URTEIL DES GERICHTS (Neunte Kammer)
27. April 2022(*)
„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das eine Duschabflussrinne darstellt – Älteres Geschmacksmuster, das nach Stellung des Antrags auf Nichtigerklärung vorgelegt wurde – Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung (EG) Nr. 2245/2002 – Ermessen der Beschwerdekammer – Anwendungsbereich – Art. 63 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Mündliche Verhandlung und Beweismittel – Art. 64 und 65 der Verordnung Nr. 6/2002 – Nichtigkeitsgrund – Eigenart – Art. 6 und Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 – Angaben zum älteren Geschmacksmuster – Kompakter zeitlicher Vorrang – Bestimmung der Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters – Umfassender Vergleich“
In der Rechtssache T‑327/20,
Group Nivelles NV mit Sitz in Gingelom (Belgien), vertreten durch Rechtsanwalt J. Jonkhout,
Klägerin,
gegen
Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch A. Folliard-Monguiral und G. Predonzani als Bevollmächtigte,
Beklagter,
andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:
Easy Sanitary Solutions BV mit Sitz in Oldenzaal (Niederlande), vertreten durch Rechtsanwalt F. Eijsvogels,
betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 17. März 2020 (Sache R 2664/2017‑3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Group Nivelles und Easy Sanitary Solutions
erlässt
DAS GERICHT (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. J. Costeira sowie der Richterinnen M. Kancheva (Berichterstatterin) und T. Perišin,
Kanzler: A. Juhász-Tóth, Verwaltungsrätin,
aufgrund der am 28. Mai 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,
aufgrund der am 29. September 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,
aufgrund der am 2. Oktober 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,
nach Bestimmung einer anderen Richterin zur Ergänzung der Kammer infolge Verhinderung eines ihrer Mitglieder,
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 2021
folgendes
Urteil
Vorgeschichte des Rechtsstreits
1 Am 28. November 2003 meldete die Streithelferin, die Easy Sanitary Solutions BV, nach der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an.
2 Das angemeldete und im vorliegenden Fall angegriffene Gemeinschaftsgeschmacksmuster wird in folgenden Abbildungen wiedergegeben:
25.1
25.2
25.3
3 Das angegriffene Geschmacksmuster ist zur Aufnahme in folgende Erzeugnisse der Klasse 23‑02 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung bestimmt: „Duschabflussrinnen“ (shower drains).
4 Das angegriffene Geschmacksmuster wurde am 9. März 2004 unter der Nr. 107834-0025 als Gemeinschaftsgeschmacksmuster eingetragen und im Blatt für Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 19/2004 vom selben Tag veröffentlicht. Es wurde mehrfach verlängert, u. a. am 16. Juni 2018.
5 Am 3. September 2009 beantragte die I‑Drain BVBA, die Rechtsvorgängerin der Klägerin, der Group Nivelles NV, gemäß Art. 52 der Verordnung Nr. 6/2002, das angegriffene Geschmacksmuster für nichtig zu erklären.
6 Der Antrag wurde auf die Nichtigkeitsgründe nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 in Verbindung mit den Art. 4 bis 9 dieser Verordnung gestützt.
7 I‑Drain fügte ihrem Antrag auf Nichtigerklärung eine Kopie der internationalen Eintragung DM/059828 (im Folgenden: Eintragung DM/059828 oder Geschmacksmuster DM/059828) bei, die am 2. April 2002 von der Streithelferin angemeldet und am 30. Juni 2002 wie folgt eingetragen worden war:

8 Nach der Einreichung ihres Antrags auf Nichtigerklärung legte I‑Drain am 2. April 2010 in ihrer Antwort auf die Stellungnahme der Streithelferin neue Dokumente zu anderen Geschmacksmustern vor, darunter insbesondere Auszüge aus zwei Produktkatalogen des Unternehmens Blücher aus den Jahren 1998 und 2000, die jeweils auf S. 33 das folgende Bild enthielten, in dessen Mitte eine Abdeckplatte abgebildet war (im Folgenden: Abdeckplatte in den Blücher-Katalogen):

9 Am 30. August 2010 wurde die Klägerin infolge einer Verschmelzung durch Aufnahme Rechtsnachfolgerin von I‑Drain, deren Existenz als juristische Person damit endete.
10 Mit Entscheidung vom 23. September 2010 gab die Nichtigkeitsabteilung dem Antrag auf Nichtigerklärung statt und erklärte das angegriffene Geschmacksmuster auf der Grundlage von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 für nichtig, weil es im Vergleich mit der Abdeckplatte in den Blücher-Katalogen nicht neu im Sinne von Art. 5 dieser Verordnung sei.
11 Am 15. Oktober 2010 legte die Streithelferin nach den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 beim EUIPO Beschwerde gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ein.
12 Mit Entscheidung vom 4. Oktober 2012 (im Folgenden: erste Entscheidung) gab die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde statt und hob die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung auf, soweit sie auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 dieser Verordnung gestützt war, d. h., soweit die Nichtigkeitsabteilung festgestellt hatte, dass das angegriffene Geschmacksmuster nicht neu sei. Sie verwies die Sache an die Nichtigkeitsabteilung zurück, damit diese den Antrag auf Nichtigerklärung, soweit er auf Art. 25 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 der Verordnung gestützt wurde, d. h. auf das Fehlen der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters, erneut prüfen sollte.
13 Am 7. Januar 2013 reichte die Klägerin nach Art. 61 der Verordnung Nr. 6/2002 beim Gericht eine Klage gegen die erste Entscheidung ein.
14 Mit Urteil vom 13. Mai 2015, Group Nivelles/HABM – Easy Sanitary Solutions (Duschabflussrinne) (T‑15/13, im Folgenden: erstes Urteil des Gerichts, EU:T:2015:281), hob das Gericht die erste Entscheidung auf und wies die Klage im Übrigen ab. Ebenso wie zuvor das EUIPO berücksichtigte das Gericht als älteres Geschmacksmuster (bzw. als dessen Bestandteil) die Abdeckplatte in den Blücher-Katalogen, nicht aber das Geschmacksmuster DM/059828.
15 Am 11. Juli bzw. am 24. Juli 2015 legten die Streithelferin und das EUIPO beim Gerichtshof jeweils Rechtsmittel gegen das erste Urteil des Gerichts ein.
16 Mit Urteil vom 21. September 2017, Easy Sanitary Solutions und EUIPO/Group Nivelles (C‑361/15 P und C‑405/15 P, im Folgenden: Rechtsmittelurteil, EU:C:2017:720), wies der Gerichtshof die Rechtsmittel zurück, nachdem er allerdings in den Rn. 72 und 134 dieses Urteils zwei Rechtsfehler des Gerichts festgestellt hatte. Erstens entschied der Gerichtshof, dass das Gericht in den Rn. 77 bis 79 und 84 seines ersten Urteils rechtsfehlerhaft vom EUIPO verlangt hatte, im Rahmen der Beurteilung der Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters verschiedene Teile eines oder mehrerer älterer Geschmacksmuster in den verschiedenen dem Antrag auf Nichtigerklärung beigefügten Auszügen aus den Blücher-Katalogen zusammenzufügen, obwohl die Antragstellerin im Nichtigkeitsverfahren das geltend gemachte Geschmacksmuster nicht vollständig wiedergegeben hatte. Zweitens entschied der Gerichtshof, dass das Gericht in Rn. 132 seines ersten Urteils einen Rechtsfehler begangen hatte, indem es im Rahmen der Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters verlangt hatte, dass der informierte Benutzer dieses Geschmacksmusters Kenntnis von dem Erzeugnis haben müsse, in das das ältere Geschmacksmuster aufgenommen oder bei dem es verwendet worden sei. Da die Rechtsmittel gleichwohl zurückgewiesen wurden, erwuchs die Aufhebung der ersten Entscheidung durch den Tenor des ersten Urteils des Gerichts in Rechtskraft und die Sache wurde an das EUIPO zurückverwiesen.
17 Am 19. Dezember 2017 wurde den Beteiligten vor dem EUIPO mitgeteilt, dass die Beschwerde gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung unter dem Aktenzeichen R 2664/2017-3 an die Dritte Beschwerdekammer in neuer Besetzung verwiesen worden sei.
18 Am 24. Juli 2018 übersandte der Berichterstatter der Beschwerdekammer den Beteiligten vor dem EUIPO eine Mitteilung, in der sie darauf hingewiesen wurden, dass es sich bei dem der Beschwerdekammer vorgelegten älteren Geschmacksmuster um das Geschmacksmuster DM/059828 handele, das – im Gegensatz zu der Abdeckplatte in den Blücher-Katalogen – als einziges im Antrag auf Nichtigerklärung genannt worden sei. Der Berichterstatter hatte nämlich bei der erneuten Prüfung der Akte nach der Zurückverweisung durch den Gerichtshof festgestellt, dass das ältere Geschmacksmuster, das von den Instanzen, die zuvor entschieden hätten, geprüft worden sei, nicht im Antrag auf Nichtigerklärung aufgeführt sei und dieser Antrag auch kein anderes Geschmacksmuster erwähnt habe. Den Beteiligten wurde für die Einreichung ihrer Stellungnahmen eine Frist von zwei Monaten eingeräumt.
19 Am 21. September 2018 reichte die Klägerin ihre Stellungnahme ein.
20 Mit Entscheidung vom 17. März 2020 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) gab die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde der Streithelferin statt, hob die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung auf und wies den Antrag auf Nichtigerklärung zurück. Einleitend stellte sie fest, dass die Klägerin im Antrag auf Nichtigerklärung als älteres Geschmacksmuster nur das Geschmacksmuster DM/059828 benannt habe und dass die anderen Geschmacksmuster, wie das in den Blücher-Katalogen, später in ergänzenden Erklärungen geltend gemacht worden seien. Sie wies darauf hin, dass Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 dem Antragsteller nicht gestatte, den Gegenstand des Verfahrens zu erweitern, indem er seinen Antrag auf bislang nicht geltend gemachte ältere Geschmacksmuster stütze.
21 Zum angegriffenen Geschmacksmuster und seinen sichtbaren Merkmalen stellte die Beschwerdekammer fest, dass es für Duschabflussrinnen eingetragen sei, die aus einem Abfluss, einer Wanne und einer Abdeckplatte bestünden, und insbesondere, dass das im angegriffenen Geschmacksmuster dargestellte Erzeugnis seitliche Rillen auf beiden Seiten und dünne Außenkanten aufweise, während die gesamte Oberfläche der Abdeckplatte mit Punkten verziert sei. Die Beschwerdekammer wies darauf hin, dass bei dem vom angegriffenen Geschmacksmuster erfassten „Duschabfluss (shower drain)“, wie sich aus Rn. 49 des ersten Urteils des Gerichts ergebe, nach seiner Installation, d. h. seinem Einbau in den Boden der Dusche, nicht nur der obere Teil der Platte, sondern auch die seitlichen Rillen sowie der obere Teil der Kanten der Wanne sichtbar seien.
22 Hinsichtlich des älteren Geschmacksmusters war die Beschwerdekammer der Ansicht, dass sie eine umfassende Prüfung der vorgelegten Beweise vornehmen müsse, um genau festzustellen, aus welchen Bestandteilen es bestehe, weil es sich nach dem Rechtsmittelurteil und dem ersten Urteil des Gerichts nicht um die Abdeckplatte in der Mitte des Bildes auf S. 33 der Blücher-Kataloge handeln könne, die keine vollständige Vorrichtung zur Ableitung von Flüssigkeiten darstelle. Nach dem Hinweis darauf, dass der Antrag auf Nichtigerklärung den Gegenstand des Verfahrens bestimme, der sich zum einen aus dem angegriffenen Geschmacksmuster und zum anderen aus den geltend gemachten älteren Geschmacksmustern ergebe, stellte die Beschwerdekammer fest, dass die Klägerin im vorliegenden Fall ihren Antrag auf Nichtigerklärung auf das Geschmacksmuster DM/059828 (oben in Rn. 7 wiedergegeben) gestützt habe.
23 In Bezug auf die technische Funktion des angegriffenen Geschmacksmusters stellte die Beschwerdekammer fest, dass keines seiner Merkmale ausschließlich durch seine technische Funktion bestimmt werde und daher weder vom Schutz auszuschließen sei noch ihm hinsichtlich seiner Auswirkungen auf den Gesamtvergleich eine erheblich eingeschränkte Rolle zugewiesen werden dürfe. Sie stellte auch fest, dass das Design in diesem Sektor eine starke ästhetische Komponente habe.
24 Zur Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters stellte die Beschwerdekammer erstens fest, dass der informierte Benutzer eine Person sei, die die grundlegenden Merkmale und Konfigurationen der im normalen Handelsverkehr erhältlichen Abflussrinnen kenne und sowohl zum Fachpublikum (bestehend z. B. aus Einzelhändlern, die Abflussrinnen an Dritte verkauften, Klempnern, die sie einbauten, oder Innenarchitekten, die die Duschabflussrinnen für ihre Kunden unter Berücksichtigung ihres ästhetischen Erscheinungsbilds suchten und auswählten) als auch zur nicht professionellen Öffentlichkeit gehören könne, die somit Endverbraucher umfasse, die diese Rinnen selbst auswählten und kauften, um sie in einem beliebigen Bereich oder einer beliebigen Umgebung zu installieren und zu verwenden. Zweitens sah die Beschwerdekammer den Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers als relativ hoch an, weil der informierte Benutzer als solcher zwar wisse, dass Abflussrinnen, um ihre Entwässerungsfunktion zu erfüllen, mit einer Wanne mit Seiten- und Stirnwänden, einem an die Kanalisation angeschlossenen Abfluss sowie mit Gittern, einem Rost oder einer geschlossenen Platte mit Schlitzen oder Öffnungen, durch die das Wasser abfließe, ausgestattet sein müssten, was aber nichts daran ändere, dass das spezifische Erscheinungsbild dieser Merkmale u. a. in Bezug auf Form, Material, Größe und Proportionen variieren könne, weil es keine anderen spezifischen Zwänge gebe als den, die Entsorgung des Wassers sicherzustellen. Drittens gelangte die Beschwerdekammer im Anschluss an die gesonderte Ermittlung der Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters und der offenbarten älteren Geschmacksmuster sowie nach einem Vergleich ihrer jeweiligen Gesamteindrücke (siehe unten, Rn. 117 bis 127) zu dem Ergebnis, dass das angegriffene Geschmacksmuster Eigenart besitze und ihm daher erst recht nicht die Neuheit abgesprochen werden könne, so dass es gültig sei.
Anträge der Beteiligten
25 Die Klägerin beantragt,
– die angefochtene Entscheidung aufzuheben,
– erneut zu entscheiden und das angegriffene Geschmacksmuster mit berichtigter Begründung für nichtig zu erklären,
– dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.
26 Das EUIPO beantragt,
– die Klage abzuweisen,
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
27 Die Streithelferin beantragt,
– die zur Stützung des ersten, des zweiten, des vierten, des fünften und des sechsten Klagegrundes vorgebrachten Rügen zurückzuweisen,
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
28 Zur Stützung der Klage macht die Klägerin sechs Klagegründe geltend, mit denen sie im Wesentlichen Beurteilungsfehler der Beschwerdekammer rügt, und zwar erstens in Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung (sowie in den ersten beiden Absätzen der zweiten Seite der Mitteilung des Berichterstatters vom 24. Juli 2018, auf die sich diese Randnummer bezieht), zweitens in Rn. 26 dieser Entscheidung, drittens in den Rn. 38 und 39 in Verbindung mit den Rn. 58 und 62 bis 65 dieser Entscheidung, viertens in den Rn. 98 bis 110 und 112 der angefochtenen Entscheidung, fünftens in Rn. 111 in Verbindung mit den Rn. 29 und 30 dieser Entscheidung und sechstens in den Rn. 114 bis 117 dieser Entscheidung.
29 Das Gericht hält es für angebracht, zunächst den dritten und den ersten Klagegrund zu prüfen, die sich auf die Identifizierung des älteren Geschmacksmusters beziehen, dann den zweiten Klagegrund, der die Bestimmung der Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters betrifft, und schließlich den vierten, den fünften und den sechsten Klagegrund, die sich auf den Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster und die Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters beziehen.
Erster und dritter Klagegrund: Identifizierung des älteren Geschmacksmusters
Dritter Klagegrund
30 Mit dem dritten Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass die Beschwerdekammer in den Rn. 38 und 39 in Verbindung mit den Rn. 58 und 62 bis 65 der angefochtenen Entscheidung einen Fehler begangen und gegen Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 verstoßen habe, indem sie festgestellt habe, dass allein die im Rahmen des Antrags auf Nichtigerklärung vor der Nichtigkeitsabteilung vorgelegten Beweise – im vorliegenden Fall des Antrags der Rechtsvorgängerin der Klägerin vom 3. September 2009 – zulässig seien und bei der Beurteilung der Nichtigkeit berücksichtigt werden könnten. Sie vertritt die Rechtsauffassung, dass im Rahmen der Beurteilung der in einem Nichtigkeitsverfahren vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel eine Befugnis des EUIPO, eine solche Feststellung zu treffen, nur anerkannt werde, wenn und soweit das EUIPO in demselben Verfahren eine Entscheidung zu treffen habe. Dagegen könne diese Befugnis nicht in Bezug auf Tatsachen und Beweismittel ausgeübt werden, die in einem Verfahren vorgebracht würden, in dem das EUIPO bereits entschieden habe und das Gegenstand einer früheren bestandskräftigen Entscheidung des EUIPO gewesen sei.
31 Die Klägerin macht geltend, im vorliegenden Fall hätten zwei Verfahren bereits zu einer früheren, bestandskräftigen Entscheidung geführt, nämlich das Verfahren vor der Nichtigkeitsabteilung des EUIPO, das zur Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung vom 23. September 2010 geführt habe, und das Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO, das zur ersten Entscheidung vom 4. Oktober 2012 geführt habe. In diesen beiden Verfahren sei festgestellt worden, dass alle Tatsachen und alle Beweise hätten berücksichtigt werden können. In den späteren Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof sei die Frage der Zulässigkeit der von den Beteiligten in den früheren Verfahren vor der Nichtigkeitsabteilung und der Beschwerdekammer vorgebrachten Tatsachen und Beweise weder von Amts wegen noch auf andere Weise angesprochen oder in Frage gestellt worden. Unzutreffend sei insbesondere auch die Schlussfolgerung, die der Berichterstatter in seiner Mitteilung vom 24. Juli 2018 aus dem Rechtsmittelurteil ziehen zu können geglaubt habe, wonach es nicht zulässig gewesen sei, die Fotografie auf S. 33 der Blücher-Kataloge vorzulegen. Die Streithelferin und das EUIPO hätten diese Feststellungen der Nichtigkeitsabteilung und der Beschwerdekammer in dieser Hinsicht weder vor dem Gericht noch vor dem Gerichtshof jemals angefochten.
32 Die Klägerin macht daher geltend, dass die Beschwerdekammer durch die in den betreffenden Randnummern der angefochtenen Entscheidung getroffene Feststellung frühere bestandskräftige Entscheidungen zurückgenommen habe. Dies laufe den allgemeinen Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Streitbeilegung, wie sie in Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgesehen seien, sowie den Grundsätzen der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der umsichtigen Verfahrensführung zuwider. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Beschwerdekammer die ihr durch Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 verliehene Befugnis nicht rückwirkend ausüben könne.
33 Das EUIPO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
34 Die Streithelferin stellt die von der Klägerin mit diesem Klagegrund erhobene Rechtsrüge der Beurteilung durch das Gericht anheim.
35 In den Rn. 38 und 39 der angefochtenen Entscheidung vertrat die Beschwerdekammer die Auffassung, mit Rücksicht darauf, dass der Gerichtshof im Rechtsmittelurteil festgestellt habe, sie habe in der ersten Entscheidung nicht das richtige ältere Geschmacksmuster berücksichtigt, müssten andere ältere Geschmacksmuster, auf die sich die Klägerin berufen habe, geprüft werden. Im Antrag auf Nichtigerklärung habe die Klägerin als älteres Geschmacksmuster das Geschmacksmuster DM/059828 und kein anderes benannt. Die anderen Geschmacksmuster habe die Rechtsvorgängerin der Klägerin später in ergänzenden Erklärungen geltend gemacht. Im Hinblick darauf fügte die Beschwerdekammer hinzu, es sei zu berücksichtigen, dass Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 dem Antragsteller nicht erlaube, den Gegenstand des Verfahrens zu erweitern, indem er seinen Antrag auf bislang nicht geltend gemachte ältere Geschmacksmuster stütze, weil ein solches Vorgehen das Verfahren verlängern und seinen Gegenstand ändern würde. Die von der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin erstmals in ihren späteren Erklärungen vorgelegten älteren Geschmacksmuster, nämlich die in den Blücher-Katalogen, seien jedoch im Antrag auf Nichtigerklärung nicht als ältere Geschmacksmuster geltend gemacht worden.
36 In Rn. 58 der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer darauf hin, dass der Antrag auf Nichtigerklärung, wie sie bereits in mehreren früheren Entscheidungen entschieden habe, den Gegenstand des Verfahrens bestimme, der sich zum einen aus dem angegriffenen Geschmacksmuster und zum anderen aus den geltend gemachten älteren Geschmacksmustern ergebe, und dass es aus diesem Grund nicht mehr möglich sei, nach Einreichung des Antrags weitere ältere Geschmacksmuster, die der Neuheit oder Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters entgegenstehen könnten, in das Verfahren einzuführen.
37 In Rn. 62 der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer fest, dass die Abdeckplatte in der Mitte des auf S. 33 der Blücher-Kataloge wiedergegebenen Bildes, die die Rechtsvorgängerin der Klägerin als das ältere oder eines der älteren Geschmacksmuster bezeichnet habe, die beweisen sollten, dass das angegriffene Geschmacksmuster nicht neu sei und keine Eigenart aufweise, erst als Antwort auf die Stellungnahme der Streithelferin vorgelegt worden sei. Sie führte aus, dass die Tatsache, dass die Instanzen, die zuvor entschieden hätten, diese Platte als in zulässiger Weise geltend gemachtes älteres Geschmacksmuster angesehen hätten, gegen die oben genannten Grundsätze verstoße, nach denen der Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens durch den Antrag bestimmt werde und es nicht erlaubt sei, nach der Einreichung des Antrags auf Nichtigerklärung weitere ältere Geschmacksmuster in dieses Verfahren einzuführen.
38 In Rn. 63 der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer der Vollständigkeit halber darauf hin, dass es im durch Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 eingeräumten Ermessen der Nichtigkeitsabteilung stehe, zusätzlich zu den bereits im Antrag auf Nichtigerklärung erwähnten älteren Geschmacksmustern oder Rechten vorgebrachte Tatsachen, Beweismittel und Unterlagen als zulässig anzusehen. Diese Bestimmung erlaube es dem Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren jedoch nicht, den Gegenstand des Verfahrens zu erweitern, indem er seinen Antrag auf neu vorgebrachte ältere Geschmacksmuster stütze, weil ein solches Vorgehen das Verfahren verlängern und seinen Gegenstand verändern würde. Da die u. a. in den Anlagen 3a und 3b, d. h. in den Blücher-Katalogen, genannten Geschmacksmuster im Antrag auf Nichtigerklärung nicht erwähnt seien, verfügten insoweit weder die Nichtigkeitsabteilung noch die Beschwerdekammer über einen Ermessensspielraum. Für die Zwecke des vorliegenden Nichtigkeitsverfahrens könnten die in diesen Dokumenten dargestellten Geschmacksmuster folglich nicht als zulässige Nachweise für den vorherigen Stand der Technik angesehen werden. In Rn. 64 der angefochtenen Entscheidung stellte die Beschwerdekammer fest, dass die von der Klägerin in ihrer Stellungnahme zur Mitteilung des Berichterstatters erwähnten Dokumente und Fotografien, die andere Geschmacksmuster als das Geschmacksmuster DM/059828 beträfen, aus denselben Gründen keine zulässigen Nachweise für den vorherigen Stand der Technik darstellen könnten.
39 In Rn. 65 der angefochtenen Entscheidung kam die Beschwerdekammer daher im Einklang mit der Mitteilung des Berichterstatters zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall das Geschmacksmuster DM/059828 das einzige ältere Geschmacksmuster sei.
40 Mit dem dritten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die Beschwerdekammer einen Fehler begangen und gegen Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 verstoßen habe, indem sie ihre Entscheidung ausschließlich auf die im Antrag auf Nichtigerklärung wiedergegebenen älteren Geschmacksmuster gestützt habe, ohne die nach Einreichung dieses Antrags vorgelegten Beweismittel wie die Blücher-Kataloge zu berücksichtigen, auf die sich die Beschwerdekammer in ihrer ersten, bestandskräftig gewordenen Entscheidung ausschließlich gestützt habe.
41 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Frage der Identifizierung der älteren Geschmacksmuster, die mit dem angegriffenen Geschmacksmuster verglichen werden müssen, in den bisherigen Verfahren vor dem EUIPO, dem Gericht und dem Gerichtshof nie abschließend entschieden wurde.
42 Zum einen wurde nämlich die erste Entscheidung der Beschwerdekammer, die im Übrigen nicht ausdrücklich über die Zulässigkeit der von der Klägerin nach Einreichung ihres Antrags auf Nichtigerklärung eingereichten Dokumente befunden hatte, durch das erste Urteil des Gerichts aufgehoben, dessen Tenor in Rechtskraft erwachsen ist (siehe oben, Rn. 14 und 16). Nach ständiger Rechtsprechung wirkt ein Aufhebungsurteil jedoch ex tunc und nimmt damit der für nichtig erklärten Handlung rückwirkend ihren rechtlichen Bestand (vgl. Urteile vom 27. Juni 2013, Beifa Group/HABM – Schwan-Stabilo Schwanhäußer [Schreibgeräte], T‑608/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:334, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 23. September 2020, CEDC International/EUIPO – Underberg [Form eines Grashalms in einer Flasche], T‑796/16, EU:T:2020:439, Rn. 72 [nicht veröffentlicht] und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher ist die erste Entscheidung aus der Rechtsordnung der Europäischen Union getilgt und keineswegs bestandskräftig geworden.
43 Zum anderen hat das Gericht in seinem ersten Urteil (siehe oben, Rn. 14) auch nicht über die Zulässigkeit dieser Dokumente entschieden, geschweige denn darüber, welche älteren Geschmacksmuster mit dem angegriffenen Geschmacksmuster zu vergleichen waren. Dieser Punkt wurde nämlich weder von den Parteien noch vom Gericht von Amts wegen angesprochen. Außerdem beschränkte sich das Rechtsmittelurteil (siehe oben, Rn. 16) nur auf die in den Rechtsmitteln aufgeworfenen Rechtsfragen. Somit wurde die Frage der Identifizierung der älteren Geschmacksmuster, auf die sich der Antrag auf Nichtigerklärung stützte, sowie die Frage, ob die später eingereichten Dokumente für die Bestimmung der älteren Geschmacksmuster relevant sind, weder im ersten Urteil des Gerichts noch im Rechtsmittelurteil aufgeworfen oder geklärt.
44 Sodann ist festzustellen, dass der vorliegende Klagegrund auf der Prämisse beruht, dass Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 unter Umständen wie denen der vorliegenden Rechtssache anwendbar ist. Daher ist zu prüfen, ob diese Bestimmung im vorliegenden Fall zumindest auf die Frage der Identifizierung des älteren Geschmacksmusters anwendbar ist, insbesondere im Hinblick auf Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v und vi der Verordnung (EG) Nr. 2245/2002 der Kommission vom 21. Oktober 2002 zur Durchführung der Verordnung Nr. 6/2002 (ABl. 2002, L 341, S. 28).
45 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das EUIPO nach Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, unberücksichtigt lassen kann. Diese Bestimmung räumt daher sowohl der Nichtigkeitsabteilung als auch der Beschwerdekammer des EUIPO einen Ermessensspielraum ein.
46 Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus dem Wortlaut von Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002, dass als allgemeine Regel und vorbehaltlich einer gegenteiligen Vorschrift die Beteiligten Tatsachen und Beweismittel auch dann noch vorbringen können, wenn die für dieses Vorbringen nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 6/2002 geltenden Fristen abgelaufen sind, und dass es dem EUIPO keineswegs untersagt ist, solche verspätet vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen. Mit der Klarstellung, dass das EUIPO in einem solchen Fall derartige Beweismittel nicht zu berücksichtigen „braucht“, räumt diese Bestimmung dem EUIPO ein weites Ermessen ein, um unter entsprechender Begründung seiner Entscheidung darüber zu befinden, ob diese zu berücksichtigen sind oder nicht (vgl. Urteil vom 5. Juli 2017, Gamet/EUIPO – Metal-Bud II Robert Gubała [Türgriff], T‑306/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:466, Rn. 15 und 16 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
47 Was die Ausübung des Ermessens des EUIPO bezüglich der etwaigen Berücksichtigung verspätet vorgelegter Beweismittel angeht, kann eine solche Berücksichtigung durch das EUIPO, wenn es im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens zu entscheiden hat, insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn es zu der Auffassung gelangt, dass zum einen die verspätet vorgebrachten Gesichtspunkte auf den ersten Blick von wirklicher Relevanz für die Bescheidung des bei ihm gestellten Antrags auf Nichtigerklärung sein können und dass zum anderen das Verfahrensstadium, in dem das verspätete Vorbringen erfolgt, und die Umstände, die es begleiten, der Berücksichtigung nicht entgegenstehen. Daraus folgt, dass es Sache des Gerichts ist, zu beurteilen, ob die Beschwerdekammer das ihr eingeräumte weite Ermessen tatsächlich ausgeübt hat, um unter Angabe von Gründen und unter gebührender Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu entscheiden, dass die erstmals bei ihr eingereichten ergänzenden Beweismittel bei der Entscheidung, die sie zu erlassen hatte, zu berücksichtigen waren oder nicht. Darüber hinaus hat das Gericht zu prüfen, ob die Beschwerdekammer das ihr durch Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 eingeräumte Ermessen in angemessener Weise ausgeübt hat (vgl. Urteil vom 5. Juli 2017, Türgriff, T‑306/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:466, Rn. 17 und 18 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
48 Aus der Rechtsprechung folgt ferner, dass die Vorlage von Beweisen, die zu solchen hinzukommen, die ihrerseits innerhalb einer vom EUIPO zu diesem Zweck gesetzten Frist vorgelegt wurden, auch nach Ablauf dieser Frist noch möglich ist und dass es dem EUIPO keineswegs untersagt ist, auf diese Weise verspätet vorgelegte zusätzliche Beweise zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 14. März 2018, Crocs/EUIPO – Gifi Diffusion [Fußbekleidung], T‑651/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:137, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne und entsprechend auch Urteil vom 26. September 2013, Centrotherm Systemtechnik/HABM und centrotherm Clean Solutions, C‑610/11 P, EU:C:2013:593, Rn. 88).
49 Dies vorausgeschickt, ist ferner darauf hinzuweisen, dass Art. 52 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 bestimmt, dass der Antrag auf Nichtigerklärung schriftlich einzureichen und zu begründen ist. Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i und vi der Verordnung Nr. 2245/2002 präzisiert, dass ein Antrag auf Nichtigerklärung die Angabe der Nichtigkeitsgründe, auf die sich der Antrag stützt, und die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen enthalten muss. Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der zuletzt genannten Verordnung sieht außerdem vor, dass der Antrag auf Nichtigerklärung, wenn er auf das Fehlen der Neuheit oder Eigenart des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters gestützt wird, die Angabe und die Wiedergabe der älteren Geschmacksmuster, die schädlich für die Neuheit oder Eigenart des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters sein könnten, sowie Unterlagen, die die Existenz dieser älteren Muster belegen, enthalten muss.
50 Nach der Rechtsprechung ist es Sache des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, dem EUIPO die erforderlichen Angaben und insbesondere eine genaue und vollständige Bezeichnung und Darstellung des Geschmacksmusters, dessen zeitlicher Vorrang behauptet wird, vorzulegen, um darzutun, dass das angegriffene Geschmacksmuster nicht rechtsgültig eingetragen werden konnte. Somit ist es nicht Sache des EUIPO, sondern des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, die Gesichtspunkte und Angaben vorzubringen, durch die das Vorliegen dieses Nichtigkeitsgrundes belegt wird (Rechtsmittelurteil, Rn. 59 und 65; vgl. auch Urteil vom 17. September 2019, Aroma Essence/EUIPO – Refan Bulgaria [Körperpflegeschwamm], T‑532/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:609, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
51 Hierzu ist klarzustellen, dass der Nachweis der Existenz und die Identifizierung des oder der älteren Geschmacksmuster für jeden der vom Antragsteller vorgebrachten Nichtigkeitsgründe erbracht werden müssen. In dieser Hinsicht hat das Gericht entschieden, dass sich weder das EUIPO noch der Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren zur Begründung des Fehlens der Eigenart (Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002) auf bestimmte der geltend gemachten älteren Geschmacksmuster stützen können, wenn sich aus dem Antrag auf Nichtigerklärung ergibt, dass diese Geschmacksmuster nur zur Stützung eines anderen Nichtigkeitsgrundes wie z. B. des Fehlens der Neuheit (Art. 5 dieser Verordnung) geltend gemacht wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. März 2018, Gifi Diffusion/EUIPO – Crocs [Fußbekleidung], T‑424/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:136, Rn. 46 bis 48).
52 Außerdem ist die Prüfung des EUIPO nach Art. 63 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 im Rahmen eines Antrags auf Nichtigerklärung auf die von den Parteien geltend gemachten Klagegründe und gestellten Anträge beschränkt. Es ist Sache des Antragstellers, sicherzustellen, dass alle geltend gemachten älteren Geschmacksmuster klar identifiziert und wiedergegeben werden, weil das Nichtigkeitsverfahren zu den Inter-partes-Verfahren gehört. Folglich hat das EUIPO bei der Prüfung des Antrags auf Nichtigerklärung nur diejenigen Geschmacksmuster zu berücksichtigen, die der Antragsteller ausdrücklich in seinem Antrag auf Nichtigerklärung und nicht in einem späteren Dokument geltend gemacht hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2019, Körperpflegeschwamm, T‑532/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:609, Rn. 30 und 36).
53 So setzt Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 (siehe oben, Rn. 49) voraus, dass das ältere oder die älteren Geschmacksmuster bereits bei der Einreichung des Antrags auf Nichtigerklärung identifiziert werden, weil dies den Streitgegenstand bestimmt und damit den Inhaber des angegriffenen Geschmacksmusters in die Lage versetzt, zur Begründetheit des Antrags Stellung zu nehmen. Der reibungslose Ablauf des Verfahrens und die Wahrung des berechtigten Interesses des Inhabers des angegriffenen Geschmacksmusters, nicht einem Rechtsstreit ausgesetzt zu werden, dessen Gegenstand sich ständig ändert, stehen nämlich der Möglichkeit eines Antragstellers entgegen, sich im Lauf des Nichtigkeitsverfahrens nach Belieben auf andere ältere Geschmacksmuster zu berufen. Aus diesem Grund ist die Einhaltung dieser Bestimmung nach Art. 30 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2245/2002 eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Antrags auf Nichtigerklärung.
54 Daher ist mit dem EUIPO davon auszugehen, dass die mit Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 verfolgte Logik darin besteht, für die Einreichung von Beweisen zu den wesentlichen Elementen des Antrags auf Nichtigerklärung, die den rechtlichen Rahmen des Antrags festlegen und abstecken, eine „im Vorhinein festgelegte“ Frist oder Ausschlussfrist vorzuschreiben, d. h. eine Frist, deren Einhaltung eine unverzichtbare Verfahrensvoraussetzung darstellt. Sofern das EUIPO nicht eine Behebung der Mängel des Antrags nach Art. 30 Abs. 1 dieser Verordnung verlangt, können neue Beweise für die Angabe und die Wiedergabe der älteren Geschmacksmuster nicht mehr vorgelegt werden, weil dies den rechtlichen Rahmen des Antrags auf Nichtigerklärung erweitern würde.
55 Aus Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 ergibt sich somit, dass der Antrag auf Nichtigerklärung den Streitgegenstand bestimmt, der sich zum einen aus dem angegriffenen Geschmacksmuster und zum anderen aus den geltend gemachten älteren Geschmacksmustern ergibt. Nach Stellung des Antrags auf Nichtigerklärung ist es daher nicht mehr möglich, andere ältere Geschmacksmuster, die der Neuheit oder Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters entgegenstehen könnten, in das Verfahren einzubringen.
56 Im Hinblick auf Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 ist somit davon auszugehen, dass das EUIPO in einem Verfahren auf Nichtigerklärung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nur die im Antrag auf Nichtigerklärung aufgeführten älteren Geschmacksmuster zu prüfen hat, nicht aber andere Geschmacksmuster, die nachträglich als ältere Geschmacksmuster geltend gemacht werden.
57 Darüber hinaus sind der Anwendungsbereich von Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. vi der Verordnung Nr. 2245/2002, wonach der Antrag auf Nichtigerklärung „die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen“ enthalten muss, und folglich auch der Anwendungsbereich des dem EUIPO durch Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 eingeräumten Ermessens zu präzisieren.
58 Hierzu ist mit dem EUIPO darauf hinzuweisen, dass Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v und vi der Verordnung Nr. 2245/2002 eine wesentliche Unterscheidung zwischen den in Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v dieser Verordnung verlangten Beweisen in Bezug auf „die Angabe und die Wiedergabe der älteren Geschmacksmuster“ und den anderen in Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. vi dieser Verordnung genannten „Tatsachen [und] Beweismittel[n]“ trifft, z. B. den Tatsachen und Beweisen, die die Offenbarung eines älteren Geschmacksmusters betreffen (Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002), oder den Beweisen, die die Funktion des angegriffenen Geschmacksmusters betreffen (Art. 8 der Verordnung Nr. 6/2002).
59 Daraus folgt, dass sich das dem EUIPO in Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 eingeräumte Ermessen, „Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, … zu berücksichtigen“, nur auf die in Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. vi der Verordnung Nr. 2245/2002 genannten „Tatsachen [und] Beweismittel“ beziehen kann, nicht aber auf die in Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v dieser Verordnung vorgeschriebene „Angabe und Wiedergabe der älteren Geschmacksmuster“. Insbesondere ist Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht auf die Identifizierung des älteren Geschmacksmusters anwendbar.
60 So erlaubt Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 zwar die Berücksichtigung zusätzlicher Beweise (siehe oben, Rn. 48), wie z. B. einer genaueren Darstellung oder eines Nachweises der Veröffentlichung eines bereits im Antrag auf Nichtigerklärung geltend gemachten Geschmacksmusters, nicht jedoch die Erweiterung des rechtlichen Rahmens dieses Antrags durch die Vorlage völlig neuer Beweise, indem dem Antragsteller gestattet würde, den Antrag auf andere ältere Geschmacksmuster zu stützen, weil ein solches Vorgehen den Streitgegenstand verändern und zudem die Dauer des Verfahrens verlängern würde.
61 Daher hat die Beschwerdekammer in Rn. 39 der angefochtenen Entscheidung zu Recht u. a. ausgeführt, dass Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 es dem Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren nicht erlaube, den Gegenstand des Verfahrens zu erweitern, indem er seinen Antrag auf bislang nicht geltend gemachte ältere Geschmacksmuster stütze.
62 Im vorliegenden Fall steht fest, wie die Beschwerdekammer nach Aufforderung der Beteiligten zur Stellungnahme in Rn. 61 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen festgestellt hat, dass das in den Blücher-Katalogen abgebildete Geschmacksmuster nicht schon im Rahmen des Antrags auf Nichtigerklärung vom 3. September 2009 geltend gemacht und wiedergegeben wurde, sondern erst in der Antwort vom 2. April 2010 auf die Stellungnahme der Streithelferin (siehe oben, Rn. 7 und 8).
63 Dieses Geschmacksmuster ist jedoch nicht mit dem ursprünglich im Antrag auf Nichtigerklärung geltend gemachten Geschmacksmuster identisch, weil sich die darin enthaltene Abdeckplatte von den älteren Geschmacksmustern, die Gegenstand der Eintragung DM/059828 sind, unterscheidet. Es handelt sich daher keineswegs um „Wiedergaben ein und desselben älteren Geschmacksmusters“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichts (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2010, Shenzhen Taiden/HABM – Bosch Security Systems [Fernmeldegeräte], T‑153/08, EU:T:2010:248, Rn. 25). Außerdem war eine Behebung von Mängeln nach Art. 30 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2245/2002 nicht erforderlich, weil die Rechtsvorgängerin der Klägerin die älteren Geschmacksmuster, auf die sie ihren Antrag auf Nichtigerklärung stützte, nämlich die der Eintragung DM/059828, korrekt identifiziert hatte.
64 Unter diesen Umständen ist mit dem EUIPO davon auszugehen, dass Beweise, die nach Einreichung des Antrags auf Nichtigerklärung vorgelegt wurden, nach Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 allenfalls hätten berücksichtigt werden dürfen, soweit sie dazu bestimmt waren, die Verwendungsmodalitäten der konkreten Erzeugnisse, in die die verglichenen Geschmacksmuster aufgenommen wurden, zu veranschaulichen oder andere Tatsachen oder Behauptungen zu stützen, die bereits im Antrag auf Nichtigerklärung vorgebracht wurden. In diesem Sinne hat die Beschwerdekammer die Zulässigkeit dieser Beweise zwar nicht strikt ausgeschlossen, soweit sie zur Ergänzung eines Vorbringens bestimmt sind, das sich auf das im Antrag auf Nichtigerklärung identifizierte ältere Geschmacksmuster bezieht.
65 Die formale Zulässigkeit solcher Beweise kann jedoch im Hinblick auf Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 nicht dazu führen, dass den ursprünglich im Antrag auf Nichtigerklärung geltend gemachten Geschmacksmustern ein weiteres älteres Geschmacksmuster hinzugefügt werden darf. Unter diesem Gesichtspunkt kommt die Vorlage der Blücher-Kataloge nach der Einreichung des Antrags auf Nichtigerklärung nämlich der Vorlage eines völlig „neuen“ Beweises gleich, im Gegensatz zu einem „zusätzlichen“ Beweis im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts zu Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 (siehe oben, Rn. 48).
66 Zu Recht hat die Beschwerdekammer daher in Rn. 63 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen festgestellt, dass die Berücksichtigung zusätzlicher Beweise zwar dazu führen könne, den tatsächlichen Rahmen des Antrags auf Nichtigerklärung zu erweitern, indem diese Beweise zu anderen Beweisen hinzuträten, die bereits geltend gemachte ältere Geschmacksmuster beträfen, nicht aber dazu, den rechtlichen Rahmen dieses Antrags auf neue, zuvor nicht geltend gemachte ältere Geschmacksmuster auszuweiten, weil die Rechtsvorgängerin der Klägerin den Umfang dieses Antrags zum Zeitpunkt seiner Einreichung endgültig festgelegt habe, indem sie die zur Stützung dieses Antrags geltend gemachten älteren Geschmacksmuster identifiziert habe.
67 Ebenfalls zu Recht hat die Beschwerdekammer in den Rn. 65 und 66 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass das einzige ältere Geschmacksmuster, das im vorliegenden Fall ordnungsgemäß geltend gemacht worden sei, das Geschmacksmuster DM/059828 sei, das der Öffentlichkeit im Sinne von Art. 7 der Verordnung Nr. 6/2002 vor dem Anmeldetag des angegriffenen Geschmacksmusters zugänglich gemacht worden sei. Außerdem sind die Tatsache und der zeitliche Vorrang dieser Offenbarung unstreitig.
68 Folglich ist entgegen dem Vorbringen der Klägerin erstens festzustellen, dass die Beschwerdekammer in keiner Weise frühere bestandskräftige Entscheidungen zurückgenommen und keinen der oben in Rn. 32 genannten allgemeinen Grundsätze missachtet hat, und zweitens, dass die Beschwerdekammer nicht gegen Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 verstoßen, sondern Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 2245/2002 ordnungsgemäß angewandt hat.
69 Daher ist der dritte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.
Erster Klagegrund
70 Mit dem ersten Klagegrund, der aus drei Teilen besteht, macht die Klägerin geltend, dass die Beschwerdekammer in Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung in Verbindung mit der Mitteilung des Berichterstatters vom 24. Juli 2018 mehrere Beurteilungsfehler begangen habe.
71 Mit dem ersten Teil wirft die Klägerin der Beschwerdekammer vor, zu Unrecht angenommen zu haben, dass der Berichterstatter in seiner Mitteilung das Geschmacksmuster DM/059828 als das einzige zu berücksichtigende ältere Geschmacksmuster angesehen habe, weil es als einziges im Antrag auf Nichtigerklärung genannt worden sei. Der in dieser Randnummer angeführte Grund, dass nur dieses Geschmacksmuster dem Antrag auf Nichtigerklärung beigefügt worden sei, lasse sich nämlich aus der Mitteilung des Berichterstatters nicht ableiten und sei in der angefochtenen Entscheidung auch nicht näher begründet worden.
72 Mit dem zweiten Teil wirft die Klägerin der Beschwerdekammer vor, zu Unrecht festgestellt zu haben, dass die Fotografie auf S. 33 der Blücher-Kataloge nicht berücksichtigt werden könne, weil das Rechtsmittelurteil ihrer Vorlage als älteres Geschmacksmuster im Nichtigkeitsverfahren entgegenstehe. Die Beschwerdekammer habe aus diesem Urteil eine Schlussfolgerung gezogen, für die es keine Grundlage gebe. Außerdem habe das EUIPO unter Missachtung von Rn. 71 des Rechtsmittelurteils keine Maßnahmen der Beweisaufnahme angeordnet.
73 Mit dem dritten Teil macht die Klägerin geltend, die Beschwerdekammer habe zu Unrecht angenommen, dass nur das von der Klägerin im Antrag auf Nichtigerklärung vorgelegte Geschmacksmuster DM/059828 als älteres Geschmacksmuster geprüft werden könne, weil der Berichterstatter festgestellt habe, dass das „von den Instanzen, die zuvor entschieden [hätten], geprüfte ältere Geschmacksmuster“ in dem von der Rechtsvorgängerin der Klägerin am 3. September 2009 gestellten Antrag auf Nichtigerklärung nicht aufgeführt worden sei. Diese Schlussfolgerung gehe über diejenige in der Mitteilung des Berichterstatters hinaus, der keineswegs ausgeführt habe, dass das von diesen Instanzen geprüfte ältere Geschmacksmuster im Antrag auf Nichtigerklärung nicht erwähnt worden sei.
74 Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
75 In Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer darauf hin, dass der Berichterstatter die Beteiligten in einer Mitteilung vom 24. Juli 2018 darüber informiert habe, dass es sich bei dem ihm vorgelegten älteren Geschmacksmuster um das Geschmacksmuster DM/059828 handele, das als einziges im Antrag auf Nichtigerklärung erwähnt worden sei. Sie führte aus, dass der Berichterstatter bei der erneuten Prüfung der Akte nach der Zurückverweisung durch den Gerichtshof festgestellt habe, dass das ältere Geschmacksmuster, das von den Instanzen, die zuvor entschieden hätten, geprüft worden sei, im Antrag auf Nichtigerklärung nicht aufgeführt sei und dieser Antrag auch kein anderes Geschmacksmuster erwähnt habe.
76 Mit dem ersten Teil rügt die Klägerin im Wesentlichen, dass der Berichterstatter in seiner Mitteilung vom 24. Juli 2018 und die Beschwerdekammer in Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung nicht begründet hätten, warum nur die von der Eintragung DM/059828 erfassten Geschmacksmuster (siehe oben, Rn. 7) zu berücksichtigen seien, nicht aber die oben in Rn. 8 wiedergegebene Abbildung.
77 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidungen des EUIPO nach Art. 62 Satz 1 der Verordnung Nr. 6/2002 mit Gründen zu versehen sind. Diese Begründungspflicht hat den gleichen Umfang wie die Begründungspflicht in Art. 296 AEUV, wonach die Überlegungen des Urhebers des Rechtsakts klar und eindeutig zum Ausdruck kommen müssen. Sie soll dem doppelten Ziel dienen, die Beteiligten über die Gründe für die erlassene Maßnahme zu unterrichten, damit sie ihre Rechte verteidigen können, und es außerdem dem Unionsrichter zu ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung zu überprüfen. Die Frage, ob die Begründung einer Entscheidung diesen Anforderungen genügt, ist nicht nur im Hinblick auf deren Wortlaut zu entscheiden, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften, die das betreffende Gebiet regeln (vgl. Urteil vom 13. Juni 2019, Visi/one/EUIPO – EasyFix [Informationstafeln für Fahrzeuge], T‑74/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:417, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).
78 Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass sich die Begründungspflicht nur auf die angefochtene Entscheidung bezieht und nicht auf die Mitteilung des Berichterstatters im Verfahren, die keine anfechtbare Handlung ist. Aus der Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass eine Entscheidung der Beschwerdekammer vor dem Unionsrichter anfechtbar ist, wenn sie gegenüber dem am Verfahren vor dem EUIPO Beteiligten „bindende Rechtswirkungen“ erzeugt (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 17. März 2009, Laytoncrest/HABM – Erico [TRENTON], T‑171/06, EU:T:2009:70, Rn. 21). Das ist bei der Mitteilung des Berichterstatters der Beschwerdekammer nicht der Fall.
79 Zweitens ergibt sich aus der Prüfung des dritten Klagegrundes (siehe oben, Rn. 30 bis 69), dass die Beschwerdekammer in den Rn. 38 und 39 sowie 53 bis 67 der angefochtenen Entscheidung klar erläutert hat, aus welchen Gründen bei der Prüfung der Erfordernisse der Art. 5 und 6 der Verordnung Nr. 6/2002 nur ein älteres Geschmacksmuster berücksichtigt werden könne, dessen Wiedergabe dem Antrag auf Nichtigerklärung zu dessen Unterstützung beigefügt gewesen sei. Insbesondere hat sich die Beschwerdekammer auf eine Auslegung von Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 im Licht von Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i, v und vi der Verordnung Nr. 2245/2002 gestützt, die im Übrigen, wie bei der Prüfung des dritten Klagegrundes festgestellt wurde, fehlerfrei ist. Diese ausführliche Begründung erfüllt die in Art. 62 Satz 1 der Verordnung Nr. 6/2002 genannte Begründungspflicht in vollem Umfang.
80 Der erste Teil des vorliegenden Klagegrundes ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
81 Mit dem zweiten Teil wirft die Klägerin der Beschwerdekammer im Wesentlichen vor, die in den Blücher-Katalogen enthaltenen Darstellungen, insbesondere die oben in Rn. 8 wiedergegebene Abbildung, nicht berücksichtigt zu haben, obwohl das Rechtsmittelurteil die Zulässigkeit und die Relevanz der letztgenannten Abbildung rechtskräftig festgestellt habe.
82 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das EUIPO nach Art. 61 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 die Maßnahmen zu ergreifen hat, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben.
83 Nach ständiger Rechtsprechung kommt das Organ, das den angefochtenen Akt erlassen hat, einem Aufhebungsurteil nur dann nach und führt es nur dann voll durch, wenn es nicht nur den Tenor des Urteils beachtet, sondern auch die Gründe, die zu dem Tenor geführt haben und ihn in dem Sinne tragen, dass sie zur Bestimmung der genauen Bedeutung des Tenors unerlässlich sind. Diese Gründe benennen nämlich zum einen die Bestimmung, die als rechtswidrig angesehen wird, und lassen zum anderen die spezifischen Gründe der im Tenor festgestellten Rechtswidrigkeit erkennen, die das betroffene Organ bei der Ersetzung des aufgehobenen Aktes zu beachten hat (vgl. Urteil vom 27. Juni 2013, Schreibgeräte, T‑608/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:334, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).
84 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass der Gerichtshof in den Rn. 69 bis 71 seines Rechtsmittelurteils Folgendes ausgeführt hat:
„69 Es kann vom EUIPO jedoch nicht verlangt werden, dass es namentlich bei der Beurteilung der Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters die unterschiedlichen Elemente des älteren Geschmacksmusters[, d. h. der Ablaufwanne und der oben in Rn. 8 wiedergegebenen Abdeckplatte,] zusammenfügt, denn es ist Sache des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, eine vollständige Darstellung dieses Geschmacksmusters vorzulegen. Im Übrigen enthielte jede mögliche Kombination, wie der Generalanwalt in Nr. 152 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, Ungenauigkeiten, da sie zwangsläufig auf approximativen Vorstellungen beruhte.
70 Wie das EUIPO damit entgegen den Feststellungen des Gerichts in Rn. 78 des angefochtenen Urteils zu Recht geltend macht, kann der Umstand, dass das angegriffene Geschmacksmuster nur aus einer Kombination von bereits der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Geschmacksmustern besteht, die – wie bereits ausgeführt – zusammen verwendet werden sollen, für die Prüfung der Neuheit im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht relevant sein, wenn die vollständige Angabe und Wiedergabe des Geschmacksmusters, dessen zeitlicher Vorrang behauptet wird, fehlt.
71 Überdies kann der vom Gericht in Rn. 68 des angefochtenen Urteils angeführte Umstand, dass ESS als Streithelferin vor dem Gericht Auszüge aus einem Katalog des Unternehmens Blücher vorlegte, die sich von denen, die Group Nivelles in ihrem Antrag auf Nichtigerklärung vorgelegt hatte, unterschieden und ein Bild einer Abdeckplatte wie der in Rn. 23 des vorliegenden Urteils mittig abgebildeten enthielten, die auf einem Behälter mit einem darunter befindlichen Abflusssiphon angebracht war, nicht das Fehlen der genauen Angabe und Wiedergabe des von Group Nivelles geltend gemachten Geschmacksmusters ausgleichen. Auch wenn dieser Umstand vom EUIPO berücksichtigt werden könnte, um gemäß Art. 65 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 Maßnahmen der Beweisaufnahme anzuordnen, ist es nicht Aufgabe des EUIPO, die verschiedenen Teile eines oder mehrerer Geschmacksmuster, die in verschiedenen dem Antrag auf Nichtigerklärung beigefügten Katalogauszügen getrennt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, zusammenzufügen, um das vollständige Erscheinungsbild des geltend gemachten älteren Geschmacksmusters zu erhalten. Ohne dass es notwendig wäre, das Vorbringen des EUIPO, wonach den Rn. 68 und 76 des angefochtenen Urteils eine Verfälschung der Tatsachen anhafte, zu prüfen, genügt es nämlich festzustellen, dass das Gericht in diesem Urteil keineswegs ausgeführt hat, die von ESS vorgelegte Abbildung sei eine genaue und vollständige Abbildung des älteren Geschmacksmusters, dessen zeitlicher Vorrang von Group Nivelles behauptet worden sei.“
85 Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der Prüfung des dritten Klagegrundes bereits festgestellt wurde, dass die Frage der Identifizierung der mit dem angegriffenen Geschmacksmuster zu vergleichenden älteren Geschmacksmuster in den vorausgegangenen Verfahren vor dem EUIPO, dem Gericht und dem Gerichtshof nie abschließend geklärt wurde (siehe oben, Rn. 41 bis 43). Die Verpflichtung, die Rechtskraft zu beachten, gilt daher nicht für diese spezielle Frage.
86 Zweitens ist zu beachten, dass die von der Klägerin zitierte Passage des Rechtsmittelurteils nur die Verpflichtung betrifft, eine „vollständige Darstellung“ eines älteren Geschmacksmusters vorzulegen. Zu der Möglichkeit, eine solche „vollständige Darstellung“ nach der Einreichung des Antrags auf Nichtigerklärung vorzulegen, hat sich der Gerichtshof hingegen nicht geäußert. Die Verpflichtung, die Rechtskraft zu beachten, gilt daher nicht für diese spezielle Frage.
87 Soweit die Klägerin der Beschwerdekammer darüber hinaus vorwirft, keine Beweisaufnahme auf der Grundlage von Art. 65 der Verordnung Nr. 6/2002 angeordnet zu haben, ist diese Rüge unbegründet. Die Klägerin hatte zwar in ihrer Stellungnahme vom 21. September 2018 in der Tat beantragt, Zeugen zu vernehmen, legt aber nicht dar, inwiefern die Unterlassung solcher Maßnahmen der Beweisaufnahme einen Beurteilungsfehler darstellen soll. Diese Zeugen hätten zwar möglicherweise die Behauptung gestützt, dass am Tag der Anmeldung des angegriffenen Geschmacksmusters ihm ähnliche Geschmacksmuster bereits bekannt gewesen seien. Eine solche Aussage wäre jedoch ins Leere gegangen, weil die von der Beschwerdekammer entschiedene grundlegende Frage, nämlich die Identifizierung der bei der Beurteilung der Neuheit und der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters zu berücksichtigenden älteren Geschmacksmuster, rein rechtlich geklärt werden konnte, nämlich auf der rechtlichen Grundlage einer Auslegung von Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 im Licht von Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i, v und vi der Verordnung Nr. 2245/2002. Daher wären Tatsachenbekundungen von Sachverständigen in einem solchen Kontext jedenfalls irrelevant gewesen.
88 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich weder das Gericht noch der Gerichtshof zur Notwendigkeit dieser beantragten Beweisaufnahme geäußert haben und beide überdies nicht befugt gewesen wären, dem EUIPO Anordnungen zu erteilen, insbesondere nicht die, eine solche Beweisaufnahme durchzuführen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Februar 2017, Mast-Jägermeister/EUIPO [Becher], T‑16/16, EU:T:2017:68, Rn. 27).
89 Der zweite Teil des vorliegenden Klagegrundes ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
90 Mit dem dritten Teil erhebt die Beschwerdeführerin verschiedene Vorwürfe gegen die Mitteilung des Berichterstatters vom 24. Juli 2018.
91 Hierzu genügt die Feststellung, dass dieser dritte Teil unzulässig ist, weil die in einer Klageschrift vorgebrachten Nichtigkeitsgründe nur die angefochtene Entscheidung betreffen können, nicht aber eine frühere Verfahrenshandlung, die als solche keine Rechtswirkung entfaltet und eine nicht anfechtbare Handlung darstellt (siehe oben, Rn. 77), wie etwa die Mitteilung des Berichterstatters.
92 Außerdem ist dieser dritte Teil, soweit er die Rechtskraft der Urteile des Gerichtshofs und des Gerichts betrifft, aus den oben in den Rn. 41 bis 43 und 84 bis 89 dargelegten Gründen unbegründet.
93 Der dritte Teil des vorliegenden Klagegrundes ist daher als unzulässig und zudem als unbegründet zurückzuweisen.
94 Der erste Rechtsmittelgrund ist daher zurückzuweisen.
Zweiter Klagegrund: Bestimmung der Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters
95 Mit dem zweiten Klagegrund macht die Klägerin geltend, dass die Beschwerdekammer die Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters in Rn. 26 der angefochtenen Entscheidung fehlerhaft bestimmt habe. Indem sich die Klägerin erneut auf Rn. 69 des Rechtsmittelurteils (siehe oben, Rn. 84) beruft, macht sie geltend, dass vom EUIPO nicht verlangt werden könne, im Rahmen der Beurteilung der Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters verschiedene Teile (im vorliegenden Fall eine Ablaufwanne und eine Abdeckplatte) zusammenzufügen, um die vollständige Erscheinungsform dieses Geschmacksmusters zu erhalten. Nach ihrer Auffassung ist die relevante Frage die der „Unterscheidungskraft“ des angegriffenen Geschmacksmusters. Aus der Stellungnahme der Streithelferin vom 8. Dezember 2009 gehe jedoch hervor, dass diese in Wirklichkeit nicht das Erscheinungsbild einer Duschabflussrinne habe eintragen lassen wollen, sondern nur das Erscheinungsbild einer Abdeckplatte, die zur Verwendung auf rechteckigen und länglichen Abflussrinnen bestimmt sei. Aus zwei Urteilen niederländischer Gerichte gehe außerdem hervor, dass das einzige „unterscheidungskräftige Merkmal“ des angegriffenen Geschmacksmusters „die geschlossene Abdeckplatte“ oder „der [sogenannte] Zero-Rost“ gewesen sei, d. h. „ein Rost ohne Löcher, bei dem das Wasser über die auf beiden Seiten des Rosts vorhandenen Rillen abfließen kann“. Desgleichen habe die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO angenommen, dass das einzige während der bestimmungsgemäßen Verwendung sichtbare Merkmal des angegriffenen Geschmacksmusters der obere Teil der Platte sei.
96 Die Klägerin hält es für völlig folgerichtig, dass die Nichtigkeitsabteilung in Anbetracht dieser Feststellung ihre weiteren Erwägungen auf einen Vergleich gestützt hat, der sich darauf beschränkt, allein das Erscheinungsbild der „Zero“-Abdeckplatte des angegriffenen Geschmacksmusters dem aller anderen älteren Abdeckplatten, insbesondere der auf S. 33 der Blücher-Kataloge abgebildeten, gegenüberzustellen. Der Umstand, dass diese Abdeckplatten dazu bestimmt seien, gegebenenfalls in Verbindung mit einer rechteckigen, länglichen Ablaufwanne verwendet zu werden und somit zusammen mit dieser eine Duschabflussrinne zu bilden, sei in dieser Hinsicht von geringer Bedeutung, weil deren Merkmale nach Ansicht der Streithelferin nicht als unterscheidungskräftig, neu oder individuell anzusehen seien und die rechteckige, längliche Wanne und ihre Merkmale während der bestimmungsgemäßen Verwendung der Abflussrinne nicht sichtbar seien.
97 Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
98 In Rn. 26 der angefochtenen Entscheidung wies die Beschwerdekammer darauf hin, dass die Klägerin am 21. September 2018 einen Antrag auf Anhörung gestellt und ihre Stellungnahme eingereicht habe, die im Wesentlichen auf verschiedene Argumente gestützt worden sei, die die Kammer im Einzelnen aufgeführt habe. Insbesondere habe die Klägerin auf die im vorausgegangenen Verfahren vorgelegten Erklärungen verwiesen, die ihrer Ansicht nach belegten, dass den Fachkreisen die Existenz von Geschmacksmustern von Duschabflussrinnen bekannt gewesen sei, deren Erscheinungsbild aus einer rechteckigen, länglichen Wanne bestanden habe, die mit der gleichen geschlossenen Abdeckplatte versehen gewesen sei. Die Klägerin habe sich insbesondere auf die Anlagen 5 bis 7 bezogen und die Beschwerdekammer ersucht, diese Zeugen zu hören.
99 Mit dem zweiten Klagegrund macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die Beschwerdekammer die Merkmale des streitigen Geschmacksmusters fehlerhaft bestimmt habe. Die Beschwerdekammer habe den Fehler begangen, bestimmte Merkmale des angegriffenen Geschmacksmusters, wie die seitlichen Rillen, zu berücksichtigen, während die Streithelferin ausschließliche Rechte am „Erscheinungsbild einer Abdeckplatte einer Abflussrinne“ beanspruche, „die zur Verwendung mit rechteckigen und länglichen (Dusch‑)Abflussrinnen bestimmt [sei]“. Mit anderen Worten könnten die rechteckige und längliche Form der Abflussrinne und die seitlichen Rillen nicht unter den Schutzgegenstand des angegriffenen Geschmacksmusters fallen. Allein die Form der Abdeckplatte der Duschrinne sei geeignet, dieses Geschmacksmuster von den älteren Geschmacksmustern zu unterscheiden.
100 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Rn. 26 der angefochtenen Entscheidung nicht Teil ihrer „Entscheidungsgründe“ (Rn. 27 bis 116), sondern der „Zusammenfassung des Sachverhalts“ (Rn. 1 bis 26) ist, da es sich um eine Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin und nicht um eine Beurteilung durch die Beschwerdekammer handelt.
101 Nach der Rechtsprechung sind jedoch Klagegründe, die sich nicht gegen die Gründe richten, aus denen die Beschwerdekammer die bei ihr eingelegte Beschwerde zurückgewiesen hat, als ins Leere gehend anzusehen (vgl. Beschluss vom 16. Oktober 2020, L. Oliva Torras/EUIPO – Mecánica del Frío [Anhängevorrichtungen für Fahrzeuge], T‑629/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:506, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das ist hier der Fall.
102 Darüber hinaus ist mit dem EUIPO darauf hinzuweisen, dass der Gegenstand eines angegriffenen Geschmacksmusters und seine Merkmale ausschließlich anhand der zur Unterstützung der Anmeldung eingereichten Abbildungen bestimmt werden müssen.
103 Bei der Beurteilung der Neuheit oder der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters ist dieses nämlich in der Form, in der es eingetragen ist, mit den älteren Geschmacksmustern zu vergleichen (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile vom 8. Dezember 2005, Castellblanch/HABM – Champagne Roederer [CRISTAL CASTELLBLANCH], T‑29/04, EU:T:2005:438, Rn. 57, und vom 21. April 2021, Chanel/EUIPO – Huawei Technologies [Darstellung eines Kreises mit zwei ineinander verschlungenen gekrümmten Linien], T‑44/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:207, Rn. 25).
104 Außerdem dürfen die Schlussfolgerungen, die in Bezug auf den Gegenstand und die Merkmale eines angegriffenen Geschmacksmusters gezogen werden, nicht der Beurteilung durch die Parteien und letztlich ihrer freien Entscheidung überlassen werden (vgl. in diesem Sinne zur rechtlichen Einordnung der Offenbarungshandlung Urteil vom 23. Oktober 2018, Mamas and Papas/EUIPO – Wall-Budden [Nestchen für Kinderbetten], T‑672/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:707, Rn. 60).
105 Der zweite Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
Vierter, fünfter und sechster Klagegrund: Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster und Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters
Rechtsvorschriften und Rechtsprechung
106 Nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 kann ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster für nichtig erklärt werden, wenn es die Voraussetzungen der Art. 4 bis 9 dieser Verordnung, zu denen insbesondere die Neuheit und die Eigenart gehören, nicht erfüllt.
107 Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 hat ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster, das der Öffentlichkeit vor dem Tag seiner Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist, bei diesem Benutzer hervorruft. Art. 6 Abs. 2 dieser Verordnung stellt außerdem klar, dass bei der Beurteilung dieser Eigenart der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters berücksichtigt wird.
108 Die Beurteilung der Eigenart eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters erfolgt im Wesentlichen in einer Prüfung in vier Schritten. Zu bestimmen sind erstens der Bereich der Erzeugnisse, bei denen das Geschmacksmuster verwendet oder in die es aufgenommen werden soll, zweitens der informierte Benutzer dieser Waren je nach ihrer Zweckbestimmung und mit Bezug auf diesen informierten Benutzer der Grad der Kenntnis vom Stand der Technik sowie der Grad der Aufmerksamkeit beim möglichst unmittelbaren Vergleich der Geschmacksmuster, drittens der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters, deren Einfluss auf die Eigenart umgekehrt proportional ist, und viertens, unter Berücksichtigung der Eigenart, das Ergebnis des möglichst direkten Vergleichs der Gesamteindrücke, die das angegriffene Geschmacksmuster und jedes ältere, der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Geschmacksmuster beim informierten Benutzer jeweils hervorrufen (vgl. Urteil vom 13. Juni 2019, Informationstafeln für Fahrzeuge, T‑74/18, EU:T:2019:417, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).
109 In Bezug auf das ältere oder die älteren Geschmacksmuster ist die Eigenart eines Geschmacksmusters durch einen Vergleich mit einem oder mehreren älteren Geschmacksmustern zu beurteilen, die einzeln aus der Gesamtheit der der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Geschmacksmuster bestimmt wurden, und nicht durch den Vergleich mit einer Kombination isoliert betrachteter Elemente, die mehreren Geschmacksmustern entnommen wurden (Urteile vom 19. Juni 2014, Karen Millen Fashions, C‑345/13, EU:C:2014:2013, Rn. 25 und 35, und vom 13. Juni 2019, Informationstafeln für Fahrzeuge, T‑74/18, EU:T:2019:417, Rn. 84; vgl. in diesem Sinne auch Rechtsmittelurteil, Rn. 61). Somit muss dem älteren Geschmacksmuster ein „kompakter“ oder „umfassender“ zeitlicher Vorrang zukommen, der nicht das Ergebnis einer Kombination sein darf.
110 Für die Instanzen des EUIPO ist es von wesentlicher Bedeutung, über ein Bild des älteren Geschmacksmusters zu verfügen, das es ermöglichen muss, das Erscheinungsbild des Erzeugnisses, in das das Geschmacksmuster aufgenommen ist, zu erfassen und genau und sicher das ältere Geschmacksmuster zu bestimmen, um gemäß den Art. 5 bis 7 der Verordnung Nr. 6/2002 die Neuheit und Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters zu beurteilen und den dazu erforderlichen Vergleich zwischen den in Rede stehenden Geschmacksmustern vorzunehmen. Für die Prüfung, ob dem angegriffenen Geschmacksmuster die Neuheit oder Eigenart fehlt, ist nämlich ein genaues und bestimmtes älteres Geschmacksmuster erforderlich. Außerdem ist es Sache des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, dem EUIPO die erforderlichen Angaben und insbesondere eine genaue und vollständige Bezeichnung und Darstellung des Geschmacksmusters, dessen zeitlicher Vorrang behauptet wird, vorzulegen, um darzutun, dass das angegriffene Geschmacksmuster nicht rechtsgültig eingetragen werden konnte. Hingegen kann vom EUIPO nicht verlangt werden, dass es namentlich bei der Beurteilung der Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters die unterschiedlichen Elemente des älteren Geschmacksmusters zusammenfügt, denn es ist Sache des Antragstellers im Nichtigkeitsverfahren, eine vollständige Darstellung dieses Geschmacksmusters vorzulegen (vgl. in diesem Sinne Rechtsmittelurteil, Rn. 64, 65 und 69).
111 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es für die Geltendmachung des älteren Geschmacksmusters in einem Nichtigkeitsverfahren – ebenso wie im Hinblick auf Art. 36 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 für den Schutzumfang des Geschmacksmusters in einem Verletzungsverfahren – nicht auf die Kenntnis des Bereichs der in der Anmeldung genannten Erzeugnisse ankommt. So ist es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht erforderlich, dass der informierte Benutzer des angegriffenen Geschmacksmusters das Erzeugnis kennt, in das das ältere Geschmacksmuster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird (vgl. in diesem Sinne Rechtsmittelurteil, Rn. 134). Mit anderen Worten: Ein älteres Geschmacksmuster, das in ein anderes Erzeugnis als das vom angegriffenen Geschmacksmuster erfasste aufgenommen oder bei diesem verwendet wird, ist für die Beurteilung der Eigenart dieses jüngeren Geschmacksmusters im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 grundsätzlich relevant.
112 Was das angegriffene Geschmacksmuster betrifft, können die nicht sichtbaren Merkmale des Erzeugnisses, die keinen Bezug zu dessen Erscheinungsform aufweisen, bei der Klärung der Schutzfähigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters nicht berücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2014, Biscuits Poult/HABM – Banketbakkerij Merba [Biskuits], T‑494/12, EU:T:2014:757, Rn. 29).
113 Was den Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster angeht, ergibt sich die Eigenart eines Geschmacksmusters nach ständiger Rechtsprechung aus einem Gesamteindruck der Unähnlichkeit oder des Fehlens eines „déjà vu“ aus der Sicht des informierten Benutzers im Vergleich zum vorbestehenden Formschatz älterer Geschmacksmuster, ungeachtet der Unterschiede, die – auch wenn sie über unbedeutende Details hinausgehen – nicht markant genug sind, um diesen Gesamteindruck zu beeinträchtigen, aber unter Berücksichtigung von Unterschieden, die hinreichend ausgeprägt sind, um einen unähnlichen Gesamteindruck hervorzurufen (vgl. Urteil vom 13. Juni 2019, Informationstafeln für Fahrzeuge, T‑74/18, EU:T:2019:417, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).
114 Der Vergleich der durch die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster erweckten Gesamteindrücke muss synthetischer Art sein und kann sich nicht auf den analytischen Vergleich einer Aufzählung von Ähnlichkeiten und Unterschieden beschränken. Diesem Vergleich müssen die im angegriffenen Geschmacksmuster offenbarten Merkmale zugrunde gelegt werden, und er darf sich nur auf die tatsächlich geschützten Elemente stützen, ohne die vom Schutz ausgeschlossenen Merkmale – insbesondere technischer Art – zu berücksichtigen. Dieser Vergleich muss sich grundsätzlich auf die Geschmacksmuster in ihrer eingetragenen Form beziehen, wobei vom Antragsteller im Nichtigkeitsverfahren keine der Wiedergabe im Antrag auf Eintragung des angegriffenen Geschmacksmusters vergleichbare grafische Darstellung des geltend gemachten Geschmacksmusters verlangt werden kann (vgl. Urteil vom 13. Juni 2019, Informationstafeln für Fahrzeuge, T‑74/18, EU:T:2019:417, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).
115 Im Licht dieser Rechtsprechung sind der vierte, der fünfte und der sechste Klagegrund zu prüfen, nachdem die einzelnen einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster und die von der Beschwerdekammer in den Rn. 98 bis 112 der angefochtenen Entscheidung vorgenommenen Beurteilungen wiedergegeben worden sind.
Wiedergabe der einzelnen einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster und der angefochtenen Entscheidung
116 Die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster werden im Folgenden aufgeführt, wobei die sechs Geschmacksmuster, die Gegenstand der Eintragung DM/059828 sind, einzeln betrachtet werden müssen, weil sie – vorbehaltlich der Prüfung des vierten Klagegrundes (siehe unten, Rn. 128 bis 147) – jeweils kompakten zeitlichen Vorrang haben (siehe oben, Rn. 109):

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