Wozu Vielsprachigkeit?

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das europäische Einigungswerk zunächst als ein wirtschaftliches Projekt begonnen, entwickelte sich dann aber auch zu einer völkerverbindenden Union, die sich durch gemeinsame Werte und die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, in erster Linie sprachlicher Art, auszeichnet. Die Europäische Union steht mit ihrer Arbeit im Zentrum des täglichen Lebens von etwa 450 Millionen europäischen Bürgern. Um mit allen Bürgern kommunizieren und insbesondere Gleichbehandlung, Transparenz und Zugänglichkeit der Rechtsprechung unabhängig von der nationalen Rechtsordnung, der die Bürger angehören, gewährleisten zu können, muss die Union sich deren Sprache bedienen.

Arbre multilinguisme EUROPE-LG-fondBlanc

In der Praxis bedeutet dies, aktiv und passiv in den 24 Sprachen zu kommunizieren, die als Amtssprachen der Europäischen Union festgelegt wurden, weil sie die Amtssprache oder eine der Amtssprachen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten sind. Im Zuge des Beitritts neuer Mitgliedstaaten ist die Zahl der Amtssprachen von vier (Deutsch, Französisch, Italienisch, Niederländisch) auf 24 gestiegen. In all diesen Sprachen kann sich die Union mit den Bürgern aller Mitgliedstaaten austauschen. Die Vielsprachigkeit ist daher ein demokratisches Gebot, das die Gleichrangigkeit der Sprachen und den Zugang zu den europäischen Organen für alle Unionsbürger garantiert: Dank der Übersetzer und Dolmetscher bei den Organen der Europäischen Union können sich die europäischen Bürger in ihrer Sprache an die Unionsorgane wenden und erhalten auch eine Antwort in dieser Sprache.

Dieses Gebot ist auch Gegenstand der ersten überhaupt von der EWG erlassenen Verordnung, nämlich der Verordnung 1/58 „zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“.

Die Union gründet sich auf das Recht, und dieses Recht muss für alle gleich sein und damit Rechtswirkungen erzeugen, die trotz der vielen Sprachen und der unterschiedlichen Rechtsordnungen für jeden verständlich sind. Dies bedeutet, dass die Rechtsvorschriften und die Rechtsprechung der Union, die sich auf das tägliche Leben der Bürger auswirken, unabhängig davon, in welcher Sprache sie verfasst worden sind, in allen Sprachen und in allen nationalen Rechtsordnungen gleichermaßen verstanden werden können müssen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union ist nach den Verträgen damit betraut, die Wahrung des gemeinsamen Rechts zu sichern, dessen Auslegung und Anwendung jedoch definitionsgemäß vielsprachig sind. Die Vielsprachigkeit der Verfahren ist somit ein unverzichtbares Erfordernis, das garantiert, dass die Verfahren fair sind und die europäischen Bürger Zugang zur Justiz und zur Rechtsprechung als Rechtsquelle haben. Der Gerichtshof hat seine Arbeitsweise daher so organisiert, dass er seine Aufgabe unabhängig davon erfüllen kann, in welcher Sprache er befasst wird. Alle europäischen Bürger haben also in ihrer Sprache Zugang zur europäischen Justiz und Rechtsprechung.

 

Vgl. auch

> Vielsprachigkeit – Band 1