A | Der Gerichtshof im Jahr 2022
Der Gerichtshof kann vor allem befasst werden mit
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Vorabentscheidungsersuchen
Hat ein nationales Gericht Zweifel hinsichtlich der Auslegung oder der Gültigkeit einer Unionvorschrift, setzt es das bei ihm anhängige Verfahren aus und ruft den Gerichtshof an. Nach dieser Klärung durch den Gerichtshof kann das nationale Gericht über den ihm vorliegenden Rechtsstreit befinden. Für Rechtssachen, in denen eine besonders rasche Antwort geboten ist (wenn es z. B. um Asyl, Grenzkontrollen oder Kindesentführungen geht), ist ein Eilvorabentscheidungsverfahren („PPU“) vorgesehen; -
Klagen, die gerichtet sind auf
- Nichtigerklärung eines Rechtsakts der Union (Nichtigkeitsklage), oder
- Feststellung, dass ein Mitgliedstaat gegen das Unionsrecht verstoßen hat (Vertragsverletzungsklage). Kommt der Mitgliedstaat dem Urteil, mit dem die Vertragsverletzung festgestellt wurde, nicht nach, kann eine zweite Klage wegen „doppelter Vertragsverletzung“ dazu führen, dass der Gerichtshof eine finanzielle Sanktion gegen den Mitgliedstaat verhängt;
- Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Gerichts, auf die hin der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts aufheben kann;
- Ersuchen um ein Gutachten über die Vereinbarkeit einer Übereinkunft, die die Union mit einem Drittstaat oder einer internationalen Organisation schließen will, mit den Verträgen (eingereicht von einem Mitgliedstaat oder einem europäischen Organ).
Tätigkeit und Entwicklung des Gerichtshofs
Die Zusammensetzung des Gerichtshofs blieb im Jahr 2022 ebenso unverändert wie seine Satzung und die Verfahrensordnung, die seine Tätigkeit regeln.
Nach zwei Jahren, die durch die Coronakrise geprägt waren, konnte das Personal 2022 wieder in die Räumlichkeiten des Gerichtshofs und dieser zu seiner normalen Arbeitsweise zurückkehren, insbesondere was die Durchführung von mündlichen Verhandlungen betraf. Die durch die Gesundheitsschutzmaßnahmen der beiden vorangegangenen Jahre bedingten technologischen Entwicklungen wurden allerdings genutzt, um einige wichtige Projekte zu verwirklichen, mit denen die europäische Justiz den Bürgern nahegebracht werden soll.
So bietet der Gerichtshof seit dem 26. April 2022 ein Streaming-System für mündliche Verhandlungen an, mit dem – nach dem Vorbild des 2021 lancierten Projekts der Fernbesuche – seine Dimension als „Bürgergerichtshof“, der für die breite Öffentlichkeit besser zugänglich ist, ausgebaut werden soll. Die Übertragungen sind so konzipiert, dass die Verhandlungen unter denselben Bedingungen verfolgt werden können, als wäre man physisch in Luxemburg im Gerichtssaal anwesend. In den Verhandlungen wird simultan in die Sprachen verdolmetscht, die für den ordnungsgemäßen Ablauf der Verhandlung erforderlich sind.
Statistisch gesehen war auch 2022 ein Jahr intensiver Tätigkeit. 806 neue Rechtssachen wurden beim Gerichtshof anhängig gemacht. Wie in den Vorjahren handelt es sich dabei in erster Linie um Vorabentscheidungsersuchen (546 Rechtssachen) und Rechtsmittel (209 Rechtssachen), die damit gut 93 % der 2022 insgesamt anhängig gemachten Rechtssachen ausmachen. Thematisch sind so vielfältige und sensible Bereiche wie die Wahrung der Grundwerte der Europäischen Union, der Schutz personenbezogener Daten, der Verbraucher- und der Umweltschutz, aber auch Steuern, Wettbewerb und staatliche Beihilfen betroffen. Darüber hinaus sind mehrere Rechtssachen anhängig gemacht worden, die mit der Gesundheitskrise oder dem Krieg in der Ukraine zu tun haben.
808 Rechtssachen sind von den verschiedenen Spruchkörpern des Gerichtshofs erledigt worden. Eine hohe Zahl (78) wurde von der Großen Kammer entschieden, und zwei Rechtssachen, in denen es um den Zusammenhang zwischen der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und der Ausführung des Haushaltsplans der Union ging, wurden vom Plenum entschieden (Rechtssachen C‑156/21, Polen/Parlament und Rat, und C‑157/21, Polen/Parlament und Rat).
Da insbesondere über Rechtsmittel häufig in Form von Beschlüssen entschieden wurde, hält sich die Gesamtverfahrensdauer (16,4 Monate) ungefähr auf dem Niveau des Vorjahrs (16,6 Monate). Bei den Vorabentscheidungssachen ist allerdings wegen der zunehmenden Komplexität der dem Gerichtshof unterbreiteten Fragen ein Anstieg der Verfahrensdauer zu verzeichnen (17,3 Monate gegenüber 16,7 Monaten im Jahr 2021).
Am 31. Dezember 2022 waren beim Gerichtshof 1 111 Rechtssachen anhängig, d. h. nur zwei weniger als am 31. Dezember 2021 (1 113 Rechtssachen).
In Anbetracht dieser Statistiken und des Umstands, dass das Gericht seit Juli 2022 aufgrund des Abschlusses der 2015 beschlossenen Reform des Gerichtssystems der Union über 54 Richter (zwei je Mitgliedstaaten) verfügt, hat der Gerichtshof dem Unionsgesetzgeber einen Antrag zur Änderung der Satzung übermittelt, der zwei Ziele hat. Zum einen soll erreicht werden, dass der Gerichtshof sich seine Fähigkeit bewahrt, Entscheidungen von hoher Qualität binnen angemessener Frist zu erlassen, und zum anderen, dass er sich auf seine zentralen Aufgaben als Verfassungsgericht und oberstes Gericht der Union konzentrieren kann.
Erstens zielt der Änderungsantrag darauf ab, dem Gericht die Zuständigkeit für Vorabentscheidungssachen in fünf klar abgegrenzten Sachgebieten zu übertragen, und zwar solchen, in denen selten Grundsatzfragen aufgeworfen werden, für die es einen umfangreichen Grundstock an Rechtsprechung des Gerichtshofs gibt und die außerdem zu einer hinreichend großen Zahl von Vorlagen führen, damit sich die geplante Übertragung auch tatsächlich auf die Arbeitsbelastung des Gerichtshofs auswirkt: das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, die Verbrauchsteuern, den Zollkodex und die zolltarifliche Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur, Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fahr- und Fluggäste sowie das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten.
Die Zuständigkeit des Gerichts für die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen bestünde vorbehaltlich der Möglichkeit für das Gericht, die Rechtssache an den Gerichtshof zu verweisen, wenn es der Auffassung ist, dass die Rechtssache eine Grundsatzentscheidung erfordert, die die Einheit oder die Kohärenz des Unionsrechts berühren könnte. Der Gerichtshof hätte auch die Möglichkeit, die Entscheidung des Gerichts ausnahmsweise zu überprüfen, wenn die ernste Gefahr besteht, dass die Einheit oder Kohärenz des Unionsrechts berührt wird.
Zweitens zielt der Änderungsantrag vor dem Hintergrund einer steigenden Zahl von Rechtsmitteln gegen die Entscheidungen des Gerichts auf eine Ausweitung des am 1. Mai 2019 in Kraft getretenen Mechanismus der vorherigen Zulassung der Rechtsmittel (Art. 58a der Satzung) ab, damit die Effizienz des Rechtsmittelverfahrens gewahrt wird und der Gerichtshof sich auf die Rechtsmittel konzentrieren kann, die wichtige Rechtsfragen aufwerfen.
Diese Ausweitung würde Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Gerichts erfassen, die sich auf Entscheidungen der unabhängigen Beschwerdekammern bestimmter Einrichtungen der Union beziehen, die beim Inkrafttreten von Art. 58a der Satzung darin nicht genannt waren (z. B. die Eisenbahnagentur der Europäischen Union, die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, die Europäische Bankenaufsichtsbehörde, die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde und die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung).
Koen Lenaerts
Präsident des Gerichtshofs der Europäischen Union
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806 neue Rechtssachen
546 Vorabentscheidungsverfahren, davon 5 Eilvorentscheidungsverfahren
Mitgliedstaaten, aus denen die meisten Ersuchen stammen:
Deutschland 98
Italien 63
Bulgarien 43
Spanien 41
Polen 39
37 Klagen, davon 35 Vertragsverletzungsklagen und 2 Klagen wegen „doppelter Vertragsverletzung“
209 Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Gerichts
6 Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
Eine Partei, die außerstande ist, die Verfahrenskosten zu bestreiten, kann Prozesskostenhilfe beantragen.
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808 erledigte Rechtssachen
546 Vorabentscheidungsverfahren, davon 7 Eilvorabentscheidungsverfahren
36 Klagen, davon 17 festgestellte Vertragsverletzungen gegen 12 Mitgliedstaaten
196 Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Gerichts, davon 38 die zur Aufhebung der Entscheidung des Gerichts geführt haben
1 Gutachten
Durchschnittliche Verfahrensdauer: 16,4 Monate
Durchschnittliche Dauer der Eilvorabentscheidungsverfahren: 4,5 Monate
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1 111 anhängige Rechtssachen am 31. Dezember 2022
Wichtigste behandelte Sachgebiete
Angleichung von Rechtsvorschriften 89
Geistiges Eigentum 33
Institutionelles Recht 38
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 132
Sozialpolitik 73
Staatliche Beihilfen 58
Steuerwesen 80
Umwelt 46
Verbraucherschutz 77
Verkehr 49
Die Mitglieder des Gerichtshofs
Der Gerichtshof besteht aus 27 Richtern und elf Generalanwälten.
Die Richter und Generalanwälte werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten nach Anhörung eines Ausschusses, der die Aufgabe hat, eine Stellungnahme zur Eignung der vorgeschlagenen Bewerber für die Ausübung der fraglichen Ämter abzugeben, im gegenseitigen Einvernehmen ernannt. Ihre Amtszeit beträgt sechs Jahre; Wiederernennung ist zulässig.
Sie sind unter Persönlichkeiten auszuwählen, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und in ihrem Staat die für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder sonst hervorragend befähigt sind.
Die Richter üben ihr Amt in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit aus.
Sie wählen aus ihrer Mitte den Präsidenten und den Vizepräsidenten. Die Richter und Generalanwälte ernennen den Kanzler für eine Amtszeit von sechs Jahren.
Die Generalanwälte legen in den ihnen zugewiesenen Rechtssachen in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ein Rechtsgutachten vor, das „Schlussanträge“ genannt wird. Dieses Gutachten ist nicht verbindlich, bietet aber eine ergänzende Betrachtung des Gegenstands des Rechtsstreits.
2022 wurde kein neues Mitglied des Gerichtshofs ernannt.
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K. Lenaerts
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L. Bay Larsen
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A. Arabadjiev
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A. Prechal
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K. Jürimäe
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C. Lycourgos
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E. Regan
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M. Szpunar
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M. Safjan
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P. G. Xuereb
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L. S. Rossi
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D. Gratsias
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M. L. Arastey Sahún
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J. Kokott
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M. Ilešič
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J.-C. Bonichot
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T. von Danwitz
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S. Rodin
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F. Biltgen
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M. Campos Sánchez-Bordona
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N. J. Cardoso da Silva Piçarra
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G. Pitruzzella
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I. Jarukaitis
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P. Pikamäe
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A. Kumin
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N. Jääskinen
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N. Wahl
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J. Richard de la Tour
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A. Rantos
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I. Ziemele
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J. Passer
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A. M. Collins
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M. Gavalec
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N. Emiliou
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Z. Csehi
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O. Spineanu-Matei
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T. Ćapeta
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L. Medina
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A. Calot Escobar
Protokollarische Reihenfolge ab dem 07.10.2022
B | Das Gericht im Jahr 2022
Das Gericht entscheidet im ersten Rechtszug über Klagen von natürlichen oder juristischen Personen, wenn sie individuell und unmittelbar betroffen sind (Einzelpersonen, Gesellschaften, Vereinigungen etc.), und Mitgliedstaaten gegen Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union sowie über Klagen auf Ersatz eines von den Organen oder ihren Bediensteten verursachten Schadens.
Eine große Zahl der Streitsachen ist wirtschaftlicher Natur: geistiges Eigentum (Marken, Muster und Modelle der Europäischen Union), Wettbewerb, staatliche Beihilfen sowie Banken- und Finanzaufsicht.
Das Gericht ist auch für die Entscheidung über die dienstrechtlichen Streitigkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Bediensteten zuständig.
Gegen die Entscheidungen des Gerichts kann beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt werden, das auf Rechtsfragen beschränkt ist. In Rechtssachen, die bereits zweifach geprüft worden sind (durch eine unabhängige Beschwerdekammer, dann durch das Gericht), lässt der Gerichtshof das Rechtsmittel nur dann zu, wenn damit eine für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage aufgeworfen wird.
Tätigkeit und Entwicklung des Gerichts
Im Jahr 2022 kehrte der Krieg auf unseren Kontinent zurück. Dieses furchtbare Ereignis muss für alle Europäer Anlass sein, sich bewusst zu machen, dass der Frieden niemals als selbstverständlich betrachtet werden darf, sondern dass wir uns alle ständig dafür einsetzen müssen. Dazu leistet der Gerichtshof der Europäischen Union einen wichtigen Beitrag. Denn die Aufgabe des Gerichtshofs und des Gerichts besteht darin, sicherzustellen, dass die Rechtsstaatlichkeit gewahrt und die Menschenwürde geschützt wird. In der Union werden Konflikte nicht mit Drohungen und Waffen gelöst, sondern durch Gespräche und das Recht. Vor diesem Hintergrund ist das Gericht u. a. aufgerufen, bisweilen binnen sehr kurzer Fristen über die Rechtmäßigkeit restriktiver Maßnahmen zu entscheiden, die die Union gegenüber Personen und Einrichtungen im Zusammenhang mit den von der Russischen Föderation seit Februar 2022 geführten Angriffen erlassen hat. Das Urteil der Großen Kammer des Gerichts in der Rechtssache RT France/Rat konnte im beschleunigten Verfahren nur fünf Monate nach Klageerhebung ergehen. Bis heute wurden 70 Rechtssachen anhängig gemacht, die restriktive Maßnahmen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt betreffen. Es gereicht unserer Union zur Ehre, dass solche Maßnahmen nicht durch Willkür gekennzeichnet, sondern Gegenstand einer Kontrolle durch unabhängige und unparteiische Richter sind.
Mehr denn je spiegeln die beim Gericht anhängig gemachten Rechtssachen die großen gesellschaftlichen Herausforderungen wider, mit denen unser Kontinent konfrontiert ist. Neben den restriktiven Maßnahmen, die nicht nur die Aggression gegen die Ukraine betreffen, sind es insbesondere die wettbewerbsrechtliche Regulierung der mächtigen Internetunternehmen und der Rahmen für staatliche Beihilfen, vor allem im Bereich Steuern und in den Sektoren Energie und Umwelt, die hier in Rede stehen. Es geht aber auch um das Banken- und Finanzrecht, den Schutz personenbezogener Daten, die gemeinsame Handelspolitik oder die Regulierung der Energiemärkte. Angesichts der jüngsten legislativen Entwicklungen und des von immer größeren Spannungen geprägten internationalen Kontexts könnte es sein, dass die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Unionsorgane in Zukunft eine noch größere Rolle spielen wird.
Eines ist jedoch klar: Das Gericht ist sich seiner Verantwortung vollauf bewusst, und es verfügt über die insoweit erforderlichen Ressourcen. Im vergangenen Jahr hat es acht neue Mitglieder aufgenommen, wodurch die mit der Verordnung 2015/2422 eingeleitete Reform abgeschlossen wird. Das Gericht verfügt mit seinen nunmehr 54 Mitgliedern endlich über zwei Richter je Mitgliedstaat. Mit Blick auf den neuen Dreijahreszeitraum, der im September 2022 begonnen hat, hat es aber auch eingehendere Überlegungen zu seiner Organisation und seinen Arbeitsmethoden angestellt und dabei den Schwerpunkt auf die Vertiefung der gerichtlichen Kontrolle, die Begleitung der Parteien während des gesamten Verfahrens und die Verfahrensdauer (durchschnittlich 16,2 Monate im Jahr 2022) gelegt. Das so verstärkte und neuorganisierte Gericht hat sich das Ziel gesteckt, Entscheidungen von hoher Qualität zu erlassen, die für den Rechtsuchenden verständlich sind und innerhalb von Fristen ergehen, die den heutigen Erwartungen entsprechen.
Das Gerichtssystem der Union muss sich kontinuierlich an die Herausforderungen unserer Zeit anpassen. Der Gerichtshof hat daher im November 2022 einen Legislativantrag gestellt, der u. a. darauf abzielt, die besonderen Sachgebiete zu bestimmen, in denen das Gericht für die Entscheidung über von mitgliedstaatlichen Gerichten vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen zuständig sein könnte (Art. 256 AEUV). Das Gericht steht bereit, um den Gerichtshof, der eine steigende Arbeitsbelastung zu bewältigen hat, zu unterstützen. Es war eng in die Überlegungen eingebunden, die zu dieser Initiative geführt haben, und bereitet seine Umsetzung vor.
Marc van der Woude
Präsident des Gerichts
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904 neue Rechtssachen
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858 erledigte Rechtssachen
760 Klagen, davon
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1 474 anhängige Rechtssachen (am 31. Dezember 2022)
Wichtigste behandelte Sachgebiete:
Neue Entwicklungen in der Rechtsprechung
Beim Gericht wie auch anderswo jagt eine Nachricht die andere. Während die durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten Streitigkeiten das Gericht weiterhin auf neues Terrain führen, wie das Urteil Roos u. a./Parlament vom 27. April 2022 (T‑710/21, T‑722/21 und T‑723/21) zeigt, in dem erstmals die Rechtmäßigkeit bestimmter Beschränkungen geprüft wurde, die die Organe der Europäischen Union zum Schutz der Gesundheit ihres Personals festgelegt hatten, entstand mit dem militärischen Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ein neuer Streitherd. In seinem Urteil RT France/Rat vom 27. Juli 2022 (T‑125/22), hat das Gericht (Große Kammer) – erstmals im beschleunigten Verfahren – über die Rechtmäßigkeit restriktiver Maßnahmen des Rates befunden, mit denen die Verbreitung audiovisueller Inhalte verboten wurde.
Das aktuelle Geschehen, so drängend es auch sein mag, sollte jedoch nicht von den zahlreichen Fortentwicklungen ablenken, die es auf klassischeren Gebieten der Rechtsprechung des Gerichts gegeben hat.
So hat sich das Gericht, was das institutionelle Recht angeht, im Urteil Verelst/Rat vom 12. Januar 2022 (T‑647/20) erstmals mit der Frage der Rechtmäßigkeit des Durchführungsbeschlusses 2020/1117 zur Ernennung der Europäischen Staatsanwälte der Europäischen Staatsanwaltschaft beschäftigt, der gemäß der Verordnung 2017/1939 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung dieser Staatsanwaltschaft erlassen wurde. Im Zuge seiner Prüfung ist es zu dem Schluss gelangt, dass der Rat bei der Beurteilung und dem Vergleich der Verdienste der Bewerber um das Amt des Europäischen Staatsanwalts eines Mitgliedstaats über ein weites Ermessen verfügt und dass im vorliegenden Fall bei der Auswahl und der Ernennung des erfolgreichen Bewerbers die Grenzen dieses weiten Ermessens eingehalten worden seien. Auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens hat das Gericht im Urteil Leonardo/Frontex vom 26. Januar 2022 (T‑849/19) die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage geprüft, die sich gegen eine Auftragsbekanntmachung und deren Anhänge richtete und von einem Unternehmen erhoben worden war, das sich nicht an der durch diese Bekanntmachung organisierten Ausschreibung beteiligt hatte. Das Gericht hat in erweiterter Besetzung entschieden, dass ein Unternehmen, das nachweisen kann, dass seine Teilnahme an einem Ausschreibungsverfahren durch die Vorschriften der Verdingungsunterlagen unmöglich gemacht wurde, ein Interesse daran haben kann, gegen mehrere Dokumente eines Auftrags vorzugehen. Schließlich hat sich das Gericht auf dem Gebiet des Wettbewerbs im Urteil Illumina/Kommission vom 13. Juli 2022 (T‑227/21) erstmals zu der Frage geäußert, ob der in Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 über die Fusionskontrolle vorgesehene Verweisungsmechanismus auf einen Zusammenschluss anwendbar ist, der in dem Mitgliedstaat, der seine Verweisung beantragt hat, zwar nicht angemeldet zu werden brauchte, der aber den Erwerb eines Unternehmens beinhaltet, dessen Bedeutung für den Wettbewerb sich nicht in seinem Umsatz widerspiegelt. Im vorliegenden Fall hat das Gericht grundsätzlich erlaubt, dass sich die Kommission in einer solchen Situation für zuständig erklären kann.
Savvas S. Papasavvas
Vizepräsident des Gerichts
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Die Mitglieder des Gerichts
Das Gericht besteht aus zwei Richtern je Mitgliedstaat.
Zu Richtern sind Personen auszuwählen, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und über die Befähigung zur Ausübung hoher richterlicher Tätigkeiten verfügen. Sie werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen nach Anhörung eines Ausschusses, der die Aufgabe hat, eine Stellungnahme zur Eignung der vorgeschlagenen Bewerber abzugeben, im gegenseitigen Einvernehmen ernannt. Ihre Amtszeit beträgt sechs Jahre; Wiederernennung ist zulässig. Die Richter wählen aus ihrer Mitte den Präsidenten und den Vizepräsidenten für die Dauer von drei Jahren. Sie ernennen den Kanzler für eine Amtszeit von sechs Jahren.
Sie üben ihr Amt in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit aus.
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M. van der Woude
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S. Papasavvas
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D. Spielmann
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A. Marcoulli
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F. Schalin
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R. da Silva Passos
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J. Svenningsen
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M. J. Costeira
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K. Kowalik-Bańczyk
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A. Kornezov
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L. Truchot
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O. Porchia
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M. Jaeger
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S. Frimodt Nielsen
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H. Kanninen
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J. Schwarcz
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M. Kancheva
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E. Buttigieg
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V. Tomljenović
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S. Gervasoni
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L. Madise
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V. Valančius
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N. Półtorak
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I. Reine
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P. Nihoul
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U. Öberg
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C. Mac Eochaidh
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G. De Baere
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R. Frendo
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T. R. Pynnä
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J. C. Laitenberger
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R. Mastroianni
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J. Martín y Pérez de Nanclares
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G. Hesse
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M. Sampol Pucurull
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M. Stancu
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P. Škvařilová-Pelzl
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I. Nõmm
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G. Steinfatt
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R. Norkus
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T. Perišin
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D. Petrlík
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M. Brkan
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P. Zilgalvis
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K. Kecsmár
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I. Gâlea
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I. Dimitrakopoulos
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D. Kukovec
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S. Kingston
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T. Tóth
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B. Ricziová
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E. Tichy- Fisslberger
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W. Valasidis
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S. Verschuur
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E. Coulon
Protokollarische Reihenfolge ab dem 19.09.2022
C | Rechtsprechung im Jahr 2022
- Fokus Die Verordnung, die die Zahlung von EU-Mitteln an die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit knüpft, ist gültig
- Fokus Die Klagebefugnis von Umweltvereinigungen
- Fokus Recht auf Vergessenwerden versus Recht auf Information
- Fokus Ukrainekrieg: gegen pro-russische Medien verhängtes Sendeverbot und Meinungsäußerungsfreiheit
- Fokus Rekordgeldbuße von 4,125 Mrd. Euro für Google wegen den Herstellern von Android-Mobilgeräten auferlegter Beschränkungen
- Rückblick auf die wichtigsten Urteile des Jahres
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Fokus
Die Verordnung, die die Zahlung von EU-Mitteln an die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit knüpft, ist gültig
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Rechtsstaatlichkeit
Sie ist ein Grundwert der Union, der Folgendes umfasst:
- Grundsatz der Rechtmäßigkeit, der einen transparenten, rechenschaftspflichtigen, demokratischen und pluralistischen Gesetzgebungsprozess voraussetzt;
- Grundsatz der Rechtssicherheit;
- Verbot der willkürlichen Ausübung von Hoheitsgewalt;
- Grundsatz des wirksamen Rechtsschutzes (Zugang zu einer unabhängigen und unparteiischen Justiz);
- Grundsatz der Gewaltenteilung;
- Grundsatz der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit vor dem Gesetz.
Die Union hat eine neue Konditionalitätsregelung erlassen, um ihren Haushalt und ihre finanziellen Interessen vor Beeinträchtigungen zu schützen, die sich aus Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit – eines Grundwerts der Union – ergeben.
Diese mit der Verordnung 2020/2092 des Europäischen Parlaments und des Rates eingeführte Regelung macht den Erhalt von Mitteln aus dem Unionshaushalt davon abhängig, dass die Mitgliedstaaten die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit einhalten. Gemäß der Verordnung kann der Rat nach einer von der Kommission durchgeführten Untersuchung Maßnahmen – wie etwa die Aussetzung von Zahlungen oder Finanzkorrekturen – ergreifen, um den Haushalt und die finanziellen Interessen der Union zu schützen, wenn sie durch solche Verstöße beeinträchtigt zu werden drohen.
Diese Verordnung wurde von Ungarn und Polen beim Gerichtshof angefochten. Wegen der besonderen Bedeutung der Rechtssachen hat der Gerichtshof als Plenum über die Klagen entschieden.
Am 16. Februar 2022 hat der Gerichtshof die Klagen Ungarns und Polens abgewiesen.
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass sich die Union auf Werte gründet, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, darunter die Rechtsstaatlichkeit. Diese gemeinsamen Werte geben der Union als Rechtsgemeinschaft schlechthin ihr Gepräge und wurden von allen Mitgliedstaaten bei ihrem Beitritt zur Union anerkannt. Die Wahrung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit stellt daher für die Mitgliedstaaten eine Ergebnispflicht dar, die sich unmittelbar aus ihrer Zugehörigkeit zur Union ergibt, und ist eine Voraussetzung für den Genuss aller Rechte, die sich aus der Anwendung der Verträge ergeben.
Die finanziellen Interessen der Union können durch in einem Mitgliedstaat begangene Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit schwer beeinträchtigt werden. Die Mitgliedstaaten können eine wirtschaftliche Haushaltsführung nur gewährleisten, wenn die Behörden im Einklang mit dem Gesetz handeln, Gesetzesverstöße wirksam verfolgt werden und willkürliche oder unrechtmäßige Entscheidungen von Behörden einer wirksamen Kontrolle durch eine unabhängige und unparteiische Justiz unterliegen. Die Union muss daher in der Lage sein, ihre finanziellen Interessen zu schützen, insbesondere durch Maßnahmen zum Schutz des Unionshaushalts. Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die mit der angefochtenen Verordnung eingeführte Regelung unter die Haushaltsvorschriften fällt, in denen insbesondere die Ausführung des Haushaltsplans geregelt ist (Art. 322 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV]). Die Verordnung ist damit auf die zutreffende Rechtsgrundlage gestützt.
Der Gerichtshof führt außerdem zu bestimmten Argumenten Ungarns und Polens aus, dass der Konditionalitätsmechanismus nicht das in Art. 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) vorgesehene Verfahren umgeht. Die beiden Verfahren verfolgen unterschiedliche Ziele und haben unterschiedliche Gegenstände. Insbesondere können nach Art. 7 EUV schwerwiegende und anhaltende Verletzungen eines der Grundwerte der Union oder die eindeutige Gefahr einer solchen Verletzung geahndet werden, während die angefochtene Verordnung nur auf Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit anwendbar ist, und auch nur dann, wenn hinreichende Gründe für die Feststellung vorliegen, dass die Verstöße Auswirkungen auf den Haushalt haben.
Der Gerichtshof weist auch das Vorbringen zurück, wonach die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit im Unionsrecht keinen konkreten sachlichen Inhalt hätten. Denn diese Grundsätze sind in seiner Rechtsprechung umfänglich konkretisiert worden und werden somit in der Unionsrechtsordnung präzisiert. Sie gehen auf gemeinsame Werte zurück, die von den Mitgliedstaaten in ihren eigenen Rechtsordnungen anerkannt und angewandt werden. Daher sind die Mitgliedstaaten in der Lage, den Wesensgehalt der einzelnen Grundsätze und die aus ihnen folgenden Erfordernisse hinreichend genau zu bestimmen.
Schließlich setzt die Durchführung des Konditionalitätsmechanismus voraus, dass ein echter Zusammenhang zwischen dem Verstoß gegen einen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und einer Beeinträchtigung bzw. ernsthaft drohenden Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Führung des Unionshaushalts festgestellt wird. Außerdem sind strenge Verfahrenserfordernisse vorgesehen, die die Kommission zu beachten hat. Ungarn und Polen können somit nicht geltend machen, dass der Kommission und dem Rat zu weitreichende Befugnisse eingeräumt worden seien. Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die angefochtene Verordnung den Erfordernissen des Grundsatzes der Rechtssicherheit .
Art. 7 EUV
Diese Bestimmung beschreibt das Verfahren, nach dem bei einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der in Art. 2 EUV genannten, den Mitgliedstaaten gemeinsamen Werte wie z. B. der Rechtsstaatlichkeit bestimmte Rechte, die sich aus der Anwendung der Verträge auf einen Mitgliedstaat herleiten, ausgesetzt werden können. Ungarn und Polen machten geltend, dass die Konditionalitätsregelung durch die Einführung eines Parallelverfahrens eine rechtswidrige Umgehung der spezifischen Voraussetzungen ermögliche, unter denen ein Mitgliedstaat nach Art. 7 EUV mit einer Sanktion belegt werden könne.
Zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit sind bereits zahlreiche Urteile des Gerichtshofs ergangen, wie beispielsweise:
- Urteil Associação Sindical dos Juízes Portugueses (Richterliche Unabhängigkeit – Kürzung der Bezüge im nationalen öffentlichen Dienst) vom 27. Februar 2018 (C‑64/16) ;
- Urteil Kommission/Polen (Disziplinarordnung für Richter – Beschränkung des Rechts und der Pflicht der nationalen Gerichte, sich mit Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu wenden) vom 15. Juli 2021 (C‑791/19) ;
- Urteil Repubblika (Unabhängigkeit der Richter eines Mitgliedstaats – Ernennungsverfahren – Befugnisse des Premierministers – Mitwirkung eines Ausschusses für Ernennungen im Justizwesen) vom 20. April 2021 (C‑896/19).
Grundsatz der Rechtssicherheit
Dieser Grundsatz gebietet, dass Rechtsvorschriften – vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen haben können – klar und bestimmt sowie in ihrer Anwendung für den Einzelnen vorhersehbar sind. Eine Regelung muss es den Betroffenen daher ermöglichen, ihre Rechte und Pflichten eindeutig zu erkennen und sich darauf einzustellen.
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Fokus
Die Klagebefugnis von Umweltvereinigungen
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Urteil Deutsche Umwelthilfe (Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen) vom 8. November 2022 (C‑873/19)
Zum Schutz der Umwelt und zur Verbesserung der Luftqualität verbietet die EU-Verordnung über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen die Verwendung von Vorrichtungen, die auf das System zur Kontrolle der Schadstoffemissionen einwirken, um dessen Wirksamkeit zu verringern („Abschalteinrichtungen“). Von diesem Verbot gibt es jedoch drei Ausnahmen, darunter diejenige, die den Fall betrifft, dass „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“.
Die Deutsche Umwelthilfe, eine deutsche Umweltvereinigung, ist der Ansicht, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gegen das fragliche Verbot verstoßen hat, indem es für bestimmte Fahrzeuge der Marke Volkswagen die Verwendung einer Software genehmigt hat, die die Rückführung von Schadstoffen, insbesondere Stickoxid (NOx), verringert. Mit dieser Software, die ein sogenanntes „Thermofenster“ festlegt, ließ sich die Abgasreinigungsrate an die Außentemperatur anpassen. Die Software hatte daher zur Folge, dass das Abgasrückführungssystem nur dann voll wirksam war, wenn die Umgebungstemperatur über 15 Grad Celsius lag. Im Jahr 2018 hatte die Jahresdurchschnittstemperatur in Deutschland aber nur 10,4 Grad Celsius betragen.
Die Deutsche Umwelthilfe focht die Zulassung vor einem deutschen Gericht an, das sich an den Gerichtshof gewandt hat, um zwei Fragen klären zu lassen.
1. Das deutsche Gericht führt aus, dass die Deutsche Umwelthilfe nach deutschem Recht keine Möglichkeit habe, eine Klage gegen die vom KBA erteilte Zulassung zu erheben, weil die EU-Verordnung, auf die sie sich berufe, nicht dem Individualschutz einzelner Bürger diene. Es fragt den Gerichtshof, ob dies mit dem Übereinkommen von Aarhus und dem in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vereinbar ist.
In seinem Urteil vom 8. November 2022 entscheidet der Gerichtshof, dass nach dem Übereinkommen von Aarhus in Verbindung mit der Charta eine Umweltvereinigung, die zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigt ist, nicht die Möglichkeit genommen werden darf, die Einhaltung bestimmter unionsrechtlicher Vorschriften im Bereich des Umweltschutzes von den nationalen Gerichten überprüfen zu lassen. Eine solche Umweltvereinigung muss daher die Zulassung von Abschalteinrichtungen vor Gericht anfechten können.
2. Das deutsche Gericht fragt außerdem, ob die „Notwendigkeit“ des „Thermofensters“, die dessen Verwendung zum Schutz des Motors oder zur Gewährleistung des sicheren Betriebs des Fahrzeugs ausnahmsweise rechtfertigen würde, anhand des aktuellen Standes der Technik im Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung zu beurteilen ist oder ob weitere Umstände zu berücksichtigen sind.
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass eine Abschalteinrichtung wie ein „Thermofenster“ ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
- Sie muss ausschließlich notwendig sein, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden;
- die Risiken müssen so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs darstellen;
- zum Zeitpunkt der Zulassung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs besteht keine andere technische Lösung, mit der sich diese Risiken abwenden lassen.
Schließlich ist, selbst wenn diese Notwendigkeit nachgewiesen ist, die Abschalteinrichtung auf jeden Fall zu verbieten, wenn sie so konstruiert ist, dass sie unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres aktiviert ist. Denn in diesem Fall käme die Ausnahme öfter zur Anwendung als das Verbot, was zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Grundsatzes der Begrenzung der NOx-Emissionen führen würde.
Der Gerichtshof entscheidet regelmäßig in Rechtssachen im Bereich der Umwelt. Als Beispiele aus jüngerer Zeit lassen sich anführen:
- Urteil „Ville de Paris u. a.“ (Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen – Stickstoffoxidemissionen – Prüfverfahren zur Messung von Emissionen in der Betriebspraxis) vom 13. Januar 2022 (C‑177/19 P u. a.) ;
- Urteile GSMB Invest, Volkswagen und Porsche Inter Auto und Volkswagen (Dieselfahrzeuge – Stickstoffoxid (NOx)-Emissionen – Verbotene Abschalteinrichtungen – „Thermofenster“) vom 14. Juli 2022 (C‑128/20 u. a.) ;
- Urteil Kommission/Spanien (Grenzwerte – NO2) vom 22. Dezember 2022 (C‑125/20) ;
- Urteil Ministre de la Transition écologique und Premier ministre (Haftung des Staates für die Luftverschmutzung) vom 22. Dezember 2022 (C‑61/21).
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Fokus
Recht auf Vergessenwerden versus Recht auf Information
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Urteil Google (Auslistung eines angeblich unrichtigen Inhalts) vom 8. Dezember 2022 (C‑ 460/20)
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)
Die DSGVO, die seit 2018 gilt, gibt den Bürgern mehr Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten und nimmt diejenigen, in deren Besitz sich die Daten befinden, in die Verantwortung.
Zu den in der DSGVO verankerten Rechten gehören:
- das Recht auf Information über die Verarbeitung der Daten;
- das Recht auf Zugang zu den gehaltenen Daten;
- das Recht auf Berichtigung unrichtiger oder unvollständiger Daten;
- das Recht auf Löschung von Daten, die auf rechtswidrige Weise verarbeitet wurden oder für die Zwecke ihrer Verarbeitung nicht mehr notwendig sind (besser bekannt als das „Recht auf Vergessenwerden“);
- das Recht auf Datenübertragbarkeit (Zugriff auf die Daten, die einem für die Verarbeitung Verantwortlichen bereitgestellt wurden).
Der Schutz personenbezogener Daten ist auf Ebene der Europäischen Union in der Datenschutz-Grundverordnung geregelt.
Das Recht auf Schutz personenbezogener Daten ist jedoch kein uneingeschränktes Recht. Es muss gemäß dem Verhältnismäßigkeitsprinzip gegen andere Grundrechte abgewogen werden. Zu diesen anderen Grundrechten gehört die Informationsfreiheit.
Im Urteil Google vom 8. Dezember 2022 hat der Gerichtshof auf die Bedeutung dieser Abwägung hingewiesen und sie in Beantwortung einer Frage des deutschen Bundesgerichtshofs zum Recht auf Vergessenwerden vorgenommen.
Der Rechtsstreit betraf zwei Geschäftsführer einer Gruppe von Investmentgesellschaften, die Google aufgefordert hatten, aus den Ergebnissen einer anhand ihrer Namen durchgeführten Suche die Links zu bestimmten Artikeln auszulisten, die das Anlagemodell dieser Gruppe kritisch darstellten. Sie machen geltend, dass diese Artikel unrichtige Behauptungen enthielten. Ferner hatten sie gefordert, dass Fotos von ihnen, die in Gestalt von Vorschaubildern („thumbnails“) ohne Kontext angezeigt werden, in der Übersicht dieser Ergebnisse gelöscht werden.
Google lehnte es ab, dem Folge zu leisten, und wies darauf hin, dass diese Artikel und Fotos in einem beruflichen Kontext stünden und dass nicht klar gewesen sei, ob die in diesen Artikeln enthaltenen Informationen unrichtig seien.
Der mit dem Rechtsstreit befasste Bundesgerichtshof hat den Gerichtshof darum ersucht, die DSGVO im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auszulegen. Denn diese Verordnung sieht ausdrücklich vor, dass das Recht auf Vergessenwerden nicht besteht, wenn die fragliche Verarbeitung der personenbezogenen Daten für die Ausübung des Rechts auf freie Information erforderlich ist.
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass das Recht auf Schutz der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten im Allgemeinen gegenüber dem berechtigten Interesse der Internetnutzer an Zugang zu der Information überwiegt. Wie der Ausgleich vorzunehmen ist, hängt aber davon ab, um welche Art von Information es sich handelt und wie sensibel diese für das Privatleben der betroffenen Person ist. Auch auf das Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der Information kommt es an. Dieses Interesse kann je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt, variieren.
Allerdings kann das Recht auf freie Meinungsäußerung und Information dann nicht berücksichtigt werden, wenn zumindest ein (nicht unbedeutender) Teil der in dem aufgelisteten Inhalt stehenden Informationen unrichtig ist.
Wird eine Auslistung gefordert, obliegen dem Betreiber der Suchmaschine bestimmte Verpflichtungen:
- Er muss prüfen, ob ein Inhalt in der Ergebnisübersicht der über seine Suchmaschine durchgeführten Suche verbleiben kann. Werden mit dem Antrag hinreichende Nachweise vorgelegt, muss der Betreiber dem Antrag nachkommen.
- Ergibt sich aus dem Antrag nicht offensichtlich, dass die Informationen unrichtig sind, ist der Betreiber nicht zur Löschung verpflichtet. In diesem Fall muss sich der Antragsteller aber an die Datenschutz-Kontrollstelle oder das Gericht wenden können, damit diese die erforderlichen Überprüfungen vornehmen und den Betreiber gegebenenfalls anweisen, die gebotenen Maßnahmen zu ergreifen.
- Er muss die Internetnutzer darüber informieren, dass es ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren gibt, um die Frage zu klären, ob ein Inhalt unrichtig ist.
- Er muss überprüfen, ob die Anzeige der Fotos in Gestalt von Vorschaubildern („thumbnails“) erforderlich ist, um das Recht auf freie Information auszuüben, das den Internetnutzern zusteht, die potenziell Interesse an einem Zugang zu diesen Fotos haben. Die Anzeige von Fotos einer Person ist ein besonders starker Eingriff in deren Privatleben. Dass dieser Zugang zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beiträgt, ist ein entscheidender Gesichtspunkt, der bei der Abwägung mit anderen Grundrechten zu berücksichtigen ist.
Der Schutz personenbezogener Daten ist Gegenstand zahlreicher Rechtssachen vor dem Gerichtshof.
Von den jüngeren Urteilen, die die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien betreffen, sind zu nennen:
- Urteil Facebook Ireland und Schrems vom 16. Juli 2020 zum Schutzniveau, das bei der Übermittlung personenbezogener Daten in ein Drittland zu gewährleisten ist (C‑311/18);
- Urteile La Quadrature du Net u. a. vom 6. Oktober 2020 zum Verbot einer nationalen Regelung, die eine allgemein und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorschreibt (C‑511/18 u.a.);
- Urteil Prokuratuur vom 2. März 2021 zum Zugang von Behörden zu Verkehrs- und Standortdaten zum Zwecke der Bekämpfung schwerer Kriminalität (C‑746/18);
- Urteil Facebook Ireland u. a. vom 15. Juni 2021 zu den Befugnissen der nationalen Aufsichtsbehörden (C‑645/19);
- Urteil Vyriausioji tarnybinės etikos komisija vom 1. August 2022 zur Transparenz von Erklärungen über private Interessen von Arbeitnehmern und Führungspersonal des öffentlichen Sektors (C‑184/20).
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Fokus
Ukrainekrieg: gegen pro-russische Medien verhängtes Sendeverbot und Meinungsäußerungsfreiheit
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Urteil RT France/Rat vom 27. Juli 2022 (T‑125/22)
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
In Erwartung der endgültigen Entscheidung des Gerichts beantragte RT France am 8. März 2022 beim Präsidenten des Gerichts, die Wirkung des Beschlusses über das Verbot der Sendetätigkeiten sofort auszusetzen. Dieser Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wurde am 30. März 2022 zurückgewiesen. Der Präsident hat insbesondere entschieden, dass RT France nicht nachgewiesen hat, dass das Verbot einen nicht wiedergutzumachenden Schaden verursachen würde. Es lag daher keine besondere Dringlichkeit vor, die diese Aussetzung vor der Verkündung der endgültigen Entscheidung gerechtfertigt hätte.
Am 24. Februar 2022 begann die Russische Föderation einen Aggressionskrieg gegen die Ukraine. Auf diese Verletzung des Völkerrechts reagierte die Europäische Union im Rahmen ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mit der Verhängung von Sanktionen gegen die Russische Föderation. Am 1. März 2022 verbot der Rat der Europäischen Union die Sendetätigkeiten bestimmter Medien in der Union oder solcher an die Union gerichteter Tätigkeiten, um russische Propagandaaktionen zu unterbinden.
Das Verbot richtete sich insbesondere gegen RT France, einem aus dem russischen Staatshaushalt finanzierten TV-Sender. Dieser erhob am 8. März 2022 eine Klage beim Gericht der Europäischen Union auf Nichtigerklärung des Beschlusses des Rates
In Anbetracht der Bedeutung und Dringlichkeit der Rechtssache hat das Gericht als Große Kammer (15 Richter) von Amts wegen zum ersten Mal das beschleunigte Verfahren durchgeführt, so dass es in weniger als fünf Monaten entscheiden konnte.
In seinem Urteil vom 27. Juli 2022 weist das Gericht die Klage in vollem Umfang ab. Das Urteil beruht auf drei Haupterwägungen:
- Der Rat verfügt bei der Festlegung restriktiver Maßnahmen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik über einen großen Spielraum. Er kann ein befristetes Sendeverbot für Inhalte bestimmter aus dem russischen Staatshaushalt finanzierter Medien aussprechen, wenn diese Medien die militärische Aggression Russlands unterstützen. Die einheitliche Umsetzung eines derartigen Verbots lässt sich besser auf Unionsebene als auf nationaler Ebene verwirklichen.
- Das Sendeverbot, das beschlossen wurde, ohne RT France vorher anzuhören, stellt keine Verletzung der Verteidigungsrechte dar. Der außergewöhnliche Kontext extremer Dringlichkeit – des Beginns eines Krieges an den Grenzen der Union – erforderte eine rasche Reaktion. Die unverzügliche Umsetzung der Maßnahmen, mit denen ein Propagandainstrument zugunsten der militärischen Aggression verboten wird, war unabdingbar, um ihre Wirksamkeit zu gewährleisten.
- Die Freiheit der Meinungsäußerung gehört zu den tragenden Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. Sie gilt nicht nur für günstig aufgenommene oder als unschädlich angesehene Ideen, sondern auch für solche, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Dies ergibt sich aus den Erfordernissen von Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ohne die es keine demokratische Gesellschaft gibt.
Allerdings kann es sich in demokratischen Gesellschaften als nötig erweisen, Ausdrucksformen zu ahnden, mit denen, beruhend auf Intoleranz sowie der Anwendung und Verherrlichung von Gewalt, Hass propagiert, gerechtfertigt oder gefördert wird.
Das gegen RT France ausgesprochene Verbot verfolgt dieses Ziel. Sie soll die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Union schützen, die durch die systematische Propagandakampagne Russland bedroht wird, und Druck auf die russischen Behörden ausüben, damit sie den militärischen Angriff beenden. Dieses Verbot ist auch verhältnismäßig, da es im Hinblick auf die verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist. Es liegen genügend konkrete, genaue und übereinstimmende Indizien dafür vor, dass RT France die von der Russischen Föderation verfolgte destabilisierende und aggressive Politik gegenüber der Ukraine, die letztlich zu einer großangelegten militärischen Offensive führte, aktiv unterstützte. RT France hat nichts vorgelegt, was belegen könnte, dass dieser Sender insgesamt gesehen eine ausgeglichene Berichterstattung über den laufenden Krieg geführt hat, die im Einklang mit den „Pflichten und Verantwortlichkeiten“ audiovisueller Medien stand.
Restriktive Maßnahmen oder Sanktionen
sind Instrumente, über die die EU verfügt, um die Ziele ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu fördern. Dabei geht es insbesondere um die Wahrung der Werte der EU und ihrer grundlegenden Interessen, den Schutz ihrer Sicherheit, die Festigung und Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Grundsätzen des Völkerrechts, die Wahrung des Friedens und die Verhütung von Konflikten sowie die Stärkung der internationalen Sicherheit.
Die Maßnahmen können sich gegen Regierungen von Drittstaaten oder nicht staatliche Einrichtungen (z. B. Unternehmen) und gegen Einzelpersonen (z. B. terroristische Gruppen) richten. In den meisten Fällen beziehen sie sich auf Einzelpersonen oder Einrichtungen und sehen das Einfrieren von Geldern und Reiseverbote für die EU vor.
Beim Gericht ist eine große Anzahl von Rechtssachen anhängig, die restriktive Maßnahmen betreffen. Dabei geht es insbesondere um Sanktionen im Kontext von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, wegen der Lage in Syrien und Belarus und gegen die Demokratische Republik Kongo.
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Fokus
Rekordgeldbuße von 4,125 Mrd. Euro für Google wegen den Herstellern von Android-Mobilgeräten auferlegter Beschränkungen
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Urteil Google und Alphabet/Kommission (Google Android) vom 14. September 2022 (T‑604/18)
Google ist ein Unternehmen des Sektors der Informations- und Kommunikationstechnologien, das auf Produkte und Dienstleistungen spezialisiert ist, die mit dem Internet in Zusammenhang stehen. Seine Einkünfte erzielt es im Wesentlichen mit seinem Schlüsselprodukt, der Suchmaschine Google Search. Sein Geschäftsmodell basiert auf dem Zusammenspiel einer Reihe von Produkten und Dienstleistungen, die den Nutzern meist kostenlos angeboten werden, und Online-Werbedienstleistungen, bei denen die bei diesen Nutzern gesammelten Daten verwendet werden. Google bietet ferner das Betriebssystem Android an, mit dem nach Angaben der Europäischen Kommission im Juli 2018 etwa 80 % der in Europa verwendeten intelligenten Mobilgeräte ausgestattet waren.
Die Kommission leitete, nachdem bei ihr verschiedene Beschwerden eingegangen waren, 2015 ein Verfahren gegen Google ein. 2018 verhängte sie eine Geldbuße von 4,343 Mrd. Euro gegen das Unternehmen, weil es Herstellern von Android-Mobilgeräten und Betreibern von Mobilfunknetzen rechtswidrige Beschränkungen auferlegt hatte. Dies bedeutete für die Hersteller von Mobilgeräten, dass sie Die Geldbuße ist die höchste, die jemals in Europa von einer Wettbewerbsbehörde verhängt wurde. Google klagte beim Gericht gegen den Beschluss der Kommission.
- Google Search und Chrome vorinstallieren mussten, um die Lizenz für die Nutzung von Play Store zu erhalten;
- keine Geräte verkaufen durften, die mit nicht von Google zugelassenen Versionen von Android ausgestattet sind;
- keinen konkurrierenden Suchdienst vorinstallieren durften, um einen Teil der Werbeeinnahmen erhalten zu können.
Nach Ansicht der Kommission wurde mit diesen Beschränkungen das Ziel verfolgt, die beherrschende Stellung des Suchdiensts von Google zu festigen und damit seine Einnahmen aus Werbeanzeigen im Zusammenhang mit diesen Suchen zu schützen.
Was ist ein Missbrauch einer beherrschenden Stellung?
Eine beherrschende Stellung liegt vor, wenn ein Unternehmen über eine wirtschaftliche Machtstellung verfügt, die es in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs zu verhindern und sich seinen Wettbewerbern, seinen Lieferanten und den Endverbrauchern gegenüber unabhängig zu verhalten.
Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbietet den Unternehmen, ihre beherrschende Stellung zu missbrauchen, um den Wettbewerb einzuschränken oder zu verfälschen, z. B. durch überhöhte Preise, Exklusivverkaufsabsprachen oder Treueprämien, mit denen Anbieter von den Mitbewerbern abgeworben werden sollen.
Die Geldbuße ist die höchste, die jemals in Europa von einer Wettbewerbsbehörde verhängt wurde. Google klagte beim Gericht gegen den Beschluss der Kommission.
In der Rechtssache Google und Alphabet umfassten die Akten über 100 000 Seiten. In der mündlichen Verhandlung waren 72 Anwälte und Vertreter von 13 Beteiligten anwesend (die Klägerin – Google et Alphabet –, die Beklagte – die Europäische Kommission – und elf Streithelfer zur Unterstützung der Klägerin oder der Beklagten). Die mündliche Verhandlung erstreckte sich über fünf Tage.
Die Rechtssache wurde mit dem Urteil Google und Alphabet/Kommission vom 14. September 2022 entschieden. Das Gericht hat den Beschluss weitgehend bestätigt und die Klage im Wesentlichen abgewiesen. Es hat allerdings festgestellt, dass die Kommission nicht hinreichend nachgewiesen hat, dass bestimmte Verhaltensweisen von Google geeignet waren, den Wettbewerb einzuschränken, und dass sie Google die Gelegenheit, in einer Anhörung dazu Stellung zu nehmen, nicht hätte verweigern dürfen. Nach einer Würdigung aller Umstände setzt das Gericht die gegen Google verhängte Geldbuße auf 4,125 Mrd. Euro herab.
Überprüfung des Sachverhalts und der korrekten Anwendung des Rechts durch das Gericht
Die Wettbewerbssachen vor dem Gericht sind oft komplexe Fälle, die die Bearbeitung umfangreicher Akten erfordern. Das Gericht entscheidet in erster Instanz: Es prüft daher nicht nur, ob die Kommission das Recht korrekt angewandt hat, sondern auch, ob der Sachverhalt hinreichend geklärt ist. Die Akten können Beweise und wirtschaftliche Studien beinhalten, die die Auswirkungen der Verhaltensweisen der Unternehmen auf dem Markt belegen oder in Abrede stellen sollen.
Urteil Qualcomm/Kommission vom 15. Juni 2022 (T‑235/18)
In einer anderen Rechtssache, in der es um den Missbrauch einer beherrschenden Stellung ging, hat das Gericht den Beschluss der Kommission, mit der eine Geldbuße von rund 1 Mrd. Euro gegen Qualcomm wegen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung auf dem Markt für LTE-Chipsätze (elektronische Bauteile von Smartphones und Tablets) verhängt wurde, für nichtig erklärt. Nach Ansicht der Kommission war dieser Missbrauch durch Anreizzahlungen vorsehende Vereinbarungen gekennzeichnet, aufgrund deren Apple seinen Bedarf an LTE-Chipsätzen ausschließlich durch Lieferungen von Qualcomm habe decken müssen. Das Gericht hat festgestellt, dass die Verteidigungsrechte von Qualcomm durch mehrere Verfahrensfehler beeinträchtigt worden waren, insbesondere die fehlende Aufzeichnung mehrerer Unterredungen, die im Lauf der Untersuchung stattgefunden hatten. Außerdem hatte die Kommission bei ihrer Analyse der wettbewerbswidrigen Wirkungen der Vereinbarungen nicht sämtliche relevanten Umstände berücksichtigt, insbesondere die Tatsache, dass Apple über keine technische Alternative zu den LTE-Chipsätzen verfügt habe.
Rückblick auf die wichtigsten Urteile des Jahres
Umwelt
Der Gerichtshof und die Umwelt
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Der Schutz von Fauna und Flora, die Verschmutzung von Luft, Land und Wasser sowie die mit gefährlichen Stoffen verbundenen Risiken sind Herausforderungen, zu deren Bewältigung die Europäische Union durch die Verabschiedung strenger Vorschriften beiträgt, z. B. durch die Festlegung von Grenzwerten für Schadstoffemissionen insbesondere in Ballungsräumen.
Die Direktion Wissenschaftlicher Dienst und Dokumentation bietet dem juristischen Fachpublikum im Rahmen ihrer Sammlung der Zusammenfassungen eine „Auswahl wichtiger Urteile“ und ein „Monatliches Rechtsprechungsbulletin“ des Gerichtshofs und des Gerichts an.
Energie
In einem Kontext, der vom Krieg in der Ukraine und der Energieabhängigkeit des europäischen Kontinents vom Rest der Welt geprägt ist, sichert die Europäische Union die Energieversorgung und –sicherheit auf ihrem Hoheitsgebiet. Sie trägt dazu bei, das Funktionieren des Energiemarkts zu gewährleisten und den Anstieg der Energiepreise, insbesondere der Gas- und Strompreise, einzudämmen. Sie stellt außerdem die Verbindung der Energienetze der Mitgliedstaaten sicher und fördert die Entwicklung erneuerbarer Energien und die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Energien. Da die Investitionen der Mitgliedstaaten den Wettbewerb auf dem Energiemarkt beeinträchtigen können, wird ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht dem Gericht zur Prüfung vorgelegt.
Verbraucher
Was hat der Gerichtshof für mich getan?
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Der Gerichtshof: Schutz der Rechte der Verbraucher in der Union
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Die Förderung der Rechte der Verbraucher, ihres Wohlstands und ihres Wohlergehens sind grundlegende Werte bei der Entwicklung der Unionspolitiken. Der Gerichtshof überwacht die Anwendung der Verbraucherschutzvorschriften, damit die Gesundheit, die Sicherheit und die wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen der Verbraucher unabhängig davon, wo sie in der Union wohnen, sich bewegen oder von wo aus sie ihre Einkäufe tätigen, gewährleistet sind.
Gleichbehandlung
Der Gerichtshof: Gewährleistung der Gleichberechtigung und Schutz von Minderheitsrechten
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In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist die Gleichheit vor dem Gesetz für alle Individuen als Menschen, Arbeitnehmer, Bürger oder Parteien in einem Gerichtsverfahren verankert. Vor allem die Richtlinie 2000/78 stellt einen allgemeinen Rahmen für die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sowie für den Schutz vor Diskriminierung aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung bereit. Der Gerichtshof hat mehrere Rechtssachen entschieden, in denen es um unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung ging, und dabei insbesondere auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgestellt, wonach das mit den fraglichen Vorschriften verfolgte Ziel und der Grundsatz der Gleichbehandlung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen müssen.
Familie
Die Europäische Union legt Vorschriften über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit fest, damit die europäischen Bürger und insbesondere Familien bei der Ausübung ihrer Rechte nicht dadurch behindert werden, dass sie in verschiedenen Mitgliedstaaten leben oder im Lauf ihres Lebens von einem Mitgliedstaat in einen anderen umgezogen sind. Die justizielle Zusammenarbeit in der Union in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung ist in der Brüssel-IIa-Verordnung geregelt.
Personenbezogene Daten
Der Gerichtshof in der digitalen Welt
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Die Europäische Union verfügt über Rechtsvorschriften, die eine solide und kohärente Grundlage für den Schutz personenbezogener Daten bilden, und zwar unabhängig davon, wie und in welchem Kontext diese Daten erhoben, gespeichert, verarbeitet und übermittelt werden. Der Gerichtshof stellt sicher, dass die Verarbeitung und Speicherung personenbezogener Daten auf das absolut Notwendige beschränkt werden und das Recht auf Privatsphäre nicht unverhältnismäßig einschränken.
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen beruht auf mehreren Säulen: der justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Zivil- und Strafsachen, der polizeilichen Zusammenarbeit, der Kontrolle der Außengrenzen, Asyl und Zuwanderung. Konkreter Ausdruck der justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ist insbesondere der Europäische Haftbefehl, eine gerichtliche Entscheidung eines Mitgliedstaats zur Festnahme und Übergabe einer Person, die in einem anderen Mitgliedstaat wegen Strafverfolgungoder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe gesucht wird. In Bezug auf das Asylrecht legt das Unionsrecht die Voraussetzungen fest, unter denen Drittstaatsangehörige oder Staatenlose internationalen Schutz genießen (Flüchtlingsrichtlinie). Der Gerichtshof wird immer wieder angerufen, um die Tragweite der geltenden Regeln zu präzisieren.
Seerettung
Im Zusammenhang mit der Seerettung hat sich die Frage gestellt, wie weit die Befugnisse der Behörden des Hafenmitgliedstaats zur Kontrolle von Schiffen, die unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union fahren, bezüglich der Sicherheit auf See und der Umwelt reichen.
Zugang zu Dokumenten
Transparenz im öffentlichen Leben ist ein wesentlicher Grundsatz der Union. Daher können die Bürger und juristische Personen in der Union grundsätzlich Zugang zu den Dokumenten der Organe beantragen. In bestimmten Fällen kann dieser Zugang jedoch verweigert werden.
Wettbewerb und staatliche Beihilfen
Die Europäische Union wendet Regeln an, um den freien Wettbewerb zu schützen. Praktiken, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, sind verboten. Konkret verbietet das Unionsrecht bestimmte Vereinbarungen oder den Austausch von Informationen zwischen einem Unternehmen und seinen Wettbewerbern, die einen solchen Zweck oder eine solche Wirkung haben können, sowie die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf einem bestimmten Markt durch ein Unternehmen. Ebenso sind staatliche Beihilfen grundsätzlich verboten, es sei denn, sie sind gerechtfertigt und verfälschen den Wettbewerb nicht auf eine dem Gemeinwohl abträgliche Weise.
Geistiges Eigentum
Geistiges Eigentum beim Gericht der Europäischen Union
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Der Gerichtshof und das Gericht gewährleisten die Auslegung und Anwendung der von der Union erlassenen Vorschriften zum Schutz aller ausschließlichen Rechte an geistigen Schöpfungen. Darüber hinaus verbessert der Schutz des geistigen Eigentums (Urheberrecht) und des gewerblichen Eigentums (Markenrecht, Schutz von Mustern und Modellen, Patentrecht) die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, indem er ein Umfeld fördert, das Kreativität und Innovation begünstigt. Das Unionsrecht schützt auch anerkannte Kenntnisse bezüglich eines Erzeugnisses in einem bestimmten geografischen Gebiet der Union durch geschützte Ursprungsbezeichnungen (g.U.).
Steuern
Direkte Steuern wie z. B. die Körperschaftsteuer fallen grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Sie müssen aber die Grundregeln der Europäischen Union wie das Verbot staatlicher Beihilfen beachten. Daher werden Steuervorbescheide („tax rulings“), mit denen einige Mitgliedstaaten multinationalen Unternehmen eine besondere steuerliche Behandlung gewähren, von der Kommission und gegebenenfalls vom Unionsgericht überprüft.
Rechtsstaatlichkeit
Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in der Union
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Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union – verbindliche Regeln mit konkreten Folgen
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Sowohl die Charta der Grundrechte der Europäischen Union als auch der Vertrag über die Europäische Union verweisen ausdrücklich auf die Rechtsstaatlichkeit als einen der gemeinsamen Werte der EU-Mitgliedstaaten, auf die sich die Union gründet. Der Gerichtshof muss sich immer häufiger, sei es im Zusammenhang mit Vertragsverletzungsklagen der Europäischen Kommission gegen Mitgliedstaaten oder mit Vorabentscheidungsersuchen nationaler Gerichte, zu der Frage äußern, ob die Mitgliedstaaten die Rechtsstaatlichkeit wahren. Der Gerichtshof hat in solchen Fällen zu prüfen, ob dieser Grundwert auf nationaler Ebene geachtet wird, und zwar insbesondere hinsichtlich der Judikative und insoweit vor allem in Bezug auf das Ernennungsverfahren oder das Disziplinarverfahren für Richter.
Restriktive Maßnahmen und Außenpolitik
Restriktive Maßnahmen oder „Sanktionen“ sind ein wesentliches Instrument der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union. Sie werden als Teil eines ganzheitlichen und umfassenden Ansatzes eingesetzt, zu dem auch ein politischer Dialog gehört. Die Union greift auf sie zurück, um die Werte, die grundlegenden Interessen und die Sicherheit der Union zu schützen sowie Konflikte zu verhüten und die internationale Sicherheit zu stärken. Die Sanktionen sollen eine Änderung in der Politik oder im Handeln derjenigen bewirken, gegen die sich die Maßnahmen richten, und so die Ziele der GASP befördern.