A | Der Gerichtshof im Jahr 2024
Der Gerichtshof kann vor allem mit Vorabentscheidungsersuchen befasst werden. Hat ein nationales Gericht Zweifel hinsichtlich der Auslegung oder der Gültigkeit einer Unionvorschrift, setzt es das bei ihm anhängige Verfahren aus und ruft den Gerichtshof an. Nach dieser Klärung durch den Gerichtshof kann das nationale Gericht über den ihm vorliegenden Rechtsstreit befinden. Für Rechtssachen, in denen eine besonders rasche Antwort geboten ist (wenn es z. B. um Asyl, Grenzkontrollen oder Kindesentführungen geht), ist ein Eilvorabentscheidungsverfahren vorgesehen.
Der Gerichtshof kann ferner mit Klagen befasst werden, die auf die Nichtigerklärung eines Rechtsakts der Union (Nichtigkeitsklage) oder auf die Feststellung, dass ein Mitgliedstaat gegen das Unionsrecht verstoßen hat (Vertragsverletzungsklage), gerichtet sind. Kommt der Mitgliedstaat dem Urteil, mit dem die Vertragsverletzung festgestellt wurde, nicht nach, kann eine zweite Klage wegen „doppelter Vertragsverletzung“ dazu führen, dass der Gerichtshof eine finanzielle Sanktion gegen den Mitgliedstaat verhängt.
Darüber hinaus können Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Gerichts eingelegt werden. Der Gerichtshof kann diese Entscheidungen des Gerichts aufheben.
Schließlich kann der Gerichtshof um ein Gutachten ersucht werden zur Prüfung der Vereinbarkeit einer Übereinkunft, die die Union mit einem Drittstaat oder einer internationalen Organisation schließen will, mit den Verträgen (eingereicht von einem Mitgliedstaat oder einem europäischen Organ).
Tätigkeit und Entwicklung des Gerichtshofs

Koen Lenaerts
Präsident des Gerichtshofs der Europäischen Union
Das vergangene Jahr war geprägt von der Verabschiedung und der Umsetzung der Reform des Gerichtssystems der Europäischen Union durch die Verordnung 2024/2019 des Europäischen Parlaments und des Rates, mit der auf Ersuchen des Gerichtshofs die Last der Rechtsstreitigkeiten zwischen den beiden Unionsgerichten ausgeglichen werden soll, indem die durch die Verordnung 2015/2422 des Europäischen Parlaments und des Rates im Jahr 2015 geregelte Verdoppelung der Zahl der Richter des Gerichts genutzt wird. Der Gerichtshof sollte so in der Lage sein, seine Aufgabe der Auslegung des Unionsrechts weiterhin innerhalb einer angemessenen Frist zu erfüllen, obwohl er einen erheblichen Anstieg der bei ihm anhängig gemachten Rechtsstreitigkeiten sowie eine erhöhte Zahl komplexer und sensibler Rechtssachen, die insbesondere Fragen verfassungsrechtlicher Art oder Grundrechte betreffen, verzeichnet. Im Jahr 2024 wurden mehr als 900 neue Rechtssachen beim Gerichtshof anhängig gemacht, eine Zahl, die nahe an die Rekordzahl aus dem Jahr 2019 herankommt und den in den letzten Jahren beobachteten Aufwärtstrend bestätigt, wodurch die Notwendigkeit der Reform unterstrichen wird.
In der Praxis bedeutet diese Reform vor allem eine teilweise Übertragung der Zuständigkeit für Vorabentscheidungen vom Gerichtshof auf das Gericht. Diese zum 1. Oktober 2024 wirksam gewordene Übertragung betrifft sechs besondere Sachgebiete, nämlich das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, die Verbrauchsteuern, den Zollkodex, die zolltarifliche Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur, Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Flug- und Fahrgäste im Fall der Nichtbeförderung, bei Verspätung oder bei Annullierung von Transportleistungen und das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten.
Der Gerichtshof bleibt jedoch für Vorabentscheidungsersuchen zuständig, die zwar in eines oder mehrere der besonderen Sachgebiete fallen, aber gleichzeitig auch andere Sachgebiete betreffen oder eigenständige Fragen der Auslegung des Primärrechts (einschließlich der Charta der Grundrechte der Europäischen Union), des Völkerrechts oder der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts aufwerfen.
Durch die Reform ist eine erhebliche Verringerung der Arbeitsbelastung des Gerichtshofs in Vorabentscheidungsverfahren zu erwarten, was durch die ersten Schätzungen für die letzten drei Monate des vergangenen Jahres bestätigt wird.
Ein weiterer Teil der Reform zielt darauf ab, die Wirksamkeit des Rechtsmittelverfahrens gegen Entscheidungen des Gerichts zu wahren. Damit sich der Gerichtshof auf Rechtsmittel konzentrieren kann, die wichtige Rechtsfragen aufwerfen, erstreckt sich die vorherige Zulassung von Rechtsmitteln seit dem 1. September 2024 auch auf Entscheidungen des Gerichts, die Entscheidungen von sechs weiteren unabhängigen Beschwerdekammern von Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union betreffen, die zu den vier ursprünglich von der vorherigen Zulassung betroffenen Beschwerdekammern hinzugekommen sind. Das Zulassungsverfahren wurde im Übrigen auf Rechtsstreitigkeiten über die Erfüllung von Verträgen, die eine Schiedsklausel enthalten, ausgeweitet.
Schließlich soll mit der Reform die Transparenz des Vorabentscheidungsverfahrens erhöht und somit ein besseres Verständnis der Entscheidungen des Gerichtshofs oder des Gerichts ermöglicht werden. Künftig werden die in den Vorabentscheidungsverfahren eingereichten schriftlichen Erklärungen nämlich innerhalb einer angemessenen Frist nach Erledigung der Rechtssache auf der Website des Gerichtshofs veröffentlicht, sofern der betreffende Verfasser dem nicht widerspricht.
Neben der Änderung der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hatte die Umsetzung der Reform auch eine Änderung der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und der Verfahrensordnung des Gerichts zur Folge, insbesondere zur Ausgestaltung der Erstbehandlung von Vorabentscheidungsersuchen, die alle bei einer einzigen Anlaufstelle einzureichen sind, und des Verfahrens für dem Gericht vom Gerichtshof übermittelte Ersuchen. Die Verfahrensordnung des Gerichtshofs enthält darüber hinaus weitere Neuerungen, die den Lehren aus der Gesundheitskrise und der technologischen Entwicklung Rechnung tragen, insbesondere in Bezug auf die Möglichkeit für die Parteien oder ihre Vertreter, unter bestimmten rechtlichen und technischen Voraussetzungen per Videokonferenz zu verhandeln, den Schutz personenbezogener Daten bei der Bearbeitung von Rechtssachen, die Einreichung und Zustellung von Verfahrensschriftstücken über die Anwendung e‑Curia sowie die Übertragung bestimmter öffentlicher Sitzungen im Internet.
Die Empfehlungen an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen sowie die Praktischen Anweisungen für die Parteien wurden entsprechend angepasst.
Im Juni 2024 wurde das Organ durch den Tod des Richters Ilešič (Slowenien), der seit 2004 Richter am Gerichtshof war, in Trauer versetzt.
Darüber hinaus hat es im Januar 2024 Richter Safjan (Polen) verabschiedet und im Oktober eine bedeutende teilweise Neubesetzung erfahren, mit dem Ausscheiden von acht Mitgliedern, nämlich des Vizepräsidenten Bay Larsen (Dänemark), des Richters Bonichot (Frankreich), der Richterin Prechal (Niederlande), des Richters Xuereb (Malta), der Richterin Rossi (Italien), des Richters Wahl (Schweden) sowie der Generalanwälte Pikamäe (Estland) und Collins (Irland), und dem Amtsantritt von neun neuen Mitgliedern, nämlich des Richters Smulders (Niederlande), des Generalanwalts Spielmann (Luxemburg), der Richter Condinanzi (Italien) und Schalin (Schweden), des Generalanwalts Biondi (Italien), der Richter Gervasoni (Frankreich) und Fenger (Dänemark), der Richterin Frendo (Malta) und des Generalanwalts Norkus (Litauen).
Statistisch gesehen gab es sowohl eine Vielzahl von beim Gerichtshof anhängig gemachten Rechtssachen (920 neue Rechtssachen, d. h. fast 100 mehr als in jedem der letzten drei Jahre) als auch von erledigten Rechtssachen (863 Rechtssachen, d. h. 80 mehr als im Vorjahr), wobei der Anstieg bei den Erledigungen größtenteils auf die Engpässe zurückzuführen ist, die mit einer teilweisen Neubesetzung des Gerichtshofs einhergehen. Die Zahl der am 31. Dezember 2024 anhängigen Rechtssachen belief sich somit auf 1 206. Die durchschnittliche Verfahrensdauer lag unter Berücksichtigung aller Verfahrensarten im Jahr 2024 bei 17,7 Monaten.

Die Mitglieder des Gerichtshofs
Der Gerichtshof besteht aus 27 Richtern und elf Generalanwälten.
Die Richter und Generalanwälte werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten nach Anhörung eines Ausschusses, der die Aufgabe hat, eine Stellungnahme zur Eignung der vorgeschlagenen Bewerber für die Ausübung der fraglichen Ämter abzugeben, im gegenseitigen Einvernehmen ernannt. Ihre Amtszeit beträgt sechs Jahre; Wiederernennung ist zulässig.
Sie sind unter Persönlichkeiten auszuwählen, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und in ihrem Staat die für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder sonst hervorragend befähigt sind.
Sie üben ihr Amt in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit aus.
Sie wählen aus ihrer Mitte den Präsidenten und den Vizepräsidenten. Die Richter und Generalanwälte ernennen den Kanzler für eine Amtszeit von sechs Jahren.
Die Generalanwälte haben die Aufgabe, in den Rechtssachen, an denen sie mitwirken, in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ein Rechtsgutachten vorzulegen, das als „Schlussanträge“ bezeichnet wird. Dieses Gutachten ist unverbindlich, legt aber einen zusätzlichen Standpunkt zum Gegenstand der Rechtssache dar. Mit der teilweisen Neubesetzung des Gerichtshofs im Oktober 2024 traten neun neue Mitglieder ihr Amt an: Richter Smulders (Niederlande), Generalanwalt Spielmann (Luxemburg), Richter Condinanzi (Italien), Richter Schalin (Schweden), Generalanwalt Biondi (Italien), Richter Gervasoni (Frankreich), Richter Fenger (Dänemark), Richterin Frendo (Malta) und Generalanwalt Norkus (Litauen).
Mit der teilweisen Neubesetzung des Gerichtshofs im Oktober 2024 traten neun neue Mitglieder ihr Amt an: Richter Smulders (Niederlande), Generalanwalt Spielmann (Luxemburg), Richter Condinanzi (Italien), Richter Schalin (Schweden), Generalanwalt Biondi (Italien), Richter Gervasoni (Frankreich), Richter Fenger (Dänemark), Richterin Frendo (Malta) und Generalanwalt Norkus (Litauen).

In memoriam
Der slowenische Richter Marko Ilešič ist im Juni 2024 während seiner Amtszeit verstorben. Mit dem Beitritt Sloweniens zur Europäischen Union im Jahr 2004 wurde er als erster Angehöriger dieses Staates zum Richter am Gerichtshof ernannt. Herr Ilešič, der sowohl beruflich als auch privat für seine juristischen und geistigen Fähigkeiten, seine umfangreichen Sprachkenntnisse sowie für seine Menschlichkeit respektiert und bewundert wurde, hat einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung und Förderung des Unionsrechts sowie zur Verbreitung der slowenischen Kultur geleistet.

K. Lenaerts

T. von Danwitz

F. Biltgen

K. Jürimäe

C. Lycourgos

I. Jarukaitis

M. L. Arastey Sahún

M. Szpunar

S. Rodin

A. Kumin

N. Jääskinen

D. Gratsias

M. Gavalec

J. Kokott

A. Arabadjiev

M. Campos Sánchez-Bordona

E. Regan

N. J. Cardoso da Silva Piçarra

J. Richard de la Tour

A. Rantos

I. Ziemele

J. Passer

N. Emiliou

Z. Csehi

O. Spineanu-Matei

T. Ćapeta

L. Medina

B. Smulders

D. Spielmann

M. Condinanzi

F. Schalin

A. Biondi

S. Gervasoni

N. Fenger

R. Frendo

R. Norkus

A. Calot Escobar
Protokollarische Rangfolge ab dem 9.10.2024
B | Das Gericht im Jahr 2024
Das Gericht entscheidet im ersten Rechtszug über Klagen von natürlichen oder juristischen Personen (Einzelpersonen, Gesellschaften, Vereinigungen etc.), wenn sie individuell und unmittelbar betroffen sind, und der Mitgliedstaaten gegen Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union sowie über Klagen auf Ersatz eines von den Organen oder ihren Bediensteten verursachten Schadens.
Gegen die Entscheidungen des Gerichts kann beim Gerichtshof ein Rechtsmittel eingelegt werden, das auf Rechtsfragen beschränkt ist. In Rechtssachen, die bereits zweifach geprüft worden sind (durch eine unabhängige Beschwerdekammer, dann durch das Gericht), lässt der Gerichtshof das Rechtsmittel nur dann zu, wenn damit eine für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage aufgeworfen wird.
Seit dem 1. Oktober 2024 ist das Gericht auch für vom Gerichtshof übermittelte Vorabentscheidungsersuchen zuständig, die ausschließlich in eines oder mehrere der folgenden sechs besonderen Sachgebiete fallen: gemeinsames Mehrwertsteuersystem, Verbrauchsteuern, Zollkodex, zolltarifliche Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur, Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Flug- und Fahrgäste im Fall der Nichtbeförderung, bei Verspätung oder bei Annullierung von Transportleistungen, System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten.
Eine große Zahl der Streitsachen vor dem Gericht ist wirtschaftlicher Natur: geistiges Eigentum (Marken und Geschmacksmuster der Europäischen Union), Wettbewerb, staatliche Beihilfen sowie Banken- und Finanzaufsicht. Das Gericht ist auch für die Entscheidung über die dienstrechtlichen Streitigkeiten zwischen der Europäischen Union und ihren Bediensteten zuständig.
Tätigkeit und Entwicklung des Gerichts

Marc van der Woude
Präsident des Gerichts der Europäischen Union
Für das Gericht war 2024 ein besonders wichtiges Jahr, gekennzeichnet durch das Inkrafttreten der Verordnung 2024/2019, mit der das Gerichtssystem der Europäischen Union reformiert wurde. Die teilweise Übertragung der Zuständigkeit für Vorabentscheidungen vom Gerichtshof auf das Gericht ist damit am 1. Oktober 2024 wirksam geworden.
Nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Gericht nunmehr für Vorabentscheidungsersuchen zuständig, die ausschließlich in eines oder mehrere der folgenden sechs besonderen Sachgebiete fallen: gemeinsames Mehrwertsteuersystem, Verbrauchsteuern, Zollkodex, zolltarifliche Einreihung von Waren, Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Flug- und Fahrgäste im Fall der Nichtbeförderung, bei Verspätung oder bei Annullierung von Transportleistungen, System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten (neuer Art. 50b der Satzung). Vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2024 waren 19 Vorabentscheidungsersuchen Gegenstand einer Übertragung.
Intern musste das Gericht seine Struktur neu organisieren, um die zehn Richter der Kammer für die Behandlung von Vorabentscheidungsersuchen sowie den Vizepräsidenten des Gerichts Papasavvas zum Präsidenten dieser Kammer zu ernennen. Um eine optimale Bearbeitung von Vorabentscheidungsersuchen zu gewährleisten, hat das Gericht auch drei Richter ernannt, die die Funktion eines Generalanwalts wahrnehmen sollen. Außerdem sieht seine Verfahrensordnung nunmehr die Möglichkeit vor, u. a. in bestimmten Vorabentscheidungsverfahren als Mittlere Kammer mit neun Richtern zu entscheiden.
Ebenso wurde zum 1. September 2024 die vorherige Zulassung von Rechtsmitteln gegen Entscheidungen des Gerichts, die eine Entscheidung einer unabhängigen Beschwerdekammer von einer Einrichtung oder sonstigen Stelle der Union betreffen, ausgeweitet (neuer Art. 58a der Satzung des Gerichtshofs, ebenfalls eingefügt durch die Verordnung 2024/2019). Dieser Teil der Reform erhöht auch die Verantwortung des Gerichts für die Gewährleistung der Kohärenz und Einheitlichkeit des Rechts in den betreffenden Rechtsgebieten.
Die Reform fiel mit dem Ausscheiden von fünf Mitgliedern des Gerichts am 7. Oktober 2024 zusammen, die zu Richtern am Gerichtshof ernannt wurden. So verließen das Gericht namentlich Richter Gervasoni, die Kammerpräsidenten Spielmann und Schalin, Richterin Frendo und Richter Norkus. Das Gericht dankt ihnen für ihren langfristigen und bedeutenden Beitrag zu seiner Rechtsprechung. Am selben Tag wurden Richter Cassagnabère und Meyer als neue Mitglieder des Gerichts vereidigt.
Die einschneidende Umstrukturierung und das Ausscheiden von Mitgliedern haben jedoch die Rechtsprechungstätigkeit des Gerichts nicht verlangsamt, angesichts der 922 erledigten Rechtssachen im Jahr 2024. Mit dem Eingang von nur 786 neuen Rechtssachen ist die Zahl der anhängigen Rechtssachen damit zurückgegangen. Die durchschnittliche Verfahrensdauer von 18,5 Monaten zeugt von einer effizienten Rechtssachenbearbeitung, wobei das Gericht in der Lage ist, noch schneller zu reagieren, wenn die Besonderheiten der Rechtssache dies erfordern. So hat es sein erstes Urteil im Bereich der digitalen Märkte innerhalb von 8,2 Monaten erlassen (Urteil T‑1077/23, Bytedance/Kommission).
2024 wurden 20,2 % der Rechtssachen von erweiterten Spruchkörpern erledigt. Das Gericht verfolgt zudem den Ansatz weiter, Rechtssachen von besonderer Bedeutung u. a. für die Rechtsstaatlichkeit als Große Kammer mit 15 Richtern zu entscheiden (siehe Kapitel „Rückblick auf bedeutende Urteile des Jahres“). In dieser besonderen Besetzung des Gerichts sind die Entscheidungen in den Rechtssachen Ordre néerlandais des avocats du barreau de Bruxelles u. a./Rat, Medel u. a./Rat, Fridman u. a./Rat sowie Timchenko und Timchenko/Rat ergangen.
In Anbetracht seiner neuen Zuständigkeit für Vorabentscheidungen und der neuen Verantwortung, die sich aus der Ausweitung der vorherigen Zulassung von Rechtsmitteln ergibt, hat sich das Gericht mit sämtlichen für eine effiziente und proaktive Bearbeitung der bei ihm anhängigen Rechtssachen erforderlichen Instrumente ausgestattet und sich dabei auf den nächsten Dreijahreszeitraum, der im Oktober 2025 beginnt, vorbereitet.

Neue Entwicklungen in der Rechtsprechung

Savvas Papasavvas
Vizepräsident des Gerichts
Das Jahr 2024 markiert die Rückkehr der Großen Kammer, der besonderen Besetzung des Gerichts, die bisher nur selten und sporadisch angerufen wurde. Die Große Kammer, die aus 15 Richtern besteht, wird mit den bedeutendsten Rechtssachen sowie mit Rechtssachen befasst, die eine rechtliche Schwierigkeit oder besondere Umstände aufweisen (Art. 28 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts). In dieser Besetzung sind im vergangenen Jahr in mehreren zusammengefassten Rechtssachen sechs Entscheidungen ergangen, und zwar im Zusammenhang mit den Angriffen Russlands auf die Ukraine und mit der Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität im Rahmen des Aufbauplans NextGenerationEU.
In seinen Urteilen vom 11. September 2024, Fridman u. a./Rat sowie Timchenko und Timchenko/Rat (T‑635/22 und T‑644/22), hat das Gericht bestätigt, dass der Rat zum einen zuständig ist, Pflichten zur Meldung von Geldern und zur Zusammenarbeit mit den zuständigen nationalen Behörden durch von restriktiven Maßnahmen betroffene Personen zu erlassen, und zum anderen dazu, die Nichteinhaltung dieser Pflichten einer Umgehung der Maßnahmen des Einfrierens von Geldern gleichzustellen.
Des Weiteren hat das Gericht in seinen Urteilen vom 2. Oktober 2024, Ordre néerlandais des avocats du barreau de Bruxelles u. a./Rat, Ordre des avocats à la cour de Paris und Couturier/Rat sowie ACE/Rat (T‑797/22, T‑798/22 und T‑828/22), die Rechtmäßigkeit des Verbots bestätigt, unmittelbar oder mittelbar Dienstleistungen im Bereich Rechtsberatung für die Regierung Russlands und für in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu erbringen (Verordnung [EU] Nr. 833/2014 des Rates über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren). In den Rechtssachen geht es um die Frage, ob ein Grundrecht auf Zugang zu einem Anwalt besteht, das sich insbesondere auf Situationen erstreckt, die keinen Bezug zu einem Gerichtsverfahren aufweisen. Das Gericht hat die Klage abgewiesen, sich aber u. a. darum bemüht, die Tragweite des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) und des Rechts auf Wahrung des Berufsgeheimnisses (Art. 7) zu präzisieren.
Schließlich hat das Gericht mit Beschluss vom 4. Juni 2024, Medel u. a./Rat (T‑530/22 bis T‑533/22), die Anträge auf Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses zurückgewiesen, mit dem der Rat die Bewertung des Aufbau- und Resilienzplans Polens billigte und Etappenziele und Zielwerte festlegte, die dieser Mitgliedstaat erreichen muss, damit die ihm im angefochtenen Beschluss gewährten Mittel freigegeben werden können. Nach Auffassung der Großen Kammer waren die Kläger, vier repräsentative internationale Richtervereinigungen, deren Mitglieder in der Regel nationale, auch polnische, Berufsverbände sind, nicht klagebefugt.
Diese neue Dynamik der Großen Kammer wird 2025 mit Sicherheit fortgesetzt, da derzeit weitere Rechtssachen anhängig sind, die in dieser Besetzung entschieden werden. Begleitet werden wird dies voraussichtlich von Verweisen an die Mittlere Kammer, die mit der Verordnung (EU, Euratom) 2024/2019 zur Ergänzung des dem Gericht zur Verfügung stehenden Arsenals an besonderen Besetzungen eingerichtet wurde.

Die Mitglieder des Gerichts
Das Gericht besteht aus zwei Richtern je Mitgliedstaat.
Zu Richtern sind Personen auszuwählen, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und über die Befähigung zur Ausübung hoher richterlicher Tätigkeiten verfügen. Sie werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen nach Anhörung eines Ausschusses, der die Aufgabe hat, eine Stellungnahme zur Eignung der vorgeschlagenen Bewerber abzugeben, im gegenseitigen Einvernehmen ernannt. Ihre Amtszeit beträgt sechs Jahre; Wiederernennung ist zulässig. Die Richter wählen aus ihrer Mitte den Präsidenten und den Vizepräsidenten für die Dauer von drei Jahren. Sie ernennen den Kanzler für eine Amtszeit von sechs Jahren.
Sie üben ihr Amt in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit aus.
Im Zusammenhang mit der teilweisen Übertragung der Zuständigkeit für Vorabentscheidungen vom Gerichtshof auf das Gericht zum 1. Oktober 2024 hat das Gericht Richter Martín y Pérez de Nanclares und Richterin Brkan zu Richtern gewählt, die das Amt eines Generalanwalts für die Bearbeitung von Vorabentscheidungsersuchen ausüben, sowie Richter Gâlea als Vertreter im Fall einer Verhinderung.

M. van der Woude

S. Papasavvas

A. Marcoulli

R. da Silva Passos

J. Svenningsen

M. J. Costeira

K. Kowalik-Bańczyk

A. Kornezov

L. Truchot

O. Porchia

R. Mastroianni

P. Škvařilová-Pelzl

M. Jaeger

H. Kanninen

J. Schwarcz

M. Kancheva

E. Buttigieg

V. Tomljenović

L. Madise

N. Półtorak

I. Reine

P. Nihoul

U. Öberg

C. Mac Eochaidh

G. De Baere

T. Pynnä

J. Laitenberger

J. Martín y Pérez de Nanclares

G. Hesse

M. Sampol Pucurull

M. Stancu

I. Nõmm

G. Steinfatt

T. Perišin

D. Petrlík

M. Brkan

P. Zilgalvis

K. Kecsmár

I. Gâlea

I. Dimitrakopoulos

D. Kukovec

S. Kingston

T. Tóth

B. Ricziová

E. Tichy-Fisslberger

W. Valasidis

S. Verschuur

S. L. Kalėda

L. Spangsberg Grønfeldt

H. Cassagnabère

R. Meyer

V. Di Bucci
Protokollarische Rangfolge ab dem 9.10.2024
C | Rechtsprechung im Jahr 2024
- Fokus Mobilitätspaket 2020: fairer Wettbewerb und Verbesserung der Arbeitsbedingungen für einen sichereren, nachhaltigeren und faireren Straßenverkehrssektor
- Fokus Ökologische/biologische Produktion und Kennzeichnung ökologischer/biologischer Erzeugnisse
- Fokus Zugang der Öffentlichkeit zu Verträgen über den Kauf von Covid‑19‑Impfstoffen
- Fokus Restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen
- Rückblick auf bedeutende Urteile des Jahres

Fokus
Mobilitätspaket 2020: fairer Wettbewerb und Verbesserung der Arbeitsbedingungen für einen sichereren, nachhaltigeren und faireren Straßenverkehrssektor
Urteil Litauen u. a./Parlament und Rat vom 4. Oktober 2024 (C‑541/20 bis C‑555/20)
Mobilitätspaket 2020
Im Jahr 2020 verabschiedete die Europäische Union ein Reformpaket für den Straßenverkehrssektor, um zwei wesentliche Ziele zu erreichen:
1. Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Kraftfahrer:
-
– durch das Verbot, die wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug zu verbringen;
– durch die Gewährleistung einer regelmäßigen Rückkehr zum Wohnort oder zur Betriebsstätte (alle drei oder vier Wochen), um dort ihre Ruhezeit zu verbringen;
– durch die Vorverlegung des Zeitpunkts des Inkrafttretens der Verpflichtung zum Einbau intelligenter Fahrtenschreiber der zweiten Generation.
2. Schaffung eines fairen Wettbewerbs:
-
– durch die Verpflichtung zur Rückkehr der Fahrzeuge zu einer der Betriebsstätten im Niederlassungsmitgliedstaat des Verkehrsunternehmens alle acht Wochen;
– durch die Einführung einer Wartezeit von vier Tagen nach einem Kabotagezyklus in einem Aufnahmemitgliedstaat (in der gebietsfremde Kraftverkehrsunternehmen nicht berechtigt sind, Kabotagebeförderungen mit demselben Fahrzeug in dem betreffenden Mitgliedstaat durchzuführen);
– durch die Einstufung der Kraftfahrer als „entsandte Arbeitnehmer“ in bestimmten Fällen, so dass ihnen die im Aufnahmemitgliedstaat geltenden Arbeits- und Entgeltbedingungen zugutekommen.
Kabotage ist eine Beförderung, die innerhalb eines Mitgliedstaats von einem nicht in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Verkehrsunternehmer durchgeführt wird. Sie ist zulässig, solange sie nicht so erfolgt, dass dadurch eine dauerhafte Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat entsteht.
Der intelligente Fahrtenschreiber der zweiten Generation ist ein elektronisches Gerät, das die Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten der Kraftfahrer aufzeichnet. Er trägt zur Gewährleistung der Straßenverkehrssicherheit, der Einhaltung der Arbeitsbedingungen für Fahrer und der Verhinderung von Betrug bei.
Das Mobilitätspaket besteht aus drei Rechtsakten zur rechtlichen Regelung des Straßenverkehrs. Diese ehrgeizige Reform löste lebhafte Diskussionen aus, die zu einer Reihe von Klagen führten. So haben sieben Mitgliedstaaten – Litauen, Bulgarien, Rumänien, Zypern, Ungarn, Malta und Polen – beim Gerichtshof 15 Nichtigkeitsklagen gegen bestimmte Vorschriften des Mobilitätspakets erhoben.
Dessen Gültigkeit ist mit dem Urteil des Gerichtshofs weitgehend bestätigt worden.
Der Gerichtshof hat zwar anerkannt, dass die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Kraftfahrer zu einem Anstieg der Kosten zulasten der Verkehrsunternehmen führen kann, dabei hat er jedoch ausgeführt, dass diese Vorschriften, die unterschiedslos in der gesamten Union gelten, keine Verkehrsunternehmen mit Sitz in „an der Peripherie der Union“ gelegenen Mitgliedstaaten diskriminieren. Etwaige stärkere Auswirkungen dieser Vorschriften auf bestimmte Unternehmen hängen von deren wirtschaftlichen Entscheidung ab, ihre Dienstleistungen an Empfänger zu erbringen, die in von ihrem Niederlassungsmitgliedstaat weit entfernten Mitgliedstaaten ansässig sind.
Bei der Einstufung als „entsandte Arbeitnehmer“ (durch die den Kraftfahrern die Mindestarbeits- und Mindestentgeltbedingungen des Aufnahmemitgliedstaats anstelle der möglicherweise ungünstigeren Bedingungen des Niederlassungsstaats des Verkehrsunternehmers zugutekommen können) handelt es sich um eine Maßnahme zur Gewährleistung fairer Arbeitsbedingungen und zur Bekämpfung unlauterer Wettbewerbspraktiken. Diese Entwicklung ist zwar für die Beschäftigten von Vorteil, führte jedoch zu Diskussionen unter den Mitgliedstaaten, von denen einige, insbesondere diejenigen mit niedrigen Lohnkosten, einen Anstieg der Kosten für ihre Unternehmen und die administrative Komplexität der neuen Vorschriften befürchteten. Der Gerichtshof hat diese vom Unionsgesetzgeber getroffene Maßnahme, die darauf abzielt, einen gerechten Ausgleich zwischen den verschiedenen in Rede stehenden Interessen zu erreichen, bestätigt.
Was die Verpflichtung betrifft, eine Wartezeit von vier Tagen nach einem Kabotagezyklus in einem Aufnahmemitgliedstaat einzuhalten, so soll dies die örtlichen Unternehmen schützen und unlauteren Wettbewerb verhindern, indem vermieden wird, dass durch wiederholte Kabotagebeförderungen de facto eine dauerhafte Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat entsteht. Einige Mitgliedstaaten beanstandeten diese Verpflichtung, da sie die Flexibilität der Unternehmen einschränke, indem sie diese zwinge, ihre Routen anzupassen, um Zeiten der Untätigkeit, die zu Einkommensverlusten führten, zu vermeiden. Der Gerichtshof hat dieses Vorbringen mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass während dieser Wartezeit lediglich Kabotagebeförderungen im Aufnahmemitgliedstaat verboten sind, was die Durchführung anderer grenzüberschreitender Beförderungen oder von Kabotagebeförderungen in anderen Mitgliedstaaten nicht unterbindet.
Der Gerichtshof hat jedoch die Verpflichtung, wonach Fahrzeuge alle acht Wochen zur Betriebsstätte des Verkehrsunternehmens zurückkehren müssen, für nichtig erklärt. Das Parlament und der Rat hatten nicht dargetan, dass sie über ausreichende Informationen verfügten, um die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme und ihre sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu beurteilen.

Fokus
Ökologische/biologische Produktion und Kennzeichnung ökologischer/biologischer Erzeugnisse
Urteil Herbaria Kräuterparadies II (C‑240/23)
Die deutsche Gesellschaft Herbaria stellt das Getränk „Blutquick“ her, das als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet wird. Das Getränk enthält Zutaten, die aus biologischer Produktion stammen; ihm werden aber auch nicht pflanzliche Vitamine und Eisengluconat zugesetzt. Auf der Verpackung befinden sich das Logo der Union für ökologische/biologische Produktion sowie ein Verweis auf „kontrolliert biologischen Anbau“.
Im Januar 2012 hatten die deutschen Behörden Herbaria den geschützten Hinweis auf den ökologischen Landbau untersagt, da gemäß Unionsrecht verarbeiteten Produkten, die die Bezeichnung „ökologisch/biologisch“ führten, Vitamine und Mineralstoffe nur zugesetzt werden dürften, wenn ihre Verwendung gesetzlich vorgeschrieben sei.
Der Gerichtshof, der im Rahmen einer ersten Rechtssache um Vorabentscheidung ersucht worden war (Rechtssache C‑137/13), hatte entschieden, dass die Verwendung dieser Stoffe nur dann als gesetzlich vorgeschrieben angesehen wird, wenn eine Vorschrift des Unionsrechts oder eine mit ihm im Einklang stehende nationale Vorschrift unmittelbar vorschreibt, dass sie einem Nahrungsmittel hinzuzufügen sind, damit es in Verkehr gebracht werden kann. Da der vorliegende Zusatz von Vitaminen und Eisengluconat zu „Blutquick“ diese Anforderung nicht erfüllte, wies das deutsche Gericht, das sich an den Gerichtshof gewandt hatte, die Klage von Herbaria ab.
Die Rechtssache wurde sodann vor das deutsche Bundesverwaltungsgericht gebracht, vor dem Herbaria die Untersagung der Anbringung des Logos der Europäischen Union für ökologische/biologische Produktion nicht mehr in Abrede stellte, sondern eine Ungleichbehandlung ihres Erzeugnisses gegenüber einem gleichartigen, aus den Vereinigten Staaten eingeführten Erzeugnis geltend machte.
Die Vereinigten Staaten sind nämlich im europäischen Recht als Drittland anerkannt, dessen Produktions- und Kontrollvorschriften denen der Europäischen Union gleichwertig sind. Nach Ansicht von Herbaria dürfen aus den Vereinigten Staaten stammende Erzeugnisse, die den dortigen Produktionsvorschriften entsprechen, folglich in der Union als ökologische/biologische Erzeugnisse vermarktet werden. Dies führe zu einer Ungleichbehandlung, da amerikanische Konkurrenzprodukte das Logo der Union für ökologische/biologische Produktion tragen dürften, ohne die in der Union geltenden Vorschriften für ökologische/biologische Produktion einzuhalten.
Das deutsche Bundesverwaltungsgericht hat den Gerichtshof hierzu befragt.
In seinem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass <>das EU-Bio-Logo nur für Erzeugnisse verwendet werden darf, die sämtlichen Vorgaben der Verordnung über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen entsprechen. Dieses Logo darf daher nicht für Erzeugnisse verwendet werden, die in einem Drittland nach Vorschriften hergestellt wurden, die den im Unionsrecht vorgesehenen Vorschriften lediglich gleichwertig sind. Diese Untersagung erstreckt sich auch auf die Verwendung von Bezeichnungen mit Bezug auf die ökologische/biologische Produktion.
Es wäre dem fairen Wettbewerb auf dem Binnenmarkt abträglich, wenn dieses Logo und diese Bezeichnungen sowohl für in der Union oder in Drittländern im Einklang mit den europäischen Vorschriften für ökologische/biologische Produktion hergestellte Erzeugnisse als auch für Erzeugnisse verwendet werden dürften, die in Drittländern nach Standards hergestellt wurden, die diesen Vorschriften lediglich gleichwertig sind. Darüber hinaus könnte dies die Verbraucher irreführen, wobei der Sinn und Zweck des Logos gerade darin besteht, die Verbraucher klar und eindeutig darüber zu informieren, dass das Erzeugnis voll und ganz den Vorgaben der Verordnung entspricht.
Dagegen darf das Logo des Drittlands für ökologische/biologische Produktion auch dann für in diesem Land hergestellte Erzeugnisse verwendet werden, wenn es Bezeichnungen mit Bezug auf die ökologische/biologische Produktion enthält.

EU-Bio-Logo
Mit dem EU-Bio-Logo erhalten in der EU biologisch erzeugte Produkte ein einheitliches Erkennungszeichen. Dies erleichtert Verbrauchern die Auswahl von Bio-Produkten, und Landwirte können sie besser in allen Mitgliedstaaten vermarkten.
Das Bio-Logo dürfen nur Produkte tragen, für die eine zugelassene Stelle bescheinigt hat, dass sie biologisch erzeugt wurden, wodurch die Erfüllung strenger Bedingungen für Herstellung, Verarbeitung, Transport und Lagerung gewährleistet wird. Zulässig ist das Logo nur auf Produkten, die zu mindestens 95 % aus Bio-Zutaten bestehen und zusätzlich strenge Vorgaben für die verbleibenden 5 % erfüllen. Derselbe Inhaltsstoff darf nicht gleichzeitig als Bio-Zutat und Nicht‑Bio-Zutat vorhanden sein.
Verordnung 2018/848
Die Verordnung 2018/848 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen ist darauf ausgerichtet, einen fairen Wettbewerb, das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts in diesem Sektor und das Vertrauen der Verbraucher in als ökologisch/biologisch gekennzeichnete Erzeugnisse zu gewährleisten.
Sie sieht allgemeine und spezifische Produktionsvorschriften vor. Im Bereich der Kennzeichnung schreibt sie die Einhaltung der Vorschriften betreffend die Information der Verbraucher vor, um insbesondere etwaige Unklarheiten oder Irreführungen zu vermeiden. Sie legt zudem spezifische Vorschriften für die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen und Umstellungserzeugnissen fest, um sowohl das Interesse der Unternehmer an einer korrekten Kennzeichnung ihrer Erzeugnisse und an einem fairen Wettbewerb als auch das Interesse der Verbraucher zu schützen.
Weitere Urteile des Gerichtshofs zu ökologischen/biologischen Erzeugnissen
Urteil vom 12. Oktober 2017, Kamin und Grill Shop (C‑289/16)
Nach der Verordnung Nr. 834/2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen müssen Unternehmer, die ökologische/biologische Erzeugnisse vertreiben, ihr Unternehmen einem Kontrollsystem unterstellen. Unternehmer, die Erzeugnisse direkt an Endverbraucher oder ‑nutzer verkaufen, können unter bestimmten Voraussetzungen von dieser Verpflichtung befreit werden. Der Gerichtshof hat entschieden, dass der Verkauf unter gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers oder seines Verkaufspersonals und des Endverbrauchers zu erfolgen hat. Folglich kommen Unternehmer, die die Erzeugnisse online vertreiben, nicht für diese Befreiung in Frage.
Urteil vom 26. Februar 2019, Œuvre d’assistance aux bêtes d’abattoirs (C‑497/17)
Die Verordnung Nr. 834/2007 gestattet keine Anbringung des EU-Bio-Logos auf Erzeugnissen, die von Tieren stammen, die ohne vorherige Betäubung einer rituellen Schlachtung unterzogen wurden, die unter den von der Verordnung Nr. 1099/2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung festgelegten Bedingungen durchgeführt wurde.
Urteil vom 29. April 2021, Natumi (C‑815/19)
Die Verordnung Nr. 889/2008 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 834/2007 steht der Verwendung eines aus den gereinigten, getrockneten und gemahlenen Sedimenten der Alge Lithothamnium calcareum gewonnenen Pulvers als nicht ökologische/nicht biologische Zutat landwirtschaftlichen Ursprungs bei der Verarbeitung ökologischer/biologischer Lebensmittel (wie ökologischen/biologischen Reis- und Sojagetränken) zu deren Anreicherung mit Calcium entgegen.

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Zugang der Öffentlichkeit zu Verträgen über den Kauf von Covid‑19‑Impfstoffen
Urteile Auken u. a./Kommission sowie Courtois u. a./Kommission (T‑689/21 und T‑761/21)
Im Juni 2020 begann die Europäische Union mit der strategischen Beschaffung von Covid-19‑Impfstoffen. In diesem Zusammenhang unterzeichnete die Kommission eine Vereinbarung mit den 27 Mitgliedstaaten, die sie ermächtigte, in deren Namen Abnahmegarantien mit Herstellern zu schließen.
Da der frühzeitige Einsatz von Impfungen im Interesse der öffentlichen Gesundheit lag, wurde die Frist für die Entwicklung der Impfstoffe für Pharmaunternehmen verkürzt. Um das von diesen Unternehmen getragene Risiko auszugleichen, nahmen die Kommission und die Mitgliedstaaten in ihre Impfstrategie den Grundsatz der Risikoteilung zwischen Herstellern und Mitgliedstaaten auf, wodurch die Haftung des Herstellers für unerwünschte Wirkungen seines Produkts vermindert wurde.
Die veröffentlichten Fassungen der Verträge waren teilweise geschwärzt, Angaben zu finanziellen Risiken, Schenkungen oder Weiterverkäufen sowie Erklärungen über das Nichtvorliegen eines Interessenkonflikts unkenntlich gemacht.
Im Jahr 2021 beanstandeten Bürger und Europaabgeordnete die teilweise Verweigerung des Zugangs zu bestimmten Dokumenten im Zusammenhang mit den Verträgen über den Kauf von Impfstoffen aus dem Jahr 2020 durch die Europäische Kommission. Die Anträge auf Zugang betrafen Klauseln über die Entschädigung von Pharmaunternehmen. Nach diesen Klauseln waren die Unternehmen verpflichtet, Geschädigte im Fall eines vorsätzlichen Verschuldens oder eines grob fahrlässigen Fehlverhaltens bei der Herstellung zu entschädigen, während in den anderen Fällen die Haftung bei den Mitgliedstaaten lag.
Die Bürger und Europaabgeordneten forderten ferner Zugang zu den von den Mitgliedern des Verhandlungsteams für den Kauf von Impfstoffen unterzeichneten Erklärungen über das Nichtvorliegen eines Interessenkonflikts. Sie wollten aufklären, wie die Verhandlungen geführt worden waren, insbesondere über einen Vertrag vom Mai 2021 über den Kauf von 1,8 Milliarden zusätzlicher Impfstoffdosen für 35 Mrd. Euro.
Die Kommission hatte nur teilweisen Zugang zu diesen Dokumenten gewährt und geschwärzte Fassungen veröffentlicht, unter Berufung auf das Geschäftsgeheimnis und den Schutz der Privatsphäre.
Das mit zwei Klagen gegen die Entscheidungen der Kommission befasste Gericht hat diese teilweise für nichtig erklärt.
Zum Antrag auf einen weiter gehenden Zugang zu den Entschädigungsklauseln hat das Gericht festgestellt, dass der Grund für deren Aufnahme in die Verträge, nämlich das von den Pharmaunternehmen getragene Risiko im Zusammenhang mit der Verkürzung der Frist für die Entwicklung der Impfstoffe auszugleichen, von den Mitgliedstaaten gebilligt wurde und öffentlich bekannt war. Die Kommission hat nicht dargetan, inwiefern ein weiter gehender Zugang zu diesen Klauseln, zu bestimmten in den Verträgen enthaltenen Definitionen (wie die der Begriffe „vorsätzliches Verschulden“ und „alle möglichen und zumutbaren Anstrengungen“) sowie zu den Vertragsbestimmungen über die Schenkung und den Weiterverkauf von Impfstoffen die geschäftlichen Interessen der fraglichen Pharmaunternehmen konkret beeinträchtigen würde.
In Bezug auf den Antrag auf Offenlegung der Identität der Mitglieder des Verhandlungsteams in den Erklärungen über das Nichtvorliegen eines Interessenkonflikts hat das Gericht bestätigt, dass er einen im öffentlichen Interesse liegenden Zweck verfolgt. Nur durch die Offenlegung dieser Identität lässt sich nämlich überprüfen, ob bei den Mitgliedern des Verhandlungsteams kein Interessenkonflikt bestand. Diese Transparenz der Vertragsverhandlungen stärkt das Vertrauen der Unionsbürger in die Impfstrategie der Kommission und trägt dazu bei, die Verbreitung falscher Informationen zu bekämpfen. Das Gericht hat daher entschieden, dass die Kommission die bestehenden Interessen im Zusammenhang mit dem Nichtvorliegen von Interessenkonflikten und der Gefahr einer Beeinträchtigung der Privatsphäre nicht ordnungsgemäß gegeneinander abgewogen hat.
Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten: ein zentraler Bestandteil der Transparenz
Mit der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates soll der Öffentlichkeit ein Recht auf größtmöglichen Zugang zu Dokumenten des Parlaments, des Rates und der Kommission gewährt werden. Sie zielt darauf ab, die Transparenz, Legitimität und Verantwortung der Organe zu stärken.
Dieses Recht gilt jedoch nicht absolut. Es gibt Einschränkungen zum Schutz bestimmter öffentlicher oder privater Interessen, wie der öffentlichen Sicherheit, der Vertraulichkeit interner Beratungen sowie der Rechtsberatung, der finanziellen, wirtschaftlichen oder geschäftlichen Interessen und dem Schutz personenbezogener Daten.
Die Organe müssen die Transparenz und den Schutz dieser Interessen miteinander in Einklang bringen, indem sie in jedem Einzelfall prüfen, ob die Offenlegung eines der Interessen beeinträchtigen könnte. Eine Offenlegung kann im Ergebnis verlangt werden, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse nachgewiesen wird.
Wird der Zugang verweigert, kann der Antragsteller bei dem betreffenden Organ eine Überprüfung beantragen und – im Fall einer erneuten Ablehnung – den Europäischen Bürgerbeauftragten anrufen oder Klage beim Gericht der Europäischen Union erheben.
Einige durch das Gericht und den Gerichtshof gefestigte Grundsätze
Im Urteil De Capitani/Parlament (T‑540/15) hat das Gericht festgestellt, dass die Unionsorgane den Zugang zu bestimmten Dokumenten des Gesetzgebungsverfahrens nur in hinreichend begründeten Fällen verweigern dürfen.
Das Organ oder die Einrichtung, das bzw. die den Zugang verweigert, muss dartun, inwiefern der Zugang das durch eine der Ausnahmen in der Verordnung Nr. 1049/2001 geschützte Interesse „konkret, tatsächlich und bei verständiger Betrachtung absehbar“ beeinträchtigen würde. Wie der Gerichtshof im Urteil ClientEarth/Kommission (C‑57/16 P) entschieden hat, reicht eine hypothetische oder vage Beeinträchtigung nicht aus, um eine solche Verweigerung zu rechtfertigen.
Die Frage des Zugangs zu Schriftsätzen, die von einem Mitgliedstaat oder einem Organ im Rahmen von Gerichtsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union eingereicht wurden, ist in mehreren bedeutsamen Urteilen behandelt worden. In der Rechtssache Kommission/Breyer (C‑213/15 P) hat der Gerichtshof ausgeführt, dass Schriftsätze eines Mitgliedstaats, die sich im Besitz der Kommission befinden, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 fallen. Die Vertraulichkeit dieser Schriftsätze muss zwar während der Dauer des Gerichtsverfahrens gewahrt werden, nach Abschluss des Verfahrens kann die Kommission den Zugang zu ihnen aber nicht ohne weiteren Grund verweigern.
Diese allgemeine Vermutung der Nichtverbreitung während des Gerichtsverfahrens hatte der Gerichtshof bereits in den Urteilen Schweden u. a./API und Kommission (C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P) für von einem Unionsorgan eingereichte Schriftsätze aufgestellt. Nach Abschluss des Verfahrens muss jedoch jeder Antrag im Einzelfall geprüft werden, um festzustellen, ob die in der Verordnung vorgesehenen Ausnahmen Anwendung finden.

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Restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen
Urteile Mazepin/Rat vom 20. März 2024 (T‑743/22), Fridman u. a./Rat und Timchenko und Timchenko/Rat vom 11. September 2024 (T‑635/22 und T‑644/22), NSD/Rat vom 11. September 2024 (T‑494/22)
Restriktive Maßnahmen oder „Sanktionen“ sind ein zentrales Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Sie können in Form von Einfrieren von Vermögenswerten, Reiseverboten oder Wirtschaftssanktionen erfolgen. Ihr Ziel besteht darin, die grundlegenden Werte, die wesentlichen Interessen und die Sicherheit der Union zu wahren, indem Druck auf die betroffenen Personen oder Organisationen, einschließlich der Regierungen von Drittländern, ausgeübt wird, um eine Änderung in ihrer Politik oder ihrem Handeln zu bewirken.
Die Handlungen Russlands, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine seit 2014 untergraben, und vor allem sein im Jahr 2022 begonnener Angriffskrieg gegen diesen Staat haben die Sanktionen der Union gegen natürliche und juristische Personen, die die russische Regierung unterstützen, verschärft. Die einschlägigen Beschlüsse des Rates waren Gegenstand von Dutzenden von Rechtssachen vor dem Gericht der Europäischen Union, da sie hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit und ihres Umfangs beanstandet wurden.
Sie veranschaulichen die Suche nach einem Ausgleich zwischen der Härte der verhängten Sanktionen, die für deren Wirksamkeit erforderlich ist, und dem Schutz der Rechte des Einzelnen. Das Gericht hat die weitreichenden Befugnisse der Union, gegen die wirtschaftliche und materielle Unterstützung der russischen Regierung vorzugehen, bestätigt, dabei aber Nachweise und eine stichhaltige Rechtfertigung für die erlassenen Maßnahmen gefordert.
Urteil NSD/Rat (T‑494/22)
Das Gericht hat die gegen die russische Gesellschaft National Settlement Depository (NSD) verhängten Sanktionen bestätigt. Die vom Rat als für das Finanzsystem in Russland wesentlich angesehene Gesellschaft gewährte sowohl der Regierung als auch der Zentralbank Russlands materielle und finanzielle Unterstützung.
Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass NSD als systemrelevantes Finanzinstitut die Mobilisierung erheblicher Ressourcen durch die russische Regierung erleichtert hat, die für Handlungen zur Destabilisierung der Ukraine verwendet wurden. Es hat zudem das Vorbringen von NSD zurückgewiesen, die restriktiven Maßnahmen hätten zum Einfrieren von Geldern von Kunden geführt, die nicht Ziel der Sanktionen gewesen seien, und ausgeführt, dass diese Kunden die nationalen Gerichte anrufen können, um eine Verletzung ihres Eigentumsrechts als Nebeneffekt der gegen NSD getroffenen Maßnahmen geltend zu machen.
Urteil Mazepin/Rat (T‑743/22)
Das Gericht der Europäischen Union hat das Belassen von Herrn Nikita Mazepin, einem ehemaligen Formel-1-Fahrer, auf der Liste der von den Sanktionen erfassten Personen für nichtig erklärt. Seine Aufnahme in diese Liste durch den Rat beruhte auf der Verbindung zu seinem Vater, Herrn Dmitry Mazepin, einem führenden Geschäftsmann, dessen Tätigkeit der russischen Regierung bedeutende Einnahmen verschafft und der Hauptsponsor der Tätigkeit seines Sohnes als Pilot des Rennstalls Haas gewesen sein soll.
Nach Auffassung des Gerichts war die Verbindung zwischen Herrn Dmitry Mazepin und seinem Sohn nicht hinreichend erwiesen, insbesondere da dieser zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses nicht mehr Pilot des fraglichen Rennstalls war. Im Übrigen reicht allein die familiäre Beziehung als solche nicht aus, um gemeinsame Interessen nachzuweisen, die geeignet wären, die Aufrechterhaltung der Sanktionen gegen Herrn Nikita Mazepin zu rechtfertigen.
Urteile Fridman u. a./Rat und Timchenko und Timchenko/Rat (T‑653/22 und T‑644/22)
Das Gericht hat bestätigt, dass die mit einer Sanktion belegten Personen und Organisationen verpflichtet sind, ihre Gelder zu melden und mit den zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten, um die Umgehung des Einfrierens von Geldern durch rechtliche und finanzielle Konstruktionen zu verhindern. Diese vom Rat aufgestellten Verpflichtungen sind erforderlich, um die Wirksamkeit und Einheitlichkeit der Sanktionen in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Das Gericht hat ferner das Vorbringen zurückgewiesen, der Rat habe den Mitgliedstaaten vorbehaltene strafrechtliche Befugnisse ausgeübt, da diese Maßnahmen nicht strafrechtlicher Natur sind und mit ihrem Erlass der gesamte unionsrechtliche Rahmen gewahrt wird.
Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland
Seit März 2014 hat die Union als Reaktion auf die rechtswidrige Annexion der Krim (2014) und den militärischen Angriff auf die Ukraine (2022) schrittweise gezielte restriktive Maßnahmen gegen Russland erlassen.
Diese Maßnahmen zielen darauf ab, die wirtschaftliche Grundlage Russlands zu schwächen, indem ihm bedeutende Technologien und Märkte vorenthalten werden und seine Fähigkeit, Krieg zu führen, erheblich eingeschränkt wird. Die Union hat zudem Sanktionen gegen Belarus, den Iran und Nordkorea verhängt, als Reaktion auf deren Unterstützung Russlands im Krieg gegen die Ukraine.
Mehr als 2 300 Personen und Organisationen (Banken, politische Parteien, Unternehmen, paramilitärische Gruppen) unterliegen diesen Sanktionen. Die Sanktionen umfassen:
- Verbot der Einreise in die Europäische Union,
- Einfrieren von Vermögenswerten,
- Zahlungssperren.
Der Rat schätzt den Wert der in der Union eingefrorenen privaten Vermögenswerte auf 24,9 Mrd. Euro. Das gesperrte Kapital der russischen Zentralbank in der Union beläuft sich auf 210 Mrd. Euro.
Die gemäß Beschlüssen des Rates verhängten restriktiven Maßnahmen werden fortlaufend überprüft. Sie werden verlängert oder gegebenenfalls geändert, wenn der Rat der Auffassung ist, dass die mit diesen Maßnahmen verfolgten Ziele nicht erreicht wurden.
Rückblick auf bedeutende Urteile des Jahres
Grundrechte
Die Europäische Union gewährleistet den Schutz der Grundrechte, insbesondere durch die Charta der Grundrechte, in der die individuellen, staatsbürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte der europäischen Bürger aufgeführt sind. Die Achtung der Menschenrechte ist einer der Werte, auf die sich die Union gründet, und eine wesentliche Verpflichtung bei der Durchführung ihrer Politik und Programme.

Die EU-Grundrechtecharta – verbindliche Regeln mit konkreten Folgen
Personenbezogene Daten
Die Europäische Union verfügt über Rechtsvorschriften, die eine solide und kohärente Grundlage für den Schutz personenbezogener Daten bilden. Die Verarbeitung und Speicherung solcher Daten ist nur zulässig, wenn sie den in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Bedingungen entspricht, d. h., sie muss auf das absolut Notwendige beschränkt sein und darf das Recht auf Privatsphäre nicht unverhältnismäßig einschränken.

Der Gerichtshof in der digitalen Welt
Gleichbehandlung und Arbeitsrecht
In der Europäischen Union gibt es fast 200 Millionen Arbeitnehmer. Eine große Zahl von Bürgern profitiert also direkt von den Bestimmungen des europäischen Arbeitsrechts, das Mindeststandards für Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen festlegt und damit die von den Mitgliedstaaten verfolgte Politik ergänzt.

Der Gerichtshof: Gewährleistung der Gleichberechtigung und Schutz von Minderheitsrechten
Unionsbürgerschaft
Jeder, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, ist automatisch Unionsbürger. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht. Unionsbürger genießen besondere Rechte, die durch die europäischen Verträge garantiert werden.
Verbraucher
Die europäische Verbraucherschutzpolitik soll die Gesundheit, die Sicherheit sowie die wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen der Verbraucher schützen, und zwar unabhängig davon, wo sie in der Union wohnen, sich bewegen oder ihre Einkäufe tätigen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union: Schutz der Rechte der Verbraucher in der Union
Umwelt
Die Europäische Union bekennt sich zum Schutz und zur Verbesserung der Umweltqualität sowie zum Schutz der menschlichen Gesundheit. Sie stützt sich dabei auf die Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung sowie auf das Verursacherprinzip.

Der Gerichtshof und die Umwelt
Informationsgesellschaft
Die Europäische Union spielt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Informationsgesellschaft, um ein günstiges Umfeld für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen und gleichzeitig die Rechte der Verbraucher zu schützen und Rechtssicherheit zu bieten. Sie gewährleistet faire und offene digitale Märkte und beseitigt Hindernisse für grenzüberschreitende Online-Dienste im Binnenmarkt, um deren freien Verkehr sicherzustellen.

Der Gerichtshof in der digitalen Welt
Wettbewerb, staatliche Beihilfen und „tax rulings“
Die Europäische Union gewährleistet, dass die Regeln, die den freien Wettbewerb schützen, eingehalten werden. Praktiken, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, sind verboten und können mit Geldbußen geahndet werden.

Das Gericht – stellt sicher, dass die Organe der Europäischen Union das Unionsrecht beachten
Geistiges Eigentum
Die von der Europäischen Union erlassenen Rechtsvorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums (Urheberrecht) und des gewerblichen Eigentums (Markenrecht, Schutz von Geschmacksmustern) verbessern die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, indem sie ein Umfeld fördern, das Kreativität und Innovation begünstigt.

Geistiges Eigentum beim Gericht
Handelspolitik
Die Europäische Union verfügt über die ausschließliche Zuständigkeit für die gemeinsame Handelspolitik, in deren Rahmen sie u. a. internationale Handelsabkommen schließt. Dass die Union auf der Weltbühne mit einer Stimme spricht, verschafft ihr eine starke Position im Bereich des internationalen Handels. Die Handlungen der Union in diesem Bereich müssen jedoch mit dem verfassungsrechtlichen Rahmen der Union im Einklang stehen.
Migration und Asyl
Die Europäische Union hat ein Regelwerk für eine wirksame, humanitäre und sichere europäische Migrationspolitik erlassen. Das gemeinsame europäische Asylsystem legt Mindestnormen fest, die für die Behandlung aller Asylbewerber und die Bearbeitung ihrer Anträge in der ganzen Union gelten.
Justizielle Zusammenarbeit
Die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts umfasst Maßnahmen zur Förderung der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Diese Zusammenarbeit beruht auf der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und zielt darauf ab, das nationale Recht zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität zu harmonisieren und dabei den Schutz der Rechte von Opfern, Verdächtigen und Häftlingen in der Union zu gewährleisten.
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
Als wesentliches Instrument der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union werden restriktive Maßnahmen oder „Sanktionen“ als Teil eines ganzheitlichen und umfassenden Ansatzes eingesetzt, zu dem auch ein politischer Dialog gehört. Die Union greift auf sie zurück, um die Werte, die grundlegenden Interessen und die Sicherheit der Union zu schützen, Konflikte zu verhüten und die internationale Sicherheit zu stärken. Die Sanktionen sollen eine Änderung in der Politik oder im Handeln derjenigen bewirken, gegen die sich die Maßnahmen richten, und so die Ziele der GASP befördern.
Die Direktion Wissenschaftlicher Dienst und Dokumentation bietet dem juristischen Fachpublikum im Rahmen ihrer Sammlung der Zusammenfassungen eine „Auswahl wichtiger Urteile“ und ein „Monatliches Rechtsprechungsbulletin“ des Gerichtshofs und des Gerichts an.