URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

23. März 2022(*)

„Unionsmarke – Anmeldung einer dreidimensionalen Unionsmarke – Form eines Stehkragens – Absolutes Eintragungshindernis – Fehlende Unterscheidungskraft – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001“

In der Rechtssache T‑252/21,

Anna Hrebenyuk, wohnhaft in Griesheim (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt H.‑J. Ruhl,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch E. Markakis als Bevollmächtigten,

Beklagter,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Fünften Beschwerdekammer des EUIPO vom 25. Februar 2021 (Sache R 1902/2020‑5) über die Anmeldung eines dreidimensionalen Zeichens in der Form eines Stehkragens als Unionsmarke

erlässt

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten D. Spielmann, der Richterin M. Brkan (Berichterstatterin) und des Richters I. Gâlea,

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 11. Mai 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 9. August 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des darauf gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 29. Oktober 2018 meldete die Klägerin, Anna Hrebenyuk, nach der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) unter Inanspruchnahme der Priorität einer am 30. April 2018 in Deutschland angemeldeten Marke eine Unionsmarke an.

2        Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um folgendes dreidimensionales Zeichen:

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3        Die Marke wurde für folgende Waren in den Klassen 16, 25 und 28 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

–        Klasse 16: „Bekleidungsschnittmuster; Schnittmuster für die Schneiderei; Schnittmuster zur Herstellung von Bekleidungsstücken“;

–        Klasse 25: „Bekleidungsstücke; Abendbekleidung; Abendkleider; Abendmäntel; Abnehmbare Kragen; American-Football-Hemden; Anglerjacken; Anoraks; Anzüge; Anzüge für Abendgesellschaften; Anzüge für Damen; Arbeitsanzüge; Arbeitskleidung; Aus Pelzen angefertigte Bekleidungsstücke; Babyausstattung [Bekleidungsstücke]; Bedruckte T‑Shirts; Bekleidung aus Kaschmir; Bekleidung aus Lederimitat; Bekleidung aus Wolle; Bekleidung für Autofahrer; Bekleidung für Babys; Bekleidung für Brautjungfern; Bekleidung für Damen, Herren und Kinder; Bekleidung für das Eiskunstlaufen; Bekleidung für die Taufe; Bekleidung für Kinder; Bekleidung für Kleinkinder; Bekleidung für Motorradfahrer aus Leder; Bekleidung für Mädchen; Bekleidung für Sportler; Bekleidungsstücke aus Leder; Bekleidungsstücke aus Leinen; Bekleidungsstücke aus Papier; Bekleidungsstücke aus Plüsch; Bekleidungsstücke aus Seide; Bekleidungsstücke für den Kampfsport; Bekleidungsstücke für den Reitsport [ausgenommen Reithelme]; Bekleidungsstücke für den Sport; Bekleidungsstücke für den Theatergebrauch; Bekleidungsstücke für Fischer; Bekleidungsstücke für Jungen; Bekleidungsstücke für Ringkämpfe; Bekleidungsstücke für Schwangere; Blazer; Blousons; Blusen; Brautkleider; Chaps [Bekleidungsstücke]; Chorhemden; Chorroben; Cocktailkleider; Damenanzüge; Damenbekleidung; Damenkleider; Damenoberbekleidung; Daunenjacken; Daunenwesten; Dreiteilige Anzüge [Bekleidungsstücke]; Duschhauben; Einteilige Arbeitsanzüge; Einteilige Bekleidungsstücke für Säuglinge und Kleinkinder; Eislaufbekleidung; Festkleider für Damen; Feuchtigkeitsabsorbierende Sporthemden; Fischerhemden; Fischerwesten [Anglerwesten]; Fleece-Oberteile; Fleecebekleidung; Formelle Abendgarderobe; Formelle Kleidung; Freizeitanzüge; Freizeithemden; Freizeitjacken; Freizeitkleidung; Fußballhemden; Gepolsterte Shirts für den Sport; Gepolsterte Shorts für den Sport; Gestrickte Bekleidungsstücke; Gestrickte Jacken; Gewebte Hemden; Gewobene Bekleidungsstücke; Gilets [Westen]; Golfbekleidung; Golfhemden; Golfhosen, ‑hemden und ‑röcke; Gymnastikanzüge; Gymnastikbekleidung; Hauskleidung; Hausmäntel; Hawaii-Hemden; Hawaiihemden mit Knopfleiste; Hemden; Hemden für Anzüge; Hemden für den Sport; Hemden mit Kragen; Hemden mit offenem Kragen; Hemden mit verdeckter Hemdknopfleiste; Hemden zum Schlafen gehen; Hemdjacken; Herrenanzüge; Herrenbekleidungsstücke; Herrenoberbekleidung; Hochzeitskleider; Hosenanzüge; Jacken; Jacken als Sportbekleidung; Jacken aus Pelz; Jacken aus Polar-Fleece; Jacken für Angler; Jacken mit Ärmeln; Jacken ohne Ärmel; Jacken, Mäntel, Hosen und Westen für Damen und Herren; Jagdwesten; Jeansbekleidung; Jeansjacken; Jogginganzüge; Jogginganzüge aus Nylon; Joggingoberteile; Joppen [weite Tuchjacken]; Jägerhemden; Kapuzensweatshirts; Kittel; Kittel zu Arbeitszwecken; Kleider; Kleider aus Leder; Kleider aus Lederimitationen; Kleider für Brautjungfern; Kleider für Krankenschwestern; Kleider für Säuglinge und Kleinkinder; Kleidung für den Freizeitbereich; Konfektionierte Kleidereinlagen; Konfektionskleidung; Kordhemden; Kragen [Bekleidung]; Kurzärmelige Hemden; Kurzärmelige Shirts; Kurzärmelige T‑Shirts; Kurzärmlige Hemden; Kutten [Bekleidung]; Langärmelige Hemden; Nachtwäsche [Bekleidung]; Oberbekleidung; Oberbekleidung für Damen; Oberbekleidungsstücke; Oberbekleidungsstücke für Babys; Oberbekleidungsstücke für Jungen; Oberbekleidungsstücke für Kinder; Pelze [Bekleidung]; Polohemden [Bekleidung]; Rugby-Hemden; Shirts mit Stehkragen; Shirts und Höschen; Spielanzüge [Bekleidungsstücke]; Steppjacken [Bekleidungsstücke]; Strickwaren [Bekleidung]; T‑Shirts; Tops [Bekleidungsstücke]; Trachten [Bekleidungsstücke]; Wasserabweisende Bekleidungsstücke; Wasserdichte Oberbekleidungsstücke; Wasserfeste Oberbekleidung für die Seefahrt [Ölzeug]; Weiße Bekleidung für Köche; Witterungsbeständige Oberbekleidung; Wärmeisolierende Bekleidungsstücke; Yoga-T‑Shirts; Ärmellose Trikots; Ärztekittel; Über Bekleidungsstücken getragene koreanische Outdoor-Jacken [Magoja]“;

–        Klasse 28: „Bekleidung für Puppen; Bekleidung für Spielzeug; Bekleidungsstücke für europäische Puppen; Bekleidungsstücke für Spielzeugfiguren; Bekleidungsstücke für Teddybären“.

4        Mit Entscheidung vom 29. März 2019 wies die Prüferin auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 die Anmeldung teilweise zurück, soweit sie die oben in Rn. 3 genannten Waren der Klasse 25 betraf.

5        Am 27. Mai 2019 legte die Klägerin beim EUIPO nach den Art. 66 bis 71 der Verordnung 2017/1001 Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüferin ein.

6        Mit Entscheidung vom 19. November 2019 hob die Fünfte Beschwerdekammer des EUIPO die Entscheidung der Prüferin wegen Begründungsmangels auf und verwies die Anmeldung der fraglichen Marke zur erneuten Prüfung an die Prüferin zurück.

7        Mit Entscheidung vom 3. August 2020 wies die Prüferin auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 die Anmeldung dieser Marke insgesamt zurück.

8        Am 29. September 2020 legte die Klägerin beim EUIPO nach den Art. 66 bis 71 der Verordnung 2017/1001 Beschwerde gegen diese zweite Entscheidung der Prüferin ein.

9        Mit Entscheidung vom 25. Februar 2021 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Fünfte Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde zurück. Im Einzelnen stellte sie zunächst in Bezug auf die in Rede stehenden Waren der Klassen 25 und 28 fest, dass das maßgebliche Publikum das allgemeine Publikum mit einem durchschnittlichen Aufmerksamkeitsgrad sei. Hinsichtlich der in Rede stehenden Waren der Klasse 16, wie beispielsweise Bekleidungsschnittmuster, ging sie davon aus, dass das maßgebliche Publikum ein professionelles Publikum mit einem überdurchschnittlichen Aufmerksamkeitsgrad sei, wobei jedoch nicht auszuschließen sei, dass auch allgemeine Verbrauchskreise, die einen durchschnittlichen Aufmerksamkeitsgrad aufwiesen, an diesen Waren interessiert seien. Sodann stellte sie fest, dass das die angemeldete Marke bildende Zeichen den oberen Teil einer Oberbekleidung mit der Wiedergabe eines Stehkragens zeige, der eine runde, vom Kragen abstehende Umkreisung aufweise. Sie hob hervor, dass es eine große Vielfalt von Kragen gebe, zu denen auch der Stehkragen gehöre, und jeder Kragentypus verschiedene Varianten habe. Folglich sei der Verkehr an eine große Formenvielfalt gewöhnt. Die in Rede stehende Kragenform sei auch nicht derart unterschiedlich oder überraschend, dass sie auf Anhieb den Verbrauchern ins Auge fallen würde. Was darüber hinaus die geltend gemachte Beziehung zwischen menschlicher Mode und Architektur im Hinblick auf Bekleidungsstücke für Menschen und Puppen oder Spielzeuge betreffe, würden die allgemeinen Verbraucher nicht derartig weit hergeholte Denkprozesse an den Tag legen. Hinsichtlich der Waren der Klasse 16 schließlich gebe das die angemeldete Marke bildende Zeichen schlichtweg diese Waren wieder, anhand deren die Kragenform der Bekleidungsstücke angefertigt werden könne, und könne nicht als Hinweis auf den Hersteller der Waren aufgefasst werden. Daher habe die angemeldete Marke keine Unterscheidungskraft, weil sich der hervorgerufene Gesamteindruck nicht erheblich von der gegebenen Vielfalt an Kragenformen abhebe.

 Anträge der Parteien

10      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung und die Entscheidung der Prüferin vom 3. August 2020 aufzuheben,

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

11      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen,

–        die Klägerin zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

 Rechtliche Würdigung

12      Die Klägerin macht als einzigen Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 6 der Verordnung 2017/1001 geltend. Ihrer Ansicht nach hat die angemeldete Marke hinreichend Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b, so dass sie gemäß Art. 6 habe eingetragen werden müssen.

13      Das EUIPO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

14      Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 sind Marken, die keine Unterscheidungskraft haben, von der Eintragung ausgeschlossen.

15      Die Unterscheidungskraft einer Marke im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 bedeutet, dass die Marke geeignet ist, die Ware, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (Urteile vom 21. Januar 2010, Audi/HABM, C‑398/08 P, EU:C:2010:29, Rn. 33, und vom 5. Februar 2020, Hickies/EUIPO [Form eines Schnürsenkels], T‑573/18, EU:T:2020:32, Rn. 24 [nicht veröffentlicht]).

16      Der dem Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 zugrunde liegende Begriff des Allgemeininteresses und die Hauptfunktion der Marke, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der mit der Marke gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung dadurch zu garantieren, dass sie ihm die Unterscheidung dieser Ware oder Dienstleistung ohne Verwechslungsgefahr von Waren oder Dienstleistungen anderer Herkunft ermöglicht, gehen offensichtlich ineinander über (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 48, und vom 5. Februar 2020, Form eines Schnürsenkels, T‑573/18, EU:T:2020:32, Rn. 25 [nicht veröffentlicht]).

17      Die Unterscheidungskraft einer Marke im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 ist zum einen im Hinblick auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie angemeldet worden ist, und zum anderen im Hinblick auf die Anschauung der beteiligten Verkehrskreise zu beurteilen (Urteile vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 35, und vom 5. Februar 2020, Form eines Schnürsenkels, T‑573/18, EU:T:2020:32, Rn. 26 [nicht veröffentlicht]).

18      Die Kriterien für die Beurteilung der Unterscheidungskraft dreidimensionaler Marken, die in der Form der Ware selbst bestehen, sind keine anderen als die für die übrigen Markenkategorien geltenden. Im Zusammenhang mit der Anwendung dieser Kriterien ist jedoch festzustellen, dass eine dreidimensionale Marke, die in der Form der Ware selbst besteht, vom Durchschnittsverbraucher nicht notwendig in gleicher Weise wahrgenommen wird wie eine Wort- oder Bildmarke, die aus einem Zeichen besteht, das vom Erscheinungsbild der mit der Marke bezeichneten Waren unabhängig ist. In der Tat schließen die Durchschnittsverbraucher aus der Form der Waren oder der ihrer Verpackung, wenn grafische oder Wortelemente fehlen, gewöhnlich nicht auf die Herkunft dieser Waren; daher kann es schwieriger sein, die Unterscheidungskraft einer solchen dreidimensionalen Marke nachzuweisen als diejenige einer Wort- oder Bildmarke (Urteile vom 7. Oktober 2004, Mag Instrument/HABM, C‑136/02 P, EU:C:2004:592, Rn. 30, sowie vom 20. Oktober 2011, Freixenet/HABM, C‑344/10 P und C‑345/10 P, EU:C:2011:680, Rn. 45 und 46).

19      Je mehr sich die angemeldete Form der Form annähert, in der die betreffende Ware am wahrscheinlichsten in Erscheinung tritt, umso eher ist zu erwarten, dass dieser Form die Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 fehlt. Daher besitzt nur eine Marke, die erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht und deshalb ihre wesentliche herkunftskennzeichnende Funktion erfüllen kann, auch Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (Urteile vom 7. Oktober 2004, Mag Instrument/HABM, C‑136/02 P, EU:C:2004:592, Rn. 31, und vom 5. Februar 2020, Form eines Schnürsenkels, T‑573/18, EU:T:2020:32, Rn. 29 [nicht veröffentlicht]).

20      Ferner hängt die Eintragung eines Zeichens als Unionsmarke nicht von der Feststellung eines bestimmten Niveaus der sprachlichen oder künstlerischen Kreativität oder Einbildungskraft des Markeninhabers ab. Es genügt, dass die Marke es den maßgeblichen Verkehrskreisen ermöglicht, die Herkunft der durch diese Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu erkennen und diese von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden (Urteile vom 16. September 2004, SAT.1/HABM, C‑329/02 P, EU:C:2004:532, Rn. 41, und vom 14. Juli 2021, Guerlain/EUIPO [Form eines länglichen, kegelförmigen und zylindrischen Lippenstifts], T‑488/20, EU:T:2021:443‚ Rn. 20 [nicht veröffentlicht]).

21      Unter Berücksichtigung der Ausführungen in den vorstehenden Rn. 14 bis 20 ist zu prüfen, ob die Beschwerdekammer mit ihrer Feststellung, dass die angemeldete Marke für die von ihr erfassten Waren keine Unterscheidungskraft habe, gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 verstoßen hat, wie die Klägerin geltend macht.

22      Zunächst ist in Bezug auf das maßgebliche Publikum, auf dessen Wahrnehmung abzustellen ist, darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdekammer in den Rn. 14 und 15 der angefochtenen Entscheidung festgestellt hat, dass die von der angemeldeten Marke erfassten Waren der Klassen 25 und 28 das allgemeine Publikum ansprächen, dessen Aufmerksamkeitsgrad durchschnittlich sei. Hinsichtlich der Waren der Klasse 16 war sie der Auffassung, dass es sich beim maßgeblichen Publikum um ein professionelles Publikum mit einem überdurchschnittlichen Aufmerksamkeitsgrad handele, dass sich jedoch nicht ausschließen lasse, dass auch allgemeine Verbraucherkreise, die einen durchschnittlichen Aufmerksamkeitsgrad aufwiesen, an diesen Waren interessiert seien.

23      Die Klägerin hat die vorstehenden Feststellungen der Beschwerdekammer zum maßgeblichen Publikum nicht beanstandet.

24      Zur Unterscheidungskraft des die angemeldete Marke bildenden Zeichens trägt die Klägerin als Erstes vor, dass es nicht zu dem Formenschatz gehöre, den die Verbraucher – selbst in Abwandlungen – bereits gewohnt seien. Zur Stützung dieses Vorbringens führt sie verschiedene Kragentypen an, die das maßgebliche Publikum erwarte und von denen sich der die angemeldete Marke bildende „fliegende Kragen“ durch seine dreidimensionale Form und rechtwinklige Lage unterscheide. Das genannte Zeichen werde als eine Form eines Stehkragens aufgefasst, der aus einem Kragensteg bestehe, der nur den unteren Teil des Kragens bilde, wodurch er sich von anderen Stehkragenformen unterscheide. Daher werde er eher als eine steife Halskrause denn als Stehkragen wahrgenommen und weiche von der Norm und der Branchenüblichkeit erheblich ab, so dass sich der betriebliche Ursprung der Bekleidungsstücke ausmachen lasse.

25      Zunächst ist festzustellen, dass es in der Bekleidungsbranche, insbesondere im Bereich der Kragenformen, eine beträchtliche Vielfalt von Grundformen und Varianten dieser Formen gibt, wie die Beschwerdekammer in den Rn. 20 und 21 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen festgestellt hat. Diese Feststellung der Beschwerdekammer beanstandet die Klägerin jedoch nicht. Vielmehr veranschaulicht die Klägerin selbst in Rn. 16 der Klageschrift die Varianten von Hemdkragentypen.

26      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass in dem Fall, dass eine dreidimensionale Marke in der Form der Ware, für die sie angemeldet wird, oder in der Form der Verpackung dieser Ware besteht, der bloße Umstand, dass diese Form eine „Variante“ der üblichen Formen dieser Warengattung oder der Verpackung dieser Warengattung ist, nach der Rechtsprechung nicht ausreicht, um zu beweisen, dass es der genannten Marke nicht an Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 fehlt. Es ist nämlich stets zu prüfen, ob diese Marke es dem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der fraglichen Ware erlaubt, diese – ohne Prüfung und ohne besondere Aufmerksamkeit – von Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. Urteil vom 12. Dezember 2019, EUIPO/Wajos, C‑783/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1073, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Im vorliegenden Fall genügt es nach der oben in den Rn. 18 und 19 angeführten Rechtsprechung nicht, dass sich die die angemeldete Marke bildende Form in Bezug auf bestimmte ästhetische Merkmale der Ware wie das Vorhandensein eines nur den unteren Teil des Kragens bildenden Kragenstegs oder dessen runder Form von anderen auf dem Markt erhältlichen Formen unterscheidet, sondern zudem müssen diese Merkmale hinreichend ausgeprägt sein, damit die Verbraucher die mit dem in Betracht gezogenen Zeichen ausgestattete Ware allein anhand ihrer Form von denen anderer Unternehmen unterscheiden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2019, Brita/EUIPO [Form eines Getränkeausgabehahns], T‑213/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:435, Rn. 63). Insoweit lässt sich zwar nicht ausschließen, dass der ästhetische Aspekt der angemeldeten Marke neben anderen Gesichtspunkten berücksichtigt werden kann, um einen Unterschied gegenüber der Norm und der Branchenüblichkeit zu ermitteln, doch muss dieser ästhetische Aspekt so verstanden werden, dass er nicht auf die Schönheit oder fehlende Schönheit der Waren, die in der die angemeldete Marke bildenden Form angeboten werden, sondern auf die objektive und ungewöhnliche visuelle Wirkung verweist, die durch die spezifische Gestaltung der Marke entsteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 2021, Form eines länglichen, kegelförmigen und zylindrischen Lippenstifts, T‑488/20, EU:T:2021:443, Rn. 43 und 44).

28      Die Klägerin hat aber, wie das EUIPO geltend macht, weder ihr Vorbringen belegt, dass die angemeldete Marke durch ihre dreidimensionale Form und die rechtwinklige Lage des runden Segments erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweiche, noch dargetan, inwiefern dieses Element es dem maßgeblichen Publikum ermöglicht, auf den betrieblichen Ursprung der in Rede stehenden Waren zu schließen. Außerdem hat sie nicht zu den im Verfahren vor dem EUIPO vorgelegten Beispielen von der angemeldeten Marke ähnlichen Kragenformen Stellung genommen, obwohl die Beschwerdekammer die Auffassung vertreten hat, dass diese Beispiele die große Kragenvielfalt in der Bekleidungsbranche belegten.

29      Im Einzelnen trägt die Klägerin zum einen vor, dass das die angemeldete Marke bildende Zeichen als steife Halskrause oder Kröse wahrgenommen werde, die für die spanische Mode des 16. Jahrhunderts typisch sei. Zum anderen macht sie geltend, dass dieses Zeichen auch als zu einem von ihr begründeten neuen Stil gehörend wahrgenommen werde, den sie als „Neoklassizismus“ bezeichnet und mit dem gleichnamigen architektonischen Stil verbindet.

30      Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. In Bezug auf die Waren der Klassen 25 und 28 ist nämlich davon auszugehen, dass das maßgebliche Publikum die angemeldete Marke kaum mit der Renaissance-Kröse oder einem neuen Stil wie dem „Neoklassizismus“ in Verbindung bringen wird, da sein Aufmerksamkeitsgrad, wie die Beschwerdekammer in den Rn. 14 und 15 der angefochtenen Entscheidung festgestellt hat, durchschnittlich ist und es, wie sich aus Rn. 26 der Entscheidung ergibt, nicht zu derart weit hergeholten Denkprozessen neigt, dass es solche Vergleiche anstellen würde. Darüber hinaus ist in Bezug auf alle in Rede stehenden Waren der Klassen 16, 25 und 28 festzustellen, dass, selbst wenn erwiesen wäre, dass das maßgebliche Publikum die angemeldete Marke mit der Renaissance-Kröse oder einem neuen neoklassizistischen Stil in Verbindung bringt, dies nicht zur Folge hätte, dass diese Marke Unterscheidungskraft besitzt, da die Wahrnehmung einer Verbindung der angemeldeten Marke mit dieser Kröse oder diesem Stil nicht der Wahrnehmung dieser Marke als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der in Rede stehenden Waren gleichkommt.

31      Des Weiteren vertritt die Klägerin speziell in Bezug auf die Bekleidung für Puppen und Bekleidungsstücke für Teddybären die Ansicht, dass gewöhnlich nur ein sogenannter Bubikragen verwendet werde und diese Waren im Allgemeinen ohne Kragensteg seien. Aber selbst angenommen, dass bei den Kragen der genannten Waren tatsächlich zumeist der sogenannte Bubikragen verwendet wird, können die Norm und die Branchenüblichkeit nicht allein auf die statistisch am häufigsten vorkommende Form reduziert werden, sondern umfassen alle Formen, denen der Verbraucher gewöhnlich auf dem Markt begegnet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. November 2020, Brasserie St Avold/EUIPO [Form einer dunklen Flasche], T‑862/19, EU:T:2020:561, Rn. 56).

32      Darüber hinaus ist festzustellen, dass die angemeldete Marke und der sogenannte Bubikragen, von dem oben in Rn. 31 die Rede ist, in Bezug auf ihre Form ähnlich sind. Dieser Kragentyp, auch wenn er keinen Kragensteg zu haben scheint, weist nämlich ebenso wie das die angemeldete Marke bildende Zeichen eine abstehende runde Struktur auf, so dass die Form der angemeldeten Marke nur eine Variante darstellt, die von diesem Kragentyp nicht erheblich abweicht.

33      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das Vorbringen der Klägerin die Auffassung der Beschwerdekammer, wonach die angemeldete Marke nicht erheblich von der Norm und der Branchenüblichkeit abweicht, nicht in Frage zu stellen vermag. Die Beschwerdekammer hat in Rn. 22 der angefochtenen Entscheidung nämlich zutreffend festgestellt, dass die die angemeldete Marke bildende Kragenform zwar keinen gewöhnlichen oder traditionellen Kragen darstellt, jedoch nicht so verschieden oder überraschend ist, dass sie dem Verbraucher auf Anhieb ins Auge fallen würde.

34      Als Zweites vertritt die Klägerin die Ansicht, dass es bis zum Ende des Jahres 2018 keinen mit der Form der angemeldeten Marke identischen Kragen gegeben habe und die dieser Marke ähnelnden Kragen, die inzwischen von verschiedenen Designern verwendet würden, nur Nachahmungen dieser Form seien. Sie habe diese Form vor ihrer Eintragung verschiedenen Gesellschaften angeboten und sei kopiert worden.

35      Insoweit ist in Bezug auf das Vorbringen der Klägerin, die angemeldete Marke sei neu, darauf hinzuweisen, dass die Unterscheidungskraft einer Unionsmarke nach der Rechtsprechung nicht anhand der Originalität oder der mangelnden Benutzung der entsprechenden Marke im Bereich der betreffenden Waren und Dienstleistungen zu beurteilen ist (vgl. Urteil vom 5. Februar 2020, Form eines Schnürsenkels, T‑573/18, EU:T:2020:32, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      So ergibt sich, wie bereits oben in Rn. 19 festgestellt, aus der Rechtsprechung, dass eine dreidimensionale Marke, die aus der Form der Ware besteht, für die die Eintragung beantragt wird, notwendigerweise erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweichen muss, um unterscheidungskräftig sein zu können. Daher reicht allein die Neuheit dieser Form nicht aus, um die Unterscheidungskraft zu bejahen, da das entscheidende Kriterium darin besteht, dass diese Form die Funktion als Hinweis auf die betriebliche Herkunft erfüllen kann (vgl. Urteil vom 14. Juli 2021, Form eines länglichen, kegelförmigen und zylindrischen Lippenstifts, T‑488/20, EU:T:2021:443, Rn. 41 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      In Bezug auf den Umstand, dass es auf dem Markt Formen gibt, von denen die Klägerin einige für Nachahmungen der angemeldeten Marke hält, ist festzustellen, dass dieses Vorbringen keine Auswirkungen auf die Beurteilung der originären Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke im Hinblick auf ihre Wahrnehmung durch das maßgebliche Publikum hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juni 2019, Gibson Brands/EUIPO – Wilfer [Form eines Gitarrenkorpus], T‑340/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:455, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Als Drittes führt die Klägerin von ihr durchgeführte Befragungen im Freundes‑, Bekannten- und Kollegenkreis an, die erbracht hätten, dass diese Personen den Kragentyp, der Gegenstand der in Rede stehenden Anmeldung sei, noch nicht gesehen hätten.

39      Diesen Befragungen kommt im Hinblick auf die Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke jedoch kein Beweiswert zu. Nach der Rechtsprechung hängt der Beweiswert einer Befragung nämlich von der verwandten Untersuchungsmethode ab (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 2018, Bayer/EUIPO – Uni-Pharma [SALOSPIR], T‑261/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:710, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Im vorliegenden Fall erlauben es weder der Anwendungsbereich oder der Umfang der von der Klägerin angeführten Befragungen noch die unbekannten Umstände ihrer Ausarbeitung, die Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke in der Union festzustellen. Diese Befragungen sind auf Freunde, Bekannte und Kollegen der Klägerin beschränkt. Bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke ist als maßgeblicher Verbraucher aber auf den Verbraucher in der gesamten Union abzustellen (vgl. Urteil vom 10. Mai 2016, August Storck/EUIPO [Darstellung einer rechteckigen Verpackung in weiß und blau], T‑806/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:284, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Als Viertes und Letztes vertritt die Klägerin die Ansicht, dass von verschiedenen Designern eine Kampagne sowohl gegen sie als auch gegen die angemeldete Marke geführt werde und die Begründung der angefochtenen Entscheidung, wonach diese Marke nicht unterschiedlich, überraschend und auffällig sei, nur Ausdruck einer Meinung sei, die vermutlich von dem Einfluss dieser Kampagne geprägt worden sei.

42      Insoweit ist hervorzuheben, dass die Klägerin nichts vorträgt, was ihr Vorbringen stützen könnte, dass mehrere Designer eine Kampagne gegen sie führten, oder was erläutern könnte, inwiefern die Beschwerdekammer von einer solchen Kampagne tatsächlich beeinflusst worden wäre. Deshalb ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.

43      Nach alledem hat die Beschwerdekammer zutreffend festgestellt, dass die angemeldete Marke nicht erheblich von der bestehenden Vielfalt von Kragenformen abweicht.

44      Daher ist festzustellen, dass die angemeldete Marke nicht geeignet ist, ihre wesentliche herkunftskennzeichnende Funktion zu erfüllen und es dem maßgeblichen Publikum zu erlauben, die betreffenden Waren der Klägerin – ohne Prüfung und ohne besondere Aufmerksamkeit – von Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden. Deshalb fehlt ihr in Bezug auf diese Waren die Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001.

45      Folglich ist die Klage insgesamt abzuweisen, ohne dass über die Zulässigkeit des zweiten Teils des ersten Antrags der Klägerin, der auf die Aufhebung der Entscheidung der Prüferin vom 3. August 2020 gerichtet ist, entschieden zu werden braucht.

 Kosten

46      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

47      Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Frau Anna Hrebenyuk trägt die Kosten.

Spielmann

Brkan

Gâlea

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 23. März 2022.

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

S. Papasavvas


*      Verfahrenssprache: Deutsch.