dritten Energiepaket“ unvereinbar sei, das eine Trennung zwischen den Tätigkeiten des Netzbetriebs und denen der Gasgewinnung oder ‑lieferung verlange;

–        zweitens habe die Kommission verschiedene Praktiken von Gazprom, von denen sie Kenntnis gehabt habe, außer Acht gelassen und es daher abgelehnt, die Interessen bestimmter Mitgliedstaaten zu berücksichtigen, so dass nichts gegen die Kürzungen der Gaslieferungen unternommen worden sei, die die Wiedereinfuhren in die Ukraine im Winter 2014/2015 verhindert hätten, sowie gegen die Maßnahmen zur Blockierung der Einrichtung von Transporten in Gegenflussrichtung an den Grenzen zwischen Polen und der Ukraine sowie zwischen der Slowakei und der Ukraine;

–        drittens habe die Kommission Servicegebühren akzeptiert, die vollkommen von den tatsächlichen Kosten, die Gazprom für eine Änderung einer Lieferstelle entstanden seien, losgelöst seien;

–        viertens stehe der angefochtene Beschluss nicht im Einklang mit den Zielen der Energiepolitik der Union, da die endgültigen Verpflichtungszusagen die Ungleichbehandlung zwischen den Märkten der betroffenen MOEL und den westeuropäischen Märkten verstärken würden.

417    Die Kommission ist der Ansicht, dass der vierte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen sei.

418    Nach Art. 7 AEUV achtet die Union auf die Kohärenz zwischen ihrer Politik und ihren Maßnahmen in den verschiedenen Bereichen und trägt dabei unter Einhaltung des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung ihren Zielen in ihrer Gesamtheit Rechnung. Diese Ziele umfassen die in Art. 194 Abs. 1 AEUV genannten Ziele, d. h. insbesondere die Ziele der Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Union und der Förderung der Interkonnexion der Energienetze.

419    Im Bereich des Wettbewerbs hat der Unionsrichter bereits festgestellt, dass Ziele, die mit anderen Bestimmungen des Vertrags verfolgt werden, bei der Feststellung, ob eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV vorliegt, berücksichtigt werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2011, Football Association Premier League u. a., C‑403/08 und C‑429/08, EU:C:2011:631, Rn. 139 und die dort angeführte Rechtsprechung); Gleiches gilt für die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Oktober 1977, Metro SB-Großmärkte/Kommission, 26/76, EU:C:1977:167, Rn. 43, vom 15. Juli 1994, Matra Hachette/Kommission, T‑17/93, EU:T:1994:89, Rn. 139, und vom 11. Juli 1996, Métropole télévision u. a./Kommission, T‑528/93, T‑542/93, T‑543/93 und T‑546/93, EU:T:1996:99, Rn. 118).

420    Daraus folgt, dass die Kommission bei einem Verfahren nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 im Rahmen ihrer vorläufigen Beurteilung insbesondere Ziele berücksichtigen könnte, die mit anderen Bestimmungen des Vertrags verfolgt werden, um vorläufig zu dem Schluss zu gelangen, dass keine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Dezember 2020, Groupe Canal +/Kommission, C‑132/19 P, EU:C:2020:1007, Rn. 46 bis 54). Bei der Prüfung von Verpflichtungszusagen beschränkt sich die Kommission jedoch darauf, zum einen zu prüfen, ob diese Verpflichtungszusagen die von der Kommission gegenüber dem betroffenen Unternehmen mitgeteilten Bedenken ausräumen, und zum anderen, ob dieses Unternehmen keine weniger belastenden Verpflichtungszusagen angeboten hat, die den Bedenken ebenfalls in angemessener Weise gerecht würden (vgl. in diesem Sinne Urteil Alrosa, Rn. 40 und 41, und Urteil Morningstar, Rn. 45), auch wenn das Verfahren nicht zu einem Ergebnis führen darf, das zu den besonderen Vorschriften des Vertrags im Widerspruch steht (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteile vom 19. September 2000, Deutschland/Kommission, C‑156/98, EU:C:2000:467, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 15. April 2008, Nuova Agricast, C‑390/06, EU:C:2008:224, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

421    Im vorliegenden Fall geht aus den oben in Rn. 416 dargelegten Elementen hervor, dass die Klägerin der Kommission in Wirklichkeit vor allem vorwirft, dass sie sich geweigert habe, bestimmte besorgniserregende Verhaltensweisen von Gazprom im Gassektor zu untersuchen, und dass sie Verpflichtungszusagen akzeptiert habe, die im Hinblick auf die in der MB dargelegten Praktiken dieses Unternehmens unzureichend oder unangemessen gewesen seien.

422    Soweit die Klägerin die endgültigen Verpflichtungszusagen beanstandet, weil sie die genannten Praktiken nur unzureichend beseitigen würden, wurde diese Kritik jedoch im Wesentlichen bereits im Rahmen der Behandlung des ersten bis dritten Klagegrundes der vorliegenden Klage zurückgewiesen. Im Übrigen war die Kommission im Rahmen ihrer von Amts wegen in der Sache AT.39816 eingeleiteten Untersuchung nicht verpflichtet, zur Berücksichtigung der Ziele der Energiepolitik der Union mehr Praktiken von Gazprom zu untersuchen oder von Gazprom verbindlichere Verpflichtungszusagen zu verlangen. Die etwaige Berücksichtigung dieser Ziele bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln der Union kann es nicht rechtfertigen, der Kommission solche positiven Verpflichtungen aufzuerlegen.

423    Soweit die Klägerin außerdem geltend macht, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen als solche gegen die Ziele der Energiepolitik oder den Grundsatz der Energiesolidarität verstoßen würden, weist sie dies nicht nach. Anders als sie andeutet, frieren der angefochtene Beschluss und diese Verpflichtungszusagen nämlich die Situation auf den betroffenen Märkten nicht ein und hindern die Organe der Union oder die Mitgliedstaaten in keiner Weise daran, auf andere Weise tätig zu werden, um den von ihr festgestellten Problemen gerecht zu werden. Insbesondere können die Organe der Union oder die nationalen Regulierungsbehörden im Gassektor eingreifen, um die Regelung in diesem Sektor zu ändern oder gegebenenfalls die Einhaltung dieser Regelung sicherzustellen, möglicherweise in dem von der Klägerin gewünschten Sinne.

424    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union am 17. April 2019 die Richtlinie (EU) 2019/692 zur Änderung der Richtlinie 2009/73 (ABl. 2019, L 117, S. 1) erlassen haben, deren Ziel es nach ihrem dritten Erwägungsgrund u. a. ist, Hindernisse für die Vollendung des Erdgasbinnenmarktes zu beseitigen, die sich aus der Nichtanwendung – vor ihrem Erlass – der Marktvorschriften der Union auf Gasfernleitungen aus Drittländern und in Drittländer ergeben.

425    Außerdem können die nationalen Wettbewerbsbehörden die angeblich wettbewerbswidrigen Praktiken von Gazprom untersuchen, zu denen, wie oben in Rn. 133 ausgeführt worden ist, die Praktiken gehören, auf die sich die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission im vorliegenden Fall beziehen.

426    Schließlich könnte die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerin gegebenenfalls von der in Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen, das Verfahren wieder zu eröffnen, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt, u. a. im Fall der Entwicklung der Gasmärkte, geändert haben.

427    Soweit die Klägerin im Übrigen geltend macht, dass die Kommission den angefochtenen Beschluss in Bezug auf die Frage seiner Vereinbarkeit mit Art. 194 Abs. 1 AEUV hätte begründen müssen, ist diese Rüge zurückzuweisen. In Anbetracht der oben in Rn. 121 angeführten Rechtsprechung zur Begründung von Rechtsakten kann von der Kommission nämlich nicht erwartet werden, dass sie systematisch die Gründe darlegt, aus denen der angefochtene Beschluss mit sämtlichen spezifischen Bestimmungen der Verträge vereinbar ist, die, ohne die Rechtsgrundlage des betreffenden Rechtsakts darzustellen, potenziell einen Zusammenhang mit dem tatsächlichen und rechtlichen Kontext dieses Rechtsakts haben sollen, insbesondere wenn, wie im vorliegenden Fall, die Klägerin im Lauf des Verwaltungsverfahrens, das zum angefochtenen Beschluss führte, keine Stellungnahme zur Unvereinbarkeit der ursprünglichen Verpflichtungszusagen mit dieser Bestimmung abgegeben hat.

428    Nach alledem ist der vierte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

F.      Zum fünften Klagegrund: Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV und den Grundsatz der Gleichbehandlung, da die Kommission die in den westeuropäischen Mitgliedstaaten tätigen Gazprom-Kunden und die in den betroffenen MOEL tätigen Gazprom-Kunden ungleich behandelt habe

429    Die Klägerin, unterstützt durch die Republik Polen, macht geltend, der angefochtene Beschluss verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Dieser Beschluss, der sich mittelbar auf den Grad der Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie des freien Waren- und Kapitalverkehrs auswirke, führe zu einer Diskriminierung der Kunden, die einen langfristigen Gasliefervertrag mit Gazprom abgeschlossen hätten, aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit, da die in den betroffenen MOEL ansässigen Kunden anders behandelt würden als die in Westeuropa ansässigen Kunden.

430    Die Gazprom-Kunden in den betroffenen MOEL befänden sich nämlich in einer vergleichbaren Situation wie die in Westeuropa ansässigen Gazprom-Kunden, da beide Gruppen von Kunden nicht nur von Gazprom beliefert würden, sondern auch sämtlich in Mitgliedstaaten ansässig seien und die Unionsvorschriften keine Unterscheidung zwischen diesen beiden Regionen vorsähen. Im Übrigen würde diese Feststellung noch durch den Wortlaut der Preisleitlinien bestätigt, der sich auf das Preisniveau im kontinentalen Westeuropa beziehe. Schließlich habe die Kommission selbst in der MB bestätigt, dass sich alle diese Kunden in vergleichbaren Situationen befänden.

431    Obwohl es keinen objektiven Grund für eine Ungleichbehandlung all dieser Kunden gebe, verstärkten die endgültigen Verpflichtungszusagen die Unterscheidung zwischen diesen Kunden, indem sie auf den Märkten der betroffenen MOEL im Vergleich zu den westeuropäischen Märkten weniger wettbewerbsorientierte Marktbedingungen aufrechterhielten. Insbesondere seien die Gazprom-Kunden in den betroffenen MOEL nicht gegen die Rückkehr überhöhter Preise geschützt, im Gegensatz zu den Kunden in Westeuropa, die zwar ebenfalls anhand der Preise von Erdölerzeugnissen indexierten Preisformeln unterlägen, diesem Risiko aber aufgrund des Wettbewerbs zwischen Gasanbietern auf diesen westeuropäischen Märkten entgingen.

432    Die Kommission ist der Ansicht, dass der fünfte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen sei.

433    Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Gleichbehandlung bzw. das Diskriminierungsverbot, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, es sei denn, eine derartige Behandlung ist objektiv gerechtfertigt (Urteile vom 26. Juli 2017, AGC Glass Europe u. a./Kommission, C‑517/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:598, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 12. Juli 2018, Prysmian und Prysmian Cavi e Sistemi/Kommission, T‑475/14, EU:T:2018:448, Rn. 144 und die dort angeführte Rechtsprechung).

434    Im vorliegenden Fall ist ungeachtet der von der Klägerin und der Republik Polen vorgebrachten Erwägungen und selbst wenn man annähme, dass es möglich ist, die in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Gazprom-Kunden in zwei Gruppen einzuteilen, festzustellen, dass die Situationen, in denen sich die in den betroffenen MOEL ansässigen Kunden und die in Westeuropa ansässigen Kunden befanden, nicht vergleichbar waren.

435    Aus der von der Kommission im Rahmen der Sache AT.39816 durchgeführten Untersuchung und insbesondere aus den in der MB enthaltenen und von der Klägerin und der Republik Polen nicht bestrittenen vorläufigen Feststellungen geht nämlich hervor, dass sich die Situation auf den europäischen Gasmärkten zwischen Westeuropa und den betroffenen MOEL erheblich unterschied. Während insbesondere die in den westeuropäischen Ländern ansässigen Unternehmen Gas von anderen Unternehmen als Gazprom beziehen konnten und die Gasnetze dieser Länder miteinander verbunden waren, waren die betroffenen MOEL in hohem Maße von Gaslieferungen von Gazprom abhängig, und die Gasversorgungsfernleitungen waren von Ost nach West konzipiert (vgl. insbesondere Rn. 121, 136 und 489 bis 491 der MB).

436    Diese Schlussfolgerung wird nicht durch die in Rn. 488 der MB enthaltene Feststellung in Frage gestellt, dass „die Gasmärkte der EU [mit Ausnahme von Zypern und Malta] und der MOEL“ aufgrund der geografischen Nähe und der Ähnlichkeiten im Regelungsumfeld „als hinreichend vergleichbar angesehen werden können“. Zwar hatte die Kommission einen gewissen Grad an Vergleichbarkeit zwischen den MOEL und dem Rest der Union festgestellt, aber zum einen geschah dies vor dem Hintergrund eines Vergleichs der Gaspreise in Europa mit denen in den USA, und zum anderen hatte die Kommission auch festgestellt, dass die Wettbewerbssituation auf den nationalen Märkten in der Union erhebliche Unterschiede aufwies.

437    Was die in Nr. 19 Ziff. iii der endgültigen Verpflichtungszusagen vorgesehenen Preisleitlinien betrifft (die insbesondere oben im Rahmen des dritten Teils des dritten Klagegrundes untersucht worden sind), so widerlegt der Verweis darin auf die in Westeuropa geltenden Wettbewerbspreise eher die Feststellung, dass sich die Gazprom-Kunden in dieser Region in einer vergleichbaren Lage wie die Kunden in den betroffenen MOEL befanden, als dass er sie bestätigen würde. Wären nämlich alle diese in der Union tätigen Kunden in einer vergleichbaren Lage gewesen, wäre es nicht erforderlich gewesen, eine solche Verpflichtungszusage vorzusehen, die speziell darauf abzielt, eine Annäherung zwischen den für die Kunden in den betroffenen MOEL geltenden Preisen und den für die in Westeuropa tätigen Kunden geltenden Preisen fortzuführen oder zu gewährleisten.

438    Soweit die Klägerin geltend macht, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen eine Differenzierung zwischen Kunden, die in den betroffenen MOEL tätig seien, und Kunden, die in Westeuropa tätig seien, verstärke, ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass die Kommission bei der Annahme der endgültigen Verpflichtungszusagen nicht das Ziel verfolgen musste, den Erstgenannten gleiche Marktbedingungen wie diejenigen zu bieten, unter denen die Zweitgenannten tätig sind, sondern sicherstellen musste, dass die Verpflichtungszusagen die festgestellten Wettbewerbsbedenken ausräumen.

439    Daraus folgt, dass die Kommission, da sich die in Westeuropa tätigen Gazprom-Kunden und die in den betroffenen MOEL tätigen Kunden während des vom Verfahren in der Sache AT.39816 erfassten Zeitraums in unterschiedlichen Situationen befanden, entgegen dem Vorbringen der Klägerin diese beiden Gruppen von Kunden beim Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht in unzulässiger Weise unterschiedlich behandelt hat.

440    Nach alledem ist der fünfte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

G.      Zum sechsten Klagegrund: Befugnismissbrauch und Verletzung wesentlicher Formvorschriften, da die Kommission mit dem angefochtenen Beschluss das Ziel von Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 und die Grenzen ihrer Befugnisse bei der Durchführung des Verwaltungsverfahrens verkannt habe

441    Die Klägerin, unterstützt durch die Republik Polen, macht geltend, der angefochtene Beschluss stelle einen Befugnismissbrauch dar und verletze verschiedene Verfahrensrechte und sogar wesentliche Formvorschriften im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Beschwerde. Der Befugnismissbrauch sei durch eine Reihe von Umständen belegt, die den Ablauf des Verfahrens in der Sache AT.39816 gekennzeichnet hätten, durch Unregelmäßigkeiten bei der Behandlung der Jamal-Beschwerdepunkte und durch die genannten Verstöße.

442    Nach Ansicht der Kommission ist der sechste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

443    Vor der Prüfung, ob ein Befugnismissbrauch vorliegt, sind nacheinander die vorgetragenen Umstände, die angeblichen Unregelmäßigkeiten und die angeblichen Verletzungen von Verfahrensrechten zu prüfen.

1.      Zu den den Ablauf des Verfahrens in der Sache AT.39816 kennzeichnenden Umständen

444    Die Klägerin, unterstützt durch die Republik Polen, macht geltend, dass drei Umstände auf einen Befugnismissbrauch hinwiesen. Erstens gehe es um die zwischen 2013 und 2017 erfolgten Änderungen des Standpunkts der Kommission zu der Möglichkeit, auf Verpflichtungszusagen zurückzugreifen, die im vorliegenden Kontext Zweifel an der Beurteilung der „tatsächlichen Bereitschaft“ – im Sinne von Rn. 121 der bewährten Vorgehensweisen – von Gazprom, Verpflichtungszusagen anzubieten, aufkommen ließen.

445    Zweitens weist die Klägerin auf die ungewöhnliche Umrahmung des angefochtenen Beschlusses durch Pressemitteilungen und öffentliche Erklärungen hin, in denen die positiven Auswirkungen dieses Beschlusses übertrieben dargestellt würden und die daher darauf abzielten, von den ihrer Ansicht nach begangenen Unregelmäßigkeiten abzulenken.

446    Drittens belege die Durchführung bestimmter Verfahrensschritte als „bloße Formalitäten“ noch den geltend gemachten Befugnismissbrauch. Zum einen seien die nach der Marktbefragung eingegangenen Stellungnahmen insoweit unberücksichtigt geblieben, als sie über den Umfang der ursprünglichen Verpflichtungszusagen von Gazprom hinausgingen, und es seien nur geringfügige Änderungen in den endgültigen Verpflichtungszusagen vorgenommen worden. Zum anderen zeigten der (späte) Versand des Schreibens betreffend die beabsichtigte Abweisung und die Zustimmung zu den Verpflichtungszusagen von Gazprom, die bereits neun Werktage nach Erhalt der Stellungnahme der Klägerin als Antwort auf dieses Schreiben erfolgt sei, dass die Kommission ihren Standpunkt im Voraus festgelegt habe und keine wettbewerbspolitischen Ziele mehr verfolgt habe.

447    Die Kommission bestreitet die Erheblichkeit dieser Behauptungen.

448    Hierzu stellt das Gericht fest, dass die ersten beiden von der Klägerin angeführten Umstände als solche nicht ungewöhnlich oder besonders sind. Erstens ist die Kommission berechtigt, ihren Standpunkt zu der Möglichkeit, auf Verpflichtungszusagen zurückzugreifen, während des Verfahrens zu ändern, was die Klägerin selbst einräumt, so dass dieser Umstand als solcher nicht geeignet ist, Zweifel an der Gültigkeit der Beurteilung der tatsächlichen Bereitschaft Gazproms, Verpflichtungszusagen anzubieten, hervorzurufen.

449    Zweitens ist die Veröffentlichung von Pressemitteilungen im Rahmen von Wettbewerbsverfahren ausdrücklich vorgesehen, wie aus den Rn. 20, 76, 91, 129 und 147 der bewährten Vorgehensweisen hervorgeht, und Erklärungen des für Wettbewerb zuständigen Kommissionsmitglieds nach Abschluss eines Wettbewerbsverfahrens können nicht als unangemessen angesehen werden, insbesondere in einem Fall, der erhebliche Folgen hat, da er acht Mitgliedstaaten und einen wichtigen Energiesektor betraf. Außerdem wird nicht behauptet, dass der Inhalt der Pressemitteilungen und der Erklärungen zum angefochtenen Beschluss diesem nicht entsprächen.

450    Was ferner die Durchführung bestimmter Verfahrensschritte in der Sache AT.39816 als angeblich „bloße Formalitäten“ betrifft, so ist zum einen festzustellen, dass aus dem angefochtenen Beschluss hervorgeht, dass die im Rahmen der Marktbefragung eingegangenen Stellungnahmen berücksichtigt wurden. Dies wird nicht dadurch in Frage gestellt – sondern vielmehr bestätigt –, dass die Kommission in diesem Beschluss ausdrücklich klarstellt, dass sie bestimmte Stellungnahmen mit der Begründung zurückgewiesen habe, dass sie über die Tragweite der ursprünglichen Verpflichtungszusagen hinausgingen.

451    Was zum anderen die Behauptung betrifft, die endgültigen Verpflichtungszusagen seien akzeptiert worden, ohne die Antwort der Klägerin auf das Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung zu berücksichtigen, da zwischen dem Eingang dieser Antwort bei der Kommission und der Annahme der Verpflichtungszusagen durch diese nur neun Werktage verstrichen seien, genügt die Feststellung, dass diese Behauptung auf einer unrichtigen Gleichsetzung des Erhalts der endgültigen Verpflichtungszusagen am 15. März 2018 mit deren späteren Annahme beruht. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass die Kommission diese Verpflichtungszusagen sofort angenommen hätte, und in diesem fortgeschrittenen Stadium des Verfahrens kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass die Kommission in der Lage war, die genannte Antwort zu prüfen und dazu sowie zu den genannten Verpflichtungszusagen innerhalb eines solchen Zeitraums Stellung zu nehmen.

2.      Zu Unregelmäßigkeiten bei der Behandlung der Jamal-Beschwerdepunkte

452    Der von der Klägerin und der Republik Polen behauptete Befugnismissbrauch soll auch durch die verschiedenen Unregelmäßigkeiten belegt sein, die die Behandlung der Jamal-Beschwerdepunkte und insbesondere die Beurteilung der Angemessenheit der Verpflichtungszusagen von Gazprom kennzeichnen würden. Im Übrigen versuche die Kommission in mehrfacher Hinsicht, diese Unregelmäßigkeiten im Nachhinein zu rechtfertigen.

453    Erstens handele es sich um den Umstand, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen angenommen worden seien, obwohl diese unter Verstoß gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 nicht alle in der MB dargelegten Bedenken abdeckten, so dass die Kommission Gazprom im Wesentlichen gestattet habe, zu den Jamal-Beschwerdepunkten keine Verpflichtungszusagen abzugeben. Insoweit habe die Kommission die Angemessenheit der Verpflichtungszusagen offensichtlich unzutreffend beurteilt, da sie relevante Umstände außer Acht gelassen habe, wie die Beurteilung der Zertifizierungsentscheidung zeige, die im Widerspruch zum Inhalt dieses Beschlusses und im Widerspruch zu dem vom Präsidenten der polnischen Regulierungsbehörde bei der Marktbefragung geäußerten Standpunkt stehe.

454    Zweitens rügt die Klägerin die Verletzung der Rechte Dritter durch die willkürliche De-facto-Änderung der wettbewerbsrechtlichen Bedenken – ohne Anpassung der MB – in Verbindung mit der überlangen Verfahrensdauer, während die Möglichkeiten, vor den Wettbewerbsbehörden und den nationalen Gerichten tätig zu werden, dadurch gelähmt worden seien, dass die Kommission die Jamal-Beschwerdepunkte dem Anschein nach geprüft habe.

455    Drittens hätte die Kommission – da die Abweisung der Beschwerde auf einer Auffassung vom Einwand staatlichen Handelns beruht habe, die, soweit sie die Anwendung dieses Einwands im Fall von Zwang durch einen Drittstaat zulasse, Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Unionsrechts habe – sowohl den angefochtenen Beschluss im vorliegenden Fall als auch den Beschluss über die Abweisung der Beschwerde in der Sache AT.40497 auf Art. 10 der Verordnung Nr. 1/2003 stützen müssen.

456    Viertens weist die Republik Polen darauf hin, dass die Gründe zur Rechtfertigung des Verzichts auf die wettbewerbsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Jamal-Gasfernleitung unzureichend oder sogar irreführend seien, da dieser Verzicht mit der Anwendbarkeit des Einwands staatlichen Handelns gerechtfertigt worden sei, obwohl im angefochtenen Beschluss nur lakonisch und unzureichend auf diesen Einwand Bezug genommen worden sei. In Wirklichkeit begründe dieser Beschluss diesen Verzicht im Wesentlichen mit bestimmten Feststellungen in der Zertifizierungsentscheidung.

457    Fünftens macht die Republik Polen geltend, die Kommission habe die Mitgliedstaaten dadurch irregeführt, dass sie es unter Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und Art. 14 der Verordnung Nr. 1/2003 unterlassen habe, die Frage des Einwands staatlichen Handelns dem Beratenden Ausschuss vorzulegen. In diesem Sinne macht die Klägerin einen Verstoß gegen Art. 27 Abs. 4 dieser Verordnung geltend, da die interessierten Parteien auch hinsichtlich der wahren Gründe, die die Kommission dazu veranlasst hätten, auf die Jamal-Beschwerdepunkte zu verzichten, irregeführt worden seien.

458    Die Kommission bestreitet diese Unregelmäßigkeiten. Das Vorbringen, mit dem die fünfte Unregelmäßigkeit begründet werde, sei unzulässig, da es, soweit es von der Republik Polen stamme, mit dem sechsten Klagegrund nichts zu tun habe und den Streitgegenstand verändere und, soweit es von der Klägerin übernommen und weiterentwickelt worden sei, ein neues Angriffsmittel darstelle.

459    Insoweit ist das Gericht der Auffassung, dass die Klägerin mit der ersten geltend gemachten Unregelmäßigkeit im Wesentlichen die Rügen wiederholt, die im Rahmen des ersten Teils des ersten Klagegrundes behandelt worden sind. Da dieser Teil zurückgewiesen worden ist (siehe oben, Rn. 86 bis 110), ist festzustellen, dass diese Unregelmäßigkeit nicht erwiesen ist.

460    Was die zweite geltend gemachte Unregelmäßigkeit anbelangt, die sich auf die Beeinträchtigung der Rechte Dritter durch die De-facto-Änderung der wettbewerbsrechtlichen Bedenken in Verbindung mit der überlangen Verfahrensdauer bezieht, so entspricht diese Unregelmäßigkeit im Wesentlichen der Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, die im Rahmen des zweiten Teils des ersten Klagegrundes zurückgewiesen worden ist, und ist daher als unbegründet zurückzuweisen. Soweit die zweite Unregelmäßigkeit auf eine angeblich überlange Dauer des Verfahrens in der Sache AT.39816 gestützt wird, genügt die Feststellung, dass die Klägerin zum einen nicht nachgewiesen hat, dass dieses Verfahren eine angemessene Verfahrensdauer überschritten hätte, und zum anderen keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen hat, dass sich diese angebliche überlange Dauer auf das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses ausgewirkt hätte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Mai 2014, Bolloré/Kommission, C‑414/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:301, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).

461    In Bezug auf die dritte geltend gemachte Unregelmäßigkeit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1/2003, wenn es aus Gründen des öffentlichen Interesses der Union im Bereich der Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV erforderlich ist, die Kommission von Amts wegen durch Beschluss feststellen kann, dass Art. 101 AEUV auf eine Vereinbarung, einen Beschluss einer Unternehmensvereinigung oder eine abgestimmte Verhaltensweise keine Anwendung findet, weil die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht vorliegen oder weil die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllt sind. Die Kommission kann eine solche Feststellung auch in Bezug auf Art. 102 AEUV treffen. Außerdem geht aus dem 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003 hervor, dass Art. 10 dieser Verordnung in Ausnahmefällen Anwendung finden soll, um die Rechtslage zu klären und eine einheitliche Rechtsanwendung in der Union sicherzustellen.

462    Daraus folgt, dass die Kommission in keiner Weise verpflichtet war, einen Beschluss nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1/2003 zu erlassen, selbst wenn man annähme, dass ihre Anwendung des Einwands staatlichen Handelns, nämlich in einer Situation, in der ein Drittstaat beteiligt ist, neu oder besonders war und zur Nichtanwendung von Art. 102 AEUV geführt hätte. Daher kann ihr nicht vorgeworfen werden, dass sie den angefochtenen Beschluss nicht auch auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassen hat.

463    Was die vierte geltend gemachte Unregelmäßigkeit betrifft, die sich auf eine unzureichende Begründung des angefochtenen Beschlusses bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht im Rahmen der Behandlung des zweiten Teils des ersten Klagegrundes festgestellt hat, dass die im 138. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses enthaltene Begründung hinsichtlich des mit der Zertifizierungsentscheidung zusammenhängenden Grundes ausreichend war und dass das Vorbringen zur Unzulänglichkeit der Begründung des zweiten, mit den Übereinkommen zwischen Polen und Russland zusammenhängenden Grundes in Anbetracht der Eigenständigkeit der beiden in diesem Erwägungsgrund angeführten Gründe ins Leere geht (siehe oben, Rn. 123 und 124). Aus dieser Eigenständigkeit der beiden Gründe ergibt sich ferner, dass das Argument der Klägerin, wonach entgegen dem, was aus dem genannten Erwägungsgrund hervorgehe, der Hauptgrund für den Verzicht auf die Jamal-Beschwerdepunkte der mit den genannten Übereinkommen und dem genannten Einwand zusammenhängende Grund und nicht der mit der Zertifizierungsentscheidung zusammenhängende Grund sei, ebenfalls zurückzuweisen ist.

464    Was schließlich die fünfte Unregelmäßigkeit betrifft, so beziehen sich darauf im Wesentlichen zwei verschiedene Argumente, mit denen geltend gemacht wird, dass die Kommission, da sie nicht ausdrücklich dargelegt habe, dass sie sich auf die Anwendung des Einwands staatlichen Handelns berufen habe, zum einen die Mitgliedstaaten unter Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und Art. 14 der Verordnung Nr. 1/2003 und zum anderen die interessierten Parteien unter Verstoß gegen Art. 27 Abs. 4 dieser Verordnung irregeführt habe.

465    Ohne dass die Zulässigkeit dieser beiden Argumente geprüft zu werden bräuchte, ist festzustellen, dass sie jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen sind. Was das Argument betrifft, die Kommission habe die Mitgliedstaaten irregeführt, sind nämlich die behaupteten Verstöße gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und gegen Art. 14 der Verordnung Nr. 1/2003 zusammen zu prüfen, da, was die Beziehungen anbelangt, zu denen es im Rahmen der von der Kommission nach den Art. 101 und 102 AEUV geführten Verfahren kommt, die Modalitäten für die Durchführung der Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit u. a. in den Art. 11 bis 16 dieser Verordnung in Kapitel IV („Zusammenarbeit“) präzisiert wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. März 2012, Spanien/Kommission, T‑398/07, EU:T:2012:173, Rn. 47).

466    Insoweit stellt zwar die Anhörung des Beratenden Ausschusses nach Art. 14 der Verordnung Nr. 1/2003 ein wesentliches Formerfordernis dar, doch kann im vorliegenden Fall nicht von einem Verhalten die Rede sein, das diesen Ausschuss daran gehindert hätte, seine Stellungnahme in voller Kenntnis der Sachlage abzugeben, und somit auch nicht von einem die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses beeinträchtigenden Verstoß. Denn auch wenn der Begriff des Einwands staatlichen Handelns darin nicht ausdrücklich erwähnt ist, ließ sich anhand des Wortlauts des letzten Satzes des 138. Erwägungsgrundes des dem Beratenden Ausschuss übersandten vorläufigen Entscheidungsvorschlags, der mit dem angefochtenen Beschluss identisch war, der mit den Übereinkommen zwischen Polen und Russland zusammenhängende Grund im Wesentlichen nachvollziehen, nämlich dass die Kommission Zweifel daran hatte, dass Gazprom die Jamal-Beschwerdepunkte zuzurechnen sind. Außerdem hätten die Vertreter der Mitgliedstaaten bei der Anhörung des Beratenden Ausschusses gegebenenfalls Vorbehalte gegen die Gründe für den Verzicht auf diese Beschwerdepunkte äußern und die Kommission insbesondere dazu, wie der in diesem letzten Satz genannte Grund zu verstehen ist, oder zur mangelnden Subtantiiertheit dieses Grundes befragen können. Folglich ist der Beratende Ausschuss nicht durch Ungenauigkeiten oder Auslassungen in einem wesentlichen Punkt irregeführt worden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juli 1991, RTE/Kommission, T‑69/89, EU:T:1991:39, Rn. 21 bis 23, vom 15. März 2000, Cimenteries CBR u. a./Kommission, T‑25/95, T‑26/95, T‑30/95 bis T‑32/95, T‑34/95 bis T‑39/95, T‑42/95 bis T‑46/95, T‑48/95, T‑50/95 bis T‑65/95, T‑68/95 bis T‑71/95, T‑87/95, T‑88/95, T‑103/95 und T‑104/95, EU:T:2000:77, Rn. 742, und vom 12. Dezember 2018, Servier u. a./Kommission, T‑691/14, mit Rechtsmittel angefochten, EU:T:2018:922, Rn. 148 und 149 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

467    Da der Verzicht auf die Jamal-Beschwerdepunkte, wie sich aus der Prüfung des ersten Klagegrundes ergibt, auch auf dem mit der Zertifizierungsentscheidung zusammenhängenden Grund beruht, der für sich allein diesen Verzicht rechtfertigen kann und hinreichend begründet ist, kann das Vorbringen eines Verstoßes jedenfalls nicht durchgreifen, da die behauptete unzureichende Begründung in Bezug auf den mit den Übereinkommen zwischen Polen und Russland zusammenhängenden Grund keine Auswirkung auf den Ausgang der Anhörung gehabt hätte.

468    Was das Argument betrifft, die Kommission habe die interessierten Parteien im Rahmen der Marktbefragung irregeführt, so stellt diese angebliche Unregelmäßigkeit im vorliegenden Fall keine Verletzung wesentlicher Formvorschriften dar, da diese Befragung insbesondere in den Verträgen nicht ausdrücklich vorgesehen ist und sich auf interessierte Dritte bezieht und nicht auf das vom Wettbewerbsverfahren betroffene Unternehmen.

469    Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission nach Art. 27 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 nur verpflichtet ist, eine kurze Zusammenfassung des Falls und den wesentlichen Inhalt der betreffenden Verpflichtungszusagen oder der geplanten Vorgehensweise zu veröffentlichen. Im vorliegenden Fall ist die Kommission dieser Verpflichtung nachgekommen, indem sie die oben in Rn. 10 genannte Mitteilung im Amtsblatt veröffentlicht hat, durch die die Marktbefragung ausgelöst wurde. Außerdem geht aus der auf der Website der Kommission zu dieser Befragung veröffentlichten Dokumentation, insbesondere dem von der Klägerin angeführten Faktenblatt betreffend Polen, hervor, dass die Kommission den Verzicht auf die Jamal-Beschwerdepunkte mitgeteilt hatte, der bereits aus dem Schweigen der im Amtsblatt veröffentlichten Mitteilung zu diesem Thema abgeleitet werden konnte. Die Kommission hatte dort auch ausgeführt, dass dieser Verzicht sich daraus erkläre, dass das Wettbewerbsverfahren die Situation aufgrund der Auswirkungen der Übereinkommen zwischen Polen und Russland nicht habe verändern können.

470    Nach alledem ist keine der von der Klägerin und der Republik Polen geltend gemachten Unregelmäßigkeiten begründet.

3.      Zur Verletzung verschiedener Verfahrensrechte bzw. sogar wesentlicher Formvorschriften im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Beschwerde

471    Die Klägerin, unterstützt durch die Republik Polen, trägt vor, die Kommission habe im Rahmen der Behandlung der Beschwerde bestimmte Verfahrensrechte verletzt, die sie aus ihrer Eigenschaft als Beschwerdeführerin herleite. Die Beachtung einiger dieser Rechte stelle aber ein wesentliches Formerfordernis dar, zu dessen Wahrung die Kommission verpflichtet gewesen sei. Insoweit machen die Klägerin und die Republik Polen im Wesentlichen vier Verstöße geltend.

472    Die Kommission bestreitet, diese Verstöße begangen zu haben. Außerdem macht sie geltend, dass die Klägerin jegliche Rüge in Bezug auf die Wahrung ihrer Verfahrensrechte im Rahmen der Klage gegen den Beschluss über die Abweisung der Beschwerde in der Rechtssache T‑399/19 geltend machen könne.

a)      Zur angeblich fehlerhaften Einleitung eines gesonderten Verfahrens zur Prüfung der Beschwerde (erster Verstoß)

473    Die Klägerin beanstandet die fehlerhafte Einleitung eines gesonderten Verfahrens (Sache AT.40497) zur Prüfung der Beschwerde mit dem Ziel, sie daran zu hindern, sich als Beschwerdeführerin an der Sache AT.39816 zu beteiligen, indem ihre Rechte auf diese Weise in ein Parallelverfahren „übertragen“ würden. Diese Vorgehensweise stehe im Widerspruch zum Inhalt der Beschwerde, soweit darin auf die Sache AT.39816 verwiesen werde, zum Gehalt der betreffenden Handlungen, insbesondere in Anbetracht der großen Überschneidung zwischen den meisten Argumenten in der Beschwerde und den Bedenken der Kommission, sowie zur Verwaltungspraxis der Kommission.

474    Ursprünglich hätten die Schreiben der Kommission vom 29. und 31. März 2017 aber aufgrund des Hinweises, dass die Kommission die Beschwerde zur Prüfung zurückhalte, und der Aufforderung zur Teilnahme an der Marktbefragung, wie es Rn. 129 der bewährten Vorgehensweisen gegenüber einem Beschwerdeführer vorsehe, ein berechtigtes Vertrauen hinsichtlich der Beteiligung der Klägerin an der Sache AT.39816 entstehen lassen. Außerdem habe die Kommission ungeachtet des Hinweises in Erwägungsgrund 183 des angefochtenen Beschlusses, wonach „[d]ie Kommission … auch alle … in [der] Beschwerde und in der Stellungnahme … zum Schreiben [betreffend die beabsichtigte Abweisung] vorgebrachten Argumente sorgfältig geprüft [hat]“, nicht beabsichtigt, die Beschwerde tatsächlich zu prüfen und in der Sache AT.39816 zu berücksichtigen.

475    Die Kommission hält den behaupteten Verstoß für unbegründet.

476    Hierzu weist das Gericht darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung die Kommission, der es nach Art. 105 Abs. 1 AEUV obliegt, auf die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV zu achten, die Wettbewerbspolitik der Union festzulegen und durchzuführen hat, wozu ihr bei der Behandlung von Beschwerden ein Ermessen zusteht. Um der wirksamen Erledigung dieser Aufgabe willen darf sie den ihr vorliegenden Beschwerden daher unterschiedliche Priorität zuweisen (vgl. Urteil vom 16. Mai 2017, Agria Polska u. a./Kommission, T‑480/15, EU:T:2017:339, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im gleichen Sinne ist der Kommission ein Ermessen hinsichtlich der Art und Weise zuzuerkennen, in der sie die Behandlung einer Beschwerde zu organisieren gedenkt, sofern sie die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 773/2004 und insbesondere die Rechte beachtet, die Beschwerdeführern in dieser Eigenschaft zustehen.

477    Im vorliegenden Fall ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Beschwerde Behauptungen enthält, die weitgehend den wettbewerbsrechtlichen Bedenken entsprechen, die Gegenstand der laufenden Untersuchung der Kommission in der Sache AT.39816 waren und in der MB dargelegt wurden. Unter diesen Umständen ist nicht ausgeschlossen, dass es wünschenswert gewesen wäre, diese Behauptungen im Rahmen desselben Verfahrens zu behandeln, unbeschadet der Möglichkeit, die anderen Behauptungen, die diesen Bedenken nicht entsprechen, abzutrennen.

478    Dieser Umstand genügt jedoch nicht, um die berechtigten Gründe in Frage zu stellen, die die Kommission aus der Verfahrensökonomie und ihrer Absicht herleitet, die Untersuchung einer Sache, die sich in einem fortgeschrittenen Stadium befand, nicht durch Erweiterung ihres Gegenstands hinauszuzögern, so dass im vorliegenden Fall die Einleitung eines gesonderten Verfahrens zur Behandlung der Beschwerde als solche nicht rechtswidrig war.

479    Daher ist das Vorbringen zu dieser angeblich fehlerhaften Einleitung zurückzuweisen.

b)      Zu einem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 (zweiter und dritter Verstoß)

480    Erstens wirft die Klägerin der Kommission vor, sich zu keiner Zeit zu ihrem berechtigten Interesse an einer Beteiligung an der Sache AT.39816 geäußert zu haben. Konkret habe die Kommission im angefochtenen Beschluss unter Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 nicht zum Vorliegen eines berechtigten Interesses der Klägerin, diesem Verfahren als Beschwerdeführerin beizutreten, Stellung genommen, obwohl in dem einige Monate zuvor versandten Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung darauf hingewiesen worden sei, dass die Kommission noch nicht über diese Frage entschieden habe. Dieses Interesse stehe außer Zweifel, insbesondere weil die Klägerin Opfer der Praktiken von Gazprom gewesen sei und in ihren Räumlichkeiten von den Dienststellen der Kommission Nachprüfungen vorgenommen worden seien.

481    Zweites macht die Klägerin einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 geltend, der ihr als Beschwerdeführerin das Recht einräume, die MB zu erhalten und dazu Stellung zu nehmen, was sie im Verwaltungsverfahren mehrfach beantragt habe. Die Kommission habe nämlich die Ausübung dieses Rechts mit der Begründung verweigert, dass die Beschwerde verspätet eingereicht worden sei, obwohl ein Beschwerdeführer nach der Rechtsprechung über dieses Recht bis zur Anhörung des Beratenden Ausschusses verfüge. Diese Frage einer Verletzung ihrer Rechte aus Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 betreffe aber sehr wohl den am Schluss des Verfahrens in der Sache AT.39816 ergangenen angefochtenen Beschluss, da ihr damit die Möglichkeit, nach vorheriger Kenntnisnahme von den zuvor im Rahmen der Untersuchung gesammelten Beweisen zu den Vorschlägen für Verpflichtungszusagen von Gazprom Stellung zu nehmen, genommen worden sei, was ihre Fähigkeit, die Angemessenheit dieser Verpflichtungszusagen zu rügen, unangemessen eingeschränkt habe.

482    Die Kommission behaupte daher zu Unrecht, dass sie Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 beachtet habe, indem sie sich auf die Übermittlung der MB in der Anlage zum Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung berufe, da diese Übermittlung aus verschiedenen Gründen keine ordnungsgemäße Durchführung dieser Bestimmung darstelle. Denn erstens sei die dabei übermittelte nicht vertrauliche Fassung unvollständig gewesen, zweitens hätte die Übermittlung der MB und die Prüfung der dazu abgegebenen Stellungnahme der Übermittlung des Schreibens betreffend die beabsichtigte Abweisung vorausgehen müssen, drittens bedeute diese Übermittlung, da sie nach elf Monaten und im Rahmen der Sache AT.40497 anlässlich der Übermittlung des Schreibens betreffend die beabsichtigte Abweisung erfolgt sei, die Ablehnung der Prüfung der Beschwerde im Rahmen der Sache AT.39816 und habe die Klägerin daran gehindert, eine ergänzende Stellungnahme im Rahmen der Marktbefragung einzureichen, viertens habe die Stellungnahme zum Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung den Zweck gehabt, die Gründe für die beabsichtigte Abweisung der Beschwerde und nicht die MB zu kommentieren, und fünftens habe die Kommission in ihren Schriftsätzen, die sie im Rahmen der Klage in der Rechtssache T‑399/19 eingereicht habe, darauf hingewiesen, dass die MB nicht als Grundlage für die vorläufige Beurteilung im Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung gedient habe, was bedeute, dass die Stellungnahme der Klägerin zu diesem Schreiben, soweit sie die MB betroffen habe, von der Kommission als irrelevant angesehen worden sei, und zwar selbst im Rahmen der Rechtssache AT.40497.

483    Die Kommission hält die behaupteten Verstöße für nicht gegeben.

484    Nach Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 müssen natürliche und juristische Personen ein berechtigtes Interesse darlegen, um zur Einreichung einer Beschwerde für Zwecke von Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 befugt zu sein. Nach Art. 6 Abs. 1 der erstgenannten Verordnung übermittelt die Kommission, wenn in einem Fall, der Gegenstand einer Beschwerde ist, eine Mitteilung der Beschwerdepunkte ergeht, dem Beschwerdeführer eine Kopie der nicht vertraulichen Fassung der Beschwerdepunkte und setzt ihm eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme.

485    Es ist festzustellen, dass die Klägerin im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Rechte aus Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 erfüllte. Zum einen räumt die Kommission nämlich ein, dass die Klägerin, die von den behaupteten Praktiken von Gazprom betroffen gewesen sei, ein berechtigtes Interesse an der Einreichung der Beschwerde gehabt habe, und meint, sich implizit zu diesem Interesse geäußert zu haben, da die Beschwerde mit dem Beschluss in der Sache AT.40497 aus sachlichen Gründen zurückgewiesen worden sei. Zum anderen ist festzustellen, dass das Verfahren in der Sache AT.39816 „eine[n] Fall [betrifft], der Gegenstand einer Beschwerde ist“, mit der die Kommission befasst ist, wobei, wie oben in Rn. 477 ausgeführt worden ist, zwischen den Parteien unstreitig ist, dass einige der in dieser Beschwerde enthaltenen Behauptungen weitgehend den in der MB enthaltenen Beschwerdepunkten entsprechen.

486    Ferner trifft es zwar zu, dass die Klägerin die Beschwerde in einem fortgeschrittenen Stadium des Verfahrens in der Sache AT.39816 einlegte, obwohl sie, nachdem sie bei verschiedenen Gelegenheiten in dieses Verfahren involviert war (siehe oben, Rn. 4), in diesem Stadium seit mehreren Jahren von der Existenz dieses Verfahrens Kenntnis hatte, doch stellt dieser Umstand nicht in Frage, dass dieser Partei die in Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 genannten Rechte zustehen. Das Recht auf Erhalt einer nicht vertraulichen Fassung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte kann nämlich so lange ausgeübt werden, wie dieses Verfahren anhängig ist, d. h. solange nicht der Beratende Ausschuss für Kartell- und Monopolfragen zu dem von der Kommission vorgelegten Entscheidungsvorschlag Stellung genommen hat, da diese Bestimmung keine besondere Frist dafür vorsieht, dass ein Beschwerdeführer, der ein berechtigtes Interesse darlegt, die in dieser Bestimmung verankerten Rechte ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2006, Österreichische Postsparkasse und Bank für Arbeit und Wirtschaft/Kommission, T‑213/01 und T‑214/01, EU:T:2006:151, Rn. 148 und 149 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

487    Somit konnte die Kommission zwar, wie oben in den Rn. 477 und 478 ausgeführt, ohne einen Fehler zu begehen, ein gesondertes Verfahren für die Behandlung der Beschwerde einleiten, doch kann diese Vorgehensweise der Klägerin im Rahmen der Sache AT.39816 nicht die Rechte aus Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 nehmen.

488    Es ist aber festzustellen, dass die Kommission im Rahmen der parallel abgelaufenen Verfahren AT.39816 und AT.40497 eine Unklarheit hinsichtlich der Beteiligung der Klägerin an der Sache AT.39816 sowie des Rechts der Klägerin auf Erhalt einer Kopie der MB und auf Abgabe einer Stellungnahme zu diesem Dokument in dieser Sache aufrechterhalten hat.

489    Nach der Einreichung der Beschwerde am 9. März 2017 teilte die Kommission der Klägerin nämlich mit, dass diese Beschwerde angenommen worden sei, und forderte sie mit Schreiben vom 29. März 2017 auf, an der am 16. März 2017 im Rahmen der Sache AT.39816 eingeleiteten Marktbefragung teilzunehmen, um sie am 31. März 2017 über die Registrierung der Beschwerde in einem gesonderten Verfahren, nämlich in der Sache AT.40497, zu informieren. In der Folge reagierte die Kommission, nachdem sie wiederholt von der Klägerin zur Übermittlung einer nicht vertraulichen Fassung der MB aufgefordert worden war, mit Schreiben vom 28. April und 24. August 2017 und wies darauf hin, dass ihre Beurteilung in dieser Hinsicht noch ausstehe und dass sie zu gegebener Zeit wieder Kontakt mit der Klägerin aufnehmen werde, bzw. lediglich die Wiederholung dieses Antrags zur Kenntnis nahm, aber stets unter Hinweis darauf, dass die Beschwerde in einem „fortgeschrittenen Stadium“ der Sache AT.39816 eingereicht worden sei.

490    In der Folge übermittelte die Kommission mit dem Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung vom 23. Januar 2018, das in der Sache AT.40497 versandt wurde, eine nicht vertrauliche Fassung der MB, betonte aber zugleich, dass sie „die Frage offen[ließ], ob die verspätete Einreichung der Beschwerde … Auswirkungen auf die Einstufung der berechtigten Interessen der Klägerin oder auf ihre Rechte auf Beteiligung am Verfahren in der Sache AT.39816 hatte“. Schließlich antwortete die Kommission erst nach dem Erlass des angefochtenen Beschlusses am 24. Mai 2018 mit Schreiben vom 25. September 2018 auf die Einwände hinsichtlich der Unvollständigkeit der nicht vertraulichen Fassung der MB, die die Klägerin in ihrer Antwort auf das Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung erhoben hatte.

491    Unter diesen Umständen konnte die Klägerin Zweifel haben, ob ihre in der Antwort auf das Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung enthaltene Stellungnahme nach Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 im Rahmen der Sache AT.39816 berücksichtigt würde. Es ist insbesondere festzustellen, dass die Kommission es im Wesentlichen ablehnte, sich zur Beschwerdeführereigenschaft der Klägerin in der Sache AT.39816 zu äußern, dass die Übermittlung der MB ausdrücklich im Rahmen eines Schreibens erfolgte, das die Sache AT.40497 und nicht die Sache AT.39816 zum Gegenstand hatte, und dass die MB als eines der Dokumente übermittelt wurde, auf die die Kommission ihre vorläufige Beurteilung stützte, wonach die Beschwerde auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 abzuweisen sei, und nicht, um die schriftliche Stellungnahme der Klägerin zur MB auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung einzuholen.

492    Diese Umstände waren jedoch nicht so weitgehend, dass sie die wirksame Ausübung der Rechte der Klägerin nach Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 beeinträchtigt hätten.

493    Obwohl nämlich die Übermittlung der MB formell auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 erfolgte, stand der Klägerin tatsächlich eine nicht vertrauliche Fassung dieser MB zur Verfügung, und sie konnte im Rahmen ihrer Antwort auf das Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung u. a. zum Inhalt dieser Fassung der MB schriftlich Stellung nehmen, und zwar vor Erlass des angefochtenen Beschlusses im vorliegenden Fall. Außerdem ist festzustellen, dass die Klägerin zwar in Abrede stellt, dass die in dieser Antwort enthaltene Stellungnahme als schriftliche Stellungnahme im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 angesehen werden kann, in Rn. 3 dieser Antwort aber darauf hingewiesen hat, dass diese Stellungnahme eine eingehende Neubewertung der zuvor im Rahmen der Marktbefragung und der Beschwerde eingereichten Stellungnahmen umfasse, um es der Kommission zu ermöglichen, die Wettbewerbsuntersuchung gegen Gazprom mit einem Beschluss abzuschließen, der die Wettbewerbssituation auf Märkten der betroffenen MOEL verbessern würde.

494    Im Übrigen konnte die Kommission von dieser Stellungnahme im Rahmen des Verfahrens in der Sache AT.39816 Kenntnis nehmen und hat sie im Rahmen dieser Sache, wie aus Sichtvermerken und den Erwägungsgründen 17 und 183 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, berücksichtigt.

495    Diese Feststellung wird nicht durch das Vorbringen der Klägerin in Frage gestellt, die Kommission habe die in der Antwort auf das Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung enthaltene Stellungnahme nicht wirklich berücksichtigt, da sie die Verpflichtungszusagen von Gazprom bereits neun Werktage nach Erhalt dieser Antwort angenommen habe und die Beschwerde im Abschlussbericht des Anhörungsbeauftragten in der Sache AT.39816 nicht erwähnt sei. Zum einen beruht das auf den Zeitraum von neun Werktagen gestützte Vorbringen, wie oben in Rn. 451 festgestellt worden ist, auf einer unzutreffenden Gleichsetzung des Zeitpunkts des Eingangs der endgültigen Verpflichtungszusagen mit dem späteren Zeitpunkt ihrer Annahme durch die Kommission. Zum anderen kann der Umstand, dass die Beschwerde in dem genannten Bericht nicht erwähnt wird, nicht genügen, um die Annahme zu stützen, dass die Kommission die genannte Antwort nicht sorgfältig geprüft habe, zumal sich dieser Bericht wirksam auf die Wahrung der Verfahrensrechte von Gazprom konzentriert.

496    Auch der Vorwurf der Klägerin, sie hätte vor Ablauf der Frist für die Einreichung ihrer von ihrer Antwort auf das Schreiben betreffend die beabsichtigte Abweisung verschiedenen Stellungnahme im Rahmen der Marktbefragung eine nicht vertrauliche Fassung der MB erhalten müssen, ist zurückzuweisen. Weder aus Art. 27 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 noch aus Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 geht nämlich hervor, dass die Klägerin einen Anspruch gehabt hätte, so rechtzeitig eine Kopie der nicht vertraulichen Fassung der MB zu erhalten, dass sie diese in ihrer Stellungnahme, die sie im Rahmen dieser Befragung abgeben konnte, hätte berücksichtigen können. Ferner sind der Umstand, dass die Klägerin die Beschwerde erst wenige Tage vor der Einleitung der genannten Befragung einreichte, und der Zeitraum, der für die Erstellung einer nicht vertraulichen Fassung der MB erforderlich ist, zu berücksichtigen.

497    Soweit die Klägerin schließlich in Abrede gestellt hat, dass die nicht vertrauliche Fassung der MB hinreichend vollständig sei, ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht, wie oben in Rn. 50 ausgeführt worden ist, die vertrauliche Fassung der MB den Vertretern der Klägerin zur Kenntnis gebracht hat, nachdem diese Vertraulichkeitsverpflichtungen unterzeichnet hatten. In der Folge reichten diese Vertreter ihre Stellungnahme zur vertraulichen Fassung der MB ein, in der sie einige relevante Punkte dieser Fassung nannten und erläuterten, wie diese Punkte ihrer Ansicht nach dazu hätten verwendet werden können, die von der Klägerin sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im vorliegenden Verfahren vor dem Gericht aufgestellten Behauptungen zu untermauern, zu entwickeln oder zu bestätigen.

498    Aus der Stellungnahme zur vertraulichen Fassung der MB geht jedoch hervor, dass die Klägerin zwar über die genauen Verhaltensweisen, die Gazprom vorgeworfen werden, hätte besser informiert werden können, sie aber über die wesentlichen relevanten Informationen verfügte und insbesondere bereits Kenntnis vom Inhalt der betreffenden wettbewerbswidrigen Praktiken hatte. Daher ist auch insoweit davon auszugehen, dass die wirksame Ausübung der Rechte der Klägerin nach Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 nicht beeinträchtigt wurde.

499    Nach alledem ist das Argument eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 zurückzuweisen.

c)      Zur Verletzung anderer Verfahrensrechte, die mit der Eigenschaft als Beschwerdeführer verbunden sind (vierter Verstoß)

500    Die Klägerin macht einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 773/2004 geltend, der sich daraus ergebe, dass im Rahmen des Schreibens betreffend die beabsichtigte Abweisung unzureichende Informationen betreffend die Anwendung des Einwands staatlichen Handelns im vorliegenden Fall und betreffend die Dokumente, auf die sich die Kommission bei der Abweisung der Beschwerde gestützt habe, übermittelt worden seien. Darüber hinaus habe die Klägerin nie eine Kopie der Antwort von Gazprom auf die MB erhalten, obwohl diese Antwort entgegen den Andeutungen der Kommission während des Verfahrens einen Einfluss auf die Entscheidung gehabt habe, die Beschwerde zurückzuweisen. Die Nichtbeachtung der genannten Bestimmungen, die die beiden Verfahren (AT.39816 und AT.40497) betreffe, stelle eine Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift dar, die zwangsläufig zur Nichtigerklärung der in jedem dieser Verfahren erlassenen Beschlüsse führen müsse, denn die Behebung der Unregelmäßigkeit in einer Sache habe keinen Einfluss auf die in der anderen Sache begangene Unregelmäßigkeit.

501    Die Kommission hält den behaupteten Verstoß für unbegründet.

502    Insoweit ist festzustellen, dass die Art. 7 und 8 der Verordnung Nr. 773/2004 die Regeln für die Abweisung einer Beschwerde betreffen. Die Beschwerde wurde aber mit dem am Schluss des Verfahrens in der Sache AT.40497 ergangenen Beschluss und nicht mit dem Beschluss in der Sache AT.39816 abgewiesen. Daher ist die Frage der Wahrung der in den genannten Bestimmungen verankerten Rechte untrennbar mit der Sache AT.40497 verbunden, und eine etwaige Verletzung dieser Rechte kann die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage stellen.

503    Folglich geht das Vorbringen zu einem Verstoß gegen die Art. 7 und 8 der Verordnung Nr. 773/2004 im Rahmen der vorliegenden Klage ins Leere und ist daher zurückgewiesen.

4.      Zum Vorliegen eines Befugnismissbrauchs

504    Nach Ansicht der Klägerin belegen die von ihr angeführten Umstände, die Unregelmäßigkeiten bei der Behandlung der Jamal-Beschwerdepunkte und die Verletzung ihrer Verfahrensrechte in ihrer Eigenschaft als Beschwerdeführerin das Vorliegen eines Befugnismissbrauchs, da die Kommission den angefochtenen Beschluss auf der Grundlage von Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 zu einem anderen als dem in dieser Vorschrift vorgesehenen Zweck erlassen habe.

505    Die Kommission macht geltend, dass die von der Klägerin und der Republik Polen vorgebrachten Gesichtspunkte keinen Befugnismissbrauch belegten und in Wirklichkeit weitgehend eines Zusammenhangs mit dem Gegenstand eines Klagegrundes entbehrten, mit dem ein solcher Befugnismissbrauch geltend gemacht werde.

506    Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bei einer Rechtshandlung nur dann ein Befugnismissbrauch vorliegt, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sie ausschließlich oder zumindest vorwiegend zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mit dem Ziel erlassen worden ist, ein Verfahren zu umgehen, das der Vertrag in der konkreten Sachlage speziell vorsieht (Urteile vom 25. Januar 2007, Dalmine/Kommission, C‑407/04 P, EU:C:2007:53, Rn. 99, und vom 9. Dezember 2020, Groupe Canal +/Kommission, C‑132/19 P, EU:C:2020:1007, Rn. 31).

507    Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass die Klägerin den Gegenstand des von ihr behaupteten Befugnismissbrauchs nicht klar dargelegt hat. Ebenso haben die Klägerin und die Republik Polen unter Berufung auf die Umstände, die Unregelmäßigkeiten und die Verletzungen von Verfahrensrechten, die in den vorstehenden Erwägungen behandelt worden sind, sowie durch die Behauptung, dass diese Umstände einen „fehlenden Willen zur Umsetzung der Interessen der Union“ zum Ausdruck brächten, vereinzelte Gesichtspunkte zusammengestellt, ohne anzugeben, welches wirkliche, angeblich verschleierte Ziel von der Kommission verfolgt worden sein soll oder welches Verfahren von ihr umgangen worden sein soll.

508    Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, die Kommission hätte ihre Untersuchung fortsetzen und einen Beschluss nach Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 erlassen müssen, anstatt die Sache AT.39816 abzuschließen, indem sie die endgültigen Verpflichtungszusagen für bindend erklärte, ist darauf hinzuweisen, dass sie im Übrigen kein entsprechendes Argument vorgebracht hat und dass die Kommission außerdem über einen weiten Beurteilungsspielraum verfügt, um eine Verpflichtungszusage für bindend zu erklären oder sie abzulehnen (vgl. in diesem Sinne Urteil Alrosa, Rn. 94), wobei im 13. Erwägungsgrund dieser Verordnung klargestellt wird, dass Entscheidungen bezüglich Verpflichtungszusagen für Fälle ungeeignet sind, in denen die Kommission eine Geldbuße aufzuerlegen beabsichtigt.

509    Zweitens geht jedenfalls aus den vorstehenden Erwägungen zum sechsten Klagegrund erstens hervor, dass keiner der im Zusammenhang mit dem Ablauf des Verfahrens in der Sache AT.39816 angeführten Umstände einen ungewöhnlichen oder besonderen Charakter aufweist, der dazu führen würde, ihn als potenziellen Hinweis auf einen Befugnismissbrauch anzusehen (vgl. oben, Rn. 444 bis 451), zweitens, dass die angeblichen Unregelmäßigkeiten bei der Behandlung der Jamal-Beschwerdepunkte nicht erwiesen sind (vgl. oben, Rn. 444 und 452 bis 470), und drittens, dass die Einleitung des Verfahrens in der Sache AT.40497 für sich genommen nicht fehlerhaft ist, während sich die behaupteten Verletzungen von Verfahrensrechten, die im Rahmen dieses Verfahrens begangen worden sein sollen, entweder als unbegründet erweisen oder den angefochtenen Beschluss nicht betreffen (vgl. oben, Rn. 473 bis 503).

510    Aus den in der vorstehenden Randnummer getroffenen Feststellungen ergibt sich somit, dass, selbst wenn der Gegenstand des behaupteten Befugnismissbrauchs bestimmt werden könnte, die von der Klägerin und der Republik Polen vorgebrachten Gesichtspunkte, auch zusammengenommen, nicht genügen, um das Vorliegen eines solchen Befugnismissbrauchs zu belegen. Außerdem genügen diese Gesichtspunkte, wie im Wesentlichen bereits oben in den Rn. 58 bis 64 ausgeführt worden ist, auch nicht, um eine Prüfung des angeblich maßgeblichen „Kontexts“ zu rechtfertigen, der aus sämtlichen Akten in den Sachen AT.39816 und AT.40497 besteht, so dass es das Gericht für unnötig hält, die von der Klägerin beantragten prozessleitenden Maßnahmen zu erlassen.

511    Nach alledem ist der sechste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen. Daher ist die Klage als unbegründet abzuweisen, ohne dass – insbesondere in Anbetracht der oben in Rn. 53 angeführten Unzulässigkeitseinrede, die die Kommission in der mündlichen Verhandlung erhoben hat – über ihre Zulässigkeit entschieden zu werden bräuchte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2002, Rat/Boehringer, C‑23/00 P, EU:C:2002:118, Rn. 51 und 52).

 Kosten

512    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen der Kommission und von Gazprom ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission und von Gazprom aufzuerlegen.

513    Im Übrigen tragen nach Art. 138 Abs. 1 und 3 der Verfahrensordnung die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten; Gleiches gilt für andere Streithelfer als ein Mitgliedstaat oder ein Unionsorgan, wenn das Gericht dies entscheidet. Im vorliegenden Fall tragen die Republik Litauen, die Republik Polen und Overgas ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Achte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo S.A. trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission, der Gazprom PJSC und der Gazprom export LLC.

3.      Die Republik Litauen, die Republik Polen und die Overgas Inc. tragen jeweils ihre eigenen Kosten.

Van der Woude

Svenningsen

Barents

Mac Eochaidh

 

      Pynnä

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. Februar 2022.

Unterschriften


Inhaltsverzeichnis



*      Verfahrenssprache: Polnisch.


1      Nicht wiedergegebene vertrauliche Daten.