URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

13. Juni 2024(*)

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Gesetz über das Verbot der Verwendung von Kohle für die Stromerzeugung – Vorzeitige Stilllegung eines Kohlekraftwerks – Gewährung einer Entschädigung – Beschluss, mit dem die Maßnahme für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt wird, ohne darüber zu entscheiden, ob eine staatliche Beihilfe vorliegt – Ausübung der Zuständigkeit der Europäischen Kommission“

In der Rechtssache C‑40/23 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 26. Januar 2023,

Europäische Kommission, vertreten durch I. Georgiopoulos, B. Stromsky und H. van Vliet als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. K. Bulterman, A. Hanje und J. Langer als Bevollmächtigte,

Kläger im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer (Berichterstatter) sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Februar 2024

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Europäische Kommission die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 16. November 2022, Niederlande/Kommission (T‑469/20, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2022:713), mit dem das Gericht der Klage des Königreichs der Niederlande auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2020) 2998 final der Kommission vom 12. Mai 2020 über die staatliche Beihilfe SA.54537 (2020/NN) – Niederlande, Verbot der Verwendung von Kohle für die Stromerzeugung in den Niederlanden (ABl. 2020, C 220, S. 2, im Folgenden: streitiger Beschluss) stattgegeben hat.

 Rechtlicher Rahmen

2        Art. 107 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. c AEUV sieht vor:

„(1)      Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

(3)      Als mit dem Binnenmarkt vereinbar können angesehen werden:

c)      Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft.“

3        Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV bestimmt:

„(2)      Stellt die Kommission fest, nachdem sie den Beteiligten eine Frist zur Äußerung gesetzt hat, dass eine von einem Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe mit dem Binnenmarkt nach Artikel 107 unvereinbar ist oder dass sie missbräuchlich angewandt wird, so beschließt sie, dass der betreffende Staat sie binnen einer von ihr bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten hat.

(3)      Die Kommission wird von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet, dass sie sich dazu äußern kann. Ist sie der Auffassung, dass ein derartiges Vorhaben nach Artikel 107 mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist, so leitet sie unverzüglich das in Absatz 2 vorgesehene Verfahren ein. Der betreffende Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat.“

4        Der siebte Erwägungsgrund der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 [AEUV] (ABl. 2015, L 248, S. 9), der im Wesentlichen den gleichen Wortlaut hat wie der siebte Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 [EG] (ABl. 1999, L 83, S. 1), lautet:

„Die Frist, innerhalb derer die Kommission die vorläufige Prüfung angemeldeter Beihilfen beendet haben muss, sollte festgesetzt werden auf zwei Monate nach Erhalt einer vollständigen Anmeldung oder nach Erhalt einer gebührend begründeten Erklärung des betreffenden Mitgliedstaats, wonach dieser die Anmeldung als vollständig erachtet, da die von der Kommission erbetenen zusätzlichen Auskünfte nicht verfügbar sind oder bereits erteilt wurden. Diese Prüfung sollte aus Gründen der Rechtssicherheit durch einen Beschluss abgeschlossen werden.“

5        Art. 4 der Verordnung 2015/1589, der im Wesentlichen den gleichen Wortlaut hat wie Art. 4 der Verordnung Nr. 659/1999, bestimmt:

„(1)      Die Kommission prüft die Anmeldung unmittelbar nach deren Eingang. Unbeschadet des Artikels 10 erlässt die Kommission einen Beschluss nach den Absätzen 2, 3 oder 4 des vorliegenden Artikels.

(2)      Gelangt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung zu dem Schluss, dass die angemeldete Maßnahme keine Beihilfe darstellt, so stellt sie dies durch Beschluss fest.

(3)      Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass die angemeldete Maßnahme, insoweit sie in den Anwendungsbereich des Artikels 107 Absatz 1 AEUV fällt, keinen Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt, so beschließt sie, dass die Maßnahme mit dem Binnenmarkt vereinbar ist (im Folgenden ‚Beschluss, keine Einwände zu erheben‘). In dem Beschluss wird angeführt, welche Ausnahmevorschrift des AEUV zur Anwendung gelangt ist.

(4)      Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass die angemeldete Maßnahme Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt, so beschließt sie, das Verfahren nach Artikel 108 Absatz 2 AEUV zu eröffnen (im Folgenden ‚Beschluss über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens‘).

(5)      Die Beschlüsse nach den Absätzen 2, 3 und 4 dieses Artikels werden innerhalb von zwei Monaten erlassen. Diese Frist beginnt am Tag nach dem Eingang der vollständigen Anmeldung. Die Anmeldung gilt als vollständig, wenn die Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Anmeldung oder nach Eingang der von ihr – gegebenenfalls – angeforderten zusätzlichen Informationen keine weiteren Informationen anfordert. Die Frist kann mit Zustimmung der Kommission und des betreffenden Mitgliedstaats verlängert werden. Die Kommission kann bei Bedarf kürzere Fristen setzen.

(6)      Hat die Kommission innerhalb der in Absatz 5 genannten Frist keinen Beschluss nach den Absätzen 2, 3 oder 4 erlassen, so gilt die Beihilfe als von der Kommission genehmigt. Der betreffende Mitgliedstaat kann daraufhin die betreffenden Maßnahmen durchführen, nachdem er die Kommission hiervon in Kenntnis gesetzt hat, es sei denn, dass diese innerhalb einer Frist von 15 Arbeitstagen nach Erhalt der Benachrichtigung einen Beschluss nach diesem Artikel erlässt.“

6        Art. 6 Abs. 1 der Verordnung 2015/1589 lautet:

„Der Beschluss über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens enthält eine Zusammenfassung der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen, eine vorläufige Würdigung des Beihilfecharakters der geplanten Maßnahme durch die Kommission und Ausführungen über ihre Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt. Der betreffende Mitgliedstaat und die anderen Beteiligten werden in dieser Entscheidung zu einer Stellungnahme innerhalb einer Frist von normalerweise höchstens einem Monat aufgefordert. In ordnungsgemäß begründeten Fällen kann die Kommission diese Frist verlängern.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

7        Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist in den Rn. 2 bis 18 des angefochtenen Urteils beschrieben und lässt sich wie folgt zusammenfassen.

8        Am 27. März 2019 übermittelten die niederländischen Behörden der Kommission gemäß der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. September 2015 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 2015, L 241, S. 1) einen Entwurf des Gesetzes über das Verbot der Verwendung von Kohle für die Stromerzeugung. Dieser Gesetzesentwurf, der auf die Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen (CO2) in den Niederlanden abzielte und einen Ausgleich für den Schaden vorsah, der in einem Kohlekraftwerk entsteht, das im Vergleich zu anderen Kraftwerken gleichen Typs durch das Verbot der Verwendung von Kohle für die Stromerzeugung in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt wird, wurde nicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV bei der Kommission angemeldet.

9        Nachdem der Gesetzesentwurf der Kommission gemäß der Richtlinie 2015/1535 übermittelt worden war, begann sie von sich aus mit der Prüfung der Informationen im Hinblick auf eine mutmaßliche Beihilfe.

10      Am 11. Dezember 2019 erließ das Königreich der Niederlande die Wet verbod op kolen bij elektriciteitsproductie (Gesetz über das Verbot der Verwendung von Kohle für die Stromerzeugung, Stb. 2019, Nr. 493). Art. 4 des Gesetzes sah die Möglichkeit vor, einem Kraftwerk, das im Vergleich zu anderen Kraftwerken von dem Verbot der Verwendung von Kohle für die Stromerzeugung unverhältnismäßig beeinträchtigt war, eine Ausgleichszahlung zu gewähren. Aufgrund dessen erhielt die Vattenfall NV, die eines der fünf in den Niederlanden bestehenden Kohlekraftwerke, nämlich das Kraftwerk Hemweg 8, betreibt, vom niederländischen Staat eine Entschädigung in Höhe von 52,5 Mio. Euro (im Folgenden: in Rede stehende Maßnahme). Denn wegen seiner schlechten umwelttechnischen Eigenschaften kam dieses Kraftwerk – anders als die vier anderen Kohlekraftwerke in den Niederlanden – nicht in den Genuss des in diesem Gesetz vorgesehenen Übergangszeitraums, so dass es vorzeitig geschlossen werden musste.

11      Am 12. Mai 2020 erließ die Kommission den streitigen Beschluss. Was das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe betrifft, führte sie in Rn. 48 des Beschlusses aus, dass „angesichts der von den niederländischen Behörden vorgelegten Informationen nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden [könne], dass in dieser Sache ein Anspruch auf eine Ausgleichzahlung in Höhe von 52,5 Mio. Euro besteh[e]“. Sie folgerte daraus, dass „nicht ausgeschlossen werden [könne], dass die [in Rede stehende] Maßnahme eine staatliche Beihilfe an das betreffende Unternehmen darstell[e]“. Die Kommission stellte in Rn. 49 des streitigen Beschlusses aber auch fest, dass „im vorliegenden Fall jedoch keine abschließenden Schlussfolgerungen in Bezug auf die Frage zu ziehen [seien], ob die [in Rede stehende] Maßnahme dem Betreiber einen Vorteil verschaff[e] und daher eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstell[e], da selbst bei Vorliegen einer staatlichen Beihilfe davon auszugehen [sei], dass die Maßnahme mit dem Binnenmarkt vereinbar [sei]“. Die Kommission gelangte zu dem Ergebnis, dass „die [in Rede stehende Maßnahme] gemäß Art. 107 Abs. 3 Buchst. c [AEUV] mit dem Binnenmarkt vereinbar [sei]“.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

12      Mit Klageschrift, die am 21. Juli 2020 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob das Königreich der Niederlande Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.

13      Diese stützte es auf fünf Nichtigkeitsgründe. Die ersten drei Nichtigkeitsgründe wurden für den Fall geltend gemacht, dass der streitige Beschluss trotz seines Wortlauts so zu verstehen sein sollte, dass darin die in Rede stehende Maßnahme als staatliche Beihilfe eingestuft wird. Der vierte und der fünfte Klagegrund richteten sich gegen diesen Beschluss, soweit darin keine Entscheidung über eine solche Einstufung getroffen wurde, und rügten die fehlende Befugnis der Kommission, eine Maßnahme für nach Art. 107 Abs. 3 AEUV vereinbar zu erklären, ohne sie zuvor als staatliche Beihilfe eingestuft zu haben, bzw. einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit.

14      In dem angefochtenen Urteil stellte das Gericht fest, dass die Kommission im streitigen Beschluss nicht entschieden habe, ob die in Rede stehende Maßnahme eine Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle, und gab der Klage aus dem vierten und dem fünften Nichtigkeitsgrund statt.

 Anträge der Parteien

15      Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Kommission im Wesentlichen,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben,

–        den Rechtsstreit selbst zu entscheiden und die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen und

–        dem Königreich der Niederlande die Kosten aufzuerlegen.

16      Das Königreich der Niederlande beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

17      Die Kommission stützt ihr Rechtsmittel auf einen Rechtsmittelgrund, der aus zwei Teilen besteht, mit denen sie erstens eine fehlerhafte Auslegung von Art. 107 Abs. 3 AEUV und Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589 und zweitens einen Rechtsfehler bei der Auslegung des Grundsatzes der Rechtssicherheit rügt.

 Zum ersten Teil des Rechtsmittelgrundes

 Vorbringen der Parteien

18      Die Kommission macht geltend, das Gericht habe dadurch, dass es entschieden habe, sie sei nicht befugt, eine Maßnahme für mit dem Binnenmarkt vereinbar zu erklären, ohne zuvor festgestellt zu haben, dass diese Maßnahme eine staatliche Beihilfe sei, insofern gegen Art. 107 Abs. 3 AEUV und Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589 verstoßen, als es eine unangemessen restriktive wörtliche Auslegung dieser Bestimmungen vorgenommen habe.

19      Weder Abs. 1 noch Abs. 3 von Art. 107 AEUV enthielten Verfahrensvorschriften oder beträfen die Befugnisse der Kommission im Bereich der Kontrolle staatlicher Beihilfen. Sie bezweckten lediglich, bestimmte Maßnahmen zu verbieten und klarzustellen, dass Maßnahmen, die bestimmte Kriterien erfüllten, zulässig seien. Das Gericht behaupte daher zu Unrecht, dass nach diesen beiden Bestimmungen der Erlass von Beschlüssen wie des streitigen untersagt sei. Der in Art. 107 Abs. 3 AEUV verwendete Begriff „Beihilfe“ werde im weiten Sinne und nicht zur Bezeichnung einer staatlichen Beihilfe im technischen Sinne verwendet, so dass nicht auszuschließen sei, dass er auch Maßnahmen erfassen könne, bei denen es unklar bleibe, ob sie als staatliche Beihilfe einzustufen seien. Das vom Gericht angeführte Urteil vom 22. Dezember 2008, British Aggregates/Kommission (C‑487/06 P, EU:C:2008:757, Rn. 113), enthalte keine Angaben dazu, was die Kommission zu tun habe, wenn sie von der Vereinbarkeit einer Maßnahme überzeugt sei, aber noch nicht zu einem Schluss darüber gelangt sei, ob diese Maßnahme eine staatliche Beihilfe sei.

20      Auch in Bezug auf Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589 bedeute die Verwendung der Formulierung „insoweit sie in den Anwendungsbereich des Artikels 107 Absatz 1 AEUV fällt“ nicht, dass die Vereinbarkeit einer Maßnahme nur dann geprüft werden könne, wenn sie als staatliche Beihilfe eingestuft worden sei, da der Ausdruck „insoweit“ in seinem üblichen Sinn als gleichbedeutend mit dem Ausdruck „sofern“ zu verstehen sei und diese unterordnende Konjunktion im Zusammenhang mit dem Hauptsatz zu lesen sei, wonach die Kommission „beschließt …, dass die Maßnahme mit dem Binnenmarkt vereinbar ist“. Für einen Beschluss, keine Einwände zu erheben, müsse die Kommission lediglich feststellen, dass die Maßnahme keinen Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gebe.

21      Die Kommission weist ferner darauf hin, dass andere Bestimmungen der Verordnung 2015/1589, auch wenn sie den Begriff „staatliche Beihilfe“ enthielten, die Mitgliedstaaten oder die Kommission nicht daran hinderten, das in dieser Verordnung vorgesehene Verfahren auch auf Maßnahmen anzuwenden, von denen nicht festgestellt worden sei, dass sie staatliche Beihilfen darstellten. Dies gelte etwa für Art. 2 der Verordnung, nach dem die Mitgliedstaaten jedes Vorhaben einer neuen staatlichen Beihilfe anmelden müssen.

22      Außerdem führe die vom Gericht vorgenommene Auslegung von Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589 in eine ausweglose Situation, da der Kommission nach ihrer vorläufigen Prüfung jede Entscheidungsmöglichkeit genommen werde. Unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles könne die Kommission keinen wie auch immer gearteten Beschluss erlassen. Zum einen könne sie mangels Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der in Rede stehenden Maßnahme mit dem Binnenmarkt kein förmliches Prüfverfahren nach Art. 4 Abs. 4 dieser Verordnung einleiten, und zum anderen könne sie mangels hinreichender Gewissheit hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs des Begünstigten der Maßnahme nicht nach Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung feststellen, dass die Maßnahme keine Beihilfe darstelle.

23      Das Gericht habe sich in Rn. 58 des angefochtenen Urteils zu Unrecht auf das Urteil vom 24. Mai 2011, Kommission/Kronoply und Kronotex (C‑83/09 P, EU:C:2011:341), berufen, um festzustellen, dass Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589 eine abschließende Liste der Beschlüsse enthalte, die die Kommission nach Abschluss der Vorprüfung erlassen könne. Dieses Urteil enthalte keine endgültige Auslegung in diesem Sinne, sondern bestätige vielmehr, dass die Kommission im vorliegenden Fall in Ermangelung von Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit dem Binnenmarkt das förmliche Prüfverfahren nicht allein zu dem Zweck habe eröffnen dürfen, festzustellen, dass die in Rede stehende Maßnahme eine staatliche Beihilfe sei.

24      Zudem gelte nach Art. 4 Abs. 6 der Verordnung 2015/1589 eine Maßnahme als genehmigt, wenn die Kommission innerhalb der vorgeschriebenen Frist keinen Beschluss erlassen habe, und zwar auch dann, wenn nicht zuvor nachgewiesen worden sei, dass diese Maßnahme eine staatliche Beihilfe darstelle. Die Kommission müsse daher nach Art. 4 Abs. 3 dieser Verordnung entscheiden können, dass eine Maßnahme mit dem Binnenmarkt vereinbar sei, ohne zuvor einen solchen Nachweis zu erbringen.

25      Des Weiteren bestätige Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung, dem zufolge der Beschluss über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens eine „vorläufige Würdigung“ des Beihilfecharakters der Maßnahme enthalte, dass es zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kommission entscheiden müsse, wie sie das Vorprüfungsverfahren beende, durchaus möglich sei, dass sie keinen endgültigen Standpunkt zum Vorliegen einer Beihilfe eingenommen habe.

26      Schließlich habe das Gericht nicht die Logik und die Folgen des in den Art. 107 bis 109 AEUV und den Bestimmungen der Verordnung 2015/1589, insbesondere Art. 4 Abs. 3, vorgesehenen Systems der Kontrolle staatlicher Beihilfen berücksichtigt, mit denen ein Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit für die Mitgliedstaaten und die Beteiligten, nähere Angaben zur Einstufung einer Maßnahme als staatliche Beihilfe zu erhalten, und der Notwendigkeit, rasch eine Genehmigung dieser Maßnahme zu erlangen, hergestellt werden solle. Es gebe nämlich Situationen, in denen es einfacher sei, zu beurteilen, ob eine Maßnahme mit dem Binnenmarkt vereinbar sei, als festzustellen, ob sie eine staatliche Beihilfe sei. Wenn die Kommission in solchen Fällen beschließe, keine Einwände zu erheben, ohne ein förmliches Prüfverfahren zu eröffnen, handle sie im Einklang mit dem Grundsatz der guten Verwaltung. Insoweit sei eine Analogie zu dem Ansatz möglich, den der Gerichtshof im Urteil vom 26. Februar 2002, Rat/Boehringer (C‑23/00 P, EU:C:2002:118, Rn. 51 und 52), gewählt habe.

27      Der Gerichtshof habe bereits festgestellt, dass die Vorprüfung es der Kommission nicht ermöglichen solle, eine erschöpfende und endgültige Stellungnahme zur Vereinbarkeit der betreffenden Maßnahme mit dem Vertrag abzugeben, sondern nur, sich eine „erste Meinung“ zu bilden, die sich in erster Linie auf die Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit dem Binnenmarkt beziehen müsse, ohne dass es auf eine etwaige Einstufung dieser Maßnahme als staatliche Beihilfe ankomme (Urteil vom 11. Dezember 1973, Lorenz, 120/73, EU:C:1973:152, Rn. 3).

28      Die niederländische Regierung tritt dem Vorbringen der Kommission entgegen und beantragt, den ersten Teil des Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

29      Der vorliegende Teil des Rechtsmittelgrundes wirft im Wesentlichen die Frage auf, ob das Gericht im angefochtenen Urteil zu Unrecht entschieden hat, dass die Kommission nach Art. 107 Abs. 3 AEUV und Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589 eine Maßnahme als staatliche Beihilfe einstufen muss, bevor sie beschließt, dass die Maßnahme mit dem Binnenmarkt vereinbar ist.

30      Das Gericht hat in den Rn. 51 und 52 des angefochtenen Urteils auf den Wortlaut von Art. 107 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. c AEUV hingewiesen und dann in Rn. 53 des Urteils ausgeführt, die Verwendung des Begriffs „Beihilfe“ in Art. 107 Abs. 3 AEUV bedinge, dass die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Binnenmarkt erst geprüft werden könne, nachdem diese Maßnahme als staatliche Beihilfe eingestuft worden sei.

31      In Rn. 54 des angefochtenen Urteils hat das Gericht unter Verweis auf das Urteil vom 22. Dezember 2008, British Aggregates/Kommission (C‑487/06 P, EU:C:2008:757, Rn. 113), hinzugefügt, wenn die Kommission nach Abschluss der Vorprüfungsphase nicht die Überzeugung gewinnen könne, dass eine staatliche Maßnahme keine Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle oder dass sie, wenn sie als Beihilfe eingestuft werde, mit dem Vertrag vereinbar sei, oder wenn diese Prüfung es ihr nicht erlaubt habe, alle Schwierigkeiten hinsichtlich der Beurteilung der Vertragskonformität der betroffenen Maßnahme auszuräumen, sei sie nach ständiger Rechtsprechung verpflichtet, das Verfahren gemäß Art. 108 Abs. 2 AEUV zu eröffnen, ohne hierbei über einen Ermessensspielraum zu verfügen.

32      In Rn. 55 des angefochtenen Urteils ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass nur eine Maßnahme, die in den Anwendungsbereich von Art. 107 Abs. 1 AEUV falle, also eine als staatliche Beihilfe eingestufte Maßnahme, von der Kommission als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden könne.

33      In den Rn. 56 bis 60 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, dass dieses Ergebnis durch Art. 4 der Verordnung 2015/1589 gestützt werde, der im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere des Urteils vom 24. Mai 2011, Kommission/Kronoply und Kronotex (C‑83/09 P, EU:C:2011:341, Rn. 43 und 44), eine abschließende Liste der Beschlüsse enthalte, die die Kommission nach Abschluss der Vorprüfung erlassen könne. Darin sei kein Beschluss enthalten, mit dem die geprüfte Maßnahme für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werde, ohne dass die Kommission zuvor über die Einstufung dieser Maßnahme als staatliche Beihilfe entschieden habe.

34      Die Kommission macht geltend, das Gericht habe eine unangemessen restriktive wörtliche Auslegung von Art. 107 Abs. 3 AEUV vorgenommen. Der Begriff „Beihilfen“ werde in Art. 107 Abs. 3 AEUV in seiner allgemeinen Bedeutung verwendet und nicht im technischen Sinne zur Bezeichnung staatlicher Beihilfen.

35      Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass zwar der Begriff „Beihilfen“ in Art. 107 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit den anderen dort genannten Tatbestandsmerkmalen tatsächlich nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch verwendet wird, er dagegen in Art. 107 Abs. 3 AEUV allein zur Bezeichnung staatlicher Beihilfen verwendet wird. Aus einer Gesamtschau von Art. 107 Abs. 1 AEUV ergibt sich nämlich, dass nur Maßnahmen, die die Voraussetzungen von Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen und folglich staatliche Beihilfen darstellen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind, soweit im Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist. Daher kann Art. 107 Abs. 3 AEUV, der als Ausnahme von dieser Bestimmung die Maßnahmen aufzählt, die als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können, nur staatliche Beihilfen betreffen.

36      Die Kommission macht daher zu Unrecht geltend, dass das Gericht eine fehlerhafte wörtliche Auslegung von Art. 107 Abs. 3 AEUV vorgenommen habe.

37      Im Übrigen trifft es zwar zu, dass Art. 107 AEUV, wie die Kommission geltend macht, weder Verfahrensvorschriften enthält noch unmittelbar ihre Befugnisse betrifft, doch ergibt sich, wie oben in Rn. 35 ausgeführt, aus dieser Bestimmung, dass die Einstufung einer Maßnahme als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eine Voraussetzung für die eventuelle Anwendung der in Art. 107 Abs. 3 AEUV vorgesehenen Ausnahme darstellt. Die Europäische Union ist somit befugt, über die Vereinbarkeit von Maßnahmen, die staatliche Beihilfen darstellen, mit dem Binnenmarkt zu entscheiden, nicht aber über die Vereinbarkeit von Maßnahmen, die nicht als staatliche Beihilfen eingestuft sind. Die Artikel 108 und 109 AEUV übertragen die Ausübung dieser Befugnis der Kommission und dem Rat der Europäischen Union, die dabei der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegen. Die Unionsorgane dürfen aber nur innerhalb der Grenzen ihrer Einzelermächtigungen tätig werden (Urteil vom 14. Juni 2016, Kommission/McBride u. a., C‑361/14 P, EU:C:2016:434, Rn. 36).

38      Was den Verweis der Kommission auf das Urteil vom 11. Dezember 1973, Lorenz (120/73, EU:C:1973:152, Rn. 3), betrifft, hat der Gerichtshof dort entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht festgestellt, dass die im Rahmen der Vorprüfung einer Maßnahme gebildete Meinung gegebenenfalls die Frage der Einstufung der geprüften Maßnahme als staatliche Beihilfe außer Acht lassen kann. In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist und in dem im Übrigen der Beihilfecharakter der angemeldeten Maßnahmen nicht in Zweifel stand, ging es um die Frage, ob die Kommission verpflichtet ist, die vorläufige Prüfung mit einem Beschluss abzuschließen. Der Gerichtshof hat entschieden, dass es zwar im Interesse einer ordnungsgemäßen Verwaltung liegt, dass die Kommission, wenn sie nach Abschluss dieser Prüfung zu der Auffassung gelangt, dass die „Beihilfe“ mit dem EG-Vertrag vereinbar ist, dies dem Mitgliedstaat mitteilt, sie jedoch nicht verpflichtet ist, eine Entscheidung im Sinne von Art. 189 EG (nach Änderung jetzt Beschluss im Sinne von Art. 288 AEUV) zu erlassen, da Art. 93 EG (nach Änderung jetzt Art. 108 AEUV) eine solche Handlung erst nach Abschluss des förmlichen Verfahrens verlangt (Urteil vom 11. Dezember 1973, Lorenz, 120/73, EU:C:1973:152, Rn. 5 und 6). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass diese Möglichkeit, keine Entscheidung zu erlassen, durch die Verordnung Nr. 659/1999 abgeschafft wurde, deren Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit ihrem siebten Erwägungsgrund bestimmt hat, dass die vorläufige Prüfung aus Gründen der Rechtssicherheit nunmehr durch eine Entscheidung (jetzt Beschluss) abzuschließen ist.

39      Zu den von der Kommission beanstandeten Ausführungen in den Rn. 56 bis 60 des angefochtenen Urteils zu Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589 ist festzustellen, dass das Gericht diese Ausführungen nur ergänzend zur Stützung seiner auf der Grundlage der Bestimmungen des AEU-Vertrags in Rn. 55 des Urteils getroffenen Feststellung formuliert hat. Diese Rügen gehen daher ins Leere (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juni 2016, Marchiani/Parlament, C‑566/14 P, EU:C:2016:437, Rn. 59 und 60).

40      Jedenfalls ist die Formulierung „insoweit sie in den Anwendungsbereich des Artikels 107 Absatz 1 AEUV fällt“ in Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589 im Einklang mit dem vom Gericht in den Rn. 53 bis 55 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellten Gehalt von Art. 107 Abs. 1 und 3 AEUV auszulegen. Denn nach ständiger Rechtsprechung ist eine Bestimmung des abgeleiteten Rechts möglichst so auszulegen, dass sie mit den Verträgen und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts vereinbar ist (Urteil vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, EU:C:2008:392, Rn. 174 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Was die Einwände der Kommission gegen die Verweise des Gerichts auf die Urteile vom 22. Dezember 2008, British Aggregates/Kommission (C‑487/06 P, EU:C:2008:757, Rn. 113), und vom 24. Mai 2011, Kommission/Kronoply und Kronotex (C‑83/09 P, EU:C:2011:341, Rn. 43 und 44), betrifft, so betrafen diese Urteile zwar nicht speziell die Frage der Zuständigkeit der Kommission für den Erlass eines Beschlusses, keine Einwände gegen eine Maßnahme zu erheben, deren Charakter als staatliche Beihilfe sie nicht festgestellt hat; gleichwohl hat der Gerichtshof in diesen Urteilen im Einklang mit dem Wortlaut von Art. 107 AEUV festgestellt, dass die Feststellung des Beihilfecharakters einer Maßnahme der Prüfung der etwaigen Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit dem Binnenmarkt vorausgehen muss.

42      Hinzuzufügen ist zum einen, dass der Gerichtshof in anderen Urteilen entschieden hat, dass „[d]ie Kommission … das förmliche Prüfverfahren einleiten [muss], wenn sie im Anschluss an die in Art. 4 der Verordnung 2015/1589 geregelte vorläufige Prüfung … weiterhin Zweifel hat, ob diese Maßnahme überhaupt als ‚Beihilfe‘ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV einzustufen ist“ (Urteil vom 16. März 2021, Kommission/Polen, C‑562/19 P, EU:C:2021:201, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 6. Oktober 2021, Scandlines Danmark und Scandlines Deutschland/Kommission, C‑174/19 P und C‑175/19 P, EU:C:2021:801, Rn. 65 bis 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Zum anderen hat er entschieden, dass „[d]ie Frage, ob eine Maßnahme als staatliche Beihilfe einzustufen ist, … der gegebenenfalls durchzuführenden Überprüfung vorgelagert [ist], ob eine unvereinbare Beihilfe im Sinne von Art. 107 AEUV gleichwohl für die Erfüllung der Aufgabe, die dem durch die fragliche Maßnahme Begünstigten übertragen wurde, nach Art. 106 Abs. 2 AEUV erforderlich ist“ (Urteil vom 24. November 2020, Viasat Broadcasting UK, C‑445/19, EU:C:2020:952, Rn. 35).

44      Was das Vorbringen der Kommission betrifft, wonach die Position des Gerichts sie in eine ausweglose Situation bringe und es ihr unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles unmöglich mache, nach Abschluss der vorläufigen Prüfung überhaupt einen Beschluss zu erlassen, genügt der Hinweis, dass diese Situation, wie das Königreich der Niederlande geltend macht, allein auf dem falschen Standpunkt beruht, dass die Kommission befugt sei, das Fehlen von Zweifeln an der Vereinbarkeit einer Maßnahme festzustellen, die sie nicht als staatliche Beihilfe eingestuft habe, und folglich in einer solchen Situation nicht zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens befugt sei. Sobald dieser Standpunkt aufgegeben wird, entfällt die ausweglose Situation durch die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens gemäß Art. 4 Abs. 4 der Verordnung 2015/1589 und der oben in Rn. 42 angeführten Rechtsprechung.

45      Zum Verweis der Kommission auf Art. 4 Abs. 6 der Verordnung 2015/1589 ist festzustellen, dass diese Bestimmung bezweckt, dem Unterlassen der Ausübung ihrer Befugnisse gemäß diesem Art. 4 seitens der Kommission abzuhelfen. Diese Bestimmung begründet im Licht des siebten Erwägungsgrundes der Verordnung keine Befugnis der Kommission, die Vereinbarkeit einer Maßnahme mit dem Binnenmarkt zu beschließen, die sie nicht als Beihilfe eingestuft hat.

46      Der Umstand, dass Art. 6 Abs. 1 der Verordnung 2015/1589 von einer „vorläufigen Würdigung“ der Maßnahme spricht, bedeutet entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht, dass die Kommission die Vorprüfung mit einem Beschluss beenden kann, keine Einwände gegen eine Maßnahme zu erheben, die sie nicht als staatliche Beihilfe eingestuft hat.

47      Zum Vorbringen der Kommission, es gebe Situationen, in denen es sowohl im Hinblick auf den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung als auch im Hinblick auf das Interesse der Beteiligten besser angebracht sei, festzustellen, ob die Maßnahme mit dem Binnenmarkt vereinbar sei, als festzustellen, ob sie eine Beihilfe sei, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Grundsatz und die geltend gemachten Zweckmäßigkeitserwägungen die Systematik und die Kohärenz von Art. 107 AEUV, dessen Tragweite oben in den Rn. 35 und 37 dargelegt worden ist, nicht in Frage stellen können.

48      Insoweit liegt es neben der Sache, wenn sich die Kommission im Zusammenhang mit dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung auf das Urteil vom 26. Februar 2002, Rat/Boehringer (C‑23/00 P, EU:C:2002:118), beruft, um die Prüfung der Vereinbarkeit einer Maßnahme mit dem Binnenmarkt zu rechtfertigen, ohne festgestellt zu haben, dass sie eine staatliche Beihilfe darstellt. Zwar ergibt sich aus Rn. 52 jenes Urteils die Verpflichtung des Unionsrichters, zu prüfen, ob es nach den Grundsätzen einer geordneten Rechtspflege unter den Umständen des Einzelfalls gerechtfertigt ist, eine Klage als unbegründet abzuweisen, ohne über die vom Beklagten erhobenen Einreden der Unzulässigkeit zu entscheiden, doch betrifft die in der vorliegenden Rechtssache aufgeworfene Problematik schon die Befugnis der Kommission für den Erlass bestimmter Entscheidungen. Diese Befugnis der Kommission muss jedoch unter Beachtung der in den Verträgen aufgestellten Voraussetzungen ausgeübt werden, was im vorliegenden Fall, wie sich insbesondere aus den Rn. 35 und 37 des vorliegenden Urteils ergibt, von der Kommission verlangt, sich zur Einstufung einer Maßnahme als staatliche Beihilfe zu äußern, bevor sie gegebenenfalls prüfen kann, ob eine solche Beihilfe trotz dieser Einstufung als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden kann.

49      Daher kann sich die Kommission von einer solchen Verpflichtung nicht aufgrund von Erwägungen befreien, die damit zusammenhängen, ob diese Einstufung oder die Prüfung der Vereinbarkeit in einem bestimmten Fall mehr oder weniger leicht vorgenommen werden kann.

50      Aus allen diesen Erwägungen ist der erste Teil des Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

 Zum zweiten Teil des Rechtsmittelgrundes

51      In Anbetracht der Zurückweisung des ersten Teils des Rechtsmittelgrundes ist es nicht erforderlich, den zweiten Teil zu prüfen. Aus der Prüfung des ersten Teils und seiner Zurückweisung ergibt sich nämlich, dass das Gericht mit dem angefochtenen Urteil die streitige Entscheidung zu Recht für nichtig erklärt hat, indem es dem Klagegrund der fehlenden Befugnis der Kommission stattgegeben hat. Folglich kann die Frage, ob das Gericht bei der Prüfung des Klagegrundes eines etwaigen Verstoßes gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit einen Rechtsfehler begangen hat, jedenfalls weder die vom Gericht ausgesprochene Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung noch somit den Ausgang des vorliegenden Rechtsmittels in Frage stellen.

52      Unter diesen Umständen ist das vorliegende Rechtsmittel zurückzuweisen.

 Kosten

53      Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

54      Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des Königreichs der Niederlande ihre eigenen Kosten und die Kosten dieses Mitgliedstaats aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten des Königreichs der Niederlande.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Niederländisch.